ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2006
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Dronsch Strecker VogelIst der eine Gott gewalttätig?
61
2006
Stefan Alkier
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Ist der eine Gott gewalttätig? Eine Einführung zur Kontroverse Der Ägyptologe Jan Assmann und der N eutestamentler Eckart Reinmuth beantworten die in der Kontroverse gestellte Frage in beeindruckender argumentativer Klarheit und Intensität - und sie kommen gerade aufgrund ihrer theologischen Differenz zu grundlegend verschiedenen Ergebmssen. Die theologische Grundthese Assmanns lautet: »Gott ist verborgen«. Dem gesellt sich die anthropologische Hypothese hinzu, Menschen kämen ohne Gottesbilder nicht aus. Mit Blick auf die Frage der Gewalt kommt dann der Vernunft die Aufgabe zu, die traditionelle Rede von der Gewalt Gottes auszudifferenzieren und »zu reinigen«. Das führt Assmann zu seiner kulturgeschichtlichen Rekonstruktion »sprachlicher Bilder« religiöser Ideen, die zu einer faszinierenden großen Geschichte (vgl. F. Lyotard) vom starken Staat Ägypten, über den starken Gott Israels als Gegenentwurf dazu, hin zu den Menschenrechten führt, deren universale Durchsetzung unter anderem durch die Befreiung von der christlichen Idee des »überwachenden und strafenden Gott[es]« erwartet wird. Wie sehr Assmann dem ethischen Religionsverständnis der Religionsphilosophie der Aufklärung, insbesondere der optimistischen Idee einer »Erziehung des Menschengeschlechts« verpflichtet ist (freilich ohne Lessings Wertschätzung des Neuen Testaments zu teilen), die ein gewaltfreies Friedensreich auf Erden zeitigen wird, zeigt sein appellativer Schlusssatz an, in dem sich Assmann um den Schulterschluss zwischen Autor und Leser bemüht. Seine implizite Theologie von der Verborgenheit Gottes lassen die Geschichten des Neuen Testaments nicht in den Blick kommen. Reinmuth hingegen geht von dem Gott aus, der sich in der Jesus-Christus-Geschichte als selbst von der Gewalt betroffenen zeigt. Gerade von seiner Lektüre der Schriften des Neuen Testaments aus gestaltet Reinmuth seine theologische Entgegnung auf die moderne Argumentation Assmanns. Der großen Geschichte Assmanns setzt er die kleinen Geschichten der neutesta- ZNT 17 (9.Jg. 2006) mentlichen Schriften entgegen, deren Grundüberzeugung er nicht in eine religiöse Idee oder in die kulturgeschichtliche Hypothese einer Entwicklung zum Besseren ( oder Schlechteren) hin auflöst, sondern ihren Zusammenhang in ihrem Bezug zur narrativen Struktur der Jesus-Christus- Geschichte gegeben weiß. Der jüdischen und christlichen Tradition rechnet er das Verdienst zu, »Gewalt als zentrales anthropologisches Problem benannt zu haben«. Dabei setzt er aber nicht auf eine aufgeklärte Menschheitsreligion gereinigter Gottesbilder. Vielmehr brechen ihm zufolge insbesondere die kleinen Erzählungen des Neuen Testaments durch die auf vielfältige Weise inszenierte »entwaffnende Logik einer bedingungslosen Liebe« die Mechanismen und Machtstrukturen der Gewalt. Aber auch Reinmuth sieht die Notwendigkeit einer kritischen Relektüre des Kanons angesichts seines faktischen Missbrauchs zur Gewalt gegen andere und theologisch noch brisanter aufgrund des Eingeschriebenseins von Gewalt im Kanon selbst. Die Kontroverse zwischen Assmann und Reinmuth ist gerade deswegen so spannend und lehrreich, weil beide Autoren auf höchstem wissenschaftlichen Niveau und in engagierter gesellschaftlicher Verantwortung sich einig wissen in der Aufgabe, das Gewaltpotential religiösen Denkens zu kritisieren, ohne Religion und Theologie als solche verabschieden zu wollen, dabei aber aufgrund ihrer kontroversen religionsphilosophischen, anthropologischen und theologischen Grundannahmen zu sehr verschiedenen Ergebnissen kommen. Gerade deshalb handelt es sich um eine Lehrstunde wissenschaftlicher Streitkultur, insbesondere um einen essentiellen Beitrag zur interdisziplinären Religionsforschung in kulturtheoretischer, religionsphilosophischer und theologischer Perspektive. Stefan Alkier 41
