eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 6/12

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2003
612 Dronsch Strecker Vogel

Unecht - und doch wahr? Pseudepigraphie im Neuen Testament als theologisches Problem

121
2003
Ruben Zimmermann
znt6120027
Ruben Zimmermann Unecht - und doch wahr? Pseudepigraphie im Neuen Testament als theologisches Problem Hätte wie die Wahrheit auch die Lüge nur ein Gesicht, wären wir besser dran: Wir würden dann einfach das Gegenteil von dem, was der Lügner sagt, für gewiss halten. Die Kehrseite der Wahrheit hat jedoch hunderttausend Erscheinungsformen und verfügt über einen unbegrenzten Spielraum. 1 1. Das Problem Die Veröffentlichung von Schriften unter Pseudonymen, d.h. nicht zutreffenden Verfasserangaben, begegnet in der gesamten Literaturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart.' Auch in der theologischen Literatur ist der Gebrauch von Pseudonymen bekannt und wird weiters nicht problematisiert, sofern ihr Einsatz forschungsgeschichtlich legitimiert (so etwa bei Reimarus), symbolisch gedeutet (so bei Kierkegaard) oder literarisch gewürdigt werden kann (so z.B. bei Jan Rohls). 3 Ganz anders jedoch im Bereich religiöser Primärschriften. In aller Schärfe verurteilten schon altkirchliche >Echtheitskritiker<, wenn späte Texte mit apostolischen Namen versehen wurden: So wurde der >entlarvte< Verfasser der Paulusakten nach der Überlieferung durch Tertullian aus seinem Amt entfernt; 4 drastischer noch das Urteil von Ambrosiaster (4. Jh.) in seinem Kommentar zu 2Thess: » Wie der Teufel die Maske des Erlösers annimmt, um die Gläubigen zu täuschen, so die Häretiker die Namen heiliger Schriftsteller.«' Ausgeschlossen war entsprechend, wie etwa das Zeugnis des Canon Muratori (ca. 200 n.Chr.) nahe legt,' dass die als Fälschung erkannten Schriften in den Kanon der Bibel aufgenommen worden wären. Doch die einfache Überzeugung, dass in der Bibel nur >echte<, apostolische Schriften versammelt seien, wurde seit Beginn der modernen kritischen Bibelwissenschaft immer mehr in Zweifel gezogen. Selbst konservative Forscher anerkennen heute, dass auch Schriften der Bibel als >Pseudepigraphen<, d.h. als Schriften mit >falschen Ver- ZNT 12 (6. Jg. 2003) fasserangaben<, eingeschätzt werden müssen. Kaum ein Bibelwissenschaftler würde heute noch bezweifeln, dass z.B. die Pastoralbriefe aus stilistischen, theologischen und zeitgeschichtlichen Gründen nicht von Paulus geschrieben sein können,' obwohl sie das nicht nur im Präskript expressis verbis behaupten,' sondern durch die vorgestellte Briefsituation im Leben von Paulus (z.B. 1Tim 1,3), durch biografische Notizen (z.B. 1Tim 1,12-17) und Personennamen (z.B. 2Tim 1, 15-18) offenbar nachdrücklich suggerieren wollen. Doch bei den Pastoralbriefen handelt es sich nicht um Einzelfälle. Die neuere Forschung anerkennt, dass »ein großer Teil des kanonischen Schrifttums aus Pseudepigraphen,/ besteht. Allein bei den neutestamentlichen Schriften, die überhaupt einen Verfasser nennen,1° sind die Hälfte >unecht< in dem Sinn, dass sie nach heutigem Ermessen nicht von dem Autor geschrieben wurden, den sie angeben. Neben den genannten Pastoralbriefen sind hier weitere Paulus briefe zu nennen, wobei die Pseudepigraphie von 2Thess und Kol umstritten ist,1 1 bei Eph allerdings allgemein anerkannt wird. Ferner geht man davon aus, dass die katholischen Briefe (1Petr, 2Petr, Jak, Jud) nicht von den genannten Aposteln verfasst sein können. Dieser Befund ist gleich in mehrfacher Hinsicht theologisch brisant. Einerseits stellt sich die ethische Frage, ob die >Unechtheit< der Verfasserangaben mit dem Wahrheitsanspruch der Bibel zu vereinbaren ist. Legitimiert die biblische Pseudepigraphie etwa die pia fraus, den frommen Betrug, der in bestimmten Fällen als notwendiges Mittel einem heiligen Zweck dienen kann? Würde die Bibel somit einer konsequentialistischen Ethik das Wort reden, nach der nur das Ziel einer Handlung deren moralischen Wert bestimmt? Oder stehen die falschen Verfasserangaben auf einer Stufe mit jeder Lüge, die nach dem neunten Dekalog-Gebot (Ex 20,16) ausdrücklich - und ohne Ausnahme -verboten wird? Wenn aber die Bibel dem Anspruch, den sie in den zehn Geboten fordert, selbst nicht gerecht werden kann, ist sie dann noch glaubwürdig? Wenn um Klartext zu 27 reden in der Bibel gelogen wird, ist dann nicht der Wahrheitsanspruch der >Heiligen Schrift, Fälschungen entlarvten Schriften bei der Suche eines >Kanons im Kanon, abzuwerten oder sie soüberhaupt in Frage gestellt? Hat dann paradoxerweise ausgerechnet die moderne Bibelwissenschaft die Bibel als norma normans und unbedingte Moralinstanz gleichsam selbst diskreditiert? »Wenn aber die Bibel dem Angar gänzlich aus dem Kanon auszuschließen, so wie die Alte Kirche es getan hätte. 14 spruch, den sie in den zehn Geboten fordert, selbst nicht gertcht werden kann, ist sie dann.noch.glaubwürdig"? Die hier simplifizierend skizzierten Positionen werden jedoch dem Problem in seinem historischen Kontext und seiner sachlichen Komplexität keineswegs gerecht. Im Folgenden möchte ich deshalb versuchen, die am Phänomen der kanonischen Andererseits wirft das Phänomen der Pseudepigraphie die Frage nach der Gültigkeit des Kanons in verschärfter Weise auf. Hatte nicht gerade die Apostolizität einer Schrift Wenn umKlartext zu reden in der Bibel gelogen wird, ist.dann nicht der Wahrheitsanspruch der >Heiligen Schrift< überhaupt in Frage gestellt? « als maßgebliches Auswahlkriterium gegolten? Sind etwa die Kanonväter in vielen Fällen in Unkenntnis der Fälschung einem plumpen Betrug erlegen? Welche Konsequenzen würde eine solche Einschätzung für die Anerkennung der Kanonsgrenzen mit sich bringen? Wer in verzweifelter Aufrechterhaltung orthodoxer Schriftprinzipien nicht zum (vorbzw. unkritischen) Bekenntnis der Echtheit der Verfasserangaben zurückkehren möchte, 12 steht scheinbar vor zwei extremen Alternativen, wie sie in der Exegese immer wieder vertreten wurden: Die einen Forscher nivellieren das Problem: Pseudepigraphie sei ein allgemein anerkanntes stilistisches Verfahren gewesen, dessen sich auch neutestamentliche Autoren bedient hätten. Eine Täuschungsabsicht habe weder von Seiten der Verfasser bestanden, noch wäre sie von den Rezipienten als solche empfunden worden. Entsprechend werde der Wert des Kanons an der theologischen Tiefe und wirkungsgeschichtlichen Bedeutung seiner Schriften und nicht an der Echtheit der Verfasserangaben bemessen. 13 Andere, insbesondere Vertreter einer evangelikalen Theologie, dramatisieren das Problem: Durch die Existenz von pseudepigraphen Schriften im Kanon sei in der Tat der Wahrheits- und Offenbarungsanspruch der Bibel gefährdet. Die Pseudepigraphen, aus welcher Motivation und scheinbaren Notwendigkeit auch immer sie entstanden sein mögen, seien von ihren Verfassern als bewusste Fälschungen in Umlauf gebracht worden. Nur weil die Kanonväter ihre Unechtheit nicht erkannt haben, seien sie überhaupt in die Bibel gelangt. Es sei deshalb geboten, die heute als 28 Pseudepigraphen entzündete theologische Problematik differenziert zu bearbeiten, wobei jeweils unterschiedliche Perspektiven eingenommen werden, die auf je eigene Weise zum besseren Verständnis beitragen können. 