ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2006
917
Dronsch Strecker VogelGewalt und Gewaltlosigkeit in der Strategie des 1. Petrusbriefs
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2006
Martin Evang
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Martin Evang Gewalt und Gewaltlosigkeit in der Strategie des 1. Petrusbriefs »Gewalt« und »Gewaltlosigkeit« mit den zugehörigen Facetten: Gewalt- und Rechtsverzicht, Überwindung und Ächtung von Gewalt, Einsicht in gewaltfördernde und -haltige Strukturen und ihre Veränderung, Verarbeitung von Gewalt, Linderung ihrer Folgen - »Gewalt« und »Gewaltlosigkeit« stehen nicht im Fokus des lPetr. Da jedoch Gewalterfahrungen zu der Problemlage nicht nur, sondern ist darauf aus, sein Zeugnis plausibel zu machen, so dass die schwierige Lage aus Überzeugung, ja sogar mit Freude angenommen werden kann. lPetr ist theologische Aufklärung und seelsorgliche Werbung in einem. Der Verfasser spricht von den Kalamitäten des Christseins so, dass sie vor dem überragenden Heil, das den Gläubigen zukommt, marginal erscheinen. Und umgekehrt gehören, auf die der Brief eingeht, liegt »Gewaltlosigkeit« auch im Zielfeld seiner Gesamtstrategie. In diesem Beitrag bearbeiten wir das Gewaltthema im lPetr im Zusammenhang dieser Strategie. Dabei gehen wir nicht »Da jedoch Gewalterfahrungen zu der Problemlage gehören, auf die der Brief eingeht, liegt ,Gewaltlosigkeit< auch im Zielspricht er von diesem Heil so, dass Gegenerfahrungen, die sie im Kontakt mit Nichtchristen machen, als eine unvermeidliche, eher geringfügige und zeitlich begrenzte Begleit- ! eld seiner Gesamtstrategie.« von einem fest umrissenen Gewaltbegriff aus. 1 Die elementare Unterscheidung zwischen potestas als legitim(iert)er, mit Machtmitteln ausgestatteter Autorität und violentia als (physischer, psychischer, sozialstruktureller) Gewalttätigkeit im Sinn, sehen wir zu, welche im lPetr begegnenden Phänomene in dieser Perspektive auffallen und ob sich dabei ein gewaltkritische Potenzial zeigt. 2 1. Der Zuspruch: Groß und gewiss ist euch das Heil! 1 Petr ist ein in der zweiten Hälfte des 1. J ahrhunderts unter dem Namen des Apostels Petrus verbreitetes Rundschreiben an die in Kleinasien lebenden Christen. Zum Ziel des Schreibens resümiert der Verfasser: »... ich erscheinung begriffen werden können. Vergröbert gesagt: » Think big« ist die Botschaft des lPetr hinsichtlich des den Christen von Gott zugewandten Heils; »take it easy« dagegen im Blick auf den Druck, den sie als Christen verspüren. Die Sprach- und Vorstellungsmuster, die dem Verfasser zur Verfügung stehen und die er seiner Strategie dienstbar macht, stammen aus unterschiedlichen Zweigen christlicher Anfangsüberlieferung, namentlich aus der synoptischen Jesus- und der paulinischen Tradition, ferner aus der griechischen jüdischen Bibel. Zur Vergewisserung der angefochtenen Heilswirklichkeit werden besonders solche alttestamentlichen Traditionen aktualisiert und auf die Christenheit bezogen, in denen sich Israel seiner exklusiven Berufung durch JHWH und seiner darin begründeten Sonhabe ermahnt und bezeugt, dass dies (die) wahre Gnade Gottes ist, in der ihr stehen sollt« (5,12). Tatsächlich reklamiert lPetr für eine Lebenssituation, die die Adressaten als ungnädig, wenn nicht gnadenlos erleben, dass in ihr Gottes >» Think big< ist die Botschaft des 1Petr hinsichtlich des den derstellung unter den »Völkern« vergewissert. Ohne die nichtchristlichen Juden seiner Zeit zu berücksichtigen, schreibt der Verfasser des lPetr der Christenheit mit einer Fülle alttestamentlicher Anspielungen solenn zu: »Ihr Christen von Gott zugewandten Heils; >take it easy< dagegen im Blick auf den Druck, den sie als Christen verspüren.« seid ein auserwähltes Ge- Gnade wirksam sei, und ermahnt sie, ihr Geschick zu bejahen. Aber lPetr behauptet und befiehlt schlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum, damit ihr die ZNT 17 (9.Jg. 2006) 21 Großtaten dessen verkündet, der euch aus Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat. Einst wart ihr nicht Volk, jetzt aber Gottes Volk; einst gab es für euch kein Erbarmen, jetzt aber habt ihr Erbarmen gefunden« (2,9f.). Demgemäß wird auch die nichtchristliche Zeitgenossenschaft unter den Begriff der »Völker« (»Heiden«) gefasst (2,12) und wird etwa den christlichen Frauen das Prädikat beigelegt, Saras Kinder zu sein (3,6 ). Hierher gehört auch der Begriff des Erwähltseins, der in lPetr eine wichtige Rolle spielt (neben 2,9 = Jes 43,20 noch 2,4.6 = Jes 28,16 sowie im brieflichen Rahmen 1,1 und 5,13). Nach innen stiftet er Identität, nach außen grenzt er ab. Wie die Erwählungsgemeinschaft Israel, so sollen sich die Christen lPetr zufolge als eine >Elite< verstehen, konstituiert durch den Ruf Gottes (neben 2,9 noch 1,15; 5,10), dem sie Glauben und Gehorsam geschenkt haben im Unterschied zu denen, die »dem Wort nicht gehorchen« (2,8; 3,1 und für die Zeit Noahs - 3,20). Dass die Christen sich als >Elite< fühlten und von ihrer Umwelt als >elitär<, >ab-sonderlich, beargwöhnt wurden, geht aus ihrer für lPetr charakteristischen Adressierung hervor: » ... an die Auserwählten, die als Fremde in Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien in der Zerstreuung leben ... « (1,1). Als »Fremde und Gäste« (2,11) werden sie wiederholt angesprochen, und von der verbleibenden Lebenszeit der Christen (vgl. 4,2) kann auch so gesprochen werden: »solange ihr in der Fremde seid« (1,17). Die Christen als die »Fremden«, die »Fremde«, die »Zerstreuung« (Diaspora) als ihr Lebensort und ihre Lebenssituation: mit dieser biblisch verwurzelten Begrifflichkeit rückt der Verfasser die alltäglichen Befremdungen der Christen in ihrer Umwelt in eine Perspektive, die sie zugleich in ihrer Heilsträchtigkeit sehen lässt: als vorübergehenden Begleitumstand der ihnen zuteil gewordenen Gnade Gottes und damit als Bestandteil dieser Gnade selbst. 