eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 9/17

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2006
917 Dronsch Strecker Vogel

Ist der Eine Gott gewalttätig?

61
2006
Jan Assmann
znt9170042
Jan Assmann Ist der Eine Gott gewalttätig? Ist der Eine Gott gewalttätig? Wir wissen es nicht. Gott ist verborgen. Zwei Feststellungen lassen sich jedoch treffen: Erstens, daß die sprachlichen Bilder, die sich die Menschen, insbesondere die Autoren der hebräischen Bibel, von Gott gemacht haben von Gewalt reden, und zwar auf eine sehr auffallende, explizite und differenzierte Weise. 1 Zweitens, daß die Menschen, die an den Einen Gott glauben, Juden, Christen und Muslime, immer wieder unter Berufung auf den Willen Gottes zu Gewalt gegriffen haben. Unsere Frage muß also in zwei Fragen aufgespalten werden: erstens, ob die in den biblischen Texten aufscheinende Gewalt etwas Spezifisches, der Religion Israels bzw. der Theologie des Alten Testaments Eigentümliches ist, oder ob der Menschen provoziert wurde und die Verwirrung der Sprachen im Anschluß an den Turmbau zu Babel ein letzter Ausbruch kreativer Gewalt, den die Bibel schon mitten im hellen Licht der Geschichte ansetzt. Kreative Gewalt ist, wie man sieht, nichts spezifisch Biblisches; im Gegenteil möchte man sie eher einer archaischen, mythischen Grundschicht zurechnen, die die Bibel mit ihrer Umwelt gemein hat.' Die zweite Form göttlicher Gewalt möchte ich »naturale Gewalt« nennen. Sie stiftet keine neue Ordnung wie die Sintflut und die Sprachverwirrung, sondern hat rein destruktiven, katastrophischen und ausgeprägt strafenden Charakter. Naturale Gewalt ist nichts anderes als die relig10se Interpretation von sich Ähnliches auch in den Texten findet, in denen andere Kulturen von bzw. zu ihren Göttern reden, und zweitens, ob auch in anderen : TROV Naturkatastrophen, Seuchen, aber auch politischen Desastern wie etwa Niederlagen, Belagerungen, Erobe- Religionen Menschen im Namen Gottes Gewalt geübt haben. Im folgenden Essay werde ich mich vor allem der ersten Frage zuwenden, die andere aber durchaus im Blick behalten. Als ersten Schritt zur Beantwortung dieser beiden Fragen möchte ich vorschlagen, verschiedene Formen von göttlicher (d.h. Gott zugeschriebener) Gewalt zu unterscheiden. Die erste Form möchte ich »kreative Gewalt« nennen. Sie tritt uns überall dort entgegen, wo entweder, wie in Mesopotamien, die Schöpfung, oder, wie in Ägypten, die Inganghaltung der Welt mit einem Chaos-Kampf verbunden ist. Im gleichen Sinne reden die ugaritischen Mythen vom unaufhörlichen Kampf zwischen J am, dem Gott des Meeres, und Baal, dem Gott des Wetters und der Fruchtbarkeit. 2 In der Bibel vollzieht sich zwar die eigentliche Schöpfung gewaltfrei durch das bloße Schöpferwort, aber dann werden auch hier verschiedene Nachbesserungen nötig, die nur durch Gewalt zu bewerkstelligen sind. Dazu gehört die Sintflut, die ähnlich wie die Trennung von Himmel und Erde in Ägypten durch die Schlechtigkeit 42 rungen, Razzien im Sinne von strafenden Interventionen einer erzürnten Gottheit.4 Die dritte Form göttlicher Gewalt verbindet sich mit der spezifisch biblischen Idee der »Eifersucht« Gottes. Damit kommen wir nun zu einer exklusiv biblischen Form von Gewalt, die ganz offensichtlich eng mit der Einheit Gottes verbunden ist. Diese Einheit hat zwar nichts mit monotheistischer Einzigkeit zu tun, denn ein einziger Gott, neben dem es keine anderen Götter gibt, hätte keinen Grund zur Eifersucht, aber sehr viel mit Exklusivität, mit Ausschließlichkeit