eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 8/15

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2005
815 Dronsch Strecker Vogel

Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt - Vorschläge, Probleme, Perspektiven

61
2005
Winfried Löhr
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Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt - Vorschläge, Probleme, Perspektiven Theodor Ahrens gewidmet Teil 1 Wie kam es, dass sich das Christentum in der antiken Welt ausbreitete? Die Frage selbst ist nicht neu, und es hat mehrere Versuche gegeben, sie umfassend zu beantworten. 1 Jetzt scheint es nötig zu sein, sich über das historiographische Projekt einer Geschichte der Ausbreitung des antiken Christentums neu zu verständigen. Zu diesem Zweck werde ich im folgenden zunächst drei wichtige Darstellungen der Ausbreitung des antiken Christentums vorstellen. Im zweiten Teil sollen dann einige der weiterbestehenden Probleme angezeigt sowie Perspektiven für die weitere Forschung angedeutet werden. 1. Adolf von Harnack Adolf v. Harnacks klassische Darstellung in seinem Werk »Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei J ahrhunderten« 2 vermag den Leser noch immer zu faszinieren, da es die Stärken der großen Werke Harnacks in sich vereinigt: Es ist in den gedanklichen Grundlinien kühn und klar konzipiert, es ist umfassend und gründlich in der Dokumentation und der Durchdringung der Probleme, und es wird der Komplexität des Gegenstandes gerecht. Harnack beginnt seine Darstellung mit der Analyse der äußerlichen Bedingungen für die Ausbreitung des Christentums: Es war das Diasporajudentum, das der christlichen Expansion mit seinem die Ökumene des römischen Reiches überziehenden Netzwerk von Synagogen und mit seiner Mission den Boden bereitete. Die jüdische Mission verbreitete das Wissen von den Schriften des Alten Testamentes, von Katechese und regelmäßigem Synagogengottesdienst; sie propagierte einen ethisch akzentuierten Monotheismus, die Idee einer ,historischen Teleologie< und machte die Idee missionarischer Aktivität aller erst plausibel (S. 20). Harnack meint, dass das Judentum viel vom Christentum antizipiert habe; die Grenze des Judentums sei die nationale Beschränkung auf ein 22 Volk gewesen. Dennoch, zum Zeitpunkt des Auftretens des Christentums war laut Harnack das Judentum bereits in wichtigen Teilen auf dem Weg zu einer wahrhaft universalistischen Religion, und zwar sowohl durch die >Reduktion< auf wenige wichtige Prinzipien als auch durch Synkretismus, »durch Aufnahme einer Fülle neuer Elemente aus anderen Religionen.« (S. 20). Harnack zählt weitere, »äußere Bedingungen« für die Ausbreitung des spätantiken Christentums auf: Die wichtigste unter ihnen ist das, was man als >antike Globalisierung< bezeichnen könnte, d.h. die Tatsache, dass Rom um das Mittelmeer ein Imperium etablierte, das viele Nationen, Kulturen, Sprachen umfasste, das den internationalen Handel durch die Sicherheit von Straßen und Seewegen erleichterte und das auf diese Weise die Idee »von der wesentlichen Einheit des Menschengeschlechtes« (S. 25) beförderte. Weitere Bedingungen waren eine gewisse Einebnung der spätantiken Gesellschaft (»die Dekomposition und Demokratisierung der alten Gesellschaft« [S. 26]), der damit einhergehende »Verfall der exakten Wissenschaften« und die Ausbreitung mystischer, wundersüchtiger Religiosität sowie die religiöse Toleranz seitens des römischen Staates (S. 26f.). Nach den »äußeren Bedingungen« wendet sich Harnack den »inneren Bedingungen« für die Ausbreitung des antiken Christentums zu. Ein Kapitel ist dabei der generellen religiösen Situation gewidmet zweifellos eines der schwächeren Kapitel des Buches, wie Harnack selbst zu wissen scheint. 3 Harnack präsentiert hier seinen Lesern ein Konstrukt, das er ,Orientalismus< nennt, man könnte sagen, es handelt sich um eine Rekonstruktion des religiösen Geistes der Zeit, ihrer religiösen Mentalität. Wichtige Charakteristika dieses ,Orientalismus< sind »die scharfe Teilung zwischen Seele (Geist) und Leib«, eine korrespondierend scharfe Unterscheidung zwischen Gott und Welt, die Betonung der Transzendenz Gottes, die Abwertung der Welt und des Fleisches, eine »Sehnsucht nach Erlösung« als Auf- ZNT 15 (8.Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt Winrich Löhr Prof. Dr. Winrich Löhr, seit 2000 Professor für Kirchengeschichte am Fachbereich Ev. Theologie der Universität Hamburg; Mitherausgeber des >Jahrbuchs für Antike und Christentum>< sowie des ,Reallexikons für Antike und Christentum<. WS 2004/ 05 Visiting Fellow des St. Edmund,s College/ Cambridge/ UK. Forschungsschwerpunkte; Theologiegeschichte des antiken Christentums, Gnostizismus; Heidentum und Christentum in der Spätantike. hebung des Todes, die Überzeugung, dass die Erlöserfigur bzw. das Medium der Erlösung schon präsent sei und dass die Erlösung sowohl in Erkenntnis als auch im Empfangen einer erlösenden Kraft bestehe. Der Harnacksche ,Orientalismus, ist ein System, in dem »Welterkenntnis, Religion und strenge ethische Disziplinierung des individuellen Lebens« eine »geschlossene Einheit« bilden, die gleichsam unverbunden neben Staat und Gesellschaft existieren und ihnen gegenüber eine negative, asketische Haltung einnehmen (S. 35f.). Harnack begnügt sich freilich nicht mit dem Aufzählen äußerer und innerer Randbedingungen für den Erfolg des antiken Christentums. Ihm zufolge kann dieser letztlich nur erklärt werden, wenn man das Wesen des Christentums als einer historischen Religion recht erfasst. Die Kapitelüberschriften Harnacks vermitteln einen Eindruck: »Die Religion des Geistes und der Kraft, des sittlichen Ernstes und der Heiligkeit.«(S. 220-239); »Die Religion der Autorität und der Vernunft, der Mysterien und der transzendentalen Erkenntnisse.« (S. 239-258); »Die Religion des Buches und der erfüllten Geschichte.« (S. 289-299). Das Christentum, so Harnack, verkündete nicht nur »das Evangelium vom Heiland und von der Heilung« (S.129-150) und das »Evangelium ZNT 15 (8. Jg. 2005) der Liebe und der Hilfeleistung« (S. 170-220), sondern es kämpft ebenso gegen »den Polytheismus und Götzendienst« (S. 300-324). In seiner entwickelten Form ist das Christentum eine >complexio oppositorum, (S. 111 ), eine lebendige Einheit von Gegensätzlichem, von elementarer religiöser Erfahrung einerseits und einer alle Bereiche des Denkens und des Fühlens durchdringenden Mannigfaltigkeit und Differenziertheit andererseits. Laut Harnack repräsentiert das Christentum dabei in einem synkretistischen Zeitalter eine neue Art von Synkretismus, den »Synkretismus der Universalreligion« (S. 325). Harnack fährt fort: »Aller Kräfte und aller Beziehungen hat sie sich bemächtigt und sie in ihren Dienst genommen wie arm, wie dürftig, wie beschränkt nehmen sich die anderen Religionen im Reiche daneben aus! « (S. 325). Und doch, so Harnack weiter, hat das Christentum alles, was es an religiös Wertvollem in seiner Umwelt gab, an sich gezogen und zu etwas Neuem geformt. Er schreibt: »Was umschließt diese Religion nicht alles, und doch lässt sie sich noch immer auf einen ganz einfachen Ausdruck bringen, und ein Name umfasst noch alles, der Name Jesu Christi! « (S. 325 ). Das letzte Zitat evoziert eine Eigenschaft des Christentums, auf die Harnack besonderen Wert legt: Obwohl ungeheuer reichhaltig und vielfältig, ja innerlich gegensätzlich, ist das Christentum doch zugleich wesentlich einfach, es kann ,elementarisiert< werden, in einfacher Form zusammengefasst werden: »Und jeder Punkt scheint die Hauptsache, ja das Ganze zu sein« (S. 324).4 Laut Harnack ist das Christentum neben Neoplatonismus und Manichäismus eine der drei Universalreligionen, die in der Antike entstanden sind: Alle drei zielen darauf, das Ganze des menschlichen Lebens zu beeinflussen und zu formen, alle drei haben »die Ideen der Offenbarung, der Erlösung, der asketischen Tugend und der Unsterblichkeit« propagiert. Aber das Christentum, das die anderen beiden antiken Universalreligionen überlebte, ist ihnen überlegen, weil es den alttestamentlichen Hintergrund mit »orientalisch-hellenistischer Spekulation« kombinierte und weil es nicht nur wie auch der Manichäismus, aber nicht der Neoplatonismus einen >Stifter< hatte, sondern - und hier unterscheidet es sich vom Manichäismus einen ,Stifter< der gleichzeitig Erlöser und Sohn Gottes ist. 5 23 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass laut Harnack das Christentum das römische Reich eroberte, weil es eine Art >Überreligion< der Antike war, oder, um Harnacks eigenen Ausdruck zu gebrauchen, weil es »die Religion selbst« ist. Als solche ist sie keine Religion neben anderen, sondern schließt das Beste der Anderen in sich ein und ist doch ihnen und ihren Gegensätzen und Polaritäten überlegen. 