eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 7/14

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2004
714 Dronsch Strecker Vogel

Antwort auf Hans-Joachim Ecksteins »Rechtfertigungstheologie«

121
2004
Hendrik Boers
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Hendrik Boers Antwort auf Hans-Joachim Ecksteins »Rechtfertigungstheologie« Die Diskussion über die Stellung der Rechtfertigung durch den Glauben in den paulinischen Schriften fand hauptsächlich innerhalb der Grenzen zweier grundsätzlich entgegengesetzter Positionen statt: Gü.Q.ther Bornkamm hat die eine im Rahmen protestantischer Couleur weit verbreiteter Auffassung zusammengefasst: »[Die] ganze [paulinische] Verkündigung, auch dort, wo seine Rechtfertigungslehre nicht ausdrücklich zur Sprache kommt, ist nur dann richtig verstanden, wenn sie im engsten Zusammenhang mit dieser verstanden und auf sie bezogen wird«. Mehr als ein halbes Jahrhundert vorher hat William Wrede den Fall im entgegengesetzten Sinn formuliert, beinahe als vorweggenommene Antwort auf Bornkamm: »Die Reformation hat uns gewöhnt, diese Lehre als den Zentralpunkt bei Paulus zu betrachten. Sie ist es aber nicht. Man die ausführliche schriftliche Fixierung der >Rechtfertigungstheologie< des Paulus erst in den allgemein später datierten Briefen [findet] ... «, d.h. in Galater, Römer und Philipper (spez. Phil 3,2ff.). Darin scheint er Wrede zuzustimmen, aber in seiner Absicht steht er eigentlich Bornkamm viel näher. Er schreibt: »Obwohl die Ausführung der >Rechtfertigungslehre< in den paulinischen Briefen durch ... konkrete geschichtliche Umstände veranlasst worden sein mag, so deutlich wollen doch gerade die rechtfertigungstheologischen Darlegungen des Evangeliums .. . als grundsätzlich und zentral verstanden werden«. Er untermauert diese Überzeugung mit dem Hinweis darauf, dass die exklusiven paulinischen Aussagen, die die Erfüllung der Verheißungen an Israel ausschließlich an den Glauben an Christus binden, »wohl nicht erst in der rechtfertigungstheolokann in der Tat das Ganze der paulinischen Religion darstellen, ohne überhaupt von ihr Notiz zu nehmen, es sei denn der Erwähnung des : , TROVEB~ E gischen Akzentuierung der späten Paulusbriefe begründet [sind], sondern vielmehr in seiner durchgängig >chris- Gesetzes. Es wäre ja auch sonderbar, wenn die vermeintliche Hauptlehre nur in der Minderzahl der Briefe zu Worte käme. Und das ist der Fall; d.h. sie tritt überall nur da auf, wo es sich um den Streit gegen das Judentum handelt. Damit ist aber auch die wirkliche Bedeutung dieser Lehre bezeichnet: sie ist die Kampfeslehre des Paulus, nur aus seinem Lebenskampfe, seiner Auseinandersetzung mit dem Judentum und Judenchristentum verständlich und nur für diese gedacht, insofern dann freilich geschichtlich hochwichtig und für ihn selbst charakteristisch«. Hans-Joachim Eckstein versucht in seinem Kontroversebeitrag einen Mittelweg einzuschlagen, indem er eine Festlegung auf eine der beiden entgegengesetzten Auffassungen vermeidet. Er hält fest, dass Paulus »das im Christusgeschehen eröffnete Heil mit anderen Begriffen und Vorstellungen entfalten [kann] als ausschließlich mit der juridisch klingenden Rede von der begnadigenden Rechtfertigung ... «. Er ist überzeugt, dass »sich ZNT 14 (7. Jg. 