eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 9/17

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2006
917 Dronsch Strecker Vogel

Editorial

61
2006
Stefan Alkier
Axel von Dobbeler
Jürgen Zangenberg
znt9170001
Liebe Leserinnen und Leser, der Gegensatz könnte nicht größer sein: »Friede auf Erden« heißt es im Evangelium zum Christfest, Paulus spricht vom Frieden als »Frucht des Geistes« (Gal 5,22) und die Friedensstifter werden »Kinder Gottes« genannt (Mt 5,9). Gewalttätigkeit hingegen, so betont das NT, ist nicht Sache der Christen, sie erleiden eher Unrecht als es zu vergelten und überlassen Gott das Gericht über Ungerechte (Mt 5,38- 42; Röm 12,14-21). Wenn überhaupt, dann sind Christen Opfer von Gewalt, die von den »Mächtigen der Welt« oder »den Reichen« ausgeht (Mk 10,42- 45; Jak 2,6). Schön wäre das wohl! Dass christlicher Glaube all dieser Texte zum Trotz zu besonders gnadenloser Gewalttätigkeit geführt hat, konnte man zum Jahreswechsel in Ausstellungen über die mittelalterlichen Kreuzzüge studieren. Andererseits kann selbst rudimentäres, christlich motiviertes Gedenken an den Frieden, der höher ist als unsere auf Vergeltung sinnende Vernunft, noch den Lauf des Alltäglichen durchbrechen und in ganz subversiver Weise eine Gegenwelt schaffen, wie die filmische und literarische Erinnerung an den »kleinen Frieden im Großen Krieg« verdeutlicht, als zu Weihnachten 1914 an der Westfront für wenige Tage die Waffen schwiegen. Freilich, bald setzte das Morden wieder ein und dauerte noch fast vier Jahre an, nicht selten im Namen Gottes. Und auch die »Renaissance des Religiösen« im nach Orientierung suchenden postmodernen Westen bringt nicht nur Hunderttausende Neugieriger und Gläubiger nach Rom, um des verstorbenen Papstes zu gedenken und das Wehen eines Geistes zu spüren, der nicht von dieser Welt ist, sondern zeitigt auch eine immer dreistere Instrumentalisierung von Religion für politische Interessen wie etwa im Irak. Nachzudenken gibt es also genug über den Zusammenhang von Christentum und Gewalt, zumal Religionskritiker stets einen Zusammenhang zwischen praktizierter Gewalttätigkeit und geglaubter Ausschließlichkeit des Einen Gottes gesehen haben und den zentralen Glaubensinhalt des Christentums, wonach gemäß göttlichen Willens die Erlö- ZNT 17 (9.Jg. 2006) sung der Welt durch den blutigen Kreuzestod Jesu von Nazareth erwirkt wurde, als besonders gewaltverherrlichend und gewaltfördernd angeprangert haben. Wie also steht es mit »Gewalt« im Neuen Testament? Die Beiträge des vorliegenden Bandes liefern wie immer Hintergründe und Denkanstöße, um in der gegenwärtigen Diskussion zu einem reflektierteren Urteil zu gelangen. Martin Leutzsch orientiert über den gegenwärtigen Stand der Forschung und zeigt auf, wie vernachlässigte Aspekte von »Gewalt und Gewalterfahrung im NT« neu zum Sprechen gebracht werden können. Frarn,; ois Vouga führt ein in das Denken des französischen Literatur- und Kulturwissenschaftlers Rene Girard, der wie kaum ein anderer gegenwärtiger Kritiker sich mit traditionellen christlichen Sühnevorstellungen auseinandergesetzt und ihre bleibende Bedeutung für Kultur und Ethik reflektiert hat. Martin Evangs Beitrag zum 1. Petrusbrief versteht sich als Fallstudie über gelebte Gewaltlosigkeit einer frühchristlichen Gruppe inmitten einer gleichgültigen oder gar offen ablehnenden Umwelt. Gerd Theißen diskutiert in gewohnter Breite und Tiefe neutestamentliche Ansätze zum Umgang mit Aggression und Aggressionsbearbeitung. Ob der Eine Gott gewalttätig ist, diskutieren Jan Assman und Eckart Reinmuth in einer besonders spannenden Kontroverse. Michael Schneiders Beitrag in »Hermeneutik und Vermittlung« behandelt die ganz aktuelle und individuelle Rezeption apokalyptischer Texte, die ja oft drastische und höchst gewaltbetonte Aussagen enthalten, in Songs von Xavier Naidoo. Peter Buschs Buchreport schließlich greift aus der Flut neuerer Publikationen zum Thema einen Band heraus, der besondere Aufmerksamkeit verdient. Insgesamt lohnt sich in diesem Zusammenhang sicher auch noch einmal ein Blick in den Beitrag von Robert Jewett zu den biblischen Wurzeln des amerikanischen Messianismus in ZNT 15 (2005). Aufmerksame und anregende Lektüre wünschen Stefan Alkier Axel von Dobbeler Jürgen Zangenberg