ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2005
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Dronsch Strecker VogelMission im Urchristentum. Definition - Motivation - Konkretion
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2005
Thomas Schmeller
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Thomas Schmeller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation - Konkretion In der Einleitung zu seinem Buch über »Das Verständnis der Mission im Neuen Testament« schrieb FERDINAND HAHN 1963: »Für die Urkirche war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Heilsbotschaft verkündigt, also Mission getrieben werden musste. Die Kirche war in der Anfangszeit im besten Sinne Missionskirche, sie lebte durch die Mission und für die Mission«. 1 Zugleich hob er aber hervor, dass wir im NT kein einheitliches Verständnis, sondern vielfältige Vorstellungen und Ansätze von Mission finden. Seither ist eine Fülle von einschlägigen Forschungsbeiträgen erschienen, gerade in den letzten J ahren. 2 Dass das Thema so aktuell ist, dürfte viele Ursachen haben, darunter jedenfalls eine große Verunsicherung in den christlichen Kirchen. Die geistige Auseinandersetzung mit einer aggressiv auftretenden Richtung des Islam hat dazu vermutlich beigetragen. Der Ertrag der wissenschaftlichen Bemühung um die neutestamentliche Mission ist wie nicht anders Mission beschäftigen, also mit konkreten Missionsstrategien und -mitteln. 1. Definition: Was ist Mission? In vielen exegetischen und kirchengeschichtlichen Veröffentlichungen älteren Datums wird die Frage nach einer Definition von »Mission«, die den antiken Verhältnissen gerecht wird, entweder nicht gestellt oder nur sehr vage beantwortet. Noch 1981 begnügte sich E.G. HINSON mit dem Hinweis, in der frühen Kirche bedeute Mission »chiefly winning and enlisting converts«, 3 womit die meisten Fragen offen bleiben. Wenig hilfreich sind auch sehr enge Definitionen, die den Terminus »Mission« nur für das Christentum gelten lassen wollen. So nannte Hahn die jüdische Bemühung um Gottesfürchtige in der Diaspora »Propaganda«, die Bemühung um vollen Übertritt in Palästina »Proselytenzu erwarten eine noch stärkere Wahrnehmung ihrer theologischen und historischen Vielfalt. Als Folge davon stellt sich die von Hahn »Seit den 90er Jahren ist bezüglich des Verständnisses von Mission ein Problemwerbung«. Mission sei beides nicht, weil der göttliche Sendungsauftrag fehle und auch die Proselytenwerbung nicht auf die Annahme des wahren bewusstsein erwacht ... « betonte Zentralität der Mission für das Wesen und Leben der Urkirche heute etwas anders dar. Diese Differenzierung, die im folgenden Beitrag belegt werden soll, muss die gegenwärtige Verunsicherung nicht verstärken sie kann die Diskussion auch befruchten und vielleicht entspannen. Aus den vielen Aspekten, die in den genannten Veröffentlichungen eine Rolle spielen, wähle ich drei aus, die mir besonders relevant erscheinen. Es soll im Folgenden zunächst darum gehen, was unter »Mission« eigentlich zu verstehen ist. Dazu gibt es neuere Überlegungen mit weitreichenden Konsequenzen. Der zweite Punkt betrifft die Motive der urchristlichen Mission: Warum wurde eigentlich missioniert? Näherhin: Gab es Vorbilder im frühen Judentum? Und schließlich werden wir uns mit den Modalitäten der urchristlichen 2 Glaubens ziele, sondern auf »Naturalisierung«, d.h. auf die Gewinnung eines neuen Juden. 4 Seit den 90er Jahren ist bezüglich des Verständnisses von Mission ein Problembewusstsein erwacht, das zum einen mit der neuen (bzw. erneuerten) Diskussion um eine vorchristliche jüdische Mission zu tun hat: Ob man dem Frühjudentum eine Mission im eigentlichen Sinne zuschreibt oder nicht, hat Konsequenzen für die Frage, ob die urchristliche Mission Vorbilder hatte oder singulär war (vgl. dazu u. 2.). Zum anderen ist es aber auch die antike Überlieferung selbst, die Überlegungen zum Begriff der Mission nahe legt. In jüdischen wie christlichen Quellen finden sich wie wir gleich sehen werden - Haltungen und Aktivitäten, die sich deutlich von einander unterscheiden, obwohl sie alle irgendwie missionarisch ZNT 15 (8. Jg. 2005) Thomas Schmeller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation - Konkretion Thomas Sehmeiler Prof. Dr. Thomas Schmeller, Jahrgang 1956, studierte in München und Freiburg i.Br. Frühere Tätigkeiten: Professuren an der Emory University, Atlanta (USA), und an der Technischen Universität Dresden. Derzeitige Tätigkeit: Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments am Fachbereich Katholische Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt a.M. Hauptforschungsgebiete: Paulus, sozialgeschichtliche Exegese. sind. Die Frage einer Klassifizierung drängt sich auf. Eine solche Klassifizierung wird heute unter drei Aspekten vorgenommen: 1. Ziele bzw. Wirkungen der Mission, 2. ihre Adressaten und 3. missionarische Aktivitäten. Zum ersten Aspekt, den Zielen/ Wirkungen der Mission, hat sich schon A.D. NocK in seinem Klassiker »Conversion« (1933) geäußert. Er unterschied zwischen adhesion und conversion, d.h. zwischen dem Entschluss, sich einem (zusätzlichen) Kult zuzuwenden, ohne mit den früher gewählten Kulten zu brechen (adhesion), und der Bekehrung (conversion) zu einer neuen religiösen Richtung oder Überzeugung, die an die Stelle aller bisherigen tritt. 