2. Lösungsbzw. Erklärungsangebote 2.1. Eine terminologische Annäherung >Unechtheit" >Fälschung" >Lüge< sind in hohem Maß wertende Begriffe, die bereits bestimmte moralische Vorentscheidungen der jeweiligen Autoren anzeigen. Es ist deshalb hilfreich, zunächst begrifflich differenziert und möglichst wertfrei das Phänomen >falscher Verfasserangaben< zu beschreiben. Richtet man den Blick auf die Autorenangabe einer Schrift, gibt es drei Möglichkeiten: Die Schrift ist >anonym, überliefert, d.h. es fehlt jede Verfasserangabe. >Ürthonym, können Schriften genannt werden, deren Verfasserangaben mit den tatsächlichen Autoren übereinstimmen. Schließlich nennen >pseudonyme, bzw. >allonyme, 1' Schriften statt dem tatsächlichen Autor einen anderen Namen. Innerhalb der zuletzt genannten Gruppe sind dann weitere begriffliche Differenzierungen je nach Entstehungszusammenhang und Motivation des Einsatzes von Pseudonymen hilfreich: 16 >Fiktionale Pseudonyme<, d.h. frei erfundene Personennamen innerhalb einer Erzählung oder eines Romans, finden sich als stilistische Kunstgriffe in der gesamten abendländischen Literaturgeschichte. Eine Zuspitzung dieses Stilmittels liegt dann vor, wenn ein Autor bestimmte histori- ZNT 12 (6. Jg. 2003) Ruberi Zimmermann PD Dr. Ruben Zimmermann, Jahrgang ·1968, promovierte 1999 in Heidelberg mit einer Arbeit zur »Geschlechtermetaphorik« in der jüdisch-christlichen Tradition. Habilitation: 2003 in München mit einer Arbeit zur »Christopoetik des Johannesevap_geliums«. Dr: Ruhen Zimmermann unterrichtet an der Päd. Hoch~ schule Heidelberg sowie an der Universität München. Derzeitige Forschungsschwerpunkte: N euere. exegetische Methoden, Hermeneutik und Ethik des Neuen Testaments. sehe Personen im Roman oder der Novelle wiederbelebt, wie dies etwa bei dem jüdischhellenistischen Roman Joseph und Aseneth in Anknüpfung an Genesis 41,45 oder in neuerer Zeit bei Georg Büchners Lenz oder Thomas Manns Dr. Faustus der Fall ist. Obgleich die Identifikation der Personen vielschichtig sein kann, 17 bleiben doch die Zuordnungen transparent: Auch wenn die literarischen Personen im Geist den historischen Vorbildern nahe stehen, bleibt für den Leser sichtbar, dass sie vorrangig mit den Worten ihrer Erfinder sprechen. Von einer >literarischen Pseudonymität, im engeren Sinn kann man erst sprechen, wenn ein Autor seinen tatsächlichen Namen hinter einer erfundenen oder gewählten Verfasserangabe für eine Ganzschrift verbirgt. Eine abgemilderte Form dieser Pseudonymität kann in der frühneuzeitlichen Mode gesehen werden, den eigenen Namen zu latinisieren oder zu gräzisieren (z.B. >Melanchthon, für >Schwarzerdt,; >Gryphius< für >Greif,). Die Verwendung eines Pseudonyms konnte aus ästhetischen, insbesondere auch rezeptionsästhetischen Gründen erfolgen, um das Interesse der Leserschaft zu wecken (z.B. die Pseudonyme Moliere, Novalis, Jean Paul etc.); manchmal diente sie auch dem Schutz des Autors ZNT 12 (6.Jg. 2003) (z.B. beim Spiritualisten C. Hoburg oder Altkatholiken I. v. Döllinger). Während diese im Blick auf den realen Autor verhüllende oder symbolische Pseudonymität vorrangig seit der Neuzeit begegnet, sollte durch eine fiktive Verfasserangabe in der Antike meist die Autorität eines Textes durch seine bewusste Rückbindung an eine bedeutende Persönlichkeit hervorgehoben werden. Es erscheint mir deshalb sinnvoll, die autorenzentrierte neuzeitliche >Pseudonymität, und die textzentrierte antike >Pseudepigraphie, (gr. >mit falscher Überschrift,) auch begrifflich auseinander zuhalten. Obgleich die Übergänge der unter dem Begriff >Pseudepigraphie< subsumierten Formen oft fließend sind, ist es hilfreich das antike Phänomen in heuristischer Absicht weiter auszudifferenzieren: Einige Autoren sprechen von einer »echten religiösen bzw. offenbarungstheologischen Pseudepigraphie«,18 wenn ein Text als Spruch einer Gottheit ausgewiesen ist. Durch spirituelle Erlebnisse bzw. mystische Identifizierung wie z.B. Inspiration, Diktat oder Vision sei die Botschaft eines Gottes empfangen worden (z.B. JHWH- Sprüche der Propheten; Orakel an gr. Heiligtümern), so dass die Angabe des Urhebers gerechtfertigt erscheint, auch wenn ein Spruch in den Worten des jeweiligen Offenbarungempfängers formuliert werde. Allerdings wurde m.E. zu Recht angefragt, ob sich eine solche Klassifikation auf schriftlich fixierte Texte überhaupt anwenden lasse, da diese auch visionäre Erlebnisse immer literarisch und unter Einbeziehung traditioneller Deuteschemata verarbeiten. 19 Eine überlieferungsgeschichtliche Pseudepigraphie liegt vor, wenn im Lauf der Tradierung (ursprünglich anonyme) Schriften an einen bestimmten Personennamen gebunden wurden (z.B. in der griech. Tradition: medizinische Texte an Hippokrates; in der jüdischen Tradition: Psalmen an David, Weisheitstexte an Salomo). In der Regel wurde die Namenszuschreibung bewusst vollzogen, daneben konnte es aber auch durch Zufälle zu den >falschen, Autorennamen kommen, wenn die Verfasserangabe durch irrtümliche Zuschreibungen (z.B. aufgrund von Namensgleichheit20) erfolgte, auf Missverständnissen beruhte (z.B. wenn Stilübungen als >echt, eingestuft wurden) oder durch besondere Umstände der Entstehung einer Schrift (z.B. Sekretärsarbeit; 29 Stellvertretung wegen Gefangenschaft des genannten Autors) verursacht war. In diesen Fällen ist der Begriff zufällige bzw. technisch bedingte Pseudepigraphie gerechtfertigt. Bei einigen Texten ist die Verfasserangabe eng mit der literarischen Gestaltung der Schrift verbunden. So wurden z.B. in der jüdischen Tradition Apokalypsen als Visionsberichte (z.B. Hen; ApkMos; 4Esr) oder Testamente als Vermächtnisschriften (z.B. TestXII) einer biblischen Gestalt stilisiert. Entsprechend kann man hier von einer literarischen bzw. gattungsbedingten Pseudepigraphie sprechen. Bei der imitativen Pseudepigraphie wurden Schriften inhaltlich und/ oder stilistisch eng an normative Werke anerkannter Autoritäten angelehnt. 21 Besonders in den antiken Philosophen- und Ärzteschulen war es üblich, dass Schüler nicht nur Schriften des Lehrers herausgegeben, sondern auch eigene Arbeiten in Anerkennung und Ehrerbietung des Lehrers unter dessen Namen veröffentlicht haben (z.B. Ps- Pythagoras; Ps-Heraklit; ps-platon. Briefe etc.). Noch Tertullian schreibt, dass »als Werk des Lehrers angesehen werden (darf), was seine Schüler publiziert haben.