eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 5/9

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2002
59 Dronsch Strecker Vogel

Hat Jesus die Hölle gepredigt? Gericht, Vorherbestimmung und Weltende im frühen Christentum

121
2002
Günter Röhser
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Günter Röhser Hat Jesus die Hölle gepredigt? Gericht, Vorherbestimmung und Weltende im frühen Christentum Es sind ein Hauptstichwort und drei Fragenkreise, die der vorliegende Beitrag zur Gesamtthematik dieses Heftes beisteuert. Das Hauptstichwort ist »Zukunftserwartungen«: Wir fragen nach »Zukunftserwartungen« bei Jesus bzw. im frühen Christentum; und wir konzentrieren uns dabei auf die eher düsteren bzw. besonders problematischen Aspekte dieses Themas, nämlich die Fragenkreise »Gericht und Hölle«, »Freiheit und Vorherbestimmung« sowie »Zukunft und Weltende«. Ich deute zunächst die Aktualität und den inneren Zusammenhang der drei Fragenkreise an und entfalte sie dann nacheinander, jedoch in unterschiedlicher Ausführlichkeit. Den breitesten Raum werden dabei die Fragen rund um den Begriff »Hölle« sowie die eigentliche Themafrage »Hat Jesus die Hölle gepredigt? « einnehmen. 1. Die Aktualität des Themas Spätestens seit dem katholischen Weltkatechismus von 1993 und dem Buch des Papstes von 1994 (»Die Schwelle der Hoffnung überschreiten«) sind auch die Protestanten herausgefordert, sich wieder stärker mit den Fragen nach dem ewigen Leben, nach Gericht und Hölle, überhaupt nach der Zukunft der Welt und des Menschen in ihr auseinander zu setzen. Die damit verbundenen Vorstellungen die sich gerade auch in der Verkündigung J esu von N azareth finden, wie sie in den Evangelien des Neuen Testaments überliefert ist scheinen den Menschen vor eine selbstverantwortliche Entscheidung über Leben und Tod zu stellen. Es kommt darauf an, den Willen Gottes zu erkennen und zu tun und so das Leben zu gewinnen. Auf der anderen Seite finden sich im Neuen Testament auch Gedanken über eine ewige Vorherbestimmung zum Heil (also eine vorgängige Festlegung des Menschen durch Gott), die dem zu widersprechen scheinen. Und schließlich ist eine befriedigende Antwort auf diese Fragen erheblich erschwert durch den nahezu vollständi- 26 gen Verlust einer Sprache für die Zukunft und das Ende der Welt, für die Zukunft und das Leben des Menschen nach dem Tode in der Theologie ebenso wie in der kirchlichen und religionsunterrichtlichen Praxis der Gegenwart. Ein religionsgeschichtlicher Zugang zur Thematik kann vielleicht helfen, sich über diese existenziellen Fragen klarer zu werden. Im »Katechismus der Katholischen Kirche« (dt. München u.a. 1993) wird die Hölle als »Zustand der endgültigen Selbstausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott und den Seligen« definiert (Nr. 1033) und dazu ausgeführt: »Die Lehre der Kirche sagt, daß es eine Hölle gibt und daß sie ewig dauert. Die Seelen derer, die im Stand der Todsünde sterben, kommen sogleich nach dem Tod in die Unterwelt, wo sie die Qualen der Hölle erleiden, ,das ewige Feuer<. Die schlimmste Pein der Hölle besteht in der ewigen Trennung von Gott, in dem allein der Mensch das Leben und das Glück finden kann, für die er erschaffen worden ist und nach denen er sich sehnt« (Nr. 1035; der letzte Satz wird als Kurztext Nr. 1057 in drei kurzen Sätzen wiederholt). Johannes Paul II. beklagt in seinem genannten Buch (dt. Hamburg 1994) mit Recht einen Verlust der individuellen Eschatologie, d.h. der Frage nach der persönlichen Zukunftserwartung eines jeden Menschen über den Tod hinaus, und meint in diesem Zusammenhang, die Prediger, Katecheten und Erzieher hätten »den Mut verloren, >mit der Hölle zu drohen<. Und vielleicht haben selbst die, die ihnen zuhören, keine Angst mehr davor« (S. 209). Diese Formulierungen sind sicher problematisch (auch wenn das Drohen mit der Hölle in Anführungsstriche gesetzt ist), ebenso wie die Rede des Katechismus von den ewigen Höllenqualen (auch wenn als die schlimmste Pein nicht das konkrete »Feuer«, sondern negativ die Trennung von Gott bezeichnet wird), und haben mit Recht Unruhe hervorgerufen. Aber sie erinnern die Protestanten doch nur an ihr eigenes problematisches Erbe. Ich erinnere daran, dass das Augsburger Bekenntnis von 1530 im Art. 2 ZNT 9 (5. Jg. 2002) Günter Röhser Günter Röhser, Jahrgang 1956, Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen, Heidelberg und Neuendettelsau. Promotion (1986) und Habilitation (1993) in Heidelberg. Pfarrer der Evang.- Luth. Kirche in Bayern, nach Lehrtätigkeit in Bamberg und Siegen seit 1997 Professor für Bibelwissenschaft, Schwerpunkt Neues Testament, an der RWTH Aachen. Forschungsschwerpunkte: Religiöse Vorstellungen der (biblischen) Antike, paulinische Theologie. »Von der Erbsünde« lehrt, dass diese »alle die unter den ewigen Gotteszorn verdammt, die nicht durch die Taufe und den Heiligen Geist wieder neu geboren werden.« Und in Art. 17 heißt es, dass Christus bei seiner Wiederkunft zum Gericht »die gottlosen Menschen ... und die Teufel in die Hölle und zur ewigen Strafe verdammen wird.« Dort werden sie »ewige Pein und Qual haben«. 1 Jedenfalls ist mit den zitierten katholischen Äußerungen die Feststellung von Georges Minois überholt, die er 1994 in seinem berühmten Buch über die Hölle gemacht hat: »Am frappantesten ist es, feststellen zu können, daß nach Jahrhunderten obsessionellen Beharrens auf die ewigen Strafen ein vollständiges Schweigen auf diesen irritierenden Punkt der Doktrin gefallen ist. Die letzte Intervention traditioneller Art von seiten eines Papstes ist die Pius' XII., der am 23. März 1949 bekräftigte: ,Die Predigt über die grundlegenden Wahrheiten des Glaubens und die letzten Dinge hat in unseren Tagen nicht nur nicht an Berechtigung verloren, sondern ist sogar notwendiger und dringlicher geworden als je zuvor, sogar auch die Predigt über die Hölle ... <«. 2 ZNT 9 (5. Jg. 2002) 2. Begriff und Vorstellung der Hölle Nun soll aber in diesem Beitrag nach der Stellung Jesu (gemäß den Evangelien) zu diesem Problemkreis gefragt werden. Hat Jesus selbst die Hölle gepredigt bzw. gelehrt, so wie dies augenscheinlich die zitierten Texte tun? Wollten wir spitzfindig sein, so könnten wir antworten: Jesus konnte von der Hölle gar nichts wissen, denn diese ist ja eigentlich ein Bestandteil der germanischen Mythologie (von altnordisch hel) und stellt dort das unterirdische Totenreich jenseits des Todesflusses bzw. die Totengöttin selbst dar. Primär hat man dabei an ein »Reich der Schatten«, nicht der Leiden und Qualen zu denken, neben dem aber so etwas wie eine eigentliche Hölle steht: Niflhel = »das dunkle Verborgene« (hel dürfte mit dt. »verhehlen« im Sinne von »verbergen« sprachlich verwandt sein). 