ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2005
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Dronsch Strecker VogelHerodes: Kindermörder oder weiser Staatsmann?
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2005
Roman Heiligenthal
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Kontroverse Herodes: Kindermörder oder weiser Staatsmann? Eine Einführu ng zur Kontroverse Neben Jud as Isch ariot wird kaum eine Gestalt der frühjüdisch-christlichen G eschichte zur Zeit J esu derart negativ gedeutet wie Herodes der Groß e. »Herodes erlangte sein Königreich wie ein Fuchs, er regierte wie ein Tiger und starb als Verrückte r.« 1In der traditionellen jüdischen Geschichtsschreibung galt er a ls ein verschlagener un d mordlüsti ge r De spot, der die jüdische Religion missachtete und das rec h: mäßige jüdische Königshau s der Has monäer mit Stumpf und Stil ausrottete. Dieses und ähnliche Urteil e, die kaum ein gutes Haar an H erodes li .gen, beruhen auf einer nationalreligiösen Sichtweise, die ku lturelle und religiöse Isolatio n zum Ideal erhebt und auf politischem Feld die realen Gege benheiten und Handlungsspielräume nicht zu sehen vermag. Die römisch-hellenist is che Kultur wird als identitätsbedrohende Gegenwelt gesehen. Eine Öffnung ihr gegenüber, wie sie die H erodianer versuchten, kann dann höchs tens als politischer Opportunismus gewertet werden. Der Schlüss el zu einem abgewogenen Verständnis des Herodes li eg e in den politischen Verhältnissen Judäas , die Hero d es vorfand und die er weder verändern konnte n och aus eigenem Willen verändern wollte. Spätestens seit 40 v. Chr., dem Jahr als Herodes aus Jerusal em vor den Parthern und dem mit ihnen verbündeten Antigonus nach Ro m fliehen musste und er dort aufgrund eines Se natsbeschlusses nach Fürsprache von Antonius und Oktavian zum König von Judäa ernannt wurde ,2 war ihm bewusst, dass er nur mit der Hilfe Roms bestehen konnte. Diese Grundhaltung hatte für das Selbstverständnis des Herodes auf dem Hintergrund des unt er Augustus besonders im Orient aufkommenden politischen Messianismus auch religiöspolitische Implikationen. Fundament dieser religiö sen Einbindung und Legitimierung seines Königtums war der Euergetismus,3 den Herodes zur Richtschnur seines Regierens machte. Herodes I. war nicht nur einer der bedeutend sten Bauherren se iner Zeit, ein großartiger Kämpfer und Stratege, ein diplomatischer Politiker, sondern auch ein Visionär. Er hatte die Vision, Israel aus seinem Partikularismus in die Weite der he llenistisch-römischen Ökumene zu führen. Er war offen für die kulturellen Entwicklungen seiner Zeit und achtete doch in einem erstaunlich ho hen Maß die Gesetze und Bräuche seines Vo lkes. In einem gewissen Sinn trug Herodes die kri egerischen Züge eines Davids und besaß die »multikulturelle« Offenheit eines Salomo. Man wird diesem Mann nicht gerecht, wenn UTß Theologie 40 Fve-Marie Becker (ltrsg.) Eve -Marie Beck er (Hrsg.) Neutestamentliche Wissenschaft Autobiographische Essays aus der evangelischen Theologie UTE 2475 M, 2003, XVII, 394 Seiten, € 24, 90/ SFr 43, 70 UTE-ISBN 3-8252-2475-9 A. Francke ZNT 16 (8. Jg. 2005) man ihn aus dem Blickwinkel fanatischer Pharisäer beurteilt, die seine ärgsten Gegner waren . Wie richtig der von Herodes eingeschlagene Weg gewesen wäre, zeigt die Katastrophe des jüdischen Krieges nur einige Jahrzehnte nach seinem Tod. A uf der anderen