ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2005
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Dronsch Strecker VogelWunder und Mission in ethnologischer Perspektive
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2005
Werner Kahl
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Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive 1. Einführung: Ethnologie und Neues Testament Ethnologie ist die » Wissenschaft vom kulturell Fremden«. 1 In ihr werden Methoden entwickelt und erprobt, die ein angemessenes, d.h. ein der jeweiligen Innenperspektive gerecht werdendes Verstehen von Ethnien durch fremdkulturelle Beobachter zum Ziel haben. Die Geschichte der Ethnologie führt die besondere Problematik des Verstehens von fremden Kulturen vor Augen. Bedeutet das Verstehen kontemporärer fremder Kulturen d.h. ein Nachvollziehen der Funktionen beobachtbarer Phänomene innerhalb ihres jeweiligen Systems für den dazu fremdkulturellen Ethnologen eine beträchtliche Herausforderung, so verschärft sich die Problematik des transkulturellen Verstehens in Bezug auf Kulturen der Vergangenheit. Denn anders als im ersten Szenario lassen sich Verständnisversuche im letzteren Fall nicht durch Nachfrage auf ihre Angemessenheit hin überprüfen. Stellt die Eruierung der intentio operis in Bezug auf einen Text mitunter schon ein komplexes und umstrittenes Unterfangen dar vgl. die exegetische Literatur -, so potenzieren sich die Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion vergangener Sinn- und Lebenswelten fremder Kulturen, wie sie uns in den Texten des Neuen Testaments begegnen. Insbesondere die Bruchstückhaftigkeit der auf uns gekommenen Zeugnisse der Antike im Allgemeinen und des Frühchristentums im Besonderen lädt zu ethnozentrischen und anachronistischen Eintragungen beim Verstehens- und Rekonstruktionsprozess geradezu ein. Neutestamentliche Forschung wird gut daran tun, sich die in der Ethnologie bzw. Kulturanthropologie als wesentlich erachtete methodologische Unterscheidung zwischen / emisch/ und / etisch/ zu eigen zu machen und konsequent durchzuhalten. 2 Sie dient einem angemessenen Verstehen fremder Kulturen unter möglichst effizienter Ausblendung fremdkultureller Kategorisierungen und Wertungen auf Seiten der Forscher. Eine emische Herangehensweise ist daran interessiert zu verstehen, wie ZNT 15 (8. Jg. 2005) ein Phänomen innerhalb seines Systems funktioniert sie fragt nach den Funktionen einer Handlung oder eines Motivs im gesetzten Kontext -, während sich eine etische Analyse auf die Inventarisierung beobachtbarer Merkmale aus der fremdkulturellen Perspektive beschränkt. 3 Die Missachtung der Funktionen eines Phänomens innerhalb seines Kontextes einhergehend mit der nicht-bewussten Reflexion und Bewertung des Phänomens innerhalb des Referenzsystems des betrachtenden Subjekts-, führt nicht nur zu einer verzerrten Rekonstruktion, sondern provoziert geradezu ein Unverständnis gegenüber dem betrachteten Sachverhalt bzw. den ihn zu verantwortenden Subjekten: »Menschen einer Nation ( oder Klasse oder Gesellschaft, usw.) können anderen manchmal als >unlogisch< oder ,dumm< oder >unverständlich< erscheinen, und zwar aus dem einfachen Grund, dass der Beobachter (... ) einen fremdkulturellen Standpunkt einnimmt, aus welchem er ihre Handlungen wahrnimmt er also nicht die emischen Strukturen ihres offenen oder verdeckten Verhaltens zur Kenntnis nimmt.« 4 Dieser »alien standpoint« wird gegenüber den auf uns gekommenen schriftlichen Zeugnissen des Frühchristentums im ntl.-exegetischen Diskurs Wunder und Mission bis in die Gegenwart hinein unreflektiert eingenommen, wie ich im Folgenden anhand ausgewählter Problemfelder aufweisen möchte. Die sich anschließenden Ausführungen verstehen sich als ethnologisch informierte Klärungen, die problematische Vorentscheidungen innerhalb der Exegese benennen und den Weg zu einem angemesseneren Zugang und Verständnis von Wundern und ihrer Relevanz für die Ausbreitung des Christentums in der Antike ebnen wollen. 2. Wirklichkeitsinterpretation und Wunderverständnis Menschen der mediterranen Antike haben Welt entschieden anders erlebt, gedeutet und mani- 35 puliert als Menschen der westlichen Moderne. Erstere wussten sich hinsichtlich ihres gesellschaftlichen, familiären und individuellen Lebens bezogen auf das Wirken numinoser Mächte. Die sichtbare Welt wurde als in größere unsichtbare Zusammenhänge jener Wirkmächte eingebettet vorgestellt. Der moderne Mensch hingegen erklärt sich die Welt ohne jeggute d.h. lebensfördernde wie böse d.h. lebensbedrohliche -, können müssen aber nicht! in innerweltlich beobachtbaren Abläufen involviert sein. Auf sie kann eingewirkt werden sei es durch Gebet, Opfergaben oder magische Mittel-, und der Mensch kann sich entsprechend der Weisungen der Götter bzw. Gottes verhalten. Insofern ist es angemessener, von einem lichen Rekurs auf schicksalhafte Kräfte oder personal gedachte Geistwesen. Seine Deutung von Welt wähnt er als »aufgeklärt« und vernünftig, jene antiken wie ihnen ähnliche kontemporäre, etwa afrikanisch-traditionelle Vorstellungen hingegen erachtet er tendenziell als »voraufgeklärt« bzw. primitiv. Al- »Allerdings indiziert die in diesem Zusammenhang vorausgesetzte Opposition / rational/ versus / irrational/ ins numinos Unsichtbare erweiterten Realitätsbegriff in der Antike und wie etwa auch im traditionellen Westafrika zu sprechen. 