« 22 Schließlich kann die literarische Fälschung als Sonderfall der Pseudepigraphie betrachtet werlischer Autoritäten verbunden wurden (Evv.; Hebr; lJoh). Von einer literarischen Pseudepigraphie könnte man beim joh Schrifttum sprechen, denn auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Verfasserangaben wie »der Jünger, den Jesus liebte« (Joh 21,24), »der Alte« (2Joh l; 3Joh 1) oder »Johannes von Patmos« (Offb 1,4.9) auf historische Personen beziehen, kann man hier doch aus rezeptionsästhetischer Sicht Pseudonyme erkennen, die eine bestimmte literarische Funktion erfüllen sollten (z.B. der Lieblingsjünger als idealer Jünger). Die größte Bedeutung haben zweifellos Formen der imitativen Pseudepigraphie, wie sie in der ntl. Briefliteratur, insbesondere bei einigen Ps-Paulusbriefen im Vergleich mit authentischen Paulusbriefen nachzuweisen ist. Literarische Fälschungen werden hingegen in 2Thess 2,2 ausdrücklich verurteilt. 2.2. Eine religionsgeschichtliche Annäherung Im Alten Orient wurden religiöse Schriften überwiegend anonym überliefert. Entsprechend sind auch die meisten Schriften der hebräischen Bibel ohne Verfasserangabe überkommen. Innerhalb der jüdischen Überlieferung war vor allem die Botschaft maßgeblich, hinter der die Person des den, bei der ein Autor in bewusster Täuschungsabsicht der Rezipienten 23 und in der Regel aus eigennützigen (z.B. politischen oder finanziellen) Interessen die falsche Verfasserangabe einführt. So hat z.B. Anaximenes v. Lampsakos nach dem Zeugnis von Pausanias (VI 18,5) eme Schmähschrift unter dem Namen seines Feindes Theopompus veröffentlicht, um dessen Ruf zu schädigen. »Die Hervorhebung der Person des Autors bzw. die Autors ganz zurücktreten konnte. Insofern die Individualität und Autorität z.B. des Propheten oder Lehrers in den Blick kam, wurde sie durch seine mündliche Lehre begründet und auch zunächst dadurch festgehalten. Die Verschriftlichung vollzog sich dann in einem längeren Überlieferungsprozess von unterschiedlichen Autoren bzw. Redaktoren, die die älteren Traditionen bearbeitet, erwei- Idee des >geistigen Eigentums< wurde von Anfang an auch durch das Phänomen der Pseudepigraphie und Fälschung begleitet, wie zahlreiche pseudepigraphe Schriften sowie die Ausbildung einer antiken >Echtheitskritik< belegen.« Versucht man die ntl. Texte mit unzutreffenden Verfasserangaben innerhalb dieses begrifflichen Koordinatennetzes einzutragen, können drei Formen wahrgenommen werden: Einerseits finden sich Formen einer überlieferungsgeschichtlichen Pseudepigraphie, sei es, dass einzelne Logien bzw. Reden Jesus in den Mund gelegt wurden, sei es, dass anonyme Schriften zumindest im Laufe ihrer Wirkungsgeschichte mit dem Namen apostotert und verändert haben bis sie schließlich die uns heute vorliegende Gestalt gewonnen hatten. Die hebr.-jüdischen Schriften (bis hin zu den Rabbinica) können entsprechend als »Traditionsliteratur« bezeichnet werden. 30 Ganz anders jedoch in der griechischen Kultur. Hier setzte so etwa ab dem 7./ 6. Jh. ein Bewusstwerdungsprozess für die individuelle geistige bzw. schöpferische Leistung ein, so dass Autoren ZNT 12 (6. Jg. 2003) ihren Namen innerhalb der Schrift nannten (z.B. der Spruchdichter Theognis v. Megara), ebenso wie Vasenmaler ihre Keramiken oder Bildhauer ihre Plastiken signierten. Die etwa seit dem 5. Jh. zu beobachtende Entwicklung des ,Buchhandels< in Athen, durch den Schriften publiziert und verbreitet wurden, förderte die Vorstellung einer individuellen Verfasserschaft. 24 Die Hervorhebung der Person des Autors bzw. die Idee des >geistigen Eigentums< wurde von Anfang an auch durch das Phänomen der Pseudepigraphie und Fälschung begleitet, wie zahlreiche pseudepigraphe Schriften sowie die Ausbildung einer antiken »Echtheitskritik« belegen. 25 In der griechischen Literatur dominieren dabei vor allem Formen der literarischen oder imitativen Pseudepigraphie sowie Fälschungen mit unterschiedlicher Motivation wie z.B. Gewinnstreben, Machtzuwachs, Rechtsvorteile oder Befriedigung von Emotionen wie z.B. Rache und Neid. Erst im Zusammenfließen von orientalischer und griechischer Schriftkultur, wird das Phänomen der Pseudepigraphie für einen bestimmten Namen verbürgt, so geht es doch gerade auch hierbei um die Hervorhebung der überzeitlichen und überindividuellen Dimension dieser Literatur. Die überlieferungsgeschichtliche Pseudepigraphie bleibt im Kern Traditionsliteratur. Daneben begegnet in hellenistischer Zeit aber auch Autorenliteratur, d.h. Werke, die auf einen Verfasser zurückgehen." Mit Jesus Sirach haben wir die erste (deutero-)kanonische Schrift, bei der ein Autor explizit mit seinem eigenen Namen unterschreibt (Sir 50,27). In ähnlicher Weise demonstriert das apokryphe jüdisch-hellenistische Schrifttum die Hervorhebung des individuellen Verfassers, wie bereits die Sammlung des Alexander Polyhistor (1. Jh. v.Chr.) Über die Juden beweist. 29 Offenbar um die Anerkennung in der griech.-römischen Welt zu erlangen, finden sich in dieser Zeit auch vermehrt pseudepigraphe Schriften, wie z.B. Fälschungen von Klassikertexten (z.B. Ps-Aeschylos; Ps- Sophokles) oder die Pseudophykilidea. 30 Ein interessantes Beispiel einer pseudepigraphen jüdisch-hellenistischen Schrift die jüdisch-christliche Tradition relevant. Entsprechend begegnen pseudepigraphe Schriften auch erst in jüdischhellenistischer und dann vor allem urchristlicher Zeit, denn hier berührte sich das innerhalb der jüdischen Kultur maßgebliche Bemühen »Erst im Zusammenfließen von orientalischer und griechischer Schriftkultur, wird das Phänomen der Pseudepigraphie für die jüdisch-christliche Tradition relevant.t ist der so genannte Aristeasbrief. Der Verfasser gibt sich als hochgestellter Beamter am Hof des Ptolemaios II. Philadelphos (283-246 v.Chr.) aus, der im Auftrag des ptolemäischen Königs um die griech. Übersetzung der hebr. Bibel um Traditionskontinuität mit der griech. Vorstellung individueller Verfasserschaft. 26 Wie sehr der Rekurs auf personale Autoritäten auch innerhalb der jüdischen Tradition an Bedeutung gewonnen hatte, wurde in dieser Zeit daran ablesbar, dass die sonst anonym überlieferten religiösen Schriften nun zum Teil einem bestimmten Personennamen zugewiesen wurden: So wurden Gesetzestexte zu Mose, Psalmen zu David oder Weisheitstexte zu Salomo zugeordnet. Selbst Prophetentexte wurden retrospektiv mit anerkannten Prophetennamen verbunden, wie die Sammlungen des Jesajabzw. Sacharjabuches zeigen. Ganz ähnlich gruppierten sich auch apokalyptische Textsammlungen um bestimmte Namen, wie die Henoch- oder Esra-Literatur belegt. 