ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2004
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Dronsch Strecker VogelArchäologie und Neues Testament. Denkanstöße zum Verhältnis zweier Wissenschaften
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2004
Jürgen Zangenberg
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2 ZNT 13 (7. Jg. 2004) Neues Testament aktuell Jürgen Zangenberg Archäologie und Neues Testament. Denkanstöße zum Verhältnis zweier Wissenschaften »Es geht uns darum, die heute oft in Vergessenheit geratene Doppelung der historischen Quellen in Erinnerung zu bringen. Weder Profannoch Kirchengeschichte können auf die Einbeziehung der monumentalen Zeugnisse der Vergangenheit neben den literarischen verzichten«. 1 Mit diesen Worten umreißt E RICH D INKLER , promovierter Kirchengeschichtler und lange Jahre Professor für Neues Testament und Christliche Archäologie an der Universität Heidelberg und selbst einer der bis heute wegweisenden Erforscher der Geistes- und Kulturgeschichte des frühen Christentums, ein ehrgeiziges Programm: Geschichte kann man nicht schreiben ohne neben den textlichen Quellen auch die materielle Kultur der Epoche zu kennen, die man verstehen und darstellen möchte. 2 Insofern sich die neutestamentliche Wissenschaft auch Methoden der Historiker bedient, um die Geschichte des frühesten Christentums zu verstehen und darzustellen, gilt Dinklers Satz uneingeschränkt auch für dieses Fach. Zwar würden viele Neutestamentlerinnen und Neutestamentler beider Konfessionen ihre Hauptaufgabe zunächst darin sehen, die von der Kirche überlieferten und in ihr gebrauchten Texte des NT nach ihrer Aussage und Bedeutung mit wissenschaftlichen Methoden zu befragen und auszulegen, 3 doch steht für die Mehrheit der Forschung nach wie vor zu Recht fest, dass dies sachgerecht nicht ohne eine gründliche Kenntnis des Kontextes geschehen kann, in dem diese Schriften entstanden sind. 4 Da dieser Kontext ein vergangener ist, ist auch jeder Neutestamentler zugleich Historiker. Da dieser »Kontext« aber nicht nur aus Texten und Gedanken besteht, sondern ebenso aus Töpfen und Gebäuden, kommt man auch als Neutestamentler nicht um die Archäologie herum. 5 Doch ist »Geschichte« nicht nur etwas, was »um das NT herum« geschah. Das NT selbst erzählt Geschichte von Jesus und den ersten Jüngern (in den Evangelien), von der Ausbreitung der »Urgemeinde« (in der Apg) und selbst in den Paulusbriefen, die ja keine Geschichtsschreibung sind, wird nicht nur eine lebendige »Mitwelt«, sondern zugleich eine turbulente Geschichte des Apostels mit seinen Gemeinden vorausgesetzt. 6 All dies hat auch materielle, mithilfe der Archäologie erforschbare Dimensionen. Und schließlich hat das NT ja nicht nur eine immense geistige Nach- und Wirkungsgeschichte hervorgerufen, sondern auch und eigentlich zuallererst, wenn auch für uns ungleich schwieriger fassbar, eine materielle: frühe Christen lebten in dieser Welt und also gestalteten sie ihre Lebenswelt auch. Sie suchten nach Wegen, ihre geistigen und moralischen Vorstellungen und ihre Identität individuell und gemeinschaftlich auszudrücken - und hinterließen Spuren dabei nicht nur in und mit Texten, sondern auch in Form von Gegenständen, Räumen und Symbolen. Die Handgreiflichkeit der Welt des NT, die Konkretheit der im NT erzählten Geschichte und der ungeheure Impuls des NT in die auch materielle Lebenswelt hinein: das sind drei gute Gründe, als Neutestamentler auch Historiker zu sein und als solcher dann eben auch nach bester Möglichkeit Archäologie zu betreiben. 1. Impulsgeber für eine neutestamentliche Archäologie Sieht man jedoch genauer hin, findet der Dialog zwischen »Texten« und »Töpfen« weithin nicht statt. So schreibt der Erlanger Neutestamentler und Epigraphiker P ETER P ILHOFER in einem 2002 erschienenen programmatischen Aufsatz: »Verglichen mit den benachbarten Disziplinen Altes Testament und Kirchengeschichte erscheint das Neue Testament mithin geradezu als archäolo- »Geschichte kann man nicht schreiben ohne neben den textlichen Quellen auch die materielle Kultur der Epoche zu kennen, die man verstehen und darstellen möchte.« 004104 ZNT 13 - Inhalt 09.03.2004 14: 46 Uhr Seite 2 ZNT 13 (7. Jg. 2004) 3 Jürgen Zangenberg Archäologie und Neues Testament giefreie Zone, was umso grotesker wirkt, wenn man sich die schmalen 100 Jahre vor Augen stellt, mit denen es der Neutestamentler im engeren Sinne zu tun hat: mehr als 2000 Jahre Archäologie und Altes Testament, beinahe 2000 Jahre Archäologie und Kirchengeschichte - dazwischen 100 Jahre archäologiefreie Zone, das Neue Testament«. 