eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 5/10

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2002
510 Dronsch Strecker Vogel

Vom Unterrichten der Bibel im »Ausnahmezustand«

121
2002
Laurence L. Welborn
Zur Verortung des Beitrags von Laurence L.Welborn Wenige Tage nach dem 11. September sah ich in einer Nachrichtensendung der Deutschen Welle ein Live-Interview mit dem bekannten Psychologen H.E. Richter. Er sollte aus seiner Perspektive zu den Ereignissen Stellung nehmen. Richter warnte vor Schwarz-Weiß-Malerei, nach der wir die Guten und die anderen die Bösen seien. Weit kam der renommierte Friedensforscher mit seinen Ausführungen nicht: Mit barschem Ton brach der junge Moderator das Gespräch vor laufender Kamera ab. Ich wurde Zeuge dieses Vorfalls in großer Entfernung von Europa. Mit Entsetzen nahm ich den Unwillen des Moderators zur differenzierten Betrachtung zur Kenntnis. Solch eine Haltung hätte mich allerdings nicht überrascht, wäre sie von einem amerikanischen Interviewer eingenommen worden. Nun liegt uns ein wiederum überraschender Beitrag des amerikanischen Neutestamentlers Laurence L. Welborn vor. Es ist durchaus erstaunlich, hier eine klare Stimme zu vernehmen, die einen ernsthaften Dialog mit Vertretern des Islam einfordert, zur Versöhnung angesichts der durch Menschen hervorgerufenen Katastrophen aufruft und Schuld eingesteht. Die wahren Gegner von Frieden und Gerechtigkeit sieht Welborn in den christlichen Fundamentalisten unter seinen eigenen Landsleuten. Anders als etwa in Deutschland üben jene einen beträchtlichen kirchlichen und gesellschaftlichen Einfluss aus. Gegen diese Front hat sich historisch-kritische Forschung in den USA auch heute noch zur Wehr zu setzen. In den letzten Jahrzehnten kommen verstärkt die wesentlichen Impulse in den Bibelwissenschaften aus den USA. Der dort stark vorangetriebene interdisziplinäre Austausch zeitigt vielversprechende Ergebnisse in beinahe jedem Spezialgebiet neutestamentlicher Forschung. Bislang sicher geglaubte Erkenntnisse müssen neu überdacht werden. Sich hier vollziehende Paradigmenwechsel sind zumeist das Verdienst amerikanischer Forschung. Der 11. September ist an den Exegeten und Exegetinnen in den USA nicht spurlos vorbeigegangen. Welborns Beitrag stellt eine Antwort auf das unfassbare Geschehen dar. Er spricht sicher für viele, wenn auch nicht für die Mehrheit der amerikanischen Fachkollegen und -kolleginnen. Seine ethischen Reflexionen zur hermeneutischen Aufgabe von neutestamentlichen Historikern angesichts des 11. Septembers stellen eine Spielart von Befreiungstheologien US-amerikanischer Provenienzen dar, vgl. Black Theology, Womanist Theology, Feminist Theology, Post-Colonial Criticism, etc. Von Welborns Beitrag werden nicht nur Anregungen ausgehen. Er mag auch hier und da Unverständnis hervorrufen. Allerdings werden Europäer bei aller tiefen Betroffenheit das Ausmaß der bis ins Mark gehenden und anhaltenden existentiellen Erschütterung, der sich US-Bürger angesichts des 11. Septembers ausgeliefert sehen, kaum in Gänze erfassen. Welborn stellt die Frage nach der Ethik exegetischer Arbeit. Diese Frage ist im hiesigen Kontext höchstens ansatzweise bedacht worden. Sie harrt – diesseits und jenseits des Atlantiks – der Aufarbeitung. Werner Kahl
znt5100002
2 ZNT 10 (5. Jg. 2002) Neues Testament aktuell Zur Verortung des Beitrags von Laurence L. Welborn Wenige Tage nach dem 11. September sah ich in einer Nachrichtensendung der Deutschen Welle ein Live- Interview mit dem bekannten Psychologen H.E. Richter. Er sollte aus seiner Perspektive zu den Ereignissen Stellung nehmen. Richter warnte vor Schwarz-Weiß-Malerei, nach der wir die Guten und die anderen die Bösen seien. Weit kam der renommierte Friedensforscher mit seinen Ausführungen nicht: Mit barschem Ton brach der junge Moderator das Gespräch vor laufender Kamera ab. Ich wurde Zeuge dieses Vorfalls in großer Entfernung von Europa. Mit Entsetzen nahm ich den Unwillen des Moderators zur differenzierten Betrachtung zur Kenntnis. Solch eine Haltung hätte mich allerdings nicht überrascht, wäre sie von einem amerikanischen Interviewer eingenommen worden. Nun liegt uns ein wiederum überraschender Beitrag des amerikanischen Neutestamentlers Laurence L. Welborn vor. Es ist durchaus erstaunlich, hier eine klare Stimme zu vernehmen, die einen ernsthaften Dialog mit Vertretern des Islam einfordert, zur Versöhnung angesichts der durch Menschen hervorgerufenen Katastrophen aufruft und Schuld eingesteht. Die wahren Gegner von Frieden und Gerechtigkeit sieht Welborn in den christlichen Fundamentalisten unter seinen eigenen Landsleuten. Anders als etwa in Deutschland üben jene einen beträchtlichen kirchlichen und gesellschaftlichen Einfluss aus. Gegen diese Front hat sich historisch-kritische Forschung in den USA auch heute noch zur Wehr zu setzen. In den letzten Jahrzehnten kommen verstärkt die wesentlichen Impulse in den Bibelwissenschaften aus den USA. Der dort stark vorangetriebene interdisziplinäre Austausch zeitigt vielversprechende Ergebnisse in beinahe jedem Spezialgebiet neutestamentlicher Forschung. Bislang sicher geglaubte Erkenntnisse müssen neu überdacht werden. Sich hier vollziehende Paradigmenwechsel sind zumeist das Verdienst amerikanischer Forschung. Der 11. September ist an den Exegeten und Exegetinnen in den USA nicht spurlos vorbeigegangen. Welborns Beitrag stellt eine Antwort auf das unfassbare Geschehen dar. Er spricht sicher für viele, wenn auch nicht für die Mehrheit der amerikanischen Fachkollegen und -kolleginnen. Seine ethischen Reflexionen zur hermeneutischen Aufgabe von neutestamentlichen Historikern angesichts des 11. Septembers stellen eine Spielart von Befreiungstheologien US-amerikanischer Provenienzen dar, vgl. Black Theology, Womanist Theology, Feminist Theology, Post-Colonial Criticism, etc. Von Welborns Beitrag werden nicht nur Anregungen ausgehen. Er mag auch hier und da Unverständnis hervorrufen. Allerdings werden Europäer bei aller tiefen Betroffenheit das Ausmaß der bis ins Mark gehenden und anhaltenden existentiellen Erschütterung, der sich US-Bürger angesichts des 11. Septembers ausgeliefert sehen, kaum in Gänze erfassen. Welborn stellt die Frage nach der Ethik exegetischer Arbeit. Diese Frage ist im hiesigen Kontext höchstens ansatzweise bedacht worden. Sie harrt - diesseits und jenseits des Atlantiks - der Aufarbeitung. Werner Kahl 1. Am Morgen des 11. Septembers 2001 bereitete ich mich darauf vor, die Semestereröffnungsrede an dem Seminar, an dem ich im mittleren Westen der USA unterrichte, zu halten. Um 8.30 Uhr suchte ich die Bibliothek auf, um die Worte eines Zitats, das ich in meiner Rede unterbringen wollte, zu verifizieren. Als ich an den Regalen entlang ging, fiel mein Blick auf einen Band, dessen Titel mir förmlich ins Gesicht sprang: »Warum die Prophezeiungen der Johannesoffenbarung