ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2002
59
Dronsch Strecker VogelWalter Dietrich/Christian Link: Die dunklen Seiten Gottes, Bd. 1: Willkür und Gewalt, Neukirchen-Vluyn 3. Aufl. 2000, 233 S., ISBN 3-7887-1524-3
121
2002
Kurt Erlemann
znt590067
Walter Dietrich/ Christian Link Die dunklen Seiten Gottes Bd. 1: Willkür und Gewalt Neukirchen-Vluyn 3. Aufl. 2000, 233 S., ISBN 3-7887-1524-3 Die beiden Autoren ein systematischer Theologe (Christian Link, Bochum) und ein Alttestamentler (Walter Dietrich, Bern)versuchen, mit dem ersten von zwei Bänden (Band 2: Allmacht und Ohnmacht, Neukirchen2000) Verständnismöglichkeiten für die »dunklen Seiten« des biblischen Gottesbildes zu eröffnen. Zu diesen »dunklen Seiten« zählen, und werden in dem Band nacheinander abgehandelt, der Anschein des »willkürlichen« Gottes (Rede von Erwählung, Verwerfung und Verstockung) und der Anschein des »gewalttätigen Gottes« (Rede von Eifersucht und Ausschließlichkeitsanspruch, vom rächenden, zürnenden und richtenden Gott, von Gott als Kriegsherr). Das Buch ist von der Anlage her im doppelten Sinne dialogisch aufgebaut: Alttes- ZNT 9 (5. Jg. 2002) tamentlich-exegetische und systematisch-theologische Reflexionen wechseln sich ab, historische und moderne Fragestellungen werden miteinander verschränkt. Ausgangspunkt ist die zeitgeschichtliche Situation, die aufgrund vieler Katastrophen nicht mehr auf Gott zu verweisen scheint und von einem öffentlichen Schweigen über Gott geprägt ist. Als maßgeblichen Grund für diesen Zustand machen die Autoren das abendländische Gottesbild geltend, das Gott als »summum bonum« definiert und sich weder mit den negativen zeitgeschichtlichen Erfahrungen noch mit den »dunklen Seiten« des biblischen Gottes in Einklang bringen lässt. Dazu kommt die Diskrepanz zwischen der klassischen Dogmatik, Gott tendenziell in seiner Differenz zum Menschen zu bestimmen (dazu gehören All-Aussagen wie allmächtig, allgegenwärtig und allwissend) und der dezidiert anthropomorphen Redeweise der Bibel. Diese zielt auf einen Gott, der für die Seinen Partei ergreift und dadurch sogar seine Gottheit riskiert. In Vorwegnahme des hermeneutischen Ergebnisses wird der theologische Sinn der »dunklen Seiten« Gottes gerade in dieser »Risikobereitschaft« gesehen: »Vielleicht ist nur ein Gott, der sich selbst das Äußerste an Entfremdung, Schmerz und Betroffenheit zumutet, imstande, einer Welt Hoffnung zu geben, die an solchen Zumutungen leidet« (16). Das Ziel des Buches ist es nicht, die »dunklen Seiten« plausibel zu machen oder historisch weg zu interpretieren, auch nicht, sie unkritisch zu übernehmen, sondern sie in ihrer Fremdheit aushaltbar zu machen (14). Über die so emgegrenzte hermeneutische Erschließung der »dunklen Seiten« des biblischen Gottes sollen das heute vorherrschende Gottesbild in Frage gestellt und die negativen geschichtlichen Erfahrungen unserer Zeit einer theologischen Interpretation zugänglich gemacht werden. »Kein Bereich unserer Wirklichkeit muß und darf von Gott abgetrennt werden« so die Grundthese des Buches (14). Der theologische Gewinn der biblischen Reflexion über Gott wird eingangs so formuliert: »Die Bibel aber will Glauben ermöglichen. Darum korrigiert sie unsere abstrakten, von der Lebenswirklichkeit abgezogenen Bilder. Sie legt Gott nicht fest auf die Summe der Erwartungen, die unserem Begriff eines allmächtigen und guten Wesens entsprechen. Im Gegenteil, sie konfrontiert diese Erwartungen mit schockierenden Gegenerfahrungen« (12). Methodisch gehen die Autoren dementsprechend den Weg, die biblischen Erfahrungen mit Gott nachzuzeichnen, die