eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 5/9

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2002
59 Dronsch Strecker Vogel

Jesus als Gerichtsprediger? Auseinandersetzung mit einem wieder aktuell gewordenen Thema

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2002
Christian Riniker
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Christian Riniker Jesus als Gerichtsprediger? Auseinandersetzung mit einem wieder aktuell gewordenen Thema Vorbemerkung Die wissenschaftliche Auslegung des Neuen Testaments hat zu einer eigentlichen Wiederentdeckung und Rehabilitierung des Gerichtsgedankens bei Jesus geführt, wie die Darstellung der Forschungslage, die im Zentrum dieses Aufsatzes steht, zeigen wird. Ob sie damit ein breiteres Publikum oder auch nur das Bewusstsein der predigenden Pfarrerinnen und Pfarrer erreicht hat, bleibt allerdings fraglich. Das dürfte nicht zuletzt mit den sachlich-theologischen Fragen zusammenhängen, die der Gerichtsgedanke nach wie vor aufwirft. Ist der Gott, der auch hinter Jesu Gerichtsaussagen steht, ein Überwachungs- Gott und »Big-Brother«? Ist er ein grausam strafender Gott? Wie verhalten sich >Rechtfertigung< und Gericht nach den Werken zueinander bzw. Christus der ,Heiland< und Christus der Weltrichter, Gott als Liebe und Gott als richtende Instanz? Und welche Konsequenzen ergeben sich aus diesem Verhältnis bezüglich Heilsgewissheit und menschlicher Verantwortung (Lohngedanke, Werkgerechtigkeit ... ) ? Ist die Allversöhnungslehre für heutige Menschen, die zunehmend um die Vernetztheit allen Lebens und auch von Schuld wissen, nicht letztlich die theologisch allein verantwortbare? Kann da >Gericht< noch eine Hoffnung sein? Auch die Gerichtsvorstellungen selbst sind so ins Strudeln geraten und wohl für die meisten Christinnen und Christen problematisch und diffus: Was etwa bedeuten und wie verhalten sich zueinander, das forensische Gericht über den Einzelnen und Gottes Sieg über das Böse, das individuelle und das kollektive Gericht, das Jenseits und die Befreiungshoffnung im Diesseits? Wie verhält sich das präsentisch (in Geschichte, Biografie, Tod) wirksame und erfahrbare ,Gericht< zu einem zukünftigen? Was ist ,bloß< Weltbild und was Glaube, den Theologie zu klären und zu verantworten hat? Arbeit am Thema Gericht ist damit eine gesamt-theologisch notwendige Aufgabe, gerade auch dann, wenn exegetische Erkenntnisse und Impulse künftig breiter rezi- 2 piert und die Abdrängung des Themas in die religiöse ,Subkultur< und sein Missbrauch vermindert werden sollen. Ein Beitrag historischer Exegese könnte es hier sein, ihren ,Gegenstand, zwar möglichst unverkürzt zu Wort kommen zu lassen, ihn aber auch nicht unterschwellig zur Norm aller Dinge zu machen, die alle unsere Fragen beantwortet, selbst wenn es sich dabei um Jesus und einen Teil seiner Verkündigung handelt. 1. Einblicke in die aktuelle Diskussionslage In der wissenschaftlichen Jesusliteratur der letzten Jahre treten zwei verschiedene J esusbilder besonders markant hervor, die die Deutung seiner Gerichtsbotschaft jeweils stark beeinflussen: vereinfacht gesagt steht ein sozialrevolutionärer Jesus einem eschatologisch-apokalyptischen gegenüber. 1.1. Der sozialrevolutionä re J esus 1 R.A. HoRSLEY 2 hat Jesus im Umfeld, ja in engem inneren Zusammenhang mit den jüdischen Protest- und Widerstandsbewegungen gegen Rom gezeichnet, um die politische Dimension seiner Basileia- Botschaft im damaligen Kontext zu erfassen. Ihre Gegenwartsaspekte werden deshalb stark in den Vordergrund gerückt und als alternatives gesellschaftliches Programm für die galiläischen Dorfgemeinschaften entfaltet, was auch mit Bußrufen und die Gemeinschaft betreffenden Gerichtsdrohungen verbunden sein konnte. 3 In erster Linie betrifft J esu Gerichtsbotschaft aber sehr konkret das im Tempel verkörperte Herrschaftssystem, das Jesus bis hin zu der in Mk 12,13-17 implizierten Aufforderung zur Steuerverweigerung gegenüber Rom bekämpft hat. Sein Untergang ist im stattfindenden Prozess der Aufrichtung der Basileia sicher. Entscheidend ist in dem allem die gegenwartsbezogene und primär innerweltliche Auffassung des Verfassers ZNT 9 (5. Jg. 2002) Christian Riniker Dr. Christian Riniker, Jahrgang 1958, studierte Evangelische Theologie in Lausanne, Bern, Tübingen und Berlin, anschließend wiss. Assistent für Neues Testament in Lausanne (diplome de specialisation en sciences bibliques 1988) und Bern (Promotion 1992; Dissertation publiziert 1999). 1992 Ordination und Aufnahme in den Kirchendienst der Evang.-Reformierten Kirche des Kantons Bern. Seit 1997 Pfarrer in Köniz bei Bern. von der Gottesherrschaft, in Übereinstimmung mit der primären Gegenwartsrelevanz apokalyptischer Sprache überhaupt,4 auch wenn die Wende, die Jesus im Auge hat, über die Veränderung der gegenwärtigen Unterdrückungsverhältnisse hinausgeht.Jesus dürfte auf die unmittelbar bevorstehende Vollerfüllung der Gottesherrschaft vertraut haben. Das bedeutet nach Horsley: Die Praxis der Jesusbewegung war »a revolt that would surely and imminently result in a transformed historical situation«. 5 Anders als Horsley, der mehr sporadisch auf die Gerichtsworte Jesu zu sprechen kommt, widmet ihnen M.J. BORG 6 eine ausführliche systematische Behandlung. Zunächst seine Grundthese: das sozialrevolutionäre Anliegen Jesu ist weniger im Rahmen der antirömischen Widerstandspolitik als in demjenigen der innerjüdischen Auseinandersetzungen um >Heiligkeit, zu verstehen. Diese war wenn auch in den verschiedenen Gruppen unterschiedlich rigid interpretiert der zentrale ideologische Faktor, der das um den Tempel zentrierte Herrschaftssystem stützte. Jesu Revolution besteht im Kern darin, dass er die Heiligkeit nicht mehr ausschließend und ausgrenzend >von oben" sondern integrierend ,von unten< verstand. 7 ZNT 9 (5. Jg. 2002) Christian Rinil<er Jesus ais Gerichtsprediger? Auseinandersetzung, Konflikt und in diesem Zusammenhang - Gerichtsworte sind deshalb im Jesusbild von Borg zentral. Bei der Behandlung des relevanten Materials stellt er fest: a) die Umorientierung der Gerichtsbotschaft bei Mt (Verjenseitigung, Moralisierung); b) die fast durchgängige Begründung der Gerichtsaussagen bei Jesus, die deshalb ,kontingent< zu verstehen sind: Das Gericht kommt, weil und wenn Israel auf seinem destruktiven Weg perfektionierter ,Heiligkeit, bleibt. Sie sind prinzipiell als Drohungen bzw. als Umkehrrufe zu interpretieren; c) die folgende Kategorisierung des Materials: Eine relativ grosse Gruppe (22 Gerichtstexte) spricht unspezifisch oder bildhaft vom Gerichtsereignis selbst. Eine weitere wichtige Gruppe (11 Texte) spricht vom innergeschichtlich konkreten Gericht, das vollzogen durch römische Hand - Tempel und Land bedroht. Ihr lassen sich die nach dem Schema >wegnehmen und anderen geben< formulierten Texte zuordnen (9 Texte), die ebenfalls »a continuing historical order« 8 voraussetzen. Auch sie sind mit der Auseinandersetzung um >Heiligkeit< zentral verbunden. Nur eine letzte Gruppe spricht ausdrücklich vom Endgericht (12 Texte); sie zerfällt noch einmal in eine Untergruppe, die zwar im Hintergrund Endgerichtsvorstellungen (wie die Totenauferstehung) voraussetzt, aber auf die gegenwärtige Entscheidungssituation zielt und das Gericht selbst ohne Dringlichkeit in unspezifischer