5 In Nocks Sicht waren z.B. die Mysterienkulte oder der Kaiserkult nur auf adhesion aus, eine additive Zugehörigkeit, während das Judentum und das Christentum Bekehrungsreligionen waren, die jede weitere religiöse Bindung ablehnten. Auf eine Bekehrung zielten sonst nur noch die philosophischen Schulen: Sie wollten einerseits die Unvernunft und Lasterhaftigkeit der bisherigen Lebensweise vor Augen führen, andererseits Einsicht in wahre Werte vermitteln und so eine Verwandlung der Person bewirken. Sie zielten nicht zunächst auf eine intellektuelle, sondern auf eine moralische Wirkung.' ZNT 15 (8. Jg. 2005) Diese Unterscheidung wurde weithin akzeptiert. Neuerdings mehren sich allerdings Stimmen, die eine weitergehende Differenzierung fordern. So unterscheidet M. GüüDMAN zwischen informativer, erzieherischer, apologetischer und proselytisierender Mission. Bei informativer Mission gehe es allein um die Weitergabe einer Botschaft, die als wichtig angesehen wird, ohne dass der Informant bestimmte Reaktionen der Hörer erwarte und den Wunsch habe, diese zu verändern. Erzieherische Mission ziele auf eine moralische Verbesserung der Adressaten, allerdings nicht auf ihren Anschluss an die Glaubens- oder Verehrungsgemeinschaft des Missionars. Auch die apologetische Mission werbe nicht für einen solchen Anschluss, sondern nur dafür, dass die Kraft des vom Missionar verehrten Gottes von den Adressaten anerkannt wird; der Missionar erwarte davon einen Schutz seines Kults und Glaubens gegen Anfeindungen. Allein die proselytisierende Mission bemühe sich darum, Außenstehende in die klar definierte Gruppe des Missionars zu integrieren. Nur diese vierte Art ist für Goodman Mission im eigentlichen Sinne, und allein Christen haben in seiner Sicht in der Antike eine solche Mission betrieben. Juden hätten lediglich versucht, Respekt für die jüdische Religion oder den jüdischen Gott zu erreichen (apologetische Mission) oder die Ethik der Heiden zu verbessern (erzieherische Mission). Das gelte z.B. für die jüdische Literatur in griechischer Sprache soweit sie überhaupt mit einer Rezeption durch Heiden rechnete-, speziell für Aristobulos, für den Verfasser von Weish und für Philo. Auch die Philosophen hätten, so Goodman gegen Nock, keine proselytisierende Mission betrieben. Wenn Epikureer oder Kyniker Schüler warben, dann sei es nie darum gegangen, sie zu einem Anschluss an eine epikureische Gemeinschaft oder zur Übernahme des kynischen Lebensstils zu bewegen, sondern lediglich um die Erziehung zu einem besseren Leben, dessen Signatur als »epikureisch« oder »kynisch« ganz unwichtig gewesen sei. Ob Goodmans These von der Sonderstellung der urchristlichen Mission stimmt, wird unten zu fragen sein (2.). Problematisch an seiner Klassifizierung scheint mir jedenfalls zweierlei. Zum einen macht sie einen etwas realitätsfernen Eindruck. Soll man wirklich annehmen, dass ein Jude oder ein Anhänger einer philosophischen Schule 3 seine religiöse bzw. philosophische Botschaft, von der er selbst überzeugt war, als Information weitergab ohne jeden Wunsch, den Hörer dadurch zu verändern? Oder dass er den Hörer erziehen wollte ohne jeden Wunsch nach einer daraus resultierenden besonderen Verbundenheit mit der eigenen Überzeugung? Es ist kaum Zufall, dass Goodrnan den verschiedenen von ihm postulierten Intentionen der Mission keine konkreten Texte zuweisen kann. Zum anderen zeigt sich bei näherem Zusehen, dass die »apologetische Mission« in der Definition Goodrnans doch eine Sonderstellung hat. Hier liegt die angestrebte Wirkung ja eigentlich nicht beim Adressaten, sondern beim »Missionar«: Er will Schutz für sich und seinen Kult. Insofern ist kaum einzusehen, warum hier überhaupt von Mission die Rede sein soll. In direkter Auseinandersetzung mit Goodrnan hat J.P. DICKSON ein verbessertes Modell vorgestellt.7 Er vermeidet die etwas künstliche Trennung verschiedener Missionsziele und -arten bei Goodrnan. Information, Erziehung, Apologetik usw. sind nach Dickson »points along a continuurn of rnission, the ultirnate goal of which is the ,conversion, of the outsider, conversion being understood principally as a new socio-religious allegiance«. 8 Ein Vorteil dieser Konzeption ist, dass »Mission« sehr differenziert verstanden werden kann, ohne dass der Zusammenhang zwischen den einzelnen Zielen und Aktivitäten verloren geht. Auch Apologetik ist hier ein Aspekt der Mission, sofern sie zwar nicht direkt, aber doch indirekt auf die Bekehrung Außenstehender zielt. Das ist z.B. der Fall, wenn Christen sich ethisch vorbildlich verhalten, um negative Einstellungen von Nicht-Christen in positive zu verwandeln (vgl. Mt 5,14-16; 1Petr 3,lf.). Einen weiteren Vorteil sehe ich in der Möglichkeit, die verschiedensten Missionsaktivitäten zu integrieren. Nicht nur die Wortverkündigung, sondern z.B. auch finanzielle Unterstützung von Missionaren oder fürbittendes Gebet lassen sich hier als missionarische Akte qualifizieren. Eine ganz andere Art der Klassifizierung hat A. FELDTKELLER vorgeschlagen. Er geht von zwei Grundfragen aus, die sich auf die Auswirkung der Bindung an eine neue Religion beziehen: 4 » 1. Gehören die neu in die persönliche Religiosität aufgenommenen bzw. neu gewichteten Überzeugungen zu einem Religionssystem, an das bereits eine Bindung besteht (systeminterne Veränderung), oder zu einem fremden Religionssystem (systemüberschreitende Veränderung)? 