2004) tozentrischen< Entfaltung des Evangeliums«. Deswegen soll die Provokation der paulinischen Rechtf ertigungstheologie »nicht nur in der exklusiven Hervorhebung des Glaubens und der Gnade also in dem sola fide und dem sola gratia zu erkennen sein, sondern mehr noch in dem solus Christus also dem exklusiven Bekenntnis zu Christus als dem einen >Sohn Gottes< und >Herrn<, in dessen Kreuz und Auferstehung Gott sowohl für Israel wie für die Völker seine Weisheit und Kraft, seine Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung erwiesen hat (lKor 1,18-31)«. Mit dieser Äußerung umgeht Eckstein freilich die Frage der Rechtfertigungslehre als Zentrum der paulinischen Lehre, denn er macht sie abhängig von der (im Rahmen der Forschung nicht kontrovers verhandelten) Verkündigung Christi, von der die Rechtfertigungslehre nur eine - und zudem späte - Ausprägung sei. In Konsequenz dieser Argumentation muss Eckstein effektiv die Unmöglichkeit einer Bestätigung der Zentralität 49 on tr over se der Rechtfertigung durch den Glaub en in dem Denken des Paulus anerkennen. Zentr al in der paulinischen Lehre ist die Verkündigung Christi, von der die Rechfertigung durch den G lauben nur ein kontingenter Au druck is t. Eckstein versteht die Rechtfertigungslehre als Antwort auf konkrete historische Begebenheiten, gibt ab er in seinem Beitrag keinen Hinweis darauf, welche Ere i. gni. se es waren, und besonde rs lässt er die Beantwo rtung der Fr a ge vermissen, was für eine Bedeutung sie für ein Verständnis dieser Lehre ha· en könnten. Die in Phil 3,2-11 und Gal vorauszusetzenden Begebenheiten sind bei näherer Betrachtung ganz verschieden. Unter dem Aspekt der inhaltlichen Sukzessivität betrachtet, folg t der Römerbrief dem G ala terbrief. In Phil 3,2-11 bewegt sich di e Dis kussion in einem jüdischen Rahmen: fa geht u m das unjüdische Benehmen de s Paulus . In 3,5-6 zählt er seine Au szeichnungen als vorbildliche : - Jude auf, die er in 66 sich zueignet: »In der Rechtfertigung durch d as Gesetz war ich oi ne Fehler« . Die se Aussage hat nichts mit der so 5enannten Werkgerechtigkeit zu tun, ondern fass t zusammen, was er sich zu eignet im Sinne der A uszeichnungen von 5-6a. So lehnt er in 3,9 nicht d as ab, was er im Sinne von Werkgerechtigk ei t erreicht hat, sondern das, was er als vorb · dlicher Jude erlangt hatte: » ... dass ich in ihm gefunden wurde, ohne meine eigene Gerechtigkeit aus dem Gesetz, sondern die Gerechtigkeit aus dem Glaul: : en Christi, die Gerechtigkeit, die von Gott koom t aus d em Glauben«. Paulus antwortet konkret, biographisch: Was er in Christus gefunden hat, w ar unvergleichbar mit seinem Streben a ls Jude. Seine Verteidigung gründet sich d eshalb nicht auf eine Lehre über Jesus Christus, ebens o ist es auch keine Verteidigung von C hristu s als dem einzigen Weg zum Heil. Stattdessen ve lä ss t sich meinen, nicht näher definierten Sinn benutzt, z.B. »Ihr seid von Gott in Christus, der die Weisheit Gottes für uns wurde, Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung« (1Kor 1,30, ähnlich in lThess 2,10; 1Kor 4,4; 2Kor 3,9; 5,21; 6,7.14; 9,9- 10; 11,15). Nur einm al erfährt der Gebrauch des Wortes speziellere : Bedeutung: ,>Das alles wart ihr, aber ihr seid gereinigt, ihr seid gerechtfertigt im Namen unseres Herrn