ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2003
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Dronsch Strecker VogelVom Gotteskrieg in der hebräischen Bibel
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2003
Daniel Krochmalnik
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ZNT 11 (6. Jg. 2003) 21 Der sechste Abschnitt des fünften Buches Mose wird nach seinen ersten Wörtern : »Wenn Du gegen deine Feinde in den Krieg ziehst (...)« (Ki-Teze LaMilchama Al-Oiwecha, Dtn 21,10) benannt. Vom Krieg wird aber bereits am Schluß des vorigen Abschnitts gehandelt: »Wenn du gegen deine Feinde in den Krieg ziehst«, hatte es dort gleichfalls geheißen, »und Rosse und Wagen siehst, ein Volk, das zahlreicher ist als du, so fürchte dich nicht vor ihnen, denn mit dir ist der Ewige, dein Gott (...). Wenn ihr nun zur Schlacht heranrückt, dann trete der Priester vor und rede zum Volk. Und er spreche zu ihnen: Höre, Israel (Sch’ma Jsrael), ihr rückt heute gegen eure Feinde zur Schlacht heran, euer Herz sei nicht verzagt, fürchtet euch nicht , zittert nicht und erschreckt nicht vor ihnen, denn der Ewige, euer Gott, ist es der mit euch zieht, um für euch gegen eure Feinde zu streiten und euch zu helfen« (Dtn 20,1-5). Die Szene kommt uns bekannt vor. Wir erinnern uns an die christlichen Priester, die die Truppen mit »Gott-will-es« - und »Gott-mit-uns«-Aufrufen anfeuerten und die Waffen segneten oder an muslimische Prediger, die ihre Gemeinde zum »heiligen Krieg« aufrufen und Märtyrer himmlischen Lohn versprechen. Angesichts der Unmenschlichkeit, mit der Religionskriege geführt werden, verlieren wir schnell die Geduld mit solchen »heiligen Texten«. Aber lassen wir die Bibel ausreden und hören uns die biblische Mobilmachung einmal aufmerksam an: »Und die Aufseher«, die etwa unseren Militärpolizisten entsprechen,» sollen zum Volke sprechen: Wer hat ein neues Haus gebaut und nicht eingeweiht? Er mag gehen und heimkehren, damit er nicht in der Schlacht falle, und ein anderer es einweihe. Wer hat einen Weinberg gepflanzt und ihn noch nicht ausgelöst? Er mag gehen und heimkehren, damit er nicht in der Schlacht falle, und ein anderer ihn auslöse. Wer hat sich mit einer Frau verlobt und sie noch nicht heimgeführt? Der mag gehen und heimkehren, damit er nicht in der Schlacht falle, und ein anderer sie heimführe. Dann soll der Aufseher weiter zum Volk sprechen und sagen: Wer ist furchtsam und im Herzen verzagt? Er mag gehen und heimkehren, damit nicht seinen Brüdern der Mut ebenso schwinde, wie ihm« (20,5-9). Hier wird nicht verlangt, daß die Kämpfer ihr privates Glück opfern und im Namen Gottes mitten aus dem Leben scheiden. Ganz zu schweigen davon, daß hier nicht Kinder und Jugendliche, deren Leben noch gar nicht richtig begonnen hat, in den sicheren Tod geschickt werden. Zwischen der Ansprache des Priesters und der des Aufsehers gibt es außerdem einen wichtigen Unterschied: Während der Priester das Volk aufruft, im Gottvertrauen, ohne Furcht und Zittern in die Schlacht zu ziehen, schicken die Aufseher alle, die sich dennoch fürchten, wieder nach Hause. Kriegsdienstverweigerung muß nicht umständlich begründet werden, und es stehen keine Militärpsychiater hinter der Front, um »Kriegszitterer« mit brutalen Therapiemethoden wieder einsatzbereit zu machen. Nicht alle verfügbaren Kräfte werden mobilisiert, das zivile Leben behält vielmehr auch im Kriegsfall seine volle Daseinsberechtigung. Eine solche Mobilmachung klingt in unserer Zeit geradezu idyllisch und ist jedenfalls nicht Ausdruck blutrünstiger Kriegslüsternheit. Auch die folgenden biblischen Bestimmungen zeigen, daß der Krieg kein Selbstzweck war und der Friede vorgezogen wurde: »Wenn nun die Aufseher ihre Ansprache an das Volk beendet haben, soll man Heerführer an die Spitze des Volkes stellen. Wenn du gegen eine Stadt heranrückst, um sie zu bekriegen, so sollst du ihr Frieden anbieten. Wenn sie dir friedlich antwortet und sich dir öffnet, so soll Zum Thema Daniel Krochmalnik Vom Gotteskrieg in der hebräischen Bibel »Angesichts der Unmenschlichkeit, mit der Religionskriege geführt werden, verlieren wir schnell die Geduld mit solchen ›heiligen Texten‹« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 21 22 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema alles Volk, das sich in ihr findet, dir steuerpflichtig und dienstbar sein. Wenn sie aber mit dir nicht in Frieden leben, sondern Krieg führen will, und du sie einschließt, und der Ewige, dein Gott, sie in deine Hand gibt, so sollst du die Männer in ihr mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Jedoch die Frauen, die Kinder und das Vieh und alles in ihr, all ihr Gut, erbeuten.« (Dtn 20, 10-14). Daß auch im Fall des unvermeidlichen Krieges kein »Vernichtungskrieg« gemeint ist, mit zerbombten Städten und verbrannter Erde, zeigt die letzte Bestimmung dieses altisraelitischen Kriegsgesetzes: »Wenn du eine Stadt lange Zeit einschließt und bekriegst, um sie einzunehmen, so sollst du die Bäume um sie herum nicht zerstören, indem du die Axt gegen sie schwingst, sondern sollst nur von ihnen essen, sie selbst aber nicht umhauen, denn sind etwa die Bäume des Feldes Menschen, daß sie von dir in die Belagerung hineingezogen werden sollten? « (Dtn 20,19). Die Tradition hat den biblischen Krieg weiter umhegt. So bedürfen Kriege überhaupt der Zustimmung des obersten Gerichtshofs (Sanhedrin), 1 und sie unterliegen ganz bestimmten Regeln. Eine belagerte Stadt darf z. B. nicht ganz umzingelt werden, damit die Flüchtlinge noch Auswege finden. 2 Wenn man solche Bestimmungen mit den Schrecken des heutigen Krieges vergleicht, dann hat man den Eindruck, daß die Menschheit seither zurückgeschritten ist. Es wäre aber unfair zu verschweigen, daß in unserem Abschnitt auch vom »Vernichtungskrieg« gegen die damaligen Bewohner des heiligen Landes die Rede ist (20,17-19). Dieser Krieg wird als Maßnahme gegen den Götzendienst gerechtfertigt: »damit sie euch nicht alle Greueltaten lehren, die sie ihren Göttern gegenüber geübt, und ihr sie ebenfalls übt« (Dtn 20,18) und zur religiösen Pflicht erhoben (Milchemet Mizwa). Welche Greueltaten die Bibel hier meint, deutet sie kurz zuvor an: »Alles was dem Ewigen ein Greuel ist, was er haßt, haben sie ihren Göttern gegenüber getan, ja sie verbrennen selbst ihre Söhne und Töchter ihren Göttern zu Ehren« (Dtn 12,31). Es gibt Feinde, die nicht geschont werden dürfen, weil sie eine gottes- und menschenverachtende Ideologie vertreten. Wer imstande ist, im Namen eines Götzen seine »Söhne und Töchter« zu verbrennen, ist zu allem fähig und verdient keine Nachsicht. Feindesliebe ist hier Fehl am Platz, weil das ein zusätzlicher Schlag gegen ihre Opfer wäre! Unsere Weisen sagen uns zwar, daß die Völker, gegen die diese Art von Krieg gerechtfertigt war, längst verschwunden seien (mJad 4,4), 3 wir kennen aber leider genügend Beispiele dafür, daß Menschen ihre »Söhne und Töchter« für ihre religiösen und nationalistischen Götzen durchs Feuer gehen lassen. Aber auch im Falle eines solchen Pflichtkrieges, der bis heute als ein Hauptargument gegen die Bibel ins Feld geführt wird, gilt nach der Tradition die Regel: »Wenn du dich einer feindlichen Stadt näherst, um sie zu bekämpfen, mußt du sie vorerst zum Frieden auffordern« (Dtn 20,10). Nimmt die Stadt daraufhin die sieben Gebote Noachs - eine Art Kurzfassung der zehn Gebote - an, so wird sie verschont. Es handelt sich bei diesen Kriegen also nicht um eine ethnische, sondern um eine ethische Säuberung. 