27 Wird die Bedeutung der Tradition bei diesen Formen der »überlieferungsgeschichtlichen Pseudepigraphie« zwar durch ZNT 12 (6. Jg. 2003) bittet. Der Brief ist somit nicht nur eine Werbeschrift für die LXX, sondern bringt auch die Bitte um philanthrope Toleranz der Ptolemäer zum Ausdruck. Aus inhaltlichen Erwägungen muss für den Text jedoch eine Entstehungszeit zwischen 127 und 118 v.Chr. angenommen werden. Fazit: Die Schriften des NT fügen sich bruchlos in diese >interkulturelle< literarische Landschaft ihres religionsgeschichtlichen Vor- und Umfeldes ein. Einerseits wurde die Tradition anonymer Schriftüberlieferung weitergeführt (z.B. Evv; Hebr). Zugleich wurde aber auch die aus der griech. Schriftkultur übliche Zeichnung einer Schrift mit dem Verfassernamen praktiziert. Personale Autorität hat vor allem Paulus als der erste Autor des Neuen Testaments in seinen Briefen beansprucht. In gewisser Weise mag die konsequente Nennung seines Namens zwar durch die 31 Anlehnung an das zeitgenössische Briefformular bedingt sein. Die anonymen Briefe 1J oh oder 1Clem (vgl. Hebr) zeigen jedoch, dass dies nicht bindend war. Neben den anonymen und orthonymen Schriften finden sich im NT auch die Pseudepigraphen, die gewissermaßen die Schnittstelle zwischen orientalisch-jüdischer und griechischhellenistischer Schriftkultur markieren und unmittelbar an jüdisch-hellenistische Prägungen des Phänomens anknüpfen. Hier zeigt sich das Bemühen um personal verbürgte Kontinuität anerkannter Traditionen. 2.3. Eine sozialgeschichtliche Annäherung Die Analyse der Verfasserangaben der als authentisch anerkannten ,Paulusbriefe< zeigt einen signifikanten Befund: Abgesehen von Röm sind alle orthonymen Briefe des Apostels als Kollektivwerke ausgewiesen. Häufig wird Timotheus als Mitautor im Präskript genannt (2Kor 1,1; Phil 1,1; Phlm 1), in 1Thess 1, 1 sind sogar drei Autoren (Paulus, Silvanus, Timotheus) angegeben, 1 Kor 1,1 erwähnt Sosthenes als Koautor; nach Gal 1,2 verfasst Paulus den Brief zusammen mit den »Brüdern, die bei (ihm) sind«, ohne deren Namen explizit aufzulisten. Diesem Befund entspricht auch die Missionspraxis des Paulus und des Urchristentums überhaupt. Statt eines Einzelkämpfertums begegnen Missionsteams, die eine enge Zusammenarbeit verschiedener Mitarbeiter er- (1Kor 4,17; 16,10). Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass diese Kooperation im paulinischen Missionsteam auch in den Briefen ihren Niederschlag zeitigte. Eine Variante der kollektiven Zusammenarbeit stellt die Einbeziehung von Sekretären und Schreibern dar. In der Antike war es üblich, dass auch Autoren, die selbst schreiben konnten, Schreibern den Brief diktierten oder diese sogar selbstständig mit dem Schreiben beauftragten. 31 Auch Paulus hat seine Briefe offenbar von Sekretären schreiben lassen, wie aus einigen Bemerkungen zu schließen ist. 32 So wird in Röm 16,22 Tertius als Schreiber des Römerbriefes namentlich genannt, ferner wird in 1Kor 16,21, Gal 6,11 und Phlm 19 erwähnt, dass Paulus den Briefschluss »mit eigener Hand« schrieb, was darauf schließen lässt, dass er zuvor diktiert hatte. Der selbstständige Gruß des Tertius in Röm 16,22 (in 1. Pers.) zeigt ferner an, dass dieser nicht ein beliebiger Schreibsklave war, sondern selbst als Christ eigenständig Grüße an die Gemeinde sendet, wie dies zuvor die anderen Mitarbeiter des Paulus getan hatten (vgl. Röm 16,21: Timotheus, Luzius, Jason und Sosipater). Möglicherweise handelt es sich bei dem in 1Kor 1,1 erwähnten Sosthenes auch um einen zum Ko-Autor aufgewerteten Schreiber. E.E. Ellis hat sogar für die (für ihn authentischen) Pastoralbriefe eine modifizierte Sekretärshypothese entwickelt." War es bereits in antiken Schulbetrieben üblich, kennen lassen. Auch wenn die prinzipielle Vorrangstellung des Paulus als Gemeindegründer und -berater nicht angezweifelt wird, spielen seine Mitarbeitern eine wichtige Rolle. Neben Titus (2Kor 8,16) und Epaphroditus (Phil 2,25) ist hier besonders an Timotheus zu denken, der mehrfach als Mitarbeiter (synergos) hervorgehoben wird (1Thess 3,2; Phil 2,19- 23; Röm 16,21). Wie kein an- » War es bereits in antiken Schulbetrieben ublich, dass Schüler in Ehrerbietung und Anerkennung des. dass Schüler in Ehrerbietung und Anerkennung des Schuloberhaupts Schriften unter dessen Namen verfassten, so hatte die kollektive Zusammenarbeit und Verfasserschaft im paulinischen Missionsteam die Pseudepigraphie zusätzlich gefördert. Wenn Paulus bereits selbst seine Mitarbeiter als Koautoren benannt hat und sie in der Missionsarbeit Botschafter oder gar Stellvertreter des Apostels waren, sahen sich Schuloberhaupts Schriften unter dessen Namen verfassten, so hatte die kollektive Zusammenarbeit und Verfasserschaft im pauJinischen Missionsteam.die Pseudepigraphie zusätzlich gefördert.« derer wurde er als mitverantwortlich für das Wohl der Gemeinde beschrieben (Phil 2,20). Er überbrachte die Worte des Paulus, galt als sein Botschafter (Phil 2,23) oder sogar Stellvertreter die Mitarbeiter des Paulus nach dem Tod des Apostels dazu ermächtigt, nun die Briefkorrespondenz im Namen des Apostels eigenständig weiterzuführen. Gerade das Stellvertretungs- 32 ZNT 12 (6.Jg. 2003) bewusstsein befähigte sie nach G. Theißen dazu, »ohne Fälschungsbewusstsein unechte Briefe zu schreiben und zu verbreiten.« 34 Die bewusste Anlehnung an Stil und Theologie (vgl. 2Thess; Kol; Eph) oder gar an konkrete Lebenssituationen des Apostels können im Rahmen einer solchen, ,imitativen Pseudepigraphie< gut erklärt werden. Der Lebendigkeit einer so genannten »Paulusschule« 35 verdanken wir dann die Fülle an pseudepigraphen Paulusbriefen. Durch den Hinweis auf eine kollektive Verfasserschaft der Paulus briefe wird das Problem der Pseudepigraphie jedoch nicht vollständig gelöst. Die Autorenangaben in Kol 1,1 (Paulus und Timotheus) oder 2Thess 1, 1 (Paulus, Silvanus und Timotheus) könnten zwar als Hinweis auf den eigentlichen Verfasser gedeutet werden. In beiden, wohl kaum einen Verlust an Anerkennung, sondern eher eine Konzentration an (kirchenpolitischer) Macht gegeben, wie etwa die Clemensbriefe beweisen. Nicht der Mangel an Führungspersönlichkeiten, sondern eher ein bestimmtes Geschichtsbild, das die apostolische Zeit retrospektiv als Norm setzte, hat dazu beigetragen, dass die Pseudepigraphie in der zweiten und dritten Generation so bedeutsam wurde. 2.4. Eine literarisch-rezeptionsästhetische Annäherung Wie eng die pseudonyme Verfasserschaft mit der literarischen Gestaltung einer Schrift zusammenhängt, wurde bereits im Blick auf die gattungsspezifische Pseudepigraphie im Frühjudentum angemeist als pseudepigraph eingestuften Schriften wird jedoch zugleich die paulinische Verfasserschaft durch Erwähnung des ,eigenhändigen Grußes< (Kol 4, 18; 2Thess 3,17) explizit hervorgehoben. Noch auffälliger ist die Beobachtung, dass bei den Past gerade keine weiteren Mitarbeiter bzw. Ko-autoren genannt werden. Während sich die eigentlichen Autoren »Nicht der Mangel an Führungspersönlichkeiten, sondern eher ein bestimmtes Geschichtsbild, das die apostolische Zeit retrospektiv sprochen. Die Patriarchentestamente oder Apokalypsen sind aus der Perspektive einer biblischen Gestalt geschrieben. An verschiedenen Elementen dieser Schriften lässt sich jedoch aufzeigen, dass dabei nicht an eine tatsächliche Verfasserschaft im modernen Sinn gedacht wurde, stattdessen liegt hier eine Form literarisch-fiktionaler als Norm setzte, hat .dazu ·beigetragen,. dass die Pseud, epigraphie in.der zweiten und dritten Generation so bedeutsam wurde.