3 Umgekehrt spricht er von diesem Heil so, dass Gegenerfahrungen nicht ignoriert werden müssen, sondern integriert werden können. Einer für lPetr bezeichnenden Redeweise zufolge sind die Christen »neu gezeugt« bzw. »neu geboren« (1,3.23; 2,2), was einerseits als Überführung in ein neues Sein gemeint ist und ernst genommen werden will, andererseits gegen ein perfektionistisches Missverständnis abgesetzt wird: das aus 22 Neuzeugung und Neugeburt hervorgegangene Dasein besteht in der Hoffnung auf ein »unvergängliches, makelloses und unverwelkliches Erbe« (1,3f.). Das Erbe unterliegt einer doppelten Sicherung: es wird für die Christen im Himmel verwahrt, und sie werden darauf hin durch den Glauben bewacht (1,4f.); es besteht im »Heil der Seelen« (1,9), in der Teilhabe an Gottes »ewiger Herrlichkeit« (5,10), in der Auszeichnung mit dem »unverwelklichen Kranz der Herrlichkeit« (5,4 ). Diese Hoffnung auf die noch ausstehende Heilsvollendung soll »vollkommen nüchtern« festgehalten (1,13) werden, und über sie soll Menschen, die verwundert danach fragen, Auskunft gegeben werden (3,15). Sofern der Glaube, in dem die Christen ihre Heilsanwartschaft haben und bewahren (1,5), »zugleich Hoffnung ist« (1,21), kann er Gegenerfahrungen theologisch integrieren, d.h. von Gott her verstehen: als Erprobung und Bewährung (1,6f.; 4,12), als Gottes Wille (3,17; 4,19), als Anfang des Gerichts (4,17). Jedoch werden diese Gegenerfahrungen, indem sie so eingeordnet werden, zugleich in ihrer Begrenztheit beschrieben: Bedrängungen und Leiden zählen wenig und währen kurz angesichts der sicher verbürgten Herrlichkeit (5,10; vgl. 1,6): »Beugt euch also unter die machtvolle Hand Gottes, damit sie euch, wenn die Zeit gekommen ist, zur Höhe hebt; eure ganze Sorge werft auf ihn, denn er kümmert sich um euch« (5,6f.). 1Petr teilt die Überzeugung des Paulus, »dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll« (Röm 8,18). Zusätzliches Gewicht verleiht lPetr der den Christen verbürgten Heilsfülle dadurch, dass sie als Gegenstand intensiver prophetischer Forschung und sehnsüchtiger Neugier von Engeln hingestellt wird (1, 10-12). Propheten wollten es wissen, Engel wollen es haben - und ihr kriegt's! Die Strategie der Vergewisserung wird weiter gestützt durch das apokalyptische Schema, in das auch das prophetische Wirken integriert ist: Zielgruppe des von Gott verfügten, prophetisch voraus verkündeten und nun im Evangelium proklamierten Heils (1,10-12) sind die Christen »nach der Vorhersehung Gottes, des Vaters« (1,2), ebenso wie Christus schon »vor der Gründung der Welt ausersehen« war und »euretwegen zur letzten der Zeiten erschienen« ist (1,l 9f.). ZNT 17 (9. Jg. 2006) Martin Evang Gewalt und Gewaltlosigkeit in der Strategie des 1. Petrusbriefs Martin Evang Dr. Martin Evang, Jahrgang 1957, 1975-1980 Studium der Evangelischen Theologie in Wup~ pertal und Tübingen; 1981-1985 und 1987-1993 Wissenschftlicher bzw. Hochschulassistent an der Ev.-theol. Fakultät der Universität Bonn {bei Prof. Gräßer), 1988 Promoti1: m zum Dr. theoL mit der Arbeit »Rudolf 13ultm.ann in seiner Frühzeit« (BHTh 84); 1985-1987 Vikariat in St. Augustin-Menden, 1993-2005 Pfarrer in Düsseldorf; seit 2005 Landespfarrer in der Arbeitsstelle für Gottesdienst und 1; <; .indergottesdienst - Bereich Gottesdienst im Theologischen Zentrum Wuppertal der Ev. Kirche in: i Rheinland, Halten wir fest: Der Verfasser macht den Christen das Heil groß und gewiss überspringt aber die aktuellen Unheilserfahrungen nicht, sondern nimmt sie in die Vorstellung über Heilswirklichkeit und -verwirklichung auf. Dabei lässt er die Probleme als erträgliche Begleitumstände des Christseins erscheinen. Jetzt und Dann sind im Zeichen der »Freude« verbunden, die schon jetzt aus Traurigkeit (1,6) und »Leiden« heraus jubeln kann, sich »zuletzt« (1,5), wenn mit der Herrlichkeit Christi auch das Heil in Erscheinung tritt, zu einer »unaussprechlichen, verherrlichten Freude« steigern und dann ganz und gar »Jubel« sein wird (1,6.8; 4,13). 2. Der Anspruch: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.« 2.1. Gegenüber Christen wie Nichtchristen: »Allen erweist Ehre! « Bislang ist die Strategie des lPetr aber erst zu einem Teil beschrieben. Mit derselben Intensität mahnt der Verfasser einen der religiösen Zuge- ZNT 17 (9.Jg. 2006) hörigkeit der Christen entsprechenden Gehorsam an. Die unumstößliche Heilsanwartschaft realisiert sich in einer »vom Geist gewirkten Heiligung« und zielt auf »Gehorsam und Besprengung mit dem Blut Jesu Christi« (1,2). Daraus ergibt sich die ethische Fundamentalforderung: »Als Kinder des Gehorsams lasst euch nicht länger von den Neigungen, die euch früher in eurer Unwissenheit bestimmten, leiten, sondern gemäß dem Heiligen, der euch berufen hat, seid auch selbst heilig in der ganzen Lebensführung wie geschrieben steht: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig« (1,14-16; vgl. Lev 11,44f.; 