6 sowohl ein Unverständnis wie eine gewisse Überheblichkeit gegenüber Menschen anderer Wenn griechische Begriffe, die wir mit / Wunder/ wiedergeben (dynameis, thauma, semeion, teras), 1 auf Manifestationen des Wirkens Kulturen ... « lerdings indiziert die in diesem Zusammenhang vorausgesetzte Opposition / rational/ versus / irrational/ sowohl ein Unverständnis wie eine gewisse Überheblichkeit gegenüber Menschen anderer Kulturen bzw. Epochen auf Seiten der modernen Betrachter. Ethnologen wie Robin Horton ist die an der emischen Betrachtung afrikanischer Kosmologien gewonnene Einsicht zu verdanken, dass sich jene in keinster Weise von westlich-wissenschaftlichen Welterklärungsmodellen hinsichtlich des Rationalitätsvermögens ihrer Proponenten unterscheiden, die hier wie da logisch-kausale Verknüpfungen anstellen, um Phänomene zu erklären bzw. vorherzusagen.' In der Antike wird die Wirklichkeit nicht weniger rational als im modernen Westen begriffen. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass modernes, wissenschaftliches Denken die Existenz personal gedachter, numinoser Wirkmächte a priori ausschließt und unter eben dieser Voraussetzung eine in sich schlüssige Welt konstruiert. Die Rationalität antiker - und dasselbe gilt für afrikanisch-traditionelles Denken - Wirklichkeitswahrnehmung und -interpretation erschließt sich aus der vorausgesetzten Nachvollziehbarkeit und begrenzt-möglichen Voraussagbarkeit beobachtbarer Phänomene, und zwar unter der in Erlebnissen gründenden Annahme der Existenz numinos wirksamer Personalmächte. Auch hier funktioniert die Welt nach festen Gesetzen und Abläufen. Der Mensch sieht sich nicht einem Chaos ausgesetzt. Numinose Mächte, 36 menschliche Möglichkeiten übersteigender Kraft verweisen,' die zudem auf personal gedachte numinose Wesen zurückgeführt werden, so widersprechen Wunderberichte der modernen Welterfahrung. Wurden sie in der Antike wie in kontemporären außereuropäischen Kulturen nicht nur als reale Möglichkeiten erachtet, sondern als solche erlebt und kommuniziert, so wird ihnen aus moderner Perspektive jeglicher Realitätsbezug abgesprochen: Wunder erscheinen als absolute Unmöglichkeiten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese Vorentscheidung wird einmal unreflektiert in die ntl. Text- und Lebenswelt hineinprojiziert zum Generator einer Reihe von Fehldeutungen. 2.1. Schon die Kategorie / Wundererzählung/ in Anwendung auf die Zeugnisse des Frühchristentums ist problematisch, orientiert sie sich doch ausschließlich an dem, was in der Modeme für möglich bzw. unmöglich gehalten wird. Das uns unmöglich Erscheinende der synoptischen Darstellungen des Auftretens Jesu -wie etwa Totenauferweckungen, Seewandel, Brotvermehrung: hier würden die Naturgesetze aufgehoben wird dieser Kategorie subsumiert. Dabei wird verkannt, dass in antiker Perspektive das gesamte Wirken Jesu, wie es in den Evangelien zur Darstellung kommt, als Ausdruck seiner numinosen Befähigung (vgl. Mk 1,9-11) erscheinen konnte. Ich gebe hier nur zwei Beispiele an: Wenn in Mk 1,16-20 beschrieben wird, wie Jesus vier Fischern, zu denen wohl vorher keine persönliche Bezie- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Werner Kahl Werner Kahl, geb. 1962, erwarb seinen PhD 1992 an derEmory University in Atlanta mit einer Dissertation zur strukturalen Analyse antiker, inklusive neutestamentlicher Wunderheilungserzählungen. Nach einigen Jahren gemein~ depastoraler Tätigkeit war er von .1999 bis 2001 als DFG-Stipendiat zu Feldforschungszwecken in Ghana, um eine ethnologisch informierte Habilitationsschrift zur Interpretation des NT aus westafrikanischer Perspektive zu erarbeiten. Zu jener Zeit Dozentfür NT an der University of Ghana. Von2002 bis 2004 Vertretungsprofessor für NT an der Universität Kassel. 2004 Habilitation am Fachbereich Ev. Theologie der Universität Frankfurt. Zur Zeit Lehrbeauftragter für NT und Griechisch an der Universität Kassel. Gemeindepfarrer der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck. Veröffentlichungen vor allem zur Wunderfrage in Antike und Gegenwart und zum afrikanischen Christentum. hung bestand, befiehlt, ihm nachzufolgen und sie diesem Befehl sofort Folge leisten, wobei die Zebedaiden zudem noch ihren Vater die bisherige Autoritätsperson in ihrem Leben bei der Arbeit zurücklassen, so wäre auch dies im antiken Sinne eine »Wundererzählung«. Dasselbe gilt für die Lehre Jesu, die deutlich in Mk 1,23-28 / / Lk 4,31-3 7 auf derselben Ebene wie seine dort geschilderte Dämonenaustreibung als Hinweis auf seine Ausstattung mit menschlichen Möglichkeiten vgl. den Vergleich mit den Schriftgelehrten übersteigender Macht (exousia) gedeutet wird. Entsprechend reagieren die Anwesenden auf beides identisch, d.h. mit Erschrecken (Mk 1,27; vgl. V. 22). In der exegetischen Literatur zum Wunderthema allerdings wird weder die Lehre noch außerhalb des Exorzismus die Befehlsgewalt Jesu diskutiert, ganz abgesehen von der Berück- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive sichtigung seines numinosen (Vorher-)Wissens (vgl. Mk 4,11; 8,31; 11,lf.) oder seiner erstaunlichen Argumentationskunst und Schlagfertigkeit, die seine gebildeten Gegner regelmäßig zum Schweigen bringt (vgl. etwa Mk 11,27-33). 