Jesus Christus und im G eist unseres Gottes« (1Kor 6,11). Die Vielfalt und Unbestimmth eit der Verwendung dieser Ausdrücke lässt erkennen, dass Paulus keine Lehre der Rechtfertigung erarbeitet hatte, von der er schöpfen konnte. D ie Redewendungen »Rechtfertigung durch das Gesetz« und »meine eigene Rechtfertigung durch das Gesetz« in Phil 3,2-11 sind gegründet in dem jüdischen Kontext der Diskussion und »[Rechtfertigun g], die au s dem Glauben Jesu k: : immt« ist im Gegensatz dazu davon abgeleitet. Die Kontroverse in Galatien findet hingegen in einem ganz anderen Kontext statt: Es handelt sich um eine Auseinandersetzung über das Verhältnis zwischen j-: idischen und heidnischen Gläubige n, die über die Frage entstanden ist, ob Heiden sich beschneiden lassen müssen als Erfüllung ihrer Berufungen in Christus. Auch hier wird keine bestehende Lehre des Paulus zum Ausdruck gebracht oder auf sie zurückgegriffen. Die Anrede an die Galater durch den Apostel gründet sich wieder auf die Erfahrung mit Christus, in diesem Fall nicht seine eigene, sondern die Erfahrung seiner Leser: »Ihr unvernüftigen Galater, wer hat euch betrogen, ihr vor dessen Au 5en Christus als der gekreuzigte darges·,ellt wurde! « Ein Schlüssel zu dem, wa, Paulus im Galater brief beschäftigt, bietet sein Bericht über die Ereignisse in Antiochien. In Antiochien fand eine Tischgemeinschaft von jüdi- Paulus ganz auf sei ne Erfah rung mit Christus. Die Rechtfertigu n g aus dem Glauben, von der er spricht, is: nicht eine eigenständige Ide e, son dern Material fü r d ie Verteidigung einer Preisgabe seiner Auszeichnungen als vorbild- »Die Rechtfertigung aus dem Gla11,ben, von der er spricht, ist nicht eine eigenständige Idee, sondern Material für die Verteidigung einer Preisgabe se iner Auszeichnungen als vorbildlicher Jude.« schen und heidnischen Gläubigen statt, wie Paulus berichtet: »Petrus hat mit den Heiden gegessen bis einige Leute von Jakobus ankamen. Danach hat er sich zurückgezogen un d sich abgesondert, weil er diejenigen, die von der licher Jude . In seinen frühere n Briefen hat Paulus »Rechtfertigun g« und verwandte Wörter in einem allge - 50 Beschneidung waren, fürchtete. Und der Rest der Juden fing auch an, mit ihm zu heucheln bis auch Barnabas hingeführt ZNT 14 (7 . Jg. 2004) Hendrik B oe rs Antwort auf Hans- Joachim Ecksteins »Rechtfertigungstheologie« Hendrik Boers Prof. Dr. Hendrik Boers, Jahrgang 1928, geboren in Ermelo, Transvaal, Süd-Afrika. Promotion 1962. Von 1969-1977 Associate Professor für Neues Testament an der Chandler School of Theology, Emory University, Atlanta, USA und seit 1977 Professor für Neues Testament an der dortigen Universität. Forschungsschwerpunkte: Paulinische Theologie, christologische Konzepte im Neuen Testament, semantische Analyse biblischer Texte. Diverse Veröffentlichungen, zu denen die Bücher »The Justification of the Gentiles . Paul's Letters to the Galatians and the Romans« sowie »The Meaning of Christ in Paul's Thought« zählen. wurde durch ihre Heuchlerei« (Gal 2,12 - 13). Der Streitpunkt in Galatien aber, anders als in Antiochien, war nicht die Tischge- Angaben nicht, um Information zu übermitteln, sondern stellt die Information als Mittel dar, um die Kontroverse in Galatien anzusprechen. »Werke des Gesetzes« in Gal 2,16 