19,2). Die Lebensführung der Christen muss sich von dem Lebensstil der nicht christlichen Zeitgenossen (4,4 ), den die Christen ihrerseits hinter sich haben (vgl. noch 1,18b; 4,2f.), unterscheiden; er wird mit Stereotypen beschrieben, wie sie aus jüdischer Völkerpolemik vertraut sind. Hiermit ist der Gerichtsgedanke verknüpft, nicht nur im Blick auf die »Heiden« - »sie werden sich verantworten müssen vor dem, der bereit ist, über Lebende und Tote zu richten« (4,5; vgl. 4,17b.18; 2,12) -, sondern auch im Blick auf die Christen selbst, denen in Erinnerung gerufen wird, dass der, den sie als Vater anrufen, kein anderer als der ist, der »ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk richtet«, weshalb sie ihr Leben »in der Fremde« »in Furcht« zu führen haben (1,17; vgl. 4,17a). Die dem heiligen Gott verpflichtete ganz und gar heilige Lebensgestaltung wird nun im lPetr nach zwei Richtungen konkretisiert, nämlich nach innen im Blick auf das Verhalten unter Christen und nach außen im Blick auf die nichtchristliche Umgebung. Die Perspektiven können zwar unterschieden werden, sind aber nicht zu trennen. Ihnen liegt eine gemeinsame Einstellung zu Grunde, die vor allem an zwei Stellen in Gestalt von katalogartigen Aufzählungen zu Tage tritt. Die erste Reihe dieser Art steht in 2,1 und verallgemeinert die Forderung, in der geschwisterlichen Liebe aufrichtig zu sein: »Vermeidet also strikt jede Form von Schlechtigkeit und Trug und falschem Schein und Missgunst und Diffamierung! « Absolute Lauterkeit soll Haltung und Verhalten der Christen gegenüber ihren Mitmenschen, seien sie Christen oder nicht, bestimmen. 23 Den zweiten Katalog finden wir als Abschluss der Mahnungen, die sich auf das Verhalten in den hierarchischen Strukturen der Gesellschaft beziehen: »Seid alle einträchtig, einfühlsam, geschwisterlich, barmherzig und demütig! Reagiert nicht mit Bösem auf Böses, mit Schimpfen auf Schimpfen! Im Gegenteil: Segnet; denn dazu seid ihr berufen, damit ihr auch Segen erbt. ,Wer nämlich das Leben lieben und gute Tage erleben will, halte die Zunge vor Bösem zurück und seine Lippen davor, Trug zu reden. Er wende sich weg von Bösem und tue Gutes, er suche und strebe nach Frieden. Denn die Augen des Herrn schauen auf die Gerechten und seine Ohren hören auf ihre Bitten; aber das Gesicht des Herrn richtet sich gegen die, die Böses tun«< (3,8-12 mit Zitat Ps 34, 13-17). Diese Forderungen stellen geradezu eine Magna Charta gemeinschaftsfreundlicher Achtsamkeit dar. Sie schließen Aggressionen, die Androhung oder Anwendung physischer oder psychischer Gewalt kategorisch aus. Beide Kataloge betreffen, wie gesagt, übergreifend das Verhalten gegenüber Christen und Nichtchristen: »Allen (Menschen) erweist Ehre ... « Gleichwohl steht das christliche Verhalten nach innen und nach außen auch jeweils unter eigenen Gesichtspunkten. Zunächst nach innen: »... die Brüder (und Schwestern) liebt ... « (2,17a). 2.2. Im innerchristlichen Verhältnis: »Liebt einander! « Das Verhalten zu Mitchristen steht unter dem Anspruch der Liebe. »Haltet vor allem die wechselseitige Liebe beständig, denn ,Liebe deckt eine Menge Sünden zu«< (4,8 mit Zitat aus Spr 10, 12). Diese Weisung greift eine schon vorher ergangene Mahnung wieder auf, in der feinsinnig zwei offenbar gefährdete Aspekte geschwisterlicher Liebe, nämlich ihre Lauterkeit und ihre Beständigkeit, aus Eigenschaften Gottes und der Gottesbeziehung der Christen begründet und dringlich gemacht wurden (1,22f.).4 Wir treffen hier zum wiederholten Mal auf eine elementare Begründungsfigur des Verfassers, die christliche Existenz von Gott her prägen zu lassen. Die Figur begegnete uns bereits in dem alttestamentlichen Aufruf, gemäß der Heiligkeit Gottes heilig zu leben (1,15f.), und wir begegnen ihr nicht zum letzten Mal wieder in der Gemeindeparänese, die die 24 Mahnung zu beharrlicher Liebe (4,8) konkretisiert: »Dient einander, jeder entsprechend der Gabe, die er empfangen hat, als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes. Redet jemand, dann (sollen seine Worte) als Worte Gottes (selbst gelten können), dient jemand, dann (soll sein Tun) als aus der Kraft (stammend gelten), die Gott (selbst) gewährt, damit mit allem Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus« (4,l0f.). Nicht »Lob, Ruhm und Ehre« (vgl. 1,7) des Täters sollen >der Liebe Tun, mit Mund und Händen motivieren und krönen, sondern es soll auf Gott als Quelle der Liebe zurückweisen. »Gott entsprechend« (vgl. 5,2: kata theon) soll auch die Leitung von Gemeinden geschehen. Älteste sollen die jeweilige örtliche Gemeinschaft, »die Herde Gottes bei euch«, wie Hirten leiten: »nicht aus Zwang, sondern, wie es Gott entspricht, freiwillig; auch nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Hingabe; nicht wie Unterdrücker der Teilgemeinden, sondern als Vorbilder der Herde! « (5,2f.) Die Klauseln schließen Zwangsmaßnahmen im Leitungsamt der Gemeinde kategorisch aus. Zwar werden die Jüngeren ermahnt, sich den Ältesten »unterzuordnen« (5,5a); aber die für die öffentliche und häusliche Gesellschaft so charakteristischen Hierarchien der Über- und Unterordnung, die, wie wir noch sehen werden, der Verfasser grundsätzlich akzeptiert, werden für die Gemeinde mit der Mahnung an »alle«, sich »wechselseitig« (pantes allelois) dienst- und hilfsbereit zu begegnen (5,5 b), sogleich wieder unterlaufen. Diese auf Gleichrangigkeit beruhende