3 Ähnlich dem griechischen »Hades« ist »Hölle« erst im Laufe der geschichtlichen Entwicklung bzw. letztere erst unter christlichem Einfluss zur Bezeichnung für einen Ort wirklicher Strafen geworden. Selbstverständlich gibt es aber auch in der jüdisch-christlichen Religion, die uns hier zu beschäftigen hat, von Haus aus entsprechende Vorstellungen von einem Totenreich, einer Unterwelt und v.a. solche von einem jenseitigen Straf- und Peinort. Im Griechischen des Neuen Testaments finden sich drei Vokabeln für diesen Bereich, die sich wie folgt übersetzen lassen: a) abyssos, die »Unterwelt«, der »Abgrund«; in ihr befinden sich b)der hades, das »Totenreich« (als Begriff und als Name des Totengottes aus der griechischen Mythologie bekannt; hebr. scheol) sowie c) der Strafortgeenna (dies ist das Wort, das wir in heutigen deutschen Bibelübersetzungen normalerweise mit »Hölle« wiedergeben 4 ). Gehenna ist ursprünglich ein Landschaftsname (hebr. Ge-Hinnom, übersetzt: »Tal des Hinnom«) und bezeichnet eine Talschlucht südlich von Jerusalem, in der in alttestamentlicher Zeit Kinderopfer dargebracht wurden weswegen der Ort in Verruf geriet und zum »Tal der Verfluchten« werden konnte, d.h. zum künftigen Gerichtsort für die Frevler, und schließlich zur Bezeichnung für den jenseitigen Strafort der Verdammten selbst. Nach zeitgenössischer jüdischer - und damit auch neutestamentlicher - Anschau- 27 ung ist dieser Ort wesentlich durch Feuer, Wurmfraß und/ oder Finsternis gekennzeichnet (zum Feuer siehe z.B. Mt 5,22; lHen 90,26f.; 4Esr 7,36-38). 5 Auch solche Vorstellungen gehen letztlich auf das Alte Testament zurück; man vergleiche etwa Mk 9,48 (»wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt« als Schilderung des Höllenortes) mit Jes 66,24. 6 Die Befindlichkeit der Menschen an diesem Ort wird mit dem Begriffspaar »Heulen und Zähneknirschen« umschrieben (z.B. Mt 13,42.50; 22,13; vgl. lHen 108,3.5: »Schreien und Klagen«): Sie sind Ausdruck der Verzweiflung der Verdammten über ihre Situation, wie besonders Lk 13,28 zeigt: »Da wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr Abraham, Isaak, Jakob und alle Propheten im Reich Gottes seht, euch aber als Vertriebene draußen! « 7 Zwei wichtige Beobachtungen sind an dieser Stelle festzuhalten: 1. Es ist deutlich, dass das Neue Testament auch an den weltbildhaften Voraussetzungen seiner Zeit partizipiert, d.h. konkret an dem dreistöckigen Weltbild von Himmel, Erde und Unterwelt. 8 Die Frage für uns ist, ob mit der räumlichen Beschreibung und der kosmologischen Ortsbestimmung (»Topographie«) der Hölle die gesamte damit verbundene Erwartung bzw. Erfahrung dahinfällt oder ob es auch weiterhin Sinn macht, von einer Hölle zu reden. Längst ist z.B. auch erkannt worden, dass schon im Alten Testament das Totenreich (die scheol) nicht auf eiµen bestimmten kosmologischen Ort zu beschränken ist, sondern Verderben bringend darüber hinaus, in die Welt der Lebenden hinein wirkt (etwa in Gestalt von Krankheit und Not). 9 So zeichnet sich exemplarisch die Möglichkeit eines Redens von der »Hölle« ab, ohne diese topographisch festzulegen. Nichts anderes tun wir, wenn wir alltagssprachlich von der »Hölle auf Erden« reden. 2. Man darf die innere Logik der mit dem Thema »Hölle« verbundenen Vorstellungen nicht überstrapazieren. In wichtigen Einzelheiten gehen die verschiedenen Zeugnisse und Belegstellen teilweise weit auseinander. Dies mag als gewichtiger Hinweis darauf verstanden sein, dass man die fraglichen Aussagen theologisch nicht für bare Münze nehmen darf, sondern ihren mythologischen Charakter beachten muss. D.h., sie beziehen sich auf eine Wirklichkeit »hinter« und »jenseits« von Raum und Zeit und dürfen nicht als 28 vordergründige »Informationen« oder buchstäbliche Tatsachenbehauptungen verstanden werden. Die Systematisierung der Höllenvorstellungen zu einer geschlossenen dogmatischen Anschauung beginnt vielmehr erst in der patristischen Theologie, genauer noch: bei Augustinus und Gregor dem Großen nach der sog. »konstantinischen Wende«. Nachdem das Christentum zur Staatsreligion geworden ist, gewinnt eine konsistente Lehre von den Höllenstrafen zunehmende Bedeutung als Disziplinierungsinstrument der Kirche gegenüber den christlichen Massen. 10 3. Jesus und die Hölle Nach diesen ersten Vorklärungen wollen wir nun möglichs't klar und präzise die Themafrage beantworten. »Hat Jesus die Hölle gepredigt? « Antwort: Er hat nicht die Hölle gepredigt, aber er hat sicherlich von ihr gesprochen. Nun mag man vielleicht diese Unterscheidung von »die Hölle predigen« und »von ihr sprechen« für spitzfindig halten. Das ist sie aber keineswegs sie ist vielmehr für meine gesamten Ausführungen sehr wesentlich. Deswegen zur Erläuterung zunächst so viel: Wenn ich »etwas predige«, »etwas verkündige«, dann mache ich dieses zu einem Hauptinhalt meines Redens. So kann ich z.B. »das Evangelium predigen«. Hingegen kann ich über viele, auch wichtige Dinge »sprechen«, ohne sie deshalb zum Zentrum meines Redens und Verkündigens zu machen. Es ist deshalb zu fragen, wie sich bei Jesus das Reden von der Hölle zum Zentrum seines Wirkens verhält. Jesus ist wahrscheinlich aus dem Kreis um Johannes den Täufer hervorgegangen. Mit ihm teilt er die grundlegende Erwartung eines kommenden göttlichen Gerichts über Israel (und die Völker). Dabei gilt, dass Israel sich nicht mehr auf seinen Status als auserwähltes Volk Gottes, als »Kinder Abrahams« berufen kann, sondern dass wie schon in den Gerichtsvorstellungen des voraufgehenden apokalyptischen Judentums jeder Einzelne, auch und gerade jeder Israelit, individuell von Gottes Zorn bedroht ist und dafür verantwortlich, sich vor ihm zu bewahren. Für beide - Johannes wie Jesus ist die Sündhaftigkeit, Umkehr- und Erneuerungsbedürftigkeit Israels so radikal, dass Gott nunmehr ein letztes Angebot ZNT 9 (5. Jg. 2002) macht und sodann mit dem richtenden Eingreifen Gottes jederzeit zu rechnen ist. Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen den beiden Lehrern, auf die aber hier nicht näher einzugehen ist. Für unsere Zwecke reicht es aus festzustellen: Während der Täufer sich auf den Bußruf beschränkt, vermittelt Jesus eine ganz einzigartige Gemeinschaft und Nähe Gottes durch seine eigene Person, und zwar auch und gerade für diejenigen, die bisher eher von solcher Gemeinschaft ausgeschlossen schienen: die sog. »Zöllner und Sünder«, die Armen und die Kranken. Ihnen wendet sich Jesus zu, weil er an ihnen zeichenhaft, exemplarisch das Wirken Gottes deutlich machen kann, weil es ihnen in besonderer Weise gilt. In solchervollmächtigen ZuwendungJesu und seiner Ankündigung des Reiches Gottes, dessen Heraufführung jene Zuwendung dient, sehe ich das Zentrum des Wirkens Jesu. Dies ändert aber nichts daran, dass es für die Anhängerschaft Jesu, für seine Nachfolgerinnen und Nachfolger auf die Scheidung von den Ungerechten, auf die Annahme seiner Botschaft und das Jünger-Sein jetzt (die Bejahung seiner Sendung und seines Anspruchs) ankommt. Die Entscheidung fällt in der Gegenwart, in jedem Augenblick. Deswegen ist es eigentlich auch nicht zutreffend, von einem »offenen Ende« im Hinblick auf den Gerichtsausgang zu sprechen. Denn das Ende ist nicht offen, sondern hat sich immer schon seit dem Beginn der Predigt Jesu je individuell entschieden und entscheidet sich immer wieder. Am Ende, im Gericht »wird nur offenbar, was immer schon geschah«; 11 Heil und Unheil werden aufgedeckt. Aber gegenüber dem Gedanken einer »Vorherbestimmung« hält der genannte Begriff zutreffend fest, dass es tatsächlich noch um Entscheidungen geht, die nicht von Gott vorgängig festgelegt sind.12 Man kann also im Zusammenhang mit der Verkündigung Jesu nicht von einer »Vorherbestimmung« sprechen, wohl aber von einer neuen und letzten Möglichkeit, das Leben zu gewinnen, die es ohne die Wirksamkeit und die Verkündigung Jesu nicht gäbe. Dass die Menschen grundsätzlich die Fähigkeit besitzen, diese Möglichkeit des Heils zu ergreifen und den Willen Gottes zu tun, wird dabei von Jesus fraglos vorausgesetzt. Es wird ihnen allenfalls durch das vollmächtige Auftreten J esu besonders »leicht gemacht« (wenn man so sagen darf) insbesondere, ZNT 9 (5. Jg. 2002) Gi.inter Röhser Hat .Jesus die Hölle gepredigt? wenn sie sich mit ihm beschäftigen, wenn sie bei ihm bleiben, wenn sie sich zu ihm halten. Der Mobilisierung und Motivierung jener Fähigkeit dient auch das fallweise Reden Jesu von der Hölle. Es fügt sich insofern aufs Beste der »Hauptstoßrichtung« des Wirkens Jesu ein. Spätestens an dieser Stelle ist aber die Frage nach der tatsächlichen Authentizität der Rede Jesu von der Hölle unabweisbar. Angesichts der verhältnismäßig wenigen Texte, in denen die oben genannten Vokabeln im Munde Jesu vorkommen (hades: Mt 11,23 par Lk 10,15; Mt 16,18; Lk 16,23; geenna: Mt 10,28 par Lk 12,5; Mt 5,22; 23,15.33; Mk 9,43.45.47 par Mt 5,29.30 und 18,9; abyssos fehlt, vgl. aber Lk 8,31), kann man fragen, ob es sich nicht ebenso gut um nachösterliche Gemeinde- oder Evangelistenbildungen handeln kann. In vielen Fällen wird man diese Frage letztlich für unentscheidbar halten müssen, da eindeutige Kriterien fehlen. Ein einigermaßen deutliches Indiz für eine negative Entscheidung hat man nur bei Mt 16,18 (sog. kirchengründendes Wort Jesu) und 23,15.33 (Rede gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer) zur Hand, da es sich in beiden Fällen um Sondergut mit sehr stark matthäischem Gepräge handelt. Aber im Ganzen ist ein solches Vorgehen mit zu großen Unsicherheiten belastet, als dass man die Beantwortung der Authentizitätsfrage ·allein von der Ermittlung vermeintlich »echter« Worte Jesu abhängig machen könnte. »Aussichtsreicher ist es, sich ein wesentliches (sie! ) bescheideneres Ziel zu stecken: Statt der ipsissima verba et / acta gilt als Ziel der Suche die ipsissima intentio Jesu.« 13 Ziel der gesamten historischenJesusforschung kann es von daher nur sein, »dass aus zahlreichen Einzelbeobachtungen ein facettenreiches Mosaik aus vielen Steinchen entsteht, das ohne Zweifel fragmentarisch bleibt, dessen Themen, Farben und Konturen aber erkennbar sind ... «. 14 Bezogen auf unser Thema heißt das: Das Motiv der Hölle ist eine kleine, aber nicht unwichtige Facette in dem Mosaik des Wirkens und Redens Jesu, das seine kräftigsten Farben in der Reich-Gottes-Botschaft und der vollmächtigen Zuwendung J esu (wie oben beschrieben) gewinnt. Die »Hölle« ist dabei dem Entscheidungsruf Jesu zu- und untergeordnet, der Notwendigkeit einer klaren und eindeutigen, positiven Stellungnahme zu seiner Person und Botschaft, die gelegentlich auch mit drastischen Mitteln eingeschärft wird. 29 Immerhin ist festzustellen, dass auch Einzeluntersuchungen der genannten Texte mit Hilfe der gängigen positiven und negativen Echtheitskriterien15 zu einer verhältnismäßig großen Übereinstimmung darüber geführt haben, dass zumindest Mt 5,29f. par Mk 9,43.(45.)47 und Lk 10,13-15 par Mt 11,21-23 als authentisches Jesusgut zu betrachten sind. 16 Als Echtheitskriterium wird dabei in beiden Fällen gerne u.a. die »hyperbolische Sprache« angeführt.17 In Lk 10,15 par Mt 11,23 dürfte sogar die Zuspitzung zu einer definitiven (d.h. unwiderruflichen) Verdammung in die Hölle vorliegen (vgl. auch das alttestamentliche »Vorbild« in Jes 14,11-15) die allerdings Kapernaum als Stadt und nicht bestimmten einzelnen Menschen gilt. Der Übergang von einer Warnung zu einer absoluten Unheilsankündigung ist hier wohl vollzogen. 18 Das Wort dürfte deshalb an den Abschluss der weithin erfolglosen galiläischen Wirksamkeit J esu gehören. 19 Um in den damit - und schon eingangs dieses Beitrages angesprochenen grundsätzlichen theologischen Fragen weiterzukommen, müssen wir die genannten Texte in einen größeren Zusammenhang stellen. 4. Eine Vielfalt von Vorstellungen Betrachten wir die Gerichts- und Höllenaussagen Jesu und des Neuen Testaments im Rahmen des zeitgenössischen Judentums, so finden wir eine große Vielfalt von Einzelzügen und -vorstellungen, die sich untereinander nicht harmonisieren lassen. Für unseren Zusammenhang ist wichtig, dass es auch Stellen gibt, die auf die Hölle keinen Bezug nehmen. So betrifft nach einer älteren Anschauung, die aus dem Alten Testament stammt und sich z.B. in 2Thess (bes. 1,7-9) widerspiegelt, das Gericht Gottes nicht alle Menschen, sondern nur seine Feinde; und zwar werden diese beim Hervortreten Gottes bzw. des wiederkommenden Christus sofort und auf ewig vernichtet. Dahinter steht die alte Tradition vom Vernichtungsgericht Gottes über die Feinde Israels bzw. über die Heidenvölker (vgl. Jer 10,25; Jes 66,6.14-16). Die notwendige Scheidung wird nach Lk 17,34f. (wie im Falle Lots in Sodom: V.28f.) am frühen Morgen bei der Ankunft des Menschensohnes 30 (von Engeln) in den Häusern der Menschen vollzogen: Der eine von den männlichen Mitgliedern des Hauses, die noch auf dem Gemeinschaftsbett ruhen, wird zum Menschensohn mitgenommen, der andere wird zurückgelassen. Und von den Frauen, die bereits aufgestanden sind und mit dem Mahlen des Korns begonnen haben, wird die eine mitgenommen und die andere zurückgelassen. Über die Zurückbleibenden ergeht sogleich analog der Sintflut und dem Untergang Sodoms ein radikales Vernichtungsgericht. 