ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2001
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Dronsch Strecker VogelDie Bedeutung der zwischentestamentlichen Literatur für die Bibelauslegung
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2001
Klaus Berger
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Abgrenzung des Diskussionsfeldes Noch im Jahre 1854 erschien im Verlag C.H. Beck aus der Hand von F.K. Wild ein Büchlein mit dem Titel »Es ist noch ein Bann unter dir, Israel«, in dem massiv vor apokryphen Schriften gewarnt wird. Der Verfasser beruft sich dafür auf die Synode von Dordrecht 1618 und betont, schon die bloße Lektüre nicht-kanonischer Schriften bedeute Verführung, Verwirrung und Sünde. »Keiner darf ungestraft kommen mit der vermengenden Gleichstellung des Apokryphischen (S. 57), denn das bedeute einen »Bund mit Kanaan« zu schließen. - Aber auch wenn man nicht konfessionell, sondern liberal urteilte wie Wilhelm Bousset, dann konnte doch die sogenannte »Propheten-Anschluß-Theorie« 1 den Geschmack an der zwischentestamentlichen Literatur gründlich verderben. Denn wenn die geistige Höhe erst wieder durch Jesus erreicht war, der über den Graben des »Spätjudentums« an die Propheten anschloß, dann mußte die zwischentestamentliche Literatur versinken im Dunkel des Unoriginellen und des gärend Chaotischen. Dabei ist für den Historiker die Abtrennung des Kanons nichts weiter als ein willkürlicher Schnitt. Bestens illustriert wird dieses Urteil dadurch, daß man unter den apokryphen Psalmen aus den Höhlen von Qumran drei gefunden hat, die ihre Entsprechung innerhalb der sog. fünf apokryphen Psalmen haben, die seit jeher in der syrischen Kirche gelten und deren Herkunft bis jetzt unbekannt war. Nun aber ist klar, daß die syrische Kirche einfach auf einen anderen Umfang des Kanons bezug genommen hat. So ist Sinn und Berechtigung der Kanonsgrenze hier erneut zur Diskussion gestellt. Hinzukommt, daß etliche außerkanonische Schriften älter sind als die jüngeren Schriften des Kanons. Vor allem die zeitliche Untergrenze bleibt umstritten, da auch wichtige Zeugnisse der zwischentestamentlichen Literatur nicht früher als um 200 n.Chr. entstanden sein können. So können wir nur vorsichtig und ohne scharfe Grenzen das Feld abstecken, um das es hier geht. Unsere »Definition« der zwischentestamentlichen Literatur (ZTL) lautet: Das ist die nicht-kanonische (auch nicht in der Septuaginta [LXX] enthaltene) religiöse Primärliteratur (also nicht gelehrte Sekundärliteratur wie Philo und Josephus) des Judentums bis hin zur Fixierung der altbzw. neutestamentlichen Canones. - Wir fragen nach deren Bedeutung dieser Texte für die Auslegung beider Testamente. Die Bedeutung für die Auslegung des Alten Testaments 1. Mehr als einmal präsentieren Texte der ZTL mutmaßlich frühere Traditionen, denen gegenüber der Kanon Späteres bietet. Jedenfalls ist diese Annahme eine hilfreiche heuristische Fragestellung. Beispiele: Das Buch Daniel und 4QpNabonid, ferner Gen 5,24 und zumindest Teile der Henochliteratur mit Erörterungen zum Sonnenkalender, denn die Zahl 364 in Gen 5,24 entspricht der Zahl der Tage im solaren Kalenderjahr und setzt wohl eine breitere Tradition oder Diskussion voraus. 2. Texte der ZTL sind oft die organische Fortsetzung alttestamentlicher Gattungen und Traditionen. Darauf weist vor allem der bemerkenswerte Umstand, daß in der Regel (außer bei Philo, im Neuen Testament und in exegetischen Qumrantexten) die »Schrift« in der ZTL regelmäßig nicht zitiert wird. So ist das Jubiläenbuch so etwas wie die letzte - im Unterschied zu P (Priesterschrift) nicht mehr ein den Pentateuch eingearbeitete - Pentateuchschicht. So sind die Psalmen aus Qumran hebräische Dichtung und »aus demselben Holz geschnitzt« wie die klassischen Psalmen. 