6 Das Christentum erschien auf der religiösen Bühne der antiken Welt, als seine Zeit gekommen war. Pointiert könnte man sagen, dass Harnacks Darstellung eine ungeheuer gelehrte, aktualisierte, neuprotestantische Version eben der Sicht des Christentums und seines Aufstiegs ist, welche die altkirchliche Apologetik pro- • 7 pag1erte. 2. Ramsay MacMullen Ramsay MacMullen knapper und eleganter Essay »Christianizing the Roman Empire« ist der zweite und wohl wichtigste Teil einer Trilogie, in der sich der amerikanische Historiker mit der Ausbreitung des antiken Christentums beschäftigt. 8 MacMullen, der anders als Harnack auch die Ausbreitung des Christentums in der Zeit nach Konstantin dem Großen behandelt, distanziert sich von einer theologiezentrierten Historiographie.9 Wenn MacMullen auch der christlichen Theologenelite und ihrem schriftstellerischen Oeuvre eine beschränkte missionarische Wirkung zuzubilligen bereit ist (S. 10), so können doch ihm zufolge deren Bemühungen nicht erklären, wie es dazu kam, dass die Zahl der Christen um das Jahr 300 n.Chr. auf etwa fünf Millionen angewachsen war (S. 34). Laut MacMullen war das vorkonstantinische Christentum im öffentlichen Raum kaum sichtbar, obwohl Christen am öffentlichen Leben teilnahmen, waren große Teile ihrer religiösen Aktivität unsichtbar und unauffällig, um nicht den Verdacht der Heiden zu erregen; das Christentum betrieb keine organisierte Mission (S. 40). Nach MacMullen zeigt eine Analyse der Inschriften aus dem Römischen Reich, dass in dieser Hinsicht die Gewährung der religiösen Toleranz durch Konstantin und Licinius (Mailänder Vereinbarung von 313 n.Chr.) die Wende darstellte: Nun begann das Christentum sich selbstbewusst in der Öffentlichkeit zu zeigen - und es ist das Heidentum, das an Sichtbarkeit verliert, an den 24 Rand gedrängt wird, ohne jedoch völlig zu verschwinden (S. 102f.). Aber wie kam es laut MacMullen dazu, dass das Christentum so viele Anhänger gewinnen konnte? Laut MacMullen der hier in bewusstem Kontrast zu Harnack schreibt sollte sich der Historiker nicht so sehr auf die christliche Botschaft und deren spezifische Qualitäten konzentrieren, sondern vielmehr darauf, was die heidnischen Massen von ihrem religiösen Erwartungshorizont her von einer neuen Religion wie dem Christentum erhofften. Die Analyse muss sich also ebenso sehr (wenn nicht mehr) mit der Rezeption wie mit der Produktion der religiösen Botschaft befassen. Das Christentum, so MacMullen, war erfolgreich, weil es ziemlich passgenau die heidnischen Erwartungen an Religion erfüllte: Die meisten Heiden erwarteten Schutz und Hilfe von ihren Göttern. Das Christentum verhieß den Leuten Schutz vor dem Zorn Gottes und dessen negativen Wirkungen auf das irdische Wohlergehen; christliche Wundertäter befreiten durch Exorzismen von den Dämonen; und schließlich und vor allem: Das Christentum versprach Wunderheilungen für alle möglichen Krankheiten und Gebrechen. Es war eben diese Kombination von eindrucksvollen göttlichen Machtdemonstrationen vor einem abergläubischen Publikum und dem aggressiven Anspruch, dass der christliche Gott der einzige Gott sei, die den begrenzten aber nicht unbeträchtlichen Erfolg des Christentums in vorkonstantinischer Zeit garantierten. 10 Unter Konstantin und seinen Nachfolgern, so MacMullen, gab es natürlich weitere und weit stärkere Anreize für eine Konversion zum Christentum: Zunächst und vor allem Geld: Schon Konstantin hatte begonnen, den heidnischen Kulten langsam die finanzielle Basis zu entziehen, eine Praxis, die sich unter seinen Nachfolgern (natürlich mit Ausnahme Julians) fortsetzte (S. 52ff.). Einige der so frei gewordenen Finanzmittel wurden nun sei es vom Kaiser, sei es von der Elite der Superreichen den christlichen Kirchen zugewendet. Gelegentlich erhielten Konvertiten auch einfach Geldgeschenke. Weiterhin wurden die Kirchen auch die Befreiung des Klerus von öffentlichen Diensten und Lasten sowie durch eine günstige Erbgesetzgebung gefördert (S. 53). Im vierten und den folgenden Jahrhunderten vermochten es die christlichen Bischöfe, die städ- ZNT 15 (8.Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt tischen Massen zu mobilisieren, was ihnen Einfluss bei Kaisern und lokalen Behörden verschaffte (S. 55). Für Karrieren in der Staatsverwaltung oder auch in der Armee war ein Bekenntnis zum christlichen Glauben gewiss auch kein Nachteil (S. 45f.56.114f.). Schließlich und endlich gab es - und besonders seit der Zeit Theodosius I auch liehen Version der Ausbreitung des Christentums in der antiken Welt distanzieren will. Er verweigert sich dem verführerischen, apologetisch gefärbten Diskurs der christlichen Quellen, der in Harnacks Darstellung verfeinert und aktualisiert wird. Für MacMullen ist es nicht so wichtig, wie die christliche Elite, die in diesen Quellen spricht, das Christentum und dessen die gewaltsame staatliche Unterdrückung des Heidentums: »Gewöhnliche Männer und Botschaft definierte; vielmehr will er die Analyse darauf konzentrieren, was die potentiellen Konvertiten zum Christentum hofften, fürchteten und glaubten. Im zweiten Der heidnische Kult wurde für illegal erklärt und unter Strafe gestellt, Tempel und Kultstätten wurden zerstört und geplündert. 11 Frauen bekehrten sich, so suggeriert MacMullen, aus Gründen, die heutige Christen nicht akzeptieren würden ... « MacMullen betont, dass spätantike Konversionen zum Christentum ob vor oder nach Konstantin dem Großen oft eine ziemlich oberflächliche Angelegenheit blieben. Was Augustin in seinen »Confessiones« beschrieb, also die Konversion eines hochbegabten, komplexen spätantiken Intellektuellen, ist kein Modell, das uns die Erfahrungen und Motive normaler Christinnen und Christen erschließen könnte. MacMullen führt den Erfolg des Christentums teilweise auch darauf zurück (und hier findet sich ein Echo der Ansichten Harnacks ), dass die spätantike Epoche Zeuge eines intellektuellen Niedergangs war; selbst hochintelligente christliche Zeitgenossen wie Ambrosius und Augustin propagierten teilweise Aberglauben. 12 Dieser intellektuelle Niedergang kann teilweise durch die Tatsache erklärt werden, dass in der Spätantike vermehrt auch traditionell eher bildungsferne Schichten Zugang zur Bildung und Bildung voraussetzenden Karrieren und Positionen erhielten. MacMullen fordert seine Leser auf, sich darauf einlassen, dass Konversionen in der Spätantike eine ganze Reihe von Gefühlen und Motiven einschlossen, die nicht unbedingt intellektueller Natur waren. 13 Mit seiner Ausbreitung im vierten und den folgenden Jahrhunderten, so MacMullen, konnte das Christentum auch die Bandbreite von Belohnungen (Leben nach dem Tod, Verehrung der Toten etc) erweitern, die es offerieren konnte. Das Christentum integrierte nun auch viele heidnische Elemente, die nur oberflächlich verchristlicht worden waren. 