eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 8/15

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2005
815 Dronsch Strecker Vogel

Eingliederung von »Heiden« in die Gemeinschaft der Kinder Abrahams

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2005
Florian Wilk
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Florian Wilk Eingliederung von »Heiden« in die Gemeinschaft der Kinder Abrahams Die Aufgabe der Jünger Jesu unter »allen Weltvölkern« 1 nach Mt 28, 16-20 Die Frage, ob sich die in Mt 28,16-20 den Jüngern Jesu aufgetragene Mission an »alle Völker« einschließlich Israels oder an »alle (nichtjüdischen) Weltvölker« richte, wird seit alters kontrovers diskutiert. Lange bedachte man sie primär unter übersetzungstechnischen oder einzelexegetischen Gesichtspunkten.2 Doch seit etwa fünfzig Jahren ist ihr zunehmend theologisches Gewicht beigemessen worden; wichtige Impulse dafür gingen von der redaktionsgeschichtlichen Forschung, dem New Literary Criticism und der theologischen Neuorientierung im Verhältnis zum Judentum aus. 3 Hubert Frankemölle hat diese Impulse in zahlreichen Studien aufgenommen und dabei den sog. Missionsbefehl in einer Leser- und handlungsorientierten Textwahrnehmung für die der Konnex mit der Heiligen Schrift Israels wesentlich ist mular« nach dem Vorbild von 2Chr 36,22f. aufgebaut. Diese formgeschichtliche Herleitung erscheint mir problematisch, weil im Zentrum der Rede des Auferstandenen das Sendungswort Mt 28,19-20a steht, dem die Rahmensätze logisch zugeordnet sind: Die Konjunktion »also« in V.19 weist das Vollmachtswort V.18b als Grundlegung, die einleitende Wendung »und siehe« das Beistandswort V.20b als Ermutigung zu V. l 9-20a aus. Jene Rede behandelt demnach in ihrem Kern nicht die Beziehung J esu zu seinen Jüngern, sondern deren Auftrag in der Völkerwelt. Dadurch rückt die Schlussszene des MtEv in die Nähe prophetischer Berufungsberichte, zumal der ähnlich strukturierten Erzählung Ex 3,2-12; ihnen gegenüber erweist sich freilich das Vollmachtswort als Fremdkörper. So wird als Schlusspunkt einer bundestheologisch orientierten Grundkonzeption im Evangelium nach Matthäus (MtEv) interpretiert. : l TROV E wohl jeder Versuch, Mt 28,16-20 insgesamt einer biblisch vorgegebenen Gattung zuzuweisen, erfolglos blei- Seine methodologischen Entscheidungen halte ich für wohl begründet. Auch aus meiner Sicht muss sich die Auslegung dieses Textes primär synchron vollziehen: auf der Basis des Sprachgebrauchs, im Rahmen der Komposition und vor dem Horizont der Theologie, die das Evangelium prägen, sowie unter Beachtung der Verbindungslinien zur Heiligen Schrift und soweit verifizierbar der Parallelen zur in etwa zeitgenössischen jüdischen Literatur. Gleichwohl gelange ich, wie die Überschrift anzeigt, zu einem anderen Verständnis von Mt 28,16-20. Die Ursache dafür liegt in meiner anderen Auffassung der Textsignale, die der Passus und das ganze MtEv hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Israel und den Weltvölkern enthalten. Diese Auffassung sei hier in Kürze dargelegt. 1. Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund Frankemölle sieht Mt 28,16-20 als »Bundesfor- 52 ben. Umso wichtiger ist es, den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der einzelnen Bausteine dieses Textes und ihrer Verknüpfungen zu erheben. Für die zur Debatte stehende Frage ergibt sich dabei ein klarer Befund: Während der Sing. ethnos (»Völkerschaft«) in der Septuaginta-Version der Heiligen Schriften (LXX) auch Israel bezeichnen kann (vgl. z.B. Ex 19,6), meint der Ausdruckpanta ta ethne bei weit über 100 Belegen durchgängig »alle Weltvölker« im Gegenüber zu Israel. Das betrifft Aussagen zur Erwählung (Ex 33,16 u.ö.) oder Anfeindung Israels (Est 3,14 u.ö.), zu Israels Landnahme (Dtn 2,25 u.ö.), Lebensführung (Lev 20,24ff. u.ö.), Gotteslob (Ps 46[47],2 u.ö.), Königtum (1Sam 8,20 u.ö.), Ruhm (2Chr 32,23 u.ö.) oder Schmach (Jer 51[44],8 u.ö.), ferner zum Gericht an Israel (Sach 7,14 u.ö.) oder an den Weltvölkern (Joel 3[4],11f. u.ö.) sowie zum Heil für Israel (Am 9,12 u.ö.) oder für alle Weltvölker (Jes 2,2 u.ö.).4 Ein ähnliches Bild lassen die übrigen hellenistisch-jüdischen Schriften erkennen.' ZNT 15 (8. Jg. 2005) Florian Wilk Eingliederung von »Heiden« in die Gemeinschaft der Kinder Abrahams Fl.orian Wilk Prof. Dr. Florian Wilk; Jahrgang 1961, studiene Evangelische Theo! ogie in Göttingen und St. Andrews. Nach dem Vikariat wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Neues Testament in Jena, dort 1996 Promotion und 2001 Habilitation. 