Ferne belässt. Es geht um die endgültige Sanktion gewählter (oder jetzt zu wählender) Lebensorientierung. Bleiben noch 6 Menschensohnworte die einzigen, in denen das Endgericht (und damit das Ende menschlicher Geschichte) zur bedrohlich-drängenden Nähe wird. Wird das endgültige Ende also im Gefolge des innergeschichtlichen Gerichts über Israel erwartet? Aber wie ist es möglich, so bedrängend vom kosmischen, die Geschichte transzendierenden Endgericht zu sprechen wie in diesen Menschensohnworten, wenn das Israel primär bedrohende Gericht nur und gerade »the historical consequence of continuing to pursue the quest for holiness as seperation«, 9 mithin noch gar nicht gewiss ist? Borg schlägt deshalb eine andere Interpretation des Befundes vor: Diese Aussagen, die sich in ihrem bedrängenden Ton (wenn auch nicht in der Vorstellungsform) den 3 übrigen Gruppen so gut einfügen, sind als reine Sprachform zu verstehen, mit denen die drohende innergeschichtliche Krise symbolisiert und ihre theologische Bedeutung ausgedrückt wird. Hinter diesem (möglichen) Ausgang der gegenwärtigen Krise steht der Gott Israels selbst. 10 Somit bleiben nur die allgemein-übergeschichtlichen Aussagen zum Endgericht als unverrechenbarer, den Hauptskopus der GerichtsverkündigungJesu aber auch nicht tangierender Rest übrig - und die eschatologische Dimension im strengen Sinne ist aus der Jesusbotschaft verschwunden. In seinem schönen Jesusbuch hat Borg Jesus dann besonders als spirituellen Menschen mit einer religiösen >Vision< entdeckt, die in einer gänzlich gegenwartsbezogenen Interpretation der Gottesreichsbotschaft besteht, bei der die Gerichtsdimension der Worte Jesu (als Gesellschafts- und Kulturkritik) überhaupt aus dem Blickfeld schwindet.11 Weiter hat auch J.D. CROSSAN in zwei Büchern Jesu ,revolutionäres Leben< dargestellt.12 Sie sind nicht nur glänzend geschrieben, sondern helfen auch dabei, Jesus und seine Botschaft in ihrem geschichtlichen Umfeld wahrzunehmen ein wesentliches Korrektiv gegenüber manchem ,korrekten, apokalyptisch-eschatologischemJesusbild, das allzusehr in kontextlosen dogmatischen Abstraktionen steckenbleibt. Bezeichnend für Jesu revolutionäres Programm sind für Crossan insbesondere Jesu ,offene Kommensalität, und seine ,Heilungen" deren umstürzend-provozierenden Charakter er herausarbeitet.13 Für unser Thema fällt dabei insofern relativ wenig ab, als Crossan die Basileia im angedeuteten Sinn rein präsentisch interpretiert und Jesus als eine Art jüdischen ,Sozialkyniker< darstellt. Konkret soll Jesus dabei Vertreter einer ,weisheitlichen, im Gegensatz zu einer >apokalyptischen< - Eschatologie gewesen sein, was aber weder vom Begriff ,Eschatologie" den Crossan mit »basic, fundamental, radical, utopian, countercultural« gleichsetzt, 14 noch religionsgeschichtlich vom Basileia-Begriff her (weisheitlich? ) ausgewiesen erscheint. Jesu Gerichtsbotschaft wird mithin zum innerweltlichen Kritik- und Sozialprogramm. Die methodischen (nicht unbedingt die ideologischen! ) Voraussetzungen von Crossan und das daraus resultierende, als echt angesehene Datenmaterial sind dabei weitgehend diejenigen des JESUS-SEMINARS, dessen Ergebnisse in zwei Bänden zugänglich gemacht worden sind. 15 4 1.2. Der apokalyptisch-eschatologische Jesus Demgegenüber verbindet die Mehrheit der unterschiedlichsten - Jesus- Interpreten die Überzeugung, dass Jesus irgendwie im Umkreis apokalyptisch-eschatologischer Erwartung anzusiedeln ist, wobei >eschatologisch, hier inhaltlich den Bezug auf den entscheidenden, abschliessenden Akt Gottes in der Geschichte bezeichnet, und >apokalyptisch, den konkreten geistesgeschichtlichen Hintergrund solchen Glaubens in Jesu Umfeld. 16 In diesem Sinn sind hier unter den Neueren zumindest zu nennen B.F. Meyer, 17 G. Vermes, 18 J.H. Charlesworth, 19 J.P. Meier 20 und B.D. Chilton. 21 Hierher gehören auch fast sämtliche wissenschaftlichen Publikationen über Jesus aus dem deutschen Sprachraum, wo ein uneschatologischer oder kynischer Jesus nie viele Anhänger fand. Ich nenne von den populäreren Darstellungen nur die m.E. interessantesten von K. Berger, 22 J. Roloff 23 und D. Sölle/ L. Schottroff. 24 Sechs neuere J esusbücher, in denen der Gerichtsaspekt eine wichtige Rolle spielt, sind jedoch besonders hervorzuheben: E.P. SANDERS 25 gehört gerade auch mit seinen Arbeiten zum palästinischen Judentum zu den ,Gründungsvätern, des ,Third Quest< nach dem historischen Jesus, 26 und damit auch zu den Wiederentdeckern des Gerichtsgedankens: Ist es richtig, dass Jesus grundsätzlich als Prophet der >restoration of Israel, zu verstehen ist, 27 dann muss auch das Gericht bei ihm eine Rolle gespielt haben. 28 Und in der Tat: Tempelaktion und Tempelwort, die in der Erarbeitung dieses Jesusbildes bei Sanders eine zentrale Stellung einnehmen, sind als Gerichtsgeschehen zu verstehen. »Both point towards the destruction of the present order and the appearance of the new.« Jesus »predicted the imminent appearance of the judgment and the new age«. 29 Und auch die zweite Säule, auf der das Konzept der >restoration of Israel, aufruht, nämlich der Zwölferkreis, ist zentral mit einem Gerichtswort (Mt 19,28) verbunden. Bekanntlich ist Sanders gegenüber der Wortüberlieferung gemessen an diesen ,harten Fakten< relativ zurückhaltend, und diese Skepsis betrifft auch die Gerichtslogien. Doch dieser negative Befund, der demjenigen zum Bußruf entspricht, wird von Sanders nicht als grundsätzliche Reserve Jesu gegenüber der Gerichtsthematik gedeutet, sondern eher ZNT 9 (5. Jg. 2002) als ein vorausgesetzter Zug seiner >restoration eschatology" den schon Johannes der Täufer betont hatte, und dessen Werk Jesus voraussetzte und akzeptierte. Mit den Pharisäern hatte Jesus keine substantiellen Konflikte. Anlass zu seiner Kreuzigung war vielmehr die Tempelaktion, die ebenso wenig grundsätzliche Gesetzeskritik impliziert. Wie alle übrigen jüdischen Gruppierungen stand Jesus im Rahmen des ,Bundesnomismus,: »Jesus saw himself as God's last messenger before the establishment of the kingdom. He looked for a new order, created by a mighty act of God. In the new order the twelve tribes would be reassembled, there would be a new temple, ... outcasts even the wicked would have a place, and Jesus and his disciples the poor, meek and lowly would have the leading role«. 30 N.T. WRIGHT fasst die Ergebnisse seines großen Jesusbuches 31 folgendermaßen zusammen: Jesus war »a first-century Jewish prophet (1) announcing and inaugurating the kingdom of God (2), summoning others to join him (3), warning of the consequences if they did not (4), doing all this in symbolic actions (5), and indicating in symbolic actions, and in cryptic and coded sayings, that he believed he was Israels's messiah, the one through whom the true God would accomplish his decisive purpose« (6). 32 Das ,Gottesreich< ist dabei zu verstehen als endgültiger Herrschaftsantritt Gottes, einschließlich Sammlung der Zerstreuten, Sieg über das Böse und Rückkehr Jahwes zum Zion. 33 Dabei sah Jesus seine eigene, von anderen etwa nationalistisch-revolutionären oder exklusivistischen - Auffassungen durchaus abweichende Ankündigung und Praxis des Gottesreichs als dessen realen Beginn an, 34 was ihn einerseits zu einer Sammelbewegung des erneuerten Bundesvolkes und andererseits zur Auseinandersetzung mit denen, die sich seinem Ruf verweigerten, führte. 