14 Zusammenfassend kann man sagen, dass MacMullen sich von einer idealisierten christ- ZNT 15 (8.Jg. 2005) Kapitel seines Buches versucht MacMullen eine Zusammenfassung heidnischer Glaubensinhalte. 15 Es ist eben dieses in MacMullens Darstellung im Kern statische, ja fast zeitlose - Heidentum,1 6 das den Rahmen für die Geschichte der Ausbreitung des antiken Christentums bot. Gewöhnliche Männer und Frauen bekehrten sich, so suggeriert MacMullen, aus Gründen, die heutige Christen nicht akzeptieren würden, und sie bekehrten sich zu einem Typ von Christentum, den heutige Christen nicht wiedererkennen würden. MacMullen schreibt: » The triumph of the church was not one of obliteration, but of widening embrace and assimilation.« 17 3. Rodney Stark Der Untertitel seiner Monographie » The Rise of Christianity. A Sociologist considers History« 18 deutet es an - Rodney Stark untersucht den Aufstieg des antiken Christentums aus der Perspektive eines modernen Soziologen. Stark will die Geschichte der Alten Kirche um einen modernen soziologischen Theorieansatz bereichern; auf diese Weise sollen obsolete Theorieformationen (Stark zitiert und kritisiert z.B. Max Webers Begriff des ,Charisma< [S. 24]) durch eine Theorie mit größerer Erklärungskraft ersetzt werden (S. 26 ). Starks Buch ist also Teil seines größeren, über lange Zeit verfolgten Projektes, eine moderne, empirisch fundierte soziologische Theorie der Religion zu erarbeiten. 19 Diese Theorie beansprucht, Religion als menschliche Aktivität ernst zu nehmen und auf diese Weise frühere Theorieansätze, die Religion wahlweise als Aberglauben, einen psychopathologischen Zustand, 25 eine Illusion (Freud), >das Opium des Volkes< (Marx), die Selbstbestätigung der sozialen Ordnung (Durkheim) erklären bzw. entlarven wollten und die meinten, mit der Ausbreitung einer wissenschaftlich geprägten Moderne würde die Religion absterben, zu überbieten. 2 ° Für Stark sind Religion und religiöse Bekehrung fundamental rationale menschliche Verhaltensweisen." Er behauptet weiterhin, dass Atheismus und Ablehnung von Religion in der vormodernen Epoche genauso stark, wenn nicht stärker als in der Moderne waren, dass Religionen am besten in einer >deregulierten religiösen Ökonomie, (wo alle religiösen Gruppen gleichermaßen vom Staat toleriert werden und keine religiöse Gruppe besondere Vorzüge genießt; das Modell sind natürlich die USA) gedeihen und dass es keinerlei überzeugenden empirischen Belege für die Behauptung gibt, dass Religion und Glauben in den Schichten der Gesellschaft die meiste Anhängerschaft haben, die arm, unterprivilegiert und ungebildet sind. Starks soziologische Analyse des Aufstiegs des antiken Christentums nimmt ihren Ausgang bei einer simplen Frage: »How did a tiny and obscure messianic movement from the edge of the Roman Empire dislodge classical paganism and become the dominant faith of Western civilisation? « (S. 3) Im ersten Kapitel skizziert Stark ein quantitatives Modell für das Wachstum der christlichen Religion im Römischen Reich: Indem er verschiedene Beobachtungen der Forschung kombiniert und die üblichen quantitativen Überlegungen aufnimmt," gelangt er zu einer Wachstumskurve von ca. 1000 Christen im Jahr 40 n.Chr. bis zu ca. fünf bis sechs Millionen Christen im Jahre 300 n.Chr. D.h., dass die Zahl der Christen durchschnittlich um 40% alle zehn Jahre in der Periode von 40 n.Chr. bis 300 n.Chr. wuchs. 23 Stark kann dann erste wichtige Schlussfolgerungen aus diesem Modell ziehen: Erstens, in den ersten beiden Jahrhunderten war die absolute Zahl der Christen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung ziemlich klein. Im Jahr 200 dürfte es z.B. nur ca. 200 000 Christen gegeben haben. Das Christentum blieb sozusagen unter der Wahrnehmungsschwelle. In der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts dürfte die Zunahme in absoluten Zahlen hingegen schon recht beeindruckend gewesen sein - und Heiden und Christen müssen sich dessen bewusst geworden sein. 24 26 Zweitens: Eine Wachstumsrate von ca. 40% alle zehn Jahre in der Zeit vor Konstantin bedeutet, dass die Behauptung, die Bekehrung Konstantins habe für die Ausbreitung des antiken Christentums eine entscheidende Rolle gespielt, wahrscheinlich falsch ist (S. 10). Stark schlägt folgende spekulative Kalkulation vor: Wenn das Christentum nach Konstantin mit der gleichen Rate weitergewachsen wäre wie vor ihm, so wäre bereits in der Mitte des vierten Jahrhunderts die Mehrheit der Bevölkerung des römischen Reiches christlich gewesen. Ja, so rechnet Stark vor, um das Jahr 400 wäre bei anhaltender Wachstumsdynamik die Zahl der Christen auf ca. 180 Millionen angewachsen (S. 10.13) etwa das Dreifache der Gesamtbevölkerung des Römischen Reiches. Das aber heißt, dass die Wachstumskurve sich nach der Bekehrung Konstantins erheblich abgeflacht haben muss. Starks Analyse der Gründe für die Ausbreitung des Christentums kann sich also guten theoretischen Gewissens auf die Zeit vor Konstantin, vor der staatlichen Privilegierung des Christentums, konzentrieren. 25 Eine dritte wichtige Schlussfolgerung ergibt sich aus dem von Stark vorgeschlagenen quantitativen Modell: Die frühen christlichen Gemeinden und Gruppen müssen zahlenmäßig eher klein gewesen sein. So hat auf der Grundlage des Stark'schen Modells Keith Hopkins angenommen, dass es um 100 n.Chr. möglicherweise nicht mehr als einhundert christliche Gemeinden mit einer durchschnittlichen Größe von siebzig Personen gab; für das Jahr 178 n.Chr. ergäbe sich eine Zahl von etwa 100 000 Personen, die sich auf mehr als zweihundert Gemeinden verteilen." Stark meint nun, dass die grundsätzlich korrekten Annahmen von Hopkins für diejenigen Forschungspositionen schwierig sind, die von einer exzessiven Fragmentierung der Christenheit der ersten beiden Jahrhunderte ausgehen. 27 Stark kann eine ganze Reihe weiterer aussagekräftiger Hypothesen vorschlagen; er bezieht dabei auch Beobachtungen und Schlussfolgerungen ein, die er aus seinen Feldforschungen über das Wachsen religiöser Bewegungen in den USA gewonnen hat. Mit MacMullen stimmt Stark darin überein, dass auch er die Wirkung direkter Evangeliumspredigt für die Ausbreitung des antiken Christentums eher gering veranschlägt; freilich wider- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt spricht er MacMullens Annahme, dass es Exorzismen und Wunderheilungen waren, welche eine entscheidende Rolle spielten. 28 Vielmehr, so meint Stark, sei die Erklärung in direkten persönlichen Bindungen zu suchen (»a structure of direct and intimate personal attachments« [S. 20]); seinen Beobachtungen zufolge wachsen religiöse Bewegungen wie die Mormonen oder die Moonies dadurch, dass sie soziale Netzwerke entweder selber etablieren oder sich existierende Netzwerke zunutze machen (S. 15ff.). Freilich ist es von entscheidender Bedeutung, dass es denjenigen religiösen Bewegungen, die eine kontinuierliche Wachstumsrate aufrechterhalten, gelingt ihre Netzwerke offen zu halten (S. 21). Das für das Wachstum des frühen Christentums wichtigste Netzwerk waren zweifellos die über das römische Reich verteilten Synagogen des Diasporajudentums. Konsequenterweise verwirft Stark die These, dass die frühen Christen es nicht vermocht hätten, viele Juden zu gewinnen (S. 49-71). Er schreibt: »... the mission to the Jews of the diaspora should have been a considerable long-run success.« (S. 70; kursiv i.O.). In einem weiteren Kapitel testet Stark seine Netzwerk-Hypothese, indem er vergleichende Betrachtungen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit christlicher und heidnischer Netzwerke angesichts der wiederkehrenden lokalen und regionalen Seuchen des zweiten und dritten Jahrhunderts anstellt. Er kommt zu dem Schluss, dass eine Epidemie eher das christliche als das heidnische lokale Netzwerk gestärkt haben dürfte und dass nach überstandener Seuche das christliche Netzwerk seine Fähigkeit, Heiden zu gewinnen, ausgebaut haben dürfte. 