der Bindung und Verehrung, für die dann auch die eheliche Treue die zentrale Metapher und das politische Bündnis das zentrale Modell ist. Die Einheit Gottes, in der seine Eifersucht gründet, ergibt sich auch aus seiner götterweltlichen Einsamkeit. Dieser Gott ist, im Unterschied zu allen vergleichbaren Göttern der anderen Religionen, kein Pantheonchef: er hat keine Frau, keine Kinder, keine Götter unter sich, er hat nur das eine auserwählte Volk, mit dem er einen Bund geschlossen hat. ZNT 17 (8.Jg. 2006) JanAssmann Prof. Dr. Dr. h.c. mu! t. Jan Assmann, Jahrgang 1938, studierte Ägyptologie, Klassische Archäologie und Gräzistik in München, Heidelberg, Paris und Göttingen. 1971 Habilitation, von 1976 '- 2003 ordentlicher Professor für Ägyptologie in Heidelberg, seit 2005 Honorarprofessor für allg. Kulturwissenschaft und Religio-Usthfcorie an der Universität Konstanz. Gastprofessuren.in Paris (College de France, Ecole Pratique des Hautes Etudes, J.l,HESS), Jerusalem (Hebrew University, Dormition Abbey) und USA (Yale, Houston). Seit 1967 epigraphisch-archäologische Feldarbeit in Theben-West (Beamtengräber der Saiten- und Ramessidenzeit). Zahlreiche Buchpublikationen und Aufsätze zur ägyptischen Religion, Geschichte, Literatur und Kunst sowie zur allgemeinen Kulturtheorie (»Das kulturelle Gedächtnis«) und Religionswissenschaft (»Mon0theismus und Kosmotheismus<<). Zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, darunter 1996 Max Planck Forschungspreis, 1998 Deutscher Historikerpreis, 1998 Dr. theol. h.c. der Evangelischen Theologischen Fakultät Münster, 2004 PhD h.c. der UniversitätYale, 2005 Dr. h.c, der Hebrew University Jerusalem. Die dritte Form der Gewalt gibt es erst seit dem Bundesschluß am Sinai. Erst jetzt hat Gott Grund zur Eifersucht bzw. ein Recht, eifersüchtig zu sein. Die Idee des EI q anna' wurzelt in der Idee des Bundes und gehört daher in den Raum des Politischen. Das hat bereits men des Bundes in Bezug auf Israel auf sich genommen hat, sie ist eine Form, und zwar eine politische Form, göttlicher Weltzuwendung. Wir dürfen die dritte Form der Gewalt daher politische Gewalt nennen; sie ist eine Kategorie der politischen Theologie (und nicht etwa der archaische Rest eines ursprünglichen Vulkangottes, wie oft angenommen).' Diese Form der Gewalt ist der biblischen Religion bzw. Theologie eigentümlich. So etwas kennen die anderen Religionen nicht. Hat man erst einmal erkannt, daß es sich hier um politische Gewalt handelt, die sich erst aus dem Gedanken des Bundesschlusses als eines politischen Bündnisses ergibt, dann wird auch klar, daß diese Gewalt untrennbar verbunden ist mit der Idee des Gesetzes. Es handelt sich um die Gewalt, die das Recht braucht, um wirksam zu werden, »in Kraft zu treten«. Der eifersüchtige, gewaltbereite und immer wieder tatsächlich zuschlagende Gott ist der gesetzgebende, richtende und strafende, also legislative, judikative und exekutive Gott. Was hätte das Gesetz für einen Sinn, wenn es nicht die Gewalt hätte, sich durchzusetzen und auf seine Befolgung zu dringen? Was hätte andererseits die Gewalt für einen Sinn, wenn sie sich nicht auf ein Gesetz berufen könnte? ' Die Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit Gottes immer verstanden als: des biblischen Gottesbildes ergibt sich aus der Ethisierung der Religion, aus dem durchaus revolutionären Schritt des biblischen Gottes, die Ansprüche der Gerechtigkeit zu seiner Sache zu machen und in den Mittelpunkt der Forderungen zu stellen, die er an sein Volk