3. Manche »Gattungen«, die im Kanon schon angelegt sind, kommen erst in der ZTL zur Entfaltung. Beispiel: Die Gattung der Geschichtsapokalypse in Daniel 7 und demgegenüber in 4Esra. 4. In der ZTL werden Texte in weitaus größerem Umfang, als es in der LXX schon geschah, nunmehr in griechischer Sprache und in größerem Maße, als es im Masoretischen Text belegt ist, in Zum Thema Klaus Berger Die Bedeutung der zwischentestamentlichen Literatur für die Bibelauslegung 14 ZNT 8 (4. Jg. 2001) ZNT 8 (4. Jg. 2001) 15 Klaus Berger Die Bedeutung der zwischentestamentlichen Literatur für die Bibelauslegung Klaus Berger Klaus Berger, geb. 25.11.1940 in Hildesheim, Promotion Dr. theol. 1965 in München, Habil. im Fach Neues Testament 1971 in Hamburg, 1970-1974 Dozent in Leiden NL, seit 1974 Prof. f. Neues Testament in Heidelberg, 36 promov. SchülerInnen, 1999 Sexauer Gemeindepreis aramäischer Sprache im Original produziert. Damit kommt die außerpalästinische Diaspora stärker zur Geltung. So darf man zum Beispiel für die griechische Schrift »Joseph und Aseneth« und für die »Leben der Propheten«, zumindest aber für das »Leben des Jeremia« Ägypten als Ursprungsland annehmen. Es gibt mithin von dieser Zeit an drei heilige Sprachen: Hebräisch, Aramäisch und Griechisch. Und wohlwollende frühere Versuche, Jesu Worte unbedingt in die hebräische oder aramäische angebliche Urfassung zurückzuübersetzen, krankten a limine daran, daß solche Gelehrten die zur Zeit Jesu schon 200 Jahre währende Anerkennung des Griechischen als gültiger Sakralsprache (in der LXX) noch nicht recht realisiert hatten. 5. Die Liste der zur ZTL gehörenden Schriften ist prinzipiell unabgeschlosen. Das bedeutet exegetisch: a) Damit ist auch der Inhalt dessen, das »jüdisch« ist, weitgehend offen. Man kann daher kaum zwischen »mehr oder weniger jüdischen« Jesusworten unterscheiden. Jüdisch ist wohl vielmehr alles, was ein Jude in den Mund nehmen kann, ohne sich die Zunge zu brechen oder sich das Herz zu verletzen. b) Der Horizont für die traditionsgeschichtliche Einordnung, die Rezeption oder Wirkung der kanonischen Schriften bleibt beweglich. Gerade aus dem Bestand der koptischen Kirche sind bezüglich apokrypher Texte aus der ZTL noch viele Überraschungen zu erwarten (ähnliches gilt für syrische, armenische und georgische Klöster). 6. Die schwierige Frage nach der Datierbarkeit aller dieser Schriften darf nicht als letzte Bastion der Ablehnung der religionsgeschichtlichen Methode zur Erforschung insbesondere des Neuen Testaments herhalten. Beispiel: In der jüdischen koptischen Elia-Apokalypse wird mit Martyrium und Auferstehung von Einzelfiguren vor der allgemeinen Totenauferstehung gerechnet. Daß diese Apoka lypse zwischen dem 2. Jh. vor Christus und dem 3. Jh. nach Christus datierbar ist, darf nicht zu der leicht durchschaubaren apologetischen Schlußfolgerung verleiten, also sei das Zeugnis dieser Schrift für die religionsgeschichtliche Einordnung der frühchristlichen Formulierungen über Tod und Auferstehung Jesu völlig unerheblich, da anzunehmen sei, diese Schrift sei »sowieso christlich beeinflußt«. - Die Datierung dieser Schriften ist auch deshalb schwierig, weil manches Mal in Texten jüngerer Entstehung gerade die Anfangs- und Schlußkapitel älteres Gut enthalten, wie man z.B. an der nur äthiopisch erhaltenen äthiopischen Esra - Apokalypse (zugänglich bei Isaac Halévy) zeigen kann. Die Bedeutung für das Neue Testament 1. Die ZTL ermöglicht eine religionsgeschichtliche Einordnung des Neuen Testaments, die das alte Schema »Neues Testament versus Rabbinica« ablöst. In der Tat: Gegen »Strack-Billerbeck« ließ sich Jesus leicht als religiöses Genie profilieren. Man konnte stets das dürre juristische Gestrüpp gegen die herzergreifende schlichte Botschaft noch dazu des liberalen Jesusbildes absetzen. Mit der ZTL (inklusive natürlich der Texte von Qumran) kommt eine Literatur ins Spiel, die dem Neuen Testament zeitlich und sachlich ungleich näher steht und die entsprechend das apologetische Geschäft, wenn man denn meint, nicht darauf verzichten zu können, wesentlich erschwert. 