29 Vor allem, so meint Stark, hatte das Christentum all denjenigen Menschen (d.h. der breiten Masse) etwas zu bieten, die in der brutalen und ungesunden Umwelt der überbevölkerten, multiethnischen und multikulturellen Großstädte der Spätantike (wie Rom und Antiochien) zu überleben versuchten. Stark evoziert die Fragilität des städtischen Lebens in der Spätantike in ihren verschiedenen Aspekten: Die Straßen waren nachts unsicher, Städte wurden belagert, erobert und geplündert, die Städte waren Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben und Seuchen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Wurden sie nicht von außen angegriffen, so waren sie in ZNT 15 (8. Jg. 2005) ständiger Gefahr durch inneren Streit und Aufruhr zu implodieren (S. 147-160). Vor diesem Hintergrund, so meint Stark, war das Christentums eine attraktive Option; mit seinen neuen Normen, seiner neuen Art von Sozialität vermochte es das städtische Leben der Spätantike zu revitalisieren (S. 161). Vor allem aber bot das Christentum in einer Gesellschaft, die von ethnischen Konflikten polarisiert wurde, die attraktive Alternative einer kosmopolitanen universalistischen Kultur, in der Volkstum und Ethnizität keine Rolle mehr spielten. 30 Stark betont, dass seine Theorie im Gegensatz zu den traditionellen soziologischen Religionstheorien auch die Rolle der Theologie ernst nehmen kann. Er behauptet, dass es eben die christlichen Theologie (er versteht hierunter vor allem die ethische Unterweisung in Katechese und Predigt) war, die das Christentum zu einer so erfolgreichen Reformbewegung machte (»the most sweeping and successful revitalization movement in history«). 31 Ein weiterer wichtiger Aspekt der Stark'schen Analyse ist der Versuch, die ökonomische >rational choice<-Theorie für die Erklärung der Ausbreitung des Christentums fruchtbar zu machen. Nach Starks Theorie vermögen Religionen wie das Christentum >Kompensatoren< (engl. »compensators«) für diejenigen Belohnungen anzubieten, die kaum oder gar nicht zu erlangen sind. 12 Wenn eine bestimmte Belohnung (z.B. das ewige Leben) in diesem Leben nicht zu erlangen ist, so vermögen Religionen Methoden und Disziplinen (>compensators<) vorzuschlagen, die zu garantieren scheinen, dass wenn man sie in diesem Leben befolgt im kommenden Leben der erwartete Lohn empfangen wird (S. 168). Da aber die Versprechungen der Religion in diesem Leben nicht verifiziert werden können, gilt laut Stark: » ... religious compensators are (...) inherently risky«. 33 Stark plausibilisiert seine rational-choice- Hypothese durch weitere Überlegungen: Zum einen legt er dar, dass gerade weil die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde in der vorkonstantinischen Gesellschaft ausgrenzte, gerade weil sie mit »sacrifice and stigma« verbunden war, die Kirche erfolgreich war und die aktive Teilnahme am Leben der Gemeinden zunahm. Das Christentum konnte auf diese Weise das ,free-rider- Problem, lösen, d.h. es schreckte erfolgreich 27 solche Konvertiten ab, welche nur die Vorteile einer Kirchenmitgliedschaft genießen wollten, ohne etwas dafür zu opfern. Im Sinne der rational-choice-Theorie wachsen aber bei >kollektiv produzierten Gütern< Kosten und Gewinn einer Partizipation im gleichen Maße (S. 177f.). Sogar im extremen Fall des Martyriums, argumentiert Stark, geht das Kalkül auf: Die zugegebenermaßen wenigen - Christen, die das Martyrium auf sich nahmen, konnten nicht nur auf den versprochenen Lohn im Himmel hoffen, sondern genossen ein gestiegenes Ansehen schon vor ihrem Tod in der Arena oder hatten die Gewissheit, dass sie nach ihrer Hinrichtung von ihren Mitchristen nicht vergessen werden würden (S. 179-188). Laut Stark war die Situation im römischen Reich vor Konstantin in vielerlei Hinsicht mit einer ,deregulierten religiösen Ökonomie< wie sie die heutigen USA ihm zufolge darstellen vergleichbar. Konsequenterweise ist Stark geneigt, die Wirkung der Christenverfolgungen eher gering einzuschätzen; auch meint er - und hier widerspricht er MacMullen dass das Christentum für Heiden durchaus sichtbar war, oder wenigstens sichtbar genug, um für eine beträchtliche Anzahl von ihnen attraktiv zu sein (S. 192f.). Das Konzept einer >religiösen Ökonomie< erlaubt Stark auch die Frage zu ohne eine verbindliche religiöse Gemeinschaft zu schaffen, verlangte und schuf der christliche Monotheismus eine exklusive Bindung. Stark bemerkt: »And herein lies a major aspect of the eventual triumph of Christianity: exclusive firms are far stronger organizations, far better to mobilize extensive resources and to provide highly credible religious compensators, as well as substantial worldly benefits« (S. 204 ). Zusammenfassend kann man sagen, dass für Rodney Stark die Ausbreitung des antiken Christentums ein Testfall für seine ambitionierte soziologische Theorie der Religion ist. Diese Theorie betont die Rationalität der Religion als menschlicher Aktivität und verwendet das Konzept einer >religiösen Ökonomie<. Obwohl Starks Theorie der Religion wie jede angemessen ehrgeizige Theorie universale Geltung beansprucht, ist ihr doch anzumerken, dass sie zunächst ausgearbeitet wurde, um den Erfolg oder Misserfolg religiöser Bewegungen und Kirchen in den USA in den letzten zwei Jahrhunderten zu erklären." Sein Versuch, diese Theorie nun auf eine ganz andere Epoche und ganz andere soziale und kulturelle Kontexte anzuwenden, ist also für den universalen Erklärungsanspruch der eigenen Theorie wichtig. Die großen Lücken des antiken Quellenmaterials werden bei Stark durch kühne Spekulation gefüllt; umgekehrt erlaubt ihm beantworten, wie das Christentum in einer heidnischen Umwelt erfolgreich operieren konnte: Religionen können ihm zufolge als >Firmen< beschrieben werden, die um einen Marktanteil in der >reli- »Das Konzept einer >religiösen Ökonomie< erlaubt Stark auch die Theorie auch die Formulierung verschiedener Postulate, die dann am spärlichen Quellenmaterial getestet werden. Auf diese Weise kann Stark mit Hilfe seiner Theorie die Beobachtungen und Hydie Frage zu beantworten, wie das Christentum in einer heidnischen. Umwelt erfolgreich operieren konnte ... « giösen Ökonomie< konkurrieren.34 Die Niederlage des Heidentums hat nach diesem Modell verschiedene Gründe: Zum Ersten war der religiöse Markt mit den religiösen Gütern, die die unzähligen heidnischen Kulte bereitstellen konnten, saturiert. Zum Zweiten waren heidnische Kulte zu abhängig von den Zuwendungen des Staates oder weniger reicher Mäzene; christliche Gemeinden und deren Klerus hingegen lebten von den vielen kleinen Beiträgen der normalen Gemeindeglieder (S. 198). Schließlich: Während die heidnischen Kulte nicht-exklusive >Kundenkulte< (dient cults) waren, die nur die individuellen Wünsche ihrer Kunden bedienten, 28 pothesen anderer Gelehrter (wie Harnack und MacMullen) kritisieren, bestätigen oder korrigieren je nachdem. Teil II Nachdem wir drei prominente Analysen der Ausbreitung des antiken Christentums (von einem Theologen, einem Historiker und einem Soziologen) vorgestellt haben, seien nun einige Problemperspektiven für die weitere Forschung aufgezeigt. 1. Im Hinblick auf die weitere Forschung sind zunächst drei Feststellungen möglich: ZNT 15 (8. Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt a) Jede angemessen differenzierte Darstellung der Entstehung und Ausbreitung des antiken Christentums muss die Art quantitativer Erwägungen einbeziehen, die Rodney Stark exemplarisch vorgeführt hat. Dies bedeutet c) Schließlich ist es vorteilhaft, für eine genügend differenzierte Darstellung der Ausbreitung des antiken Christentums eine längere Periode in den Blick zu nehmen, also etwa die ersten drei Jahrhunderte. Folgt man dem nicht, dass Starks quantitatives Modell (seine Wachstumskurve) unkritisch als Faktum akzeptiert wird, und es bedeutet auch keine umstandslose Übernahme von Starks Religionstheorie. Aber Stark und Hopkins haben in überzeugender Weise die Nütz- »Jede angemessen differenzierte Darstellung der Entstehung und Ausbreitung des antiken Stark'schen Modell, so ist in der Periode vor Konstantin die über 250 Jahre durchgehaltene Wachstumsdynamik des Christentums bemerkenswert. Eine z.B. wesentlich auf das 1. Jh. beschränkte Sicht hätte gewisse Schwierigkei- Christentums muss die Art quantitativer Erwägungen einbeziehen, die Rodney Stark exemplarisch vorgeführt hat.« lichkeit der Stark'schen Theorie aufgezeigt. Theoriemodelle aus Soziologie und Ökonomie haben so scheint es ein noch nicht ausgeschöpftes Potential, intelligente Vorschläge für eine Erklärung der Ausbreitung des Christentums zu unterbreiten.36 Diese sind solange nützlich für Historiker und Theologen, als sie ihnen erlauben, interessante Fragen und Hypothesen zu formulieren und zu testen. 37 b) Jede angemessen differenzierte Darstellung der Ausbreitung des antiken Christentums muss den christlichen Glauben und die christliche Botschaft ernst nehmen. Die Annahme, dass der Glaube an die Wahrheit der christlichen Botschaft für die Ausbreitung des Christentums irrelevant war, ist nicht nur arrogant gegenüber der Vergangenheit, sondern auch a priori unplausibel. Das heißt natürlich nicht, dass die vom antiken Christentum in verschiedenen Formen und Versionen formulierte christliche Botschaft identisch war mit der herrschenden theologischen Lehre unserer Gegenwart, oder dass der volle Reichtum dieser Botschaft erfasst werden kann, wenn wir nur fleißig die reiche literarische Produktion der theologischen Elite studieren. Es heißt auch nicht, dass wir unkritisch eine idealisierende, gar triumphalistische Erzählung der Ausbreitung des antiken Christentums übernehmen. Vielmehr müssen Theologen und Historiker, die das antike Christentum als Massenphänomen studieren wollen, herausfinden, welche Aspekte der christlichen Botschaft den breiten Massen wirklich kommuniziert wurden - und sie dürfen dabei nicht aus dem Blick verlieren, dass Kommunikation des christlichen Glaubens nicht nur mit verbalen Mitteln geschieht. ZNT 15 (8. Jg. 2005) ten, dieses Phänomen und dessen Ursachen adäquat in den Blick zu nehmen. Gewiss: Wer die Geschichte des Christentums angemessen verstehen will, muss dessen Anfänge als kleine messianische Bewegung im Kontext des antiken Judentums studieren. Aber die Umkehrung dieses Satzes gilt eben auch: Das Potential dieser Anfänge kann der schwer ermessen, der nicht die folgende Geschichte kennt. Es ist die spezifische Stärke der Darstellung Harnacks, dass er beides, die Anfänge des Christentums und dessen lange, globale Geschichte immer gleichzeitig in den Blick zu nehmen und aufeinander zu beziehen versucht. Und weiterhin: Gerade wenn man mit Harnack und Stark der (m.E. berechtigten) Ansicht ist, dass die Religionspolitik Konstantins des Großen nicht der eine entscheidende Faktor der Christianisierung des Römischen Reiches war, gerade dann kommt es umso mehr darauf an, die Transformation des Christentums zur Staatsreligion und deren spezifische Bedeutung für die Ausbreitung und Etablierung des Christentums zu analysieren. 2. Weiter: Jede Darstellung der Ausbreitung des antiken Christentums muss die richtige Mischung aus Distanz und Empathie zum Forschungsobjekt finden. Da das Christentum auch heute noch eine sehr machtvolle lebendige Religion in unserer globalisierten Moderne ist, fällt dies in diesem Fall besonders schwer. Harnacks Darstellung gründet in seiner Theorie, dass das Christentum >die Religion selbst< sei; Stark sieht die Ausbreitungsgeschichte des antiken Christentums als Testfall für seine ehrgeizige Religionstheorie. Beide haben also erheblich theoretische Investitionen vorgenommen. Es ist dann auch kein Wunder, dass beide vor kühnen Verallgemeinerungen nicht 29 Zum Thema zurückschrecken und auch nicht zögern, moderne Begriffe von Religion und Religiosität in Anspruch zu nehmen, um die antike Wirklichkeit zu erklären (Stark tut dies ganz offensichtlich, Harnack in subtilerer und versteckterer Weise). MacMullen hingegen übt den Gestus der Distanz zu seinem Objekt, er zelebriert seine Skepsis gegenüber konkurrierenden Darstellungen, die unkritisch moderne Parallelen zitieren, von einer generellen Theorie der Religion her argumentieren oder fälschlicherweise glauben, dass gewöhnliche Menschen in der Antike mit unseren Begriffen davon übereinstimmen, was wichtig an einer Religion wie das Christentum ist und was nicht. 38 Das Problem von Distanz und Empathie wird auf amüsante und unterhaltsame Weise in Keith Hopkins' »A World full of Gods« 39 vorgeführt. Dieses Buch ist auf einer Ebene eine spielerisch-subversive Meditation zur prekären Lage des modernen Universitätsgelehrten, der die >christliche Revolution! 0 in der multireligiösen Welt des römischen Imperiums erzählen und erklären will und sich gleichzeitig immer der Tatsache der grundsätzlichen Perspektivität jeder Geschichtsschreibung bewusst bleibt sie ist ein Kind der Gegenwart und bleibt den Begriffen und Vorurteilen ihrer jeweiligen Gegenwart verhaftet. Hopkins meint, dass die Geschichte der Religionen notwendigerweise subjektiv bleiben muss, dass in ihr viele Sichtweisen möglich sind, dass eine >Meistererzählung, unerschwinglich bleibt. 41 In dieser Lage soll der Historiker, so lautet Hopkins' implizite Botschaft, komplex erzählen, verschiedene, einander widerstreitende Standpunkte und Stimmen zu Wort kommen lassen. Eben so gelingt es dem Historiker paradoxerweise, etwas von dem Chaos des gelebten, vergangenen Lebens einzufangen. Hopkins' Unternehmen bleibt dennoch zutiefst ambivalent: Gerade sein Versuch, Komplexität getreu abzubilden, antike Wahrnehmungen mit modernen Interpretationen zu kombinieren (»to combine ancient perceptions, however partial, with modern understandings, however misleading« 42 ), erfordert ganz besonders die überlegene und straffe Regie des modernen Historiographen; bei Hopkins, der das Pastiche dem Zitat vorzieht, wird der Historiker zum Bauchredner all der verschiedenen Stimmen, die Rederecht in der Debatte um die Ausbreitung des Christentums beanspruchen; gerade der Histori- 30 ker, der auf die Meistererzählung verzichtet, bleibt auf diese Weise mehr denn je der Meister. Hopkins versucht die angebliche Fiktivität jeglicher Geschichtsschreibung dadurch in den Griff zu bekommen, dass er selbst ganz offen auf Fiktionen rekurriert, er bemüht sich, jegliche Kritik zu entkräften, indem er sie vorwegnehmend selbst formuliert: Der spielerische Ton und die (Insider-) Witze verbergen kunstvoll einen konstruktiven Ehrgeiz, der demjenigen von Harnack, MacMullen und Stark in nichts nachsteht." 3. Jegliche ausreichend differenzierte Darstellung der Ausbreitung des antiken Christentums muss sich besonders auch mit der religiösen Umwelt befassen. Dabei würde es nicht genügen, bloß die verschiedenen heidnischen Kulte und religiösen Philosophien zu klassifizieren und zu beschreiben; vielmehr muss der Historiker versuchen, in scharfen Bewegungsbildern die Entwicklungsdynamik der religiösen Landschaft der Spätantike zu erfassen. Alle drei vorgestellten Autoren haben in dieser Hinsicht Schwierigkeiten: Harnack gesteht seine Verlegenheit offen ein, um dann ein Konstrukt namens ,Orientalismus< als Kulisse für den Aufstieg des Christentums zu präsentieren; MacMullen, nachdem er als ersten Teil seiner Trilogie ein ganzes Buch zum Heidentum im römischen Reich verfasst hat, begnügt sich im zweiten Teil mit einer kunstlosen Zusammenfassung, die das Heidentum als eine amorphe, weiche Struktur von Glaubensinhalten charakterisiert, reif für die Ablösung durch ein sich scharf profilierendes Christentum. 