wahr sind«. Zu dem Zeitpunkt, als ich in mein Büro in der Kapelle zurückkehrte, war der erste der Zwillingstürme des World Trade Centers bereits getroffen. Jemand hatte einen Fernseher im Fakultätsbüro aufgestellt, und eine Gruppe Kolleginnen und Kollegen schaute schweigsam zu, wie sich das unheimliche Drama entfaltete. Als ich mich um 11.00 Uhr erhob, um die Eröffnungsrede zu halten, lagen die beiden riesigen Laurence L. Welborn Vom Unterrichten der Bibel im »Ausnahmezustand« Reflexionen über die hermeneutische Aufgabe eines neutestamentlichen Historikers nach dem 11. September 2001 1 Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der »Ausnahmezustand«, in dem wir leben, die Regel ist. Walter Benjamin Geschichtsphilosophische Thesen 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 2 ZNT 10 (5. Jg. 2002) 3 Laurence L. Welborn Vom Unterrichten der Bibel im »Ausnahmezustand« Türme - stolze Symbole des amerikanischen Kapitalismus - in Trümmern. In jenem Moment, als ich die Versammlung versteinerter Gesichter überblickte - eine Gemeinde, die auf Grund der Krise stark angewachsen war - , fühlte ich mich mehr als jemals zuvor in meinem Leben unfähig, 2 mit einem prophetischen Wort - sei es mit einem Gerichts- oder Trostwort - aufzuwarten, um aus biblischer Perspektive in die gegenwärtige Situation hineinzusprechen. So fand ich mich als Exeget, der in der Tradition von Wredes Definition von neutestamentlicher Theologie als historische Wissenschaft, die sich selbst genug ist, 3 steht, unfähig zu sprechen. Wie hätte ich, dessen Kompetenz in der Erforschung des Lebens der ersten Christen und Christinnen in der griechischrömischen Welt liegt, mir herausnehmen können, einen Riesensprung in die Gegenwart zu wagen und als Prophet zu reden? Die von mir vorbereitete Rede basierte übrigens auf der paulinischen Abhandlung über das Evangelium als Torheit (1Kor 1-4) und nicht, wie ich mir das jetzt eher gewünscht hätte, auf der Klage in der Johannesoffenbarung, dass das große Babylon gefallen ist (Offb 18,2): ein Text, der dieser Situation angemessener wäre. So aber begnügte ich mich mit einer Einleitung zu meinen vorbereiteten Notizen. Hierin paraphrasierte ich das Zitat von Walter Benjamin, 4 das diesem Beitrag vorangestellt ist, wobei ich der Hoffnung Ausdruck verlieh, dass uns die gegenwärtige Krise aufweckt, auf dass wir der Realität gewahr werden, dass der »Ausnahmezustand«, in dem wir uns zur Zeit befinden, für Millionen unterdrückte Menschen in der ganzen Welt eben nicht die Ausnahme, sondern den Regelfall darstellt. In den Monaten, die seit dem 11. September vergangen sind, ist das Gefühl einer unmittelbaren Gefahr für die meisten Amerikaner und Amerikanerinnen gewichen, und zwar trotz des Interesses der Bush-Regierung an einer erhöhten Alarmbereitschaft als Mittel, politische Einheit und Zusammenarbeit mit damit einhergehenden Veränderungen in Gesetzesanwendungen und Steuergesetzgebung zu fördern. Aber die Überzeugung, dass das, was wir am 11. September erlebten, eine »Apokalypse« 5 im antiken Wortsinn war, hat überdauert. Wie auch andere 6 habe ich mir weiterhin darüber Gedanken gemacht, was eigentlich »offenbart« worden war. Der Wunsch danach, auf biblischer Grundlage »prophetisch« 7 zu reden, hat ebenfalls angehalten. Tatsächlich ist mir bewusst geworden, dass ich auf der Suche nach einer Hermeneutik bin, die den realen Ausnahmezustand, in dem die Unterdrückten leben, ernst nimmt, um in den Kampf für Gerechtigkeit und Frieden einzutreten. 8 Im Folgenden werde ich mich diesen zwei Fragen zuwenden und zwar aus der Perspektive eines neutestamentlichen Historikers: »Was wurde durch den 11. September offenbart? «, und »Wie kann ich angesichts dieser Krise authentisch reden? « 2. Zunächst offenbarte die Krise des 11. Septembers, dass der Exeget oder die Exegetin der frühchristlichen Literatur eine Gemeinschaft anzusprechen hat, die größer als die Kirche ist, d.h. die Laurence L. Welborn Laurence L. Welborn, Jahrgang 1954, wuchs in Mississippi (USA) zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung auf, Studium der Theologie an der Yale Divinity School, in Tübingen und der Vanderbilt University. Studium der Patristik an der Univerity of Chicago. Laurence L. Welborn ist Associate Professor im Fach Neues Testament am United Theological Seminary in Dayton/ Ohio. Seine Forschungsschwerpunkte: Das Römische Reich als Kontext für die Entstehung des Christentums. Derzeitiges Buch-Projekt: Eine Monographie mit dem Titel »The Fool of Christ. The Metaphor of Foolishness in 1 Corinthians 1-4«. 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 3 4 ZNT 10 (5. Jg. 2002) Neues Testament aktuell Gesamtgesellschaft. Die Notwendigkeit solch einer interpretationsbezogenen Ausweitung ist selbstverständlich den kritischen Denkern seit mehr als einem Jahrhundert klar gewesen. 9 Aber die exegetische Disziplin ist so tief in der kirchlichen Tradition verwurzelt, dass allgemein davon ausgegangen wird, dass der historisch-kritischen Forschung am Neuen Testament ein Existenzrecht vornehmlich im Zusammenhang von Glaube und Kirchenleben zukomme. 10 Wie dem auch sei, die Tat vom 11. September macht deutlich, dass die Erhaltung des Weltfriedens von der Fähigkeit unterschiedlicher Religionen und Kulturen abhängt, in einen bedeutsamen Dialog einzutreten und ihn fortzuführen. Heute würde niemand mehr Hans Küngs tiefsichtiges Diktum von 1987 bestreiten: »kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden«. 11 Der Horizont der Interpretation der frühchristlichen Literatur ist heutzutage global und »ökumenisch« im ursprünglichen Wortsinn. 12 Unmittelbar nach dem 11. September traten die Presbyter der Kirche in Dayton, wo ich in der Erwachsenenbildung tätig war, mit der dringlichen Bitte an mich heran, einen Islamwissenschaftler zu einem Kurs einzuladen. Indem sie ihre Kirche für einen Repräsentanten aus einer anderen Religion öffneten, reagierten die Presbyter auf einen wesentlichen theologischen Impuls, den aufzugreifen Pastoren und Akademikern gut anstünde. Der Dialog, der sich mit Professor Yucel Demirer von der Ohio State University entwickelte, gehört zu den dynamischsten und erhellendsten meiner akademischen Karriere. Ich entdeckte, dass der Historiker des Frühchristentums einer wichtigen Aufgabe nachzukommen hat, nämlich Repräsentanten anderer religiöser Traditionen elementare Konzepte wie »Glaube« und »Rechtfertigung« zu erklären. 13 Denn diese Konzepte fahren fort, westliche Identität und Kultur in so verdeckter wie profunder Hinsicht zu definieren, egal wie weit weg sie sich von ihren Ursprüngen befinden. 