35 Die Gerichtsbotschaft spielt von daher in seiner J esusdarstellung eine zentrale Rolle: » In classic prophetic style ... Jesus announced that God's judgment would fall first and foremost on Israel itself, because it had failed to respond to the summons to be the light of the world, living instead by oppression and injustice within its own society and by violence, actual or intended, toward those outside«. 36 Aber dieses Gericht versteht er ähnlich wie M.J. Borg als Israel innergeschicht- ZNT 9 (5. Jg. 2002) Christian Jtinil<er Jesus als Gerichtsprediger? lieh drohende Katastrophe: »if they persisted in their determination to fight a desperate holy war against Rome, then Rome would destroy them, city, temple, and all«. 37 In der Bedrohung des Tempels in Wort und Tat kommt es zum (symbolischen) Zusammenprall mit dem herrschenden System, 38 während im Abendmahlssaal ebenso symbolisch Jesu Alternative angedeutet wird: »God's kingdom was precisely about replacing the temple system ... Jesus was claiming to offer all that the temple stood for«, 39 und zwar so, dass er selber als Messias die >messianischen Wehen, auf sich nehmen und in seinem Sterben das Böse, Gott Widerstehende überwinden werde: »He would go ahead of the nation to take upon himself the judgment of which he had warned, the wrath of Rome against rebel subjects. This was how he would fight the final battle against the real enemy. This was how he would build the true temple«. 40 Jesus in seinem ganzen Lebensweg und Geschick ist damit die Verkörperung und Verwirklichung seiner eigenen Eschatologie, der Gottesreichsbot- Das Weltgericht, Schedelsche Weltchronik 5 schaft, was die Ereignisse um 70 n.Chr. nachträglich noch bestätigen: Alles ist nun so sehr >erfüllt<, dass seltsam offen bleibt, warum (und was eigentlich) weiterhin erst zu hoffen ist. Haben wir es hier mit einer orthodox-apologetischen >Scheinlösung< zu tun? 41 Möglicherweise ein Stück weit, doch wird man dafür durch die bibeltheologischen und zeitgeschichtlichen Kenntnisse des Verfassers zumindest reichlich entschädigt. Hinzu kommt sein reflektiertes Vorgehen, das methodisch (Prämisse des eigenen Jesusbildes! ) die scheinbare Objektivität etwa des Jesus-Seminars in den Schatten stellt, sowie die integrierende Gesamtschau, die das Quellenmaterial in eindrücklicher Weise neu zum Sprechen bringt. Der Nachteil dabei: durch die Ablehnung etablierter Prozeduren und Forschungsergebnisse lebt dieses Jesusbild auf Kosten methodischer Überprüfbarkeit 42 sehr stark von der subjektiven Gesamtsicht und den exegetischen Qualitäten seines Verfassers, was sich spätestens dann bemerkbar macht, wenn andere in seiner Spur ähnlich vorgehen und bald in fast unverhohlenen Fundamentalismus kippen. 43 D.C. ALLISON hingegen hat Jesus als millenaristischen Propheten dargestellt, nach einem identifizierbaren religionsgeschichtlichen Modell. Es ist zum Verständnis unerlässlich, zunächst einige Charakteristika solcher millenaristischen Gruppen aufzuzählen. 44 6 (1) Sie sprechen in Zeiten sozialen Wandels, der traditionelle Lebensweisen bedroht, >Verlierergruppen, an; (2) Gegenwart und nahe Zukunft sind Leidens- und Katastrophenzeiten; (3) Hoffnung auf umfassende Zurechtbringung des Unrechts durch Gott; (4) die Umkehrung kommt bald; (5) >Erneuerung, bestehender Religion, Enthusiasmus; (6) egalitäre Züge; (7) Teilung der Menschheit in Gerettete und Verlorene; (8) Tabubrüche; (9) Betonung von Werten des eigenen kulturellen Erbes (gegenüber dem Neuen); (10) traditionelle familiäre und soziale Bindungen werden durch Gruppenbeziehungen ersetzt; (11) das Heilige fließt durch neue Kanäle; (12) verlangen große Einsatzbereitschaft und Loyalität; (13) entstehen häufig um eine charismatische Führergestalt; (14) Glaubensgut gilt als neue Offenbarung, die durch Wunder bestätigt wird; (15) militaristisch-revolutionär, manchmal auch politisch passiv in Erwartung göttlicher Befreiung; (16) Wiederherstellung eines Paradieses, das auch die Vorfahren einschließt; (17) die wunderbare Zukunft kann teilweise schon als gegenwärtige Realität erfahren werden; (18) entwickeln sich aus Vorgänger-Bewegungen; (19) bei längerem Bestehen ist mit dem Problem enttäuschter Erwartungen umzugehen (nachträgliche Rationalisierungen). Diese Beschreibung ist wohlverstanden nicht aus einer Analyse der synoptischen Tradition gewonnen, sondern gibt die Grundzüge der weltweit verbreiteten messianischen und millenaristischen Bewegungen wieder, auch außerhalb des jüdischchristlichen Einflussbereiches. 45 Allison nimmt diesen Millenarismus als heuristisches Modell (oder reflektiertes Vorverständnis), um dann die Daten der Jesusüberlieferung daran zu messen und vom Gesamtbild her neu zu beleuchten, 46 was m.E. überraschende Erkenntnisse zu Tage bringt. Besonders ungewohnt und unpopulär dürfte etwa die von Allison festgestellte asketische Tendenz von Teilen der Jesusüberlieferung sein, 47 die man unter dem Diktat von Mt 11,19par bisher kaum wahrgenommen hat. Klar ist hingegen, dass Naherwartung und Gerichtsverkündigung in dieses Gesamtbild ebenso hineingehören, ja darin eine zentrale Stellung einnehmen, 48 wie in der engeren Perspektive der jüdischen Eschatologie bei Sanders oder Wright. Gerade die vorstellungsmässig spröden >Umkehrungsworte< (Lk 14,llpar; Lk 17,33par; Mk 10,3lpar), die im Kontext der Jesusverkündigung auf nichts anderes als das Endgericht bezogen werden können, zeigen dabei etwas von der Funktion seiner Gerichtsverkündigung in einer millenaristischen Perspektive: »One assumes that his millenarian message resonated especially with people whose perceived material welfare, cultural values, or social status had ... become problematic. In other words, we may suppose that for him and those around him belief in the final judgment was part of an attempt to come to terms with the experience of anomie and evil in a world believed to have been created and sustained by a good and powerful God«. 49 Das schließt die speziellen jüdischen Themen seiner Gerichtsverkündigung wie Totenauferstehung, Rückkehr der verschollenen Stämme, Lohn, gegenwärtige eschatologische Drangsal und Notzeit, zeitlich unmittelbar bevorstehendes Ende natürlich nicht aus, sondern notwendig ein, und zeigt zugleich, wie >realis- ZNT 9 (5. Jg. 2002) tisch, Jesu eschatologische Erwartung gewesen sein dürfte. Es gilt deshalb: »what Jesus foretold can be identified neither with his earthly mission nor with post-Easter history«. 50 Jesus war ein millenaristischer Prophet. »He is Wovoka. He is Mambu. He is Birsa. What we think of the least of these, his brethren, we think, to large extent, also of him«. 