44 Stark bearbeitet das Problem, indem er über die Prozesse innerhalb einer deregulierten religiösen Ökonomie Überlegungen anstellt; er erwähnt die Ausbreitung des Isiskultes, spekuliert über ein von innen her geschwächtes Heidentum und diskutiert die These, es habe einen generelleren Trend zum Monotheismus hin gegeben.4 5 Wir brauchen ein besseres Verständnis eben jener Transformationsprozesse, welche die religiöse Welt der Antike tiefgreifend veränderten. Zwei Beispiele seien erwähnt: John Scheid's Analysen zur Transformation der römischen Religion führen dabei zu einigen interessanten Schlussfolgerungen. Scheid hat einen Trend vom traditionellen Kult des römischen Stadtstaates, an dem alle wichtigen Bürger und gesellschaftlichen Gruppen persönlich teilnehmen konnten zu einer ZNT 15 (8. Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antil<0n Christentums als historiographisches Projekt anderen Art von Religiosität im wachsenden Imperium Romanum beobachtet: Die aktive Teilnahme am Staatskult wurde mehr und mehr eingeschränkt auf den Kaiser und eine kleine Anzahl von Funktionären und Priestern in seiner Umgebung. Für die meisten römischen Bürger wurde die Religion nun medial vermittelt, durch bildliche Darstellungen sowie durch Verschriftlichungen in antiquarischer Literatur wie Marcus Terentius Varros >Menschliche und göttliche Altertümer<. Auf diese Weise partizipierten sie am traditionellen Kult, aber nunmehr mental, in ihrer Imagination. Scheid schreibt: »Divenuta impossibile in pratica, e senza ehe la natura di quella religione fosse cambiata a Roma, la partecipazione religiosa del cittadino romano veniva a esprimersi sempre piu attraverso la lettura, in modo intelletualistico.« 46 Die Religion, so Scheid, wurde abstrakter, mentaler, mehr eine Sache des Glaubens als des praktizierten Kultes. Diese Entwicklung bahnte vermutlich dem Christentum den Weg: » ... il rapporto non piu fisico ma intelletuale dei cittadini romani con la loro religione (qualcosa die simile alle trasformazioni ehe conobbe l' ebraismo nella diaspora) facilito senza dubbio l' adesione dei Romani a una religione della fede come il cristianesimo.« 47 Seheids Beobachtung basiert auf der (plausiblen) Prämisse dass verglichen mit den heidnischen Kulten im römischen Reich das Besondere des Christentums in seiner Betonung von Glaube und Glaubenslehre (Dogma) besteht. Aber auch hier ist ein genaueres Hinsehen erforderlich: Gilt diese Besonderheit gegenüber allem >Heidentum< ? Oder umgekehrt: War nicht die Betonung des Glaubens und der Bedeutung orthodoxer Dogmatik nur für Ein zweites Beispiel: Das >Heidentum" darüber scheinen sich alle einig zu sein, ist nur ein christliches Konstrukt, das einfach alle die Kulte und religiösen Bewegungen der Antike, die weder Christentum noch Judentum sind, bequemerweise zusammenfasst. Dennoch gab es in der Spätantike Versuche, besonders von Seiten der intellektuellen Gegner des Christentums wie Celsus, Porphyrius oder Julian, eine Art umfassender heidnischer Religion zu definieren, welche die verschiedenen Kulte und Mysterien zu einen theologisch kohärenten Ganzen organisiert. Besonders die platonische Philosophie forderte das Christentum und die christliche Theologie auf diese Weise heraus. 49 Erst im 4. Jh., als das Christentum auf dem Wege zu einer dominierenden Stellung war, kann man dann von so etwas wie >Bekehrungen zum Heidentum< reden. 50 Aber sollte es wirklich wahr sein, dass das Heidentum auf die Herausforderung durch das Christentum warten musste, um sich dagegen selbst zu definieren? Oder gab es einen generellen, vom Aufstieg des Christentums unabhängigen Trend zu einer Art heidnischen Henotheismus/ Monotheismus als Universalreligion? Und wenn sich das als wahr erweisen sollte, wie verhielt sich dieser Trend zur Entwicklung des spätantiken Imperialismus und dessen Suche nach einer machtvollen ideologischen Basis ? 11 Wir brauchen eine präzise Analyse der Arten und Weisen, wie sowohl das Christentum als auch die heidnische Religionsphilosophie sowohl sich selbst als auch ihre jeweilige religiöse Umgebung auf den Begriff brachten. Ähnliche Fragen wie in Bezug auf das antike Heidentum stellen sich in Bezug auf das antike Judentum. Einige Gelehrte haben begonnen, das monolithische Bild des eine kleine Elite des christlichen Klerus wichtig? Sind wir nicht in Gefahr wieder einmal eine teilweise richtige Beobachtung unzulässig zu verallgemeinern ? 48 Aber wenn wir dieser Befürchtung Rechnung tragen, wie können wir »Aber sollte es wirklich wahr spätantiken Judentums, wie es von den Rabbis definiert wurde, in Frage zu stellen. Auch hier liegt nun der Akzent auf der Entwicklung und Transformation des Judentums. Dieses wird schon längst nicht mehr in der Perspektive sein, dass das Heidentum auf die Herausforderung durch das Christentum warten musste, um sich dagegen selbst zu definieren? « dann die Rolle der Theologie und des Konfliktes über die rechte Lehre, der Unterscheidung von Orthodoxie und Häresie, von Synoden und Konzilen für die Selbstdurchsetzung des antiken Christentums recht beschreiben? ZNT 15 (8. Jg. 2005) einer ,praeparatio evangelica< gesehen, sondern darin scheinen die neuesten Vorschläge von Seth Schwartz 12 und Daniel Boyarin 53 übereinzustimmen als eine religiöse Tradition, die zu einer Religion u.a. dadurch wurde, dass sie auf das Chris- 31 tentum und ein römisches Reich reagierte, das zunehmend vom Christentums dominiert wurde. Harnack, MacMullen und Stark betonen die Bedeutung der monotheistischen Exklusivität des Christentums. Wiederum ist eine genauere Analyse vonnöten: Was eigentlich bedeutete christlicher Monotheismus sowohl auf der symbolischen als auch auf der praktischen Ebene? Wie wurde dieser Monotheismus propagiert und kommuniziert? Und ganz abgesehen davon, was der christliche Klerus meinte und sagte beachteten die Laien (und auch der Klerus! ) wirklich durchgehend und konsequent den monotheistischen Imperativ? Weitere und ähnliche Fragen betreffen die Ethik und die Moral, Fragen von Ehe und Familien, oder auch der Einstellung zu Sklaverei, Armut und Reichtum: Veränderte die Ausbreitung des Christentums tatsächlich die gelebte, alltägliche Wirklichkeit normaler Männer und Frauen in der Spätantike? Gab es so etwas wie eine langsame, aber durchdringende Werterevolution? 54 Oder überwiegen die beeindruckenden Gemeinsamkeiten mit den ethischen Werten normaler antiker Nichtchristen? Begehen wir hier wieder den methodischen Fehler »prescription with performance« zu verwechseln? 55 Die jüngere Forschung ist sich also mehr und mehr bewusst geworden, dass die religiöse Szene des Römischen Reiches keine statische Kulisse war, vor deren Hintergrund die Aufstiegsgeschichte des antiken Christentums erzählt werden kann, sondern eher ein dynamisches Kraftfeld, in dem die verschiedenen Kräfte ständig aufeinander einwirken und sich gegenseitig modifizieren. Aber dennoch änderte sich nicht alles. MacMullens Insistieren auf den sich durchhaltenden menschlichen Bedürfnissen wie z.B. der Befreiung von körperlichem oder psychischem Leiden (Krankheiten und Dämonen) wäre leicht aus den Quellen zu belegen. 56 Die Frage bleibt, wie viel das Christentum zur Veränderung der religiösen Landschaft der Antike wirklich beitrug. Ist das Christentum eine Religion neben anderen, eine Kraft neben anderen Kräften (wenn auch erfolgreicher als andere) oder gehört es wie der Theologe Harnack glaubte zu einer ganz anderen Kategorie? Veränderte das Christentum den Begriff von >Religion<? Da in historischer Perspektive das Christentum eine der wichtigsten und vitalsten Erbstücke 32 ist, das die antike Welt unserer Modeme hinterlassen hat, ist die Geschichte der Ausbreitung des antiken Christentums zugleich die Vorgeschichte der ebenso globalisierten wie fragmentierten Welt des 21. Jh.s. Es bedarf der differenzierten Zusammenarbeit verschiedener akademischer Disziplinen, um der sich daraus ergebenden historiographischen Herausforderung gerecht zu werden. Anmerkungen 1 Für einen Überblick, vgl. D. Praet, Explaining the Christianization of the Roman Empire, in: Sacris Erudiri 33 (1992/ 3), 7-119. 