2. Werden die vor der Veränderung bestehenden religiösen Überzeugungen weitgehend in ~as Neue integriert oder wird ihnen gegenüber eme vor- ' • 9 wiegend ablehnende Haltung emgenommen? « Wenn man die beiden Fragen auf einander bezieht, ergeben sich die folgenden vier Kornbinationsmöglichkeiten.'0 Verbleib der alten Überzeugungen: 1 weitgehende Integration 1 weitgehende Verwerfung Herkunft der neuen Überzeugungen: systemintem I systemüberschre1tend 1 Intensivieruno- 1 Inversion 1 Extensiv1erung Conversion 11 »Intensivierung« bezeichnet die Verstärkung der bereits bestehenden Bindung an ein Religionssystem. Ein schönes Beispiel ist die bekannte Erzählung bei Josephus vorn Übertritt des Izates, des Königs von Adiabene, zum Judentum (Ant. 20,34-48): Nachdem Izates in einem ersten Akt Sympathisant des Judentums geworden war, ohne die Beschneidung zu übernehmen, wurde er durch einen gewissen Eleazar davon überzeugt, dass ein echtes Bekenntnis zum Judentum auch die Beschneidung nötig mache. Dieser zweite Akt ist in Feldtkellers Terminologie eine Intensivierung. Dasselbe gilt wohl auch von den Taufen des Kämmerers der Kandake (Apg 8,26-39) und des Hauptmanns Cornelius (Apg 10), die beide, ausgehend von einem jüdischen Syrnpathisanten- Status, »eine volle Religionszugehörigkeit (erlangen, Th.Sch.), die mit der christlichen Taufe begründet ist«" und die von Lk als konsequente Vollendung des begonnenen Wegs dargestellt wird. Im Unterschied zur Intensivierung der bisherigen religiösen Haltung ist die Extensivi~rung eine additive Hinzufügung neuer religiöser Uberzeugungen, also das, was bei Nock adhesion hieß. Dazu gehören z.B. diejenigen, die sich nicht nur in einen einzigen Mysterienkult einweihen ließen, sondern, um sicher zu gehen, in mehrere. Feldtkeller macht die interessante Beobachtung, dass bei Mt eine Reihe von Heiden Beziehungen zu Jesus aufnehmen, die man als Extensivierung deuten könnte. Am deutlichsten gilt das wohl von den Magiern (Mt 2,1-12), die Heiden sind und bleiben. Sie verehren zwar das Jesuskind, aber doch wie eine fremde Gottheit; sie kehren dann in ihr ZNT 15 (8. Jg. 2005) Thomas Schmeller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation - Konkretion Land und doch wohl auch in ihre alten religiösen Bindungen zurück. Die Deutung dieses überraschenden Befunds durch Feldtkeller halte ich allerdings für nicht überzeugend: »Sein (sc. Matthäus', Th.Sch.) Interesse daran, daß es vor dem Missionsbefehl Mt 28,18-20 keine Conversionen von Heiden geben konnte, war sogar größer als die Berührungsängste gegenüber dem Modell Im Gegensatz dazu war die paulinische Heidenmission auf Conversion ausgerichtet, darauf, dass Heiden sich »zu Gott (bekehren),( ... ) um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen«, und zwar zugleich »weg von den Götzenbildern«, wie es 1Thess 1, 9 heißt. Heftig umstritten und von hoher Relevanz für die Frage nach jüdischer Mission ist, ob in Mt 23,15 von Inversion oder Conversion einer Extensivierung im gemein-hellenistischen Sinne. An keiner Stelle widerruft Matthäus den Eindruck oder vielleicht auch nur das mögliche Mißverständnis, daß eine Extensivierung der geeignete Zugang von Heiden zu Jesus »Heftig umstritten und von hoher Relevanz für die Frage nach jüdischer Mission ist, ob in Mt 23,15 von Inversion oder Conversion die Rede ist ... « die Rede ist: Wenn Schriftgelehrte und Pharisäer »einen Proselyten machen« wollen ist damit die Bekehrung eines Heiden zum Judentum und damit eine »Conversion« gemeint oder aber der Versuch, sein könnte«. 12 Gerade der Missionsbefehl des Auferstandenen am Ende des Evangeliums ist doch ein solcher Widerruf: Er macht deutlich, dass von nun an andere Bedingungen für den Zugang zu Jesus gelten. Die Annäherung durch die Magier war für Mt nur zu Lebzeiten Jesu möglich. Sie ist ja auch nicht auf menschliche, sondern über den Stern auf göttliche Mission zurückzuführen. Durch Mt 28,19f. wird nun Menschen, den Jüngern, eine Mission aufgetragen, die zu einer sicher exklusiv verstandenen Jüngerschaft führen soll und damit das Modell der Extensivierung ausschließt. Schließlich zu den beiden verbleibenden Modellen: Während Inversion »eine weitreichende Veränderung bei der Auswahl aus den innerhalb einer Religion zur Verfügung stehenden Überzeugungsgehalten« meint, ist Conversion der» Wechsel der religiösen Bindung zu einem fremden Religionssystem, wobei die Bindung an das bisherige Religionssystem aufgegeben und durch eine ablehnende Haltung ersetzt wird«. 13 Inversion setzt voraus, dass es verschiedene Richtungen innerhalb des Religionssystems gibt, zwischen denen man wählen kann und muss. In der Darstellung der Apg ist das Damaskuserlebnis des Paulus ein Musterbeispiel einer solchen Inversion, bei der Paulus den bisher bekämpften Jesus als den Messias Israels erkennt auch hier wieder in Folge einer direkt göttlichen »Mission«. Inversion war aber auch der Normalfall bei Juden, die als Reaktion auf judenchristliche Mission zu Christen wurden und damit das Judentum natürlich nicht verließen, sondern sich in ihm neu positionierten. ZNT 15 (8. Jg. 2005) einen Juden für die pharisäische Richtung des Judentums zu gewinnen (Inversion)? Ich komme im nächsten Punkt darauf zurück. Zuvor noch ein paar kurze Bemerkungen zum zweiten und dritten der oben genannten Definitionsaspekte von »Mission«. Was die Adressaten betrifft, wird häufig von Mission nur bei einer universalen Ausrichtung gesprochen, also dann, wenn die Beeinflussung bzw. Gewinnung aller bisher außenstehenden Menschen oder doch eines großen Teils der Menschheit angezielt ist. 14 Bei einer solchen Einschränkung könnte man auch das Urchristentum erst ab der Entscheidung für die Heidenmission missionarisch nennen, die ja nicht gleich am Anfang gefallen ist. Es ist mir aber völlig uneinsichtig, warum nicht auch die Bemühung um eine bestimmte Gruppe von Menschen mit vollem Recht Mission heißen soll. 1' Bei den Aktivitäten besteht weithin Einigkeit, dass Mission sehr unterschiedlich aussehen kann, z.B. organisiert oder individuell, räumlich ausgreifend (zentrifugal) oder ortsfest (zentripetal). Die Aussendung von Missionaren gehört also nicht zum Begriff. Es scheint mir am sinnvollsten, mit Dickson auch hier ein Kontinuum anzusetzen: Vom Fürbittgebet einer Gemeinde bis hin zur organisierten Tätigkeit einer Missionarsgruppe können sehr verschiedene Tätigkeiten Ausdruck missionarischer Intention sein, auch solche, die nicht direkt, sondern nur indirekt auf Bekehrung zielen. 