ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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Dronsch Strecker VogelKein bloß ›lieber Gott‹. Die Verharmlosung der Gottesrede als Problem der Praktischen Theologie
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Ingrid Schoberth
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Ingrid Schoberth Kein bloß >lieber Gott<. Die Verharmlosung der Gottesrede als Problem der Praktischen Theologie Kaum ein anderes Bild kennzeichnet die gegenwärtig dominierende Rede von Gott wie das des >lieben Gottes<. Auch in der Praktischen Theologie ist mit gutem Grund die Perspektive auf Gottes Liebe vorherrschend: Darin manifestiert sich nicht nur die Abkehr von autoritären Gottesbildern, sondern vor allem die theologische Leitlinie, Gottes ganzes Handeln von seiner liebenden Zuwendung her zu verstehen. So versteht sich die Seelsorge als Kommunikation des Evangeliums in Verständnis und Stärkung, und nicht als Bußruf; die Religionspädagogik bemüht sich, Gott als Begleiter und verläßliches Gegenüber zu zeigen und nicht als moralische Instanz, vor der Schüler zu bestehen haben. Es besteht kein Anlaß, diese Konzentration auf Gottes Liebe aufzugeben. Allerdings wäre dabei genau zu bedenken, wie solche Liebe Gottes wahrgenommen wird. Ist diese Liebe Gottes mehr und anderes als Abbild und Überhöhung der Liebe, die wir uns von anderen Menschen wünschen? Wie aber kann sie dann tragfähig und befreiend sein, über das hinaus, was wir von anderen Menschen erwarten und ihnen zumuten können? Ist dann die >Liebe Gottes< nicht lediglich eine Verdopplung dessen, was wir als Liebe erfahren, und Projektion dessen, was wir vermissen? Dabei ist zu bedenken, daß der Spitzenaussage von lJoh, »Gott ist die Liebe« (lJoh 4,16), die Trivialisierung droht, wenn sie einerseits zur einzigen Gottesprädikation und andererseits zur Projektion menschlicher Liebe wird. Walter Dietrich und Christian Link weisen zu Recht darauf hin, daß diese »große neutestamentliche Gottesdefinition ... in der heutigen Alltagssprache zur kleinen Münze zu verkommen« scheint. 1 Zu ergänzen ist, daß diese Diagnose wohl auch weithin für die Sprache kirchlicher Verkündigung und für den Unterricht in christlicher Religion zutrifft. In dieser Vereinseitigung hört dann aber auch die Botschaft von Gottes Liebe auf, eine befreiende Botschaft zu sein: Sie wird zur Allerweltsaussage und »gerät so zum Spiegelbild eigener Lebenswünsche.«2 60 Auf die Abgründigkeit der biblischen Rede von Gott, auf die ,dunklen Seiten Gottes< machen Walter Dietrich und Christian Link mit allem Nachdruck aufmerksam. Sie tun das nicht, um auf einer Vollständigkeit des Redens von Gott zu beharren, sondern weil sie mit Recht in der Verdrängung dieser >dunklen Seiten, einen wesentlichen Grund für die Aporien erkennen, in die die Gottesrede geraten ist. Damit ist zugleich eine unerledigte und drängende Aufgabe der Theologie bezeichnet. Zu dieser umfassenden Aufgabe sollen hier einige Überlegungen aus praktisch-theologischer Perspektive beigesteuert werden. Bleibt der auf Nähe und Zuwendung beschränkte Gott nämlich nur noch zuständig für die guten Zeiten des Lebens, dann wird der bloß >liebe Gott< unglaubwürdig und der Bezug auf ihn trostlos, sobald die heile Welt sich als Illusion erweist: »Wo Unheil und Leiden sich melden, paßt er nicht mehr. Man ist dann enttäuscht und wendet sich ab von ihm.