7 Pilhofer hat zweifellos Recht: zwischen Dinklers berechtigtem Anspruch und der Wirklichkeit ntl. Forschung klafft mitunter eine schmerzliche Lücke. Das NT wird heute mehr denn je als theologisches Buch und literarisches Werk wahrgenommen. So wichtig diese beiden Zugangsweisen nicht zuletzt im Hinblick auf die kirchliche Praxis auch sind, sie dürfen nicht den Blick auf die materiellen Komponenten der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des NT verstellen. Das war freilich nicht immer so. Ein Blick in die Geschichte der Forschung kann uns aufschlussreiche Anregung bieten, wie man es besser machen kann. In der Zeit vor und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde »Neutestamentliche Archäologie« von Vertretern unterschiedlicher Teildisziplinen betrieben. Durch diese Arbeit haben sie nicht nur ihre Fächer, sondern auch die ntl. Wissenschaft bereichert. Das »Wandeln zwischen den Disziplinen« war nicht selten, man arbeitete wie selbstverständlich »vernetzt« (wie man das heute nennen würde). Das NT muss keine »archäologiefreie Zone« sein, wenn man nur wahrnimmt, dass es im Spannungsfeld zahlreicher Wissenschaften liegt, die natürliche Gesprächspartner der ntl. Forschung sein könnten und durch die »ntl. Archäologie« ihr unverwechselbares Profil erhält. a) Archäologische Forschung innerhalb der biblischen Disziplinen war und ist in Deutschland - etwa im Unterschied zu den USA - traditionell ganz überwiegend mit der atl. Wissenschaft verbunden. So haben Alttestamentler wie A LBRECHT A LT , K URT G ALLING oder M ARTIN N OTH (um nur drei der überragenden deutschen Forscherpersönlichkeiten zu nennen) bei ihren Arbeiten ganz selbstverständlich nicht an der Grenze des atl. Kanons Halt gemacht, sondern wertvolle und bis heute wegweisende Studien etwa zur Territorialgeschichte Palästinas, zu Galiläa und Samarien (Alt) oder zur Nekropole von Jerusalem (Galling) vorgelegt. Als besonderer Meilenstein der archäologischen Forschung mit Verwurzelung in der atl. Wissenschaft ist etwa das Biblische Reallexikon (ed. Galling) zu nennen, das in Kürze in fachübergreifender Kooperation überarbeitet werden wird. b) E RICH D INKLER sei als Beispiel dafür angeführt, dass wichtige Impulse für die archäologische Erforschung der geistigen Welt des frühesten Christentums selbstverständlich auch aus der Mitte der ntl. Forschung stammen können. Die erzählte Welt in den Texten fordert geradezu dazu heraus, die Welt der Erzähler auch archäologisch in den Blick zu nehmen. Dinklers Studien zum Kreuzessymbol im frühen Christentum sind ein Musterbeispiel dafür, dass die Wirkungsgeschichte des NT nicht nur literarisch-geistig ist; seine Arbeiten zur frühchristlichen Petrus- und Paulustradition von Rom wären ohne die konsequente Inbeziehungsetzung von textlichen und materiellen Quellen ebenso wenig möglich gewesen. Geht man eine gute Generation zurück, trifft man auf Forscher wie A DOLF D EISSMANN (einer der Lehrer Dinklers) und G USTAF D ALMAN , die je auf ihre Weise bleibende Verdienste für die Erforschung des Paulus bzw. der palästinischen Lebenswelt Jesu erworben haben. Heute spielen archäologische Jürgen Zangenberg PD Dr. Jürgen Zangenberg lehrt Neues Testament an der Bergischen Universität und der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. Promotion 1996 in Heidelberg über »Frühes Christentum in Samarien«, Habilitation 2003 in Wuppertal über »Jüdische und frühchristliche Bestattungskultur in Palästina«. 2000/ 2001 Humboldt-Stipendiat an der Yale University. Grabungstätigkeit in ez-Zara (Callirhoe), Petra, Sepphoris und Kinneret. Autor und (Mit-)Herausgeber zahlreicher Publikationen zum Thema Neues Testament, antikes Judentum, Qumran und Archäologie. 004104 ZNT 13 - Inhalt 09.03.2004 14: 46 Uhr Seite 3 4 ZNT 13 (7. Jg. 2004) Neues Testament aktuell Fragenstellungen und Teilbereiche in zahlreichen auf ntl. Texte und Themen bezogenen Studien eine Rolle (z.B. C ILLIERS B REYTENBACH zu Galatien oder G ERD T HEISSENS Lokalkoloritforschung). Archäologische Materialien und Überlegungen werden mittlerweile erfreulicherweise auch in der sonst stark textorientierten Johannesforschung einbezogen (R AINER R IESNER zu Betanien; J ÜR - GEN Z ANGENBERG zu Johannes und Samarien). c) Die prinzipielle historische Offenheit des ntl. Kanons in die Alte Kirche hinein ermöglicht umgekehrt stets auch die Rückfrage aus der frühkirchlichen Perspektive zurück ins Neue Testament und liefert damit auch Impulse für eine »Neutestamentliche Archäologie«. Die Disziplin »Christliche Archäologie« und die Kunde der älteren Kirche sind daher ebenfalls wichtige Gesprächspartner. Forscher wie H ANS L IETZMANN , H ANS VON S ODEN und wiederum E RICH D INKLER sind gute Beispiele dafür, dass dieser Ansatz in Deutschland auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Auch kann der immense Beitrag des F RANZ J OSEPH D ÖLGER -I NSTI - TUTS in Bonn für die interdisziplinäre Erforschung der Auseinandersetzung zwischen christlicher, jüdischer und paganer Antike und die damit einhergehende Transformation zur spätantiken Kultur bis in das 7. Jh. nicht überschätzt werden (u.a. Herausgabe des »Jahrbuchs für Antike und Christentum« und des »Reallexikons für Antike und Christentum«). d) Bis vor kurzem praktisch abgebrochen waren in Deutschland diejenigen Impulse, die aus einer vierten, aber sachlich nicht weniger wichtigen Perspektive ergangen sind: der Erforschung des antiken Judentums. A DOLF B ÜCHLER oder S AMUEL K RAUSS stehen exemplarisch für große Forscher vom Beginn des 20. Jh., die mit ihren landeskundlichen und archäologischen Arbeiten schon sehr früh vor Augen geführt haben, dass die unmittelbare Lebenswelt der meisten frühen Christen zutiefst jüdisch geprägt war, ob nun in Palästina oder in der Diaspora. In den USA, wo der Kontakt zwischen Judaistik und ntl. Forschung nicht durch Gewaltherrschaft und Rassenwahn abgebrochen ist, hat dies immer wieder zu sehr fruchtbaren Ergebnissen geführt. Man vergegenwärtige sich nur, wohin die Erforschung frühchristlicher Bildsprache ohne die Arbeiten E RWIN R. G OODENOUGHS zur jüdischen Kunst gelangt wäre oder wie sich der »Third Quest« nach dem »historischen Jesus« in den 90er Jahren ohne die Erforschung des antiken Galiläa durch E RIC M. M EYERS entwickelt hätte. 8 In letzter Zeit erfährt die Qumranforschung durch die archäologische Erfassung der höchst komplexen Region um das Tote Meer wichtige neue Impulse (z.B. Y IZHAR H IRSCHFELD , J ÜRGEN Z ANGENBERG ) und dank der Zusammenarbeit von klassischen Archäologen, Judaisten und Religionswissenschaftlern gehört die herodianische Zeit zu den am besten erforschten Epochen Palästinas (z.B. A CHIM L ICHTENBERGER , S ARA J APP ). Großflächige Grabungen in Israel und Palästina haben eine Fülle von Material erbracht, das zentrale Aspek te jüdischer Frömmigkeit klarer ins Blickfeld rücken (Miqwaot, Steingefäße, Synagogen, Gräber). Auch die Kultur der antiken Samaritaner mit ihrem Konkurrenzheiligtum auf dem Berg Garizim ist nun viel besser bekannt als noch vor 20 Jahren (z.B. R EINHARD P UMMER , J ÜRGEN Z AN - GENBERG ). All diese Fortschritte verbieten es, noch eine einzige Zeile über die jüdische »Umwelt des Urchristentums« zu schreiben, ohne tief aus dem Fundus der Archäologie zu schöpfen. e) Schließlich sei erwähnt, dass wichtige Impulse für eine archäologisch orientierte Arbeit am NT immer wieder von Seiten der klassischen Altertumswissenschaften gegeben worden sind und werden. Die in letzter Zeit in so vielen ntl. Studien herangezogenen Inschriften wurden weit überwiegend von Altertumswissenschaftlern zutage gefördert und publiziert. Epigraphik und Numismatik können zu wichtigen Gesprächspartnern für Neutestamentler werden, wie etwa die neuesten Studien der klassischen Archäologen A CHIM L ICHTENBERGER (Universität Münster) über die Kulte in der Dekapolis oder M ONIKA B ERNETT (Universität München) zum Herrscherkult im jüdischen Palästina zeigen. Da nur wenige Neutestamentler s elbst graben, wird der Großteil der Primärforschung (Bergung und wissenschaftliche Aufbereitung des Datenmaterials) in diesen Bereichen, nicht eigentlich in den exegetisch-theologi- »Durch neue Funde und Methoden erfuhr die ntl. Forschung nicht selten von der Archäologie wichtige innovative Impulse.« 004104 ZNT 13 - Inhalt 09.03.2004 14: 46 Uhr Seite 4 ZNT 13 (7. Jg. 2004) 5 Jürgen Zangenberg Archäologie und Neues Testament schen Binnendisziplinen, erfolgen. Durch neue Funde und Methoden erfuhr die ntl. Forschung nicht selten von der Archäologie wichtige innovative Impulse. Umso wichtiger ist, dass die Zusammenarbeit von Exegeten und Altertumswissenschaftlern verstetigt und auch institutionell stärker verankert wird. 2. Zum »Platz« einer ntl. Archäologie Neutestamentliche Archäologie bewegt sich zwischen zwei Polen, die sich keinesfalls von Natur aus ergänzen: zum einen sucht sie den Bezug zum NT und den darauf bezogenen wissenschaftlichen Diskurs, der ihr Fragen und Forschungsgegenstände aufgibt, zum anderen bezieht sie sich methodisch und konzeptionell auf die Altertumswissenschaften (und hier vor allem die Archäologie) als ihre zweite »Patenwissenschaft«. Insofern ist ntl. Archäologie eine Spielart des Unternehmens »biblische Archäologie«, selbst wenn diese Disziplin aufgrund der akademischen Herkunft ihrer Vertreter faktisch oft genug »palästinischbiblische Archäologie« bleibt und daher die Welt des NT geographisch oder chronologisch gar nicht in den Blick nimmt. 