16 Die faktische Anziehungskraft einer Gemeinde oder Gruppe allerdings, die nicht mit der Intention einer Wirkung nach außen verbunden ist, fällt nicht unter den Begriff. 5 2. Motivation: Mission im Frühjudentum? Die urchristliche Mission wird sehr viel leichter verständlich, wenn sie an Vorbilder in der Umwelt, bes. im Judentum, anschließen konnte, auch wenn darüber hinaus weitere Gründe möglich sind. Nur diese Frage einer jüdischen Mission kann und soll hier behandelt werden. Seit Anfang des 20. Jh.s war sich die Forschung weitgehend einig in der Annahme, dass die Zeit des entstehenden Christentums durch eine intensive jüdische Missionstätigkeit geprägt gewesen sei. 17 J. JEREMIAS eröffnete seine Studie »Jesu Verheissung für die Völker« mit dem Satz: »Als Jesus auftrat, war in Israel ein Missionszeitalter wie nie zuvor und wie nie wieder seither,/ ' eine Formulierung, die den Konsens bis in die 80er Jahre wiedergibt. Es gab zwar Gegner dieser Auffassung, aber manche disqualifizierten sich durch ihr offenkundig apologetisches oder polemisches, nicht historisches Anliegen selbst, so etwa D. BOSCH, der für das Judentum nur Propaganda, nicht Mission annehmen wollte und das so begründete: »Zwar ist der Gedanke der Universalität des Reiches Gottes und das Bewusstsein von einer Missionsverpflichtung Israels nie auch nicht in der synagogalen Theologie gänzlich verlorengegangen. Beide stehen aber irgendwie fast immer im Dienste des eigenen Volkes. Die Triebfeder dieser Propaganda ist sozusagen immer der Eifer für den Herrn und nicht der Gehorsam gegen ihn (vg. Röm. 2,17-20)wobei man übrigens auch nicht mehr unterscheiden kann zwischen Eifer für Jahwe und Eifer für Israel, zwischen Frömmigkeit und Patriotismus. Man fühlt sich nicht mehr als Werkzeug, sondern als Subjekt der Glaubensverbreitung«. 19 Erst in den 80er und verstärkt Anfang der 90er Jahre wurde eine ganz andere Sicht des Judentums entwickelt, insbesondere in Büchern von M. GOODMAN 20 und S. McKNIGHT. 21 Alle Belege, die bis dahin selbstverständlich für missionarische Aktivität von Juden angeführt worden waren, wurden nun neu in den Blick genommen und anders gedeutet. Das Ergebnis: Das Judentum des 1.Jh.s war keine missionarische Religion. Es gab zwar Proselyten, aber deren Existenz ist mit der (passiven) Attraktivität der Synagoge und der Eigeninitiative von Heiden, nicht mit Missionsaktivitäten von Juden zu erklären. 6 Auch wenn man nicht von einem neuen Konsens sprechen kann, der den alten abgelöst hat, 22 so ist diese Kehrtwendung innerhalb weniger Jahre doch erstaunlich. Wie kommt es, dass sich selbstverständliche Gewissheiten plötzlich in Nichts aufzulösen scheinen? Es sind keine neuen Quellen entdeckt, sondern es sind die alten neu interpretiert worden. Im Wesentlichen scheinen mir dabei drei Faktoren eine Rolle zu spielen. Der erste ist die oben vorgestellte Diskussion um den Begriff Mission. Goodman und (mit Einschränkungen) McKnight verwenden einen sehr engen Begriff: Mission im eigentlichen Sinne ist proselytisierend und universal, alles andere zählt nicht. Damit scheidet natürlich manches aus, das den alten Konsens gestützt hatte. Jeremias führt als Besonderheit jüdischer Mission im Unterschied zu heutiger christlicher an: »Von einer offiziellen Aussendung von Missionaren durch die jüdischen Behörden wissen wir schlechterdings nichts; vielmehr beruhte die Mission durchaus auf persönlicher Initiative (... ) und auf der Anziehungskraft des synagogalen Gottesdienstes«. 23 Mindestens die Anziehungskraft des Gottesdienstes würden Goodman und McKnight nicht zur Mission rechnen. Diese enge Definition halte ich, wie gesagt, für wenig sinnvoll. Am Beispiel des Zitats von Jeremias: Sofern die Anziehungskraft der Synagoge intendiert war, also eine Ausstrahlung nach außen angestrebt wurde, liegt hier Mission vor. Was Goodman als informative, erzieherische und apologetische Maßnahmen von Mission unterscheidet, ist in eine sinnvolle Missionskonzeption zu integrieren. Ein zweiter Faktor ist der Adressatenkreis der jüdischen Literatur auf Griechisch. Insbesondere gibt es viele apologetische Werke, die heidnische Vorurteile gegenüber dem Judentum zu entkräften und es als die wahre Philosophie darzustellen versuchen. Vertreter des alten Konsenses sahen hierin Missionsliteratur. In gewisser Hinsicht gehört dazu auch die Septuaginta, die griechische Bibelübersetzung, die eine breitere Kenntnis der heiligen Schrift des Judentums gefördert haben könnte. Die Kritiker sind hiervon nicht überzeugt: Abgesehen davon, dass die Wirksamkeit solcher Schriften angesichts teurer Handschriften und beschränkter Verbreitung der Literalität von vorneherein gering gewesen sei, sehen sie die Adressaten unter Juden, nicht unter Heiden. Es ZNT 15 (8. Jg. 2005) Thomas Schmeller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation l{onkretion gibt zwar in der Tat kaum Hinweise darauf, dass Heiden jüdisch-apologetische Schriften oder die Septuaginta gelesen hätten. Mit einem solchen Argument e silentio scheint mir die Frage nach dem intendierten Lesepublikum aber noch nicht beantwortet. Sowohl die Verfechter einer heidnischen wie die einer jüdischen Leserschaft bleiben dazu die Nachweise bisher schuldig. Als letzten Faktor verweise ich auf eine Reihe unterschiedlich interpretierbarer Nachrichten zur Verbreitung des antiken Judentums, die deshalb besonders wichtig sind, weil direkte und eindeutige Belege jüdischer Mission fehlen. Ein paar Beispiele: Niemand bestreitet, dass der jüdische Bevölkerungsanteil im (östlichen) Mittelmeerraum in der Zeit zwischen dem Exil im 6.Jh. v.Chr. und dem 1.Jh. n.Chr. stark angestiegen ist. Die Erklärung ist strittig: Genügt es, auf die jüdische Ablehnung von Empfängnisverhütung, Abtreibung und Kindesaussetzung hinzuweisen? Oder muss man mit größeren Proselytenzahlen rechnen? Und wenn letzteres: Ist dieser Proselytenzuwachs auf Mission zurückzuführen? Oder zur Frage der Judenvertreibungen: Warum wurden z.B. 139 v.Chr. und 19 n.Chr. Juden aus Rom vertrieben? Hatte das mit missionarischer Aktivität zu tun, die das Misstrauen der staatlichen Autoritäten erregte, oder hatte es andere Gründe (Einführung eines neuen Kults, Betrug, Beteiligung an Unruhen etc.)