« 3 Nun kann es nicht darum gehen, quasi aus praktisch-theologischen Nützlichkeitserwägungen ein autoritäres, dunkles Gottesbild zu propagieren. Die genannte Verharmlosung ist ja gerade eine Reaktion auf ein solches Gottesbild. Die Vorstellung des zornigen und strafenden Gottes brachte Autoritäts- und Angststrukturen hervor, die man mit gutem Recht nicht mehr aufrechterhalten will. Insofern ist es geboten, die ,dunklen Seiten< Gottes eben als die des Gottes wahrnehmen zu lernen, der sich in der Geschichte Israels und in der Geschichte Jesu Christi als der Rettende und Erlösende bekannt gemacht hat: Von diesem eben wird gesagt, daß er die Liebe sei. Nur aus dieser Spannung hat darum die >große neutestamentliche Gottesdefinition< des 1Joh ihre Kraft. Die praktisch-theologische Aufgabe läßt sich demnach so umreißen: angesichts der Verharmlosung der Gottesrede wäre darum nach einem solchen Reden von Gott zu suchen, das weder auf den ,lieben Gott< reduziert bleibt, noch die Ausrichtung am Evangelium trübt. Wie können die >dunklen Seiten, Gottes hier zur Sprache kommen? ZNT 9 (5. Jg. 2002) Ingrid Schobert Prof. Dr. Ingrid Schoberth, Jahrgang 1958, 1992 Ordination zur Pfarrerin der Evang.-Luth. Kirche in Bayern. Pfarrerin im Schuldienst 1997-1999. 1990 Promotion im Fach Systematische Theologie und 1997 Habilitation im Fach Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät Erlangen. Seit August 1999 Professorin für Evangelische Theologie, Fachrichtung Religionspädagogik und Didaktik der Ev. Religionslehre, an der Bergischen Universität Gesamthochschule Wuppertal. 1. Wie harmlos ist der Kinderglaube? Die Scheu, anders als bloß vom >lieben Gott< zu reden, ist wohl nicht zuletzt begründet in einer Verdrängung der Verletzlichkeit des Lebens und der Realität des Leidens. So dürfte religionspädagogisch das Gefühl verbreitet sein, man könne Kindern die Realität der Schrecken und Leiden nicht zumuten. Von welchem Gott ist darum Kindern zu erzählen? Wird Kindern nur ein >lieber Gott< vor Augen geführt, dann bleiben sie mit ihren Erfahrungen des Abgründigen, von Unheil und Bedrohung, die sie in aller Intensität kennen, allein. Gerade Kinder leiden aber oft genug an der Tabuisierung ihrer Ängste und Schmerzen. Sie haben keine Sprache dafür und sind auf die Behutsamkeit der Erwachsenen angewiesen, auf ihr Verständnis, aber auch ihre Wahrhaftigkeit, die nicht in irriger Anpassung an eine fiktive heile Kinderwelt die Realität der Leiden verschweigt. 4 Die Reduktion der Gottesrede auf den allein >lieben Gott< läßt die dunklen Erfahrungen der Kinder ohne heilsamen Bezug auf Gott. Kennen die Kinder nur den bloß >lieben Gott<, dann wird dieser Gott angesichts ihrer Erfahrungen sehr schnell unglaubwürdig. In der Ausblendung des ZNT 9 (5. Jg. 2002) Leids und Unheils aus der Gottesrede manifestiert sich eine verständliche Verdrängung der Fragilität des Lebens, die wir unseren Kindern kaum zumuten wollen. Wird das Reden von Gott aber in der Weise verharmlost, daß er als Garant für eine heile Welt steht, dann erfahren ihn Kinder jedenfalls nicht als Gott des ganzen Lebens, sondern als Gott für die guten und moralischen Zeiten. In Klage und Traurigkeit bleiben die Kinder mit sich allein; sie finden keine Sprache, die sich auch in den dunklen Zeiten an Gott festmachen kann. 5 Zur religiösen Bildung und Erziehung wie auch in der Verkündigung gehört es darum unabdingbar, daß die Bedrohungen des Lebens nicht übergangen werden, sondern in ihnen Gott erkennbar und mitteilbar werden kann als der, der auch durch dunkle Zeiten hindurch mitgeht. 