1999-2002 Pastor in Dissen a.T.W., 2002- 2003 Professor für Gemeindepädagogik und Diakonie mit dem Schwerpunkt ßiblische Theologie an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe inBochum.·Seit 2003 Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Georg-August- Universität Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: synoptische Evangelien und paulinische Briefe; Exegese des NT im Zusammenhang mit dem AT und vor dem Horizont des hellenistischen Judentums. Zu den Veröffentlichungen siehe: http: / / www.theologie: unigoettingen.de/ ger/ florianwilk.htm Die Relevanz dieses Befundes für die Deutung von Mt 28,18ff. wird dadurch verstärkt, dass einige LXX-Stellen jenen Ausdruck mit weiteren dort belegten Wendungen und Land bleibe, »wie die Tage des Himmels über der Erde währen«; Hag 2,4-7 erläutert Gottes Zusagen »Ich bin mit euch« und »Mein Geist ist unter euch«, die Israel erhält, durch die Ansage, der neue Tempel werde mit Schätzen aller Weltvölker ausgestattet. Die Beispiele ließen sich vermehren. Wichtig ist nun, dass der LXX-Sprachgebrauch sich dort durchhält, wo mit Mt 28,18H. sachlich vergleichbare Aussagen vorliegen. Das betrifft einerseits, für die Hinwendung aller Weltvölker zu dem einen Gott, Dan 6,25[26Jff.: Hier ruft Darius in einem an alle Weltvölker gerichteten Brief die Menschen in seinem Königreich auf, gemeinsam mit ihm den Gott Daniels zu verehren. Eine breit entfaltete Parallele dazu bietet Dan 4,376-c in Bezug auf N ebukadnezzar, dessen Brief ihn explizit als den von Gott eingesetzten, mit Vollmacht begabten König über alle Weltvölker präsentiert. Das betrifft andererseits, für die Aufgabe einer ausgesonderten Gemeinschaft an allen Weltvölkern, Gen 18,18; 22,18; 26,4: Hier wird Abraham bzw. Isaak verheißen: » In dir/ deiner Nachkommenschaft sollen gesegnet werden alle Weltvölker der Erde! « - und zwar im Zusammenhang mit der Weisung, durch Tun von Gerechtigkeit die Wege des Herrn zu befolgen (Gen 18,19), oder mit dessen Zusage »Ich werde mit dir sein« (Gen 26,3). Angesichts der zentralen Rolle des Sendungswortes in der Rede Jesu Mt 28,186-20 dürfte ihr entscheidender Bezugspunkt in der Schrift mit der Erzväterverheißung gegeben sein. Dafür spricht ferner der Umstand, dass die Verheißung in Gen 28,13ff. eine Fassung erhalten hat, deren Struktur Ex 3,6-12 (s.o.) und so auch jener Rede Jesu nahe steht: Auf die Motiven verknüpfen: Dan 7,13f. begründet die Herrschaft des »wie ein Menschensohn« Kommenden über alle Weltvölker damit, dass ihm Vollmacht gegeben ist; Dtn 10, 14f. kontrastiert die Erwählung Israels vor allen Weltvölkern mit dem »Angesichts der zentralen Rolle des Sendungswortes in derRede]esu Mt 28,18b-20 dürfte ihr entscheidender Bezugspunkt in der Schrift mit der Erzväterverheißung Vorstellung »Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham ... « folgen Zusagen an Jakob, die in dem Satz »In dir sollen gesegnet werden alle Volksstämme der Erde ... «(vgl.Gen 12,3) gipfeln; am Ende steht ein ausgeführter, Mt 28,20b besonders ähnlicher Beistandszuspruch: » Und siehe, ich (bin) mit dir, indem ich dich · gegeben sein.« Umstand, dass Himmel und Erde Gott zu Eigen sind; Ex 23,22 verbindet jene Erwählung mit dem Ruf zum Gehorsam gegen alles, was ich (sc. Gott) dir (sc. Israel) gebiete; nach Dtn 11,18-23 gilt es diese Gebote durch beständige Lehre weiterzugeben, auf dass Israel so lange in dem von »all diesen Weltvölkern« übernommenen ZNT 15 (8.Jg. 2005) behüte auf jedem Weg, den du gehst(! ) ... , denn ich werde dich nicht verlassen, bis (! ) ich alles tue, was ich dir gesagt habe.« Von jener Verheißung her gelesen muss panta ta ethne in 28,19 auf »alle Weltvölker« gedeutet werden. Sie als traditionsgeschichtliche Basis des 53 Missionsauftrags zu reklamieren, ist freilich nur dann plausibel, wenn Jesus die Jünger darin als Repräsentanten Israels zu allen Weltvölkern sendet. Genau dies Verständnis aber entspricht der Komposition des MtEv und der darin erkennbaren Rezeption der Abrahamstradition. 