? Die Quellenlage ist schwierig. Ein letztes, vielleicht besonders deutliches Beispiel: Die harte Kritik in Mt 23,15 an Pharisäern und Schriftgelehrten, die »Meer und Festland bereisen, um einen einzigen Proselyten zu machen«, galt lange als der deutlichste Beleg für eine intensive jüdische Mission unter Heiden, auch wenn der Ausdruck »Meer und Festland bereisen« vielleicht formelhaft für »sich äußerste Mühe geben« gebraucht ist und nicht unbedingt auf Missionsreisen hinweisen muss. Nach Goodman ist dieser Vers ganz anders zu lesen: Die Pharisäer wenden sich nicht an Heiden, sondern an Juden, die zu einer anderen innerjüdischen Gruppierung gehören, und versuchen, einen neuen Anhänger der eigenen pharisäischen Richtung zu gewinnen. Diese Neudeutung ist nicht unmöglich. Vielleicht ging die Vielfalt des damaligen Judentums tatsächlich so weit, dass der Anschluss ZNT 15 (8. Jg. 2005) an eine andere Richtung als ein Übertritt (in Feldtkellers Diktion: eine Inversion) gesehen wurde. Gegen Goodmans Deutung spricht aber, dass der Terminus »Proselyt« sich zwar auch auf Juden beziehen konnte (vgl. Ex 22,20 LXX), aber nirgends auf einen früheren Anhänger einer anderen jüdischen Gruppierung bezogen wird. In der Mehrzahl der Fälle ist ein heidnischer Konvertit gemeint. Es liegt deshalb näher, Mt 23,15 weiterhin als Zeugnis für eine jüdische Heidenmission zu deuten. Die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen, sie scheint mir aber darauf hinauszulaufen, dass weder die Maximalposition des alten Konsenses (etwa Feldmans) noch die Minimalposition seiner Kritiker (besonders Goodmans) Bestand haben wird. Die Vielfalt des Judentums zeigte sich auch im Umgang mit der Mission. Wahrscheinlich wird man aufhören müssen, »das« Judentum des l.Jh.s missionarisch zu nennen: »[A]mong the J ews there were different ideas, attitudes, and activities at work in receiving or bringing non- J ews into the Jewish religion«. 24 Wenn das so ist, dann ist aber sehr wahrscheinlich, dass jüdische Missionsbestrebungen, wo es sie denn gab, ein wichtiges Vorbild für die urchristlichen waren. Damit sind, wie gesagt, weitere Gründe und Motive im Christentum nicht ausgeschlossen. Die Debatte um eine Rückführung der urchristlichen Mission auf den historischen Jesus ist aber deutlich entlastet. Es ist nicht nötig wie es besonders evangelikale Autoren tun mit der vermeintlichen Analogielosigkeit und sonstigen Unerklärbarkeit dieser Mission für einen Missionsbefehl und ein messianisches Selbstbewusstsein Jesu zu argumentieren. 25 3. Konkretion: Modalitäten der urchristlichen Mission Wie die urchristliche Mission konkret aussah, wissen wir fast nur von Paulus und auch hier bleibt vieles unklar und umstritten. Nur zwei Fragen können im Folgenden behandelt werden: 1. Wie und wo begann Paulus seine Missionstätigkeit in einer neuen Stadt? Damit verbindet sich auch die Frage nach den Adressaten. 2. Welche Strukturen benutzte bzw. entwickelte er bei der Gründung einer Gemeinde? 7 3.1. Erste Missionskontakte In der älteren Forschung war es üblich, Paulus auf Grund des Stils mancher Briefteile mit den vielen Wanderpredigern seiner Zeit zu verbinden, die populärphilosophische, insbesondere kynische und stoische Inhalte verbreiteten. Es ist in der Tat so, dass zwischen Paulus und Philosophen wie Bion von Borysthenes, Dion von Prusa, Seneca oder Epiktet viele stilistische Gemeinsamkeiten bestehen. Kennzeichen dieses sogenannten Diatribenstils sind vor allem: der mehr oder weniger ausgeprägte Dialog mit einem anonymen Gesprächspartner, der zu Apostrophen, Frage- und Antwortstil, Personifikationen u.ä. führt; der lebhafte, oft polemische Ton; die Einbeziehung von Anekdoten, Beispielen, Sprichwörtern u.ä.; die starke rhetorische Prägung. Bei Paulus sind solche Mittel vor allem in Röm (bes. 1, 18-2, 11; 11, 1-24) und 1/ 2Kor (bes. lKor 15,29-49) anzutreffen. Da die sogen. Diatribe seit ULRICH VON WILAM0- WITZ-M0ELLEND0RFF als Kennzeichen öffentlicher Reden, oder besser: Predigten, galt, schloss man für Paulus auf dasselbe setting. Die betreffenden Briefteile sollen auf mündliche Missionspredigten zurückgehen, die Paulus, wie die übrigen Wanderprediger auch, auf dem Marktplatz gehalten habe, um Aufmerksamkeit zu erregen und erste Kontakte zu schaffen. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass dieses Analogieverfahren auf einer falschen Grundlage beruht. Der sogenannte Diatribenstil kam nicht ausschließlich oder auch nur bevorzugt in öffentlicher philosophischer Massenpropaganda zum Einsatz. Er war vielmehr ein vielseitig verwendbares Mittel, mit dem sich intellektuelle (besonders philosophische) Gehalte popularisieren ließen, sei es in literarischen Werken, im Schulunterricht oder durch Wanderprediger. 26 Damit ist der Marktplatz als Ort der paulinischen Erstverkündigung zwar in den Hintergrund getreten, aber nicht ausgeschlossen. Überhaupt rechnet man heute mit sehr vielfältigen Möglichkeiten für missionarische Erstkontakte. W. REIN- B0LD hat einige zusammengestellt. 