6 Gerade weil Kinder und Jugendliche solche Bedrohungen des Lebens oft stärker wahrnehmen als Erwachsene, ist diese religionspädagogische Aufgabe zentral: die Verheißung eines guten und gelingenden Leben »in einem Zeitalter der Lebensgefahr« 7 wachzuhalten. Insofern muß das Reden von Gott Kinder wie Erwachsene dazu befähigen, gerade angesichts der Tragik dieser Welt 8 zu einem nüchternen Welt- und Selbstverhältnis zu gelangen wie auch zu einem Wissen um eine Zukunft, für die Gottes Verheißungen einstehen. 2. Sprachfähig bleiben angesichts des Leides Die Sprache der Bibel leitet dazu an, solches Reden von Gott wieder zu lernen. Hier stehen Sprachformen und Bilder bereit, die das Dunkle nicht verdrängen und es gleichwohl nicht in der Ambivalenz belassen, weil auch das Unverständliche und Leidvolle bezogen bleibt auf den Gott, der sich bekannt gemacht hat als der, der an dieser Welt durch Gericht und Verheißung gehandelt hat, handelt und handeln wird. Die Sprache der Bibel zeigt ein solches unterscheidendes Reden von Gott, das die Vielfalt der Erfahrungen von Glück und Schmerz nicht einebnet, sondern bezogen sein läßt auf Gottes Gegenwart. So verleugnen auch die Bilder, die auf den ersten Blick als Inbegriff des Friedvollen und Heilen erscheinen, nicht die Abgründigkeit; noch die Me- 61 taphern der Bewahrung und der Geborgenheit enthalten in sich die Realität der Bedrohung. Der >Hüter Israels< wie der ,gute Hirte< sind nicht einfach Illustrationen des ,lieben Gottes" sondern halten fest, daß diese Liebe gerade darum verläßlich ist, weil sie das Wissen um die tödliche Bedrohung und auch den Kampf nicht aussparen. Gott ist Schutz, weil er alles dafür tut, daß Israel geborgen bleibt, nicht aber, weil die Welt als eine heile gedacht würde. Das Bild des Hüters (Ps 121,4) impliziert Bedrohung und Ansturm der Feinde, wie auch der Hirte (Ps 23) seine machtvolle Hilfe erweist im Angesicht der Feinde und im dunklen Tal. Die Metaphorik und Bildwelten der Bibel weisen über eine abstrakte Rede von Gott hinaus auf ein genaues und bestimmtes Reden von Gott, das auch die Abgründigkeiten einbezieht, denen sich Gott in seiner Gegenwart und Gerechtigkeit aussetzt. Diese Abgründigkeiten Gottes werden wahrgenommen in der Frage: »Warum läßt Gott das zu? « Diese Frage wird zum Ausdruck einer unstillbaren Frage nach Gottes Gerechtigkeit. Die Antwort darauf muß dann nicht zu einem Verlust Gottes führen, wenn es gelingt, auch das ,Ausstehen Gottes< 9 in der Gottesrede selbst unterzubringen. Dann können diese Zeiten der Gottesfinsternis geradezu neue Orientierung freisetzen. Diese beginnt mit der Erfahrung, daß Gott in der Klage von Menschen trotz seiner Ferne gegenwärtig ist. Im Klagen und in der Trauer bleibt Gott, auch wenn er noch so fern scheint und sein Antlitz verborgen, das Gegenüber des Menschen; hier kann Gott auf seine Verläßlichkeit angesprochen werden. Indem die Sprache des Glaubens das Ausstehen Gottes nicht ausspart, greift sie zugleich über dieses Ausstehen hinaus und macht sich fest an den Verheißungen Gottes. ,Klagen lernen< ist in dieser Perspektive eine praktisch-theologische Grundaufgabe, die nicht unterlaufen werden darf durch einen zu schnellen Verweis auf das ,Dennoch< des Glaubens, das in seiner Unvermitteltheit eher das stoische Subjekt als das Handeln Gottes evoziert. Glaube nimmt eben nicht die Brüchigkeit des Lebens, die Gegenwart des Leids und der Zerstörung gleichmütig hin, sondern appelliert gegen sie an Gott. Die Klagen für sich in