14 Aber ich lernte auch, dass der Historiker eine noch wichtigere Verantwortung wahrzunehmen hat, indem er Schwächen und Begrenzungen neutestamentlicher Theologien für diejenigen aufdeckt, die die Erben und Anhänger der christlichen Tradition sind. 15 Denn auf Grund solcher nicht eingestandenen Vorurteile und unklaren Voraussetzungen entstehen Missverständnisse, Verurteilungen und letztlich Vergeltung. Mich überraschte z.B. wiederholt die Schwierigkeit, die wir Christen haben, die Intoleranz und Gewalttätigkeit im Neuen Testament zu erkennen (z.B. Mt 22,1-14; Lk 19,27) wie auch die Problematik der Aufwertung des Martyriums in der Frühen Kirche (z.B. 2Tim, Irenäus). Der Dialog mit Prof. Demirer erhellte wesentliche Elemente der Verschiedenheit zwischen Islam und Christentum, aber auch Gemeinsamkeiten der beiden Glaubenssysteme wurden deutlich, wie z.B. der Auftrag, Gerechtigkeit für die Armen zu schaffen. Ein Gespräch, welches in der gemeinsamen Trauer gründete, entwickelte sich zu einer Einübung von ökumenischem Verständnis. Neutestamentler und Neutestamentlerinnen könnten ein neues Ziel ihrer Beschäftigung entdecken, das darin liegen könnte mitzuhelfen, solche Dialoge mit Repräsentanten des Islam, des Judentums, des Hinduismus und Buddhismus einzuberufen und zu ermöglichen. Religionswissenschaftler und Religionswissenschaftlerinnen, die im ökumenischen Dialog in Bezug auf die gemeinsamen Wurzeln unserer verschiedenen Kulturen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempeln involviert sind, könnten zu »bedeutsamen Teilnehmern und Teilnehmerinnen in einem weltweiten Diskurs zur Erlangung von Gerechtigkeit und Wohlbefinden für alle« werden. 16 Als potentielle Teilnehmer am öffentlichen ökumenischen Diskurs müssen neutestamentliche Historiker die evangelikale Zielsetzung und apologetische Stellung aufgeben, die die Arbeitsweise in dieser Disziplin das Jahrhundert über motiviert und charakterisiert hat. 17 Die Geschichte der neutestamentlichen Forschung zeigt, dass eine kerygmatische Orientierung in Bezug auf die historische Arbeit kontinuierlich Karikaturen anderer Religionen produziert, selbst im Falle eines solch angesehenen Interpreten wie Rudolf Bultmann. 18 Nicht selten wurde das Judentum der neutestamentlichen Zeit als nicht-spirituelle und legalistische Religion dargestellt, gegenüber der die Universalität und Freiheitlichkeit des Evangeliums umso brillanter aufscheinen möge. 19 Nach dem Holocaust und im Gefolge des 11. Septembers wäre es unverantwortlich, sollten neutestamentliche Forscher ein evangelikales Ziel weiterhin verfolgen, denn es schafft gegenüber Juden und Muslimen eine Haltung der Respektlosigkeit für ihre 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 4 ZNT 10 (5. Jg. 2002) 5 Laurence L. Welborn Vom Unterrichten der Bibel im »Ausnahmezustand« Religionen, was Anlass zu Verbitterung gibt. Auf einer tieferen Ebene müssen Neutestamentler dem naiven Glauben an die Superiorität und Einzigartigkeit der christlichen Botschaft entwachsen. 20 Dieser Glaube hat sich durch die Forschung der religionsgeschichtlichen Schule im letzten Jahrhundert und durch die Arbeit von Gelehrten des Judentums in unserer eigenen Generation als Illusion herausgestellt. 21 Die meisten der vermeintlichen Neuerungen, die für das Frühchristentum veranschlagt werden, wie z.B. radikale Eschatologie, Rettung auf Grund von Gnade oder die Gleichheit von Personen, sind ebenfalls im Judentum jener Zeit und selbst im Heidentum griechisch-römischer Provenienz zu finden. 22 Wie dem auch sei, Einzigartigkeit ist kein Garant für Superiorität oder Wahrheit. 23 Vergleiche zwischen dem Neuen Testament, der Mischnah, dem Koran und den Upanischaden können und sollten angestellt werden; aber sie sollten in einem Geist gegenseitigen Respekts erfolgen, 24 d.h., dass es jeder Tradition zugestanden werden muss, Wahrheit aus ihrer eigenen Perspektive zu definieren, 25 bevor wir uns daran machen, die Beiträge verschiedener Gruppen von Gläubigen für das kollektive soziale Bewusstsein auszuwerten. Exegeten, die im Schatten der tragischen Ereignisse vom 11. September weiterhin darauf insistieren, dass das Neue Testament und selbst die Hebräischen Schriften nach einer christlichen »Glaubensregel« 26 zu interpretieren seien, verzerren nicht nur den Sachverhalt; sie sind imperialistisch. Kirchliche Hermeneutik nährt den universalistischen Impuls auf Grund dessen das Christentum zum »mächtigsten hegemonialen kulturellen System in der Weltgeschichte« wurde. 27 Solche Exegeten riskieren einen hermeneutischen »Rückschlag«, indem sie ein Klima schaffen, in welchem extremistische Lektüren möglich werden. Für diejenigen, die Augen haben zu sehen, ist der stolze Turm kirchlicher Hermeneutik zusammengebrochen. Zum Zweiten hat die Krise des 11. Septembers offenbart, dass die Exegeten, die die Gesellschaft als ganze ansprechen, nicht durch die normativen Dokumente des Christentums, wie sie im Kanon vorliegen, beschränkt werden dürfen. Die Bedeutungslosigkeit der dogmatischen Kategorie des Kanons für die Erarbeitung einer Geschichte des Frühchristentums war schon von Wrede und den Mitgliedern der religionsgeschichtlichen Schule zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannt worden. 28 Aber in der Praxis haben die meisten Gelehrten seit Wrede die hermeneutische Aufgabe auf die kanonischen Schriften des Neuen Testaments beschränkt. 29 Tatsächlich können wir ein Wiedererstarken kanonischer Interpretation in dieser Generation wahrnehmen, 30 und zwar als konservative Aneignung kirchlicher Entscheidungen des 4. Jahrhunderts. 31 Allerdings ist der Kanon nicht nur ein historisches Konstrukt, welches der Forscher sich entscheiden mag zu erhalten. Die Schaffung des Kanons ist unlöslich verbunden mit dem Glauben an Inspiration. 32 Der Kanon ist die literarische Verkörperung des theologischen Anspruches, dass diese Offenbarung normativ sei - demgegenüber die Schriften anderer Religionen, wie z.B. Judentum und Islam, minderwertig seien. 33 Im Lichte der Ereignisse vom 11. September muss sich der Historiker der frühchristlichen Literatur fragen, ob die Erhaltung des Kanons ein moralisch zu rechtfertigender Akt ist. In den vergangenen 100 Jahren ist Neutestamentlern und Neutestamentlerinnen die ungeheure Vielfalt der frühchristlichen Literatur bewusst geworden, z.B. durch die Entdeckungen in Oxyrhynchus, Nag Hammadi, um nur zwei prominente Orte zu nennen. Wie wäre es, wenn sich herausstellen sollte, dass es sich bei den Texten, die für den Dialog zwischen Christen und Muslimen am produktivsten sind, nicht um die Schriften im Herzen des christlichen Kanons, d.h. das Evangelium des Johannes und die paulinischen Briefe handelt, sondern die Schriften von Judenchristen und christlichen Gnostikern, die tatsächlich die Mehrheit in der Kirche der ersten zwei Jahrhunderte ausmachten? In dem oben beschriebenen Dialog mit Prof. Demirer wurde deutlich, dass die jüdisch-christliche Homilie - besser bekannt unter dem Namen 2. Clemensbrief - sowie der Hirte des Hermas auf Grund ihrer Fokussierung von Fasten und Almosengeben bedeutsame Kontaktstellen zwischen den religiösen Traditionen darstellen. 