27 Manchmal trifft Paulus in einer Stadt, in die er kommt, bereits Christen an, so etwa Priska und Aquila in Korinth (Apg 18,1-3; lKor 16,19); ein wichtiger Ort war die Werkstatt, in der Paulus wie auch manche Philosophen unter Kunden und Kolle- 8 gen Beziehungen anknüpfen konnte; erstaunlich ist, dass Paulus sogar missliche Umstände wie Gefängnisaufenthalte (Phil 1,12-14) und Krankheiten (Gal 4,13f.) für die Mission nutzt. Schwierig zu beantworten ist die Frage, ob Paulus auch in der Synagoge missioniert hat. Die Apg stellt es ja so dar: An jedem neuen Ort geht Paulus zunächst in die Synagoge, und erst seine Ablehnung dort führt zur Mission unter Heiden (z.B. Apg 13,14-52). Das Problem entsteht vor allem daraus, dass Paulus nicht erst für die Nachwelt der Heidenapostel schlechthin war (vgl. z.B. 1Tim 2,7), sondern sich bereits selbst so verstanden hat. Er sah sich als »Diener Christi J esu für die Heidenvölker« (Röm 15,16); den Titel »Apostel der Heidenvölker« hat er selbst für sich verwendet (Röm 11,13). Zudem kann man auf die allerdings schwer zu interpretierende - Vereinbarung auf dem Apostelkonzil verweisen, auf dem die Zuständigkeit von Paulus und Barnabas »für die Heiden« von den J erusalemer Aposteln anerkannt wird (Gal 2,9). Ist es dann denkbar, dass Paulus immer wieder Mission unter Juden betrieben hat? Die Darstellung der Apg wird manchmal insgesamt bezweifelt. 28 Meistens wird allerdings nur die schematische Abfolge mit lukanischem Interesse erklärt, an einem Wirken des Paulus auch in der Synagoge aber festgehalten. Dafür spricht vor allem lKor 9,19-23: Unter den Gruppen, aus denen Paulus immerhin »einige« retten will, sind auch die Juden. M.E. gehört die Verkündigung unter Juden zu den Aspekten der Mission, denen Paulus zwar große Bedeutung zuschreibt, die er aber nicht als Teil seines eigenen Auftrags sieht und die er dementsprechend nur bei Gelegenheit praktiziert." 3.2. Strukturen: Das Haus Von den vielen relevanten Fragen (z.B. nach Funktionen und Ämtern, nach der sozialen Schichtung, nach den Gruppengrenzen) kann ich hier nur eine behandeln, die in letzter Zeit zunehmend Interesse gefunden hat: Was bedeutete es für die Struktur der jungen Gemeinden, dass sie sich als Hausgemeinden konstitutierten? Die Forschung hat erstaunlich lange gebraucht, sich eingehend mit dieser Frage zu beschäftigen. In seiner umfassenden Studie »Hausgemeinde und Mission« aus dem Jahr 2000 stellt R.W. GEHRING fest: ZNT 15 (8. Jg. 2005) Thomas Schmeller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation - Konkretion »Fast dreihundert Jahre lang bis in das 4. Jh. hinein, als Konstantin anfing, die ersten christlichen Basiliken zu errichten sind die Christen in Privathäusern zusammengekommen und nicht in irgendwelchen anderen Gebäuden, die ursprünglich und allein für den Gottesdienst gebaut wurden. So einfach uns diese Tatsache erscheinen mag, um so überraschender ist die Beobachtung, dass dem Thema der neutestamentlichen Hausgemeinde(...) lange Zeit kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten hat man in der neutestamentlichen Forschung angefangen, intensiv über die architektonischen Bedingungen der frühchristlichen Zusammenkünfte und über die damit verbundenen sozialen und theologischen Implikationen nachzudenken«. 30 Hausgemeinden entstanden dadurch, dass Hausbesitzer Christen wurden und ihre Privathäuser für Gemeindeversammlungen öffneten. Mit einer solchen Bekehrung des Hausvaters konnte, musste aber nicht die Bekehrung aller anderen Mitglieder des Hauses verbunden sein. Zum »Haus« gehörten ja neben Eltern und Kindern noch weitere Verwandte, u.U. auch Sklaven und Klienten. Manchmal schloss die Bekehrung des Hausvaters alle übrigen ein (lKor 1,16; 16,15f.; Apg 18,8), manchmal blieben Sklaven Heiden (Phlm lf.10), manchmal gab es selbst in der Kernfamilie Religionsverschiedenheit (lKor 7,12-16). Umgekehrt sind auch christliche Sklaven im Haus eines heidnischen Herrn bezeugt (Röm 16, 11 ). Die Versammlung in Privathäusern brachte eine Beschränkung der Mitgliederzahl mit sich. Die Schätzungen schwanken, aber in einem durchschnittlichen Stadthaus fanden höchstens bis zu 40 oder 50 Personen Platz, und das nur, denen sich alle Hausgemeinden emer Stadt versammelten. Besonders im römischen, aber auch im griechischen Bereich hatte der Hausherr und Hausvater eine herausragende Stellung mit großer Autorität. Wenn ein solcher Hausbesitzer eine Gemeinde beherbergte, liegt es nahe, dass er in dieser Gemeinde auch eine gewisse Leitungsfunktion innehatte, insbesondere bei den Versammlungen. In lKor 16,16 fordert Paulus die Gemeinde auf, sich allen unterzuordnen, die »mitarbeiten und sich abmühen«. Dazu gehörten sicher diejenigen, die ihr Haus, ihr Geld oder ihren Einfluss für die Gemeinde einsetzten. Paulus gestand ihnen eine Führungsrolle zu, die allerdings noch nicht fixiert und noch nicht auf diesen Personenkreis beschränkt war. Erst in nachpaulinischer Zeit, als die Bedeutung der Hausgemeinden bereits zurückging, wurde in den Pastoralbriefen das Konzept des Hausherrn und Hausvaters auf den Gemeindeleiter übertragen (1Tim 3,1-7; Tit 1,7). Schon die Beobachtung, dass die Korinther aufgefordert werden, sich den Wohltätern der Gemeinde, darunter den Hausbesitzern, unterzuordnen, weist auf eine gewisse Ambivalenz hin. Zum einen werden die Autoritätsstrukturen des »Hauses« nicht angetastet, sondern bestätigt. Der Hausvater behält seine dominierende Stellung auch in der Gemeinde, die sich in seinem Haus versammelt. Bis zu einem gewissen Grad ist der Haushalt tatsächlich »die Gießform (die Matrix) der neuen Gemeinde«. 