9 Ein Durchgang durch die gesamte Erzähl- und Briefliteratur des NT unter der hier vorausgesetzten Wunderdefinition ergäbe darüber hinaus, dass sich kaum eine Handlung von Jesus oder auch beispielsweise von Paulus, der seine Verkündigung unter den Heiden auf göttliche Berufung und Bewahrung zurückführt, aus emischer Perspektive unter Absehung des Wirkens einer numinosen Macht, d.h. hier Gottes, verstehen ließe: Hier wie da kommt der Plan Gottes durch Jesus bzw. durch Paulus zur Entfaltung (vgl. etwa Mk 8,31; Apg 1,8; 9,15; 16,9f.; Röm 1,5; Gal 1,15f.). Somit wird in den Schriften des NT eine einzige »Wundergeschichte« in variantenreichen Konkretionen bzw. Aktualisierungen bezeugt und beschrieben, i.e. die potentiell aus Todesverfallenheit zum Leben errettende Zuwendung des in den Schriften des Judentums verehrten Schöpfergottes hin zur gesamten Menschheit. Im bisher vorherrschenden Umgang mit ntl. Wundern aus moderner Perspektive bestätigt sich die folgende Beobachtung des amerikanischen Linguisten und Anthropologen Edward Sapir (1884-1939), auf den die Unterscheidung von / emisch/ versus / etisch/ der Sache nach zurückgeht: 10 In der Beschreibung von Verhaltensweisen von Stammesangehörigen durch einen fremdkulturellen Beobachter wird dieser hervorheben, was aus seiner Perspektive interessant bzw. abwegig erscheint, was aber aus emischer Perspektive als nicht wesentlich erachtet werden muss. Er wird also »völlig darin versagen, die entscheidenden Wendepunkte in dem Verlauf des Geschehens wahrzunehmen, die dem Ganzen aus der Perspektive derer, die den Schlüssel zu seinem Verständnis besitzen, seine entscheidende Bedeutung verleihen«." 2.2. So wenig wie der moderne Wunderbegriff oder die Kategorie der Wundererzählung einer angemessenen Erfassung dessen dienen, was in der Antike im Allgemeinen und im Frühchristentum im Besonderen unter Wunder verstanden werden konnte bzw. worum es im Einzelnen in der Kommunikation von Erzählungen, die Wundermotive aufweisen, ging, so wenig vermag die 37 formgeschichtliche Differenzierung von Wundererzählungen in Exorzismen, Therapien, Normwunder, Rettungswunder, Geschenkwunder und Epiphanien zu überzeugen. Es handelt sich hierbei um eine leicht widerlegbare, an Motiven orientierte Einteilung, die nicht nur aus antiker Perspektive nicht nachvollziehbar ist. Zunächst ist die Behauptung, dass »antike Wundergeschichten (... ) einem charakteristischen Erzählmuster verpflichtet« seien, 12 literaturwissenschaftlich unhaltbar.ll Sogenannte Wundergeschichten weisen formal bzw. besser struktural keinerlei Unterschiede zu anders-thematischen Erzählungen auf. Sodann sperren sich selbst die herkömmlicher Weise als Wundergeschichten bezeichneten Erzählungen einer Aufteilung in sechs Untergruppen. Anhand einiger Beispiele möchte ich diese Aufteilung ad absurdum führen: Die Erzählung von der Heilung einer verkrümmten Frau am Sabbat (Lk 13, 10-17) üblicher Weise als Heilungswunder/ Therapie deklariert impliziert einen Exorzismus, denn sie war von einem Krankheit verursachenden Geist bzw. vom Satan »gebunden« gewesen, aus dessen Fesseln Jesus sie löste; übrigens durch Handauflegung eine Manipulation, die Jesus in der exegetischen Literatur gemeinhin in Bezug auf Exorzismen abgesprochen wird. Gleichzeitig ist diese Szene mit einem Streitspruch zu modernen Erklärungsmustern ein Exorzismus vorausgesetzt. Trotzdem wird diese Erzählung gewöhnlich der Kategorie Naturbzw. Rettungswunder zugeordnet. Im NT hingegen wird nicht nur das unerwartete Überleben in Seenot (vgl. Apg 27,20.31) als Resultat einer lebensrettenden Aktivität (gr. »sozein«) beschrieben, sondern insbesondere auch Heilungswunder bzw. Exorzismen (vgl. etwa Mk 5,23.28.34 par; 6,56 par; 10,52 par; Lk 8,36; 17,19; Apg 4,9; 14,9). Es wird deutlich, dass die Einteilung nach »gattungstypischen Merkmalen« 14 willkürlich und an einem modernen Weltbzw. Naturverständnis orientiert ist und ein Verstehen dessen, was in den ntl. Erzählungen gemeint ist, eher verhindert als fördert. » Wundererzählung« inklusive ihrer U ntergruppen ist deshalb m.E. als sinnvolle exegetische Kategorie nicht mehr weiter zu bemühen. In allen in sich abgeschlossenen Einzelerzählungen der Evangelien und der Apostelgeschichte die im Zusammenhang des jeweiligen Makrotextes selbstverständlich ko-textuell über sich hinausweisen -, in denen ein Wundermotiv begegnet, wird