51 Damit ist die äußerste Gegenposition zu den uneschatologischenJesus-Darstellungen erreicht, und der Schlag scheint methodisch so gut geführt zu sein, dass man versucht ist, Lk 3,9par zu zitieren. Hat die angelsächsische Forschung insbesondere das religionsgeschichtliche Verständnis Jesu und seiner Gerichtsbotschaft gefördert, so die deutsche ihre systematische Einordnung in ein Gesamtbild von seiner Botschaft. J. BECKER 52 unterteilt seine Darstellung der Verkündigung Jesu in zwei Hauptabschnitte: Täufer und Gottesreich. Auf der >Täuferseite< bringt er was Jesus angeht auch eine differenzierte Darstellung seiner Gerichtsbotschaft. Jesus war, in den Spuren seines Meisters, auch ein eschatologischer Gerichtsprophet. Die Eventualmöglichkeit neuen Lebens und die Verbindung des Gerichts mit der Ablehnung seiner (Jesu) Botschaft heben ihn vom Täufer zwar ein Stück weit ab, die Überzeugung allgemeiner Gerichtsverfallenheit und Verlorenheit Israels verbindet ihn aber umso mehr mit diesem. Im Hauptteil seines Buches stellt Becker nun die dem Täufer noch unbekannte Heils- oder Basileia- Botschaft J esu dar, die ein neues Zeit-, Lebens- und Gottesverständnis impliziert und erschließt. 53 Entscheidend für Jesus ist: Die Basileia kommt dem Gericht gerade zuvor, sie kommt in die Gegenwart hinein, dezentriert das Gericht als Evangelium, sodass Jesus im Kern seines Anliegens eschatologischer Heilsprophet gewesen ist. Die Systematik dieser J esusdarstellung folgt mit anderen Worten derjenigen von Gesetz und Evangelium und ordnet das Gericht bei Jesus dem Gesetz, dem >Alten, zu, und die Basileia dem Evangelium, dem >Neuen" wobei der Becker'sche Jesus aber gerade beides, Gesetz und Evangelium verkündigt hat. In die Krise und ans Kreuz gebracht hat Jesus seine für viele anstößige Heilsbotschaft, da sie Kritik an Erwählung und Tora einschloss. Tempelaktion und Tempelwort(e) kann Becker hingegen in seinJesusbild nicht integrieren; sie sind unecht. 54 Selbstverständlich weiß ZNT 9 (5.Jg. 2002) Christian Riniker Jesus als Gerichtsprediger? J. Becker auch, dass echte Gerichtsworte bei Jesus gerade mit der Ablehnung seiner Basileia- Botschaft begründet werden, aber in seiner Darstellung kommt das durch ihre dem >Evangelium< vorgängige Rubrizierung unter Täufer und ,Gesetz, nicht wirklich zum Tragen. Die Gerichtsdimension droht unwillkürlich zum ,Alten< geschlagen und weniger wichtig zu werden in diesem schönen und lehrreichen Jesus buch. J. GNILKA 55 trägt dem exegetischen Befund systematisch insofern besser Rechnung, als er die Gerichtsbotschaft J esu zunächst in direktem Anschluss an seine Basileia-Verkündigung erörtert: Gericht ist bei Jesus Konsequenz des abgelehnten Heils, und soll zur Einschärfung menschlicher Verantwortlichkeit auch so verkündigt werden. Das hat bei Gnilka zur Folge, dass die Gerichtsbotschaft, da von bleibender Aktualität für Jesu Hörer, an verschiedenen Punkten seines Jesusbuches auftaucht. So nach der Darstellung der Basileia- Botschaft (inklusive Gericht) erneut bei der Analyse von Konfliktsituationen und der Erörterung des Verhältnisses Jesu zu Israel. Gnilka konstatiert hier, dass Jesu Sammelbewegung in Galiläa bzw. Israel offenbar weitgehend gescheitert ist und seine Gerichtsworte deshalb einen schärferen Ton annehmen. 56 Daher ist es nach den Symbolhandlungen Jesu in Jerusalem zu urteilen nicht mehr so verwunderlich, dass die Gerichtsdimension für Jesus auch im ,Abendmahlssaal, noch einmal präsent werden musste, wo er im Angesicht seines Todes offenbar eine neue Bundesstiftung auf neuer Basis ins Auge gefasst hat.57 Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das alles so gewesen sein kann wie in dieser ausgewogenen Darstellung vorgetragen! Das Jesus buch von G. TttEISSEN und A. MERZ 58 schließlich, das seinen Leserinnen und Lesern wohl zur Zeit den bequemsten Weg zu umfassender Information und eigener Urteilsbildung bietet, versucht die beiden genannten Ansätze also Täufer- und Basileiabezug der Gerichtsbotschaft Jesu zu verbinden und zu einer integrierenden, hermeneutisch reflektierten Gesamtsicht vorzustoßen: »Der Täufer verkündigt das Gericht, öffnet aber einen Weg zum Heil durch die Taufe. Jesus verkündigt das Heil, droht aber im Hintergrund mit dem Gericht. Je größer das in der Gegenwart angebotene Heil, um so unerbittlicher das Gericht gegen alle, die sich vom Heil aus- 7 schließen. Je größer das drohende Gericht, um so überwältigender aber auch das Heil, das allen zugesagt wird«. 59 Damit ist-wie durch D.C. Allison gegenüber dem uneschatologischen Jesus im Umkreis des Jesus-Seminars -auch in unseren Breiten die Gegenposition zum >gerichtslosen< Jesus etwa bei H. Weder umfassend formuliert und begründet. 60 1.3. Spezialuntersuchungen zur Gerichtsverkündigung J esu Auch drei Spezialuntersuchungen sind erschienen, die das wieder erwachte Interesse anJesu Gerichtsverkündigung im Gefolge des >Third Quest< besonders deutlich belegen. Ich möchte die Arbeiten von M. REISER, 61 W. ZAGER 62 und C. RrNI- KER 63 in einem Quervergleich vorstellen. So unterschiedlich diese Untersuchungen hinsichtlich Materialauswahl und -gliederung angesichts der Fülle synoptischen Stoffes vorgehen, 64 so konvergent sind doch ihre Ergebnisse, die sich in acht Punkten zusammenfassen lassen: 1) Eschatologisches Denken gibt es im Judentum nirgends ohne Gerichtserwartung. Eschatologisches Heil kann ohne Gericht gar nicht gedacht werden, denn der Geschichtsbezug eschatologischer Hoffnung wird nirgends zugunsten einer reinen J enseitseschatologie preisgegeben (M. Reiser). Das gilt gerade auch für die Rede von der Gottesherrschaft (W. Zager). 2) »Dass Jesus mit einem letzten Ernst (auch) vom Gericht sprach, kann nach dieser Untersuchung nicht mehr bezweifelt werden.« 65 3) Die Kontinuität zwischen Täufer und Jesus ist ganz eng (Ankündigung des kommenden Gerichts gerade für Israel, Naherwartung, Notwendigkeit der Umkehr, Heilsangebot in der Gegenwart, doppelter Ausgang des Gerichts). Der Täufer fordert dazu auf, dem Zorngericht zu entgehen, um so Anteil am Heil zu haben. Jesus fordert dazu auf, sich dem anbrechenden Heil nicht zu verweigern und so dem Gericht zu verfallen. Mit einem Vergleich von M. Reiser 66 formuliert: das ist wie das Hervorkehren der jeweils anderen Seite derselben Medaille. 4) »Die Endgerichtsverkündigung des historischen Jesus möchte zur Umkehr aufrufen«.67 Die Grundintention ist paränetisch, auf Vermeidung des Gerichts ausgerichtet. Der Realitätsgehalt des 8 angekündigten Gerichts wird dadurch im Sinn des Sprechers natürlich nicht beeinträchtigt. Es geht nicht um bloße Bilder! Manche Gerichtsworte weisen gegenüber dieser primären Funktion eine größere Definitivität des Urteils und eine Perspektive des Rückblicks auf einen bereits als hoffnungslos erscheinenden Konflikt auf. M. Reiser und C. Riniker rechnen mit einer Art >zweiten Phase< in der Gerichtsverkündigung Jesu. 68 5) »Gegenstand des Gerichts sind nicht Sünden und Übertretungen der Tora im allgemeinen; Gegenstand des Gerichts ist ... allein die verweigerte Umkehr auf seine Botschaft hin«. 69 Damit erhält die Stellungnahme zu dieser Botschaft eine ganz außerordentliche Bedeutung: Gericht oder Errettung hängen an der Entscheidung ihr gegenüber. Jesus mahnt dazu, »die einmal getroffene Entscheidung für die Gottesherrschaft durchzuhalten und allen Verführungen zum Ungehorsam gegenüber dem von ihm verkündeten Willen Gottes entschlossen zu widerstehen«. 70 Letztlich bedeutet das aber: es geht im Gericht um die Stellungnahme zu Jesu Person, zu seiner Sendung überhaupt. Auch Jesu Gerichtsverkündigung bezeugt den >mehr-als-prophetischen< Anspruch, den Jesus für sich selbst als Träger der Basileia-Botschaft erhoben hat (so M. Reiser und C. Riniker). 6) Zumindest in Satanssturz und Dämonenaustreibungen zeigt sich, dass wie die Gottesherrschaft auch das Gericht schon eme Gegenwartsdimension umfasst. Auch das Gerichtshandeln Gottes hat in der Sendung Jesu schon angefangen. 