Wechselseitigkeit, die außerhalb der Gemeinden weder vorausgesetzt noch erwartet werden kann, muss als ein grundlegendes Merkmal der agape (Liebe) in den innerchristlichen Beziehungen gelten und auch auf solche Beziehungen einwirken, die in der umgebenden Gesellschaft hierarchisch strukturiert sind. Dies gilt nicht nur, wie gezeigt, für die Gemeindeleitung (5,1-5), es gilt auch für das Verhältnis der christlichen Männer zu ihren Ehefrauen: »Ihr Männer ebenso, lebt mit dem weiblichen als dem schwächeren Geschlecht gemäß Einsicht ( = mit euren Frauen rücksichtsvoll) zusammen; erweist ihnen die Ehre, die ihnen als Miterbinnen der Gnade des Lebens gebührt, damit eure Gebete nicht belastet werden« (3,7). Zieht man diese Linie aus, so darf auch gesagt ZNT 17 (9. Jg. 2006) Martin Evang Gewalt und Gewaltlosigkeit in der Strategie des 1. Petrusbriefs werden, dass es nach lPetr wohl christliche Sklavenherren geben kann, aber nur »gute und freundliche« und keine »verdrehten«, d.h. nicht solche, die ihre Sklaven, obwohl sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen, schäbig behandeln (vgl. 2,18); das nämlich würde heißen, »die Freiheit zum Deckmantel für Bosheit« zu missbrauchen und zu vergessen, dass auch die Freien, sofern sie Christen sind, »Sklaven Gottes« sind (2,16). Die Wechselseitigkeit prägt auch zwei weitere konkrete Mahnungen für den innerchristlichen Umgang: »Seid gegeneinander gastfreundlich ohne Murren« (4,9a). Christen unterwegs müssen sich darauf verlassen können, bei ihresgleichen Aufnahme zu finden eine christliche Parallel- oder Binnengesellschaft zeichnet sich ab, die eine Heimat bietet, wo die bisherige Heimat zur »Fremde« geworden ist. Schließlich: »Grüßt einander mit dem Kuss der Liebe« (5,14). 2.3. Im Verhältnis zu Nichtchristen: »Führt euer Leben unter den Heiden einwandfrei! « Das Verhalten in den >Außenbeziehungen, wird unter den allgemeinen Anspruch des rechtlich und moralisch Guten gestellt: »Euer Leben unter den Heiden führt gut« (2,12a). Anastrophe (Lebensführung) ist eines der für lPetr charakteristischsten Wörter überhaupt (6 von 13 Vorkommen im NT); es begegnet in Verbindung mit »heilig« (1,15), »sittlich gut« (2,12), »ehrfürchtig rein« (3,2), »in Christus gut« (3,16), negativ »nichtig« (1,18). In dasselbe Wortfeld gehören agathos (gut, 3, 11.13 .16bis.21) mit agathopoiein, agathopoiia, agathopoios (Tun des Guten, 2,14.15.20; 3,6.17; 4,19) und seine Opposita kakos, kakia (schlecht, böse; Schlechtigkeit, Bosheit, 2,1.16; 3,9.10.11.12) mit kakopoiein, kakopoiia (Tun des Bösen, 2,12.14; 3,17; 4,15). Die dem heiligen Gott entsprechende Heiligkeit der Christen (vgl. l,15f.) soll in einer unangreifbaren Lebensführung Gestalt gewinnen. »Wer wird euch Böses zufügen, wenn ihr Eiferer des Guten seid? « (3,13) Die Annahme, dass dieses Kalkül aufgeht, wird in 1 Petr sowohl prinzipiell festgehalten als auch angesichts gegenteiliger Erfahrungen eschatologisch transzendiert. »Führt euer Leben unter den Heiden einwandfrei, damit sie in dem ZNT 17 (9. Jg. 2006) (= mit Bezug auf die Sachverhalte), worin sie euch als Täter des Bösen diffamieren, aufgrund der guten Werke, wenn sie sie in Augenschein nehmen, Gott >am Tage der Heimsuchung, preisen« (2,12). Lässt auch das aus Jes 10,3 stammende »am Tage der Heimsuchung« an das Endgericht denken und lassen sich auch für diese Deutung weitere Belege aus lPetr anführen (eindeutig 4,5.176.18), so kann man es doch auch von einem anberaumten »Untersuchungstermin« verstehen, an dem sich die Haltlosigkeit erhobener Anschuldigungen zeigt. Für diese Auffassung kann zunächst auf die in der fraglichen Hinsicht ebenfalls nicht eindeutige Parallele in 3, 16 verwiesen werden: » ... damit in dem (= mit Bezug auf die Sachverhalte), worin ihr diffamiert werdet, die, die euren guten in Christus (geführten) Lebenswandel schmähen, beschämt werden.« Es kann weiter verwiesen werden auf die missionarische Wirkung, die von einer betont guten Lebensführung erhofft wird: Männer, »die dem Wort nicht gehorchen«, könnten »ohne Wort« durch die Beobachtung des »ehrfürchtig reinen Lebenswandels« ihrer Frauen für den Glauben »gewonnen werden« (3, lf.). Schließlich kann verwiesen werden auf die Funktionsbeschreibung der »Statthalter«: »... entsandt zur Bestrafung derer, die Böses tun, aber zur Belobigung derer, die Gutes tun« mit dem angehängten Kommentar: »denn so will es Gott, dass die, die Gutes tun, die Unwissenheit der verständnislosen Menschen zum Schweigen bringen« (2, 14f.). Man wird also davon ausgehen können, dass das Kalkül: >Tut Recht dann braucht ihr niemand zu scheuen" obwohl es ersichtlich nicht immer aufging, umgekehrt keineswegs immer versagte. Jedenfalls war der Verfasser des lPetr davon überzeugt, seinen Adressaten einen betont unanstößigen Lebenswandel weiterhin nicht ohne Aussicht auf Erfolg (positiv: Werbung für die christliche Religion; negativ: Widerlegung unbegründeter Anschuldigungen) anraten zu können. 