Seite muss man allerdings auch bedenken, dass die nativistischen Bewegungen' des Judentums in ihrem Versuch, sich durch Abgrenzung von dem großen Assimilationsdruck der römisch-hellenistischen Kultur zu befreien, die Identität des Judentums auch durch politische Katastrophen hindurch zu wahren vermochten. Herodes hat sich dem starken »Hellenisierungsschub « seiner Zeit geöffnet. Er beförderte, dass griechische Sprache, hellenistische Lebensart und Kultur und in Ansätzen auch eine synkretistische Religiosität das Leben in Judäa teilweise überformten .5 Ob Herodes zu dieser Hellenisierungspolitik eine realistische Alternative hatte, erscheint mir allerdings fraglich. In geradezu exemplarischer Weise zeigt die anschließende Kontroverse, wie man bei unterschiedlicher Gewichtung der selben Quellen und durch die Wahl eines bestimmten Blickwinkels der Interpretation zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Die reine historische Wahrheit gibt es nicht. Alles ist eine Frage der Auslegung. »Was ist Wahrheit? « 0oh 18,38) mit dieser skeptischen Frage beendet der Statthalter Pontius Pilatus einen der vielleicht berühmtesten Dialoge der Weltliteratur ... Roman H eiligenthal Anmerkungen ' S. Zeitlin, Who crucified Jesu s, New York 1964, 21 : » Herod achieved his kingdom as a fox , ruled as a tiger and died as a madman. « 2 Jos ant XIV, 14,1-5; bell I 14,4. 3 Vgl. Zum Verständnis: Art. Euergetismus, in: Der Neue Pauly Bd. 4 (1998), 228-230. • Vgl. hierzu: G . Theißen, Jesus - Prophet einer millenaristischen Bewegung? Sozialgeschichtliche Überlegungen zu einer sozialanthropologischen Deutung der Jesusbewegung, in: EvTh 59 (1999), 402-415. 5 Siehe hierzu: G . Theißen / A. Merz, Der umstrittene historische Jesus. Oder : Wie historisch ist der historische Jesus? , in: S.M . Saecke / P.R. Sahm (Hgg.), Jesus von Nazareth und da s Christentum . Braucht die pluralistische Gesellschaft ein neues Jesus bild? , Neukirchen-Vluyn 2000, 184 . ZNT 16 (8 . Jg. 2005) Stefan Alkier / Hermann Deuser Gesche Linde (Hrsg.) Religi öse r Fundamentalismus Analysen und Kritiken 2005, Vlll, 230 Seiten, € 29 ,90 / SFr 49, 90 ISBN 3-7720-8099- 5 Fundamentalismus ist kein islamisches bzw. arabi sches Sonderproblem. Vielmehr finden sich auch in der Begründung US-amerikanischer und europäischer Politik christlich-fundamentalistische Plausibilitätsstrukturen und im Konflikt zwischen Palästina und Israel sind es gerade fundamentalistische Denkweisen, die einen friedlichen Diskurs blockieren . Aber was ist Fundamentalismu s? Woher bezieht er seine verführerische Kraft? Diese Frage wird reli gionsphänomenologisch, religionsphilosophisch, so ziologisch, politikwissenschaftlich und theologisch erörtert. A. Francke Verlag Tübingen Vorschau auf Heft 17 Themenheft: Gewalt und Gewalterfahrung Neues Testament aktuell: Martin Leutzsch, Gewalt und Gewalterfahrung im Neuen Testament. Ein vernachlässigtes Thema neutestamentlicher Forschung Zu m Thema: Franr; ois Vouga, Rene Girard und das NT Martin Evang, Wie reagieren Christen auf Gewalt? Perspektiven des lPetr Gerd Theißen, Aggression und Aggressivität im Neuen Testament Kontroverse: Ist der eine Gott gewalttätig? Jan Assmann vs . Eckard Reinmuth Hermeneutik und Vermittlung: Michael Schneider, Rezeption apokalyptischer Texte in Songs von Xavier Naidoo Buchreport: W. Dietrich u. M. Mayordomo, Gewalt und Gewaltüberwindung in der Bibel, Zürich 2005 41