2. Insbesondere die Nähe des Neuen Testaments zum Judentum wird erst jetzt richtig brisant. Das betrifft zum Beispiel die Übereinstimmungen paulinischer Gnadenlehre mit den Aussagen der Hymnen von Qumran. In diesen Texten wird gebetet, was Paulus dann mit Jesus Christus verbindet und zur Theorie entfaltet. Aber daß der Mensch ganz und gar sündig, ja nichts als Staub und Wasser ist, daß Gottes Gnade alles ist und seine Barmherzigkeit der einzige Grund zur Hoffnung, das finden wir eben ganz oft in den Psalmen von Qumran. Und es hilft auch nichts, diese Texte als Produkte einer abseitigen »Sekte« zu disqualifizieren, um dadurch um so kräftiger den Hauptstrom des Judentums als angebliche Leistungsreligion Jesus und Paulus entgegenzustellen. Wenn dieser methodische Zugriff rechtens ist, dann kann das kennzeichnend Christliche klarer bestimmt werden. Das »kennzeichnend Christliche« ist nicht in jedem Fall das absolut Neue oder gar Bessere, aber es ist eben oft das neue Zentrum, von dem her alles Jüdische angesichts des mit Jesus erschienenen Messias und Gottessohnes neu geordnet wird und eine neue Mitte bekommt. Um Nivellierung oder Verrat des Besonderen geht es übrigens dabei überhaupt nicht. Es geht um neue Schwerpunkte und Gewichtungen. 3. Diese veränderten Rahmenbedingungen bedeuten etwas für die religionsgeschichtliche Methode des Vergleichens mit dem Neuen Testament überhaupt. Denn jeder religionsgeschichtliche Vergleich, insbesondere der mit der ZTL, ebnet jeden möglichen Absolutheitsanspruch ein und macht jedweden Anspruch historisch gesehen relativ. Jeder Anspruch muß sich vielmehr im Konkurrenzkampf neu bewähren - ein Sachverhalt, dem sich auch das Christentum unserer Tage je und je ausgesetzt sieht. Es leuchtet so auch ein, warum jede Art konfessioneller Orthodoxie immer ein gespaltenes Verhältnis zum religionsgeschichtlichen Vergleichen gehabt hat. Doch die älteren apologetischen Tricks dürften ausgedient haben. Der eine Trick bestand darin, alle anderen Religionen als Menschenwerk und als Versuch menschlicher Leistung zu disqualifizieren und sie so dem rechten Glauben und der reinen Offenbarung entgegenzusetzen. - (Übrigens gehört der Offenbarungsbegriff zu den großen weißen Flecken auf den Landkarten systematischer Theologie.) - Ein anderer Trick bestand darin, zu sagen, in den anderen Religionen gehe es nur um Mythen und diffuse Hoffnungen, während im Christentum alles historisch wahr, echt und beweisbar sei. Nein, die Besonderheit des Christentums muß nicht angestrengt und auf Kosten anderer Religionen erwiesen werden. Sie ergibt sich für den Historiker zwangsläufig, wenn er irgendeinen Sinn für Gestalt und Individualität in der Geschichte hat. So nimmt hier die exegetische Methodenreflexion etwas vorweg, das im interreligiösen Dialog unserer Tage auch die Gesamtposition des Christentums betrifft. 4. Die ZTL hat die Funktion eines ergänzenden Rahmens (im Sinne einer subsidiären Quelle) für alle diejenigen Elemente, die uns das Neue Testament nicht oder nicht explizit mitteilt. Man kann nicht oft genug betonen, daß uns das Neue Testament nur einen minimalen Ausschnitt aus christlicher Alltagswirklichkeit des 1. Jh. n.Chr. bietet. Zum Beispiel wissen wir einfach nicht, wie Christen das Herrenmahl gefeiert haben, ob und wann sie täglich gebetet haben, wieweit heilige Schriften verbreitet waren, usw. Vieles kann von der ZTL her verständlich gemacht werden oder es ist von hier aus zu rekonstruieren. 