6 2. Zur kompositorischen Einordnung Frankemölle legt mit Recht großes Gewicht auf die Funktion von Mt 28,16-20 als »Epilog« des MtEv. Sofern der Passus die Erzählung von Jesu Erdenzeit beschließt und auf die Nachgeschichte seines irdischen Wirkens vorausblickt, steht ihm als »Prolog« allerdings nur Mt 1 gegenüber; denn hier wird zuerst auf die Herkunftsgeschichte J esu zurückgeblickt und dann der Beginn jener Erdenzeit geschildert. Diese beiden Teile des heilsgeschichtlich geprägten Rahmens stehen nun in mehrfacher Hinsicht in Spannung zueinander: a) Stammbaum und Geburtserzählung handeln explizit von Jesu Würde und Aufgabe als des »Christus«. Demgegenüber wird Jesus in 28,16-20 als derjenige präsentiert, der die zuvor angekündigte Herrschaft des Menschensohns antritt; denn diese (13,41) umfasst den Kosmos (13,38), vollzieht sich durch das Tun der Jünger (13,28c-30a) und währt bis zur Vollendung der Weltzeit (13,39). 7 b) Die »Genese J esu Christi« erscheint in Mt 1 als Zielpunkt der Erwählungs-, Verheißungs- und Befreiungsgeschichte Gottes mit Israel. Demgemäß ist das Erdenwirken J esu ganz auf Israel bezogen. 54 Weil die Geschichte Israels mit der Erwählung Abrahams (1,lf.17) begann, ereignet sich in dem Menschen Jesus Gottes »Mit-Sein« (1,23b-c) für die, die zum Volk (Laos) Jesu gehören, also matthäischem Sprachgebrauch gemäß (2,4.6 u.v.ö.) zu Israel. Weil ferner jene Geschichte in den Verheißungen für das Königshaus Davids (1,1.6.17) ihren Höhepunkt hatte, tritt mit Jesus der erwartete Davidssohn auf den Plan (1,20b-21a.22-23a) wie es dann während seines Erdenlebens (vgl. 22,41-45) v.a. an seinen Heilungen erkennbar wird (9,27 u.ö.). Weil schließlich jene Geschichte in der durch Israels Schuld verursachten Deportation nach Babylon (1,llf.17) ihren Tiefpunkt hatte, wird er die Glieder seines Volkes »von ihren Sünden retten« (1,21 b-c) was sich dann ein für alle Mal in seinem Sterben »zugunsten der Vielen« (26,28) realisiert. Der Epilog jedoch kennzeichnet die Auferstehung als den Ausgangspunkt der Geschichte des Menschensohns mit seinen Jüngern in der Völkerwelt. Daher ist seine Präsenz bis zur Vollendung der Weltzeit ganz auf die Jünger bezogen. Dabei wird deren Gemeinschaft durch die Taufe »auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« konstituiert und durch das Halten aller Weisungen J esu charakterisiert (28, 19b- 20a). c) Dem Prolog zufolge ist Jesus als Christus der Sohn Davids und Abrahams, der auch Nichtjuden das Heil Gottes erschließt, sofern ihnen in der Beziehung zu Jesus der Segen Abrahams zukommt. Wie Abraham sowie seinem, Isaaks und Jakobs »Samen« im Buch Genesis (s.o.), so ist in Ps 71 [72] »dem König«, der Gottes » Volk in Gerechtigkeit richten« und »die Armen retten wird« (V.1-4 [vgl. Mt 1,6.21]), zugesagt: »Es werden alle Volksstämme der Erde in ihm gesegnet werden, alle Weltvölker ihn glücklich preisen« (V.17). Diese universale Perspektive wird in Jesu Stammbaum durch die zusätzliche Nennung von Ausländerinnen (jedenfalls Rahab und Ruth [Mt 1,5], vermutlich auch Tarnar und »die des Urija« [1,3.6]) bekräftigt; da diese Frauen aber jeweils jüdischen Männern zugeordnet sind, erscheint die Teilhabe von Nichtjuden am Heilsgeschehen in Mt 1 als eine erst durch ihre Beziehung zu Israel eröffnete Möglichkeit. In Mt 28,18-20 hingegen spricht der mit universaler Vollmacht begabte Menschensohn, der als »Sohn« Menschen aller Weltvölker den Zugang zum »Vater« erschließt, sofern sie durch die Begegnung mit den von Jesus beauftragten Jüngern selbst zu Jüngern werden und als solche leben. Der Grund für dieses durch die Jünger vermittelte Wirken J esu an den Weltvölkern wird dadurch gelegt, dass er als Menschensohn sein Leben hingibt als »Lösegeld für viele« (20,28) was an dieser Stelle auch für die Weltvölker gilt (vgl. 20,25). Sofern sich aber in diesem Rettung vermittelnden Sterben die Sendung Jesu zu Israel erfüllt (s.o.), setzt jenes Wirken die Vollendung dieser Sendung voraus. Dieser mehrfachen Grundspannung gemäß bildet das MtEv eine fortschreitende Erzählung, die zum einen die Bedeutung J esu narrativ entfaltet,8 zum andern darstellt, wie die Rolle des Se- ZNT 15 (8. Jg. 2005) Florian Wilk Eingliederung von »Heiden« in die Gemeinschaft der l{inder Abl'ahams gensmittlers für die Weltvölker vom Volk Israel auf die Jünger Jesu übergeht: Zunächst tritt Jesus da er, als Gottessohn ausgewiesen (2,15; 3,17) und bewährt (4,1-11), zum messianischen »Hirten« Israels bestimmt ist (2,6, vgl. 9,36) in Galiläa lehrend, verkündigend und heilend auf (4,23; 9,35; 11,1[-6]), um unterstützt von den zwölf Jüngern (4, 19; 10, 1-8) - Israel angesichts des nahe gekommenen Himmelreichs zur Umkehr zu rufen (4,17). In Galiläa leben Juden freilich mitten unter Nichtjuden, so dass diesen das der Schrift gemäß in Jesus für Israel aufstrahlende Licht (4,15f.) nicht verborgen bleibt: Als sein Wirken »am Volk« ganz Galiläa erfasst und auch Juden aus den umliegenden Gebieten einbezieht (4,23.246-25), breitet sich die Kunde davon in ganz Syrien aus (4,24a); als Jesus sein die Verheißung Jesajas für Israel erfüllendes Heilungswirken auf die Dekapolis ausdehnt (8,16ff.) und dort lebende Juden (vgl. 4,25) von den sie besetzenden »heidnischen« Dämonen (vgl. Jes 65,11.4) befreit, erregt das bei den nichtjüdischen Bewohnern großes, hier aber zur Ausweisung Jesu führendes Aufsehen (Mt 8,28-34). Die geforderte Umkehr müsste sich der an ganz Israel gerichteten (4,25-5,2) Bergpredigt zufolge so vollziehen, dass man, J esu Lehre gemäß, Gottes Willen tut (7,21-27), sich also nicht nur innerhalb Israels von sündigen Zöllnern (5,46, vgl. 9,l0f.; 11,19), untätigen Schriftgelehrten und Pharisäern (5,20, vgl. 23,2ff.) sowie auf ihr Ansehen bedachten Heuchlern (6,2.5.16, vgl. 23,5ff.) abhebt, sondern auch von den Weltvölkern (6,32) und ihren Angehörigen (5,47; 6,7). Mit guten Taten nämlich würden Israeliten sich als Abrahams Kinder erweisen (3,8ff.) und als solche ihrer Bestimmung zum »Licht der Welt« entsprechend andere Menschen zum Gotteslob führen (5,14ff.). Das auf solche Umkehr zielende Wirken J esu hat jedoch kaum Erfolg selbst dort, wo er viele Machttaten vollbringt (11,16-20), die seine Identität als »Christus« anzeigen (11,2-6). Die Abweisung Jesu durch Juden steht im Kontrast zu der Umkehrbereitschaft, die Jesus selbst in den gottlosen, dem Gericht verfallenen Städten Tyrus, Sidon und Sodom gefunden hätte (11,21-24). Schon seine Geburt als des »Königs der Juden« löste ja in Jerusalem Bestürzung und bei Herodes Mordtaten aus, während Magier des Ostens ihm wenn auch ohne Folgen für sie-huldigten (2,1-12.16). ZNT 15 (8. Jg. 2005) Besonders deutlich wird der Misserfolg im Gegenüber zum Zenturio von Kafarnaum (8,5-13). Dieser nimmt mit dem Argument, sogar er könne neben den ihm untergebenen Soldaten auch seinem Sklaven befehlen, die in und für Israel zutage tretende Vollmacht Jesu für sich als Nichtjuden in Anspruch; in der aus allen Teilen des Landes Israel zusammengekommenen Volksmenge (4,25) jedoch, die Jesus seit der Bergpredigt folgt (7,28- 8,l.10), findet er keinen vergleichbaren Glauben an die universale, auf seiner Abrahamssohnschaft basierende Reichweite seiner Sendung. 9 Dementsprechend werden jene Israeliten mit der Ankündigung, beim Festmahl im Himmelreich werde sich der Tisch der Erzväter notfalls auch ohne sie mit Gästen »aus Ost und West« füllen, daran erinnert, worum es für sie beim Glauben an Jesus ginge: sich als Kinder Abrahams zu erweisen, d.h. als Licht der Welt zu leben und so an der Erfüllung der Erwählungsgeschichte Israels teilzunehmen. Jesus reagiert auf das überwiegend negative Echo überraschend mit einem Lobpreis: Es sei Gottes Wille, dass die Bedeutung seines Auftretens nur »den Unmündigen« offenbar werde (11,25ff.), d.h. seinen Jüngern (vgl. 14,33; 16,16f.). Daher geht er in seinem Wirken dazu über, die Mühseligen und Beladenen in die Nachfolge zu rufen (11,28ff.). Fortan verzichtet er auf Verkündigung und bis auf eine Ausnahme (13,54-58) auf öffentliche Lehre. Vielmehr zieht er durchs Land, indem er die Abgrenzung von seinen Gegnern bekräftigt (12,24-37 u.ö.), die Lebensgemeinschaft der Jünger begründet (12,49f. u.ö.) und alle aus dem Volk, die noch unentschieden sind, mit seinen Wundertaten zur Umkehr anzuleiten sucht (12,22f.38-45 u.ö.). Diese impliziert freilich den Anschluss an ihn und die Teilnahme an seinem Werk (12,30). So findet auch jener Ruf Jesu nur ansatzweise Gehör (vgl. 20,29-34 ); zu einer Ausweitung der Jüngergemeinschaft innerhalb Israels kommt es nicht. Vor diesem Hintergrund bringt er sein öffentliches Wirken in Jerusalem zum Abschluss (21-25). Dabei endet der Streit mit den Gegnern in der Androhung ihrer Verurteilung im Gericht (23,33); der bei allem Jubel (21,15) und Entsetzen (22,33) unbeantwortete Entscheidungsruf ans Volk mündet in die Ansage der Zerstörung Jerusalems (22,7; 55 23,38); die Jünger-Unterweisung gipfelt in der Zurüstung für die Zeit vor dem Ende (24,4-25,46). In diesem Kontext sagt Jesus den Autoritäten Israels (21,33-45), wozu ihr gewaltsamer Widerstand gegen ihn als Gottes Sohn führe: Gott werde ihn, den Getöteten, zum »Eckstein« eines Neubaus machen d.h. der Gemeinde Jesu (vgl. 16,18). Das bedeutet zweierlei: Erstens wird ihnen das Gottesreich das für Israel im Wirken Jesu gegenwärtig