4 Trotz alle dem ist uns heute die alttestamentarische Rede von den »Gotteskriegen« (Milchamot Ha- Schem) und von Gott als »Kriegsmann« (Isch Milchama), wie Mose ihn in seinem Triumphlied auf den Untergang der Ägypter am Meer nennt (Ex 15,3), peinlich geworden. Aber die Erfahrung, die wir soeben mit dem biblischen Kriegsgesetz gemacht haben, sollte uns vor schnellen negativen Vorurteilen warnen und uns veranlassen, einmal genauer das Phänomen der biblischen »Gotteskriege« zu prüfen. Es fängt schon damit an, daß der älteste hebräische Bardengesang (Ri 5), der in den Synagogen nach der Lesung des Triumphlieds am Meer vorgetragen wird, die Heldentaten zweier Frauen preist, der Prophetin und Richterin Debora (Ri 5,8) und Jael (Ri 5,24), während der Feldherr Barak, der Nachfolger Ehuds, eine ganz schlechte Figur macht (4,9). Aber auch die männlichen Anführer sind in diesen israelitischen Heldensagen keine Ritter »Wenn man solche Bestimmungen mit den Schrecken des heutigen Krieges vergleicht, dann hat man den Eindruck, daß die Menschheit seither zurückgeschritten ist« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 22 ZNT 11 (6. Jg. 2003) 23 Daniel Krochmalnik Vom Gotteskrieg in der hebräischen Bibel ohne Furcht und Tadel, sondern ausgesprochen kampfunerfahrene »Richter«. Der Bauer Gideon, der die Midianiter besiegen soll, ist der Jüngste aus der kleinsten Sippe des Stammes Manasse (Ri 6,15). Der Bauer Saul, der die Philister besiegen soll, kommt aus der kleinsten Sippe des kleinsten Stammes Benjamin (1Sam 9, 21) und versteckt sich bei seiner Wahl schüchtern hinterm Gepäck (1Sam 10, 22). Der Hirte David ist der jüngste, der kleinste und der unscheinbarste der Kinder Jesses. Der Prophet, der den ältesten, hochgewachsenen Eliaw zuerst erblickt und sofort einsetzen will, bekommt von Gott den charakteristischen Bescheid: »Achte nicht auf sein Aussehen, auf seine Körpergröße, denn ihn verschmähe ich, denn nicht was der Mensch sieht, (zählt), denn der Mensch sieht nach den Augen, aber der Ewige sieht nach dem Herzen« (1Sam 16, 6f.) - es kommt also nicht auf die »langen Kerls« an, ja die langen Kerls à la Goliath ziehen in der Bibel immer den Kürzeren (1Sam 17). Auch die Heere Israels sollen nicht durch Größe und Stärke imponieren. Gideon, der zuerst ein Heer von 32 000 Männern gesammelt hatte, zieht schließlich mit 300 Mann in den Kampf: »Das Volk bei dir«, sagt ihm Gott, »ist zu zahlreich, als daß ich die Midianiter in deine Hand geben könnte. Israel möchte sich sonst wider mich rühmen und sprechen: Meine Hand hat mir geholfen.« (Ri 7,2) Ja, als David seine wehrfähigen Männer zählen ließ, wurden sie umgehend durch eine von Gott geschickte Pest dezimiert (2Sam 24; 1Chr 21). Die »Gotteskriege« verstoßen ganz offensichtlich gegen die militärische Logik von Truppenstärke und Feuerkraft - Gott ist mit den schwächeren Regimentern! Wie sollte man sonst auch »Gotteskriege« von gewöhnlichen Kriegen unterscheiden können? Der Beistandspakt Gottes mit Israel, wie die Bibel sagt, dem »kleinsten unter allen Völkern« (Dtn 7,8), tritt aber keineswegs automatisch in Kraft. Eine der Geschichten, die den Titel: »Die Bibel hat doch recht« verdienen würde, straft jede Gott-mituns-Ideologie Lügen. Einmal, so erzählt das erste Buch Samuel, wurden die Israeliten von den Philistern geschlagen. Sie wollten die Niederlage nicht hinnehmen, holten die Bundeslade, die auch der Sitz Gottes war, und rückten mit großem Kampfgeschrei noch einmal aus. Sie wurden nicht nur ein zweites Mal geschlagen, sondern ihre Feinde nahmen ihnen auch noch