richtet: Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott. (Mi 6: 8) Ich verzichte darauf, die nächsten fünf oder sechs Seiten zu füllen mit den ent- Laktanz in seiner Schrift De ira Dei klargestellt. Der Zorn Gottes - und das ist die typische Äußerungsform seiner Eifersucht gehört nicht zum Wesen (natura), sondern zur Herrschaft (imperium) » Die Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit Gottes immer verstanden als: des biblischen Gottesbildesergibt sich aus der Ethisierung der Religion ... « sprechenden, wohlbekannten Passagen aus anderen Propheten, allen voran Jesaja und Arnos, und möchte lieber betonen, daß diese Ethisierung der Religion oder vielmehr Sakralisierung der Ethik Gottes, zu seiner Herrscherrolle, die er im Rahein revolutionärer Schritt ist, mit dem sich Israel ZNT 17 (9.Jg. 2006) 43 Kontroverse auffallend und eindeutig von den Religionen seiner Umwelt unterscheidet. Was z.B. Ägypten angeht, und dieser Fall dürfte gewiß typisch sein für alle anderen Kulturen, die die Umwelt Israels gebildet haben, so finden sich auch hier fast alle die Forderungen, die Jahwe an sein Volk stellt. Nichts wäre verfehlter als die Annahme, die »Heiden« hätten in einem recht- und gesetzlosen, amoralischen Raum der Willkür und Gewalt gelebt und erst der biblische Monotheismus habe die Idee der Gerechtigkeit in die Welt gebracht. In Ägypten tritt aber nicht Gott, sondern der König als Gesetzgeber auf, und die Gewalt, die sich auch hier wie überall auf der Welt und logischerweise mit der Idee des Gesetzes verbindet, ist nicht göttliche, sondern staatliche Gewalt. 7 Die Götter mögen den König in der Überwachung der menschlichen Gesetzestreue unterstützen, aber ihr Urteil würde nie von dem des Staates und der Gesellschaft divergieren und eine alternative Wertordnung begründen. Genau das aber ist der Fall Israels. Das System der altorientalischen Sakralkönigtümer basierte auf einer negativen oder pessimistischen Anthropologie, wie sie uns von Thomas Hobbes oder Carl Schmitt und vielen anderen staatskonservativen Denkern vertraut ist, und die sich auf die Formel bringen läßt: Ohne einen starken Staat würden sich die Menschen gegenseitig die Köpfe einschlagen. Die Zuchtrute des Staates mag die Untertanen noch so schwer bedrücken, sie ist immer noch besser als die Anarchie, die einen Krieg aller gegen alle bedeutet. Mit dieser Vorstellung räumt die Bibel auf, indem sie den starken Staat durch einen starken Gott ersetzt. Zwar gibt es auch in der Bibel genug Stellen, die nach einer negativen Anthropologie klingen, und doch spricht aus ihr ein ganz anderes Vertrauen in den Menschen, seine Kraft zu Bindung und Gemeinschaft und seine Fähigkeit zu zivilisatorischer Bildung und Verfeinerung. Die Idee des Bundes beruht auf einer positiven Anthropologie, denn es wird immer wieder betont, daß dieses Bündnis (im Unterschied zu den assyrischen Vasallenverträgen, die das unmittelbare Vorbild abgeben 8) dem Volk nicht aufgezwungen, sondern von ihm freiwillig eingegangen wurde. Die Idee der Erbsünde, der Kerngedanke der abendländischen negativen Anthropologie, ist christlich, nicht jüdisch. Die Bibel jedenfalls befreit von dem 44 Rembrandt, Kain erschlägt Abel, Federzeichnung um 1650, Kopenhagen, Kobberstiksamling ägyptischen Kleinmut, die Menschen könnten ohne einen Staat nicht leben. Daraus ergibt sich die Verbindung von Gott und Gewalt. Nur ein »starker«, und das heißt, ein gewaltbereiter und gegebenenfalls gewalttätiger Gott, kann die Menschen von der fixen Idee erlösen, ohne