9 Die Anlehnung an die Archäologie als Spenderin von Modellen und Methoden erfordert zwingend, dass ntl. Archäologie nicht nur »Archäologie des Neuen Testaments« sein kann. Es gibt auch keine besondere Art und Weise der ntl. Archäologie, Funde zu machen und auszuwerten. Ntl. Archäologen forschen nicht anders als ihre »nichtbiblischen« Kolleginnen und Kollegen. Sie betreiben Archiv- und Schreibtischarbeit, gehen ins Feld, um Ortsbegehungen (Surveys) durchzuführen oder zu graben, sie dokumentieren, analysieren und publizieren. In letzter Zeit kommt die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit verschiedenen Naturwissenschaften hinzu (hier leistet das B IBLISCH -A RCHÄOLOGISCHE I N - STITUT W UPPERTAL unter der Leitung von D IETER V IEWEGER wichtige Pionierarbeit v.a. im Bereich der frühen Kulturen, vgl. <www.bainst.de>. All dies hat mit Diskursfähigkeit und Professionalität zu tun, die auch im Bereich der ntl. Archäologie unbedingt erforderlich ist. Die Hypothesen und Modelle zur Deutung ihrer Funde müssen sowohl innerhalb der eigenen Wissenschaft verständlich zu machen sein wie auch außerhalb. Sowenig es eine philologia sacra gibt, sowenig gibt es eine archaeologia sacra, in der plötzlich andere Denkvoraussetzungen gelten sollen als in der übrigen Archäologie (etwa im Falle der Begründbarkeit von Hypothesen). Weder die Aufgabe noch das Potential ntl. Archäologie erschöpfen sich darin, lediglich im NT erwähnte »Realien« (bestimmte Gegenstände) zu illustrieren, Ortslagen aufzufinden oder im NT auftretenden Personen nachzuspüren. Dies würde die Archäologie zur simplen »Dienerin« degradieren und ihr kreatives und kritisches Potential zum Schaden der ntl. Wissenschaft als Ganzer domestizieren. 10 Neutestamentliche Archäologie hat ganz wesentlich eine Archäologie der Kulturen zu sein, in deren Kontext neutestamentliche Autoren und Gruppen aktiv waren. Ihr Ziel ist es, konkrete Milieus aufgrund materieller Hinterlassenschaften und natürlicher Lebensbedingungen zu beschreiben, nicht nur punktuelle Bezüge zum NT herzustellen. 11 Ntl. Archäologie muss daher aus den Erfordernissen ihres Gegenstandes eigene Forschungsziele definieren und verfolgen (dürfen), ohne ständig nach der »Verwertbarkeit« für die Textdeutung gefragt zu werden. Die Einsicht, dass Archäologie »Grundlagenforschung« ist, scheint in der atl. Wissenschaft viel stärker akzeptiert zu sein als in der ntl. Forschung. Doch arbeiten Neutestamentler ja auch nicht nur deshalb über Qumran oder Plutarch, weil man vermeintliche »Parallelen« im NT erklären möchte. Trotz der weitgehend übereinstimmenden Arbeitsweise innerhalb der biblischen Archäologie ist gleich hinzuzufügen: Ntl. Archäologie ist keine bloße Fortsetzung »biblisch-palästinischer Archäologie« auf kanonbedingt erweiterter Textbasis. So wenig das NT einfach die »Fortsetzung« »Sowenig es eine philologia sacra gibt, sowenig gibt es eine archaeologia sacra...« »Neutestamentliche Archäologie hat ganz wesentlich eine Archäologie der Kulturen zu sein, in deren Kontext neutestamentliche Autoren und Gruppen aktiv waren« 004104 ZNT 13 - Inhalt 09.03.2004 14: 46 Uhr Seite 5 6 ZNT 13 (7. Jg. 2004) Neues Testament aktuell des AT ist, sowenig kann man »ntl. Archäologie« einfach als »zweiten Teil« einer »biblischen Archäologie« praktizieren, ohne sich über die methodischen Konsequenzen des dramatisch veränderten kulturellen Kontextes und die geänderte geographische Perspektive des NT Rechenschaft zu geben. Eine »ntl. Archäologie« hat daher in vielfältiger Hinsicht anders auszusehen als eine »Archäologie des Alten Testaments«: Erstens: Frühchristliche Gruppen waren noch nicht in dem Maße »kulturbildend« wie etwa die beiden im AT erwähnten politischen Größen der palästinischen Eisenzeit, Israel und Juda. Anders als manche Figuren des AT gehörten die Protagonisten der frühen Christenheit nicht zu denjenigen Personen, deren Handlungen und Gedanken sich unmittelbar in Elementen materieller Kultur niederschlugen (Bauten, Inschriften, Politik). Ohnehin ist die Archäologie nicht recht dazu geeignet, individuelle Figuren oder punktuelle Ereignisse aufzuspüren, sie denkt eher in Kategorien kulturellen Wandels, was angesichts der nur »100 Jahre NT« in der Tat zu bedenken ist, das NT aber noch nicht zur »archäologiefreien Zone« macht. Ferner sind eindeutig als christlich zu betrachtende Objekte oder Räume nicht vor dem 2. Jh. n.Chr. wirklich sicher identifizierbar. Das früheste Christentum war noch so sehr Teil seiner jeweiligen Mitwelt, dass sich dessen theologische und lebenspraktische Spezifika noch nicht unmittelbar in Gegenständen, Bildern oder Symbolen niederschlugen. Damit hat das frühe Christentum Teil an der allgemeinen Schwierigkeit, jüdische Gruppen mithilfe materieller Kultur voneinander abzugrenzen. Doch lassen sich zumindest die lokalen oder regionalen Kontexte mithilfe der Archäologie studieren, in denen Christen gelebt haben. Erst später wird man ihre Spuren direkt erforschen können. Zweitens bezieht sich das NT auf einen viel weiteren geographischen Rahmen als das AT. Während die Erzählungen der Evangelien in Palästina lokalisiert sind, führt uns spätestens der »zweite Band« des lukanischen Doppelwerks durch Syrien und Kleinasien in die vielfältige Welt des östlichen Mittelmeers und bis nach Rom. Paulus erwähnt nicht nur die Arabia im Osten (Gal 1,17), sondern auch Spanien im äußersten Westen des Römischen Reiches (Röm 15,28). Wenn man die Völkertafel in Apg 2,9-11 betrachtet, wird der Unterschied zum AT vollends deutlich. Daraus