sowie auch in Phil 3,9 bedeuten also nicht »Rechtfertigung durch das Tun guter Werke«, sondern Rechtfertigung im Sinne von: ein Jude zu sein durch Beschneidung. Paulus verneint keineswegs die Rechtfertigung der Juden, aber nicht auf Grund ihres Seins als Juden. Auch sie werden durch den Glauben gerechtfertigt: »Wir, die durch Erbnis Juden sind und nicht aus den Heiden, Sünder, wissend, dass keiner gerechtfertigt wird durch die Werke des Gesetzes [d. h. auf Grund des Jude sein], außer durch den Glauben Christi, haben auch in Christus geglaubt, um durch den Glauben Christi gerechtfertigt zu werden und nicht durch Werke des Gesetzes, weil niemand durch Werke des Gesetzes [auf Grund des Jude sein] gerechtfertigt wird« (2,16). Paulus unterstützt dieses Argument dadurch, dass er sich auf die Verheißung an Abraham beruft (3,15 - 18), besonders darauf, dass die Verheißung Abraham gegeben wurde 430 Jahre bevor das jüdische Sonderrecht vom Gesetz festgelegt wurde (3,17). Im Römerbrief wird er im selben Sinne argumentieren, dass Abraham als Heide gerechtfertigt wurde: »Wie war [Abraham Rechtmeinschaft jüdischer und heidnischer Gläubigen, sondern er entzündete sich darüber, ob heidnische Gläubige sich beschneiden lassen müs - »Paulus verneint keineswegs die Rechtfertigung der Juden, aber nicht auf Grund ihres Seins als]uden. « fertigung] zugerechnet: Als er beschnitten war oder unbeschnitten? Nicht beschnitten, sondern unbeschnitten, und er bekam das Zeichen der Beschneidung als Siegel seiner sen. In diesem Kontext passt Paulus die antiochenischen Ereignisse an die Kontroverse in Galatien an. Er erzählt, wie er Petrus beschuldigt hat, dass er die Heiden judaisieren wollte: »Wieso zwingst du die Heiden dazu, sich zu judaisieren? « (Gal 2,14d). Diese Beschuldigung hat aber keinen Anlass in seinem eigenen Bericht über die Ereignisse in Antiochien, sondern dient rhetorischen Zwecken. Er gestaltet seinen Bericht der Begebenheiten in Antiochien auf die Kontroverse in Galatien hin. Deswegen ist es auch nicht nötig zu fragen, wo sich in Gal 2,11 - 21 der Übergang von seiner Anrede an Petrus zu der an die Leser findet. Paulus spricht seine Leser die ganze Zeit an, auch wenn er berichtet, was er angeblich Petrus gesagt hat. Er macht diese biographischen ZNT 14 (7. Jg. 2004) Rechtfertigung als U nbeschnittener ... « (Röm 4,10-1 la). Rechtfertigung durch den Glauben bedeutet im Galater- und Römerbrief Rechtfertigung der Heiden. In beiden Briefen funktioniert Abrahams Rechtfertigung als er noch Heide war für Paulus als Grundlage seines Arguments, dass die Heiden als Heiden gerechtfertigt werden. Beschneidung bleibt ein grundlegendes Thema im ganzen Galaterbrief. In seinem Bericht über seinen Besuch in Jerusalem unterlässt Paulus es nicht zu erwähnen, dass nicht von ihm erwartet wurde, Titus zu beschneiden (2,3). Seine Erwähnung, dass die Säulen in Jerusalem Qakobus, Kephas und Johannes) ihm keine weiteren Forderungen aufgelegt hatten (2,6-10), bedeutet 51 K ont roverse bestimmt auch, dass die Beschneidung der heidnischen Gläubige n nicht von ihm verlangt wurde . Auch die Frage des Paulus an die Galater» ... nur dies möchte ich von euch wissen: Habt ihr den Geist durch We : : ke des Gesetzes bekommen oder durch d as Hören (Gehorc hen? ) des Glaubens? « (3,2) ist konkret zu verstehen als Bezweiflung der Notwendigkeit der Beschneidung für die Ermöglichung der Geistes gabe. Die weitere noch im Galaterbrief folgende iskreditier ng des Gesetzes in 3,5 -5 ,31 mu ss im gleichen Sinne verstanden werden. Paulus kehrt mehrmals zurück zum Thema Beschneidung in den letz ten zwei Kapiteln des Briefes (5,2 .3.6. 