2.4. In den hierarchischen Strukturen: »Ordnet euch unter! « Die generelle Anweisung, »unter den Heiden« einen tadellosen Lebenswandel zu führen, wird hauptsächlich in Mahnungen zur Unterordnung konkretisiert: »Ordnet euch unter« bzw. »seid« 25 oder »bleibt untertan«, wird den Freien gegenüber der staatlichen Obrigkeit (2,13-17), den Sklaven gegenüber ihren Herren (2, 18-25) und den Ehefrauen gegenüber ihren Ehemännern (3, 1-6) geboten. Die einerseits verkürzte, andererseits erweiterte Aufnahme der sogenannten Haustafeltradition dürfte ein Indiz dafür sein, dass sich Argwohn und Vorwürfe gegenüber den Christen hauptsächlich aus Befürchtungen speisten, diese Bewegung gefährde das gesellschaftliche Gefüge. Angesichts der Wechselseitigkeit als Grundmuster in den von der Liebe geprägten innerchristlichen Beziehungen waren diese Befürchtungen nicht ohne Anlass. Zu berücksichtigen ist auch, dass in der neuen Religion ein hingerichteter Aufrührer im Zentrum der Gottesverehrung stand. Vor diesem Hintergrund ist der strategische Sinn der Unterordnungsmahnungen zu ermessen: Durch ihr Wohlverhalten gerade in den Autoritätsstrukturen der damaligen Gesellschaft sollten die Christen dem nicht einfach aus der Luft gegriffenen Verdacht, einen einen revolutionären Keim in die Gesellschaft zu tragen, entgegenwirken. Im Blick auf »Gewalt« und »Gewaltlosigkeit« bedeutet das zunächst: Obwohl in der christlichen Religion Ansätze zu einer grundlegenden kritischen Neubewertung von Gewalt als Obergewalt (potestas) nicht nur angelegt, sondern auch wirksam sind, sollen diese Impulse nach dem lPetr in der damaligen gesellschaftlichen Position der Christen nicht verfolgt werden können und dürfen nicht verfolgt werden, um Christen und christliche Bewegung in der gegebenen Lage nicht einer tödlichen Gefahr auszusetzen. Die Strategie des 1 Petr ist an diesem Punkt Überlebensstrategie. Gleichwohl lässt er keinen Zweifel daran, dass eine legitime Gestalt von potestas, die er geradezu einfordert (s.u.), an bestimmte Bedingungen geknüpft ist: »nicht gezwungen, sondern wie es Gott entspricht freiwillig; nicht habsüchtig, sondern hingebungsvoll; nicht tyrannisch, sondern vorbildlich für die, die der potestas unterliegen« (5,2f.); »gemäß Einsicht (die Empathie und Respekt umfasst)« (3,7); »Freiheit nicht als Deckmantel für Bosheit missbrauchend, sondern als Sklaven Gottes (d.h. in einer letzten Verantwortung vor Gott, die im Gewissen [vgl. 2, 19; 3,16.21] wahrgenommen wird und dem Gericht unterliegt [4,5])« (2,16). 26 Besonders reich an diesbezüglichen Untertönen ist die Mahnung zur Unterordnung unter die vorgegebenen politischen Instanzen in den kaiserlichen Provinzen Kleinasiens (2,13-17). Die Mahnung ist, anders als die folgenden, nicht speziell adressiert; implizit ist sie vorwiegend an solche gerichtet, die in ihren Häusern selbst nicht Untergebene sind (Sklaven, Frauen), sondern »Gewalt« (potestas) inne haben, also an (relativ) »Freie« (vgl. 2,16). Das bedeutet, dass die in der Unterordnungsmahnung zwischen den Zeilen stehenden Erinnerungen an eine dem Willen Gottes entsprechende Ausübung übertragener »Gewalt« auch von denen, die sich staatlichen Instanzen unterordnen sollen, im Verhalten gegenüber den ihnen Unterstellten zu beherzigen sind. Die ,Untertöne< klingen sofort mit: »Unterstellt euch jedem menschlichen Geschöpf wegen des Herrn, sei es dem Kaiser als dem, der an der Spitze steht, sei des den Statthaltern, die durch ihn zur Bestrafung derer, die Böses tun, und zur Belobigung derer, die Gutes tun, entsandt werden« (2,13f.). In Verbindung mit der gemeißelten Sentenz: »Alle ehrt, die Geschwisterschaft liebt, Gott fürchtet, den Kaiser ehrt« (2, 17), die den Kaiser mit »allen (Menschen)« als Empfänger von »Ehre« zusammenfasst und ins Gegenüber zu Gott stellt, dem allein »(religiöse Ehr- )Furcht« gebührt, signalisiert die Kategorisierung der politischen Autoritäten unter »jedes menschliche Geschöpf« die Verweigerung jeglicher Beteiligung von Christen an religiös-politischem Zeremoniell mithin am sogenannten »Kaiserkult«, dem zentralen und gerade in den kaiserlichen Provinzen Kleinasiens hoch bewerteten Symbol politischer Loyalität. Das Paradox, dass die explizite Unterordnungsmahnung in Bezug auf ihren faktisch strittigen entscheidenden Inhalt implizit dementiert wird, offenbart die heikle Situation der Adressaten. Wie die etwas spätere Offenbarung des Johannes zeigt, konnte diese Gratwanderung nicht lange gut gehen. In der Enzyklika lPetr wird noch die offene Konfrontation vermieden und wird ausdrücklich entfaltet, worin die legitime Ausübung übertragener Obergewalt besteht mit den Worten der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, die unter dem Zitat lPetr 2, 17 dem Staat die Aufgabe zuschreibt, »in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und ZNT 17 (9. Jg. 2006) Martin Evang Gewalt und Gewaltlosigkeit in der Strategie des 1. Petrusbriefs menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten« (aus These V). Anders als in der Erklärung von Barmen bleibt die der These entsprechende Verwerfung in lPetr implizit so deutlich sie zwischen den Zeilen zu lesen ist. Die folgende Mahnung an die Sklaven, sich ihren Herren unterzuordnen (2,18-25), enthält den Vorbehalt »soweit es christlich ist« (Johann Heermann, 1630, EG 495,5) in dem Verweis auf die syneidesis theou, das »an Gott gebundene Gewissen«, das dazu bringt, sich nicht nur »guten und freundlichen« Herren zu fügen, sondern auch ungerechte Behandlung, die einem trotz betonten Wohlverhaltens seitens »verdrehter« Herren widerfährt, bewusst und ohne Aufbegehren hinzunehmen als »( einen besonderen Erweis der) Gnade Gottes« (2,18f.). Gegenüber einem nur zu verständlichen spontanen Protest gegen dieses Konzept sei einstweilen auch hier wiederholt, dass es sich offensichtlich um eine Überlebensstrategie handelt, zu