ergeben sich methodische Konsequenzen: • Der organische Bezugspunkt einer ntl. Archäologie ist nicht per se die Archäologie Palästinas, sondern die Archäologie des hellenistisch-römischen Judentums und einer jeden Region, in der ntl. Schriften entstanden sind oder ntl. Gruppen gelebt haben. »Ntl. Archäologie« muss daher noch mehr als ihr atl. Gegenstück interdisziplinär sein. • Anders als die »biblische Archäologie« traditionellen Typs kann die ntl. Archäologie daher nicht als »Regionalarchäologie« konzipiert sein, die alle Epochen und Kulturen einer Region zumindest dem Anspruch nach gleich behandelt. Was im Bereich der palästinisch-biblischen Archäologie immer wieder gefordert 12 und praktiziert wird, wäre eine klare Überforderung und auch sachlich nicht geboten. Bei allem Recht eines umfassend diachronen Blicks ist festzuhalten: Je weiter sich ein Forscher mit seiner Arbeit zeitlich oder örtlich vom Bezugspunkt NT (oder AT) wegbewegt, desto weniger wird sein Beitrag für diesen Diskurs von Bedeutung sein. Ntl. Archäologie wird auf relevante Themen bezogen bleiben und die selbstverständlich gegebene »Unbegrenztheit ihrer Fragestellungen« auch mit Blick darauf konkret gestalten, was dem »anderen«, textorientierten Gesprächspartner zur Klärung von dessen Fragen beiträgt. Sich dieses Bezugspunkts bewusst zu bleiben heißt nicht, »Bibelarchäologie« im negativen Sinne zu betreiben oder die Entwicklung eigener Fragestellungen, Modelle und Daten zugunsten von »Auftragsarbeit« für Textausleger aufzugeben. Dies ist kein Plädoyer für die »Schere im Kopf« oder für »archäologische Orthodoxie«, sondern ein Appell, die Intention und Tragweite der eigenen Arbeit zu reflektieren. Ntl. Archäologie kann nur aufgrund eigener Kompetenz und Erkenntnis, die sie dem Dialog mit der archäologischen Referenzdisziplin verdankt, zum Gesprächspartner von Textwissenschaftlern werden. In den letzten Jahren ist im Zuge der allgemeinen Professionalisierung und Spezialisierung auch in der deutschen ntl. Forschung eine spürbare Zu- »›Ntl. Archäologie‹ muss daher noch mehr als ihr atl. Gegenstück interdisziplinär sein« 004104 ZNT 13 - Inhalt 09.03.2004 14: 46 Uhr Seite 6 ZNT 13 (7. Jg. 2004) 7 Jürgen Zangenberg Archäologie und Neues Testament nahme des Interesses an archäologischen Themen und Daten zu beobachten. Dabei bewegt sich die archäologische Arbeit durch Neutestamentlerinnen und Neutestamentler in weit überwiegender Weise im Bereich der Rezeption von Daten, die von anderen Disziplinen oft mit ganz eigenen Forschungsinteressen bereitgestellt werden, kaum der eigenständigen »Produktion« von Befunden durch Grabung oder Survey oder der methodischen Grundlagendiskussion über Ziele und Arbeitsweisen ntl. Archäologie. Die Dateninterpretation darf aber nicht auf Dauer von der Datenerhebung getrennt verlaufen, da die Interpretation archäologischer Daten nicht ohne die Kenntnis archäologischer Praxis sinnvoll geleistet werden kann und eigene Fragen und Themen des NT sehr wohl auch eine Rolle bei der Grundlagenforschung spielen müssen. Vor allem im Bereich der archäologischen Feldarbeit hat speziell die deutsche ntl.-archäologische Forschung einen deutlichen Nachholbedarf. Um zu verdeutlichen, in welche Richtung die Arbeit fortschreiten kann, stelle ich je zwei aktuell laufende Forschungsprojekte aus der antiken Levante und dem weiteren Bereich des östlichen Mittelmeerraums exemplarisch vor. 3. Ausgewählte Projekte neutestamentlicher Archäologie Der folgende Überblick ist notwendig unvollständig, mag aber die Bandbreite fruchtbarer Möglichkeiten einer ntl. Archäologie vor Augen führen. a) Seit 2000 forscht ein international besetztes Team unter der Leitung von P ETER L AMPE (Universität Heidelberg) in Phrygien (heutige westliche Türkei) nach Stätten der Montanisten, einer stark apokalyptisch geprägten frühchristlichen Gruppe. Zunächst mit Surveys, später dann auch mit gezielten Grabungen soll die ländliche Infrastruktur einer Region erforscht werden, die bereits vor den Montanisten Lebensraum christlicher Gruppen war (Apg 2,10; 16,6; 18,23). In Aufnahme neuester Ansätze der Altertumswissenschaft, aber mit dezidierter eigener Fragestellung korrigiert das Projekt die auch in der Erforschung des frühen Christentums oft vorherrschende Konzentration auf städtische Kultur. Zugleich lässt sich der Übergang von der Erforschung der Umwelt des NT hin zu materiellen Spuren frühchristlicher Gruppen in einer klar definierten Region verfolgen <http: / / theologie.uni-hd.de/ wts/ lampe/ project.htm>. b) Seit mehreren Jahren arbeitet P ETER P ILHO - FER (Universität Erlangen-Nürnberg) die literarischen und archäologischen Zeugnisse der Stadt Philippi auf, wo nach Apg 16,12 (vgl. Apg 20,6; Phil 1,1; 1Thess 2,2) die erste christliche Gemeinde auf dem Boden Europas gegründet wurde. Pilhofer hat bereits zwei Bände vorgelegt (eine monographische Darstellung der Stadt