von Fall zu Fall nach den Funktionen dieses Motivs in engeren und weiteren Ko-Texten zu fragen sein. Eine Funktion müsste dabei allerdings durchgängig mitbedacht werden: Im NT begegnende Wundermotive gespräch verschachtelt, in dessen Verlauf Jesus autoritativ klärt, dass ein zur Heilung führender Exorzismus am Sabbat rechtens sei. Auch bei der Heilung der Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29- 31) liegt ein durch Berührung »Es wird deutlich, dass die Einteilung nach >gattungstypischen Merkmalen< willkürlich und an einem modernen Weltbzw. Naturverständnis bzw. Wunderhandlungen verweisen auf die Präsenz der göttlichen Wundermacht, die in (Mk, Mt, Joh) bzw. durch (Lk, Apg)15 Jesus und durch die Apostel wirkt. Insofern kommt diesbezüglichen Einorientiert ist ... « provozierter Exorzismus vor, wie dem modernen Betrachter leicht entgeht, wie aber die lk. Interpretation der Perikope (Lk 4,38f.) eindeutig belegt: Denn in dieser Version fährt Jesus das Fieber wie sonst Dämonen (vgl. etwa Mk 1,25 / / Lk 4,35) lautstark an (gr. »epitimao«) auszufahren, und es verhält sich entsprechend. Eben diese Tätigkeit des Anschnauzens legt Jesus auch in der Erzählung von der Sturmstillung an den Tag (Mk 4,35-41), mit dem Resultat, dass der Wind nachlässt (vgl. zur antiken Vorstellung Odyssee 5,383: Die Göttin Athene befiehlt den Winden auf dem Wasser nachzulassen, so dass Odysseus sicher ans Land gelangen kann). Auch hier ist im Wider- 38 zelerzählungen immer auch eine Erweisfunktion zu: Die Wunderfähigkeit J esu gründet ultimativ in seiner diesbezüglichen Ausstattung durch Gott bzw. Gott - oder der erhöhte Christus erscheint in Bezug auf die Apostel als der eigentliche, transzendente Wundertäter. 2.3. Mit der Differenzierung von » Wundererzählungen« in sechs Untergruppen geht ein Urteil über die Historizität des jeweils geschilderten Ereignisses einher: Bei Exorzismen, Therapien und Normwundern wird vermutet, dass hierbei auf den historischen Jesus zurückgehende Handlungen reflektiert vorliegen könnten, was für Rettungswunder, Geschenkwunder und Epiphanien ausgeschlossen wird, denn hierbei handelte es sich ZNT 15 (8. Jg. 2005) um » Produkte des nachösterlichen Glaubens«. 16 Kriterium dieser Differenzierung ist die moderne Übereinkunft darüber, was als menschenmöglich bzw. -unmöglich zu erachten sei. Dabei wird a priori ein numinoses Einwirken als absolute Unmöglichkeit abgetan. Selbstverständlich wird auch aus dieser Perspektive nicht damit gerechnet, dass es Jesus wirklich aufgrund einer ihm zur Verfügung stehenden göttlichen Wundermacht vermochte, Menschen zu heilen bzw. Dämonen auszutreiben. Zugestanden wird, dass er seinen Zeitgenossen als Exorzist bzw. als Schamane erscheinen musste. Quellenkritisch wird dieses Urteil mit einem Verweis auf die sog. Logienquelle Q untermauert, denn hier lägen nur zwei kurze, im Grunde nur angedeutete und relativ unspektakuläre Wundererzählungen vor, und zwar in Form einer Fernheilung (Lk 7,1-10 par) und einer Exorzismusheilung (Lk 11,14 par). Wenn Jesus aber seine Fähigkeit, böse Geister zu vertreiben, als Hinweis auf die Präsenz der Königsherrschaft Gottes verstanden wissen will (Lk 11,20 par) und diese seine Fähigkeit auf die ihm zur Verfügung stehende göttliche Wundermacht zurückführt (ebd.: mit dem Finger Gottes; bzw. Mt 12,28: im Geist Gottes), dann ist der Befund von nur zwei narrativ ausgeführten Heilungen als zufällig zu werten und bei einer vorausgesetzten Spruchquelle Jesu sollte es sie denn überhaupt gegeben haben(! ) nicht weiter verwunderlich. 1' Allerdings sollte zur Kenntnis genommen werden, dass die Sprüche, die der Logienquelle zugeordnet werden, in Zusammenhang mit der angekündigten Nähe der Heil bringenden Gottesherrschaft neben Exorzismen (vgl. auch Lk 11,24-26 par) mit weiteren Wundern rechnen, u.a. die sättigende Speisung der Hungernden und die ultimative Tröstung der Trauernden (Lk 6,21f. par), Heilungen und Totenauferweckungen (Lk 7,22 par; vgl. auch Lk 10,9 par) und das numinose WissenJesu über Gott (Lk 10,22 par). Grundsätzlich ist nämlich auch in diesen Sprüchen das im Judentum nicht angezweifelte Wissen über die alles vermögende Wundermacht Gottes vorausgesetzt, der selbst aus Steinen Kinder für Abraham erwecken könnte (gr. »dynatai ho theos« ), wenn er nur wollte (Lk 3,8 par). Es wird zu bedenken sein, dass sämtliche Wunder, die Jesus in den Evangelien zugeschrieben werden, den Glauben daran bezeugen, dass in ihm die Wundermacht Gottes wirkte. Dass sich ZNT 15 (8. Jg. 2005) Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive Gustave Dore, Christus wandelt auf dem See, um 1866, Holzstich. Illustration für die Prachtausgabe der Bibel in frz. Sprache aus dem Verlag Tours von Alfred Marne. zu seinen Lebzeiten an der Provenienz seiner Wunderfähigkeit eine Kontroverse entzündete, nicht aber daran, dass er Wunder zu tun vermochte, wird in Lk 11,14-23 par anschaulich. Eine Differenzierung in mehr oder weniger mögliche Wunder lässt sich im Frühchristentum nicht ausmachen.18 Dass Jesus als von Gott mit Vollmacht Ausgestatteter Wunder ganz unterschiedlicher Qualität zu vollbringen vermochte, musste sich unter den an ihn als solchen Glaubenden allgemeiner Plausibilität erfreuen. 