der sich der Verfasser in der bestimmten Situation, wie er sie wahrnimmt, gezwungen sieht. Auf die Entfaltung dieses Konzepts unter der Signatur »Leiden als Gnade« kommen wir sogleich zurück. Wie gezeigt, ist die Unterordnungsmahnung an die Frauen (3,1-6) von der Erwartung möglicher missionarischer Erfolge getragen. Die Empfehlung, sich von der äußeren Aufmachung (Haare, Schmuck, Kleidung) auf die innere zu verlegen - »der verborgene Mensch des Herzens in dem unvergänglichen (Wesen) des sanften und stillen Geistes, der vor Gott sehr kostbar ist« (3,4) zielt darauf, den Verdacht zu entkräften, die christliche Religion verfolge sozialrevolutionäre (hier: emanzipative) Ziele. Anzumerken ist, dass die Frauen, nochmals ausdrücklich an die Bedingung des agathopoiein (Tun des Guten, rechtlich und moralisch einwandfreies Verhalten) geknüpft, als »Kinder Saras« wie mit einem Ehrentitel ausgezeichnet werden (3,6 ), dass sie in der reziproken Paränese an die Männer als »Miterbinnen der Gnade des Lebens« und Mitsubjekte der »Gebete« aufgewertet werden (3,7) und dass auch ZNT 17 (9. Jg. 2006) der Anspruch »sanft und still« mit der an- und abschließenden an alle gerichteten Ermahnung (3,8) in die Wechselseitigkeit überführt wird. 2.5. Bei ungerechter Behandlung: » Wenn ihr wegen der Gerechtigkeit leidet, Heil euch! « »Wer wird euch Böses zufügen, wenn ihr Eiferer des Guten seid? « (3,13) Wie bereits erwogen, ist dieses Kalkül sowohl in der Erwartung des Verfassers als auch in der Lebenspraxis der Empfänger sicherlich teilweise aufgegangen; ob nur teilweise oder immerhin teilweise, stehe dahin. Wir haben uns nun abschließend damit zu beschäftigen, dass die Christen des lPetr selbst dann, wenn sie sich »unter den Heiden« rechtlich und moralisch einwandfrei verhielten, schmerzhaften sozialen Repressionen ausgesetzt blieben. Wie thematisiert und bearbeitet der Verfasser dieses Phänomen? In den Blick zu nehmen sind außer kürzeren Passagen im Briefeingang und -schluss (bes. 1,6f.; 5,8-12) vor allem die drei z.T. parallel strukturierten Passagen 2,18-25; 3,13-4,6; 4,12-19, in denen das »Leiden« der Christen (paschein, pathema) im Mittelpunkt steht. Die Kategorie des Leidens ist, wie es für 1Petr überhaupt kennzeichnend ist, zugleich beschreibend und deutend 1 • Für die Deutung sind zwei in der jüdischen bzw. frühchristlichen Tradition verwurzelte Komponenten des Leidensbegriffs bestimmend, nämlich einerseits die Verknüpfung des widrigen Geschicks der Christen mit den Leiden Christi und andererseits die perspektivische Hinordnung von gegenwärtigem, zumal ungerecht(fertigt)en Leiden auf die ihm überbietend korrespondierende zukünftige Herrlichkeit. Dieser Deutungsgehalt des Leidensbegriffs erschwert es aber, die historischen Erfahrungstatbestände, die mit ihm bezeichnet werden, konkret zu erfassen. So ist in der Sklavenparänese 2,18-25, die nun wieder aufzugreifen ist, kaum zu entscheiden, worin das »ungerechtfertigte Leiden« bzw. das »Leiden trotz Tuns des Guten« (2,19f.) konkret besteht. Die absichernde Klausel, dass es sich bei dem in Rede stehenden »Leiden« selbstverständlich nicht um die Strafe für strafwürdiges Verhalten handeln dürfe (2,20a), lässt an die Verabreichung von Schlägen (kolaphizein) denken, und in der anschließenden Schilderung des vorbildlichen Verhaltens Christi werden Schmähungen erwähnt 27 (loidorein). Genaueres erfahren wir hier nicht. Die Angaben reichen aber aus, um zu sehen, dass christliche Sklaven Opfer von verbaler und brachialer Gewalt werden konnten, differenzierter ausgedrückt: dass Sklavenherren als legitime Inhaber von Gewalt (potestas) diese gewalttätig (violentia) missbrauchten. Den Sklaven wird, indem sie aufgerufen werden, sich selbst »verdrehten« (d.h. ungerecht vorgehenden) Herren zu fügen, zugemutet, gegen solche Behandlung nicht aufzubegehren, sondern das »Leiden« zu »ertragen« bzw. »auszuhalten« (2,l 9f.). Verständlich wird diese Zumutung nur als überlebensstrategische Maßnahme. Um sie im Alltag umsetzen zu können, bedarf es einer kühnen Vision, die den manifesten Ehrentzug aufwiegen kann, der als öffentliche Schmach auch die Selbstachtung und das Ansehen bei Gott in Zweifel gestellt sein lässt. Eine solche Vision bietet lPetr, indem er das Leiden als »Gnade bei Gott« konzipiert (2,19.20; 5,12) und den leidenden Christus, der gegen sein Leiden nicht aufbegehrt, sondern sich in es geschickt hat, als heilswirkendes Urbild und wegweisendes Vorbild zugleich in Erinnerung ruft eine eindrucksvolle Reformulierung der Christologie. 2,21-25 im Einzelnen: Ausgehend von der überlieferten soteriologischen Kernformel »Christus ist gestorben für ... « (sc. uns; unsere Sünden), die zu »Christus hat für euch gelitten« umgeprägt wird, wird die Vorbildlichkeit und Maßgeblichkeit der Passion Christi entfaltet: » Er hinterließ euch ein Muster, damit ihr (ihm in) seinen Fußspuren folgtet« (2,21). Mit Wendungen aus Jes 53 wird festgehalten, dass Jesus wie es die Christen auch sollen sich in Taten und Worten nichts zuschulden kommen ließ: »Er tat keine Sünde, und kein Trug fand sich in seinem Mund« (2,22). Trotzdem fiel er der Gewalt zum Opfer. Er reagierte darauf aber so, wie es die Christen in seiner Nachfolge nun auch tun sollen: »Als er beschimpft wurde, schimpfte er nicht zurück; als er litt, drohte er nicht« ein Hinweis darauf, dass den Christen, die gegen Repressionen aufbegehren wollten, eher verbale