« aufgrund des Usus der kollektiven Verfasserangaben unverdächtig hätten mitnennen können, wird in 1Tim, 2Tim und Tit nur Paulus als alleiniger Autor angegeben. Problematisch erscheint mir auch der Hinweis auf ein »Autoritätsvakuum« der zweiten und dritten Generation im Urchristentum, das die Pseudepigraphie evoziert habe: »Weil es keine Persönlichkeiten mehr gab, die eine gesamtkirchliche Autorität besaßen, griffen die Verfasser pseudepigraphischer Schreiben auf die Autoritäten der Vergangenheit zurück, um ihren jeweiligen Zielen (... ) einen adäquaten Ausdruck zu verleihen.« 36 Gab es denn je zu einer Frühphase des Christentums diese »gesamtkirchlichen Autoritäten«? Zeigen nicht die diversen aus den Schriften rekonstruierbaren Streitigkeiten (vgl. Apg 6f.; 15; 1/ 2Kor; Gal; J oh 6,62H. ), dass es das Idealbild einer harmonischen, von Aposteln geleiteten Urchristenheit nie gegeben hat? Mit wachsender Zeit hat es ZNT 12 (6.Jg. 2003) Pseudepigraphie vor, die theologischen Zwecken diente. Dazu ein Beispiel: Der Verfasser der Apokalypse 4Esra datiert seine Schrift auf das »30. Jahr nach dem Untergang der Stadt« (4Esr 3,1). Da mit dem Untergang der Stadt im Kontext die babylonische Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v.Chr. gemeint ist, wird als Entstehungszeit somit das Jahr 557 v.Chr. angegeben. Der biblische Esra (vgl. Esr 7-1 O; N eh 8) als der angegebene Verfasser dieser Apokalypse (4Esr 6,10; 7,2.25 u.a.) hat jedoch erst in der Perserzeit, d.h. ca. 100 Jahre nach diesem Zeitraum gelebt." Dieser Anachronismus gewinnt jedoch einen prägnanten Sinn, wenn man annimmt, dass die Aufmerksamkeit der eigentlichen Adressaten mit der Zeitangabe auf die tatsächliche Entstehungszeit der Schrift, d.h. auf das 30. Jahr nach der Zerstörung des zweiten Tempels, also 100 n.Chr. gelenkt werden soll. Die erste Zerstörung J erusalems wird hier also lediglich als fiktives Anschauungsszenario benutzt, um die theologischen 33 Grundsatzfragen angesichts der zweiten Zerstörung der Stadt und des Tempels im Jahr 70 n.Chr. zu bearbeiten. Damit wird jedoch ein genereller Grundsatz für die Abfassung pseudepigrapher Schriften erkennbar. Eine Schrift wurde in eine fingierte Kommunikationssituation gestellt, um somit auf subtile und literarisch-kunstvolle Weise die eigene Situation zu thematisieren. Auch wenn in der Schrift selbst Autor und Adressaten einer ganz anderen geschichtlichen Zeit angehören, wollen die Texte doch eigentlich die Gegenwart der von ihnen intendierten Rezipienten erreichen. Der kommunikative >Umweg, über eine fingierte geschichtliche Situation soll letztlich zu einer gelungeneren Verständigung führen, die bei einer direkten Auseinandersetzung zu schwierig oder heikel gewesen wäre. Um die Verfasserangabe dieser literarischrezeptionsästhetischen Pseudepigraphie sachgemäß erfassen zu können, ist es hilfreich, zwischen dem realen und fiktiven Autor sowie zwischen realen und fiktiven Lesern zu unterscheiden. Da die >realen, Kommunikationsteilnehmer in der Regel wiederum nur aus den Texten selbst erschlossen werden können, sollte man mit der Begrifflichkeit der literarischen Rezeptionsästhetik besser vom >impliziten Leser< bzw. Autor sprechen, dem fiktiver Autor und fiktive Adressaten gegenüberstehen. 38 Auch die ntl. Pseudepigraphie lässt sich in dieser Perspektive einer fingierten Kommunikationssituation besser verstehen. Während bei frühjüdischen Schriften auf Autoritäten der ferneren Geschichte zurückgegriffen wird (z.B. Abraham; Henoch; Mose), rekurrieren die ntl. Pseudepigraphen auf Personen der jüngsten Vergangenheit, was als Niederschlag eines eschatologischen Geschichtsbewusstseins der frühen Christenheit gewertet werden kann. So galt z.B. der Apostel Paulus als Offenbarungsträger der neuen Heilszeit, so dass seine Briefkommunikation mit einzelnen Gemeinden zur theologischen und auch literarischen Norm (vgl. die frühe Sammlung seiner Briefe) erhoben werden konnte. Deshalb können z.B. die impliziten Leser des 2Thess von einem unbekannten Autor dazu aufgefordert werden, ihre eigene Situation vor der Folie der im Brief fingierten Kommunikationssituation zwischen Paulus und den Thessalonichern (vgl. 1Thess) zu reflektieren. Besonders deutlich tritt dieser spannungsvolle 34 Zusammenhang zwischen fiktiver und realer Briefkommunikation bei den Pastoralbriefen zu Tage. Einerseits zeigen diese Briefe reichlich Elemente, die eine paulinische Urheberschaft suggerieren wollen (z.B. 2Tim 1,12; 4,13). Andererseits werden im Horizont dieser fiktiven Situation gerade gegenwärtige Fragen von Kirche und Gemeindeleitung thematisiert, denn die in den Past vorausgesetzten Gemeindestrukturen lassen sich nicht mit der Zeit des Paulus vereinbaren. Die Pastoralbriefe benutzen also eine fiktive Kommunikationssituation (zwischen Paulus und Timotheus bzw. Titus), um gegenwärtige Fragen im Horizont paulinischer Tradition zu bearbeiten. Bezogen auf die Rolle des Verfassers (vgl. 1 Tim 1, 11-17) könnte man mit A. Merz von einer »fiktiven Selbstauslegung des Paulus durch eine fingierte Selbstreferenz« sprechen. 39 Eine interessante Deutevariante einer literarisch verstandenen Pseudepigraphie hat ferner M. Frenschkowski zu den Pastoralbriefen entworfen, der eine Bemerkung von R. Bauckham aufnehmend40 davon ausgeht, dass »die vorgeblichen Adressaten in Wahrheit die Verfasser gewesen (sind).« 41 Der fiktive Adressat fällt hierbei mit dem realen Verfasser zusammen. Damit ließe sich nicht nur die Reduktion auf einen Verfasser, sondern auch die vielen biographischen Notizen und Namen oder der griech.-hellenistische Charakter der Briefe erklären. Es wäre auch gut denkbar, wie der pseudepigraphe Brief Jahre nach dem Tod des Apostels unbemerkt in Umlauf kommen konnte: Timotheus hätte ihn »etwa am Ende seines Lebens, als sein eigenes Vermächtnis, unter dem Mantel eines von Hause aus persönlichen Briefes des Apostels an ihn selbst, der Kirche (übergeben).,/ ' Die auffällige Autorisierung des Adressaten (2Tim 3,10f.; 4,1-8), die jenseits der in den Briefen genannten kirchlichen Ämter liegt, könnte so letztlich der Selbstlegitimation des eigentlichen Verfassers dienen, der als Stellvertreter des Paulus beauftragt wurde und sich als solcher verstand. Die Pseudepigraphie könnte somit gerade als eine literarische Erfüllung dieses Stellvertretungsauftrags erklärt werden. Betrachten wir die Pseudepigraphie in literarisch-rezeptionsästhetischer Perspektive, kann Folgendes festgehalten werden: Die pseudonyme Verfasserangabe darf nicht als Aussage über die tatsächliche Urheberschaft der Schrift im moder- ZNT 12 (6. Jg. 2003) nen Sinn missverstanden werden, da sie als Aspekt eines literarischen, d.h. aber immer auch fiktionalen Textes betrachtet werden kann. Fiktiv ist dabei aber nicht nur die Autorenschaft, sondern die gesamte Kommunikationssituation, einschließlich der Adressaten. Die fiktive Verfasserangabe erfolgte nicht mit Täuschungsabsichten, vielmehr stand eine theoons- und religionsgeschichtlicher Vergleich lässt zugleich die Formenvielfalt und Komplexität des Phänomens sichtbar werden, die eine differenzierte Zugangsweise und Begrifflichkeit erforderlich machen. So kann man terminologisch festhalten, dass bewusste literarische Fälschungen nur einen (eher seltenen) Sonderfall der antiken Pseudepigraphie darstellen. Auch logische Intention, eine bestimmte Rezeptionsabsicht im Vordergrund, bei der die gegenwärtige Gültigkeit der Botschaft zum Ausdruck ge- »Die Verfasserangabe sollte nicht hinters Licht führen, sondern zum Licht hin.