2.4. Der Glaube an Wunder und Magie ist weder in der Antike noch in kontemporären außereuropäischen Kulturen eine Vorliebe der »untere(n) soziale(n) Schichten«, noch »dienen (Wundergeschichten) der Unterhaltung« und sie sind auch nicht »Symbolhandlungen der kleinen Leute, mit denen diese ihrer Not entgegenwirken und Zuversicht für deren Überwindung gewinnen«, wie jüngst Bernd Kollmann in dem ntl. Wunderartikel der TRE bekundet, und zwar präsentisch, d.h. mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit formuliert. 19 Ethnologische Feldforschungen belegen eindeutig, dass das Rechnen mit Wundern und die Anwendung magischer Mitteletwa djudju bzw. Voodoo in Westafrika nicht nur innerkulturell quer durch alle Bildungsschichten einschließlich im Westen ausgebildeter naturwissenschaftlicher Universitätslehrer hindurch allgemein plausibel ist, sondern beides als real bzw. wirksam erlebt wird. 20 Eine Differenzierung ist allenfalls möglich hinsichtlich der Bereit- 39 schaft, in mehr oder weniger Einzelfällen von Krankheit oder Heilung bzw. zu verschiedenem Ausmaß die Involvierung numinoser Mächte zu veranschlagen. Was diese Beobachtungen an außereuropäischen Kulturen der Gegenwart nahe legen, wird etwa durch Plinius den Älteren und durch Cicero für die mediterrane Antike bestätigt: Die Furcht, von Verfluchungen getroffenen zu werden, war allgemein verbreitet, und selbst für »fast alle Vertreter der römischen Philosophie, die aus der Oberschicht stammen« ist eine kognitive Dissonanz zwischen »philosophischer Reflexion und Alltagshandeln«, 21 das durch Divination und kultische Rituale geprägt war, festzustellen. Im Neuen Testament wird im Adressaten des lk. Doppelwerks - Theophilos wohl ein Repräsentant der Oberschicht greifbar. Als gemeinsames kulturelles Wissen setzt Lukas auch bei ihm ganz selbstverständlich die Überzeugung von der Realität von Wundern voraus. Und auch Paulus darf als pharisäischer Gelehrter seiner Zeit gelten, der im Übrigen ganz wie Philo von Alexandrien mit Wundertaten Gottes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft rechnet. Die seit den Anfängen der formgeschichtlichen Forschung vor gut einhundert Jahren bis in die Gegenwart hinein tradierte Vermutung, Geschichten über Rettungswunder wären zu Unterhaltungszwecken gerne am abendlichen Lagerfeuer weitererzählt worden, geht an der Realität der Sorge um das konkrete Überleben von Menschen in oft aussichtsloser Not, die sich wirksame Hilfe nur durch die Involvierung numinoser Geistmächte erhoffen konnten, völlig vorbei. Es handelt sich für diese Rezipienten bei »Wundererzählungen« nur dann um »Hoffnungsgeschichten«, wenn sie mit real gemachten Rettungserfahrungen konvergieren und Rettung im konkreten Einzelfall in Aussicht stellen andernfalls verlieren sie jegliche Plausibilität und Relevanz. Als Wundergeschichten, die rein ideell »zeitlos gültige Bilder der Hoffnung in sich« trügen und »eine bessere Welt« einklagten, 22 hätten sie in der Antike nicht zur Attraktivität des Christentums beigetragen. Heutzutage wächst das Christentum übrigens in so unterschiedlichen Gesellschaften wie in Südkorea, China, Lateinamerika und Westafrika vor allem aufgrund von Wunderheilungserfahrungen rapide an. 40 3. Wunder und Mission In dem exegetischen Diskurs um Wunder und Mission sind im 20. Jh. vor allem zwei Blickwinkel entscheidend prägend gewesen: Zum einen eine konsequent »religionsgeschichtliche« Betrachtung des Frühchristentums, einhergehend mit der beinahe exklusiven Aufwertung hellenistischer, griechisch-römischer Parallelen zu Phänomenen, die im Neuen Testament beschrieben sind. Zum anderen eine sach-kritische Diskreditierung des Wunderglaubens als letztlich unchristliche Glaubensäußerung, die schon 1m Neuen Testament selbst, und besonders bei Paulus und Johannes, Kritik erfahren habe. Aus diesen zwei Perspektiven heraus ist das wohl einflussreichste exegetische Werk zu Wunder und Mission im 20. Jh. geschrieben worden, i.e. Dieter Georgis »Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief« 23 aus dem Jahr 1964. Im ausführlichen Nachwort zur mehr als zwanzig Jahre später erschienenen englischen Version verabschiedet sich Georgi aufgrund vorangeschrittener Forschungserkenntnisse in selbst-kritischer Weise von einigen seiner Vorentscheidungen, die ihm mittlerweile bewusst geworden waren. Eine differenziertere Ausleuchtung des Wunderphänomens im kulturellen Kontext der Antike »lässt meine ursprüngliche Kritik des Gottmenschphänomens voreilig erscheinen, denn sie war ergangen aufgrund kultureller, sozialer und religiöser Überheblichkeiten meinerseits. Ich war mir bis dahin nicht der Bedeutung und Funktion des Göttlichen und des Wunders in der gesamten hellenistischen Kultur bewusst( ... ), wobei ich tatsächlich mit unbewussten sozialen Klassifikationen eines protestantischen Intellektuellen unserer Tage arbeitete, was einen erheblichen Mangel an sozialer Logik in meiner Beschreibung verursachte.