einen starken Staat nicht leben zu können. Dafür braucht man nur an Psalm 82 zu erinnern (vgl. dazu E. Zenger, a.a.O. [Anm.1], 70-73): [Ein Psalm Asafs.J Gott steht auf in der Versammlung der Götter, im Kreis der Götter hält er Gericht. »Wie lange noch wollt ihr ungerecht richten und die Frevler begünstigen? [Sela] Verschafft Recht den Unterdrückten und Wa.isen, verhelft den Gebeugten und Bedürftigen zum Recht! Befreit die Geringen und Armen, entreißt sie der Hand der Frevler! « Sie aber haben weder Einsicht noch Verstand,/ sie tappen dahin im Finstern. Alle Grundfesten der Erde wanken. »Wohl habe ich gesagt: Ihr seid Götter, ihr alle seid Söhne des Höchsten. Doch nun sollt ihr sterben wie Menschen, sollt stürzen wie jeder der Fürsten.« Steh auf, Gott, und richte die Erde! Denn alle Völker sind dein Erbteil Ist Gott gewalttätig? Die Antwort dieses Psalms ist eindeutig: sie lautet »Ja gewiß, denn darauf richtet sich die Hoffnung aller Unterdrückten und Waisen, Gebeugten und Bedürftigen, Geringen und Armen dieser Erde.« Solange diese Welt von Unterdrückung und Unrecht beherrscht wird, können wir mit einem gewaltlosen Gott nichts anfangen. In Ps 82 geht es nicht um die theologische Frage des wahren und falschen Glaubens, sondern um die politische Frage der Gerechtigkeit. Die ZNT 17 (9.Jg. 2006) anderen Götter werden nicht als falsche Götzenbilder, sondern als schlechte Herrscher abgekanzelt. Dieser Text führt uns vor vorgehoben hat: »Ich glaube«, schreibt er, »das Judentum wisse von keiner geoffenbarten Reli- Augen, was in den Augen der Bibel »Heidentum« heißt: Rechtlosigkeit, Gewaltherrschaft, Unterdrückung, Entrechtung und Ausbeutung der Armen. Der Psalm endet mit einem Aufruf an Gott, dem Heidentum ein Ende zu machen. Die anderen Götter »Nur ein >starker<, und das heißt, ein gewaltbereiter und gegebenenfalls gewalttätiger Gott, kann die Menschen von gion. Die Israeliten haben ... Gesetze, Gebote, Lebensregeln, Unterricht vom Willen Gottes ... , aber keine Lehrmeinungen, keine Heilswahrheiten, keine allgemeinen Vernunftsätze. Diese offenbart der Ewige uns, wie allen übrigen Menschen, allezeit der fixen Idee erlösen, ohne einen starken Staat nicht leben zu können.« werden gestürzt, so wie durch das Bilderverbot ihre Bilder gestürzt werden. Zwischen Jahwe und den anderen Göttern, zwischen Recht und Unrecht, kann es keine friedliche Koexistenz geben. Die Durchsetzung von Jahwes Gerechtigkeit bedeutet den Untergang des Heidentums, und zwar mit Gewalt. Aus diesen Überlegungen wird deutlich, daß die biblische Religion, die ja das Modell für die heutigen monotheistischen Weltreligionen abgibt, in vieler, und wahrscheinlich entscheidender, Hinsicht als Nachfolgeinstitution des frühen hochkulturellen Staates vom Typ Ägyptens und Mesopotamiens zu verstehen ist und nicht als Nachfolgeinstitution der ihr vorhergehenden Religionen. In der herrscherlichen Form seiner Weltzuwendung, als Bundespartner des Volkes Israel, tritt Gott an die Stelle Pharaos, aus dessen Händen er es befreit. Hier entsteht jedenfalls etwas vollkommen Neues, das man viel eher berechtigt ist, »Staat« zu nennen in Nachfolge der hochkulturellen Sakralkönigtümer, als »Religion« in Nachfolge der »heidnischen« Religionen, denn im Zentrum dieser neuen Ordnung steht nicht der Kult, sondern das Recht.9 Auch der Begriff »Offenbarung« erscheint mit Bezug auf das Geschehen am Sinai unangemessen, jedenfalls unbiblisch. Die Torah wird nicht »geoffenbart«, sondern »gegeben«. »Geoffenbart« wird eine verborgene Wahrheit, aber