1 1; 6,12.13.15). Damit bestätigt es sich, dass nicht die Rechtfertigung, sondern die Frage nach der Beschneidung das verbindliche und übergeord ete Thema des Briefes ist. Rechtfertigung aus dem Glauben funktioniert als ein kritisch er Bestande il seiner Argumentation und muss deshalb als wichtig in der Entfaltung seiner Argumentation anerkannt werden. Aber der Galaterbrief biete t gewiss keine Darstellung einer Lehre von der Rec tfertigung aus dem Glauben als gegebener und vorfindlicher Lehre des Paulus . Ähnlic der Philipp erbriefstelle entsteht der Ge gensatz zwischen der Rechtfertigung durch die Werke des Gesetzes und durch den Glauben konkret als Ausdruck einer Ausein andersetzung, in die sich Paulus gestellt sieht: Diese ist im Fall des Galaterbiefs konkret über der Frage der Notwendigkeit der Beschneidung der heidnischen Gläubigen entstanden. Paulus versteht diejenigen, die die Beschneidung der Galater erwarten, als motiviert durch die Anforderungen des Ges etzes, und interpretiert ihr Verhalten als ein Sichverlassen auf das Gesetz als Mittel der Rechtfertigung, demgegenüber stellt der Apostel das Hören des Glau bens. Hierfür beruft er sich konkret auf die Erfahrung seiner Leser: »: : --Jur dies möchte ich vo: 1 euch wissen: Habt ihr den G eist durch Werke des Gesetzes bekam en oder durch das Hören (Gehorchen? ) des Glaubens? « (3,2). Paulus entwickelt seine Sprache und Wortwahl im Verlauf seiner Rede sukzessiv, so wie es für se ine Argumentation erade benötigt wird. E rstmalig taucht der Begriff »Rechtfertigung·=< in Galaterbrief in Gal 2,16 auf: In dem d rchschlagenden Vers verweist er nicht auf di e Rechtfertigung durch den Glauben, d .h . der G läubigen, bei der 52 ersten Nennung der Opposition zwischen den Werken des Gesetzes und der Verkündigung des Evangeliums im Galaterbrief, sondern zweimal auf die Rechtfertigung »durch den Glauben (Jesu) Christi«. Nach ihm haben Petrus und die anderen sich auf die Werke des Gesetzes verlassen, um gerechtfertigt zu werden. Dagegen stellt er den Glauben Jesu. Mit >-G laube« verweist er in keiner der beiden Formulierungen auf den Glauben der Gläubigen darauf verweist er .unterscheidend in 2, 16c mit »auch wir sind gläubig geworden an Jesus Christus«. »Glaube« bedeutet hier auch nicht die oft vorgeschlagene Alternative eines Glaubens Jesu selbst im Sinne seiner Treue . Eine bessere Lösung wäre »Glaube« im Sinne von 1,23 zu nehmen, wo Paulus berichtet, dass die Gemeinden in Jerusalem gehört haben, dass "der, der früher die Kirche verfolgt hat, jetzt den Glauben, den er früher zerstört hat, verkündigt.