Anspruch zu nehmen und dabei Gott als verläßliches Gegenüber wahrnehmen zu lernen, erweist 62 sich darum als grundlegend für das Einüben des Redens von Gott. Dafür steht biblisch die Rede vom Gericht ein. Als entscheidendes praktisch-theologische Kriterium läßt sich festhalten: Wenn Menschen befähigt werden, in ihren Erfahrungen dieser Welt und des je eigenen Lebens auf einen Gott hoffen zu lernen, der an dieser Welt in Liebe handelt, dann muß das zugleich auch heißen, daß hier ein rettender wie richtender Gott handeln und auch in Zukunft handeln wird. Hans-Martin Gutmann fordert darum mit Recht von der Verkündigung wie auch dem Unterricht in christlicher Religion, daß sie »aus dem Gericht und der Verheißung Gottes lebt«; 10 allein solches Reden von Gott kann dann auch Krisenzeiten und der Erfahrung des Leids und des Schmerzes standhalten. Die Pointe biblischer Rede vom richtenden Gott wird in den Vorstellungen von Vergeltung, Strafe oder Erziehung kaum erfaßt; sie verweisen vielmehr auf Gottes richtendes Handeln an dieser Welt, also den Richter, der »mit sehendem Auge da ist, der den Weltlauf nicht dem Gesetz seiner eigenen Entwicklung überläßt.« 11 Im Angesicht einer Welt voller Gewalt, Unrecht und Zerstörung würde ein bloß ,lieber Gott<, der Böses wie Gutes unterschiedslos geschehen läßt, gerade kein liebender Gott mehr sein. So ist es gerade die Liebe Gottes, die seinen Zorn, seine Gerechtigkeit und seine Macht einfordert. Insofern bedarf es der Wahrnehmung des ganzen biblischen Redens von Gott, auch in seiner Abgründigkeit und Rätselhaftigkeit, weil Gott nur so der umfassend an dieser Welt handelnde Gott bleibt. 3. Liebe und Gerechtigkeit Wie läßt sich nun Gott als der richtende und rettende so wahrnehmen, daß beide Prädikate nicht in schlichtem Widerspruch stehenbleiben und zu einer Ambivalenz der Gottesrede führen? In biblischer Perspektive läßt sich diese Ambivalenz nur dadurch überwinden, daß ein sachgemäßes und perspektivenreiches Reden von Gott erprobt wird. Das kann nur gelingen, indem die ganze story Gottes in den Blick genommen und sie nicht auf einzelne Momente reduziert wird. Die widersprüchlichen Erfahrungen des Lebens bleiben in der Ambivalenz, solange man sich nicht hinein- ZNT 9 (5. Jg. 2002) ziehen läßt in diese story Gottes. Aus der Distanz des Zuschauers bleiben die Fragen, die hier entstehen, aporetisch; im Teilen der story werden sie nicht ,gelöst<, wohl aber so in Bewegung gebracht, daß sich neue Perspektiven auftun. In ihrem »Drin-Stehen«, wobei aber nach Dietrich Ritschl »dieses bewußte Teilen der Story Israels und der Kirche nicht leichtfertig als Kriterium der Zugehörigkeit« 12 bezeichnet werden kann, nehmen sie gerade den richtenden Gott als den rettenden wahr; in ihrem Leben und Handeln bildet sich das ab in der Spannung von Liebe und Gerechtigkeit. In einem eindrucksvollem Essay zeigt Paul Ricoeur, daß beide Perspektiven zunächst unvereinbar erscheinen, weil die Sprache der Liebe und die Sprache der Gerechtigkeit zunächst gerade nicht durch ihren Zusammenhang erkennbar werden. Der Widerspruch verschärft sich, insofern die »Poetik der Liebe« und die »Prosa der Gerechtigkeit« 13 auf je ihre Weise Anspruch auf »die individuelle und gesellschaftliche Praxis« 14 erheben; beide sind auf Handeln ausgerichtet und fordern Handeln ein in je unterschiedlicher Weise. Wie kann nun aber beides gelten, gerade wenn das biblische Reden auf diesen Zusammenhang von Liebe und Gerechtigkeit verweist und dies die Lebensform der Nachfolge Jesu Christi geradezu charakterisiert? Im Gebot der Feindesliebe erkennt Ricoeur die unumgängliche Dialektik von Liebe und Gerechtigkeit besonders deutlich benannt. Das Gebot der Feindesliebe ist so keine Ingrid Schoberth l{ein bloß >lieber Gott< segnet die, welche euch fluchen; bittet für die, welche euch beleidigen! « (Lk 6,27) ist unmittelbar von klarer Gerechtigkeit die Rede: »Und wie ihr wollt, daß euch die Leute tun, ebenso sollt auch ihr ihnen tun.