und der christlichen Gemeinde und eine Edition von Inschriften, vgl. auch die Monographie zu Philippi von L UKAS B ORMANN ). Ein dritter Band mit literarischen Zeugnissen ist im Entstehen. Damit liegt zum ersten Mal eine umfassende Materialsammlung zu einer hellenistisch-römischen Stadt vor und darauf aufbauend der Versuch, das Leben und die Geschichte einer christlichen Gemeinde einzuzeichnen. Besonders verdienstvoll ist, dass Pilhofer begonnen hat, die Inschriften im Internet einer breiteren Öffentlichkeit vorzulegen <www.philippoi.de, vgl. auch seine Website www.antike-exkursionen.de>. Entscheidend ist, dass dabei der Archäologie (und bei Pilhofer besonders der Epigraphik) nicht die Rolle bloß punktuell illustrierender Staffage zukommt. Ähnliche Arbeiten zu anderen Städten und Regionen der paulinischen Mission sind in letzter Zeit entstanden (C HRISTOPH VOM B ROCKE zu Thessaloniki; C ILLIERS B REYTENBACH zu Galatien, D IET - RICH -A LEX K OCH zu Korinth und bereits vor einiger Zeit P ETER L AMPE zu Rom). Doch ist noch vieles zu tun. So fehlt im deutschsprachigen Raum etwa eine Untersuchung, die das immens vielfältige archäologische Material aus Ephesus für das NT auswertet. Auch ist der kulturelle Kontext Kleinasiens für die Johannesapokalypse trotz mancher Vorarbeiten (u.a. von H EINZ -J OSEF K LAUCK ) noch nicht erschöpfend erschlossen. c) Seit G USTAF D ALMANS grundlegenden Arbeiten haben die archäologischen Hinterlassenschaften der Nabatäer vor allem im heutigen Jordanien (Petra) und südlichen Syrien (Bostra) Archäologen und Religionswissenschaftler in ihren Bann gezogen. Die Nabatäer, Nachbarn und Zeitgenossen der palästinischen Juden, kamen im Zuge der augusteischen Pax Romana durch 004104 ZNT 13 - Inhalt 09.03.2004 14: 46 Uhr Seite 7 8 ZNT 13 (7. Jg. 2004) Neues Testament aktuell Weihrauchhandel zu beträchtlichem Wohlstand, ihre semitisch geprägte Religiosität nutzte zunehmend Formen hellenistischer Ikonographie und Architektur als Ausdrucksmittel. Die Erforschung ihrer religiösen Denkmäler hat sich seit 1995 ein Team um den katholischen Neutestamentler H ELMUT M ERKLEIN † (Universität Bonn) und den biblischen und klassischen Archäologen R OBERT W ENNING (Münster) zum Ziel gesetzt. Zur Zeit konzentriert sich die Arbeit auf die Dokumentation der nabatäischen Votivnischen in Petra. Endziel ist der Versuch einer Religionsbeschreibung, die konkreter vom archäologischen Befund ausgeht als bisher und zugleich Rechenschaft darüber abgibt, wie man antike Religion verstehen kann, wenn nur bildliche Zeugnisse vorliegen. Das Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, dass man einen religionsgeschichtlichen Vergleich mit dem NT nur ziehen kann, wenn man die Phänomene seiner Umwelt um ihrer selbst willen erforscht und zugleich erkennt, dass bildliche Bedeutungsträger nicht zugunsten der Texte vernachlässigt werden dürfen. d) Unter der Leitung von H AROLD A TTRIDGE und D ALE M ARTIN (Yale University) und dem Autor des vorliegenden Beitrags erforscht das internationale und interdisziplinäre Projekt »Religion, Ethnicity and Identity in Ancient Galilee. Archaeology, Texts and Methodology« eine der klassischen ntl. »Kernregionen« <www.galilee.uniwuppertal.de>. Das Gebiet um den See Gennesaret war seit ältester Zeit Kontaktzone mehrerer Kulturräume. Was bedeutet die Eigenheit der Region am See, die Handelsverbindungen und fortschreitende Urbanisierung, für die frühe Jesusbewegung? Wie bewahrte die jüdische Bevölkerung ihre Identität in einer Welt vielfältiger sozialer Spannungen und kultureller Einflüsse? Wie befruchteten sich Judentum und Hellenismus in dieser Region? Durch die Kooperation mit dem Kinneret Regional Project <www.kinneret-excavations.org> und der beginnenden Arbeit in Tiberias <www.digtiberias.org> ist auch hier eine enge Verknüpfung von Datenerhebung im Feld durch Grabung und Survey und ihre Fruchtbarmachung für die Forschung u.a. am Neuen Testament gegeben. Die ntl. Wissenschaft braucht nicht nur die Philologie und (in jüngster Zeit zunehmend) die Literaturwissenschaft als Gesprächspartner, sondern auch die Archäologie, um die vielfältigen Dimensionen ntl. Entstehungs- und Wirkungsgeschichte zu erfassen. Unbedingt nötig ist die Intensivierung der Methodendiskussion, die in der Facharchäologie eine Selbstverständlichkeit ist, im Bereich der ntl. Archäologie aber bisher kaum stattfindet. Wie lassen sich archäologische Funde interpretieren, wie sich Daten der materiellen Kultur mit Texten in Beziehung setzen? Nicht erst die Qumranforschung zeigt, dass eine bloß additive Kombination von Texten und archäologischen Funden kaum ausreicht. 