« Gegenüber des Sich-Verlassens auf eine Identität unter dem Gesetz, stellt Paulus eine Identität, die auf die Verkündigung des Glaubens gegründet ist. Diese neue Identität entsteht dadurch, dass man an Jesus Christus glaubt (2,16c). Die Vorrechte des Evangeliums werden nicht auf Grund der Tat des Glaubens gegeben, wie die Vorrechte des Gesetzes auch nicht auf Grund von Taten der Erfüllung des Gesetzes gegeben werden, auch nicht der Tat der Beschneidung. Die Vorrechte werden unterschiedlich gegeben: entweder durch das Gesetz oder den verkündigten Glauben J esu Christi. Beschneidung und Glauben an Christus Jesus sind die unterschiedlichen Weisen sich diese Vorrechte anzueignen. Aus Gal 2,16 ist schon deutlich geworden, dass Glaube nicht nur eine einzige Bedeutung im Galaterbrief hat. Konkret geht Paulus von dem verkündigte Glaube Jesu (fides quae creditur), » .. . wissend, daß niemand gerechtfertigt wird, .. . wenn nicht durch den Glauben Jesu Christi« (16ab ), zum Glauben an Christus Jesus (fides qua creditur), »wir auch haben an Christus Jesus geglaubt« (16c) über. Die Vieldeutigkeit des Terminus »Glaube« erlaubt es Paulus, alle Bedeutungsfacetten auszuloten und wenn nötig, von einer Bedeutung zur anderen zu wechseln. Leider führt diese Vieldeutigkeit auch zu semantischer Ambiguität. In 3,2 und 5 z.B. ist nicht klar, ob sich der Terminus »Glaube« in dem Satzteil »durch das Hören (Gehorsam? ) des Glaubens« auf das ZNT 14 (7 . Jg. 2004) Hendrik Boers Antwort auf Hans-Joachim Ecksteins »Rechtfertigungstheologie« bezieht, was geglaubt wird oder auf die Tat des Glaubens, wodurch wiederum auch das Hören doppeldeutig wird: Entweder »das Hören, das durch Glaube gekennzeichnet wird« im Sinne von einem Gehorsam des Glaubens oder »das Hören des verkündigten Glaubens«. Paulus benutzt die Vieldeutigkeit von »Glaube« in 3,6-9 rhetorisch dazu, um Abraham für den verkündigten Glauben J esu in Anspruch zu nehmen, und ihn zugleich von der jüdischen Erb schaft auszuschalten, mit dem Argument, dass Abraham gerechtfertigt wurde, weil er der Verheißung Gottes glaubte. Deswegen sind diejenigen, die aus dem Glauben sind, Abrahams Erben, und nicht diejenigen, die unter dem Gesetz sind. Dies geschieht mit dem argumentativen Ziel, das Gesetz als Garanten jüdischer Vorrechte ganz unter Verdacht zu stellen, was er in 3,10-26 ausführt, mit dem impliziten Resultat, dass die Gültigkeit der Beschneidung als Mittel der Befreiung und Rechtfertigung obsolet wird. Während Paulus im Galaterbrief seine Argumente entwickelt hat im Fortgang seiner Erörterungen, gründet er im Römerbrief seine Darlegungen zum Teil auf Gedanken, die er im Galaterbrief schon entwickelt hat. Es scheint kein konkretes Ereignis vorzuliegen, auf das Paulus im Römerbrief reagiert. Also macht er eklektischen Gebrauch von einigen seiner Gedanken, die er im Galaterbrief entfaltet hat, und benutzt seine schon vorliegenden Ausführungen als Material für sein Schreiben an die Leser in einer Gemeinde mit der er keine früheren Kontakte hatte. So verwundert es nicht, dass der Römerbrief oft als an eine theoretische Darlegung grenzend betrachtet wurde. Das Hauptthema des Römerbriefes ist nicht die Rechtfertigung durch den Glauben. Dieses Thema bleibt begrenzt auf Röm 3,21-5, 11. Paulus kündigt es in 3,19-20 an als Abschluss seiner Gedanken über das Gesetz in 2,1-3,18. In 2,1-3,18 hat er das Gesetz positiv dargestellt als das Mittel, wodurch die Juden bewahrt waren von der Perversion der Heiden, die Paulus in 1,1-10 beschrieben hatte. Seine eigentliche Absicht ist es aber, die Juden zu diskreditieren wegen ihres Versagens im Gehorsam gegenüber dem Gesetz, besonders deutlich in 3, 1-10. Aber das Gesetz im Sinne von 2,1-3,18 ist die Grundlage für Gottes Urteil über die Werke aller Menschen, nicht nur Juden, wie Paulus in 2,13 darlegt: »Nicht die Hörer des Ge- ZNT 14 (7. Jg. 2004) setzes sind gerechtfertigt vor Gott, sondern diejenigen, die das Gesetz erfüllen, werden gerechtfertigt werden.