« wenn den eigentlichen Autoren pseudepigrapher Schriften im NT die ,falsche Verfasserangabe, bewusst war, handelbracht werden sollte. In einer durch das dynamische Wechselspiel von traditio und innovatio geprägten Überlieferungssituation diente eine fingierte geschichtliche Situation gerade der Vergegenwärtigung der Botschaft unter gewandelten Bedingungen. In welchem Maße die Adressaten diese fingierte Kommunikation durchschauten, wird unerheblich, sofern sie die Relevanz eines traditionellen Textes für ihre gegenwärtige Situation anerkannten. Da die fingierte und die reale Kommunikationssituation in pseudepigraphen Schriften jedoch nicht vollständig zur Deckung gelangen, kommt es zu Spannungen wie z.B. Anachronismen oder inhaltlichen Widersprüchen, die auch vom antiken Leser wahrgenommen werden konnten, so dass man die Wahrscheinlichkeit einer bewussten Lektüre auf unterschiedlichen Ebenen nicht zu gering ansetzen darf. 3. Pseudepigraphie zwischen Echtheitskritik und Wahrheitsfrage ten sie nicht mit Täuschungsabsicht im Sinne einer bewussten Irreführung der Adressaten. Im Gegenteil. Die Verfasserangabe sollte nicht hinters Licht führen, sondern zum Licht hin. Sie sollte bei den Rezipienten die Gültigkeit der vermittelten Inhalte unterstreichen und wurde deshalb an eine Autorität zurückgebunden, die von allen Kommunikationsteilnehmern als Bürge der wahren Lehre anerkannt wurde. Literarisch-rezeptionsästhetisch betrachtet benutzten die Verfasser pseudepigrapher Werke somit eine fingierte Kommunikationssituation, um möglichst große Zustimmung für die Botschaft des Glaubens in ihrer veränderten Situation zu erwirken. Sie sahen sich zu einem solchen Verhalten ermächtigt, weil z.B. Paulus bereits selbst seine orthonomen Briefe als Kollektivwerke ausgewiesen hatte. In sozialgeschichtlicher Hinsicht können deshalb die pseudepigraphen Briefe des NT auch als Ausdruck und Folge einer gemeinschaftlichen Missionspraxis und Schultradition gedeutet werden. Bei allen diesen Annäherungen wurde freilich nicht bestritten, dass die Verfasserangabe im Widerspruch zum tatsächlichen Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus den verschiedenen Annäherungen zum Phänomen der ntl. Pseudepigraphie im Blick auf die eingangs skizzierte theologische Problematik? Religionsgeschichtlich betrachtet fügt sich das Phänomen urchristlicher Pseudepigraphie problemlos in das zeitgeschichtliche Vor- und »Biblische Texte sind trotz ihrer Bezogenheit auf konkrete geschichtliche Ereignisse keine objektsprachlichen Aussagen im Sinne propositionaler Sätze, sondern poetische, mythische oder allgemein: fiktionale Texte.« Autor einer Schrift steht. Bleibt dann jedoch die Ausgangsfrage nach dem Wahrheitsanspruch der biblischen Texte angesichts der Pseudepigraphie nicht unbeantwortet? Muss die »unechte« Verfasserangabe selbst wenn sie terminologisch differenziert, religionsgeschichtlich relativiert, sozialgeschichtlich er- Umfeld des NT ein, da hier pseudepigraphe Schriften weite Verbreitung fanden. Ein traditi- ZNT 12 (6.Jg. 2003) klärt oder literarisch interpretiert werden kann nicht doch den Wahrheitsanspruch der Bibel radikal in Frage stellen? 35 Die Beantwortung dieser Frage hängt von dem Wahrheitsverständnis ab, das an die biblischen Texte herangetragen wird: Nur wer einer engen Korrespondenztheorie zur Wahrheit 43 verpflichtet bleibt (adaequatio rei et intellectus ), wird in der nicht vorhandenen Übereinstimmung der Verfasserangabe (intellectus) und des tatsächlichen Autors (res) einen Widerspruch zum Wahrheitsanspruch der Bibel sehen. Die Wahrheit der biblischen Texte muss jedoch umfassender beschrieben werden, was hier nicht mehr entfaltet werden kann. 44 Weiterführend ist im Blick auf die Ausgangsfrage aber der literarisch-rezeptionsästhetische Ansatz, der den fiktionalen Charakter pseudepigrapher Texte hervorgehoben hat. Dabei lässt sich erkennen, dass sich am Phänomen der neutestamentlichen Pseudepigraphie nur verschärft darstellt, was für die Wahrheitsfähigkeit biblischer Texte generell gilt, angefangen von den Schöpfungsberichten, den Vätergeschichten bis zu den ntl. Wundererzählungen und Auferstehungszeugnissen. Biblische Texte sind trotz ihrer Bezogenheit auf konkrete geschichtliche Ereignisse keine objektsprachlichen Aussagen im Sinne propositionaler Sätze, sondern poetische, mythische oder allgemein: fiktionale Texte. Das heißt jedoch nicht, dass sie damit dem Reich der ungezügelten Fantasie angehören, das jeder Wahrheitsfähigkeit entzogen ist. Fiktive Texte zielen gerade nicht im ontologischen Sinn auf das Nicht-Wirkliche, sondern können so etwa nach dem funktionsgeschichtlichen Textmodell von W. Iser als Reflexions- und Rekonstruktionsformen der Wirklichkeit begriffen werden. »Dadurch löst sich( ... ) die polare Entgegensetzung von Fiktion und Wirklichkeit auf: Statt deren bloßes Gegenteil zu sein, teilt Fiktion uns etwas über Wirklichkeit mit. (... ) Als Kommunikationsstruktur schließt die Fiktion Wirklichkeit mit einem Subjekt zusammen, das durch die Fiktion mit einer Realität vermittelt wird.« 45 Entsprechend kann auch die Wahrheit der biblischen Texte weder an der >Historizität< ihrer Aussagen, noch an der >Echtheit< ihrer Verfasserangaben gemessen werden. Biblische Wahrheit ist um ihrer Lebendigkeit willen keine >objektive< Wahrheit, sondern immer zutiefst subjektbezogene, existentiale Wahrheit. Sie ist nicht im Text bereits vorgegeben, sondern ereignet sich gerade im Akt des Lesens je und je neu.4 6 Pseudepigraphe 36 Schriften sind besonders auf diesen Akt des Lesens, auf die Wirksamkeit der Botschaft bei den Rezipienten ausgerichtet. In diesem Sinn können sich die pseudepigraphen Schriften des Neuen Testaments zwar als »unecht« aber dennoch als »wahr« erweisen! Anmerkungen 1 M. de Montaigne, Über die Lüge, in: ders., Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von H. Stilett, Frankfurt a. M. 1998, 20-24, hier: 23. 2 Vgl. dazu M. Walter, Art. Pseudony~ität II. Kirchengeschichtlich, TRE 27 (1997), 662-670. 