als brachiale Gegengewalt zu Gebote stand (vgl. unten zu 3,16). Statt zurückzuschimpfen oder zu drohen, »stellte er (sc. Christus) es dem anheim, der gerecht richtet« (2,23) gewissermaßen ein temporärer Rechtsverzicht, oder genauer: ein eschatologischer Auf- 28 schub des Rechtsanspruchs, welcher im Falle Christi durch seine Auferstehung inzwischen durchgesetzt ist; von daher erklärt sich übrigens, dass nach 1,3 Gott mit der »Auferstehung (= nomen actionis mit Gott als Subjekt: das ,Wiedererstehenlassen<) Jesu Christi von den Toten« auch die »Neuzeugung (sc. der Christen) zu einer lebendigen (! ) Hoffnung« vollzogen hat (vgl. noch 1,21; 3,21fin.22). Der Erwähnung der Kreuzigung Christi und ihrer Sünden tilgenden Bedeutung nachJes 53: »Er trug unsere Sünden an seinem Leib auf das Holz ... « folgt gleich wieder die Verpflichtung auf eine unsträfliche Lebensführung: »... damit wir, für die Sünden gestorben, der Gerechtigkeit lebten« (2,24). Den Abschluss der Passage, die den leidenden Christen den leidenden Christus als Vorbild vor Augen stellt, bildet wiederum eine erneut von J es 53 inspirierte - Heilsvergewisserung: »Durch seine Verwundung wurdet ihr heil wart ihr doch wie irrende Schafe, habt euch aber nun zum Hirten und Hüter eurer Seelen bekehrt« (2,24fin.25). Treffend kommentiert R. Feldmeier: »Diese Verzahnung von soteriologischer Singularität und ethischer Exemplarität des Leidens Christi ist für den lPetr bezeichnend.« 6 In eine zu 2,21-25 z.T. parallele Argumentation tritt nach Abschluss der Unterordnungsmahnungen (2,13-3,12) der Verfasser mit 3,14a neu ein: »Aber selbst wenn ihr wegen der Gerechtigkeit leidet selig seid ihr! « Dass solches Geschick als besonderer Gnadenerweis Gottes zu begreifen und zu bewähren ist, wird teils mit schon bekannten Gedanken, teils unter Aufbietung anderer Traditionen vorgeführt. Auf die Ermutigung von 3,6fin., dass sich die Frauen von ihren Männern in keiner Weise einschüchtern (und vom christlichen Glauben abbringen) lassen sollen, greifen das Zitat aus Jes 8,12: »Ihre(= die von ihnen verbreitete) Furcht fürchtet nicht ... « (3,14b) und die nachJes 8,13 gebildete positive Mahnung zurück: »... heiligt vielmehr den Herrn, Christus, in euren Herzen« (3,15a). Offensichtlich hat der Verfasser den auf Christen ggf. mit Sanktionsdrohungen ausgeübten Druck vor Augen, dem christlichen Glauben abzusagen. In dieser Situation sollen sie über ihre nach allgemeinen Begriffen absurde Bereitschaft, Sanktionen in Kauf zu nehmen, auskunftsfähig sein: »ständig bereit zur Antwort gegenüber jedem, der von euch Rechenschaft for- ZNT 17 (9. Jg. 2006) Martin Evang Gewalt und Gewaltlosigkeit in der Strategie des 1 .. Petrusbriefs dert über die Hoffnung, die in euch ist« (3,15b). Diese Auskunft wird substantiell in einem Verweis auf die Auferstehung Jesu Christi bestehen und mit der Position - Gott hat dem gerechten, aber ungerecht behandelten Jesus Christus Recht verschafft, den Leidenden in die Herrlichkeit versetzt (vgl. 1,21) auch die Kehrseite dieses Rechtsentscheids anklingen lassen: das bevorstehende Gericht (ausdrücklich in 3,5). Daher erklärt sich der Zusatz: »aber mit Sanftmut (sc. gegenüber den Menschen) und (Ehr-)Furcht (sc. gegenüber Gott), ein gutes Gewissen bewahrend, damit« so in Wiederaufnahme von 2,12 - »die, die euren guten Wandel >in Christus< diffamieren, in den Punkten, in denen ihr verleumdet werdet, beschämt(= ins Unrecht gesetzt werden) werden« (3,16). M.a.W.: Die den bedrängten Christen abverlangte Auskunft soll nicht als Aufbegehren wirken auch der Protest gegen das Unrecht übernimmt Züge des Unrechts; damit würde das der sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen«, wird dies erneut abgesichert (4,15). Auf dem gegenwärtigen Leiden liege, so der Verfasser, der Vorschein göttlicher Herrlichkeit, und die Freude, zu der ermutigt wird, werde sich im Jubel vollenden. Entsprechend die Schlussmahnung: »Die nach Gottes Willen leiden, sollen ihre Seelen dem treuen Schöpfer anvertrauen ... « - und wie? Natürlich: » ... durch Gutestun« (4,19)! 3. Fazit In einer geschichtlichen Situation, in der Christen als solche an den Rand der Gesellschaft gedrängt und als Störenfriede der religiös verfassten sozialen Ordnung beargwöhnt werden, bestärkt der Verfasser des lPetr sie einerseits in ihrer abgrenzenden Selbsteinschätzung als Heilselite Gottes und schreibt ihnen andererseits eine einwandfreie Leiden seine Qualität verlieren (vgl. 3,17). Es schließt sich wie in 2,21ff. eine Passage über die soteriologische Ur- und ethische Vorbildlichkeit des Leidens Christi an (3,lSff), die ihren Skopus in dem Gedanken hat, dass »Leiden im Fleisch« der »Sünde« den Garaus macht, und in der entsprechenden Mahnung: »Da nun Christus » Weil sich die antichristliche Lebensführung vor, die zur Konfliktentspannung und zur Widerlegung gegen die Christen erhobener Vorwürfe tauglich erscheint. Weil sich die antichristliche Einstellung aber im Kern nicht gegen die soziale, sondern gegen die fundamentalere, nicht verhandelbare religiöse Devianz der Christen richtet, dehnt Einstellung aber im Kern nicht gegen die soziale, sondern gegen die fundamentalere, nicht verhandelbare religiöse Devianz der Christen richtet, dehnt der Verfasser seine ethische Strategie auf eine freudige Hinnahme von >Leiden< aus ... « am Fleisch gelitten hat, wappnet auch ihr euch mit derselben Gesinnung denn wer am Fleisch