7) In diesem Gerichtshandeln Gottes kommt die Umwertung der Werte, die Jesus in seiner Lebenspraxis begonnen hat, zu ihrem Durchbruch und Abschluss. 8)Jesus war Apokalyptiker in dem Sinn, dass er die aus der prophetischen Zukunftserwartung hervorgegangene apokalyptische Eschatologie des Frühjudentums übernommen, geteilt und in seiner prophetischen Botschaft aktuell reformuliert hat. Ernst, Originalität und Ziel dieser Gerichtsbotschaft sind so deutlich, dass sie »von Anfang an ein fester und für Jesus wichtiger Bestandteil seiner Verkündigung« gewesen sein muss. 71 Unterschiedliche Akzente und offene Fragen sind ebenfalls zu verzeichnen. Auf drei besonders wichtige sei hingewiesen: ZNT 9 (5. Jg. 2002) 1) Umstritten ist, ob sich aus der authentischen Jesusverkündigung ein zusammenhängendes und konsistentes Bild der Endgerichtsvorstellungen Jesu erheben lässt. Nach W. Zager ist das der Fall; nach M. Reiser hingegen werden in den Jesuslogien eher verschiedene, je traditionell vorgeprägte Gerichtsvorstellungen aufgenommen, ohne dass ein in sich >logisches< Gesamtbild entstehen würde. 2) Umstritten bleibt weiterhin die Menschensohnfrage. Hat Jesus gar nicht (W. Zager) oder von einer anderen Richtergestalt (M. Reiser) oder von sich selbst als dem Menschensohn gesprochen (C. Riniker)? 3) Offen ist schließlich die Frage nach Jesu Todesverständnis bzw. die Frage, ob seine Gerichtsverkündigung damit in einem Zusammenhang stehen könnte. Bei W. Zager kommt sie nicht in den Blick, während M. Reiser eine entsprechende Andeutung macht: Jesu »Weigerung, sich mit dieser naheliegenden Lösung zufriedenzugeben,72 führte ihn schließlich dazu, seinem Tod nicht nur bewusst entgegenzugehen, sondern ihn als >Lösegeld für viele< zu verstehen«. Jesu hätte seinen Tod also als Heilsgeschehen im Horizont des endzeitlichen Gerichts Gottes verstanden, ähnlich wie dann die vormarkinische Passionserzählung.73 Als Gesamtertrag dieses Literaturüberblicks ergibt sich mir, dass sich die Situation bezüglich der Gerichtsverkündigung J esu in der neueren Forschung gegenüber den Verdrängungs- und Eskamotierungsversuchen der exegetischen Tradition umfassend verändert hat. Jesus ist offensichtlichärgerlicherweise und unbrauchbarerweise 74 auch ein jüdischer Unheils- und Gerichtsprophet gewesen, fest verwurzelt im apokalyptisch-eschatologischen >Denkraum< seiner Zeit und sehr direkt bezogen auf die Probleme und Widersprüche der damaligen Gesellschaft, wenn sich nicht sehr viele Exegetinnen und Exegeten sehr getäuscht haben. 2. Jesu Gerichtsverkündigung Die folgenden Bemerkungen erheben nicht den Anspruch, über den gegenwärtigen Forschungsstand hinauszuführen. Es geht mir lediglich darum, gewisse Konvergenzen noch etwas herauszuheben und einige Akzente zu setzen. Zu- ZNT 9 (5. Jg. 2002) Christian Rinil<er Jesus als Gerichtspr-ediger? nächst mag es jedoch nützlich sein, das relevante Material, das in diesem Forschungsüberblick zur Diskussion stand, noch einmal kurz vorzuführen. 2.1. Gerichtsstoffe in der Verkündigung ]esu 75 Wichtig - und nach meiner Einschätzung jesuanisch sind: 1. Gerichtsworte: Q (Lk) 6,37; 10,13-15; 76 11,31f; 11,39-42.44.46.47f.(52); 12,4-7; 13,23f.; 13,25-27; 13,28f.; 13,34f; 17,34f.; 17,37; Mk 9,43.45.47par; 12,38-40(? ); 14,58par (vgl. 13,lf.); Mt 5,21f.; 19,28par; (Lk 6,24f. ? ); Lk 13,1-5. 2. Menschensohnworte: Q 7,31-34; 11,29f; 12,Bf; 12,40; (17,23f.); 17,26-30; Mt 10,23. 3. Umkehrungsworte: Mk 10,31par; Lk 14,llpar; vgl. Lk 17,33par. 4. Gerichtstexte mit Gegenwartsaspekt: alle Weherufe; Q 9,37; 10,10-12; Mk 11,15-17par; Lk (10,18); 12,49/ 5. Texte vom Gottesreich: Q 13,28f.; Mk 9,43.45.47par; 10,25; Mt 7,21 (Q anders); Mt 23,13f. (Q? ) (= Worte vom Hineingehen). 6. Gleichnisse: Q 6,43-45; 6,47-49; 7,31-34; (11,24-26); 12,35-38 (Q? ); 12,39f.; 12,42-46; 12,58f.; 14,16-24 (Q? ); 17,26-30; Mk 12,1-9; 13,28f.; 13,34-36; Mt 13,47f.; 18,23-34; 20,1-15; 21,28-31; 25,1-12; 25,14-30 (Q? ); Lk 12,16-20; 13,6-9; 16,1-8; 16,19-31. 7. Bildworte: Q 11,34f.; 14,34f. (Q? ); vgl. 17,23f. 8. Sprichwortartige Texte: Q 6,386; 12,2f.; 17,37; Mk 4,25par. 9. Apokalyptische Belehrung: die Gerichtsschilderung Mt 25,326-46 (Herkunft fraglich); vgl. Q 13,25-27. Diese Übersicht strebt weder Vollständigkeit noch definitive Urteile an. Sie kann aber begreiflich machen, warum die Forschung zu dem genannten Ergebnis gelangt ist; sie zeigt Schwerpunkte und besondere Akzente an und hilft Kurzschlüsse vermeiden. 2.2. Bemerkungen zur Interpretation Wenige Punkte, die mir besonders wichtig sind, möchte ich ausdrücklich hervorheben: 1. Jesu Gerichtsverkündigung ist ganz eng auf die >positiven< Inhalte seiner Botschaft bezogen. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür sind 9 die Wehesprüche gegen Pharisäer und Schriftgelehrte (Lk 11,39ff.par), ein äußerst polemischer, überspitzter, ja ungerechter Text, der totzdem auf Jesus zurückgehen dürfte und seine tiefsten Anliegen wie in einem Hohlspiegel reflektiert: Stichworte wie Ganzheitlichkeit, >Herz" Nächstenliebe, Zuwendung zu Marginalisierten und Sündern, dienen statt herrschen etc. fallen einem sofort ein. Ich kann mir von diesen Wehesprüchen her nur schwer vorstellen, dass es mit Pharisäern und anderen Gruppen keine Konflikte gegeben haben soll. Sie sind gerade Teil einer intensiven Auseinandersetzung, in der auch das Gesetzesverständnis (angesichts der Gottesherrschaft) auf dem Spiel stand. 2. Die Zentralstellung der Gleichnisse auch bei der Gerichtsthematik hat inhaltliche Bedeutung. Bilder, Geschichten setzen Selbstverantwortung und Fantasie frei. Die >Gerichtsvorstellungen< Jesu hingegen sind verzweifelt disparat. Jesu Gerichtsankündigungen (Logienstoff! ) sind ihm gleichzeitig prophetische Gewissheit und kontingent auf menschliche Antworten bezogen. 3. Verurteilungen sind deshalb selten, aber sie kommen doch vor (vgl. Q 11,47f.; 10,13-15; 13,34f.). Die Annahme sich zuspitzender Konflikte und sich abzeichnenden Scheiterns liegt hier in der Tat nahe. Offenbar war Jesus ein wenig kompromissbereiter Unruhestifter, der dogmatisch nicht immer abgewogen und korrekt >funktionierte<. 4. Ereignisse werden verschieden aufgefasst, schon wenn sie geschehen. Das gilt auch für die >schwierige, Tempelaktion J esu, ist aber kein ausreichender Grund, sie für unhistorisch zu halten. Sie kann für manche Zuschauer mit Unzufriedenheit über die Verwaltung des heiligen Ortes, für andere mit Gericht und angedrohter Zerstörung (vgl. Mk 14,58par), wieder für andere mit gefährlicher Anmaßung dieses >Propheten< zu tun gehabt haben. Sie wirkt auf mich wie ein Blitzeinschlag: Wir können zwar vermuten, dass sie mit Jesu eschatologischer Vision (und der Auffassung von seiner Rolle) etwas zu tun hatte, aber nicht mit ausreichender Deutlichkeit erkennen, was genau. 