geworden ist (6,33; 12,28) und sich denen erschließt, die umkehren (21,31f.) bzw. in die Nachfolge eintreten (19,21+24) entzogen, und damit zugleich die von ihnen verfehlte Aufgabe, Menschen in das Himmelreich einzuweisen (vgl. 23,13). Zweitens wird das Gottesreich »einer Völkerschaft (ethnos) gegeben, die seine Früchte hervorbringt« also der Gemeinschaft der Jünger, die tatsächlich nach Gerechtigkeit trachten (vgl. 5,6.20; 6,33). Dass jene Gemeinschaft damit die von Israel nicht ausgefüllte Rolle als Licht der Welt übernimmt, wird durch die im MtEv singuläre Bezeichnung ethnos angezeigt; denn diese erinnert an die Abrahamsverheißung Gen 12,2: Gott werde ihn »zu einer großen Völkerschaft (ethnos) machen und segnen ... «. Demgemäß sind auch die Jünger ihrer Verpflichtung auf das von Jesus radikal ausgelegte (Mt 5, 17-48) Gesetz gemäß (19,16-21; 23,1+23) von »heidnischen« Sitten geschieden (20,25, vgl. 18, 17). Gerade so aber werden sie als »Brüder« Jesu (vgl. 12,49f.; 28,10) unter allen Weltvölkern, die ihnen Hilfe gewähren oder verweigern, zu Mittlern von Segen und Fluch (25,31-46) ganz im Sinne von Gen 12,3a: »Ich (sc. Gott) werde die segnen, die dich segnen, und die verfluchen, die dich verfluchen.« Seinen Höhepunkt hat das MtEv in der Erzählung von J esu Passion, die in mehrfacher Hinsicht die Konsequenz semes irdischen Wirkens darstellt. 56 Jesus selbst erfüllt abschließend den Willen seines Vaters (Mt 26,39.42) und die Schrift (26,54.56, vgl. 26,24.31), indem er das unbegründete Todesurteil auf sich nimmt, sich im Widerstand gegen die Versuchung, sich zu retten, als Gottes Sohn bewährt (27,40.43.54, vgl. 26,53) und in seinem Vergebung der Sünden stiftenden Tod (26,28) seine Sendung zu Israel vollendet (vgl. 1,21). Seine Gegner betreiben erfolgreich die lange geplante (26,3ff., vgl. 12,14; 21,45f.) Hinrichtung Jesu, und das in Jerusalem versammelte Volk übernimmt die Verantwortung dafür (27,25). Bei den Jüngern Jesu aber vertieft sich das Unverständnis für seinen Leidensweg (26,8.51, vgl. 16,22f.; 17,23c) so weit, dass sie ihn verlassen (26,56), verleugnen (26,69-75) oder gar an seine Gegner ausliefern (26,14ff.47-50). Mit dem Versagen der Jünger in diesem Zusammenhang scheint J esu Programm, eine J üngergemeinschaft in Israel zu sammeln, gescheitert. Er jedoch weiß im Voraus darum, da ihr Verhalten in der Schrift vorgezeichnet ist (26,21 +24.31 +34 ); es ist daher ebenso unausweichlich wie seine Tötung am Kreuz, wo selbst Gott ihn verlässt (27,46). Auf diese Weise aber richtet Gott den Vergebungs- Bund (26,28) auf, dessen Ziel das Festmahl mit Jesus im Reich seines Vaters ist (26,29, vgl. 8, 11 ). Der damit ermöglichte Neubeginn realisiert sich für sie in der Begegnung mit dem Auferweckten (28,16f.); und dabei überträgt er ihnen wie angekündigt die Rolle, als Kinder Abrahams und somit als Licht der Welt zu leben. Auf der Basis seines Todes für die Vielen und im Rahmen seiner nun universalen Vollmacht bedeutet das, Menschen aller Weltvölker in ihre Lebensgemeinschaft als Jünger J esu einzugliedern (28, 18ff.); und indem das geschieht, erfüllt sich an ihnen die Abraham gegebene Verheißung, Segensmittler für alle Volksstämme der Erde zu sein (Gen 12,36 ). So gesehen findet die von Mt 1,1 an auf die Abrahamstradition zurückgreifende J esuserzählung des Matthäus im Epilog ihr schlüssiges Ende. Verträgt sich aber diese Sichtweise mit den klaren Hinweisen auf eine fortgesetzte Israelmission der Jünger? 3. Zur missionstheologischen Bedeutung Frankemölle zeigt mit dankenswerter Klarheit auf, dass die früher auch von ihm vertretene - These einer Verwerfung Israels im MtEv keinen Anhalt hat. 10 Als unausweichlich erscheint das endzeitliche Verdammungsurteil nur für Israels Autoritäten, die Jesus vorsätzlich (26,3ff., vgl. 21,38+45; 27,18), trotz seiner Unschuld (26,59f.), zum Tode verurteilen und so »das Maß ihrer Väter voll machen« (23,32f.) was ihr Komplott gegen die Auferweckung Jesu (27,62-28,15) nur bestätigt. Die Angehörigen des Volkes aber werden nach Ostern erneut zur Umkehr gerufen gerade ihnen gilt ja der von Gott im Sterben J esu zugunsten der Vielen gestiftete Vergebungs-Bund (26,28). ZNT 15 (8. Jg. 2005) Florian Wilk Eingliederung von »Heiden« in die Gemeinschaft der l(inder Abrahams Dass die Sendung der Jünger zu Israel (10,5-42) nicht mit Jesu Tod abbricht, geht schon aus den Verweisen auf die Parusie in 10,22f. hervor. Demgemäß sagt Jesus in 22,2-7 und 23,34-38 ein nachösterliches Wirken