20 Hingegen wird die große Scheidung nach dem bekannten Gleichnis vom Weltgericht in Mt 25,31-46 vor dem Thron des Weltenrichters = Menschensohnes von diesem selbst vollzogen, und die Verurteilten werden in ein bereits existierendes ewiges Feuer geschickt, welches primär für den Teufel und seine Engel bestimmt ist. Ganz entsprechend werden auch in Offb 19,20 und 20,10.14f. sowohl der Teufel und seine Helfershelfer (einschließlich des personifizierten Hades! ) als auch diejenigen Menschen, die nicht im Buch des Lebens stehen, in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt, und dort in alle Ewigkeit gequält (siehe auch 21,8). 21 Keine Einigkeit besteht auch über die genaue Lokalisierung des Strafortes (sowie über den Zeitpunkt des Gerichts): Hält lHen 27,2f. das bereits genannte Hinnom-Tal für jenen Ort, so sucht2Hen 10 ihn im dritten Himmel; und im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19-31) kommt der Reiche nach seiner Beerdigung sofort für immer an den hier griech. hades = »Totenreich« genannten Ort, wo er sich nicht nur in der Flammenglut befindet, sondern auch in der Ferne jenseits einer unüberbrückbaren Kluft den seligen Lazarus in Abrahams Schoß sehen kann (hier ist wiederum für die Vorstellung von einem alle umfassenden Weltgericht am Ende der Geschichte [»in den letzten Tagen«] kein Raum 22 ). Hintergrund ist die pagan-griechische Vorstellung vom Hades, der »in verschiedene Abteilungen unterteilt ist« (Elysium und Tartarus). 23 Und auch nach 4Esr 7,85.93a befinden sich die Seelen der Gottlosen und der Frommen nach dem Tode miteinander im selben Bereich, so dass sie sich gegenseitig sehen können sie haben aber nach diesem Zwischenzustand ihr endgültiges (eschatologisches) Geschick noch vor sich (V.83f.87.93b.95ff.). 24 Nach Joel 4 findet das Gericht über die Völker im Tal Josaphat statt. ZNT 9 (5. Jg. 2002) In Mt 10,28 werden die Jünger ermahnt und ermuntert, sich nicht vor denen zu fürchten, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern vielmehr denjenigen zu fürchten, der Leib und Seele verderben kann in der Gehenna. Hier ist die Hölle nicht als Stätte ewiger Qualen gesehen, sondern als der Ort, in welchem Gott, der letzte Richter, die untreuen und ungerechten Menschen gewissermaßen »ganzheitlich« (mit Leib und Seele) vernichtet; die Seele selbst ist hier gerade nicht als unsterblich gesehen. Dazu passt eine weitere Vorstellung wenige Verse weiter: In V.32f. wird zum furchtlosen Bekenntnis aufgerufen unter Hinweis auf das letzte Gericht, in welchem Gott selbst, der himmlische Vater (Jesu), als der Herr des (himmlischen) Gerichts auftritt, »vor« dem Jesus sein über Leben und Tod entscheidendes Zeugnis über die Menschen bzw. die Jünger ablegen wird. 5. Theologische Auswertung Die Zahl der Beispiele ließe sich fast beliebig vermehren -wir müssen hier abbrechen und ein Fazit versuchen: Die Erwartung eines Gerichts ist für weiteste Bereiche des frühen Judentums und Christentums konstitutiv und unverzichtbar; die Vorstellung einer ewigen Qualenhölle ist dies nicht zumindest nicht im gleichen Ausmaß. Der gemeinsame Nenner, die Grundüberzeugung dieser allgemeinen Gerichtserwartung lautet: Spätestens am Ende ihres Lebens bzw. der Weltgeschichte werden alle Menschen dem heiligen Gott bzw. dem Menschensohn begegnen; und diese Begegnung kann und wird für viele schmerzlich sein. Der Grund dafür liegt schlicht darin, dass die Menschen am Ende endgültig den Folgen ihres Tuns ausgeliefert werden; und angesichts des Zustandes der Welt ist die Prognose ungünstig. Aussagen über die Beschaffenheit einer Hölle oder über die Identität von deren möglichen Insassen (Lk 10,15! ) können hinzutreten, sind aber nicht unbedingt erforderlich. Ebenso kann aber auch der Gedanke einer endgültigen Vernichtung im Vordergrund stehen. Im Sinne meiner obigen Begriffsverwendungen kann man also legitimerweise von einer jüdisch-christlichen Gerichtsverkündigung und Gerichtspredigt spre- ZNT 9 (5. Jg. 2002) chen, nicht aber von einer »Höllenverkündigung« oder »Höllenpredigt« gerade auch bei Jesus nicht. 25 Allerdings zögere ich, in gleicher Weise auch von einer biblischen»Lehre vom Gericht« zu sprechen (allenfalls im Sinne der eben formulierten allgemeinen »Grundüberzeugung«) - und dann natürlich von einer »Lehre von der Hölle« schon gar nicht. Bei dem Wort »Lehre« denkt man nämlich an unverrückbar feststehende (»ontologische«), gewissermaßen berechenbare Sachverhalte. Im Falle des negativen Gerichtsausgangs stehen dem aber zwei wichtige und grundlegende Einsichten der biblischen Exegese entgegen: 1. Es gibt im Wesentlichen zwei Aussagezusammenhänge, in denen Gerichts- und Höllenvorstellungen eine Rolle spielen: Entweder die bedrängte Gemeinde wird ihrer Hoffnung versichert, dass ihre Bedrängnis durch das Böse und die Bösen bald ein Ende haben wird, dass also Gott nicht mehr lange zuschauen wird (so etwa in der Offb ); oder die Christen werden ermahnt, ganz ernst zu machen mit dem eingeschlagenen Weg des Glaubens an Jesus Christus. 26 In den meisten Fällen besitzen die Gerichtsaussagen kein Eigengewicht; sie werden nicht um ihrer selbst willen gemacht, um irgendetwas vorherzusagen, sondern besitzen eine bestimmte Funktion. Wir sprechen von paränetischer, d.h. ermahnender oder warnender, und von tröstender Funktion. Es geht also nicht darum, die Bösen auf ihre Bosheit festzulegen oder den Christen mit einer sicher bevorstehenden Hölle zu drohen, sondern das Ende ist »offen« in dem oben dargelegten Sinne, dass es auf die richtigen Entscheidungen und Veränderungen jetzt ankommt (vgl. Mt 5,29f.). Ein kurzer Blick auf den Kontext der bereits zitierten Jesusworte und -gleichnisse zeigt dies: Jetzt ist noch die Zeit, auf Mose und die Propheten zu hören und sich am Besitzverzicht zugunsten der Armen zu beteiligen, um der drohenden Bestrafung der Reichen zu entgehen (Lk 16). Matthäus weiß, dass auch die Gemeinde Jesu von Versagen bedroht ist und immer wieder hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Deshalb fordert er sie zu einem furchtlosen Bekenntnis zu Jesus mit ihrer ganzen Existenz auf, indem er dieses zugleich als den Weg darstellt, der endgültigen Vernichtung der gesamten Existenz in der Hölle zu entgehen (Mt 10). Im Gleichnis vom Weltge- 31 richt (Mt 25,31-46) wird die unbedingte Liebe zum notleidenden Nächsten als die entscheidende Möglichkeit eingeschärft, dem Weg ins ewige Feuer zu entgehen; denn: »Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan! « Ziel aller dieser Texte und Aussagen ist es zweifellos, die Zuhörer- und Adressatenschaft vor der Hölle zu bewahren. Aber so ist zu fragen leben sie damit nicht von der prinzipiellen Möglichkeit, dass die Hölle »leer« bleibt? Man bräuchte dann genau genommen die Existenz der Hölle, biblisch gesehen, weder zu behaupten noch zu bestreiten, denn wenn sie »leer« bliebe, würde die Frage nach ihrer Existenz als solcher zu einer rein akademischen Angelegenheit. Freilich: Die Wahrscheinlichkeit, dass dem so sein wird, ist nach unseren Zeugnissen eher gering; denn »eng ist das Tor, das zum Leben führt, und wenige sind es, die dahin finden« (Mt 7,14) aber doch ist auch dieses wiederum nur gesagt, damit die Angeredeten nur um so entschlossener sich auf den Weg machen und um so sicherer zum Leben gelangen. »Wenige sind es ... « ist also mit Sicherheit keine lehrmäßige Feststellung, kein »Lehrsatz«, sondern eher eine »paradoxe Intervention«, die geradezu das Gegenteil von dem bezweckt, was sie aussagt es sollen nämlich möglichst viele werden, die ins Leben eingehen! 