13 Ziel ist nicht nur die Erweiterung unseres Wissens, sondern auch Möglichkeiten, dieses sinnvoll zu strukturieren und in ein Gesamtbild zu integrieren. Hilfreich ist hier das Konzept einer »Enzyklopädie« des frühen Christentums, der in einem jüngst von S TEFAN A LKIER und dem Verfasser des vorliegenden Beitrags herausgegebenen Band beschritten wird. 14 Denn die Zusammenarbeit von ntl. Wissenschaft und Archäologie muss durchaus keine Einbahnstraße sein, beide Disziplinen können davon profitieren. So kann die ntl. Wissenschaft ihre fast einzigartigen Erkenntnisse aus der Erforschung einer in der Folgezeit ungeheuer bedeutenden Religionsgemeinschaft sozusagen in statu nascendi in die Erarbeitung eines möglichst vielschichtigen Bildes der Antike einbringen. All dies ist heutzutage unter dem Diktat des Rotstifts leichter gesagt als getan. In einer Zeit, in der bei der wissenschaftlichen Qualifikation des Nachwuchses immer größere Spezialisierung verlangt wird, während bei Berufungsverfahren aufgrund von zunehmen- »Unbedingt nötig ist die Intensivierung der Methodendiskussion, die in der Facharchäologie eine Selbstverständlichkeit ist, im Bereich der ntl. Archäologie aber bisher kaum stattfindet.« »Wissenschaftliche Theologie kann es sich nicht leisten, ›Sonderqualifikationen‹ wie die Archäologie sozusagen ›nebenbei‹ zu betreiben oder einfach wieder an ihre Patenwissenschaft zurückzugeben.« 004104 ZNT 13 - Inhalt 09.03.2004 14: 46 Uhr Seite 8 ZNT 13 (7. Jg. 2004) 9 Jürgen Zangenberg Archäologie und Neues Testament dem »Rückbau« von Doppelbesetzungen viel eher »Generalisten« berufen werden, gerät Dinklers eingangs zitierte Mahnung rasch in den Hintergrund. Archäologie gilt vielen Neutestamentlern vielfach immer noch als »Hilfswissenschaft«, die man glaubt jederzeit in eklektischer Weise rezipieren zu können, ohne sie in der ntl. Wissenschaftslandschaft institutionalisieren zu müssen. Gerade in der jetzigen Lage wäre eine »Beschränkung auf die theologischen Grunddisziplinen und -kompetenzen« auf Kosten der Archäologie fatal, da dies gerade zu einem Verlust an Kompetenz und Innovationspotential, an Diskurs- und Reflexionsfähigkeit der ntl. Wissenschaft insgesamt führen würde. Niemand würde etwa in der Praktischen Theologie die Psychologie als bloße »Hilfswissenschaft« bezeichnen und sie für verzichtbar erklären. Nicht zu unterschätzen ist ferner das ungebrochene öffentliche Interesse an archäologisch-kulturgeschichtlichen Themen. Einschlägige Ausstellungen, Artikel in Printmedien und Fernsehsendungen erreichen ein wachsendes Publikum, Zeitschriften wie »Welt und Umwelt der Bibel«, »Bibel und Kirche« oder »Antike Welt« erfreuen sich großen Interesses. Vieles wäre hier noch möglich. W OLFGANG Z WICKELS Frage z.B., warum es in Deutschland eigentlich kein Biblisch- Archäologisches Museum gibt, kann man da nur mit Nachdruck wiederholen. 15 Wenn die akademische Theologie das Interesse an der materiellen Dimension ihrer ureigensten Geschichte im öffentlichen Streit der Meinungen weiter kompetent und kritisch begleiten will, muss sie auch qualifizierten Nachwuchs ausbilden und dafür entsprechende institutionelle Ressourcen freistellen. Wissenschaftliche Theologie kann es sich nicht leisten, »Sonderqualifikationen« wie die Archäologie sozusagen »nebenbei« zu betreiben oder einfach wieder an ihre Patenwissenschaft zurückzugeben. l Anmerkungen 1 E. Dinkler, Petrus und Paulus in Rom, Gymnasium 87 (1980), 1-37, hier: 3. 2 Im vorliegenden Beitrag führe ich ein Thema fort, das in ZNT bereits von H. Tiedemann, Texte, Töpfe, Theorien. Archäologie und Neues Testament, ZNT 8 (2001), 48-58 angesprochen wurde. Wichtige Beiträge zur Methodik und inhaltlichen Einzelfragen finden sich u.a. auch in A. Leinhäupl-Wilke / S. Lücking / J.M. Wiegard (Hgg.), Texte und Steine. Biblisches Forum Jahrbuch 1999, Münster 2000 und im neu erschienen Sammelband S. Alkier / J. Zangenberg (Hgg.), Zeichen aus Text und Stein. Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments (TANZ 42), Tübingen 2003. 3 Vgl. den Situationsbericht von O. Wischmeyer, Das Selbstverständnis der neutestamentlichen Wissenschaft in Deutschland. Bestandsaufnahme. Kritik. Perspektiven. Ein Bericht auf der Grundlage eines neutestamentlichen Oberseminars, ZNT 10 (2002), 13-36. 4 Erinnert sei nur an Schleiermachers programmatischen Satz: »Keine Schrift kann vollkommen verstanden werden als nur im Zusammenhang mit dem gesammten Umfang von Vorstellungen, aus welchem sie hervorgegangen ist, und vermittelst der Kenntniß aller Lebensbeziehungen, sowol der Schriftsteller als derjenigen für welche sie schrieben« (D.F.E. Schleiermacher, Kurze Einleitung des theologischen Studiums zum Behufe einleitender Vorlesungen, Berlin 2 1830, § 140, Kursive von J.Z.). Schleiermachers »Lebensbeziehungen« entsprechen durchaus dem heutigen Begriff »Kontext«. 5 Vgl. Droysens integratives Verständnis von »Überresten«, das sowohl schriftliche als auch nichtschriftliche Zeugnisse umfasst, siehe J.G. Droysen, Grundriß der Historik (hg .v. P. Leyh), Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, 426-428 (§ 20-26). 