« (Lk 6,31). Das Gebot der Feindesliebe wird ergänzt durch die Logik der Goldenen Regel. Hier stehen nun beispielhaft Liebe und Gerechtigkeit nebeneinander. Wie sind sie beide aufeinander bezogen? Die spezifische Dialektik erkennt Ricoeur darin, daß »das Liebesgebot nicht die Goldene reine Passivität, die das Böse Johannes Climacus, Katharinenkloster, Sinai, 7. Jh. geschehen läßt. Neben dem Auf einer Leiter, die zwischen der Erde und dem christlichen Himmel auf- Gebot: »Liebet eure Feinde; tut gerichtet ist, werden diejenigen, die böse Taten auf sich geladen haben, die Gutes denen die euch hassen; Beute des Teufels. ZNT 9 (5. Jg. 2002) 63 Regel auf(hebt), sondern reinterpretiert im Sinne der Großzügigkeit.« 15 Ricoeur betont, daß so ein Weg eröffnet wird für ein Gebot, das »nur um den Preis paradoxer und extremer Verhaltensweisen in die ethische Sphäre vordringt: jene Verhaltensweisen nämlich, die im Zuge des neuen Gebotes empfohlen sind: ,Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen ... «<. 16 Das Gebot der Feindesliebe ist damit nicht nur konstitutiv für die Lebensformen des Glaubens, sondern auch für ein angemessenes Reden von dem Gott, der nicht bloß >der liebe, ist, sondern seine Liebe durchsetzt gegen die Ambivalenzen des Lebens und in diesen Ambivalenzen. Feindesliebe ist alles andere als harmlos; in dieser Zumutung ist vielmehr Gott als der zu erfahren, der seine Liebe und sein Recht in einer Weise durchsetzt, die unseren Kategorien widerspricht. 4. Der richtende und der leidende Gott Wie Menschen von Gott reden lernen, welche Bilder von ihm entstehen, wie diese Bilder das eigene Leben und Handeln prägen und wie das schließlich zu einer Praxis des Glaubens führt, an der sich dieser Zusammenhang zeigt, entscheidet sich an dieser Dialektik von Liebe und Gerechtigkeit. Erst in dieser Dialektik liegt die Chance, so zu einem Reden von Gott anzuleiten, das weder in den Ambivalenzen verfangen bleibt noch die Widersprüchlichkeit des Lebens durch Simplifikationen verfehlt. Für die Praktische Theologie stellt sich dabei weniger die Aufgabe, solche Dialektik erst vorzuführen und zu vermitteln, als ihre Spuren im Glauben und seinen Äußerungen zu entdecken und sich entfalten zu lassen. So zeigt sich, daß die Schüler die Harmlosigkeit der Gottesrede oft selbst unterlaufen. Das kann zu Zumutungen führen, die Lehrer vielleicht verunsichern, aber eben auch zu einem gemeinsamen Lernen anleiten können. Die >Theologie der Schüler, führt manchmal zu einer >Zupackenderen, Gottesrede. Die theologisch irreduzible Dialektik von Liebe und Gerechtigkeit wird auch von Grundschülern bereits sehr genau wahrgenommen. Eine Schülerin der dritten Klasse formulierte intuitiv in einem Gebet in einfachen Worten die Hoffnung, daß der liebende Gott gerade in seiner Gerechlig- 64 keit an dieser Welt handelt: »Ich hoffe auf Gott, daß er die Bösen gut macht.