31 Auf der anderen Seite werden die Strukturen des »Hauses« nicht unverändert in die Gemeinde übernommen. Die genannte Aufforderung zur Unterordnung (1Kor wenn die Liegen, auf denen man normalerweise speiste, entfernt wurden. Man muss annehmen, dass eine Überschreitung dieser Zahl zur Gründung einer neuen Hausgemeinde führte. Auch wenn das in der Forschung umstritten ist, dürfte die paulinische Formel »die Gemeinde in »Jedenfalls ist für die Paulusgemeinden unbestreitbar, dass nicht nur wohlhabende, freie, 16,16) könnte gerade auf die tatsächliche Relativierung der traditionellen Autoritätsverhältnisse schließen lassen. Jedenfalls ist für die Paulusgemeinden unbestreitbar, dass nicht nur wohlhabende, freie, männliche Hausbesitzer Leitungsfunktionen ausüben männliche Hausbesitzer Leitungs[unktionen ausüben konnten, sondern auch Arme, Sklaven und Frauen.« ihrem/ deinem Haus« (Röm 16,5; 1 Kor 16, 19; Phlm lf.) wohl nicht identisch mit dem Ausdruck »die ganze Gemeinde« (Röm 16,23; 1 Kor 14,23) sein. Es muss also Gelegenheiten und entsprechend große Häuser gegeben haben, bei bzw. in ZNT 15 (8. Jg. 2005) konnten, sondern auch Arme, Sklaven und Frauen. Eine ähnliche Verbindung von Hierarchie und Egalität gab es auch in anderen zeitgenössischen Gruppierungen, besonders in den griechischrömischen Vereinen. Eine vor kurzem erschienene 9 Untersuchung vergleicht die Attraktivität der korinthischen Paulusgemeinde mit derjenigen solcher Vereine." Sie kommt zu interessanten Ergebnissen: Die soziale Schichtung der Gemeinde war deutlich größer als die der meisten Vereine. Dies machte sie attraktiv für bestimmte Gruppen: Zum einen für Männer, die ihre Frauen und Familien mit einbeziehen wollten, was in Vereinen kaum möglich war; dann natürlich für Frauen, aber auch für Arme, die nur hier in sozialen Kontakt mit weit Höhergestellten kommen konnten. Für Wohlhabende dagegen war die Beteiligung an der Gemeinde nur unter bestimmten Bedingungen dem Verein vorzuziehen, denn in der Gemeinde musste sich der Patron persönlich engagieren und mit geringerer Ehrerbietung vorlieb nehmen. In der Anfangszeit waren deshalb führende Gemeindepositionen oft nicht mit wirklich Reichen besetzt. Haben wir hier den Bereich der Mission nicht schon verlassen? Nicht ganz. Zwar hat sich natürlich die soziale Seite der Gemeinde nicht unter missionarischen Gesichtspunkten entwickelt. Die relativ weit gehende soziale Heterogenität und Egalität resultieren nicht etwa aus dem Bemühen, mehr Menschen anzusprechen, als Vereine es taten. Dennoch konnte diese Seite der Gemeindewirklichkeit dadurch missionarisch wirken, dass manche Gemeindeversammlungen und Gottesdienste auch für Nicht-Christen zugänglich waren (1Kor 14,23-25). Diese Zulassung von Außenstehenden zielte doch wohl auf Werbung. Es geht also auch hier nicht nur um die faktische Anziehungskraft einer Gemeinde, sondern um missionarische Intention und damit um » Mission« in dem Sinne, wie oben unter 1. definiert worden ist. Anmerkungen 1 F. Hahn, Das Verständnis der Mission im Neuen Testament (WMANT 13), Neukirchen 1963, 10. 2 Aus den letzten Jahren (seit 2000) sind zu nennen: J. Adna/ H. Kvalbein (Hgg.), The Mission of the Early Church to Jews and Gentiles (WUNT 127), Tübingen 2000; P. Bolt/ M. Thompson (Hgg.), The Gospel to the Nations: Perspectives on Paul's Mission. FS P.T. O'Brien, Downers Grove/ IL 2000; J.P. Dickson, Mission- Commitment in Ancient Judaism and in the Pauline Communities: The Shape, Extent and Background of Early Christian Mission (WUNT 2/ 159), Tübingen 2003; R.W. Gehring, Hausgemeinde und Mission: Die 10 Bedeutung antiker Häuser und Hausgemeinschaften von Jesus bis Paulus (Bibelwissenschaftliche Monographien 9), Gießen 2000; L.J. Lietaert Perbolte, Paul the Missionary (Contributions to Biblical Exegesis and Theology 34), Leuven 2003; W. Reinbold, Propaganda und Mission im ältesten Christentum: Eine Untersuchung zu den Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche (FRLANT 188), Göttingen 2000; E.J. Schnabel, Urchristliche Mission, Wuppertal 2002. Wichtige ältere Veröffentlichungen aus den letzten 40 Jahren sind (neben dem Buch von Hahn, s. Anm.1): B. Borgen/ V.K. Robbins/ D.B. Gowler (Hgg.), Recruitment, Conquest, and Conflict: Strategies in Judaism, Early Christianity, and the Greco-Roman World (Emory Studies in Early Christianity 6), Atlanta 1998; L. Bormann/ K.D. Tredici/ A. Standhartinger (Hgg.), Religious Propaganda and Missionary Competition in the New Testament World. FS D. Georgi (NT.S 74), Leiden 1994; A. Feldtkeller, Identitätssuche des syrischen Urchristentums: Mission, Inkulturation und Pluralität im ältesten Heidenchristentum (NTOA 25), Freiburg/ Schweiz 1993; D. Georgi, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief: Studien zur religiösen Propaganda in der Spätantike (WMANT 11), Neukirchen 1964 (leicht überarbeitet auch erschienen als: The Opponents of Paul in Second Corinthians, Philadelphia 1986 ); M. Goodman, Mission and Conversion: Proselytizing in the Religious History of the Roman Empire, Oxford 1994; M. Hengel, Die Ursprünge der christlichen Mission, NTS 18 (1971/ 1972), 15-38; E.G. Hinson, The Evangelization of the Roman Empire: Identity and Adaptability, Macon/ GA 1981; H. Kasting, Die Anfänge der urchristlichen Mission: Eine historische Untersuchung (BEvTh 55), München 1969; K. Kertelge (Hg.), Mission im Neuen Testament (QD 93), Freiburg i.Br. 1982; W.J. Larkin jr. / J.F. Williams (Hgg.), Mission in the New Testament: An Evangelical Approach, Maryknoll / NY 1998; J. Nissen, New Testament and Mission: Historical and Hermeneutical Perspectives, Frankfurt a.M. 1999; D. Senior/ C. Stuhlmueller, The Biblical Foundations for Mission, London 1983; P. Stuhlmacher, Weg, Stil und Konsequenzen urchristlicher Mission, ThBeitr 12 (1981), 107-135. ' Hinson, Evangelization, 2. ' So Hahn, Verständnis, 18. 