der Jünger in Israel voraus. Gewiss kündigt er dabei auch deren z.T. gewaltsame Ablehnung an, die Gottes Strafhandeln evoziere; doch damit ist jene Sendung nicht erledigt. Nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels führen die Jünger ihre Wandermission (vgl. 10,7- 14.40ff.) in den Grenzgebieten des Landes erfolgreich fort (22,8ff.); die Rede von »Statthaltern und Königen« in 10,17f. lässt generell an die Diaspora als Wirkungsstätte denken. Zwar ist auch hier mit Widerstand zu rechnen, so dass sie sich um J esu willen teils vor jüdischen Institutionen, teils vor politischen Machthabern verantworten müssen; dabei wird aber die Bevollmächtigung der Jünger durch Gott umso deutlicher werden (10,19f.). In 10,17f. weist nun der Text über Israel hinaus: Jene Gerichtsverfahren dienen »zum Zeugnis für sie [sc. die beteiligten Juden] und die Weltvölker«. Ein analoger Gedanke kommt in 8,4 zur Sprache: Die Opfergabe des Geheilten, die der Priester entgegennimmt, wird »für sie [sc. die am Kult teilnehmenden Juden] zum Zeugnis«. Demnach geht es in 10,17f. darum, dass die Bewährung der Jünger vor Gerichten, in die sie im Zuge ihrer Israelmission geführt werden, auch Nichtjuden bekannt und zum Hinweis auf Gott wird. Ähnlich ist dann 24,9-14 zu verstehen: Inmitten einer Bedrängnis, die sich von jüdischer Seite veranlasst im Hass aller Weltvölker vollzieht, wird das »Evangelium vom Reich (vgl. 4,23; 9,35) in der ganzen Ökumene verkündet, zum Zeugnis für alle Weltvölker«; Adressaten dieses Evangeliums sind daher wie zu Lebzeiten Jesu die Juden. Das MtEv spricht also Diese Sendung zu Israel wird in 28,19f. weder ausgeweitet noch aufgehoben; vielmehr erteilt der Auferweckte den Jüngern einen weiteren Auftrag, der sie unmittelbar an alle Weltvölker weist. 11 Die Divergenz der Aufträge wird auf vier Ebenen sichtbar: a) Die Sendung der Jünger zu Israel geht von Jesus als Christus und Retter seines Volkes aus, die zu allen Weltvölkern von Jesus als dem mit universaler Vollmacht ausgestatteten Menschensohn in seinem Reich. b) Die Israelmission betreiben die Jünger allen Weltvölkern zum Zeugnis, die Mission unter allen Weltvölkern an Stelle Israels. c) An Israel werden die Jünger tätig, indem sie das Erdenwirken Jesu fortführend (vgl. 4,17; 11,5 u.ö.)-die Nähe des Himmelreichs verkünden und durch Heilungen und ähnliche Wunder anzeigen (10,7f.); unter den Weltvölkern agieren sie, indem sie an die Sendung Jesu anknüpfend (vgl. 3,16f.; 23,8.10) Menschen taufen und durch Lehre auf seine Weisungen verpflichten. d) Die Israelmission zielt darauf, dass Juden sich im Anschluss an ihren messianischen Hirten (vgl. 10,6) als Kinder Abrahams erweisen, die Mission unter den Weltvölkern darauf, dass Nichtjuden den Segen Abrahams empfangen, indem sie in die Gemeinschaft der Jünger Jesu integriert werden. Freilich stehen die Aufträge nicht unvermittelt nebeneinander, ergehen doch beide von Jesus an dieselbenJünger. 12 Ihre Verbundenheit zeigt sich • in der heilsgeschichtlichen Grundlegung: sowohl die Israelals auch die Weltvölker-Mission wurzeln in der Erwählung Abrahams; • in der Christologie: die Christuswie die Menschensohn-Würde sind Aspekte der Gottessohnschaft Jesu (vgl. 11,2-27; 16,16-28; 26,63f.); • in der Soteriologie: die Sendung J esu zu Israel und seine Herrschaft über alle Weltvölker konvergieren in der Heilsbedeutung seines Todes für »viele« (20,28; 26,28); • in der Ekklesiologie: somehrfach von einer »bis ans Ende« (10,22; 24,13) andauernden Israelmission, die den Weltvölkern zum Zeugnis wird - und zwar gerade indem sie sich ausschließlich an Juden richtet (10,Sf.). Sie entspricht damit in ihrer Struk- » Mt 28,18ff erweist sich somit als Endstück einer wohl Israel als auch den Weltvölkern gegenüber erweisen sich die Jünger Jesu als diejenigen, die die Berufung Israels zum Licht der Welt (5,14ff.) an- und wahrnehmen; Missionskonzeption, in der Nichtjuden und Juden gleichgestellt, aber nicht gleichgemacht sind ... « • in der endzeitlichen Austur der Berufung Israels, als Gemeinschaft der Kinder Abrahams das Licht der Welt zu sein; denn in diese Rolle »rufen« die Jünger Juden hinein und »sammeln alle, die sie finden« (22,9f.). ZNT 15 (8.Jg. 2005) richtung: ihre Erfüllung finden beide Missionen der Jünger in der himmlischen Tischgenossenschaft mit den Erzvätern, die Jesus Juden als Kindern Abrahams und Nichtjuden als Empfängern des Segens Abrahams erschließt. 