« Die Juden können also von der Beschneidung Vorteil haben, nur wenn sie die Gebote erfüllen (2,25a), aber Heiden, die ebenfalls die Gebote erfüllen, zeigen, dass sie das Gesetz in ihre Herzen geschrieben haben (2,14-15). In 3,19-20 nun wendet sich Paulus hin zu einer anderen Bedeutung des Gesetzes: das Gesetz, das das jüdische Vorrecht festlegt, wodurch man aber nicht gerechtfertigt werden kann: »... deswegen wird niemand vor [Gott] gerechtfertigt« (3,20ab). Er unterscheidet dieses Gesetz in diesem Sinne von dem Gesetz in Sinne von 2,1-3,18, das Gesetz als Grundlage von Gottes Urteil über Werke des Gesetzes. Hier aber, in 3,20, begrenzt er die Funktion des Gesetzes zum Offenbarer der »Kenntnis der Sünde« (3,20c). In Röm 3,20 nimmt Paulus die Gedanken des Galaterbriefes neu auf, verfeinert sie aber. Rechtfertigung durch das Gesetz und durch den Glauben wird jetzt klar definiert. In diesem Teil seiner Darstellung im Römerbrief anders als im Galaterbrief sucht Paulus nicht mehr nach seinem (theologischen)Weg, auch nicht terminologisch. Er weiß, was er sagen will, mit der Einschränkung, dass er sich in Röm 4,23-25 jenseits von dem befindet, was er wollte. Er verbindet die Tat des Glaubens Abrahams nun mit der Tat des Glaubens an die Auferstehung Jesu, ohne eine Verbindung mit dem Christus-Geschehen selbst festzustellen. Er stellt die Verbindung fest auf Grund von Gottes Tat der Auferweckung, die Erweckung eines Sohnes für Abraham aus seinem toten Leib und dem toten Mutterschoß Sarahs und die Auferweckung Jesu aus dem Tode. Im Gegensatz dazu hat Paulus im Galaterbrief Christus direkt in Verbindung mit Abrahams Glaube gebracht, auch wenn die Weise, wie er das tat, viel zu wünschen übrig lässt: Der einzige Samen der Verheißung war Christus (Gal 3,16). Im Römerbrief ist der Same offensichtlich Isaak (Röm 4, 18- 21). Auf diese Weise endet Paulus in Römer 4 ohne eine Verbindung zwischen Abrahams Glaube und dem Christusgeschehen hergestellt zu haben. Eine Verbindung, die er offensichtlich beabsichtigt, wie seine darauf folgende Darstellung verdeutlicht. Im Vergleich mit dem Galaterbrief, in dem Paulus im Verlauf seiner Argumentation Abrahams Glaube direkt mit Christus verbunden 53 Kont roverse hat, zeigt der Römerbrief einen eklatanten Mangel auf. Der Behebung dieses Mangels wendet sich der Ap ostel in 5,1-11 zu, er verlässt hierfür seine Argumentation aus den Darlegun gen im Galaterbrief und sucht einen neuen argumenta: iven Weg. Paulu s beginnt in Kapitel 5 damit, dass er die Verbindung zwischen Abrahams Rechtfertigung durch den Glauben nd die Rechtfertigung derer, die an G o tt glauben , der »Jesus unsern Herrn « aus dem Tode auferweckt hat, ers t wieder in Erinnerung ruft, »also, gerechtfertigt durch den Glauben haben wir Frieden mit Gott .... « (5,1). Damit hat Paulus die Gr ndlage der Rechtfertigu ng der Rechtfertigung durch den Glauben vielmehr zum Ausdruck, w as Paulus in Christus gefunden