27 In ähnlicher Weise würde ich mit den eingangs zitierten Aussagen aus dem Weltkatechismus und der Confessio Augustana umgehen. Abzulehnen ist es, die Existenz einer ewigen (Qualen-)Hölle als Lehrbzw. Bekenntnisaussage verstehen zu sollen. Ebenso wenig kann man aber auch das Gegenteil die Nicht-Existenz der Hölle oder gar eine »Allversöhnung« lehrmäßig festschreiben. Doch kann man solches vielleicht erhoffen oder von Gott erbitten. Und was das Gericht angeht, so sollte der Grundsprechakt der Gerichtsverkündigung nicht das Drohen, sondern das Warnen sein. Denn dass es tödliche Gefahren für das Leben gibt, ist unbestreitbar. Anders ausgedrückt: Die »Hölle« existiert schon allerorten; man muss sie nicht erst theologisch erfinden. Und wenn Gott barmherzig und »gerecht« ist - und diese Kombination kann vielleicht als das Grundaxiom biblischer Theologie überhaupt gelten-, kann er dann die zahllosen Opfer einfach ignorieren, die die Geschichte bereits gefordert hat? Kann er über das 32 unvergebene, nicht wiedergutzumachende Versagen der Christen für immer hinwegsehen? 2. Die andere biblische Grundeinsicht ist die Überzeugung vom unbedingten, ja universalen Heilswillen Gottes. Bei Ezechiel heißt es wiederholt: Gott hat kein Gefallen am Tod des Sünders, sondern vielmehr daran, dass er umkehrt und am Leben bleibt. Joh 3,16f. formuliert: »Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er den einziggeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn nicht sandte Gott den Sohn in die Welt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.« lTim 2,4 lesen wir: »Nach Gottes Willen sollen alle Menschen Rettung finden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.« Und 2Petr 3,9 sekundiert: »Der Herr will nicht, dass irgendjemand umkomme, sondern vielmehr, dass alle den Weg zur Umkehr finden.« Dieser Strang biblischer Hauptaussagen berechtigt und verpflichtet in Verbindung mit dem oben Gesagten m.E. theologisch, eine Lehre vom Heil Gottes zu entfalten, und in der Verkündigung, nicht Gericht oder gar Hölle, sondern die Verheißung unzerstörbaren Lebens in den Vordergrund zu stellen. Denn der biblische Gott ist Leben und will nichts anderes als Leben. Er schickt nicht in die Hölle, sondern will die Menschen aus der selbst gemachten und selbst verschuldeten Hölle befreien. Und diejenigen, die sich hartnäckig diesem Befreiungsversuch widersetzen, werden von ihm eindringlich gewarnt manchmal auch mit drastischen Mitteln (z.B. apokalyptischen Höllenschilderungen). Dass sich beides (Gerichts- und Heilsverkündigung) nicht ausschließt, zeigt auch eine Formulierung wie Lk 3,18: Johannes verkündete die Frohbotschaft mahnend (parakalon eueggelizeto). Das Partizip bezieht sich auf die allgemeine Umkehr- und Gerichtspredigt des Täufers, das Hauptverbum des Satzes auf deren Ziel: Sündenvergebung und Heil (vgl. V.3.6.17). So wird deutlich, dass das eine die notwendige Kehrseite des anderen ist. 6. Zur Hölle vorherbestimmt? Bei allem, was bisher gesagt wurde, ist deutlich, dass von einer Verantwortlichkeit des Menschen ZNT 9 (5. Jg. 2002) für das Ergreifen von Gottes Heil und für sein Darin-Verbleiben ausgegangen wird. Nun gibt es aber unstreitig in der jüdischchristlichen Tradition (wenn auch nicht bei Jesus) einen breiten Strang von Vorherbestimmungs- und Prädestinationsaussagen, die diesem eben genannten Grundsachverhalt zu widersprechen scheinen. Klären wir zunächst wieder die Begriffe: »Vorherbestimmung durch Gott« meint eine zeitlich vorgängige, endgültige Festlegung von Menschen durch Gott im Hinblick auf deren Verhalten oder Ergehen - oder auch von Ereignissen und Sachverhalten. »Prädestination« ist in diesem Rahmen zu verstehen als individuelle Zuspitzung des Vorherbestimmungsgedankens im Hinblick auf eschatologisches Heil und Unheil. Noch bevor Menschen sich selbst entschieden haben oder überhaupt nur entscheiden konnten, hat Gott schon ihr ewiges Schicksal festgesetzt. Röm 8,28 und 29 heißt es, dass »Gott denen, die ihn lieben (! ), alles zum Guten ausgehen lässt. Sind sie es doch, die er nach seinem Vorsatz berufen hat. Denn sie, die er zuvor erwählt hat, hat er im Voraus dazu bestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichgestaltet zu werden ... «. Eph 1,4 preist Gott als denjenigen, der in Christus die Gemeinde vor Anbeginn der Welt erwählt - und sie damit im Voraus (V.5) zum ewigen Heil bestimmt hat. Ich füge gleich hinzu, dass das Neue Testamentim Unterschied zum apokalyptischen Judentum und insbesondere zu einigen Qumran- Texten eine Prädestination von Menschen zum Unheil nicht kennt: 28 Die einzige Aussagenreihe, die in diese Richtung weist in Röm 9 im Hinblick auf den nicht-christlichen Teil Israels -, wird von Paulus in Röm 11 korrigiert; und bestimmte Passagen bei Johannes werden m.E. zu Unrecht in prädestinatianischem Sinne interpretiert. Dies ändert aber nichts am Grundproblem: Wie können die Verantwortlichkeit des Menschen auch den Christen steht ja, wie wir gesehen haben, das »Gericht« (als die Begegnung mit Gott) bevor - und der Vorherbestimmungsgedanke nebeneinander bestehen? Religionsgeschichtlich gesehen wäre es völlig verfehlt, hier einen Gegensatz oder auch nur eine Spannung zwischen beiden Aussagereihen zu finden. Denn zugrunde liegt im Alten Testament und frühen Judentum ein komplexes Modell religiöser Wirklichkeitsdeutung, welches mit der ZNT 9 (5. Jg. 2002) Giinter Röhser Hat Jesus die Hölle gepredigt? späteren Frage nach der Willensfreiheit des Menschen nichts zu tun hat. In diesem Modell und der darauf aufbauenden Theologie geht es vielmehr um die Frage nach Gottes Anwesenheit in der Geschichte und im Leben des Einzelnen und um die vom Ende her gestellte - Frage nach dem Sinn des Ganzen überhaupt. In meiner Studie »Prädestination und