« Das Gebot der Feindesliebe übergeht nicht die Macht der >Bösen<; gleichzeitig gibt es eine Anleitung, nicht selbst Richter sein zu müssen über das Grauen dieser Welt, sondern Gott das heilsame und schöpferische Urteil zu überlassen. In der Bitte der Schülerin scheint etwas auf von der neuen Schöpfung Gottes, in der Gerechtigkeit und Liebe nicht mehr im Widerstreit stehen: daß die Bösen wieder gut werden ist die Hoffnung der Schülerin, die sie an Gott richtet. Was wäre überhaupt für ein Gebet möglich, wenn sie nur um den bloß >lieben Gott, wüßte? Indem die spezifisch theologische Logik des Redens vom rettenden und richtenden Gott ausgerichtet bleibt auf Gottes neue Schöpfung, ist sie genau zu unterscheiden von einer moralischen Funktionalisierung. Auch die Moralisierung ist eine Gestalt der Verharmlosung der Gottesrede, in der zwar der Perspektive des Gerichts entsprochen werden soll, das aber als Gericht Gottes kaum mehr kenntlich wird. Praktisch-theologisch läßt sich die moralisierende Verharmlosung des Gerichts Gottes kaum vermeiden, wenn es herausgelöst wird aus seiner Verortung in der Geschichte Gottes. Dabei entsteht freilich die Schwierigkeit, daß diese Verortung verbunden ist mit spezifischen Zumutungen für das Verstehen. Es ist darum verständlich, daß viele religionspädagogische Entwürfe sich auf die moralische Plausibilität biblischer Erzählungen beschränken, die jedoch deren Dramatik weit unterbietet. Die theologisch unerläßliche Zentrierung der Geschichte Gottes auf Jesus Christus hat selber Anteil an der Verharmlosung der Gottesrede, wenn sie die eschatologische Spannung abblendet zugunsten der einleuchtenden Mitmenschlichkeit und klaren ethischen Haltung Jesu. Jesus steht gerade nicht ein für den bloß >lieben Gott<, sondern verkündigt Gott in Vollmacht: Das heißt aber gerade, daß er die Welt nicht einfach hinnimmt und Wege zeigt, sich in ihr einzurichten, sondern das Ende dieser Welt ankündigt. Dieser Jesus ist allerdings eine Herausforderung nicht nur an die Praktische Theologie. Umgekehrt wird der Jesus, der keine Herausforderung mehr darstellt, entbehrlich und zum Zeichen der Irrelevanz christlicher Gottesrede. Nur in der ungeduldigen Sehnsucht nach der Ver- ZNT 9 (5.Jg. 2002) änderung der Welt kann diese Gottesrede aber auch ihre Attraktivität in aller Befremdlichkeit entfalten. Exemplarisch deutlich wird das etwa an der Perikope von der Tempelreinigung (Joh 2,13ff.), die nicht zufällig mit der eher freundlichen Erzählung von der Hochzeit in Kana den Beginn der Wirksamkeit Jesu im Joh markiert. Für Schüler kann es zunächst geradezu befreiend sein, Jesus einmal nicht als souverän und überlegen, als verständnisvoll und alles verzeihend zu sehen, sondern im Zorn. Daß Jesus nicht einer ist, >mit dem man alles machen kann<, macht ihn nahe und fremd zugleich. Es hängt nun alles daran, auch die Fremdartigkeit auszuhalten und nicht zu nivellieren, indem man sie auf den ohne weiteres plausiblen Protest gegen die Kommerzialisierung der Religion reduziert. Befremdlich erweist sich Jesus als der endzeitliche Gottesbote, der die eschatologische Zukunft ansagt (vgl. Sach 14,21), der den Gott verkündigt, der sich nicht nur den Menschen zuwendet und sie annimmt, sondern der sein Recht aufrichtet. Gerade diese Aufrichtung des Rechtes ist es aber, in der sich Gottes Zuwendung durchsetzt in einer Welt, die sich gegen Gottes heilsamen Willen verschließt. In der Reinigung des Tempels handelt Jesus als der vollmächtige Bote des liebenden Gottes, der diese Welt und die Menschen sich nicht selbst überläßt, sondern dieser Welt und den Menschen seine Zukunft zuspricht und sie