ihr Gottmit-uns-Fetisch ab und führten es im Triumph heim (1Sam 4-6). Die Gotteskriege sind eben Kriege Gottes zur Rettung Verfolgter und nicht religiös legitimierte imperialistische Kriege von Verfolgern. Gewiß, das »Alte Testament« hat den Krieg nicht verworfen und die »Gotteskriege« sogar verherrlicht. Es enthält aber auch das Motto aller späteren Friedens- Daniel Krochmalnik Prof. Dr. Daniel Krochmalnik, Jahrgang 1956, promovierte 1989 und habilitierte sich 1998 mit einer Arbeit zum Thema »Sokratisches Judentum. Moses Mendelssohns Religionsphilosophie im Zeitalter der Aufklärung«. Seit 1990 Dozent an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Seit 1999 Professor für moderne Jüdische Philosphie und Geistesgeschichte und Jüdische Religionspädagogik an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und Privat- Dozent für Jüdische Philosophie an der Ruprechts-Karls-Universität Heidelberg, Philosophisch-Historische Fakultät. 1997-2001: 1. Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg und Deligierter beim Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Baden. Seit 2002 Mitherausgeber der Jubiläumsausgabe der Schriften Moses Mendelssohns. Zahlreiche Publikationen zu religionsphilosphischen und religionspädagogischen Themen. »Gewiß, das ›Alte Testament‹ hat den Krieg nicht verworfen und die ›Gotteskriege‹ sogar verherrlicht. Es enthält aber auch das Motto aller späteren Friedensbewegungen« 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 23 24 ZNT 11 (6. Jg. 2003) Zum Thema bewegungen. So weissagen die Propheten Jesaja und Micha: »sie werden stumpf machen ihre Schwerter zu Sicheln, und ihre Lanzen zu Winzermessern. Kein Volk wird gegen ein anderes Volk das Schwert erheben und sie werden nicht mehr Krieg lernen (...)« (Jes 2,4; Mi 4, 3). Auch das »Alte Testament« sehnt sich nach dem Ende aller Kriege. Nur hat es dieses Ende nicht vorgezogen und den Krieg nicht verdrängt. Im 20. Jahrhundert hat die Welt den Krieg nach dem Schwerter-zu-Pflugscharen- Motto des Propheten zwar geächtet, aber in keinem Jahrhundert sind grausamere Kriege geführt worden. Es wäre insbesondere unfair, unsere schlechten Erfahrungen mit den »heiligen Kriegern« im 21. Jahrhundert, eins zu eins auf das Alte Testament zurück zu übertragen. l Anmerkungen 1 bSan 20b, MT Hil. Melachim, 5, 5. 2 Maimonides, Hilchot Melachim, 5, 6. 3 Maimonides, Buch der Gebote, Gebot Nr. 187. 4 Maimonides, Hilchot Melachim 6, 1. MAINZER HYMNOLOGISCHE STUDIEN Heike Wennemuth Vom lateinischen Hymnus zum deutschen Kirchenlied Zur Übersetzungs- und Rezeptionsgeschichte von Christe qui lux es et dies Mainzer Hymnologische Studien 7, 2003, 352 Seiten, 48,-/ SFr 79,30 ISBN 3-7720-2917-5 Mit der Transformation lateinischer Hymnen in die Gattung des deutschen Kirchenliedes sind vielfältige Veränderungen des literarisch-poetischen, mentalitäts- und frömmigkeitsgeschichtlichen sowie des theologischen und liturgischen Kontextes verbunden. Dieser im 14. Jahrhundert einsetzende Transformationsprozeß hält bis in die Gegenwart an. Gerade die Transformation eines Hymnus in eine neue Gattung, einen neuen Kontext und eine neue Sprache bietet vielfältige Ansatzpunkte, individuelle oder zeittypische Deutungen und Verständnisprobleme offenzulegen, gleichzeitig aber über die Zeiten hinweg Beständiges festzuhalten. Den Übergang der altkirchlichen zur muttersprachlichen Lieddichtung und deren Entwicklung sowohl auf katholischer als auch auf evangelischer Seite paradigmatisch nachzuvollziehen, eignet sich der benediktinische Komplet-Hymnus “Christe, qui lux es et dies” in besonderem Maße. A. Francke Verlag Tübingen und Basel 011603 ZNT 11 - Inhalt 31.03.2003 15: 02 Uhr Seite 24