34 In ähnlicher Weise war es kein Jesuswort der synoptischen Tradition, das in dem Dialog aufgegriffen wurde, sondern das dunkle, wunderschöne Gleichnis von der Dattelpalme im geheimen Jakobusbuch. 35 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 5 6 ZNT 10 (5. Jg. 2002) Neues Testament aktuell Auf der anderen Seite besteht eine wichtige Rolle des Historikers der frühchristlichen Literatur darin, zentrale Figuren - wie etwa Paulus - von kanonischen Interpretationen zu befreien. In einem Kanon, der die Pastoralbriefe beinhaltet und in einer Rezeptionsgeschichte, die durch die Person des Bischofs Irenäus beherrscht worden ist, wurden die paulinischen Texte dazu benutzt, konservative kulturelle und politische Ziele zu verfolgen: Sie wurden benutzt, um Frauen zu unterdrücken und Sklaverei zu rechtfertigen, um das Judentum zu verdammen und »Häresien« zum Verstummen zu bringen. In solchen Fällen muss es der Historiker als seine Aufgabe betrachten, einen Beitrag zur Auflösung des Kanons zu leisten. 3. Wie kann ein Historiker der frühchristlichen Literatur authentisch in die gegenwärtige Krise hineinsprechen, da wir am hermeneutischen »ground-zero« stehen, inmitten der Ruinen kirchlicher und kanonischer Prinzipien? Ironischerweise ähnelt unsere Situation jener, in der das Christentum entstand: In einer Welt nach dem Holocaust und nach dem 11. September ist das Christentum wieder nur ein System von Überzeugungen unter anderen. 36 Ohne die Kirche oder den Kanon als regulative Prinzipien muss unsere Zugangsweise zu der Situation phänomenologisch und müssen unsere Schlussfolgerungen induktiv sein. Wo hören wir einen authentischen Zeugen? Und welche Kriterien definieren seine Authentizität? In jeder der Krisen des turbulenten Jahrhunderts, durch das wir gerade hindurch gegangen sind, gibt es Beispiele authentischer Interpretationswege, die eine kritische Konfrontation zwischen den Schriften des Frühchristentums und den Problemen der modernen Welt provozieren. Traurigerweise gibt es auch jeden Tag Beispiele eines manipulativen Gebrauchs der Bibel, um moderne Leser angesichts ihrer eigenen Aktualitäten erblinden zu lassen und um eine Übereinstimmung der Leser mit der politischen und ökonomischen Machtstruktur zu induzieren. In Bezug auf Ersteres möchte ich zwei Beispiele anführen. In der Zeit des Hitler-Regimes in Deutschland sprach ein Akademiker und Pastor mit Namen Walter Lüthi, einer der Zeugen der Bekennenden Kirche, ein warnendes Wort an die Christen in Deutschland, die nicht in der Lage zu sein schienen, die Zeichen der Zeit zu lesen. Lüthi erklärte, dass das »Tier« der Apokalypse in Hitler neu Gestalt angenommen hätte. Er bestand darauf, dass es die dringendste Pflicht der Kirche sei, das »Tier« als das zu erkennen, was es ist, und Widerstand zu leisten. Ähnlich schrieb Allen Boesak zur Zeit des Apartheit-Regimes im weißen, durch die Buren regierten Südafrika, dass eine Regierung, welche ihre Kinder dazu zwingt, frühzeitig zu sterben, weil sie Zeitungsfetzen, die mit Essensresten vermischt waren, von den Müllhalden in den Wiederbesiedlungscamps essen mussten, das »Tier« der Apokalypse sei. 37 Ungefähr zur selben Zeit konfrontierte der amerikanische Fernseh-Evangelist Pat Robertson die Mitglieder seines 700-Clubs mit einem Spezialbericht, nach dem es sich bei dem »Tier« in Offb 13 um die Sowjetunion handelt, welche dabei sei, sich auf einen Angriff Israels vorzubereiten, »um einen unbegrenzten Zugang zu den Ölvorkommen des Nahen Ostens sowie eine Landbrücke zu dem mineralischen Reichtum Afrikas zu erhalten«. Die Ökonomie des westlichen Europas würde der Vernichtung anheim fallen und die Welt den Aufstieg eines »Gegenmessias« sehen, d.h. eine satanische Figur, die »schlimmer sei als Adolf Hitler«, und welche 1980 »ungefähr 27 Jahre alt war« und für eine grausame Aufgabe vorbereitet würde. 38 Welche Kriterien sind anzulegen, mit Hilfe derer wir die Legitimität dieser verschiedenen Interpretationen beurteilen können? Wenn wir den Unterschied in Bezug auf soziale Stellung und politische Positionierung der Interpretierenden in den Blick nehmen, die wir als Beispiele genommen haben, ist es offenkundig, dass das erste Kriterium die Frage der Beziehung zur Gemeinschaft der Interpretierenden mit den Unterdrückten betrifft. Lüthi und Boesak haben sich am Kampf gegen Faschismus beteiligt und ihr Leben im Widerstand gegen unterdrückerische Systeme riskiert, während Robertson und Falwell die Fürsprecher einer Ideologie des rechten Flügels in der amerikanischen Politik sind. In Bezug auf dieses hermeneutische Kriterium hat Boesak in seinem Kommentar zur Johannes-Apokalypse aus süd- 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 6 ZNT 10 (5. Jg. 2002) 7 Laurence L. Welborn Vom Unterrichten der Bibel im »Ausnahmezustand« Analogie zwischen der Vorstellungskraft eines Schizophrenen und der Vision der Johannes- Offenbarung« und kommt zu dem Ergebnis, dass das Werk als Ganzes Ausdruck eines »Versagens von Liebe« sei. 41 Wie ich an den Karrieren meiner eigenen Lehrer wahrgenommen habe, konnte ich allerdings beobachten, dass sie sich den Gemeinden der Unterdrückten annäherten, sobald sie das Problem der Ethik der Bibelinterpretation ernsthaft angingen. 42 In Nordamerika würden viele Neutestamentler den Gemeinschaftskontakt, den sie nötig hätten, unter Afro-Amerikanern finden, 43 und zwar auf Grund der Standhaftigkeit, Weisheit, des Humors und des Witzes, mit Hilfe derer Afro-Amerikaner seit Jahrhunderten gegen Rassismus und Ausbeutung gekämpft haben 44 sowie wegen des einzigartigen Beitrages, den die Schwarze Kirche in Bezug auf die amerikanische Religionsgeschichte geleistet hat. 45 Im Gefolge des 11. September mögen sich andere Akademiker dabei wiederfinden »Jesus in die Moschee zu folgen«, 46 um über den Islam zu lernen und Frieden zu schaffen. Andere mögen den Kampf für Menschenrechte durch Zusammenarbeit mit Amnesty International aufnehmen. Wieder andere mögen sich direkt in der Politik engagieren. Dieter Georgi hat Neutestamentler an das politische Engagement der Mitglieder der religionsgeschichtlichen Schule erinnert, die sich der Veröffentlichung von Pionierarbeiten für die allgemeine Öffentlichkeit widmeten 47 und die politische Ämter inne hatten. 