Verstockung«, die der gründlichen Untersuchung all dieser Fragen gewidmet ist, 29 habe ich dieses Modell versuchsweise als einen »Raum des In-Wirkens« beschrieben, in welchem der Mensch mitsamt seinem selbstverantwortlichen Handeln an das von Gott vorherbestimmte Ziel seines Daseins gebracht wird. Was ist der Ort eines solchen Denkens und Redens? Dazu verweise ich noch einmal auf jene beiden Aussagezusammenhänge, in denen wir die oben besprochenen Gerichts- und Höllenvorstellungen verankert fanden: Versicherung der Zukunftshoffnung und Ermahnung zu ernster Nachfolge. Prädestinationsvorstellungen stehen dazu nicht in Konkurrenz, sondern verschärfen vielmehr diese Intentionen. Sie sollen sozusagen die Zukunftsgewissheit »perfekt« machen und zur »Ermahnung« die »Gewissheit des Vollbringens« hinzufügen. In Röm 8 ist es so, dass Paulus der durch Leiden angefochtenen Gemeinde die Gewissheit ihres Heils zusprechen will. Alle Leiden und Bedrängnisse der Gegenwart (vgl. V.18.35) müssen und werden den Christen zum künftigen Heil ausschlagen. Dies schließt ein, dass der Apostel sie gleichzeitig zum Durchhalten ihrer Liebe gerade jetzt, in der gegenwärtigen, angespannten Situation anhalten und ermuntern will: Diejenigen, die nach Vorsatz Berufene sind, sind keine anderen als diejenigen, die selber Gott lieben und lieben sollen und so zu ihrem Heil wirken. In Phil 2,12f. heißt es: »Mit Furcht und Zittern wirkt euer Heil, denn Gott ist es, der unter euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt gemäß seinem erwählenden Wohlgefallen.« Mit diesen Worten will Paulus die Gemeinde in Philippi zu äußerstem Engagement (v.a. in der Wahrung ihrer Einmütigkeit: V.1-4) motivieren, indem er sie an die Verankerung ihres Wollens und Tuns im umfassenden Wirken Gottes erinnert. Dieses erstreckt sich von der Gegenwart (die durch die Erwählung und die Nähe Gottes gekennzeichnet ist) bis in die eschatologische Heilszukunft (die »Rettung«) und 33 verleiht dem Handeln der Gemeinde in der Gegenwart eine übergreifende Perspektive und Sinnhaftigkeit wie auch höchste Dringlichkeit. Nur in der Gemeinde Jesu ist Gott in dieser einzigartigen Weise durch seine Nähe zugleich ermächtigend wie fordernd präsent. Ganz und gar getragen und bestimmt vom macht- und heilvollen Wirken Gottes können, sollen und werden die Philipper »mit Furcht und Zittern« vollbringen, was Paulus von ihnen verlangt. In Gottes »Sphäre« sind sie dazu ermächtigt, ihre Heilsvollendung zu wirken. Daraus ergibt sich noch einmal klar: Prädestinationsaussagen stehen nicht in Konkurrenz zu Gerichtsaussagen, sondern thematisieren vielmehr den tragenden und bergenden Grund, auf dem die Christen getrost ihrer Begegnung mit dem heiligen Gott entgegengehen können. Hat Jesus auchnach allem, was wir erkennen können nicht die Vorherbestimmung gepredigt, so sind Prädestinationsaussagen doch eine legitime Entfaltung und Weiterentwicklung der von ihm verkündigten und mit ihm verbundenen Heilsbotschaft, welche wir »das Evangelium« nennen. Für eine »Vorherbestimmung zur Hölle« ist darin kein Platz. 30 Joachim Jeremias hat überzeugend gezeigt, dass auch das bekannte Diktum im Munde Jesu: »Viele sind berufen, wenige aber auserwählt« (Mt 22,14) nicht in prädestinatianischem Sinne zu verstehen ist. 31 Vielmehr paraphrasiert er wie folgt: »(Unübersehbar) groß ist die Zahl derer, die (zum Festmahl) eingeladen sind, aber nur wenige werden zur Heilsgemeinde gehören« (»viele« ist hier semitisch inkludierend im Sinne von »alle« zu verstehen), und führt dazu aus: »Nicht von Prädestination ist hier die Rede, sondern von Schuld. Der Ruf ist unbegrenzt, aber nur klein ist die Zahl derer, die ihm folgen und gerettet werden.« 32 Aber doch wird auch dieses Jesuswort als Abschluss des Gleichnisses vom königlichen Gastmahl (Mt 22,1-14) mit seiner Warnung vor dem Hinauswurf in die Hölle (V.11-13) nicht anders denn als »paradoxe Intervention« (wie Mt 7,14) gemeint sein, die das Gegenteil von dem intendiert, was sie sagt: Möglichst viele sollen der Einladung folgen und gerettet werden! 7. Zukunft und Weltende Wie steht es nun aber so ist nun abschließend zu fragen mit den Vorstellungen, die wir uns 34 von dieser Heilszukunft, von Weltende und Weltvollendung machen? Wie verhalten sie sich zu anderen Zukunftserwartungen in Bezug auf unsere Welt und Geschichte? Ich habe schon oben darauf hingewiesen, dass wir es hier mit mythischen Vorstellungen zu tun haben, die nicht gegenständlich-konkret zu verstehen sind. Schon die symbolreiche, ins Surrealistische übergehende Sprache und Bildwelt apokalyptischer Texte (wie z.B. Offb) hätte darauf aufmerksam machen müssen, dass man hier nichts wörtlich nehmen darf. Anders gesagt: Vom Ende der Welt, vom Weltgericht und der Vollendung des Reiches Gottes werden wir niemals aus den Fernsehnachrichten erfahren. Diese Ereignisse liegen nicht am Endpunkt unserer physikalisch-technischen Zeit genauso wenig wie die Schöpfung an deren Anfangspunkt -, sondern gleichsam quer dazu. Sie sind nicht identisch mit einer unserer hausgemachten militärischen oder ökologischen Katastrophen und auch nicht mit physikalisch-kosmischen Ereignissen (wie einem Meteoriteneinschlag oder dem Ende unseres Sonnensystems). Sie markieren vielmehr den Zusammenbruch unserer raum-zeitlichen Ordnung überhaupt und damit das Ende jeglicher Vorstellbarkeit: Die Sonne verliert ihren Schein, die Sterne stürzen vom Himmel, die Kräfte des Kosmos geraten ins Wanken (vgl. Offb 6,12-17; AssMos 10,4-6). D.h.: Jede uns bekannte Ordnung, unsere gesamte raum-zeitlich verfasste Wirklichkeit löst sich auf. Und genau dieses bedeutet das definitive Zusammenbrechen und Ende aller unserer Vorstellungen.33 Was »danach« kommt (der Ausdruck ist eigentlich schon falsch), ist ebenfalls nur noch in Bildern (von Auferstehung, von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, vom ewigen Leben und ewigen Tod bzw. von der Hölle) aussagbar. Eher schon besitzen die Endereignisse den Charakter einer »Mega-Vision«, 34 d.h. eines umfassenden Einblicks in die Tiefendimension der Wirklichkeit, einer Aufdeckung der wahren Machtverhältnisse. Und darüber kann nun in biblischer Sicht kein Zweifel sein: Sieger werden nicht die Täter, sondern die Opfer sein; nicht die Erfolgreichen und Tüchtigen als solche, sondern die Barmherzigen und Gerechten. Das Ziel wird die Wiederherstellung der Würde der Opfer und das Ende jeglicher Machtausübung von Menschen über Menschen sein. Aller wissenschaft- ZNT 9 (5. Jg. 2002) liehe Fortschritt, jegliches religiöse und politische Engagement, alles künstlerische Bemühen und jede Alltäglichkeit werden in strenger Ausschließlichkeit an dem einen und einzigen Kriterium gemessen werden, ob sie dem Miteinander in Barmherzigkeit und Gerechtigkeit gedient haben. Nur dann werden sie Bestand haben und Bausteine sein für Gottes neue Welt. Damit ist aber zugleich eine deutliche Grenze unseres Redens markiert. Denn unsere Erfahrung ist in der Regel davon bestimmt, dass wir eben Täter und Opfer zugleich sind, dass wir also diese klare Scheidung und Entscheidung gerade nicht vornehmen können und dürfen. Auch wenn uns parteiliches Engagement und das Bemühen um Eindeutigkeit immer aufgegeben sind die letzte Klarheit bleibt uns verwehrt und Gott allein vorbehalten. Wer diese Grenze (gerade hinsichtlich des Redens von der Hölle) nicht respektiert, verliert sich in Spekulation oder fundamentalistischer Willkür. Anmerkungen Zit. nach dem Evangelischen Gesangbuch, Ausgabe für die Evangelische Kirche im Rheinland u.a., Gütersloh u.a. 1996, 1365; 1371. 