« 24 Die Analyse des 2Kor hinsichtlich der Position der Gegner des Paulus und der von Paulus vertretenen Position orientierte sich an folgender Opposition: / Wundercharismatikertum der Gegner/ versus / Evangeliumsverkündigung des Paulus/ , wobei erstere Kategorie negativ und letztere positiv markiert wurde. Die Opposition diente des Weiteren als Kriterium zur Analyse von Texten der erzählenden Literatur des Neuen Testaments, in denen es um Mission und Wunder geht. Eine kritische Überprüfung dieser Exegesen führt ZNT 15 (8. Jg. 2005) Gustave Dore, Die Auferweckung der Tochter des Synagogenvorstehers (Lk 8,49-56), um 1866, Holzstich. Illustration für die Prachtausgabe der Bibel in frz. Sprache aus dem Verlag Tours von Alfred Marne. aber vor Augen, dass es sich hier beinahe durchgehend um geradezu willkürlich anmutende Textanalysen handelt, die erleichtert wurden durch vorangegangene fragwürdige Isolierungen aus ihrem jeweiligen Ko-Text. Gegenüber den Ergebnis- Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive dämonischer Geister. Die Mission des Frühchristentums ist nicht auf die Propagierung von Spruchweisheiten oder Glaubensinhalten ohne konkrete Erfahrbarkeit des Geglaubten zu reduzieren. Auch die Missionsanstrengungen des Paulus sind unter diesem Vorzeichen neu zu verstehen. So besteht die Opposition zwischen Paulus und seinen Gegnern im 2Kor sicher nicht darin, dass letztere sich als Wundertäter in Szene setzten und Paulus als Prediger in Erscheinung trat so sieht lediglich die protestantisch-aufgeklärte Konstruktion aus. Paulus weiß ja um Wunder, die an ihm (1,8-11) bzw. durch ihn vor den Adressaten geschehen sind (12,12). 25 Es geht aus der Perspektive des Paulus: eine andere haben wir hier nicht! im 2Kor um die ultimative Herkunft und um den Zweck von Mission. Seinen Gegnern wirft er vor, dass sie sich nicht von Gott herleiten, sondern von Menschen (3,1) bzw. implizit vom Satan (11,14) und dass sie nur um sich selbst, nicht aber um die Gemeinde besorgt seien (2,17). Paulus hingegen wird von Anfang bis Ende des Briefes (Argument für die Einheit des Briefes! ) nicht müde zu betonen, dass er ein Apostel Christi zum Wohle der Gemeinde ist, und dass die göttliche Wundermacht in ihm wirkt, wenn sie will. 2. Der einmal konstruierten Gruppe von Wundercharismatikern wurden Sammlungen von Wundererzählungen etwa eine Semeiaquelle Qoh) oder eine Wunderkatene (Mk 4,35-6,52)an die Hand gegeben, die den sen Georgis, die ganzen Exegetengenerationen plausibel erscheinen konnten, sind heute folgende Kurswechsel anzuzeigen: 1. Neutestamentliche Texte, die Aussendung bzw. Evangelisation thematisieren, » Die Mission des Frühchristentums ist nicht auf die Propagierung von Spruchweisheiten oder Glaubensinhalten ohne konkrete Erfahrbarkeit des Geglaubten zu reduzieren.« Evangelisten vorgelegen hätten, etwa mit der Funktion der Legitimierung ihres Auftretens. Diese Annahme hat sich zu recht nicht durchgesetzt, geschweige denn bestätigt. 26 Verkündigung der weisen fast durchgängig die Verbindung von Missionsverkündigung und Wunderheilungen bzw. Exorzismen auf. Das war im Frühchristentum der Regelfall, der im AuftretenJesu (vgl. Mk 2,21-28) bereits vorgezeichnet war (Mk 3,13-15; 6,66-13; 16,9-20; Mt 9,35-10,16; Lk 9,1-6; 10,1-20). Wenn in Mt 28,19 die Taufe der Völker auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes befohlen wird, so ist hier impliziert, dass die Gegenwart dieser drei Größen sich als im Leben wirksam erweist, insbesondere in der Vertreibung ZNT 15 (8. Jg. 2005) heilsamen, zum Leben hin rettenden Nähe Gottes und Wundererfahrungen bzw. die Kommunikation derselben bedingen einander im Frühchristentum. 3. Die früher oft bemühte Kategorie der antiken Gottmenschvorstellung2' vermag heute nicht mehr ungebrochen zu verfangen. Insbesondere muss der Versuch Georgis als gescheitert erachtet werden, eine derartige Konzeptionalisierung für das antike Judentum zu erweisen, die dann für die Gegner des Paulus und überhaupt für die Mehrzahl frühchristlicher Missionare maßgebend gewe- 41 sen wäre. 28 In Texten des antiken Judentums von Artapanus über die Schriften vom Toten Meer, von Philo und Josephus bis hin zu den rabbinischen Schriften hält sich grundsätzlich durch, was in den Heiligen Schriften Israels bezeugt ist: Es gibt nur einen Wundertäter, und das ist Gott. Er wirkt durch seine Propheten, die ihn allenfalls als Gebetsmächtige zu einem Wunder zu bewegen vermögen, denen aber niemals Wunderkraft selbst kontinuierlich innewohnt. 29 Eben diese Konzeption ist auch in den Schriften des Neuen Testaments in Bezug auf die Apostel vorausgesetzt: Sie haben vor einer Wunderheilung zu beten, d.h. Gott bzw. den erhöhten Christus zu bitten, bzw. sie sprechen Heilung im Namen Jesu zu oder die transzendente Wundermacht fließt durch Handauflegung im gesetzten Fall auf die kranke Person über. Sie selbst aber haben keine Wundermacht. Die Apostel als Gottmenschen zu verstehen, wäre ein naheliegendes heidnisches Missverständnis, dem insbesondere Lukas in der Apostelgeschichte zu begegnen versucht. 