zu problematischen Aussagen geführt haben, anstatt die Aussagen vorschnell systematisch auszudeuten. Für den Themenkomplex Erwählung bzw. Verstockung/ Verwerfung (Teil A) lehnen die Autoren eine theoretische Betrachtungsweise im Sinne einer Prädestinationslehre ab (die der Rede vom aktiv und parteilich in die Geschichte eingreifenden Gott a priori widerspricht) und plädieren statt dessen dafür, die Aussagen aus der »Innensicht« der Erfahrung Israels zu interpretieren. Wichtige Beobachtungen in diesem Zusammenhang sind Israels Staunen über das eigene 67 Erwähltsein, ohne Triumphgefühl anderen Völkern gegenüber (26), die Selbstkritik an Fehlentwicklungen in den politischen und religiösen Institutionen (28ff.) sowie die universale Ausrichtung des göttlichen Erwählungshandelns, wie sie etwa in den messianischen Hoffnungen zur Sprache kommt (33ff.). Die Erwählungsvorstellung wird von da aus als die Perspektive verstanden, »unter der Israel die eigene Situation, seine weitere soziale und kulturelle Umgebung und schließlich die Welt im ganzen wahrzunehmen und zu interpretieren lernt« (39). Erwähltsein wird von Israel als religiös, politisch und sozial verpflichtendes Privileg erfahren. Die Rede von der Verwerfung Israels weist nicht auf einen willkürlichen Gott, sondern auf den Gott, der für sein Volk bis zum Äußersten Partei ergreift und von ihm tief enttäuscht wird (55). Verwerfung ist Folge menschlicher Schuld und hat nirgends endgültigen Charakter (vgl. Röm 11,2! ). Umgekehrt aber lässt sich kein Zusammenhang zwischen menschlicher Unschuld und göttlicher Erwählung fest machen (58), eher schon mit der paradox anmutenden Parteinahme Gottes gerade für die Kleinen und Wehrlosen. - Die ebenfalls anstößig scheinende Rede von der Verstockung der Menschen gilt den Autoren als »Versuch, das Verhältnis von Gottes Macht und menschlicher Macht zu bestimmen und dabei weder den Menschen aus seiner Verantwortung zu entlassen noch dem Glauben an Gottes Weltlenkung fahren zu lassen« (61). Die Verführung des Menschen zur Macht führt dazu, zuerst Kritik nicht hören zu wollen und später sie nicht mehr hören zu können als Maßnahme Gottes, mit der er schließlich die wahren Machtverhältnisse klarstellt. Die Innensicht der Erfahrung Israels lässt die Rede von Erwählung, Verwerfung und Verstockung 68 nicht als göttliche Willkürakte erscheinen (im Sinne der reformierten Lehre von der doppelten Prädestination), auch wird dem Menschen nicht der freie Entscheidungswille abgesprochen (gegen Luther). Vielmehr steht der gesamte Themenkomplex unter dem Vorzeichen des souverän erwählenden und ansonsten »emotional« und parteilich reagierenden Gottes Israels. Der Vorgang der Erwählung »ist kein Präludium im Himmel, sondern ein Drama auf Erden« (72). Dieses Drama bringt es mit sich, dass Menschen die »dunkle« Kehrseite der Erwählung zu spüren bekommen. Allerdings weist das Kreuzesgeschehen auf Gottes (letztlich positives) Verhältnis auch zu diesen Menschen hin: Gott nimmt in letzter Konsequenz die Leiden und das Unrecht aller Menschen auf sich, er ist nicht der Parteigänger einer exklusiv zu verstehenden Erwählung Israels (219). Ebenfalls aus der Innensicht der Erfahrung Israels werden die Aussagen über einen »gewalttätigen Gott« (Teil B) gedeutet. Grundsätzlich wird zwischen den biblischen Aussagen an sich und ihrer (zum Teil verheerenden) Wirkungsgeschichte unterschieden. Vor einer Kontrastierung von alt- und neutestamentlichem Gottesbild wird gewarnt. Mit C.G. Jung wenden sich die Autoren gegen die Ausscheidung der »dunklen Seiten« und mithin gegen die Bestimmung Gottes