kein Gesetz. Ein Gesetz wird erlassen, promulgiert, in Kraft gesetzt, und eben »gegeben«, wie der hebräische Ausdruck lautet. Auf diesen Unterschied hat etwa der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn großen Wert gelegt, der in seiner Schrift Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum (1783) den grundsätzlich politischen Charakter des Judentums her- ZNT 17 (9. Jg. 2006) durch Natur und Sache, nie durch Wort und Schriftzeichen. (... ) Sie wurden dem lebendigen, geistigen Unterrichte anvertrauet, der mit allen Veränderungen der Zeiten und Umstände gleichen Schritt hält. (... ) Dieses ist allgemeine Menschenreligion, nicht Judentum; und allgemeine Menschenreligion, ohne welche die Menschen weder tugendhaft noch glückselig werden können, sollte hier nicht geoffenbart werden.« Diese Ideen gehören jedoch der Geschichte an. Judentum und Christentum haben beide auf sehr verschiedene Weise einen Prozeß der Entpolitisierung durchgemacht und die ursprüngliche Idee des »Staates« wieder zu neuen Formen von Religion weiterentwickelt, die freilich mit den ursprünglichen, nun als »heidnisch« klassifizierten Religionen wenig oder nichts zu tun haben. Das Judentum hat in Form des Messianismus die staatliche Verwirklichung seiner Ordnung eschatologisiert, das heißt auf eine Endzeit verschoben, und das Christentum hat das Problem in Form der Lehre von den zwei Reichen gelöst und das »Reich Gottes« als eine himmlische und auf Erden nur spirituell zu realisierende Einrichtung interpretiert. Nur der Islam ist zumindest in seinen fundamentalistischen Ausprägungen der ursprünglichen Idee treu geblieben und sieht noch heute, bzw. heute mehr als jemals, die eigentliche Verwirklichung seines Programms in der Errichtung des Gottesstaats. Damit stellt sich auch das Problem der göttlichen Gewalt heute mit besonderer Dringlichkeit. Was nun die Frage angeht, ob sich Menschen bei der Ausübung von Gewalt auf Gott berufen dürfen, so bildet schon in der Hebräischen Bibel die »eifernde Gewalt« (qin'ah) den Punkt, in dem sich göttliche und menschliche Gewalt spiegeln. Das Urbild aller Eiferer für das Gesetz ist Pinhas, 45 Kontroverse der seinen Landsmann Zimri und seine midianitische Geliebte auf ihrem Lager mit dem Speer durchbohrte (Num 25); die gehörten dann bald nicht mehr ins Reich der literarischen Fiktion, sondern wie die Makkabäer und die Zikarier ins Reich der brutalen historischen Wirklichkeit. Diese Form des heiligen Eiferns hat sich im Christentum ziemlich bruchlos fortgesetzt und ungeheure Opfer gefordert, und was den Islam angeht, so dürfte sich djihad wohl am besten als »Eifern für Gott« übersetzen lassen. Das Christentum hat in Mendelsohns Augen das Verhältnis von ewigen und historischen Wahrheiten umgekehrt. In Christus ist die Offenbarung der ewigen Wahrheit historisch geworden. sehen nun einmal nicht auskommen, von ihren gewalttätigen Zügen zu reinigen. Auch dazu scheint mir Mendelssohns Unterscheidung zwischen Judentum und Christentum sowie »allgemeiner Menschheitsreligion« und konkreten Religionen den Weg zu weisen. Auch in meinen Augen ist es ein großer Vorzug des Judentums, die »ewigen Wahrheiten« nicht dogmatisch festzuschreiben, sondern im Zustand der »diskursiven Verflüssigung« (J. Habermas) zu belassen. Die »allgemeine Menschenreligion« kann niemals auf ein System verbindlicher Lehrsätze festgelegt werden. Alle diese Überlegungen stecken bereits in Lessings Ringparabel. Sie gehören auf die Ebene einer von keiner theo- Damit kommt es jetzt zu