5. Insbesondere aufgrund der Texte von Qumran, aber aus der in den letzten Jahrzehnten fast vollständig neu edierten und in Indices erfaßten ZTL kann man klären: Fragen des Vokabulars (z.B. den umstrittenen Ausdruck »Menschen des göttlichen Wohlgefallens« in Lk 2,14), den oft kühnen Schriftgebrauch (z.B. Heranziehen der Aussage »männlich und weiblich schuf er sie« zur Begründung von Eheregelungen), der Ekklesiologie (Gemeinde als Tempel und Bund, der Zwölferkreis) und schließlich Fragen der Messianologie (z.B. der neu aufgetauchte Begriff »Gesalbter des Geistes«). 6. In der ZTL werden für Christologie und in der Pneumatologie wichtige Weichen gestellt. In der Christologie betrifft das die bekannte Schaffung von Mittlerwesen zwischen Gott und Mensch (Weisheit, Logos, Memra, Menschensohn) oder Präexistenz als Würdeattribut. - Was den Heiligen Geist betrifft, so sind die Targume besonders wichtig, da sie den Heiligen Geist an hunderten von Stellen besonders bei Propheten neu einfügen und inhaltlich füllen. 7. Das politische Schicksal Israels eröffnet in der Zeit der ZTL zusammen mit der beginnenden Diskussion über Auferstehung eine neue Dimension der Theodizeefrage. Die Philosophie beharrt freilich für die Theodizeefrage auf »Hiob« und hat 16 ZNT 8 (4. Jg. 2001) Zum Thema diese Wendung zur Zeit der ZTL bis heute noch nicht wahrgenommen. 8. Die Grenzen Israels werden innerhalb der ZTL brüchig, da zum Beispiel in der Henochliteratur »gerecht« und »ungerecht« neue allein entscheidende Kriterien für das Verhältnis zwischen Gott und Mensch werden. Für das Neue Testament ist das eine elementare Voraussetzung für die Begründung der Heidenmission. 9. In einigen Qumrantexten wird eine neue religiöse Dimension erschlossen, die in der Folge wichtig wurde, die Mystik als gegenwärtige Erfahrung von »Personen« der unsichtbaren (himmlischen oder infernalischen) Welt und damit verbunden die Verknüpfung von Meditation und Askese. Anmerkung 1 Dazu maßgeblich: H. Kahlert, Der Held und seine Gemeinde. Untersuchungen zum Verhältnis von Stifterpersönlichkeit und Verehrergemeinschaft in der Theologie des freien Protestantismus (EHS.T 238), Frankfurt u.a. 1984. ZNT 8 (4. Jg. 2001) 17 Klaus Berger Die Bedeutung der zwischentestamentlichen Literatur für die Bibelauslegung Kulturwissenschaft Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen · Fax (07071) 7 52 88 Heinz Hofmann (Hrsg.) Antike Mythen in der europäischen Tradition 1999, 303 Seiten, mit zahlr. Abbildungen, DM 46,-/ 23,-/ SFr 44,- ISBN 3-89308-298-0 Die großen Gestalten des antiken Mythos - wie Odysseus, Ödipus, Orpheus, Achilles, Pandora, die Atriden - bestimmen seit beinahe drei Jahrtausenden unser Denken. Die stets veränderte oder neue Darstellung ihrer Personen und Schicksale bilden eines der Fundamente unserer kulturellen und geistigen Identität. Der Band gibt einen Eindruck von den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten, von der Bedeutung und von der immensen Wirkungsgeschichte der antiken Stoffe bis in unsere Gegenwart. Mit Beiträgen von: Walter Burkert - Karl-Heinz Stanzel - Ernst A. Schmidt - Richard Kannicht - Heinz Hof-mann - Thomas Alexander Szlezák - Lutz Käppel - Maria Moog-Grünewald - Helmut G. Walther - Renate Schlesier 1098 zogen sich die Benediktiner, die aus der Abtei Molesme stammten, nach Cîteaux zurück, um hier ein neues monastisches Leben zu beginnen. Ihr Kloster wurde zur Keimzelle des neuen Ordens der Zisterzienser. Geprägt von der Gestalt des Hl. Bernhard von Clairvaux, trat der Orden einen Siegeszug durch die monastische Welt an. Am Ende des Mittelalters verfügte er allein im deutschen Sprachraum über 141 Niederlassungen, unter ihnen Bebenhausen im Schönbuch. Mit Beiträgen von: Reinhard Schneider - Ulrich Köpf - Christoph Auffahrt - Matthias Untermann - Ulrich Knapp - Werner Rösener - Elke Goez - Barbara Scholkmann - Mathias Köhler - Sönke Lorenz Barbara Scholkmann / Sönke Lorenz (Hrsg.) Von Cîteaux nach Bebenhausen Welt und Wirken der Zisterzienser 2000, VIII, 235 Seiten, mit zahlr. z.T. farb. Abb., geb., DM 49,80 24,90/ SFr 47,- ISBN 3-89308-305-7