2 A. von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten. Vierte verbesserte und vermehrte Auflage mit elf Karten, Leipzig 1924 (ND Wiesbaden o.J.). 3 Harnack, Mission und Ausbreitung, 28: »Die entscheidende Vorbedingung aber für die Propaganda der Religion lag in den religiösen, sittlichen und kulturellen Gesamtzuständen der Kaiserzeit. Es ist unmöglich, hier den Versuch zu machen, Bilder von diesen Zuständen zu entwerfen oder gar in ihrer Totalität zur Darstellung zu bringen.« Harnack verweist dann auf Literatur und empfiehlt besonders P. Wendlands Werk »Die hellenistisch-römische Kultur in ihren Beziehungen zu Judentum und Christentum«. 4 Für Harnack ist es diese charakteristische Kombination von Komplexität und Einfachheit, die auch den Rhythmus der Christentumsgeschichte bestimmt: In der Reformation wurde das Christentum auf das Wesentliche, das Evangelium >reduziert<: »Jede wirklich bedeutende Reformation in der Geschichte der Religionen ist in erster Linie kritische Reduktion ... « (A. v.Harnack, Das Wesen des Christentums. 2.Auflage, Gütersloh 1985, 158 [kursiv i. O.]. S. auch ders., Die Aufgabe der Theologischen Fakultäten und die Allgemeine Religionsgeschichte. Nebst einem Nachwort, in: ders., Reden und Aufsätze. Zweiter Band, Giessen 1904, 161-187: 169/ 70 wo Harnack die These aufstellt, dass das antike Christentum sowohl die Summe als auch die ,Reduktion< der vorangegangenen Religionsgeschichte sei. 5 Harnack, Mission und Ausbreitung, 326 (Anm.1; Selbstzitat aus dem ,Lehrbuch der Dogmengeschichte<). 6 Harnack, Das Wesen des Christentums, 47. Harnack rezipiert hier u.a. Schleiermachers Konzeption des Christentums als ,Religion der Religionen<. Vgl. dazu jetzt die schöne Analyse bei C.-D. Osthövener, Adolf von Harnack als Systematiker, in: ZThK 99 (2002), 296- 331, bes. 315f. 7 Vgl. die Bemerkung von L.M. White: »lt must be remembered, too, that Harnack's program is derived in ! arge measure from a persistent theme in Christian historiography: namely, the >praeparatio evangelica«<. (Adolf von Harnack and the ,Expansion, of Early Christianity: A Reappraisal of Social History, in: Second Century 5,2 [1985/ 6], 97-127: 107, Anm. 50). Die Bemerkung Whites ist natürlich cum grano salis zu nehmen, der konkrete historische Hintergrund sind bei ZNT 15 (8.Jg. 2005) Winrich Löhr Die Ausbreitung des antiken Christentums als historiographisches Projekt Harnack allzumal die starken Wertungen und Konzepte der deutschen evangelischen Theologie des 19.Jahrhunderts, s. vorige Anmerkung. 8 R. MacMullen, Christianizing the Roman Empire (A.D.100-400), New Haven/ London 1984. Der erste Teil ist dem Heidentum gewidmet, s. ders., Paganism in the Roman Empire, New Haven 1981, der dritte Teil Christentum und Heidentum nach der Bekehrung Konstantins, s. Christianity and Paganism in the Fourth to Eighth Centuries, New Haven/ London 1997. Alle drei Bücher zeichnet eine lakonische Eleganz aus, die Dokumentation im Hinblick auf Quellen und Sekundärliteratur ist reichlich und gründlich. Ich konzentriere mich hier auf den zweiten Band der Trilogie (Christianizing the Roman Empire); dort werden die Argumente des ersten Bandes zusammengefasst und die wichtigsten Überlegungen des dritten Bandes angedeutet. Vgl. auch ders., Two Types of Conversion to Early Christianity, in: ders., Changes in the Roman Empire. Essays in the Ordinary, Princeton 1990, 130-41; ders., »What Difference Did Christianity make? «, in: ders., Changes in the Roman Empire, 122-155. ' MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 6-7 meint, dass Harnack (wie auch A.D. Nock oder G. Bardy) ein ,idealisierendes< Geschichtsbild präsentieren, da sie sich nicht genügend von der Tendenz der antiken christlichen Quellen distanzieren. 10 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 28: » The manhandling of demons humiliating them, making them howl, beg for mercy, tel1 all their secrets, and depart in a hurry served a purpose quite essential to the Christian definition of monotheism: it made physically (or dramatically) visible the superiority of the Christian's patron power over all others. One and only one was God.« 11 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 86-101. Vgl. Ders., Christianity and Paganism, Kap. 2. 12 S. MacMullen, Distrust in the Mind in the Fourth Century, in: ders., Changes in the Roman Empire, 117-129. In diesem Artikel schaltet sich MacMullen auch in die einschlägige Debatte über die kulturgeschichtliche Berechtigung des Begriffs ,Spätantike, ein, die durch Beiträge von Gelehrten wie z.B. Henri-Irenee Marrou und Peter Brown geprägt wurde (vgl. dazu nur M. Vessey, The Demise of the Christian Writer and the Remaking of ,Late Antiquity<: From H.-1.Marrou's Saint Augustine (1938) to Peter Brown's Holy Man (1983), in: Journal of Early Christian Studies 6,3 [1998], 377-411). MacMullen zeigt sich bemerkenswert unbeeindruckt von Peter Brown's bekannter Kritik an einem ,Zwei- Stufen-Modell, (two-tier model) der Religion, das zwischen der Religion der Elite und dem Aberglauben der Massen zu unterscheiden sucht. Für den robusten Rationalismus, der MacMullens Geschichtsbild fundiert, ist folgende ad hominem Argumentation recht charakteristisch: »I agree (... ) with the >two-tier model" since it is not easy for me to imagine people who have received however little training in logic, abstract thought, analytic observation (... ) being argued out of their habit being reasoned out of their respect for rationality. Far easier to imagine them being ordered out of it (... ) by the voice of authority issuing from the mass of the people and announcing views naturally at home among the masses.« (art.cit., 127-8; Kursivierung im ZNT 15 (8. Jg. 2005) Original). Vgl. jetzt Antiquite Tardive 9 (2001), ein Band, der ganz dem Thema der ,Demokratisierung, der Spätantike in ihren verschiedenen Aspekten gewidmet ! St. 13 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 5: » ... an unmanageably broad range of psychological phenomena, of which the most historically significant need not have been at all intense or complicated intellectually.« 14 MacMullen, Christianity and Paganism, 103-150.154: Das Christentum wurde in dieser Zeit zu einer »full service religion.« 15 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 10-16. Vgl. auch ders., Christianity and Paganism, 32. 16 Freilich muss fairerweise bemerkt werden, dass die Darstellung im ersten Band der Trilogie (Paganism in the Roman Empire) differenzierter ist und explizit auch auf dynamische Elemente des Heidentums eingeht. MacMullen ist sich sehr bewusst, wie lückenhaft der Quellenbefund ist und wie schwer es ist, zu generalisierenden Schlussfolgerungen zu kommen. 17 MacMullen, Christianity and Paganism, 159. MacMullens Sicht ist in gewisser Hinsicht das Spiegelbild von derjenigen Harnacks: Nach MacMullen siegte das Christentum, weil es heidnisch wurde, wohingegen Harnack glaubte, dass das Christentum, indem es die konkurrierende heidnische Religiosität zusammenfassend überbot, Heidnisches in produktiver Weise >verchristlichte<. 18 R. Stark, The Rise of Christianity. A Sociologist Reconsiders History, Princeton/ NJ 1996. Der Untertitel wurde vom Verleger vorgeschlagen, s. Stark, E Contrario, in: Journal of Early Christian Studies 6,2 (1998), 259- 267: 262. 