2 G. Minois, Hölle - Kleine Kulturgeschichte der Unterwelt, dt. Freiburg i.Br. 2000, 133. 3 Zur Etymologie vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. v. E. Seebold, Berlin/ New York 23 1995, 380f.; Hölle I: Religionsgeschichtlich (A. V. Ström), TRE XV, Berlin/ New York 1986/ 1993, 445-449: 445; 448. Ein Zusammenhang mit »Frau Holle« aus dem Märchen besteht hingegen nicht (gegen H. Bietenhard, Himmel/ Hölle, TBLNT NB 1, Wuppertal/ Neukirchen 1997, 953-972: 970). Diese ist eher mit Begriffen wie »hold« oder »Huld« zu verbinden. 4 Von den älteren Bibelübersetzern, besonders von Luther, wurden noch alle drei Begriffe mit »Hölle« wiedergegeben: vgl. Himmel/ Hölle (Bietenhard), 970. 5 Die Texte: »Wer aber sagt (sc. zu seinem Bruder): Du Dummkopf, soll verfallen sein hinein in die Hölle des Feuers« (Mt 5,22c). »Und ich (sc. Henoch) schaute in jener Zeit, wie sich eine gleiche Tiefe öffnete mitten auf der Erde (d.h. in Jerusalem! ), die voll von Feuer (war), und man brachte jene verblendeten Schafe (d.h. abtrünnige Israeliten), und sie wurden alle gerichtet und als Sünder (befunden), und sie wurden in jene Feuertiefe geworfen, und sie brannten; und diese Tiefe war zur Rechten jenes Hauses (d.h. südlich des Tempels). Und ich schaute jene Schafe, während sie brann- ZNT 9 (5. Jg. 2002) ten, und ihr Gebein brannte« (lHen 90,26f.; Übers. S. Uhlig, JSHRZ V 6, 702). »Dann (sc. beim Gericht) erscheint die Grube der Pein und gegenüber der Ort der Ruhe. Der Ofen der Hölle zeigt sich und gegenüber das Paradies der Wonne. Dann wird der Höchste zu den auferweckten Völkern sagen: Seht und erkennt den, den ihr geleugnet, dem ihr nicht gedient, dessen Gebot ihr verachtet habt. Schaut nun hinüber und herüber: Hier Wonne und Ruhe, dort Feuer und Pein. Das wird er zu ihnen am Tag des Gerichts sagen« (4Esr 7,36-38; Übers. J. Schreiner, JSHRZ V 4, 347). Es sei an dieser Stelle auch notiert, dass der Name der Hölle im Koran meistenteils annar (»das Feuer«), häufig aber auch gahannam (»Gehenna«) lautet: Hölle I (Ström), 446. 6 Siehe weiter: »Wehe den Völkern, die sich erheben gegen mein Volk. Der Herr, der Allherrscher, vollstreckt das Strafgericht an ihnen am Tag des Gerichts. Er gibt Feuer und Würmer in ihr Fleisch, sie werden klagen vor Schmerz in Ewigkeit« (Jdt 16,17; Übers. E. Zenger, JSHRZ I 6, 520f.). »Tief, tief beuge den Hochmut, denn das, was den Menschen erwartet, ist Gewürm«; LXX: »... denn die Strafe des Gottlosen ist Feuer und Wurm« (Sir 7,17; Übers. G. Sauer, JSHRZ III 5, 523). Aus der Erkenntnis der menschlichen Vergänglichkeit im hebräischen Text ist in der griechischen Version die Warnung vor dem eschatologischen Gericht geworden. Vgl. als innergeschichtliche Konkretion zu beiden Stellen das Strafgericht an Antiochus IV. Epiphanes nach 2Makk 9,5.9 (Würmer, Schmerz und Pein). 7 Vgl. auch LibAnt 18,12, wo Zähneknirschen Ausdruck der Reue über eine begangene Verfehlung ist. 8 Eine kurze zusammenfassende Beschreibung dieses »Weltbildes« z.B. bei A. Vögtle, Das Neue Testament und die Zukunft des Kosmos, Düsseldorf 1970, 38f.; vgl. 42. »Richtiger ist übrigens von kosmologischen Vorstellungen zu reden, da die Antike den Begriff ,Weltbild, im heutigen Sinne nicht kannte« (38). 9 S. zuletzt G. Kittel, Das leere Grab als Zeichen für das überwundene Totenreich, ZThK 96 (1999), 458-479, bes. 463-466. Kittel plädiert für ein metaphorisches und real-symbolisches Verstehen biblischer Texte, welches die »Transparenz und Hintergründigkeit« etwa der Rede vom Totenreich oder der Erzählung vom leeren Grab Jesu »wahrzunehmen bereit ist« (461). Bei aller Berechtigung und Notwendigkeit stößt dieser Ansatz bei der Ostererzählung an seine Grenze: Es leidet m.E. keinen Zweifel, dass der Evangelist Markus vom leeren Grab nicht nur als »Zeichen für das überwundene Totenreich« (Kittel), sondern auch und vor allem als einer real in Raum und Zeit wahrgenommenen Größe berichten will. Die real-symbolische Auslegung darf hier (wie bei allen »Wundergeschichten«) die real-faktische nicht verdrängen oder ersetzen, sondern muss sie ergänzen. 10 Vgl. Hölle II: Kirchengeschichtlich (T. Rasrnussen), TRE XV, Berlin/ New York 1986/ 1993, 449-455: 450. 35 11 K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen/ Basel 2 1995, 34. 12 Es kommt hier auf eine sorgfältige Begriffsbestimmung an. Da das Verhalten in der Gegenwart über das Ergehen in der Zukunft entscheidet, ist letzteres insofern natürlich in einem gewissen Sinne »vorherbestimmt«. Da ersteres jedoch (zumindest befristet) revidierbar ist, ist auch letzteres nicht »deterministisch« zu verstehen. 13 T. Söding, War Jesus wirklich Gottes Sohn? , ZNT 8 (2001), 2-13: 11 (im Anschluss an W. Thüsing). 14 Ebd. 15 Zur Diskussions. zuletzt Ch. Riniker, Die Gerichtsverkündigung Jesu (EHS.T; Bd. 653), Bern u.a. 1999, 51-60. Vgl. auch die Kontroverse zwischen K. Berger und W. Sehmithals »Kriterien für echte Jesusworte«, ZNT 1 (1998), 52-64, und zuvor J. Becker, Jesus von Nazareth, Berlin/ New York 1996, bes. 16-19. 16 Siehe z.B. das Jesus-Buch von J. Becker (s. die vorige Anm.) und die letzten großen Monographien zum Thema: M. Reiser, Die GerichtspredigtJesu. Eine Untersuchung zur eschatologischen Verkündigung Jesu und ihrem frühjüdischen Hintergrund (NTA 23), Münster 1990; W. Zager, Gottesherrschaft und Endgericht in der Verkündigung J esu. Eine Untersuchung zur markinischen J esusüberlieferung einschließlich der Q-Parallelen (BZNW 82), Berlin/ New York 1996; Ch. Riniker (s. die vorige Anm.). Zur Echtheit von Mk 9,43.47 par Mt 5,29f. äußern sich positiv: Becker, Jesus, 71-73; Zager, Gottesherrschaft, 210-223; Riniker, Gerichtsverkündigung, 178 (vgl. Reiser, Gerichtspredigt, 303, Anm. 43); zu Lk 10,13-15par: Becker, Jesus, 78-80; Reiser, Gerichtspredigt, 207-215; Riniker, Gerichtsverkündigung, 315-329 (bei Zager nicht behandelt). - Zu Lk 16,19H. äußern sich (ganz kurz) positiv nur Reiser, Gerichtspredigt, 310; Riniker, Gerichtsverkündigung, 134; zu Mt 5,22: Becker, Jesus, 359-361; Riniker, Gerichtsverkündigung, 188f.; zu Mt 10,28par: Riniker, Gerichtsverkündigung, 183-186. 