5. Dessen ungeachtet bedeutet es, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, wenn man die Gerichtsankündigungen J esu vergeschichtlicht und seine Naherwartung wegerklärt. Hat er sich aber darin geirrt, hat das weit reichende Konsequenzen für das apokalyptische Weltbild überhaupt, das er geteilt hat. 10 6.Der Anspruch, den Jesus für seine eigene Person bzw. Sendung in zahlreichen Gerichtstexten und Symbolhandlungen erhebt, ist über die Maßen erstaunlichwenn auch dem konform, was man in anderen Überlieferungskomplexen feststellt (Heilsverkündigung, Wunder, Nachfolge, Weisung, Tora-Auslegung). Wenn Jesus annahm, selbst zum Menschensohn-Richter erhöht oder >vollendet< (Lk 13,32) zu werden, fügt das all dem sachlich eigentlich nichts mehr hinzu, sondern klärt und verbindet nur manches. Trotz vorhandener Analogien (Henoch! ) bleibt ein solches Selbstverständnis für uns im Grunde nicht nachvollziehbar und wirkt >überspannt< oder sogar gefährlich. 7. Jesus hat vom göttlichen Gericht in seiner Verkündigung nicht nur in verschiedenen Zusammenhängen Gebrauch gemacht, er hat sich auch intensiv damit auseinander gesetzt. Das zeigt etwa sein Umgang mit der Gerichtsmetapher von der Ernte: manchmal zeichnet er das Gottesreich als so überwältigend große, starke und heilvolle Realität, dass es für das Gericht einfach keinen Platz mehr lässt und es gänzlich aus dem Blickfeld drängt (Mk 4,3-8; vgl. 4,26-29; 4,30-32). Bei der sonst meist negativ besetzten - Sauerteig- Metapher lässt sich Ähnliches beobachten (Lk 13,20f.). Immer geht es hier darum, Zutrauen zu den bescheidenen oder zweideutigen Anfängen zu wecken durch den Blick auf das große Ganze, das die Gerichtsperspektive überholt und in den Schatten stellt. Den Lohngedanken hat Jesus im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-15) sozusagen von innen her zersetzt, um ihn den >Frommen" die ihn als Vorwand missbrauchten gegenüber der Ankunft der Basileia (wie er sie verstand), aus der Hand zu nehmen. Menschliches Richten über andere hat er vom göttlichen Gericht her gerade nicht legitimiert, wie das nicht selten der Fall ist bei Gerichtspredigern und dann zu exklusiven Gruppenbildungen führt, sondern ihm den Riegel vorgeschoben (Mt 7,lf.par). Jesus hatte um eine schöne Formulierung von J. Becker zu verwenden eine >offene Familie Gottes< im Sinn. Und schließlich: Was bedeutet Lk 12,49f. - Geichtsfeuer versus Todestaufe in diesem Zusammenhang? 8. Es wäre lehrreich, die aufgezählten Punkte noch einmal durchzuschauen im Blick auf ihre inner-neutestamentliche N achgeschichte. Ver- ZNT 9 (5. Jg. 2002) schiedene Autoren (oder Gemeinden) haben an verschiedenen Stellen dieses Bildes anknüpfen können und J esu Gerichtsverkündigung in unterschiedlicher Intensität und Richtung weiter ausgebaut. Es ist hier nicht der Ort, dem weiter nachzugehen, aber eine Bemerkung soll doch gemacht werden: Das theologische Potential auch hinsichtlich der Gerichtsverkündigung, das in diesen zusammenhängenden, reflektierten Texten liegt, ist mindestens ebenso groß wie dasjenige der zerstreuten, kontextlosen Worte Jesu, die jede/ r zusammenfügen muss, wie es eben geht. 9. Der hier dargestellte Jesus ist ein sehr relativer, mit Grenzen, Nicht-Wissen, mangelhafter Systematik und problematischen Seiten behafteter. Neutestamentliche Theologie funktioniert für mich nicht nach dem Prinzip: das Ältere ist das Bessere, das Echte ,besser< als das Unechte in der synoptischen Tradition, und Jesus per se maßge blicher als Paulus, der Kolosserbrief oder Origenes. Es ist durchaus möglich, dass wir die am Anfang gestellten Fragen an die Gerichtsverkündigung, die ja die unseren sind, nicht mit Hilfe Jesu beantworten können und vielleicht angestoßen durch andere Stränge der Tradition eigene Antworten suchen und theologisch verantworten müssen. Sie können so wertvoll sein, wie wenn er selbst sie gegeben hätte, auch wenn sie neu sind. Das alles stellt aber doch die Frage nach dem bleibenden Ertrag, dem festzuhaltenden Minimum, dem Kriterium der unterschiedlichen und gegensätzlichen Rezeptionen, der Wahrheit. 3. Nachbemerkungen Wahrheit ist, wovon wir leben können. Die Gerichtsverkündigung Jesu gehört meiner Meinung nach dazu. Ich möchte das in diesem etwas aphoristischen Schlussabschnitt mit vier Zitaten andeuten. Zunächst zum Grundsätzlichen: Gericht, Ende, Umkehrung der Verhältnisse, Erlösung. »And yet, despite everything, for those who have ears to hear, Jesus, the millenarian herald of judgment and salvation, says the only things worth saying, for his dream ist the only one worth dreaming. If our wounds never heal, if the outrageous spectacle of a history filled with cataclysmic sadness is never undone, if there is nothing more for those who were ZNT 9 (5. Jg. 2002) slaughtered in the death camps or for six-year olds devoured by cancer, then Jet us eat and drink, for tomorrow we die. If in the end there is no good God to calm this sea of troubles, to raise the dead, and to give good news to the poor, then this is indeed a tale told by an idiot, signifying nothing.« 77 Jesu Gerichtsverkündigung könnte, in Verbindung mit seiner Gewissheit der Nähe des Heils (Mk 14,25), ein wesentlicher Hintergrund sein, um sein Todesverständnis zu erschließen. Hat er trotz Ablehnung und Gerichtsverfallenheit an dem festgehalten, an dem er immer festhielt, dem Heil der Königsherrschaft Gottes? Und was bedeutete das in dieser Situation? »If, however, Jesus' death did accomplish the real defeat of the evil that had infected Israel along with the rest of the world ... then this was good news not only for Israel but for the whole world.« »the death of Jesus still draws children, women, and men to the love of the one true God and, holding them in that love, sustains them not only in their personal living but also in their own wrestling with the powers of evil, giving them courage, like Janani Luwum, to stand up to the Caiaphases and Pilates of this world and to take the consequences.« 78 Kommt man dem, was Jesus gerade mit seiner negativen, bedrohlichen, verstörenden Gerichtsverkündigung ausdrücken und bewirken wollte, möglicherweise näher, wenn man danach Ausschau hält, wo und von wem zu seiner Zeit das genaue Gegenteil davon gesagt, gefeiert und propagiert wurde? Nämlich lauter Friede, Glück und Sicherheit in eine paradiesische Zukunft hinein ... »Da die Vorsehung, die unser Leben in göttlicher Weise durchwaltet, mit Eifer und Grossmut unserem Leben den schönsten Schmuck verliehen hat, indem sie Augustus hervorbrachte, den sie zum Wohl der Menschen mit Tugend erfüllte, als Retter für uns und unsere Nachkommen, der den Krieg beendet und den Frieden schafft, und weil der Kaiser nun durch sein Erscheinen die Hoffnungen aller früheren Zeiten überbot, weil er nicht nur die vor ihm lebenden Wohltäter überragte, sondern auch den künftigen jede Hoffnung nahm, es ihm zuvor zu tun, da schliesslich für die Welt der Geburtstag des Gottes der Anfang der durch ihn verursachten Freudenbotschaften war ... « (deshalb wird gemäss Vorschlag des Prokonsuls der Jahresanfang auf den kaiserlichen Geburtstag gelegt). 11 »Der aber hier ist der Held, der oft und oft dir verheissen, Augustus Caesar, der Spross des Göttlichen. Goldene Weltzeit bringt er wieder für Latiums Fluren.« 79 Ist J esu Gericht oder der Friede Caesars vorzuziehen? Wem dient was? »Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan! « 80 Anmerkungen 1 Sozialrevolutionär ist hier im Gegensatz zu politischrevolutionär (im Sinn der heute nicht mehr vertretenen Jesusdeutung etwa von S.G.F. Brandon) zu verstehen. 2 R.A. Horsley,Jesus and the Spiral ofViolence. Popular Jewish Resistance in Roman Palestine, San Francisco 1987. 