Theologie und Orthodoxie, zu Schrift und Glauben. Das Christentum bindet sich an die Dogmen im Sinne einer allein seligmachenden Heilslehre und löst sich vom Gesetz. Damit wird zwar allen die Chance des Heils eröffnet. In Wahrheit aber wird erst dadurch die Grenze »Nachdem uns die Idee des logischen Dogmatik einholbaren Weisheit, die es in allen Kulturen gibt und die sich auf einen Konvergenzpunkt jenseits aller Unterscheidungen inklusive der »Mosaischen Unterscheidung« bezieht. In dieser Perspektive möchte ich die Frage nach der Gewalttätigkeit Gottes mit »Nein« beantworten. Nachdem uns starken Gottes von der Vorstellung befreit hat, ohne einen starken Staat nicht leben zu können, sollten wir uns auch von der Idee frei machen, ohne einen starken, das heißt überwachenden und strafenden Gott nicht leben zu können.« zwischen Christen und Heiden in aller Schärfe gezogen. Denn wer diese Chance verwirft, bleibt vom Heil ausgeschlossen. Was im Rahmen des Gesetzes eine Frage von Recht und Unrecht war, wird im Rahmen des Glaubens zu einer Frage von Heil und Verdammnis. Diese Unterscheidung und die damit verbundenen Vorstellungen von Fegefeuer und jüngstem Gericht gehören wohl zu den gewalttätigsten Bildern, zu denen sich die menschlichen Figurationen des verborgenen Gottes jemals verstiegen haben. Wer die Frage, ob der Eine Gott gewalttätig ist, mit »Ja« beantwortet, bekommt in der Regel vorgehalten, daß die vielen Götter nicht minder gewalttätig waren und daß auch unter den Heiden unter Berufung auf den Namen ihrer Götter gemordet, gebrandschatzt und geopfert wurde. Ein solches Argument (das ich immer wieder zu hören bekomme) sollte eines aufgeklärten Christenmenschen unwürdig sein. Es geht ja nicht darum, wieder zu den vielen Göttern als der besseren Alternative zurückzukehren, sondern darum, unsere Bilder von Gott, ohne die wir Men- 46 die Idee des starken Gottes von der Vorstellung befreit hat, ohne einen starken Staat nicht leben zu können, sollten wir uns auch von der Idee frei machen, ohne einen starken, das heißt überwachenden und strafenden Gott nicht leben zu können. Für die Durchsetzung der Menschenrechte im Sinne von Psalm 82 müssen wir schon selber sorgen. Anmerkungen 1 S. hierzu meinen Aufsatz »Monotheismus und die Sprache der Gewalt«, in: P. Walter (Hg.), Das Gewaltpotential des Monotheismus und der dreieine Gott (QD 216), Freiburg 2005, 18-38 mit den Repliken von Erich Zenger, »Der Mosaische Monotheismus im Spannungsfeld von Gewalttätigkeit und Gewaltverzicht«, ibd., 39-73 und Klaus Müller, »Gewalt und Wahrheit. Zu Jan Assmanns Monotheismuskritik«, 74-82. 2 D. Schwemer, Wettergottheiten Mesopotamiens und Nordsyriens im Zeitalter der Keilschriftkulturen, Wiesbaden 2001. 3 S. hierzu B. Lang, Jahwe, der biblische Gott. Ein Porträt. München 2002, bes. 73-85; M. Fishbane, Biblical Myth and Rabbinical Mythmaking, Oxford 2003, bes. 37-92. ZNT 17 (9. Jg. 2006) 4 B. Albrektson, History and the Gods. An Essay on the Idea of Historical Events as Divine Manifestations in the Ancient Near East andin Israel (Coniectanea Biblica, Old Testament Series I), Lund 1967. 5 S. hierzu J. Assmann, Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa. München 2000. 6 Das ist die von Blaise Pascal in der berühmten Nr. 298 seiner Pensees entfaltete These, s. dazu J. Derrida, Gesetzeskraft. Der »mystische Grund der Autorität«, Frankfurt 1991, 22-28. 