5 A.D. Nock, Conversion: The Old and the New in Religion from Alexander the Great to Augustine of Hippo, Oxford 1933 (Nachdruck 1969), 12-16. ' Näheres dazu bei Th. Sehmeiler, Schulen im Neuen Testament? Zur Stellung des Urchristentums in der Bildungswelt seiner Zeit. Mit einem Beitrag von Christian Cebulj zur johanneischen Schule (Herders Biblische Studien 30), Freiburg i.Br. 2001, 46-92. 7 Dickson, Mission-Commitment, bes. 8-10. 8 Dickson, Mission-Commitment, Sf. (Hervorhebungen im Original). 9 Feldtkeller, Identitätssuche, 38. 1 ° Feldtkeller, Identitätssuche, 39. 11 Feldtkeller, Identitätssuche, 43. 12 Feldtkeller, Identitätssuche, 55. 13 Beide Zitate: Feldtkeller, Identitätssuche, 39. 14 So etwa Goodman, Mission, 5-7; S. McKnight, A Light among the Gentiles: Jewish Missionary Activity in the Second Temple Period, Minneapolis 1991, 4f.; Schnabel, Mission, 11. ZNT 15 (8. Jg. 2005) Thomas Schrneller Mission im Urchristentum. Definition - Motivation l{onluetion 15 Mit R. Riesner, A Pre-Christian Jewish Mission? , in: Adna/ Kvalbein, Mission (s. Anm. 2), 211-250: 222f. Auch Reinbold, Propaganda, 10, lässt den Umfang der Adressatengruppe offen. 16 So Dickson, Mission-Commitment, 10. 17 Forschungsgeschichtliche Rückblicke bieten Riesner, Mission, 211-220; McKnight, Light, 1-4; J. Carleton Paget, Jewish Proselytism at the Time of Christian Origins: Chimera or Reality? , JSNT 62 (1996), 65-103: 65-68. 18 J. Jeremias, Jesu Verheissung für die Völker. Franz Delitzsch-Vorlesungen 1953, Stuttgart 2 1959, 9 (im Original kursiv). Ganz ähnlich K.G. Kuhn, Das Problem der Mission in der Urchristenheit, EMZ 11 (1954), 161- 168: 161. 19 D. Bosch, Die Heidcnmission in der Zukunftsschau Jesu: Eine Untersuchung zur Eschatologie der synoptischen Evangelien, Diss. Basel 1959, 33f. (Hervorhebungen im Original). 20 Mission (s. Anm. 2). Unterstützt wird Goodman z.B. durch Lietaert Peerbolte, Paul, 19-53. 21 Light (s. Anm. 14). 22 In Auseinandersetzung speziell mit Goodman hat z.B. L.H. Feldman den alten Konsens ausführlich verteidigt (Jew and Gentile in the Ancient World: Attitudes and Interactions from Alexander to Justinian, Princeton 1993, 288-341); ähnlich D. Rokeah, Ancient Jewish Proselytism in Theory and Practice, TZ 52 (1996), 206-224. 23 Jeremias, Verheissung, 14 (Hervorhebung im Original). Ausführlich schildert auch Georgi, Gegner, 87-91, die Attraktivität des Synagogengottesdienstes als missionarisches Mittel. 24 P. Borgen, Proselytes, Conquest, and Mission, in: ders. / Robbins / Gowler, Recruitment (s. Anm. 2), 57-77: 58. Einen ähnlichen Mittelweg vertritt Carleton Paget, Jewish Proselytisrn, 102. Für eine Differenzierung votiert auch P.W. Barnett, J ewish Mission in the Era of the New Testament and the Apostle Paul, in: Bolt / Thompson, Gospel (s. Anm. 2), 263-283: 275f., der allerdings die Adressaten der gelegentlich zu beobachtenden jüdischen Mission auf Gottesfürchtige beschränken will. 25 So Riesner, Mission, 243-246; ähnlich Schnabel, Mission, 3.175.376-378. 26 Der Nachweis, dass der sogen. Diatribenstil nicht auf die Situation eines öffentlichen Wanderpredigers schließen lässt, ist das Verdienst von S.K. Stowers (The Diatribe and Paul's Letter to the Romans [SBL.DS 57], Chico / CA 1981 ). Allerdings wollte Stowers seinerseits den Diatriben-Kontext auf philosophischen Schulunterricht festlegen, was aus Paulus eine Art Lehrer gemacht hätte. Gegen diese unberechtigte Eingrenzung vgl. Th. Sehmeiler, Paulus und die »Diatribe«: Eine vergleichende Stilanalyse (NTA NF 19), Münster 1987, 47-51. 27 Reinbold, Propaganda, 183-195. 28 Ein rein fiktives Schema sehen in der Apg Reinbold, Propaganda, 164-181 (mit ausführlicher Diskussion der relevanten Stellen); F. Vouga, Geschichte des frühen Christentums (UTB 1733), Tübingen 1993, 96f. - Von anderer Seite wird nicht das missionarische Wirken des Paulus unter Juden, sondern unter Heiden bestritten, die nicht zuvor schon Sympathisanten des Judentums, also Gottesfürchtige, waren (so M. Reiser, Hat Paulus Heiden bekehrt? , BZ 39 [1995], 76-91). Diese These ist m.E. noch schwerer zu begründen; gegen sie spricht vieles, z.B. lKor 14,23-25. 29 Weitere solche Aspekte sind: die Weitergabe von Jesusüberlieferung, die Taufe und das Wunderwirken. Näheres dazu bei Th. Sehmeiler, Kollege Paulus: Die Jesusüberlieferung und das Selbstverständnis des Völkerapostels, ZNW 88 (1997), 260-283. ' 0 Gehring, Hausgemeinde, 13. 31 Gehring, Hausgemeinde, 334. 32 E. Ebel, Die Attraktivität früher christlicher Gemeinden: Die Gemeinde von Korinth im Spiegel griechischrömischer Vereine (WUNT 2/ 178), Tübingen 2004. Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie Stefan Alkier / Richard B. Ha ys (Hrsg.) Die Bibel im Dialog der Schriften Konzepte intertextueller Bibellektüre Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 10, 2005, ca. 300 Seiten, ca. € 48,--/ SFr 82,50 ISBN 3-7720-8098-7 Seit Julia Kristeva vor über 30 Jahren den Terminus „Intertextualität" in den literaturtheoretischen Diskurs einbrachte, hat er in einer ganzen Reihe von Wissenschaftsfeldern enorme Auswirkungen auf Theoriebildung und praktische Analyse ausgeübt. Auch innerhalb theologischer Exegese wird das Paradigma intensiv diskutiert. Der Band bringt europäische ZNT 15 (8. Jg. 2005) und amerikanische Forschungen aus Theologie, Altphilologie, Philosophie und Literaturwissenschaften miteinander ins Gespräch. Gerade die interdisziplinäre Ausrichtung der Beiträge lässt erkennen, dass sich eine Untersuchung der Bibel „im Dialog der Schriften" auf die kanonischen Texte genauso wenig wie auf ältere und zeitgenössische Literatur beschränken kann. Die Bibel als Buch der Bücher ist in ihrer kanonischen Disposition immer schon dialogisch angelegt und kann so im Dialog der Schriften einen entscheidenden Beitrag zur Sinnstiftung der Kulturen leisten. - A. Francke Verlag Tübingen 11