als »summum bonum«. Nacheinander werden die Teilaspekte »der eifersüchtige Gott«, der Ausschließlichkeitsanspruch Gottes, Gott als Rächer, Gottes Zorn und Gericht sowie Gott als Kriegsherr besprochen. Die anthropomorphe Rede vom »eifersüchtigen« Gott und der damit zusammen hängende Monotheismus stehen im Kontext der im Alten Testament unbestrittenen Existenz anderer Götter in Palästina, die die Identität des Gottesvolkes gefährden (l00f.). Die Rede ist Ergebnis einer langen Erfahrungsgeschichte Israels mit dem Gott, der sich an sein Volk gebunden hat und sich immer für es eingesetzt hat (119f.). Die Rede von der Eifersucht enthält positive wie negative Konnotationen, aber: »Gottes Eifer zielt [...] zuerst und zuletzt auf das Wohl Israels, auf ein ungetrübtes Verhältnis des Menschen zu Gott« (104). Daran bemisst sich im Alten Testament die Rede vom »Zorn Gottes« als nicht dauerhafte, vorüber gehende Kehrseite des Eiferns Gottes um sein Volk. Das systematisch-theologische Problem der Intoleranz, das sich aus dem Ausschließlichkeitsanspruch des eifersüchtigen Gottes ergibt, lösen die Autoren unter Hinweis auf die Beobachtung, dass im Alten Testament der Glaube anderer Völker nirgends zum Feindbild wird (115). Die daraus resultierende ethische Konsequenz für die heutige Zeit heißt ökumenische Konvivenz (nicht aber gleichgültige Koexistenz! ). Die Erinnerung an den im 1. Gebot formulierten Ausschließlichkeitsanspruch Gottes hat bis heute ein kirchenkritisches Potenzial, insofern sie der Tendenz einer gesellschaftlichen Anpassung eine Absage erteilt (127). Der vorchristlich, ja archaisch anmutende Schrei nach der Rache Gottes wird als Protestschrei der Ohnmächtigen gegen das Unrecht interpretiert (vgl. etwa Ps 137). Wichtig ist die Beobachtung, dass Israel die Rache in aller Regel Gott selbst überlässt, mit seiner Parteilichkeit rechnet, die sich gegebenenfalls auch gegen das eigene Volk richten kann (etwa Ez 33,6.8; Nah). Auch die Rede von Gottes Rache lässt die Folgerung eines willkürlich agierenden Gottes nicht zu (138), und schon gar nicht lässt sich an ihr ein Gegensatz zum neutestamentlichen Gottesbild konstruieren (vgl. Apk 6,10, aber auch Mt ZNT 9 (5. Jg. 2002) 6,11! ). Vielmehr steht die Rede von der Rache in äußerster Konsequenz der Vorstellung von Gott als demjenigen, der sich um seine Schöpfung sorgt und als Garant des Rechts angerufen wird. Gott stellt sich auf die Seite der Opfer, nötigenfalls mit Gewalt, ohne freilich Gefallen am Tod der Gottlosen zu finden. »Schwer erträglich ist dem modernen Bewußtsein das autoritäre, ungefiltert anthropomorphe Gottesbild, das hinter den Äußerungen des göttlichen Zorns zu stehen kommt« (168). Gottes Zorn und Gericht dienen der Wahrung des Rechts und der Durchsetzung der Wahrheit. »Der Zorn Gottes ist die Gestalt der Wahrheit, mit der Gott die schlägt, die sich angesichts ihrer erhellenden Kraft gegen sie zu behaupten vornehmen« (170). Demnach ist die Rede vom Zorn und vom Gericht nicht zu moralisieren. Auch ist Gott nicht Urheber von Gewalt und Unrecht, sondern der, der das Grauen mit seinem Zorn und mit seiner Güte »engagiert begleitet« (179) und der als der (nicht nur endzeitlich vorzustellende! ) Richter den Weltlauf nicht dem Gesetz seiner eigenen Entwicklung überlässt. Sinn und Zweck seines richterlichen Handelns ist nicht die Vernichtung der Übeltäter, sondern eine zweite Chance auf Zukunft für sie. Mit Willkür oder gar Determinismus hat all das nichts zu tun, sondern mit Gottes kritischer Einwirkung auf die Geschichte (181). Eine bedenkliche Wirkungsgeschichte hatte schließlich auch die