7 Daß in Ägypten der König als ein Gott gilt und daß andererseits Götter als Richter, vor allem der Sonnengott und Osiris als Herr des Totengerichts, über die Einhaltung der Gesetze wachen, ändert nichts an der grundsätzlichen Feststellung, daß Recht und Gerechtigkeit zur Sphäre der zivilen Ordnung gehören und nicht zu der von Tabus und Reinheitsvorschriften aller Art umzirkten und ausgegrenzten Sphäre des Heiligen, des Umgangs mit den Göttern. ' E. Otto, Das Deuteronomium, Berlin 1999, konnte zeigen, daß verschiedene Formulierungen des Deuteronomiums geradezu Übersetzungen einer assyrischen Vorlage darstellen, der Treueidverpflichtung auf den Thronfolger Assurbanipal, die Assarhaddon allen Untertanen auferlegte. Otto spricht in diesem Zusammenhang von »subversiver politischer Theologie«. Siehe auch H.U. Steymans, Deuteronomium 28 und die ade zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel (OBO 145), Freiburg/ Schweiz, Göttingen 1995. 9 Ich brauche nicht zu betonen, daß diese Deutung des frühen Judentums oder wie immer wir das, was sich da im 6. und 5. Jahrhundert herausbildet und in den biblischen Schriften artikuliert, nennen wollen, nicht reduktionistisch gemeint ist, sondern ganz im Gegenteil auf einen umfassenderen Begriff von Gottes-, Welt- und Machtverhältnis abzielt als es unser Begriff von »Religion« normalerweise bezeichnet. Klaus Berger Formen und Gattungen im Neuen Testament UTB 2532 2005, X, 483 Seiten,€ [D] 24,90/ SFR 43,70 ISBN 3-8252-2532-1 Formgeschichte ist eine der zentralen exegetischen Methoden. Der vorliegende Band analysiert das gesamte NT auf seine Formen und Gattungen hin, skizziert ihre Geschichte und unternimmt eine sozialgeschichtliche Einordnung. Auf diese Weise wird die neutestamentliche Form- und Gattungskunde instruktiv in den für sie unverzichtbaren Methodenverbund eingebettet und eröffnet sowohl verschiedene Zugänge als auch neue Perspektiven für die exegetische Arbeit. Der Band liefert eine kompakte Zusammenfassung des Wissensstandes auf diesem Gebiet und ist für Studium und theologische Praxis gleichermaßen geeignetDas Buch steht zwischen den umfangreichen Spezialdarstellungen der paulinischen Theologie und den Kurzeinführungen für einen allgemeinen Interessenlenkreis und erfüllt damit ein Desiderat der deutschsprachigen Fachliteratur. A. Francke ZNT 17 (9. Jg. 2006) Neu bei Mohr Siebeck Ferdinand Hahn Theologie des Neuen Testaments Band 1: Die Vielfalt des Neuen Testaments Theologiegeschichte des Urchristentums 2. durchgesehene und um ein Sachregister ergänzte Auflage 2005. LII, 862 S. ISBN 3-16-148736-2 f'Br€ 49,- Band 2: Die Einheit des Neuen Testaments Thematische Darstellung 2. durchgesehene und um ein Sachregister ergänzte Auflage 2005. XLII, 874 S. ISBN 3-16-148737-0 f'Br € 49,- Band 1 und 2 zusammen. 2005. xcrv, 1736 S. ISBN 3-16-148738-9 Ln€ 219,- Martin Hengel Der unterschätzte Petrus Zwei Studien 2006. Ca. 300 S. ISBN 3-16-148895-4 f'Br ca.€ 25,- (April) Ernst Käsemann In der Nachfolge des gekreuzigten Nazareners Aufsätze und Vorträge aus dem Nachlass Herausgegeben von Rudolf Landau in Zusammenarbeit mit Wolfgang Kraus 2005. IX, 328 S. ISBN 3-16-148747-8 f'Br € 24,- Luther Handbuch Herausgegeben von Albrecht Beutel 2005. XIV, 537 S. ISBN 3-16-148267-0 f'Br € 44,-; ISBN 3-16-148266-2 Ln€ 89,- Plutarch Dialog über die Liebe Amatorius Herausgegeben von Herwig Görgemanns 2006. Ca. 240 S. (SAPERE 10). ISBN 3-16-148811-3 Br ca.€ 25,-; ISBN 3-16-148824-5 Ln ca.€ 50,-(März) Mohr Siebeck Postfach 2040 D-72010 Tübingen Fax 07071 / 51104 e-mail: info@mohr.de www.mohr.de Aktuelle Informationen per e-mail jetzt anmelden unter www.mohr.de/ form/ eKurier.htm 47