30 Beispiele für ein im Frühchristentum verbreitetes Missverständnis dieser Art unter den Missionaren lassen sich in der ntl. Literatur weder unmittelbar noch mittelbar beibringen. 4. Schluss In der Gegenwart hat sich der ethnologische bzw. kulturanthropologische Zugang in den Altertumswissenschaften insbesondere der französisch- und englischsprachigen Welt fest etabliert, mit starken Ausstrahlungen in die deutschsprachige Forschung hinein. 31 Einhergehend mit der Annahme der kulturellen Fremdheit der mediterranen Antike hat sich die Frage nach dem hermeneutischen Standpunkt des Forschenden neu gestellt. 32 Das Fremde herauszuarbeiten, es stehen zu lassen, auszuhalten und als Anfrage ernst zu nehmen, ohne es durch sachfremde Kategorisierung zu verzerren oder etwa durch Romantisierung unkritisch zu vereinnahmen, darin besteht die Herausforderung nicht nur für die Altertumswissenschaft, sondern in besonderem, da theologisch relevantem Maße für die neutestamentliche Wissenschaft." Die Frage nach der Realität, Erfahrbarkeit und Relevanz von Wundern treibt Studenten und Studentinnen der Theologie, aber auch 42 Schüler und Schülerinnen heute anders um als noch vor einer Generation. Das charismatische Christentum, in dem Erfahrungen der Nähe Gottes erwartet und mitgeteilt werden, ist weltweit stark angewachsen und hat längst begonnen, auf europäische Theologie und Kirche einzuwirken. Ein solches Christentum sei es in Antike, Reformationszeit oder Gegenwart undifferenziert als enthusiastisch, naiv oder mirakulös zu diskreditieren, vermag heute nicht mehr allgemein zu überzeugen. Ein ethnologisch informierter und reflektierter Zugang zum Neuen Testament kann dazu verhelfen, ein möglichst klares und unverzerrtes Verständnis von dem zu gewinnen, was Wunder und ihre Kommunikation im Frühchristentum bedeuteten. Die schwierigere - Beantwortung der Frage nach der Übersetzbarkeit und produktiven Umsetzung der missionarischen Wundererfahrung in unsere Welt hinein kann erst gelingen, wenn Ersteres geleistet ist. Anmerkungen 1 K.-H. Kohl, Ethnologie - Die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung, München 2 2000. Zur ntl. Relevanz und Applikation ethnologischer Einsichten, vgl. meine Frankfurter Habilitationsschrift aus dem Jahre 2004: Jesus als Lebensretter. Afrikanische Bibelinterpretationen und ihre Relevanz für die neutestamentliche Wissenschaft. In den deutschsprachigen exegetischen Diskurs ist die ethnologische Fragestellung unter dem Begriff der Kulturanthropologie von Wolfgang Stegemann und seinen Schülern K. Neumann und Chr. Strecker eingebracht worden. Entsprechende Impulse sind eingeflossen in das auf vier Bände angelegte Werk Neues Testament und Antike Kultur, hrsg. von K. Erlemann u.a., Neukirchen-Vluyn 2004ff. 2 Vgl. W. Stegemann, Kulturanthropologie des Neuen Testaments, VuF 44/ 1 (1999), 28-54, 43f. 3 Die Begrifflichkeit wurde eingeführt von K.L. Pike, Language in Relation to a Unified Theory of the Structure of Human Behavior, Paris 2 2000, 3 7: » The etic viewpoint studies behavior as from outside of a particular system, and as an essential initial approach to an alien system. The emic viewpoint resu! ts from studying behavior as from inside the system.« Es handelt sich bei den Motivsammlungen zu den neutestamentlichen Wundertraditionen, wie sie R. Buhmann (Die Geschichte der synoptischen Tradition [FRLANT 29], Göttingen 8 1970, 233ff.) und G. Theißen (Urchristliche Wundergeschichten [StNT 8], Gütersloh 1974, 57-83) vorgelegt haben, um Inventarisierung und also um eine etische Herangehensweise. 4 Pike, Language, 51 (Übersetzung: W. Kahl). 5 Vgl. insbesondere den einflussreichen Beitrag von R. Horton, African Traditional Thought and Western ZNT 15 (8. Jg. 2005) Science, in: ders., Patterns of Thought in Africa and the West: Essays on Magie, Religion and Science, Cambridge 1993, 197-258 (Orig.: 1967). 6 In die Richtung dieser Feststellung gehen die Ausführungen K. Bergers zum Kausalitätsverständnis in der Antike, vgl. ders., Historische Psychologie des Neuen Testaments, Stuttgart 1991, 27: »Für neutestamentliche Texte können Worte oder Berührungen Großes bewirken. Für uns ist diese Erfahrung nicht möglich, da wir ohne eine bestimmte Auffassung von Kausalität in der technischen Welt uns nicht zurechtfinden könnten. Andererseits kennt auch die Antike entfaltete Technik. Es geht daher im Verhältnis zwischen den Menschen des Neuen Testaments und uns wohl um Ausweitung oder Verkümmerung bestimmter Erfahrungsweisen.« ' Vgl. W. Kahl, Art. Wunder, ThBNT 2 ('2000), 1966- 1977. 8 S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus. Ein Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung, Tübingen 2001, 1. ' Vgl. als eine entscheidende Ausnahme D. Georgi im neu hinzugefügten Epilog zur englischen Version seiner einflussreichen Studie zu den Gegnern des Paulus im 2. Korintherbrief: The Opponents of Paul in Second Corinthians, Edinburgh 1987, 402. 