19 Hier kann die Religionstheorie, die Stark in nunmehr zahlreichen Artikeln und Büchern entwickelt hat, natürlich weder in extenso dargelegt noch kommentiert oder kritisiert werden. Einen guten Eindruck vermittelt z.B. R. Stark/ R. Finke, Acts of Faith. Explaining the Human Side of Religion, Berkeley/ Los Angeles/ London 2000. 20 Stark/ Finke, Acts of Faith, 27-31. 21 Man möge aber beachten, dass Stark sich dagegen wehrt, umstandslos als >rational-choice,-Theoretiker klassifiziert zu werden, vgl. Acts of Faith, 41. 22 S. z.B. die Erwägungen bei Harnack, Mission und Ausbreitung, 529-52. 946-58. 23 Stark, The Rise of Christianity, 4-13. Die theoretische Nützlichkeit von Starks Modell wurde von Keith Hopkins bestätigt, der im Hinblick auf die Demographie des Römischen Reiches einer der methodisch innovativsten Gelehrten gewesen ist, vgl. Hopkins, Christian Number and Its Implications, in: Journal of Early Christian Studies 6,2 (1998), 185-226: 192 ff. (man vergleiche den >speculative graph, auf S.193 mit der Tabelle von Stark, The Rise of Christianity, 7). Hopkins betont freilich zu Recht den spekulativen Charakter des quantitativen Modells: »Of course, in reality, Christian membership fluctuated.« (S. 194) »Let me stress once again, that these are not truth statements; they are crude probabilities attached to a very rough order or magnitude. They are numerical metaphors, good for thinking about Christians with.« 24 Stark, The Rise of Christianity, 7-8. Hopkins, Christian number, 195-98 versucht weiter zu differenzieren. 25 Stark, The Rise of Christianity, 12f. Dies passt zu Starks 33 Überzeugung, dass es Konstantins Privilegierung des Christentums gewesen sei, welche das Christentum daran gehindert habe, Europa wirklich durchgreifend zu christianisieren. 26 Hopkins, Christian Number, 202.213; Stark signalisiert seine Zustimmung, s. E Contrario, 260. 27 Stark, E contrario, 260; vgl. Hopkins, Christian Number, 207-213. 28 Stark, The Rise of Christianity, 14. Vgl. auch 208: »Christianity did not grow because of miracle working in the marketplaces (althought there may luve been much of that going on), or because Constantine said it should, or even because the martyrs gave it such credibility. lt grew because Christians constituted an intensive community ... «(kursiv i. 0.). 29 Stark, The Rise of Christianity, 73-94. Stark widmet auch ein Kapitel der Rolle der christlichen Frauen für das zahlenmäßige Wachstum des antiken Christentums (95-128); dabei meint er u.a., dass die christliche Geburtenrate signifikant höher als die heidnische war. Diese Überlegungen sind mit einiger Skepsis aufgenommen worden, vgl. MacMullen, Christianity and Paganism, 164 (Anm.13); Hopkins, Christian number, 204-207: 204-5, Anm. 40 u. 41. 30 Stark, The Rise of Christianity, 213-4. Stark betont wie Harnack, dass das Christentum das Judentum übertraf, weil es als universale Religion die Volksgrenzen überschritt, aber er konzediert wie Harnack dass es universalistische Tendenzen im antiken Judentum gab. 31 Stark, The Rise of Christianity, 209ff.210 (hier das Zitat). Wenn ich ihn recht verstehe, stimmt Stark hier mit Kautelen - Harnacks Sicht zu. 32 Stark, The Rise of Christianity, 167: »compensators for rewards that are scarce of unavailable.« 33 Stark, The Rise of Christianity, 169. Starks Argumente erinnern an Pascals Wette ein berühmtes Beispiel für eine religiöse Argumentation, die mit Hilfe von >rational choice< motivieren will. 34 Stark, The Rise of Christianity, 194f. betont, dass ,religiöse Firmen, sich nicht auf die passive Erfüllung der Wünsche ihrer ,Kunden, beschränken (dies kommt MacMullens Bild nahe), sondern selbst die religiöse Nachfrage beeinflussen. Vgl. MacMullens in Anm. 14 zitierte Bemerkung. 35 Dies leugnet nicht, dass Stark Anstrengungen unternimmt, seine Theorie auf europäische Verhältnisse anzuwenden. Aus seiner Überzeugung, dass es Amerika in religiöser Hinsicht allemal besser habe, macht er dabei durchaus keinen Hehl. 36 Von der Soziobiologie sind über kurz oder lang rivalisierende Theorieangebote zu erwarten, vgl. z.B. W. Burkert, Creation of the Sacred. Tracks of Biology in Early Religions, Cambridge/ Mass. - London 1996. 37 Hier stimme ich Hopkins, Christian Number, 185-6 zu. 38 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 6-9. 39 A World full of Gods. Pagan, Jews and Christians in the 34 Roman Empire, London 1999. Ich erinnere mich gerne an zahlreiche Diskussionen mit Keith, sein Buch bezeugt nicht nur seine so lebendige und so inspirierende Neugierde (die ich sehr vermisse), sondern es vermittelt auch mit seinen vielen Idiosynkrasien etwas von dem undogmatischen Postmodernismus, der in Cambridge am Ende des 20.Jahrhunderts in Teilen der Geisteswissenschaften herrschte. 40 Während Stark den Aufstieg des Christentums mit demjenigen einer Firma in einer deregulierten Ökonomie vergleicht, sieht Hopkins, A World full of Gods, 79f. Parallelen zur chinesischen Revolution. 41 Hopkins, A World full of Gods, 4. 42 Hopkins, A World full of Gods, 6. 43 Hopkins, A World full of Gods, 6 charakterisiert sein Buch folgendermaßen: »The structure of the book is like a triple helix of multi-coloured and interwoven strands.« Die verwendete Metapher spielt übertrumpfend auf die berühmte ,double helix< an, die DNA- Struktur, die 1953 in Cambridge von Watson und Crick entdeckt wurde. 44 MacMullen, Christianizing the Roman Empire, 16: » ... a very spongy, shapeless, easily penetrated structure of beliefs ... « »... the empire seemed positively to invite a sharply focused and intransigent creed ... « 45 Stark, The Rise of Christianity, 196-202. 46 J. Scheid, Religione e societa, in: A. Schiavone, Storia di Roma. Vol. 4: Caratteri e morfologia, Torino 1989, 631- 659: 659. Vgl. nun G. Stroumsa, Mutations religieuses de l'antiquite tardive, Paris (erscheint in Kürze). 47 J. Scheid, Religione e societa, 659. 48 In dieser Hinsicht finden sich z.B. bei Keith Hopkins einander leicht widersprechende Aussagen: a) A World full of Gods, 335: »For most, being a Christian may have mattered more than believing.« (kursiv i.O.) b) Christian Number, 218: »But the very idea that correct belief identified the true Christian(... ) became entrenched as a core defining characteristic of early Christianity. (... ) The centrality of correct dogma, as a defining characteristic of Christian praxis, was a religious innovation.« 49 Eine vergleichende Betrachtung der Rolle platonischer Philosophie in christlichen und heidnischen Theologien sowie besonders in christlicher und heidnischer Schrifthermeneutik ist ein Desiderat der Forschung. 50 So schon A.D. Nock, Conversion: The Old and the New in Religion from Alexander the Great to Augustine of Hippo, Oxford 1933, 15: »Genuine conversion to paganism will appear in our inquiry only when Christianity had become so powerful that its rival was, so to speak, made an entity by opposition and contrast.« 51 Vgl. Hopkins, A World full of Gods, 279-282, der anläßlich der Erörterung der berühmten Inschrift des zoroastrischen Hohepriesters Kartir auf einem Felsen in der Nähe von Persepolis bemerkt: »Rome and Iran, two competing world powers (... ) both embarked on similar policies of religious centralisation and exclusivism at roughly the same period.« 52 S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society 200 B.C. to 640 C.E., Princeton/ NJ 2001. 53 D. Boyarin, Borderlines: The Partition of Judaeo- Christianity, Philadelphia 2004. Die Gültigkeit der Vorschläge von Schwartz und Boyarin muss erst noch in einer gründlichen gelehrten Debatte getestet werden. 54 Vgl. Hopkins, A World full of Gods, 79, der abweichend meint: »The Christian revolution (... ) was a revolution principally in symbolism and ideology.« 55 Die zitierte Phrase bei Hopkins, Christian number, 204 (Anm.40). 56 Die weitere Frage der Abgrenzung von Magie und Religion (falls das überhaupt trennscharf möglich ist) sei hier nur erwähnt. ZNT 15 (8.Jg. 2005)