3 Lessing gab die Untersuchungen von Reimarus als »Fragmente eines Unbekannten« heraus; Kierkegaard veröffentlichte seine Werke aus den Jahren 1843-46 mit Pseudonymen wie »Viktor Eremita«, »Frater Taciturnus« oder »Constantin Constantius«; Jan Rohls gab seinen ironischen Abriss neuzeitlicher Theologiegeschichte »Des Theologen Faust« (1989) unter dem Pseudonym Gustav »Molbtiez« (= Palindrom von Dr. Serenus »Zeitblom«, dem fiktiven Erzähler von Thomas Manns Doktor Faustus) heraus. 4 Tertullian, de bapt 17,5 (CChr I, 292): »Der Presbyter, welcher sie (die ActPaulThecl) verfasste, ... wurde aus seinem Amt entfernt, nachdem er die Sache zugegeben hatte als etwas, was er aus Liebe zu Paulus getan habe.« Tertullian benutzt das Beispiel freilich, um die in den Thecla-Akten vertretene Selbstständigkeit der Frau bei Lehre und Taufe zurückzuweisen. 5 Ambrosiaster, Ad Thess 2,4,1/ 3 (CSEL 81,3,239). ' Canon Muratori, Z. 63-68: »Es läuft auch (ein Brief) an die Laodicener, ein anderer an die Alexandriner um, auf des Paulus Namen gefälscht für die Sekte des Marcion, und anderes mehr, was nicht in die katholische Kirche aufgenommen werden kann; denn Galle mit Honig zu mischen, geht nicht an.« (Übers. nach W. Schneemelcher Ntl. Apokryphen Bd. I, Tübingen "1990, 29). 7 Vgl. die Begründung im Einzelnen z.B. bei J. Zmijewski, Die Pastoralbriefe als pseudepigraphische Schriften - Beschreibung, Erklärung, Bewertung, in: ders., Das Neue Testament - Quelle christlicher Theologie und Glaubenspraxis. Aufsätze zum Neuen Testament und seiner Auslegung, Stuttgart 1986, 197-220; L. Oberlinner, Erster Timotheusbrief / Zweiter Timotheusbrief (HThK 11,2), Freiburg i. Br. 1994, XXXIII-XLV; ders., ,Paulus< versus Paulus? Zum Problem des ,Paulinismus, der Pastoral briefe, in: J. Eckert / M. Schmid! / H. Steichele (Hrsg.), Pneuma und Gemeinde. Christsein in der Tradition des Paulus und Johannes, FS J. Hainz, Düsseldorf 2001, 170-199. Einzelne Exegeter halten bei postulierter Frühdatierung an der Orthonymität der Past fest, so zuletzt etwa L.T. Johnson, The First and Second Letters to Timothy (The Anchor Bible 35A), New York 2001. 8 Vgl. lTim l,lf.: »Paulus, Apostel Christi Jesu nach Befehl Gottes, unseres Heilandes, und Christi J esu, unserer Hoffnung, an Timotheus, meinen rechten Sohn im Glauben.« Entsprechend auch 2Tim 1,1; Tit 1,1.4. ZNT 12 (6. Jg. 2003) 9 P. Pokorny, Art. Pseudepigraphie I, TRE 27 (1997), 645-655, hier: 645. Vgl. die einschlägige Lit. zur ntl. Pseudepigraphie: W. Speyer, Art. Fälschung, lit., RAC 7 (1969), 236-277; ders., Die lit. Fälschung im heidnischen und christl. Altertum (HAW I/ 2), München 1971; M. Hengel, Anonymität, Pseudepigraphie und literarische Fälschung in der jüd.-hellenistischen Literatur, in: K. v. Fritz (Hrsg.), Pseudepigrapha I (EnAC 18), Genf 1972, 231-308 (wieder erweitert in: ders., Judaica et Hellenistica (WUNT 90), Tübingen 1996, 196-251 ); N. Brox, Falsche Verfasserangaben (SBS 79), Stuttgart 1975; ders. (Hrsg.), Pseudepigraphie in der heidnischen und jüd.christl. Antike (WdF 484), Darmstadt 1977; D.G. Meade, Pseudonymity and Canon. An Investigation into the Relationship of Authorship and Authority in Jewish and Earliest Christian Tradition (WUNT 39), Tübingen 1986; A.D. Baum, Pseudepigraphie und lit. Fälschung, in: H.-W. Neudorfer / E.J. Schnabel (Hrsg.), Das Studium des Neuen Testaments, Bd. 2: Spezialprobleme, Wuppertal 2000, 179-206, sowie ders., Pseudepigraphie und lit. Fälschung im frühen Christentum (WUNT II/ 138), Tübingen 2001 (mit Anhang von Quellentexten und umfangreicher Lit.). 10 Die Evangelien, die Apostelgeschichte sowie Hebr und 1Joh nennen keinen Autorennamen in den ältesten Handschriften. 11 Vgl. die Diskussion zum Kol in R. Zimmermann, Lügen für die Wahrheit? Das Phänomen ntl. Pseudepigrafie am Beispiel des Kolosserbriefs, in: 0. Hochadel/ U. Kocher (Hrsg.), Lügen und Betrügen. Das Falsche in der Geschichte von der Antike bis zur Moderne, Köln 2000, 257-272, hier: 262-268. 12 Dieser Weg wird von fundamentalistischer Seite gegangen: Weil die Bibel wahr und widerspruchsfrei ist, müssen die Verfasserangaben echt sein. 13 So etwa Meade, Pseudonymity; ferner U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 3 1999, 293- 297, hier: 296: »Die ntl. Pseudepigraphie (... ) muß als gelungener Versuch der Bewältigung zentraler Probleme der dritten urchristlichen Generation gesehen werden.«; K. Berger, Art. Pseudepigraphie II. Biblisch, 'LThK 8 (1999), 707: »Nur für einen kryptomodern argumentierenden Fundamentalismus ergeben sich hier Probleme.« Ferner Pokorny, Pseudepigraphie, 654: im Blick auf die Kanonzugehörigkeit: »Gott hat sich auch zu den fiktiven Pseudepigraphen bekannt, ähnlich wie er sich zu Jakob in Bethel bekannte«(nach dessen Betrug). 14 So bereits F.C. Baur; neuerdings E.J. Schnabel, Der biblische Kanon und das Phänomen der Pseudonymität, JETh 3 (1989), 59-96, hier: 89; S.E. Porter, Pauline Authorship and the Pastoral Epist! es: Implications for Canon, Bulletin for Biblical Research 5 (1995), 105-123; 6 (1996), 133-138, hier: 138; gemäßigter Baum, Pseudepigraphie, 181-191; ferner E.E. Ellis, Pseudonymity and Canonicity of New Testaments Documents, in: ders., History and Interpretation in New Testament Perspective (BIS 54), Leiden 2001, 17-29. 15 Um die durch die Vorsilbe ,pseud,enthaltene negative Konnotation zu vermeiden, hat I.H. Marshall mit Blick auf die Pastoralbriefe die Begriffe »allonymity« oder »allepigraphy« vorgeschlagen, vgl. I.H. Marshall, A Critical and Exegetical Commentary on the Pastoral Epist! es (ICC), Edinburgh 1999, 84. 16 Vgl. zum Folgenden bereits meine Ausführungen in ZNT 12 (6.Jg. 2003) Zimmermann, Lügen, 259-261; ders., Art. Pseudepigraphie/ Pseudonymität, RGG 4. Aufl. Bd. 6 (im Erscheinen). 17 Büchner stützt sich etwa in Oberlins Tagebuch auf eine historische Quelle, während im Faustroman von Thomas Mann der erfundene Musiker Adrian Leverkühn den Faust der Sage und der literarischen Tradition verkörpert, aber durch seine charakteristischen Züge an bestimmte zeitgenössische Personen erinnert. 18 So vor allem Speyer, Lit. Fälschung, 35-37, sowie ders., Religiöse Pseudepigraphie und literarische Fälschung im Altertum, in: Brox, Pseudepigraphie, 195-263, hier 197f.: »Religiöse Pseudepigraphie: Ein Gott, ein Engel, ein Heros oder eine Gestalt des Mythos hat eine bestimmte Schrift eigenhändig verfaßt oder ihren Inhalt einem Menschen durch Diktat oder Inspiration mitgeteilt.«; ähnlich Pokorny, Pseudepigraphie, 647. 19 So etwa Hengel, Anonymität, 277f.; H.R. Balz, Anonymität und Pseudepigraphie im Urchristentum. Überlegungen zum literarischen und theologischen Problem der urchristlichen und gemeinantiken Pseudepigraphie, ZThK 66 (1969), 403-436, hier: 412f. 20 Vgl. dazu bereits der Neuplatoniker Olympiodorus (6. Jh. n.Chr.), Prolegomena (CAG XII/ 1 13,4ff.): »Die Falschzuschreibung aufgrund von Gleichnamigkeit geschah auf dreifache Weise, entweder wegen der Gleichnamigkeit der Schriftsteller oder der Schriften oder der Kommentare.