10 Sein Schüler K.L. Pike hat dann die entsprechende Begrifflichkeit eingeführt, die von dessen Schüler A. Dundes dann konsequent im Bereich der Mythenforschung, Folklore- und Literaturwissenschaft angewandt wurde. 11 Zitiert in Pike, Language, 39 (Übersetzung: W. Kahl). 12 B. Kollmann, Art. Wunder IV. Neues Testament, TRE 2004, 389-397, 391. Die in diesem TRE-Artikel gebotene Darstellung transportiert eine ganze Reihe längst überholter oder doch zumindest fragwürdiger Positionen, die Kollmann bereits in seinen beiden Monographien zum Thema eingenommen hat: Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum (FRLANT 170), Göttingen 1996; ders., Neutestamentliche Wundergeschichten. Biblisch-theologische Zugänge und Impulse für die Praxis, Stuttgart 2002. Eine Gesamtdarstellung der neutestamentlich-theologischen Wunderproblematik auf der Höhe der Zeit steht weiterhin aus. 13 Vgl. dazu insgesamt W. Kahl, New Testament Miracle Stories in Their Religious-Cultural Setting: A Religionsgeschichtliche Comparison From a Structural Perspective (FRLANT 163 ), Göttingen 1994. Vgl. bereits K. Berger, Hellenistische Gattungen im Neuen Testament, in: ANRW 2.25.2 (1984), 1031-1432, bes. 1214ff. 14 Kollmann, Art. Wunder, 391. 15 Zur Differenzierung vgl. Kahl, New Testament Miracle Stories, 222ff. 16 Kollmann, Art. Wunder, 391. 17 Das koptische Thomasevangelium enthält kein einziges narrativ ausgeführtes Wunder. 18 Vgl. in diesem Zusammenhang das zutreffende Urteil von K. Berger, Hermeneutik des Neuen Testaments, Tübingen und Basel 1999, 203: »Von den >leichten< Fällen auszugehen und die schweren für unhistorisch zu erklären, das halte ich für hermeneutisch vollständig naiv.« 19 Kollmann, Art. Wunder, 391. Diese in mehrfacher Hin- ZNT 15 (8.Jg. 2005) Werner Kahl Wunder und Mission in ethnologischer Perspektive sieht problematische Projektion wird auch geteilt von W. Reinbold, Propaganda und Mission im ältesten Christentum. Eine Untersuchung zu den Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche (FRLANT 188), Göttingen 2000, 203f. 20 Vgl. A. Ekue, »Und sie denken, Du bist eine mamissi ... « Geistinhabitation in einem Frauenkult und ihre Adaption im Kontext afrikanischer Christen in Süd-Togo (Hamburger Theologische Studien 9), Hamburg 1996, 122. 21 J. Rüpke, Die Religion der Römer, München 2001, 167 und 127 respektive. 22 So Kollmann, Art. Wunder, 391. 23 Neukirchen-Vluyn 1964. Das Werk geht zurück auf Georgis Dissertation aus dem Jahre 1957 und wurde für die Veröffentlichung erheblich überarbeitet und erweitert. 24 Georgi, The Opponents, 394 (Übersetzung: W. Kahl). 25 Vgl. zu Wundern bei Paulus grundsätzlich: Alkier, Wunder und Wirklichkeit. 26 Vgl. aber Kollmann, Art. Wunder, 391, der den alten Forschungsstand repetiert. ; 27 Vgl. H.D. Betz, Art. Gottmensch II, RAC 12 (1983), 234-312. 28 Vgl. dazu C.R. Holladay, Theios Aner in Hellenistic- Judaism: A Critique of the Use of This Category in New Testament Christology, Atlanta 1977. 29 Vgl. dazu insgesamt Kahl, New Testament Miracle Stories. 30 Apg 14,8-18: An dieser Stelle konnten die heidnischen Zeugen der Wunderheilung gar nicht anders, als in Paulus und Barnabas Erscheinungen ihrer Götter zu sehen, denn singulär in der Apg - Paulus tritt beim Wundergeschehen zunächst eigenmächtig als Wundertäter auf, ohne jeglichen Rekurs auf eine transzendente Macht; vgl. 5,12-16; 19,11-12: der Kontext macht in jedem Fall deutlich, dass auch hier Gott der Wundertäter ist (vgl. auch in Bezug auf Jesus: 2,22). 31 Vgl. den informativen Überblicksartikel von M. Maurer, Historische Anthropologie, in: ders. (Hg.), Aufriß der Historischen Wissenschaften. Bd. 7: Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2003, 294-387. Für die neutestamentliche Wissenschaft relevant, aber in der deutschsprachigen Forschung wenig zur Kenntnis genommen, sind die ethnologisch bzw. anthropologisch informierten Beiträge von W. Burkert (Kulte des Altertums. Biologische Grundlagen der Religion, München 1998) und seinem Schüler F. Graf (Gottesnähe und Schadenzauber. Die Magie in der griechisch-römischen Antike, München 1996 ). 32 Vgl. R. Schlesier, Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropologie der Antike seit 1800, Frankfurt a.M. 1994, 9: »Neu ist indessen, dass der okzidentale, auf die Antike rekurrierende Traditionsbestand zunehmend zum Gegenstand der Reflexion geworden ist.« Ein beeindruckendes Zeugnis dieser Reflexion liegt mit den forschungsgeschichtlichen Bänden des Neuen Pauly vor. 33 Vgl. Schlesier, Kulte, Mythen und Gelehrte, 14: »Eine anthropologische Hermeneutik zeichnet sich ab, die das weiterwirkend Aktuelle des Vergangenen und Femen ernst nimmt, ohne es als abzuschaffendes Überbleibsel zu entwerten, und die, ohne dem Sog des Irrationalen nachzugehen, der Gleichzeitigkeit des Widersprüchlichen zu ihrem Recht verhilft.« 43