Vorstellung von Gott als Kriegsherrn. Die zahlreichen militanten, ja zum Teil grausamen Anweisungen für den Umgang mit den besiegten Feinden (Kriegsbann, vgl. 1 Sam 15,3 ! ) stehen unter dem Vorzeichen der eigentlich aussichtslosen militärischen Situation Israels. Die Grunderfahrung ist das Schilfmeerwunder. »Israels Dank gilt - ZNT 9 (5. Jg. 2002) auch in Ps 136 der eigenen Rettung, auch wenn sie nicht gewaltlos vonstatten ging. Die Katastrophe der andern wird nicht bejubelt« (210). Gott ist der, der für sein Volk kämpft, und der einzig legitime Grund Krieg zu führen ist die Sicherung der Existenz seines Volkes. Am Ende soll Gott auf dem Zion herrschen, nicht etwa Israel über die Feindvölker (194). Die Verhängung des Kriegsbanns, der einem Genozid gleich kommen konnte (wenn er denn jemals durchgeführt wurde) ist ein extremes Mittel, das die gefährlichsten Feinde Israels als Feinde Gottes trifft sie werden ihm übereignet. Demgegenüber stellt die Wirkungsgeschichte dieser militanten Aussagen eine Pervertierung der dahinter stehenden Konzeption dar: »Was sich in Israel selbstkritisch nach innen richtet, wird in den Kreuzzügen imperial nach außen gekehrt« (205). Als Ergebnis nationaler Erfahrung und Reflexion sind die Texte, die von Gott als Kriegsherrn sprechen, nicht christlich zu vereinnahmen (und gar noch gegen Israel und die Juden selbst zu wenden! ). Das theologische Dilemma, welches sich aus den »dunklen Seiten« Gottes ergibt, ist schließlich die Frage nach denen, die von ihnen getroffen werden die Nichterwählten und von Gott bzw. Israel Geschlagenen und Vertriebenen. Aus christlicher Sicht ist das Dilemma nur unter der Voraussetzung theologisch zu lösen, dass J esu Tod am Kreuz als Akt der Stellvertretung auch für diese Menschen und Völker, als Weg Gottes in die Gewaltverhältnisse der Erde, zu verstehen ist (219). Würdigung: Das vorgestellte Buch stellt sich einem äußerst schwierigen, theologisch hoch brisanten Thema. Es muss in der Auseinandersetzung mit klassischer Dogmatik und aufgeklärtem Denken Rechenschaft über Aspekte des jüdisch-christlichen Gottesbildes ablegen, die sich mit der allgemein gängigen Auffassung von Gott als allmächtigem »summum bonum« nicht vereinbaren lassen. Der Ansatz zu einer Lösung, besser: zu einem besseren Verständnis der fremd erscheinenden »dunklen Seiten« Gottes bewegt sich zwischen prädestinatorischen Auffassungen auf der einen und dem Eindruck eines ohnmächtigen Gottes auf der anderen Seite. Der gewählte Weg über die »Innensicht« der Erfahrungen Israels weist auf ein Gottesbild mit anthropomorphen Zügen, das der Rede vom Menschen als »Ebenbild Gottes« entspricht. Dieser Gott ist nicht abstrakt-theoretisch bzw. systematisch-theologisch greifbar, sondern erscheint als derjenige, der sich aus freien Stücken das kleine Israel als sein Volk (vorläufig stellvertretend für die anderen Völker) erwählt, es auf eine soziale Ordnung, die beispiellos in der Antike da steht, verpflichtet und eifernd darüber wacht, dass es weder von außen noch von innen gefährdet wird. Die Erwählung Israels mündet in die Hoffnung, dass Gott seinen universalen Anspruch durchsetzen werde, durch alle menschlichen Irrwege hindurch, vielfach unerklärlich und abgründig, immer in der Gefahr, an irdischen Machtinteressen und menschlichem Desinteresse zu scheitern. In der Ausgewogenheit der Darstellung, in der Verschränkung exegetischer und systematischer Reflexionen liegt der Wert dieses sehr zu empfehlenden und recht gut lesbaren Buches, auch wenn es letztlich die »dunklen Seiten« Gottes »nur« in ihrer Fremdheit aushaltbar zu machen versucht. 69