« (Text und Übers. bei Baum, Pseudepigraphie, 238-241 ). 21 In der Literatur wird hier zum Teil auch der missverständliche Begriff> Tendenzfälschung, verwendet, der m.E. aufgrund der impliziten Wertungen besser vermieden werden sollte. 22 Tert. Adv. Marc. IV 5,4 (CCL I, 551, ed. Kroymann): »Capit autem magistrorum uideri quae discipuli promulgarint.« Er bezieht sich dabei freilich auf die Zuschreibung des Mk-Ev an Petrus und des Lk-Ev an Paulus. 23 Vgl. etwa die Abgrenzungen zwischen Lüge, Täuschung und Betrug bei Hochadel/ Kocher, Lügen und Betrügen, 3: » Täuschung: Eine Person täuscht eine andere, wenn es ihr gelingt, in der anderen einen falschen Glauben zu erzeugen.« 24 Vgl. dazu Speyer, Fälschung, 15ff. 25 Baum nennt vier Kriterien der antiken ,Echtheitskritik,: Stil- und Inhaltsvergleiche sowie die Überprüfung der Entstehungssituation und externen Bezeugung (vgl. Baum, Pseudepigraphie, 21-30; ferner Speyer, Fälschung, 112-127). Ein sprachgeschicht! icher Niederschlag dieses Phänomens zeigt sich in den mannigfaltigen Begriffen, die sich im Griechischen und Lateinischen für »falschen« ausgebildet haben. Speyer zählt 26 griechische und 15 lateinische Verben auf, vgl. Speyer, Fälschung, 16. 26 N. Walter, Kann man als Jude auch Grieche sein? Erwägungen zur jüdisch-hellenistischen Pseudepigraphie, in: ders., Praeparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, hrsg. v. W. Kraus und F. Wilk (WUNT 98), Tübingen 1997, 370-3 82; ders., Jüdisch-hellenistische Pseudepigraphie als Index interkulturellen Austauschwillens, in: J. Irmscher (Hrsg.), Die Literatur der Spätantike polyglottisch betrachtet, Amsterdam 1997, 13-22. 27 Vgl. dazu K. Müller, die Pseudegraphie im Schrifttum der frühjüdischen Apokalyptik, in: ders., Studien zur frühjüdischen Apokalyptik (SBA 11), Stuttgart 1991, 195-228. 37 28 Darunter fallen 1/ 2Chr, Hiob, Koh, Cant und Esther, nach H.-P. Mathys, Das Alte Testament ein hellenistisches Buch, in: U. Hübner/ E.A. Knauf (Hrsg.), Kein Land für sich allein (OBO 186), Göttingen 2002, 278- 293, hier: 286. 29 Vgl. zum Text die Fragmente unter FGrH 722-727; sowie A.-M. Denis, Fragmenta pseudepigraphorum quae supersunt graeca, Leiden 1970, 175-198 sowie 203-216. 30 Vgl. dazu immer noch den besten Überblick bei Hengel, Anonymität, 196-251. 31 E.R. Richards hat diese Sekretäre in vier Kategorien unterteilt: Er unterscheidet ,Schreiber< (»recorder«), die nur den diktierten Text im Wortlaut (z.B. syllabatim oder viva voce) niederschrieben; ferner konnten Sekretäre auch als ,Herausgeber< (»editor«) fungieren, indem sie aus Redemitschriften einen Brief verfassten; wenn der Autor nur noch einige inhaltlichen Leitlinien oder Stichworte lieferte und die Sekretäre daraus selbstständig einen Brief verfassten, kann man von Mitautoren (»co-author«) sprechen; schließlich wurden Sekretäre auch selbst zu ,Autoren< (»composer«), die in eigener Regie und Verantwortung die Briefkorrespondenz ihrer Auftraggeber erledigten. Vgl. E.R. Richards, The Secretary in the Letters of Paul (WUNT II/ 42), Tübingen 1991, 15-127. Einblick in das antike Sekretärswesen verschafft uns z.B. die Selbstreflexion Ciccros, der zum Teil seinen Sekretär Atticus aufforderte, unter seinem Namen Briefe zu verfassen (Att. III 15,8; XI 6,5,3). 32 In den späten Subscriptiones zum Corpus Paulinum werden weitere Sekretäre genannt: Tychikus zu Eph; Onesimus zu Kol; Titus und Lukas zu 2Kor; Epaphroditus zu Phil. Ein historischer Erkenntnisgewinn kann aus diesen Angaben freilich nicht bezogen werden. 33 Vgl. E.E. Ellis, The Origin and Composition of the Pastoral Epistles, in: ders., History and Interpretation in New Testament Perspective (BIS 54), Leiden 2001, 65-83, hier: 79. 34 G. Theißen, Die Entstehung der urchristlichen Pseudepigraphie, in: ders., Das Neue Testament, München 2002, 82-85. 35 Vgl. dazu M. Frenschkowski, Pseudepigraphie und Paulusschule. Gedanken zur Verfasserschaft der Deuteropaulinen, insbesondere der Pastoralbriefe, in: F.W. Horn (Hrsg.), Das Ende des Paulus (BZNW 106), Berlin 2001, 239-272, hier: 253ff. Horst Dietrich Preuß / Klaus Berger 36 Schnelle Einleitung, 296. K.M. Fischer hat die zweite Hälfte des 1. Jh. n.Chr. als »Zeit der neutestamentlichen Pseudepigraphie« charakterisiert, vgl. K.M. Fischer, Anmerkungen zur Pseudepigraphie im Neuen Testament, NTS 23 (1977), 76-81, hier: 79; ferner Theißen, Pseudepigraphie, 85 u.v.a. 37 Das in Esr 7,7 genannte Datum (siebtes Regierungsjahr des Perserkönigs Artaxerxes) führt bei Artaxerxes I. auf das Jahr 458 v.Chr.; bei Artaxerxes II. zum Jahr 398 v.Chr. 38 Vgl. zu diesem Ansatz den Exkurs von E. Reinmuth, Zur neutestamentlichen Paulus-Pseudepigraphie (NTD 8/ 2), Göttingen 1998, 190-202; Reinmuth unterscheidet zwischen »realem, abstraktem und fiktivem Autor« bzw. »realen, intendierten und fiktiven Lesern« (ebd., l 93f.). 39 Vgl. A. Merz, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus. Pseudepigraphie in den Pastoralbriefen und ihrer frühesten Rezeption (NTOA 52), Göttingen 2003. Merz hat vor allem die Methoden literaturwissenschaftlicher Intertextualität auf die paulinische Pseudepigraphie angewandt. 40 R. Bauckham, Pseudo-Apostolic Letters, JBL 107 (1988), 469-494, hier 494: »most probably they were written by Timothy himself.« 41 Vgl. Frenschkowski, Pseudepigraphie, 263ff. 42 Vgl. Frenschkowski, Pseudepigraphie, 265. 43 Vgl. dazu L.B. Purrte! , Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie. Eine kritisch-systematische Darstellung (EdF 83), Darmstadt 2 1983; P. Janich, Was ist Wahrheit? Eine philosophische Einführung, München 2 2000. 44 Vgl. dazu die unterschiedlichen Ansätze bei Ch. Landmesser, Wahrheit als Grundbegriff ntl. Wissenschaft (WUNT 113 ), Tübingen 1999 oder K. Berger, Sind die Berichte des Neuen Testaments wahr? Ein Weg zum Verstehen der Bibel, Gütersloh 2002. 45 W. Iser, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 4 1994, 88. 46 Vgl. dazu U.H.J. Körtner, Die Wahrheit der Schrift, in: ders., Theologie des Wortes Gottes, Göttingen 2001, 370-373, hier 373: »Die Wahrheit der Schrift besteht darin, daß durch sie Gott, Welt und Mensch neu erschlossen werden, wo immer (... ) sich im Akt des Bibellesens aktuelle Offenbarung ereignet.« Ferner die didaktische Umsetzung dieses hermeneutischen Prinzips in M. und R. Zimmermann, Die Bibel vom Textsinn zum Lebenssinn, Göttingen 2003 (im Erscheinen). Bibelkunde des Alten und Neuen Testaments 1 Erster Teil: Altes Testament 38 UTE 887 M, 7. Auflage, 2003, X, 200 Seiten, € 17, 90/ SFr 30, 50 UTE-ISBN 3-8252-0887-7 Horst Dietrich Preuß / Klaus Berger Bibelkunde des Alten und Neuen Testaments 2 zweiter Teil: Neues Testament. Register der biblischen Gattungen und Themen. Arbeitsfragen und Antworten UTE 972 M, 6. Auflage, 2003, VIII, 250 Seiten, € 17, 90/ SFr 30, 50 UTE-ISBN 3-8252-0972-5 A. Francke Verlag · Tübingen und Basel ZNT 12 (6. Jg. 2003)