3 Sie zeigen gerade »Jesus' concern for the renewal of the whole society« (Horsley, Jesus, 199). 4 »Thc liberating action or kingdom of God should ... not be thought of as God's ,intervention in history (and human expcricnce)«< (Horsley, Jesus, 169; gegen N. Perrin, Rediscovering the Teachings of Jesus, New York 1967). 5 Horsley, Jesus, 320. 6 M.J. Borg, Conflict, Holiness & Politics in the teachings of Jesus (Studies in the Bible and Early Christianity 5), New York/ Toronto 1984. 7 Vgl. den von K. Berger geprägten Begriff einer offensiven, ansteckenden (gegenüber einer ängstlich-defensiven) Heiligkeit, z.B. ders., Wer war Jesus wirklich? , Stuttgart 1995, 38. 8 Borg, Conflict, 209. 9 Borg, Conflict, 219. 10 Vgl. Borg, Conflict, 216-218 (im Anschluss an G.B Caird und A. Wilder). 11 M.J. Borg, Jesus. Der neue Mensch, Freiburg/ Basel/ Wien 1993. Neuerdings scheint sich mit der Betonung der mystischen Gotteserfahrung J esu auch die f uturische Dimension des Gottesreiches bei ihm wieder stärker bemerkbar zu machen; vgl. M.J. Borg/ N. T. Wright, The Meaning of Jesus. Two Visions, London 2000, 75. 12 J.D. Crossan, Der historische Jesus, München 1994; ders., Jesus. Ein revolutionäres Leben, München 1996. 13 Vgl. auch die Zusammenfassung von J.D. Crossan, Jesus and the Kingdom: Itinerants and Householders in Earliest Christianity, in: M.J. Borg (Hrsg.), Jesus at 2000, Oxford 1997, 21-53. 14 Crossan, Jesus and the Kingdom, 34. 15 R.W. Funk, R.W. Hoover and the Jesus Seminar, The Five Gospels. The Search for the Authentie Words of Jesus, New York 1993; sowie R.W. Funk and the Jesus 12 Seminar, The Acts of Jesus. The Search for the Authentie Deeds of Jesus, San Francisco 1998. 16 Einreihung in diesem Abschnitt bedeutet noch keine Zuordnung Jesu zu einem bestimmten religionsgeschichtlichen ,Typ<: in solcher Weise apokalyptisch-eschatologisch ausgerichtet oder mitgeprägt kann neben einem apokalyptischen Schriftsteller auch ein Prophet, ein Weisheitslehrer, ein Pharisäer, ein essenischer Frommer, ein Wundercharismatiker, ein Widerstandskämpfer oder Messiasprätendent gewesen sein - und er war das im Judentum vor 70 n.Chr. in der Regel wohl auch. Meine Einteilung sagt deshalb auch nichts darüber aus, wie nah die in dieser zweiten Gruppe zu nennenden Forscher und Forscherinnen Jesus zu gesellschaftsverändernden Impulsen oder Bewegungen sehen oder wie >politisch< ihr Jesusbild ist. 17 B.F. Meyer, The Aims of Jesus, London 1979, der grundlegende Anregungen für den ,Third Quest< gab. Nur erwähnt sind in der folgenden Liste wichtige Jesusbücher dieser Ausrichtung, die den Gerichtsaspekt entweder nicht ausführlich behandeln oder nicht in den Vordergrund stellen. 18 Vgl. zuletzt G. Vermes, The Religion of Jesus the Jew, London 1993 (Jesus war ein galiläischer Wundercharismatiker ein wichtiger Aspekt! - und ein eschatologischer Enthusiast). 19 J.H. Charlesworth, Jesus within Judaism. New Light from Exciting Archaeological Discoveries (ABRL), New York 1988. 20 J .P. Meier, A. Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus., Bd. I: The Roots of the Problem and the Person; Bd. l[: Mentor, Message, and Miracles (ABRL), New York 1991/ 1994. Im Gegensatz zu verbreiteten Globalurteilen im ,Third Quest< istJ.P. Meier zu Recht bei der mühevollen Arbeit mit Echtheitskriterien geblieben (vgl. Bd. I S. 167-195); die Bedeutung des ThEv wird wieder skeptischer eingeschätzt (Bd. I S. 124-139). Umsicht, Methodik und Genauigkeit stechen in dieser Jesusdarstellung wohltuend hervor. 21 B.D. Chilton, God in Strength. Jesus' Announcement of the Kingdom, Sheffield 2 1987. ,Gottesreich, beinhaltet im damaligen Kontext zunächst immer das machtvolle Kommen des Gottes Israels in Person. 22 Berger, Jesus, nutzt die Gerichtsbotschaft als Ausgangspunkt zur Distanzierung J esu von modernen Lesebrillen. 23 J. Roloff,J esus, München 2000 (ebenso kurz wie informativ; zum Gericht vgl. S. 78f.). 24 D. Sölle/ L. Schottroff, Jesus von Nazaret, München 2000 (hauptsächlich die Trostfunktion der Eschatologie wird betont). 25 E.P. Sanders, Jesus and Judaism, Philadelphia 5 1989; vgl. ders., The Historical Figure of Jesus, London 1995. 26 Grundlegend: E.P Sanders, Paul and Palestinian Judaism: A Comparison of Patterns of Religion, Philadelphia 1977. (Phase I der Jesusforschung wäre die Periode von H.S. Reimarus bis A. Schweitzer, Phase II nach ZNT 9 (5. Jg. 2002) meinem Urteil von E. Käsemann bis zum ,Jesus-Seminar<; dazwischen das >Loch< der dialektischen Theologie). 27 Damit ist die Hoffnung auf Befreiung und Wiedergeburt Israels (aufgrund des Bundes) durch Gottes wunderbares Eingreifen in die Geschichte gemeint. Die Sammlung der zwölf Stämme, ein neuer Tempel und der Einbezug von Heiden können dazugehören. »In general terms it may be said that ,Jewish eschatology< and >the restoration of Israel< are almost synonomous« (Sanders, Jesus, 97). 28 »The belief in judgment and punishment, which was intimately tied to the view that God is just, remained undiminished. Belief in the punishment or destruction of the wicked, and just retribution against even the righteous for their transgressions, is so common that it is almost unnecessary to give examples« (Sanders, Jesus, 113). 29 Sanders, Jesus, 73. 30 Sanders,Jesus,319. 31 N.T. Wright, Jesus and the Victory of God (Christian Origins and the Question of God, vol. 2), Minneapolis 1996; vgl. auch Borg/ Wright, Meaning. 32 Borg/ Wright, Meaning, 50 (ab and indicating im Original gesperrt). Die Zahlen sind von mir eingefügt. 33 D.h. als ,restoration of Israel< nach der Terminologie von Sanders. 34 Darin weicht Wright von Sanders, der die Gegenwartsaussagen vom Gottesreich herunterspielt, stark ab. 35 »His critique of, and warning to, his contemporaries, and his challenge to a different way of being Israel, were based on his firm belief that he was charged by Israel's God with inaugurating the kingdom« (Borg/ Wright, Meaning, 39). 36 Borg/ Wright, Meaning, 40; vgl. ausführlich Wright., Jesus, 320-368. 37 Borg/ Wright, Meaning, 41. Nach Mk 13, einem für Wright jesuanischen Text (vgl. ders., Jesus, 339-367), ist die Israel geschichtlich drohende Katastrophe genauso eschatologisches Ereignis (und Bewahrheitung des Anspruchs Jesu), wie in der Errettung seiner Nachfolger aus Jerusalem und der Verbreitung des Evangeliums Gottes König-Sein im vollen Sinn eingetretener eschatologischer Erfüllung hervortritt. Sternenfall und ,Kommen des Menschensohnes (zu Gott! )< hingegen (Mk 13,24-27) seien als symbolische Hinweise auf den endzeitlichen Charakter der zuvor angekündigten Geschehnisse zu verstehen (Wright, Jesus, 361-363). Das Problem der Naherwartung Jesu ist somit >gelöst< (Wright, Jesus, 365). 38 »Jesus temple action was an acted parable of judgment« (Borg/ Wright, Meaning, 45). 39 Borg/ Wright, Meaning, 47. 40 Borg/ Wright, Meaning, 98; vgl. Borg, Jesus, 540-611. 41 Vgl. auch Borg/ Wright, Meaning, 124f. zu Auferstehung und leerem Grab! Jesus setzt seine apokalyptische Weltsicht bei N.T. Wright in einer von Gott geschichtlich legitmierten Weise um, sodass es anders ZNT 9 (5. Jg. 2002) Christian Rinil<er Jesus als Gerichtsprediger? als bei A. Schweitzerschwierig wird, sich davon noch irgendwie zu distanzieren! 42 Ist ,Echtheitsargument< hauptsächlich die Vorstellbarkeit im zeitgenössischen Judentum, lässt sich in der Tat alles zusammenkombinieren. 