hat als Grundlage : ,einer Absage seiner Angewiesenheit auf sein jü disches Erbe als Mittel der Rechtfertigung. Im Galaterbrief funktioniert seine A blehnung der Rechtfertigung durch Werke des Gesetzes als Argument gegen die Forderung, dass die Heiden sich beschneiden lassen müssen, um teilnehmen zu können an der Gemeinschaft der G läubigen. Dieses Argument wird zu einem der grundlegenden Gedanken im Römerbrief. Durch c.iese beiden Überlegungen wird die Auffassung Wredes bestätigt, dass es sich bei der noch nicht weit er g führt als bezogen auf die Tat des Glaubens an Go ttes Auferweckung Jesu aus dem Tode. Um argumentativ weiter zu kommen, führt er in 5,6-8 noch eine cl: .ristologische Aussage ein. Auf Grund die ser christologische Zentrierung fo rmuliert ,er die Grund- » Wichtiger scheint es mir, .. . dass festgehalten wird, dass paulinische Rede von der Rechtfertigung durch den Glauben keineswegs in einem univoken Gedanken über die Recht- Rede vor.. der Rechtfertigung im paulir_ischen Kontext keineswegs um ein Theologumenon sine qua non handelt. Wichtiger scheint es mir, so bedeutsam Martin Luthers Konzeption der Rechtfertigung durch den Glauben in der Geschichte auch sein mag f ertigung gegründet ist. <lage der Rechtfertigung neu: Nich t der Glaube sei die G rundlage der Rechtfertigung, sondern das Blut C hristi: »Soviel mehr als o , gerechtfertigt durch sein Blut, sind wir gerettet von dem Zorn [Gottes]« (Röm 5,9). Wie im Galaterbrief so auch im Römerbrief Yer weist die Rechtferti gung durch den Glauben nicht auf die Tat des Glaubens, sondern auf d ie Tat Gottes in Christus. Damit wird klar, 1. dass Paulus sich nicht auf schon durchdachte Ausführungen ü ber den G egensatz zwischen der Rechtfertigung durch We rke des Gesetzes und der Rechtfertigung durch den G lauben verlassen hat, so ndern dass er im Philipper-, G alater- und im Römerbrief sein Gedanken sukzes siv im Laufe seiner Argumen ta tion entwickelt hat; 2. dass Paulus in dem Gegens atz zw ischen der Rechtfertigung durch die Werke d es Gesetzes und der Rechtfertigun g durch den Glauben keine Opposition aufbauen will zwischen dem Tun guter Werke im Geho : : sa m des G es etzes und der Tat des Glaubens, bei der die eigenen Leistungen aufgeben wer den. In Phil 3,2-11 bringt die Rede von 54 dass festgehalten wird, dass paulinische Rede von der Rechtfertigung durch den Glauben keineswegs in einem univoken Gedanken über die Rechtfertigung gegründet ist. So wichtig die Rechtfertigungslehre Luthers für die Reformation und für die ganzen Reformationstradition ist, sie ist nicht historisch, vielleicht wohl dekonstruktiv, in den paulinischen Gedanken über Rechtfertigung begründet. Anmerkungen 1 G. Bornkamm, Paulus, Stuttgart . lBerlin/ Köln/ Mainz' 1970, 128. 2 Sie wird ausfü hrlich entwickelt nur im Galater- und Römerbrief. Daneben vgl. die gleichfalls polemische Stelle Phil 3,6-9. 3 W. Wrede, Paulus (Religionsgeschicht! iche Volksbücher I 5-6), Halle 1904, 72. Jetzt in K.H. Rengstorf (Hg.), Das Paulusbild in der neuere: : 1 deutschen Forschung (WdF 24),Darmstadt 1964, 67. 4 Für eine gründliche Diskussion, sehe, K. - Y. Na, The Meaning of Christ in Paul. A Reading of Galatians 1,11- 2,21 in ehe Light of Wilhelm Di! they's Lebensphilo sophie, Atlanta 2001. ZNT 14 (7.Jg. 2004)