48 Die tragischen Ereignisse des 11. Septembers fordern Neutestamentler dazu heraus, den Mut ihrer Vorgänger nachzuahmen und sich im politischen Kampf zu engagieren, nicht nur als einzelne Individuen sondern als Mitglieder der Berufsgruppe von Historikern und in Konsequenz ihrer Forschung. Das zweite Kriterium authentischer Interpretation ist in Bezug auf unser anhaltendes Bedürfnis für geschichtliches Wissen zu formulieren. Gerade angesichts der Tatsache, dass die Bibel im öffentlichen Diskurs der letzten Jahre in den USA dazu missbraucht wurde, die Todesstrafe zu stützen, Angriffe auf Abtreibungskliniken sowie die Praxis der Rassentrennung (an der Bob-Jones- Universität) zu rechtfertigen, brauchen wir noch immer die historische Kritik. Im Gefolge des 11. Septembers hat der amerikanische Fernseh-Evanafrikanischer Perspektive schon längst benannt, was von wesentlicher Bedeutung ist: »Der Schlüssel zum Verständnis der Offenbarung des Johannes - und zugleich die Antwort auf die Frage, warum so wenige Akademiker sie verstanden haben - liegt in Offenbarung 1,9: ›Ich, Johannes, euer Bruder, der zusammen mit euch in Jesus an der Verfolgung und dem Königreich und dem geduldigen Ausharren Anteil hat ...‹ Das ist der Schlüssel. Diejenigen, die dieses Leiden auf Grund von Unterdrückung nicht kennen, die nicht zusammen mit dem Volk Gottes um des Evangeliums willen kämpfen und die am eigenen Leib die Bedeutung von Unterdrückung und die Freiheit und Freude des Kampfes dagegen fühlen, werden große Schwierigkeiten haben, den Brief von Patmos zu verstehen. Sollten sie überhaupt an dieses Buch denken, werden sie sich sicherlich in eine Wüste von Mysterien, Zahlen und Symbolen flüchten. Der Kampf und das Leiden und das Hoffen zusammen mit Gottes unterdrücktem Volk eröffnet neue Perspektiven für die Verkündigung des Wortes Gottes anhand der Offenbarung des Johannes.« 39 Die Schlussfolgerung, dass die Gemeinschaft mit den Unterdrückten eine Bedingung von authentischer Interpretation der meisten frühchristlichen Schriften darstellt, wird wohl kaum eine willkommene Entdeckung für die meisten von uns Neutestamentlern darstellen, die wir komfortable Positionen in kirchlichen Hochschulen, Colleges und Universitäten einnehmen. Es ist vorstellbar, dass ein neutestamentlicher Theologe durch intensive Forschung und durch Einfühlungsvermögen vom Schreibtisch seines Büros aus zu einem Verständnis der literarischen Produkte der verfolgten Mitglieder der unteren Klasse im Römischen Reich gelangen könnte, denn genau darum handelt es sich bei den meisten frühchristlichen Schriften mit wenigen Ausnahmen, wie z.B. das lukanische Doppelwerk und der 1. Clemens-Brief. Aber die Beispiele für solche Bemühungen sind nicht gerade ermutigend. Um bei dem Fall der Offenbarung des Johannes zu bleiben: Robert Grant wirft Johannes von Patmos »Übertreibung, Träumerei und Hass« vor und urteilt, dass er zu Recht als Häretiker abgestempelt worden wäre, hätte die Leitung der Kirche im 1. Jahrhundert über eine bessere Organisation verfügt. 40 Adela Collins behauptet eine »gewisse 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 7 8 ZNT 10 (5. Jg. 2002) Neues Testament aktuell gelist und Pastor Jerry Falwell erklärt, dass es sich bei dem Angriff auf das World-Trade-Center und das Pentagon um Gottes Gericht auf Grund der in Amerika verbreiteten Toleranz der Abtreibungspraxis handelte. 49 Dem Neutestamentler kommt die Verantwortung zu, den historischen Kontext zu klären - und zwar sowohl des antiken Textes als auch des modernen Interpreten -, so dass die Legitimität der Applikation der Schrift auf gegenwärtige politische Situationen beurteilt werden kann. Krister Stendahl hat für die neutestamentlichen Studenten meiner Generation das Prinzip, das die Interpretation leitet, formuliert: »Der erste und unaufgebbare Schritt jeglichen hermeneutischen Unternehmens besteht in einer klaren Unterscheidung zwischen dem, was ein Text in seiner ursprünglichen Intention bedeutete, und welche Bedeutungen er zu späteren Zeitpunkten in der Geschichte oder Zukunft annahm und annehmen könnte.« 50 Die Vorrangstellung, die nach Stendahl der Bedeutung zukommt, die die Schrift für ihre ersten Leser und Leserinnen hatte, ist nicht nur zeitlich begründet; sie ist wesentlich: Nur jene Interpretation ist legitim, die durch ein Verständnis dessen, was der Text für seine ersten Leser und Leserinnen bedeutete, geprägt ist; auf dieser Basis mag man verantwortungsvoll Bedeutungen für die Kirche und für die Gesellschaft der Gegenwart extrapolieren. Eine authentische Interpretation der frühchristlichen Literatur gründet in der Erkenntnis historischer Differenz. Was der Historiker der Welt bietet, ist bewusst »allegorisch«. Der Historiker weiß, dass ein Zeichen der Schrift und die gegenwärtige Bedeutung niemals in eins fallen, weil die Abfolge von Ereignissen ersteres gänzlich vorgänglich gemacht hat. Der fundamentalistische Interpret der Schrift versucht im Gegenteil die historische Differenz einzuebnen. Die Differenz zwischen der Hermeneutik des Historikers, der die Gemeinschaft der Unterdrückten begleitet, und der des Fundamentalisten, der sich auf die Seite der Herrschenden stellt, ist letztlich die Differenz zwischen einer Konzeption von Existenz aus der Perspektive ihrer authentischen Zeitlichkeit und einer defensiven Strategie, welche vor dieser Selbsterkenntnis in einen Wald von Symbolen flieht. 51 Es ist das Bewusstsein der historischen Differenz, welche die klarsichtige Allegorie des Historikers von den verschwommenen Fantasien des Fundamentalisten unterscheidet. Ich beziehe mich auf zeitgenössische Beispiele. Als Pat Robertson den Mitgliedern des 700-Clubs in einem 1980 vorgelegten Spezialreport erklärte, dass die Sowjetunion das Tier aus der Offb 13 sei, meinte er nicht, dass Gorbatschow an eine biblische Figur erinnerte; nein, es ging ihm vielmehr darum, die wesenhafte Identität des Schriftzeichens mit seiner kontemporären Bedeutung zu behaupten. Im Gegenteil dazu weiß das afroamerikanische Mädchen, das ein Bild von Martin Luther King auf ihrem Hausaufgabenbuch anbringt und drum herum die Worte »Schwarzer Moses« schreibt, dass Martin King nicht identisch mit Moses ist, aber dass er an diesen biblischen Helden denken lässt. 52 Pat Robertson entleert die Vergangenheit ihrer Bedeutung und verschleiert die gegenwärtige politische Situation. Das schwarze Kind begreift die Zusammenhänge seiner eigenen Zeit mit der vorangegangenen, und es gibt dieser Konfiguration einen Anstoß durch eine allegorische Interpretation. Es handelt sich dabei genau um das, was Walter Benjamin als revolutionären Interpretationsakt beschreibt, der das Kontinuum der Unterdrückung aufsprengt. 53 Im Hinblick auf die Sprengkraft des Konfliktes zwischen Christentum und Islam ist es von größter Bedeutung, dass der neutestamentliche Historiker versucht, die ursprünglichen Intentionen von Paulus - »des Begründers der christlichen Zivilisation« - 54 zu erhellen und zwar sowohl in Bezug auf Politik als auch auf Hermeneutik. Daniel Boyarin hat versucht zu zeigen, dass es sich bei den paulinischen Schriften um eine der wichtigsten Textquellen für einen universalistischen Impuls im Christentum handelt. 55 Aber Boyarin erkennt, dass es sich erst in der Rezeptionsgeschichte von Paulus ergab, dass seine Texte konservativen kulturellen und politischen Interessen wie sie »im Kampf gegen die Befreiung von Sklaven und Frauen als auch als Hauptstütze eines theologischen Antijudaismus hervorgetreten sind«, dienstbar gemacht wurden. 