leidet, hat mit Sünde nichts (mehr) zu tun-, damit ihr eure restliche Lebenszeit nicht mehr menschlichen Neigungen, sondern dem Willen Gottes widmet« (4,lf.). Abschließend noch kurz zur dritten Parallelpassage, 4,12-19! Die »Leiden«, die als Erprobung (4,12; vgl. 1,7), als Teilhabe an den Leiden Christi (4,13; vgl. 5,1), als Anfang des Gerichtes Gottes (4,17) zur Sprache gebracht und so begreiflich gemacht werden, bestehen konkret im »Beschimpftwerden im (oder mit dem) Namen Christi« bzw. »als Christianer«, mithin wegen der Zugehörigkeit zu Christus, die den Empfängern trotz ihres anständigen Lebens zum Vorwurf gemacht wird - »leide nämlich ja niemand von euch als Mörder, Dieb, Spitzbube oder als einer, ZNT 17 (9.Jg. 2006) der Verfasser seine ethische Strategie auf eine freudige Hinnahme von »Leiden« aus, das als Teilhabe am Leiden Christi, als gegenwärtige Kehrseite künftiger göttlicher Herrlichkeit und als besonderer Gnadenerweis begriffen und plausibel gemacht wird. Zum Thema der Gewalt ist knapp und klar zu sagen, dass nach lPetr für Christen ein anderes als ein gewaltloses, auf Ausgleich und Frieden zielendes Verhalten nicht in Frage kommt. Gewaltverzicht als Verzicht auf gewaltsames Handeln wie auf den Einsatz von Zwangsmitteln bestimmt nicht nur das binnenchristliche Verhalten einschließlich solcher Beziehungen, die in der antiken Gesellschaft hierarchisch und damit strukturell gewaltträchtig organisiert waren; Gewaltverzicht als Rachebis hin zum völligen Rechtsverzicht prägt nach lPetr auch die Einstellung von Christen gegenüber der nichtchristlichen Umwelt, auch 29 ·Das erzählende -Ev: angeU1: 1m JL\\Sldfü'\ f); is Hans Klein Das Lukasevangelium übersetzt und erklärt von Hans Klein l(ritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament, Band 1, 3. 2006. 745 Seiten, Leinen€ 89,- D; bei Abnahme der Reihe€ 80,10 D ISBN 3-525-51500-6 Ausgangspunkt dieses grundlegenden Kommentars zum Lukasevangelium ist die These, dass Lukas ein begabter Erzähler der Jesusgeschichte war und nicht ein systematisch denkender Theologe. Darum sind seine Texte bis zum heutigen Tag im Unterricht und als Grundlage sozialen Handelns sehr beliebt. Der Auslegung liegt das Bestreben zu Grunde, sich in den Gesamtaufriss und die Einzeltexte des dritten Evangeliums hinein zu hören und damit dem Evangelisten möglichst gerecht zu werden. Jeder Texteinheit wird eine Analyse vorangestellt, die nach den Quellen des Lukas fragt und hinter diesen die historisch wahrscheinlichen Ereignisse oder Worte herauszustellen bemüht ist. Die kleinen thematischen Exkurse wollen das Blickfeld erweitern. Hans Klein Lukasstudien Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, Band 209. 2005. 219 Seiten, Leinen€ 69,90 D ISBN 3-525-53073-0 In dieser 18 Beiträge umfassenden Studie entwirft ' der Autor ein differenziertes und umfassendes Profil des Evangelisten Lukas und des lukanischen Doppelwerks. Vandenhoeck & Ruprecht Weitere Informationen: VandenhoeckErRuprecht, Theologie 37070 Göttingen info@v-r.de www.v-r.de 30 dann, wenn sie selbst Opfer von Gewalt sind; hierfür ist Christus Urbild und Vorbild. Hingegen akzeptiert lPetr im Rahmen seiner ethischen Strategie die hierarchischen Strukturen der antiken Gesellschaft und verlangt von den Christen, dass sie sich ihnen ein- und unterordnen. Dabei zeigt der Verfasser ein waches Bewusstsein dafür, dass die Ausübung übertragener Gewalt rechtlichen Bedingungen und Grenzen unterliegen muss und letztlich vor Gott zu verantworten ist. Konnte sich lPetr in seiner geschichtlichen Situation hier nur zwischen den Zeilen äußern, so sind die Untertöne seiner >politischen< Paränese (2,13-17) zu gegebener Zeit gehört und beherzigt worden (vgl. Barmen). Ebenso hat das in lPetr den innerchristlichen Umgang kennzeichnende Prinzip der Wechselseitigkeit, das wir als Sozialgestalt der Ranggleichheit aller Christen vor Gott interpretierten, zwischenzeitlich die Grenze der Kirche übersprungen; als allgemeines soziales Prinzip entspricht es der Rangleichheit (bzw., theologisch geurteilt, der Gottebenbildlichkeit) aller Menschen. Bisweilen möchte man wünschen, es überspränge die Grenze der Kirche erneut, gern auch von außen wieder nach innen. Wie dem auch sei: Ohne Vorbehalt ist zu begrüßen, wenn dass! auch Nichtchristen »einander mit dem Kuss der Liebe« grüßen (5,14a). Grüßen sich aber Christen, mit Kuss oder ohne, dann, bitteschön, auch wirklich mit Liebe, wie sie sich nach lPetr gehört (1,22f.): aufrichtig und anhaltend! Anmerkungen 1 Vgl. M. Mayordomo in: W. Dietrich/ ders., Gewalt und Gewaltüberwindung in der Bibel, Zürich 2005, 11-17. 2 Zu Einzelfragen und zur Vertiefung verweise ich auf die Kommentare zum lPetr, exemplarisch: L. Goppelt, Der erste Petrusbrief (KEK XII/ 1), Göttingen 1978; N. Brox, Der erste Petrusbrief (EKK XXI), Zürich u.a., Neukirchen-Vluyn 1979 (und spätere Auflagen); R. Feldmeier, Der erste Brief des Petrus (ThHK 15/ I), Leipzig 2005. 3 Vgl. monographisch: R. Feldmeier, Die Metapher der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im 1. Petrusbrief (WUNT 64), Tübingen 1992. 4 Vgl. dazu: M. Evang, Ek kardias allelous agapesate ektenos: Zum Verständnis der Aufforderung und ihrer Begründungen in lPetr 1,22f, ZNW 80 (1989), 111-123. 5 Vgl. Feldmeier, lPetr, §§1-2; ders., Art. Petrusbriefe, RGG' 6, 2003, 1179-1182, hier: 1180. 6 Feldmeier, lPetr, 116, mit Verweis auf H. Manke. ZNT 17 (9. Jg. 2006)