6 Dazu vgl. z.B. jüngst E. Reinmuth, Neutestamentliche Historik. Probleme und Perspektiven (ThLZF 8), Leipzig 2003, bes. 35-86. 7 P. Pilhofer, Die frühen Christen und ihre Welt. Greifswalder Aufsätze 1996-2001 mit Beiträgen von J. Börstinghaus und E. Ebel (WUNT 145), Tübingen 2002, 6. 8 Vgl. dazu etwa E.M. Meyers, Jesus und seine galiläische Lebenswelt, ZNT 1 (1998), 27-39; J. Zangenberg / G. Faßbeck, »Jesus am See von Galiläa« (Mt 4,18). Eine Skizze zur archäologischen Forschung am See Gennesaret und zur regionalen Verankerung der frühen Jesusbewegung, in: C.G. den Hertog / U. Hübner / S. Münger (Hgg.), Saxa Loquentur. Studien zur Archäologie Palästinas / Israels, FS V. Fritz zum 65. Geburtstag (AOAT 302), Münster 2003, 291-310. Einer solchen regionalen Betrachtungsweise ist auch der Band G. Faßbeck / S. Fortner / A. Rottloff / J. Zangenberg (Hgg.), Leben am See Gennesaret. Kulturgeschichtliche Entdeckungen in einer biblischen Region (Sonderband Antike Welt), Mainz 2003 verpflichtet. 9 Dieses Manko wurde seit längerem thematisiert (vgl. W. Klaiber, Archäologie und Neues Testament, ZNW 72 [1981], 195-215, bes. 195-197; F. Rohrhirsch, Wissenschaftstheorie und Qumran. Die Geltungsbegründungen von Aussagen in der Biblischen Theologie am Beispiel von Chribet Qumran und En Feschcha [NTOA 32], Fribourg und Göttingen 1996, 79-83), ist aber noch weit verbreitet, vgl. z.B. die ansonsten hilfreiche neue Darstellung D. Vieweger, Archäologie der biblischen Welt (UTB 2394), Göttingen 2003, die praktisch ganz auf Palästina beschränkt bleibt, oder die Aufsatzsammlung J.C.H. Laughlin (Hg.), Archaeology and the Bible, London und New York 2000, die mit dem Jahr 550 v.Chr. abbricht. 10 Dies hat C. Frevel in einem zu Recht oft zitierten Artikel auf atl. Hintergrund bereits gefordert, vgl. C. Frevel, 004104 ZNT 13 - Inhalt 09.03.2004 14: 46 Uhr Seite 9 Religiöse Weck- und Tagelieder: eine kommentierte Edition Während sich die Forschung dem weltlichen Tagelied seit Jahren mit anhaltend großem Interesse widmet, gilt Gleiches für sein religiöses Gegenstück, das geistliche Tagelied, nicht. Die letzte Monographie dazu, eine Arbeit von Theodor Kochs, datiert aus dem Jahre 1928; dabei hatte bereits er damit zu kämpfen, dass manche der einschlägigen Texte überhaupt noch nicht ediert waren. Hier setzt André Schnyders Publikation ein, indem sie ausgehend von der editorischen Erschließung der Texte über eine sorgfältige Kommentierung eine Geschichte des religiösen Weck- und Tageliedes erarbeitet. Damit wird erstmals seit Jahrzehnten der Blick auf ein reizvolles Spektrum von Texten frei, das vom anonymen ‚Vrône wachter‘ des 13. Jahrhunderts bis zum bekannten Kirchenlied ‚Wachet auf, ruft uns die Stimme‘ Philipp Nicolais reicht. Bibliographie, Register der Autoren, der Liedanfänge, zu den Melodien und zu den Handschriften runden den Band ab und erleichtern die Weiterarbeit. André Schnyder Das geistliche Tagelied des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit Textsammlung, Kommentar und Umrisse einer Gattungsgeschichte Bibliotheca Germanica 45, 2004, XII, 832 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag, 124,-/ SFr 196,- ISBN 3-7720-2036-4 A. Francke Verlag Tübingen und Basel 10 ZNT 13 (7. Jg. 2004) Neues Testament aktuell »Dies ist der Ort, an dem geschrieben steht...«. Zum Verhältnis von Bibelwissenschaft und Palästinaarchäologie, in: Leinhäupl-Wike / Lücking / Wiegard (Hgg.), Texte und Steine, 11-29. 11 Zum Begriff des »Milieus« vgl. L. Grossberg, Was sind Cultural Studies? , in: K.H. Hörning / R. Winter (Hgg.), Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung (stw 1423), Frankfurt / M. 1999, 43-83. 12 Vgl. Vieweger, Archäologie der biblischen Welt, 43. 13 J. Zangenberg, Qumran und Archäologie. Überlegungen zu einer umstrittenen Ortslage, in: Alkier / Zangenberg (Hgg.), Zeichen aus Text und Stein, 262-306. 14 Vgl. darin v.a. S. Alkier / J. Zangenberg, Zeichen aus Text und Stein. Ein semiotisches Konzept zur Verhältnisbestimmung von Archäologie und Exegese, in: dies. (Hgg.), Zeichen aus Text und Stein, 21-62. Bereits Rohrhirsch, Wissenschaftstheorie und Qumran, bes. 74-88 hat darauf hingewiesen, dass der Verweis auf die »eine Wirklichkeit« nicht ausreicht, um die Ergebnisse von Bibelwissenschaft und Archäologie in Beziehung zu setzen. In seinem neuesten Beitrag plädiert Peter Pilhofer für eine größere Berücksichtigung der »Lokal- und Religionsgeschichte sowie Mentalitätsgeschichte« (P. Pilhofer, Die hellenistisch-römische Welt und die neutestamentliche Wissenschaft, in: O. Wischmeyer [Hg.], Herkunft und Zukunft der neutestamentlichen Wissenschaft, Tübingen 2003, 85-96, hier: 96). Im Rahmen einer Enzyklopädie des frühen Christentums wäre dies sicher gut zu leisten. 15 W. Zwickel, Scherben bringen Glück. Die neueren Erkenntnisse der biblischen Archäologie und die Exegese, Herder Korrespondenz 55 (2001), 531-536, hier: 536. 004104 ZNT 13 - Inhalt 09.03.2004 14: 46 Uhr Seite 10