43 Nach S. McKnight, A New Vision for Israel. The Teachings of Jesus in National Context (Studying the Historical Jesus), Michigan/ Cambridge, U.K. 1999, hat Jesus die Ereignisse des Jahres 70 n.Chr. ziemlich genau vorhergesehen, die dahinter liegende Zukunft immerhin noch umrisshaft in grossen Zügen. 44 D.C. Allison, Jesus of Nazareth. Millenarian Prophet, Minneapolis 1998. Die Stichworte folgen der Beschreibung a.a.O., 81-94. 45 Vgl. Allison, Jesus, 61: »Pacific cargo cults, Jewish messianic groups, Amerindian prophetic movements, and Christian sects looking for the end of the world«. 46 Im ersten Schritt (Faktum eines vorgängigen Gesamtbildes) stimmt er mit Wright überein, im zweiten geht er hingegen weit methodischer zu Werk (vgl. das ganze erste Kapitel seines Buches, bes. S. 51-58). 47 Allison, Jesus, 172-216. Sie betrifft insbesondere Sexualität und Ehe. 48 Vgl. Allison, Jesus, 46f. (Material); 131-136. 49 Allison, Jesus, 134. 50 Allison, Jesus, 153 (gegen C.H. Dodd, T.F. Glasson, G.B. Caird, N.T. Wright). 51 Allison, Jesus, 217. 52 J. Becker, Jesus von Nazareth, Berlin/ New York 1996. 53 Die religionsgeschichtliche Aufarbeitung des Basileia- Begriffs von der Zionstheologie her sowie deren Eschatologisierung, Dynamisierung und Liturgisierung im Frühjudentum zeigt sehr gut, dass Jesus durchaus in unterschiedlicher Weise von der Basileia gesprochen haben kann (vgl. Becker, Jesus, 100-121). 54 Becker, Jesus, 400-413. Mit dieser Position, die wie die Darstellung gezeigt hat einen zentralen Punkt in der Neubewertung des Gerichtsaspekts bei Jesus betrifft, steht J. Becker im ,Third Quest< ziemlich alleine da. Die Gerichtsdimension tritt spürbar zurück. Zumindest seinem Wesen nach ist Jesus ,endzeitlicher Heilsprophet< (S. 272), ohne dass die andere Seite noch erwähnt zu werden braucht. 55 J. Gnilka, Jesus von N azaret. Botschaft und Geschichte (HThK Supplementband III), Freiburg/ Basel/ Wien 1990. 56 »Die Gerichtsworte geben die Einsicht frei, dass Jesu Wirken, das ein ausschließlich auf Israel ausgerichtetes gewesen ist, erfolglos war. Die Masse des Volkes lehnte ihn ab, verstand ihn nicht« (Gnilka, Jesus, 201). 57 Der Gedanke des Neuen Bundes »berücksichtigt (... ) in angemessener Weise die Ablehnung der Botschaft durch die Mehrheit des jüdischen Volkes .... Jesus hat somit seinem Tod eine heilseffiziente Wirkung zugesprochen« (Gnilka, Jesus, 288). 58 G. Theissen/ A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996. 13 59 Theissen/ Merz, Jesus, 250f. Zur Interpretation der Gerichtspredigt Jesu: Sie ist grundsätzlich Umkehrpredigt; die Gegenwart ist Entscheidungszeit (die eschatologische Scheidung beginnt schon); Unheil ist selbstgewählt und selbstverschuldet (a.a.O., S. 242f.; vgl. S. 244f.). Nützlich ist auch die Zusammenstellung der Bildbereiche, denen Jesus seine Gerichtsmetaphern entnimmt (a.a.O., S. 243f.): königliche Richtertätigkeit; Gerichtsverhandlung, Prozess; Rechenschaftsablage vor Höhergestelltem; Ernte; Ausschluss vom (eschatologischen) Mahl; diverse Katastrophenbilder. Die Adressierung der Gerichtsbotschaft schwankt zwischen pauschalem Angriff auf ,dieses Geschlecht< und individualisierender Konfrontierung des einzelnen, was gut zusammenpasst: alle sind zur Umkehr aufgerufen (a.a.O., S. 245f.). 60 Diese Gegenposition ist bei Theissen/ Merz, Jesus, 254f., bewusst bezogen. 61 M. Reiser, Die Gerichtspredigt Jesu. Eine Untersuchung zur eschatologischen Verkündigung Jesu und ihrem frühjüdischen Hintergrund (NTA 23), Münster 1990. 62 W. Zager, Gottesherrschaft und Endgericht in der Verkündigung Jesu (BZNW 82), Berlin/ New York 1996. 63 C. Riniker, Die Gerichtsverkündigung Jesu (EHS 23/ 653), Bern u.a. 1999. 64 W. Zager behandelt nach Gattungen geordnet die Gerichtstexte des Markusevangeliums. M. Reiser unterscheidet das Gericht über Israel (Lk ll,31f. Q; 10,13-15 Q; 13,28f. Q; 14,16-24 Q? ; angefügt: Lk 13,1-5; ,Ernte-Texte<; Mt 19,28 Q? ) von Gerichtsworten, die an einzelne gerichtet sind (Mt 18,23-35; Lk 12,57-59 Q; Lk 16,1-8), ohne dass eine inhaltliche Differenz zwischen beiden Gruppen besteht. C. Riniker versucht, nach Gerichtskriterien zu ordnen: nicht-spezifizierte Gerichtsankündigungen/ konkretisierbare Verhaltensweisen bzw. Adressaten: Pharisäer und Schriftgelehrte; Reiche und Mächtige; generelle Umkehrforderungen sowie gerichtsbezogene Mahnworte/ die ,Parusiegleichnisse< (mit inhaltlich ähnlichem Skopus)/ schließlich >Verhalten gegenüber Jesus bzw. seiner Botschaft< als spezifisch jesuanischer Kernbereich. Die Menschensohnfrage wird aus diesem Grund immer wichtiger im Verlauf der Untersuchung. Michael Fischer/ Diana Rothaug (Hrsg.) Das Motiv des Guten Hirten in Theologie, Literatur und Musik Mainzer Hymnologische Studien 5, 2002, 323 Seiten, div. Abb., € 48,-/ SFr 79,30 ISBN 3- 7720-2915-9 65 Reiser, Gerichtspredigt, 293. 66 Vgl. Reiser, Gerichtspredigt, 307. 67 Zager, Gottesherrschaft, 315. 68 Sie fehlt bei W. Zager vermutlich deshalb, weil er die entsprechenden Texte (aus Q) nicht behandelt hat. 69 Reiser, Gerichtspredigt, 302. 70 Zager, Gottesherrschaft, 315f. (Hervorhebung C. R.). 71 Reiser, Gerichtspredigt, 313. Vgl. Zager, Gottesherschaft, 316. 72 Gemeint ist der Verzicht auf ,ganz Israel< und die Sammlung eines Heiligen Rests. Zitat: Reiser, Gerichtspredigt, 304. 73 Reiser, Gerichtspredigt, 295, betont auch die Kontinuität zwischen Jesus und Q: »Der Stellenwert, den die Gerichtspredigt in der Logienquelle einnimmt, entspricht genau dem, den sie in der Verkündigung Jesu hatte.« AndersJ.S. Kloppenborg, The Formation of Q. Trajectories in Ancient Wisdom Collections (Studies in Antiquity and Christianity), Philadelphia 1987. 74 Das ist nicht als rhetorische Floskel gemeint, sondern zugespitzt meine Erfahrung nach sechs Jahren Pfarramt: ,Gericht, haben die Leute, mit denen ich es in der Regel zu tun habe, meist selbst schon genug. Dazu brauchen sie mich nicht. 75 Vgl. die guten Zusammenstellungen des Materials bei Borg, Conflict, 266-276 und Allison, Jesus, 46f. 76 Gesperrt gedruckt sind Texte, die das Gericht direkt mit Jesus (oder einem Aspekt seines Wirkens) in Beziehung bringen. 77 Allison,Jesus, 219. 78 Borg/ Wright, Meaning, 51.107. Erzbischof Janani Luwum wurde 1977 in Uganda von den Soldaten des Idi Amin mehrfach entführt, gefoltert und dann ermordet (a.a.O., S. 95). 79 Priene-Inschrift mit einem Kalendererlass von 9 v.Chr., zitiert nach H.-J. Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis (Kohlhammer-Studienbücher Theologie 9/ 2), Stuttgart/ Berlin/ Köln 1996, 51. Zweites Zitat: Vergil, Aeneis 6,791-793 (a.a.O., S. 43). Tiberius konsolidierte und förderte den Kaiserkult. 80 Jesus zugeschrieben Mt 25,40. Daß es nicht nur gute, sondern auch schlechte Hirten gibt darin sind sich die Bibel, Dante und Pink Floyd einig. Der Band nähert sich diesem doppelten Aspekt mit Blick auf theologische, literarische und musikalische Aktualisierungen des Motivs. Die 14 Autoren, junge Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen, beleuchten die reiche Motivgeschichte von der Spätantike bis zur Gegenwart. Dabei erstreckt sich das Spektrum von Vergil bis Trakl, von Bach bis Bernstein. A. Francke Verlag · Tübingen und Basel · Postf. 2560 · D- 72015 Tübingen · Fax (07071/ 75288) 14 ZNT 9 (5. Jg. 2002)