17 Vgl. Becker, Jesus, 72; 79; Zager, Gottesherrschaft, 218; 222; Riniker, Gerichtsverkündigung, 181. 18 Vgl. zuletzt Riniker, Gerichtsverkündigung, 318f. Anders jetzt V. A. Lehnert, Die Provokation Israels. Die paradoxe Funktion vonJes 6,9-10 bei Markus und Lukas (NTDH 25), Neukirchen-Vluyn 1999, der ein Verständnis von Lk 10,13-15 als »ultimative Umkehrprovokation« vorschlägt (219f.; vgl. 258; 287). Wichtig ist seine grundsätzliche Feststellung: »Eine rhetorischen (sie! ) Provokation ist keine ontologische Verwerfung« (294; im Orig. kursiv). 19 Reiser, Gerichtspredigt, 214. 20 Zum Alltagshintergrund der Logien s. K. Berger, Manna, Mehl und Sauerteig. Korn und Brot im Alltag der frühen Christen, Stuttgart 1993, 45f. Der Gedanke einer radikalen Vernichtung findet sich z.B. auch in Hebr 10,27 (verzehrendes Feuer; vgl.Jes 26,11; auch Ez 22,31) oder lQH 4,20.26 (»ausrotten im Gericht«). 36 21 S. dazu A.E. Bernstein, The Formation of Hell. Death and Retribution in the Ancient and Early Christian Worlds, Ithaca/ London 1993, 258-260. 22 Anders Bernstein, Hell, 240f.; 246f., der in Lk 16,23ff. eine Beschreibung des Zwischenzustands sieht, in dem sich die Seelen der Verstorbenen bis zur Auferstehung und zum Endgericht gemäß Mt 25,31-46 befinden. 23 Zum erstenmal erkannt von H. Grotius, Annotationes in libros Evangeliorum, Amsterdam 1641; zit. nach W.G. Kümmel, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, Freiburg/ München 2 1970, 29. Ältester jüdischer Beleg ist lHen 22. Zur Gesamtauslegung der »Beispielerzählung« Lk 16,19-31 s. zuletzt K. Erlemann, Gleichnisauslegung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (UTB 2093 ), Tübingen/ Basel 1999, 240-251. 24 Im Sinne eines »besonderen Gerichts« der einzelnen Seele nach dem Tode nimmt auch der »Katechismus der Katholischen Kirche« auf das Gleichnis vom armen Lazarus Bezug (Nr. 1021-1022). 25 Noch zurückhaltender formuliert N. Walter, Die Botschaft vom Jüngsten Gericht im Neuen Testament, in: ders., Praeparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, hg. v. W. Kraus u. F. Wilk (WUNT 98), Tübingen 1997, 311-340: »Das Neue Testament verkündet das Evangelium, es spricht auch (als von einer Gegebenheit) vom Gericht .... gebotschaftet wird die Liebe Gottes, die Gnade seiner Zuwendung zu seinen Menschen ... « (340, übrigens im Widerspruch zur Formulierung des Aufsatztitels; Hervorhebungen im Orig.). 26 Ob auch direkte Appelle an Außenstehende (Juden oder Heiden, wie bei Jesus) vorkommen, hängt davon ab, inwieweit man neutestamentliche Texte (auch) an Nichtchristen gerichtet sein lässt. Vgl. die ähnliche Zusammenfassung der »Endgerichtsverkündigung des historischen Jesus« bei Zager, Gottesherrschaft, 315f. 27 In diesem Sinne wird Mt 7,13-14 auch im »Katechismus der Katholischen Kirche« Nr. 1036 zitiert. Rekonstruktion der Q-Fassung des Logions jetzt in: J.M. Robinson/ P. Hoffmann/ ]. S. Kloppenborg (Hg.), The Critical Edition of Q, Leuven 2000, 406f. Zum Phänomen der »paradoxen Intervention« s. grundlegend: Lehnert, Provokation, passim (bes. 85ff.; zu Lk 13,23f. par Mt 7,13f. im Kontext: ebd. 208; 258). 28 Deswegen ist es verwirrend, wenn T. Eskola den Prädestinationsbegriff jetzt auch für die »Vorherbestimmung« der Sünder durch Gott zur Strafe, zur endgültigen Verurteilung verwendet in: Theodicy and Predestination in Pauline Soteriology (WUNT II 100), Tübingen 1998, 6 u.ö. Von »Prädestination« sollte man in diesem Zusammenhang (einer nachgängigen Reaktion Gottes auf das Verhalten von Menschen) gerade nicht reden (s. dazu meine Rezension des genannten Buches in: ThLZ 124 [1999], 1019-1021, und oben Anm.12). 29 G. Röhser, Prädestination und Verstockung. Untersuchungen zur frühjüdischen, paulinischen und jo- ZNT 9 (5. Jg. 2002) hanneischen Theologie (TANZ 14), Tübingen/ Basel 1994. Diesem Buch sind die Ausführungen des vorliegenden Abschnitts teilweise wörtlich entnommen. 30 Vgl. auch den »Katechismus der Katholischen Kirche« Nr. 1037: »Niemand wird von Gott dazu vorherbestimmt, in die Hölle zu kommen ... «. Georg Lämmlin Stefan Scholpp (Hrsg.) Praktische Theologie der Gegenwart in Selbstdarstellungen UTB 2213 S, 2001, XII, 432 Seiten, 20 Abb., € 19,90/ SFr 33,50 UTB-ISBN 3-8252-2213-6 Selbstportraits maßgeblicher Vertreterinnen und Vertreter gegenwärtiger Praktischer Theologie geben Studierenden, in der kirchlichen Praxis Tätigen und den Kolleginnen und Kollegen anderer theologischer Disziplinen Einblick in die Vielfalt der Ansätze und vermitteln einen Überblick über die Praktische Theologie am Beginn des 3. Jahrtausends. Der Paradigmenwechsel von der empirischen zu einer lebensweltlich, ästhetisch und semiotisch orientierten Reflexionsperspektive zeichnet sich im Rahmen der wissenschaftlichen Biographien eindrücklich ab. Im Blick auf das Gesamtverständnis wie auch auf die Unterdisziplinen des Faches kommt so ein instruktives Resümee zustande, in dem sich Zukunftsperspektiven für die religiöse Strukturierung kirchlicher Handlungsfelder und lebensweltlicher Vollzüge abzeichnen. ZNT 9 (5. Jg. 2002) 31 J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I: Die VerkündigungJesu, Gütersloh 1971, 131f. 32 Ebd. 132. 33 Vgl. dazu K. Berger, Wie kommt das Ende der Welt? , Stuttgart 1999, 54-57. 34 Berger, Ende der Welt, 121. Steve Mason Flavius Josephus und das Neue Testament Aus dem Amerikanischen von Manuel Vogel UTB 2130 S, 2000, 354 Seiten, € 18,90/ SFr 32,30 UTB-ISBN 3-8252-2130-X Die Werke des Flavius Josephus stellen die wichtigsten Quellentexte für die Geschichte des frühen Christentums und des antiken Judentums dar. Der kanadische Josephus- Spezialist Steve Mason zeigt jedoch, daß diese Texte in der Forschung vielfach als bloßer Steinbruch für historisches Datenmaterial benutzt werden und das schriftstellerische Eigeninteresse des jüdischen Historikers weithin gar nicht wahrgenommen wird. Vorrangig für Studierende des Neuen Testaments, aber auch für theologisch, judaistisch und althistorisch Interessierte legt Mason deshalb eine für diese Übersetzung überarbeitete Einführung in das Werk des Josephus vor, die nicht nur das nötige Grundwissen vermittelt, sondern auch zu einem eigenständigen, methodologisch reflektierten Umgang mit diesen Quellentexten hinführt, die für das Verständnis besonders des Neuen Testaments von unschätzbarem Wert sind. A. Francke 37