durchsetzt. An dieser Erzählung zeigt sich die befremdliche Paradoxie, daß die Reduktion auf den liebenden und menschlichen Jesus allen Trost verliert. Erst indem Jesus das Bild des allezeit Gütigen und Verständnisvollen abstreift, kann er wieder als der Heiland Gottes wahrgenommen werden, der nicht alles verzeiht, weil er gar nicht anders könnte. In der Erwartung des Gerichts ist die Versöhnung, die Gott in Jesus Christus gibt, mehr und anderes als ein Bemänteln dessen, was ist. 5. Das heilsame Gericht Von dieser Dramatik her ist dann allerdings auch die theologisch fatale Dramatisierung des Gerichts abzuwehren, die in der Individualisierung der Gerichtsdrohung erneut zur autoritären Moralisierung verkäme. Die Verkündigung des Gerichts wäre nicht länger auf Gottes Gericht bezogen, ZNT 9 (5. Jg. 2002) wenn nicht festgehalten wäre, daß es ein heilsames Gericht ist und seine Erwartung auch jetzt schon befreiend ist. Mit dem Reden von Gottes neuer Schöpfung greift das Reden von Gott auf die Zukunft Gottes und seines Gerichts aus. Diese Zukunft ist in besonderer Weise qualifiziert, denn »... nichts von dem vergeht, was in Christus begründet ist.« 17 Dabei steht die Gegenwart gegenüber dieser Zukunft bei Gott in einem neuen Licht und eröffnet eine Ahnung, die die biblische Sehnsucht im Warten »eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in der Gerechtigkeit wohnt« festhält. Wenn alles Unterrichten und Trösten, alles Helfen und Ermahnen sich auf diese Perspektive ausrichtet, dann kann es dazu beitragen, von Gott als Gott meiner Zukunft reden zu lernen. Weil schon Jugendliche den bloß >lieben Gott< und den bloß ,lieben Jesus, als ,Kinderkram, wahrnehmen, ist ein genaueres und umfassenderes Reden von Gott erforderlich. Solches Reden ist ungewohnt; es setzt die Bereitschaft voraus, Entdeckungen zu machen und neue Wege zu erproben. Der Religionsunterricht kann dabei auch gerade solchen Erfahrungen Raum geben, die Schüler nur schwer verarbeiten können und die doch manchmal ganz paradox eher Faszination bei ihnen erwecken als Erschrecken. Ihre eigenen Bilder und oft tastenden Sprachversuche können dabei nicht bloß destruktiv sein, sondern durchaus hilfreich und weiterführend. Ein Schüler der 10. Klasse fand zu Bonhoeffers Gedicht »Von guten Mächten« ein Bild, das in Widerspruch steht zu den Verharmlosungen, die gerade diesem Text widerfahren sind und in einfacher Gestalt die Komplexität der Rede von Gott zur Geltung bringt. Auf seiner Zeichnung ist Gottes blutende Hand zu sehen, die schützend über eine Weltkugel gehalten ist. Dieser Gott ist kein bloß >lieber< und gerade darin der Liebende, der um seiner Welt willen die Verletzungen und das Leid sich selbst zufügen läßt. Ein solcher Gott ist nicht in gütiger Entfernung von der Welt, sondern mitten in einem kosmischen Kampf, der auch ihn selbst verletzt. Zugleich wird die Welt, in der die Menschen leben, als Ort der Verwundungen Gottes erkennbar: Gerade in diesen Verwundungen Gottes ist aber auch die Hoffnung begründet. 65 Anmerkungen 1 W. Dietrich/ C. Link, Die dunklen Seiten Gottes. Willkür und Gewalt, Neukirchen-Vluyn 1995, 148. 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Vgl. dazu M. Plieth, Kind und Tod. Zum Umgang mit kindlichen Schreckensvorstellungen und Hoffungsbildern, Neukirchen-Vluyn 2001. 5 Vgl. auch I. Baldermann, Einführung in die biblische Didaktik, Darmstadt 1996, 15: »Widerstandsfähig wird eine Hoffnung erst, wenn sie zugleich sensibel ist für die Bedrohung, wenn sie auch die Klage und Anklage und Verzweiflung in sich aufnimmt.