56 Wie die Paulus-Forschung der letzten Jahre gezeigt hat, bestand das hauptsächliche Ziel der paulinischen Mission darin, die Integration von Heiden in das Volk Gottes zu ermöglichen. 57 Der 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 8 ZNT 10 (5. Jg. 2002) 9 Laurence L. Welborn Vom Unterrichten der Bibel im »Ausnahmezustand« neutestamentliche Historiker muss darauf bestehen, dass der paulinische Versuch, Gemeinden der Versöhnung zu schaffen, bei denen es »Juden und Griechen, Sklaven und Freie« (1Kor 12,13) gab, durch ein leidenschaftliches Engagement für menschliche Gleichheit und Befreiung motiviert war und nicht durch den Wunsch der Herstellung einer kulturellen und religiösen Uniformität. Wie der letzte Brief von Paulus zeigt, war er sich dessen bewusst, dass man sich dem Ideal einer versöhnten Menschheit nur in einer Gemeinschaft, die Toleranz praktiziert, annähern kann (Röm 14,1, 15,13). 58 Die allegorische Interpretation der israelitischen Schrift durch Paulus war ebenfalls motiviert durch den Wunsch, die Heiden zu Miterben mit den Juden am göttlichen Segen zu machen. Paulus lebte in der Hoffnung, dass letztlich die ganze Schöpfung an der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes teilhaben würde (Röm 8,21). Am Ende offenbart Paulus das Geheimnis von Israels Platz in der Heilsgeschichte: »Ganz Israel wird errettet werden« (Röm 11,26). Dieses Geheimnis umschließt die gesamte Welt in der klimaktischen Affirmation: »Gott hat alle ins Gefängnis des Ungehorsams eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen. O welch eine Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Entscheidungen und wie unerforschlich seine Wege! « (Röm 11,32-33). Muss sich der Neutestamentler angesichts der gegenwärtigen Krise nicht fragen, ob das Geheimnis von Gottes Gnade nicht auch die nichtchristliche und nichtjüdische Welt umfasst? Muss nicht der Neutestamentler eine prophetische und allegorische Interpretation der paulinischen Affirmation wagen und Paulus' Segen auf ein Volk beziehen, dessen Existenz Paulus noch nicht vorhergesehen hat, und erklären: »Der ganze Islam wird gerettet werden! «? Insofern es der Neutestamentler vermag, muss er ebenfalls versuchen, die Aktualität seines eigenen historischen Kontextes abzuklären. Dieter Georgi hat zutreffend die Blindheit Bultmanns in Bezug auf die kollektiven Verbrechen des 1. Weltkrieges beschrieben sowie seinen nachfolgenden mutigen Protest gegen die Nazis. 59 Der Fall von Bultmann illustriert, dass die Herausforderung, die an den historischen Kritiker gestellt ist, nicht so sehr methodische Begrenzungen betrifft, sondern die Relevanz der Fragen, die aufkommen oder eben nicht aufkommen. Nur wenn sich Fragen aus der Aktualität der Situation ergeben, wird der Historiker zu neuen Einsichten kommen. Und wie sollen wir nun unsere historische Aktualität beschreiben? Selbstverständlich ist die Diagnose von Bischof John Shelby Spong, dass wir nämlich von einer weltweiten Hysterie ergriffen sind, zutreffend. 60 Ob diese Hysterie aus dem Tod des Theismus resultiert, wie Spong meint, oder aus dem Triumph des Kapitalismus, muss allerdings diskutiert und analysiert werden. Wir könnten diese beängstigende neue Realität wohl besser als Ausdruck von weltweiter Gesetzlosigkeit beschreiben. Der terroristische Angriff auf das World-Trade-Center in New York City ist nur Teil eines größeren mysterium iniquitatis, welches sich in der Manipulation globaler Märkte, einer weitverbreiteten Steuerhinterziehung, der Hintergehung demokratischer Wahlen, in Sex- und Drogenhandel sowie in Folter und anderen Missachtungen der Menschenrechte niederschlägt. Der Neutestamentler und die Neutestamentlerin mögen in ihren eigenen Traditionen Ressourcen ausfindig machen, um diese Gesetzlosigkeit zu verstehen und zu bekämpfen (2Thess 2,7 und Offb 17-19). 4. Um zum Schluss zu kommen und damit ich nicht versäume zu praktizieren, was ich predige, möchte ich zwei Motive der frühchristlichen Literatur hervorheben, die öffentlich diskutiert werden sollten. Zunächst ist es unwiderlegbar, dass es Jesus nicht um Vergeltung ging. Egal, ob der historische Jesus sagte »Liebet eure Feinde« (Mt 5,43-45; Lk 6,27-28) oder wie ein detaillierter synoptischer Vergleich nahe legt, »Betet für eure Feinde« (POxy 1224.2; Polykarp Phil. 12,3; Did 1,3), 61 ist es doch klar, dass Jesus eine Ethik der Vergeltungslosigkeit in Bezug auf das Böse lehrte und lebte. Unmittelbar nach dem 11. September hat der »United Methodist General Board of Church and Society« eine Verlautbarung veröffentlicht in Reaktion auf die terroristischen Angriffe und die Antwort der USA, in der es heißt: »Wir beziehen uns auf die Lehre des Friedensfürsten, der uns vorgibt, unsere Feinde 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 9 10 ZNT 10 (5. Jg. 2002) Neues Testament aktuell zu lieben und für sie zu beten und uns jeglicher gewalttätiger Reaktion auf Gewalttätigkeit zu enthalten. Während wir mit Menschen auf der ganzen Welt darin eins sind, die Terroristen zu bestrafen, sind wir der Überzeugung, dass Krieg nicht das angemessene Mittel ist, um auf kriminelle Akte gegen die Menschheit zu reagieren.« 62 Diese Erklärung hatte umso größere Bedeutung, als sie von den Leitern von Präsident Bushs eigener Kirche verabschiedet worden war. Aber nach einiger Zeit, als der Krieg gegen die Taliban und Al Qaeda zu einem fait accompli wurde, verstummten die Stimmen der Kirchenleute und Theologen. Die Predigten zu Ostersonntag 2002 waren die schwächsten in der Erinnerung vieler Beobachter der amerikanischen Kirche. Sie zeitigten einen Mangel an prophetischer Übereinstimmung mit der Lehre Jesu. Zweitens gibt es wenig Zweifel, dass zu den Ursachen, die Hass und Gewalttätigkeit hervorrufen, der anwachsende globale Abstand zwischen den Reichen und Armen zu zählen ist. 63 Prof. Demirer teilte der Gemeinde der Christ Church in Dayton herzzerreißende Beschreibungen von Armut und Leid in der muslimischen Welt mit, und zwar in Antwort auf die Frage: »Was hat diese Aktionen des Hasses ausgelöst? « Angesichts dieser Krise besteht die Aufgabe des Neutestamentlers darin, die Kirche daran zu erinnern, dass es einer christlichen Ökonomie um ein »faires Gleichgewicht« (isotes) geht. 64 In Anbetracht ökonomischer Beziehungen zwischen den Reichen und den Armen in der frühen Kirche favorisiert der Apostel Paulus das Teilen, »auf dass es ein faires Gleichgewicht gibt« (2Kor 8,14). Im Anschluss daran zitiert Paulus den folgenden Text aus Ex 16,18: »Derjenige, der viel hatte, hatte nicht zu viel, und derjenige, der wenig hatte, hatte nicht zu wenig« (2Kor 8,15). Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich noch keine Predigt über diesen Text von einer amerikanischen Kanzel gehört. l Anmerkungen 1 Übersetzt und leicht bearbeitet von Werner Kahl. 2 Allerdings hatte es in dem letzten Jahrzehnt verschiedene Anlässe gegeben, als ich auf der Kanzel der Kapelle stand und den Drang verspürte, von der Beschreibung der Vergangenheit zu einer die Gegenwart ansprechenden Verkündigung vorzustoßen - z.B. während der Aufstände im Gefolge der Urteilsverkündigung im Fall der brutalen Übergriffe auf Rodney King durch die Polizei von Los Angeles (1992) oder, um es zuzugeben, nach den vielen Begegnungen mit den obdachlosen Armen auf den Straßen der amerikanischen Stadt, in der ich lebe. 3 W. Wrede, The Task and Method of so-called New Testament Theology, in: R. Morgan (Hrsg.) The Nature of New Testament Theology. The Contribution of William Wrede and Adolf Schlatter, London 1973, 68-116. Betreffs einer gegenwärtigen Wiederbelebung von Wredes Programm, vgl. H. Räisänen, Beyond New Testament Theology, Philadelphia 1990. 4 W. Benjamin, Theses on the Philosophy of History, in: Illuminations, ed. H. Arendt, trans. H. Zohn, Glasgow 1979, 259. 5 Die Ereignisse vom 11. September wurden so von der britischen Theologin Karen Amstrong in einem Interview des National Public Radio vom 12. September 2001 charakterisiert. 6 Vgl. z.B. R. Williams, Writing in the Dust: After September 11, Grand Rapids 2002. 7 Ich gebrauche diesen Begriff in dem Sinne, in dem er von den Autoren des Kairos Dokuments verwandt wurde (Ein theologischer Kommentar zur politischen Krise in Südafrika, in: Junge Kirche 47 (1986), 34-39, 95-100, 164-71. 8 Ich gestehe also ein, dass das Ziel der Hermeneutik, deren Entwicklung ich verfolge, »Befreiung« ist. Aber zur Befreiung gehört die rigorose historische Kritik, und zwar sowohl des antiken Textes als auch der Lebenswirklichkeit der Interpretierenden. Mit diesem Ziel und diesen Voraussetzungen stelle ich mich bewusst in die Tradition der religionsgeschichtlichen Schule, wie sie zur Zeit von solchen Historikern des Neuen Testaments wie Dieter Georgi und Luise Schottroff vertreten wird. Vgl z.B. D. Georgi, Rudolf Bultmann’s Theology of the New Testament Revisited, in: E.C. Hobbs (Hrsg.), Bultmann Retrospect and Prospect (HThS 35), Philadelphia 1985, 75-87, besonders: 87; L. Schottroff, How my Mind has changed oder: Neutestamentliche Wissenschaft im Dienst von Befreiung, in: EvTh 48 (1988), 247-61. 9 Schon Wrede (The Task and Method of so-called New Testament Theology, 69, 79, 84-86, 94) insistiert darauf, dass der exegetische Historiker die Ergebnisse seiner Forschung nicht unter der Fragestellung begrenzen darf, ob sie der Kirche dienlich sind; vgl. aus neuerer Zeit: G. Petzke, Exegese und Praxis. Die Funktion der neutestamentlichen Exegese in einer christlichen oder nachchristlichen Gesellschaft, in: ThPr 10 (1975), 2-19; G. Theissen, On Having a Critical Faith, Philadelphia 1979, 10-11; Räisänen, Beyond New Testament Theology, 93-97. 10 So z.B. Ernst Käsemann in seinem einflussreichen Aufsatz, The Problem of a New Testament Theology, in: NTS 19 (1972/ 73), 236: »The history and exegesis of the New Testament exercise a function in the life of the Church and relate to the community within Christians live... New Testament theology gives an overall direction to all specialist skill and puts this discipline of ours, whatever the tensions, in relation to the Church.« Ähnlich: G. Strecker / U. Schnelle, Einführung in die neutestamentliche Exegese, Göttingen 1983, 150: »Die 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 10 ZNT 10 (5. Jg. 2002) 11 Laurence L. Welborn Vom Unterrichten der Bibel im »Ausnahmezustand« Anwendung der historisch-kritischen Methoden auf das Neue Testament will in ihrer letzten Zielsetzung zur glaubenden Aneignung und zur Aktualisierung in der Verkündigung der Kirche führen.« 11 H. Küng, Christianity and the World Religions. Paths of Dialogue with Islam, Hinduism, and Buddhism, New York 1987, 440-43. 12 Küng, Christianity and the World Religions, xiv. 13 So schon S.G. Wilson, Paul and Religion, in: Paul and Paulinism, FS C.K. Barret, London 1982, 347-349. 14 N. Frye, The Great Code. The Bible and Literature, London 1982, xviii. 15 So schon Georgi, Bultmann’s Theology Revisted, 87; Räisänen, Beyond New Testament Theology, 96.99. 16 Als Antwort auf Elisabeth Schüssler-Fiorenzas Herausforderung an die Bibelwissenschaftler, sich öffentlicher und politischer Verantwortung zu stellen, in: dies., The Ethics of Biblical Interpretation: Decentering Biblical Scholarship, in: JBL 107 (1988), 16f. 17 Petzke, Exegese in einer nachchristlichen Gesellschaft, 8; Räisänen, Beyond New Testament Theology, 97. 18 Petzke, Exegese in einer nachchristlichen Gesellschaft, 9-11; Georgi, Bultmann’s Theology Revisited, 80-81; Schottroff, Neutestamentliche Wissenschaft im Dienst von Befreiung, 248-49. 19 Georgi, Bultmann’s Theology Revisited, 85; Schottroff, Neutestamentliche Wissenschaft im Dienst von Befreiung, 248-49; Räisänen, Beyond New Testament Theology, 99. 20 J. Hick / P. Knitter, The Myth of Christian Uniqueness, London 1988. 21 Petzke, Exegese in einer nachchristlichen Gesellschaft, 12; Georgi, Bultmann’s Theology Revisited, 85. 22 Georgi, Bultmann’s Theology Revisited, 85-86. 23 P. Knitter, No Other Name? A Critical Survey of Christian Attitudes Toward World Religions, London 1985, 204. 24 Räisänen, Beyond New Testament Theology, 99, spricht von »fair play«, »empathy« und »the application of the philosophical Golden Rule« als Erfordernisse eines weltweiten Dialogs zwischen Vertretern unterschiedlicher religiöser Traditionen. 25 P. Berger, The Heretical Imperative. Contemporary Possibilities of Religious Affirmation, New York 1980, 34. 26 Vgl. F. Young, Biblical Exegesis and the Formation of Christian Culture, Cambridge 1997; E. Radner / G. Gumner (Hrsg.)., The Rule of Faith: Scripture, Canon, and Creed in a Critical Age, Harrisburg 1998; C. Seitz, Figured Out: Typology and Providence in Christian Scripture, Louisville 2001. 27 D. Boyarin, A Radical Jew: Paul and the Politics of Identity, Berkeley 1994, 9. 28 Wrede, The Task and Method of so-called New Testament Theology, 69. Wredes Programm ist letztlich von H. Koester eingelöst worden. In Koesters Buch: Introduction to the New Testament, Vol. 2: History and Literature of Early Christianity, Philadelphia 1982, analysiert dieser etwa sechzig nicht-kanonische und diverse hypothetische Quellen-Dokumente, wie z.B. die synoptische Redequelle »Q«. 29 Vgl. W.G. Kümmel, Theology of the New Testament according to its Major Witnesses. Jesus-Paul-John, Nashville 1974; H. Schlier, Über Sinn und Aufgabe einer Theologie des Neuen Testaments, in: G. Strecker (Hrsg.), Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, Darmstadt 1975, 323-44, besonders: 326; L.T. Johnson, The Writings of the New Testament. An Interpretation, Minneapolis 1999. 