57 Mt 28,18ff. erweist sich somit als Endstück einer Missionskonzeption, in der Nichtjuden und Juden gleichgestellt, aber nicht gleichgemacht sind; denn nur als Christus für Israel ist Jesus » Herr« auch für die Weltvölker (vgl. 15,21-28; 22,41-45). Der aus Jes 42 zitierte Gottesspruch Mt 12,18-21 der J esu öffentliches Wirken in Israel im Rahmen von Mt 12-20 deutet fasst diesen Grundgedanken in Worte: »Siehe, mein Kind, das ich erwählte, mein Geliebter, an dem meine Seele Gefallen fand (vgl. 3,17; 17,5); ich werde meinen Geist auf ihn legen (vgl. 3,16; 12,28) - und Recht (vgl. 23,23) wird er den Weltvölkern künden (vgl. 28,20a). Niemand wird streiten oder schreien (vgl. 12,16) oder auf den Straßen seine Stimme hören (vgl. 13,13ff.). Geknicktes Rohr wird er nicht brechen (vgl. 14,14 etc.) und glimmenden Docht (vgl. 12,23 etc.) nicht auslöschen, bis er zum Sieg führt das Recht (vgl. 5,17; 24,35) - und auf seinen Namen werden Weltvölker hoffen (vgl. 28,19).« In summa: Traditionsgeschichtlicher Hintergrund, kompositorische Einordnung und missionstheologische Bedeutung von Mt 28,16-20 sprechen dafür, die Wendung panta ta ethne wie überall sonst im MtEv auf »alle Weltvölker« zu deuten. 13 Anmerkungen 1 Die Übersetzung »Weltvölker« (vgl. Christen und Juden III, hg. vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 2000, Abschnitt 3.2) soll a) den jüdischen Verständnishintergrund und 6) den universalen Charakter des Wortes ethne ausdrücken, c) den Unterschied zu dem Israel einschließenden Begriff laoi (Völker) markieren sowie d) die mit den deutschen Stichworten »Heide« und »Nation« verknüpften Assoziationen vermeiden. Für Rat und Hilfe danke ich Berndt Schaller sowie meinem Mitarbeiter Ingo Vespermann. 2 Vgl. etwa M. Meinertz, Jesus und die Heidenmission (NTA I.1-2), Münster 2 1925 (1908), 171-176, der Mt 28,19 »im universalen Sinne, einschließlich der Juden« auffasst. 3 Vgl. z.B. a) W. Trilling, Das wahre Israel. Studien zur Theologie des Matthäusevangeliums (EThSt 7), Leipzig 1 1975 (1959), 6) J.D. Kingsbury, Matthew as Story, Philadelphia 2 1988 (1986) sowie c) Christen und Juden II, hg. vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 1991, 50f. 4 Selbst an Stellen, die die Perspektive »heidnischer« Weltherrscher widerspiegeln (Est 4,11; Jes 14,12; Dan 3,2), bleibt es vom jeweiligen Kontext her (vgl. Est 3,13f.; Jes 14,26; Dan 3,7f.) zweifelhaft, ob Israel in jene Wendung eingeschlossen ist. Das Gleiche gilt für Jer 32,1 [25,15]; 35[28],11.14, wo Israel in die Unterwerfung »aller Weltvölker« durch Nebukadnezzar einbezo- 58 gen zu sein scheint: Zum einen wird Juda und Jerusalem in 32,4.15a [25,18.29a] ein anderes Geschick zugeschrieben als den ethne in 32,2f.5-14.15b [25, 16f.19-28.29b], während in 35[28],1-15 dieJerusalemer mit dem Titel ho laos (das Volk) von den ethne abgesetzt werden; zum anderen bleibt Israel andernorts bei Jeremia gerade in der Perspektive des Gerichts von »allen Weltvölkern« unterschieden (vgl. 9,24f.; 25,8-11; 43[36],lff.). 5 Vgl. etwa die LXX-Zusätze Est 4,17m (C 16); 10,3g-h (F 7-8); Dan 3,37 sowie Jdt 3,8 (samt 4,1 ! ); Tob 3,4; 13,5; 14,6; lMakk 1,42 u.v.ö.; 3Makk 3,20; 7,4; Sir 36,1; PsSal 9,9; 17,34; TLev 15,1; TBen 10,9 usw. Einer eigenen Prüfung bedürften die nicht auf Griechisch erhaltenen Texte des antiken Judentums; vgl. z.B. 2Bar 72,2.5; 4Esr 13,33. ' Zum Folgenden vgl. F. Wilk, Jesus und die Völker in der Sicht der Synoptiker (BZNW 109), Berlin/ New York 2001, bes. 83-153.240ff. (samt Diskussion mit der Literatur). 7 Da Jesus in 13,38 Weizen und Unkraut auf die im Kosmos lebenden Menschen deutet, dürfte die in 13,28c-30a besprochene Verantwortung der Knechte für die Pflege des Feldes die Aufgabe der Jünger Jesu in der Völkerwelt widerspiegeln. Auch Mt 16,28 und 20,21 lassen im jeweiligen Kontext das Reich des Menschensohns als dessen den Kosmos bzw. die Völkerwelt umgreifende, von der Auferweckung bis zur Parusie dauernde Herrschaft erkennen, unter der den Jüngern eine besondere Aufgabe zukommt; diese wird hier allerdings inhaltlich vom Sterben Jesu her als Leidensnachfolge bestimmt. Zum Ganzen vgl. (mit etwas anderen Akzenten) J. Roloff, Das Reich des Menschensohns. Ein Beitrag zur Eschatologie des Matthäus; in: M. Evang u.a. (Hgg.), Eschatologie und Schöpfung. FS E. Gräßer, (BZNW 89), Berlin/ New York 1997, 275-292: 284-288. ' Dazu vgl. jüngst M. Konradt, Die Sendung J esu zu Israel und zu den Völkern im Matthäusevangelium im Lichte seiner narrativen Christologie, ZThK 101 (2004), 397-425. • Vgl. C. Burchard, Zu Matthäus 8,5-13, ZNW 84 (1993), 278-288: 280-286. Ähnlich wie der Zenturio zeigt später die kanaanäische Frau (15,21-28) »großen Glauben«, indem sie den zu Israel gesandten Davidssohn als auch ihren Herrn anspricht und den Überschuss seiner Wundermacht für ihre Tochter erbittet. In beiden Fällen erfahren Nichtjuden »außer der Reihe« die Hilfe, die Jesus sonst nur Juden zuteil werden lässt (vgl. 9,18f.