« 6 Welche Komplexität die Arbeit mit Kinder in diesem Feld annehmen kann, zeigt beispielhaft R. Oberthür, Kinder fragen nach Leid und Gott. Lernen mit der Bibel im Religionsunterricht. Ein Praxisbuch, München 1998. 7 H.M. Gutmann, Der Herr der Heerscharen, die Prinzessin der Herzen und der König der Löwen. Religion lehren zwischen Kirche, Schule und populärer Kultur, Gütersloh 1998, 181. Christoph J oosten Das Christkönigsfest Liturgie im Spannungsfeld zwischen Frömmigkeit und Politik Pietas Liturgica, Studia 12, 2002, XXXVI, 445 Seiten, div. Abb., geb. € 74,-/ SFr 122,30 ISBN 3-7720-3271-0 Im Mittelpunkt der Studie steht die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Christkönigsfestes. Das Fest, das seine historischen Wurzeln in der Herz-Jesu-Verehrung des 19. Jh. hat, wurde 1925 von Pius XL eingeführt. Ein religiöser und zugleich gesellschaftspolitischer Akt: Mit dem neuen Ideenfest sollte nicht nur die Christkönigsverehrung gefördert, sondern auch der Anspruch der Kirche auf christliche Prägung der Gesellschaft geltend gemacht werden. Ein Fest aber, das den Herrschaftsanspruch Christi in der Welt verkündet, ist in seiner Feiergestalt abhängig von den sich stetig wandelnden geistigen und politischen Strömungen der Zeit. Am Beispiel Deutschlands wird dies verdeutlicht: Die Feier des Christkönigsfestes zur Zeit der Weimarer Republik bis heute ist ein Spiegel der katholischen Frömmigkeit, zugleich aber auch der Rolle der Kirche in der Gesellschaft. 8 Vgl. S. Hauerwas, Selig sind die Friedfertigen. Ein Entwurf christlicher Ethik, hg. und eingeleitet von R. Hütter, Neukirchen-Vluyn 1995, Evangelium und Ethik 4, 209ff. 9 Vgl. dazu F. Mildenberger, Biblische Dogmatik. Eine Biblische Theologie in dogmatischer Perspektive, Bd. 2: Ökonomie als Theologie; Stuttgart/ Berlin/ Köln 1992, 272-291. 10 Gutmann, Herr der Heerscharen, 177. 11 Dietrich/ Link, Die dunklen Seiten Gottes, 179. 12 D. Ritschl, Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken; München 2 1988, 74. 13 P. Ricoeur, Liebe und Gerechtigkeit - Amour et Justice; mit einer deutschen Parallelübersetzung von M. Raden, hg. von 0. Bayer, Tübingen 1990, 41. 14 Ricoeur, Liebe und Gerechtigkeit, 41. 15 Ricoeur, Liebe und Gerechtigkeit, 55. 16 Ricoeur, Liebe und Gerechtigkeit, 55.57. 17 G. Sauter, Einführung in die Eschatologie, Darmstadt 1995, 201. Matthias Mayer Die Politische Theologie Girolamo Savonarolas Studien zur Rezeptionsgeschichte und zum aktuellen Verständnis 2001, 239 Seiten, € 48,-/ SFr 86,- ISBN 3-7720-2774-1 Nachdem im Jahre 1494 die Medici aus Florenz vertrieben worden waren, nahm der Dominikaner Girolamo Savonarola (1452-1498) zur Frage nach einer neuen Verfassung öffentlich Stellung. Dieses Wirken erfährt seitdem in der Historiographie unterschiedlichste Beurteilungen. Die moralhistorische Studie von Matthias Mayer verfolgt die Absicht, Savonarola als politischen Theologen zu verstehen, der, motiviert aus mystischen und prophetischen Quellen, die gesellschaftskritische Praxis des Christentums ausweist, ohne jedoch damit einen staatlichen Herrschaftsanspruch zu verbinden. Das aktuelle Verständnis entwickelt Mayer aus der gründlichen Quellenanalyse. Daß diese Arbeit im Kontext des 500. Todestages des Mönches entstand, der auf dem Scheiterhaufen als Ketzer verbrannt wurde, verleiht ihr ein besonderes historisches und systematisches Erkenntnisgewicht. A. Francke Verlag Tübingen und Basel