30 Vor allem angeregt von B. Childs, The New Testament as Canon: An Introduction, Philadelphia 1984; siehe auch seine jüngere Monographie dazu: Ders., Biblical Theology of the Old and New Testaments: Theological Reflections on the Christian Bible, Minneapolis 1992. Vgl. ebenso P. Stuhlmacher, Vom Verstehen des Neuen Testaments. Eine Hermeneutik, Göttingen 1979; ders., Biblische Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 1999. 31 F. Young, The Mind of Scripture, in: Biblical Exegesis and the Formation of Christian Culture, 29-45. 32 So richtig Wrede, The Task and Method of so-called New Testament Theology, 69. 33 Georgi, Bultmann’s Theology Revisited, 81-82. 34 2Clem. 16,4; Hermas Sim. 5,1; vgl. auch den Barnabasbrief: Barn 3,3. 35 Apoc. Jas. 6: 9-10a. 36 Schon Petzke, Exegese in einer nachchristlichen Gesellschaft, 5-6 verweist darauf, dass darin unsere Situation besteht. R. Scroggs, Can New Testament Theology Be Saved? The Threat of Contextualisms, in: Union Seminary Quarterly Review 42 (1988), 26 möchte eine nachkirchliche Situation vermeiden, da er den Verlust jeglichen Wahrheitsanspruchs seitens des Christentums befürchtet. 37 A. Boesak, Comfort and Protest: The Apocalypse from a South African Perspective, Philadelphia 1987, 131. 38 P. Robertson, Special Report to the Members of the 700 Club: Pat Robertson’s Perspective (1980). 39 Boesak, Comfort and Protest, 44. W. Benjamin, Theses on the Philosophy of History, 262 gründet dieses Kriterium in der marxistischen Analyse: »Nicht die Menschheit oder Menschen (sic), sondern die kämpfende, unterdrückte Masse selbst ist die Bewahrerin des geschichtlichen Wissens«. 40 R.M. Grant, The Sword and the Cross, New York 1955. 41 A.Y. Collins, Crisis and Catharsis: The Power of Apocalypse, Philadelphia 1984, 154, 170, 172. 42 Z.B. Daniel Patte, dessen Engagement als Dozent in Südafrika und den Philippinen zeitlich zusammentraf mit der Erarbeitung seines Buches: Ethics of Biblical Interpretation: A Reevaluation, Louisville 1995. 43 Das ist meine eigene Erfahrung. Ich danke den Menschen der New Faith Church in Chicago, Omega Church, der Mt. Zion Church in Dayton und der Canaan Church in New York City für die freundliche Aufnahme und Fürsorge. 44 V. Harding, Hope and History. Why We Must Share the Story of the Movement, New York 1990. 45 S. DeWitt Proctor, The Substance of Things Hoped For, New York 1996; V.L. Wimbush (Hrsg.), African Americans and the Bible, New York 2000. 46 Following Jesus to the Mosque, in: Presbyterians Today 92/ 4 (2002), 10-15. 47 Georgi, Bultmann’s Theology Revisited, 84-85 verweist insbesondere auf die Religionsgeschichtlichen Volksbücher und die erste Auflage der RGG als Beispiele für die Teilnahme der religionsgeschichtlichen Schule an der »politisch ziemlich wichtigen internationalen Erwachsenenbildungsbewegung«. 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 11 12 ZNT 10 (5. Jg. 2002) Neues Testament aktuell 48 Georgi, Bultmann’s Theology Revisited, 84-85 verweist auf Ernst Troeltsch, der die Position eines staatlichen Untersekretärs in einer sozialdemokratischen Regierung eingenommen hatte. 49 S.F. Harding, The Book of Jerry Falwell: Fundamentalist Language and Politics, Princeton 2002. 50 Vgl. zu dieser klassischen Einteilung in zwei »Bedeutungen«: K. Stendahl, Biblical Theology, in: Interpreter’s Dictionary of the Bible, Vol. 1, Nashville 1962. 51 Zur Unterscheidung von allegorischer and symbolischer Hermeneutik siehe: P. de Man, The Rhetoric of Temporality, in: ders., Blindness and Insight, Minneapolis 1983. 52 Diese Episode habe ich als Teenager im Süden der USA zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung miterlebt. Ein neunjähriges Mädchen war in das Büro des Schulleiters gebracht worden, weil sie ein Bild von Martin Luther King aus der Zeitung ausgeschnitten und auf ihrem Hausarbeitsheft angebracht hatte. Der Schulleiter in Gestalt eines christlichen Fundamentalisten erklärte die allegorische Interpretation des Kindes zur »Blasphemie« und verlangte, dass sie das Bild von ihrem Heft zu entfernen habe. Ich sah, wie das Kind lieber Schläge einsteckte als der Forderung des Schulleiters Folge zu leisten. Der mutige Akt des Mädchens, allegorisch zu lesen, hat für mich in der Rückschau eine paradigmatische Bedeutung erhalten. 53 Benjamin, Theses on the Philosophy of History, 264-65. 54 So lautet der Titel, der Adolf von Harnacks Bericht aus dem Jahre 1900 über die Leistung des Paulus in der Anthologie von W. Meeks, The Writings of St. Paul, New York 1972, 302-308 vorangestellt worden ist. 55 Boyarin, A Radical Jew, 9 und passim. 56 A.a.O., 9. 57 Vgl. besonders S.K. Stowers, A Rereading of Romans: Justice, Jews and Gentiles, New Haven 1994. 58 R. Jewett, Christian Tolerance: Paul’s Message to the Modern Church, Philadelphia 1982. 59 Georgi, Bultmann’s Theology Revisited, 82-84. 60 J.S. Spong, A New Christianity for a New World, San Francisco 2001, 21-35. 61 Vgl die Diskussion in: D. Lührmann, Liebet eure Feinde, in: ZThK 69 (1972), 412-38; J.D. Crossan, In Fragments. The Aphorisms of Jesus, San Francisco 1983, 332-333, 342. 62 Statement to the Church on the Terrorist Attacks and the U.S. Response, in: Christian Social Action 14/ 6 (November 2001), 16. 63 K. Melville, Coming to Terms with Terrorism, in: The Kettering Review 20/ 1 (2002), 23-50. 64 Vgl die Diskussion der Bedeutung von isotes in: D. Georgi, Remembering the Poor. The History of Paul’s Collection for Jerusalem, Nashville 1992, 84-92. Die alttestamentliche Lesung in der Messe - aktuelle Perspektiven Ansgar Franz Wortgottesdienst der Messe und Altes Testament Katholische und ökumenische Lektionarreform nach dem II. Vatikanum im Spiegel von Ordo Lectionum Missae, Revised Common Lectionary und Four Year Lectionary: Positionen, Probleme, Perspektiven Pietas Liturgica, Studia 14, 2002, X, 394 Seiten, geb. 54,-/ SFr 89,30 ISBN 3-7720-3273-7 Die nach dem Konzil entstandene Leseordnung der katholischen Kirche sieht wieder eine regelmäßige Verkündigung des ‚Alten‘ Testaments vor - dennoch ist der Ordo Lectionum Missae in den letzten Jahren in heftige Kritik geraten: die vom NT her gesteuerte Auswahl der alttestamentlichen Lesung werde dem ‚Eigenwert‘ des AT nicht gerecht. Die Studie nimmt diese Kritik auf und weitet den meist auf die katholische Leseordnung konzentrierten Blick aus, um die Diskussion auf eine breitere Basis stellen. Dazu werden der römische Ordo Lectionum Missae, das anglikanische Four Year Lectionary und das von der Mehrzahl protestantischer Kirchen Nordamerikas verwendete Revised Common Lectionary untersucht. Verglichen werden die jeweiligen Grundoptionen, denen die Lektionare bei der Auswahl der alttestamentlichen Lesung folgen. Es wird gezeigt, wie unterschiedliche hermeneutische Vorentscheidungen über die Bedeutung des AT zu einem unterschiedlichen Repertoire an alttestamentlichen Lesungen führen. A. Francke Verlag Tübingen und Basel 070302 ZNT 10 - Inhalt 26.09.2002 17: 15 Uhr Seite 12