+23ff.; 17,14-18). Sie werden aber dadurch zur Umkehr weder gerufen noch veranlasst. Daher erscheinen sie nicht schon als Empfänger des in Jesus erschlossenen Heils, sondern nur als Vorzeichen dafür, dass sich nach Ostern viele aus den Weltvölkern Jesus zuwenden werden. 10 Vgl. dazu die beiJ. Adna/ H. Kvalbein (Hgg.), The Mission of the Early Church to J ews and Gentiles (WUNT 127), Tübingen 2000, 17-68, dokumentierte Debatte zwischen P. Stuhlmacher, H. Kvalbein und U. Luz. 11 In die gleiche Richtung weist A. von Dobbeler, Die Restitution Israels und die Bekehrung der Heiden. Das Verhältnis von Mt 10,56.6 und Mt 28,18-20 unter dem Aspekt der Komplementarität. Erwägungen zum Standort des Matthäusevangeliums, ZNW 91 (2000), 18-44. 12 Es fällt auf, dass im MtEv, das nur wenige Zahlenangaben zum Jüngerkreis enthält, die Sendung an Israel explizit den »zwölf« (10,lf.5; 11,1), die an alle Weltvölker aber den »elf Jüngern« übertragen wird. Diese ZNT 15 (8.Jg. 2005) Florian Wilk Eingliederung von nHeiden« in die Gemeinschaft der Kinder Abrahams Differenzierung symbolisiert wohl die Divergenz der Aufträge, veranschaulicht doch die Zwölfzahl der Jünger (vgl. 20,17; 26,20) deren Ausrichtung auf ganz Israel (vgl. 19,28 hier dürfte in Analogie zu 25,31-46 ein Gericht über alle Juden nach dem Maßstab ihres Verhaltens gegenüber den Jüngern [vgl. 10,14f.40ff.J im Blick sein). Da die Differenz aber schlicht dem Tod des Judas (27,5) geschuldet ist, hebt sie die Identität der Jüngergemeinschaft als Empfängerin beider Aufträge nicht auf. 13 Vgl. panta ta ethne in 24,9.14; 25,32, ta ethne in 4,15; 6,32; 10,18; 12,18; 20,19.25 und ethne in 10,5; 12,21, ferner ethnikos (»heidnisch«) in 5,47; 6,7; 18,17. -Zur hermeneutischen Reflexion der im MtEv erkennbaren Hartmut Heuermann Religion und Ideologie Die Verführung des Glaubens durch Macht 2005, 340 Seiten, € 29,90 ISBN 3-7720-8106-1 Der Mensch ist ein machthungriges Wesen. Um sich die Welt gefügig zu machen, strebt er danach, die objektive Wirklichkeit seinem subjektiven Willen zu unterwerfen und Dominanz über Natur und Gesellschaft zu erlangen. Darin folgt er einem Trieb, derrationalisiert und systemat1S1ert zur Bildung von Ideologien führt, ein Trieb, von dem grundsätzlich auch der homo religiosus nicht ausgenommen ist. Vom Pantheon der antiken Götter bis zum Machtzentrum der römischen Kurie haben ideologisierte Religionen eine Blutspur in die Geschichte gezeichnet, die das hehre Anliegen von Glaubensvertretern nur allzu oft als inhumanes Programm entlarvt und ihre noblen Bekenntnisse Lügen straft. ZNT 15 (8. Jg. 2005) Missionskonzeption fehlt in diesem exegetisch ausgerichteten Kontroversartikel der Raum; sie könnte auch nur im Zusammenhang mit der Wahrnehmung anderer neutestamentlicher Konzeptionen erfolgen. Es sei jedoch wenigstens angemerkt, dass die Zuweisung der Israel- und der Weltvölker-Mission an den in Israel entstandenen, bleibend jüdisch geprägten und deshalb die Rolle Israels als Gemeinschaft der Kinder Abrahams übernehmenden Jüngerkreis Jesu einer einfachen Applikation matthäischer Aussagen auf die gegenwärtigen missionarischen Aufgaben christlicher Kirchen entgegensteht. Dieses Buch untersucht ,Brennpunkte' der Religions- und Gesellschaftsgeschichte, an denen die unselige Verquickung von Gläubigkeit und Machtversessenheit sichtbar wird. Ob es um den blutrünstigen Jahwe der Israeliten, den unduldsamen Allah der Muslime oder den „allmächtigen" Gott der Christen geht; ob wir das Debakel der so genannten Kreuzzüge, die Untaten der „Heiligen Inquisition" oder die Raubzüge der Konquistadoren in der Neuen Welt betrachten; ob es sich um die Motive fundamentalistischer Gewalttäger oder die messianische Politik eines George W. Bush handelt stets stoßen wir auf diesen Komplex aus Glaubensinbrunst und Machtgier, der die überirdischen Ziele religiöser Verkündiger auf höchst irdische Weise kompromittiert. Die kritischen Analysen münden in die Frage, ob und unter welchen Bedingungen es ideologiefreie Religion geben kann. A. Francke Verlag Tübingen 59