eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 9/17

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2006
917 Dronsch Strecker Vogel

Walter Dietrich, Moisés Mayordomo (in Zusammenarbeit mit Claudia Henne-Ensele und einem studentischen Autorenteam): Gewalt und Gewaltüberwindung in der Bibel. Zürich: Theologischer Verlag, Zürich 2005, 274 S., ISBN 3-290-17341-0, 17,50 €

61
2006
Peter Busch
znt9170064
Walter Dietrich, Moises Mayordomo (in Zusammenarbeit mit Claudia Henne-Ensele und einem studentischen Autorenteam) Gewalt und Gewaltüberwindung in der Bibel. Zürich: Theologischer Verlag, Zürich 2005, 274 S., ISBN 3-290-17341-0, 17,50 € Die im Jahre 2001 vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufene »Dekade zur Überwindung von Gewalt« hat nun im aktuellen Jahr ihren Zenit überschritten, und mit gutem Recht kann jetzt schon mit der Wahrnehmung von deren Wirkungsgeschichte begonnen werden. Zu dieser zählt sich in ihrer Genese und in ihrem Selbstverständnis die hier zu besprechende Studie. Was die Genese anbetrifft, so handelt es sich um das Forschungsergebnis eines Seminars über »Gewalt und Gewaltüberwindung in der Bibel« an der Theologischen Fakultät der Universität Bern, das der Alttestamentler Walter Dietrich und der Neutestamentler Moises Mayordomo anlässlich der ausgerufenen Dekade in Kooperation geleitet hatten. Diese Art einer interdisziplinären Zusammenarbeit ist per se schon begrüßenswert und stellte auch im vorliegenden Fall sicher, dass die gesamte Bandbreite des Themenfeldes über die beiden Testamente hinweg tatsächlich berücksichtigt werden konnte. Schon beim ersten Durch- 64 blättern ist erkennbar, dass die einschlägigen Texte wirklich behandelt und in vielfältiger Weise in einen kanonischen und außerkanonischen Zusammenhang gesetzt worden sind. Zudem sind die Ergebnisse der studentischen Beiträge des Seminars in die Einzeldarstellungen mit eingeflossen, und dies schien, wie auch im Vorwort angedeutet, zur qualitätssteigernden Motivation der Studierenden beigetragen zu haben auch in dieser Hinsicht ist man geneigt, der Studie das Etikett »vorbildhaft« aufzudrücken. Sicherlich die Zweizahl der Autoren und die damit verbundenen Ecken und Kanten des Gesamtbildes sind nicht zu verbergen. Ein Beispiel: das Kapitel zur »Sprache der Gewalt in der Bibel« S.17-23, von Dietrich für das AT systematisierend konzentriert, von Mayordomo für das NT lexikonartig mit dem Anspruch terminologischer Vollständigkeit präsentiert. Der Unterschied in der inhaltlichen Ausrichtung ist hier mit Händen zu greifen. Uber derartige Unebenheiten wird man allerdings eher bereitwillig hinwegsehen. Sie erklären sich aus der Entstehungsgeschichte des Buches und schaden weder den inhaltlichen Aussagen der Studie noch deren Selbstverständnis. Damit ist auch das zweite Stichwort gefallen. Was das Selbstverständnis anbetrifft, so berufen sich die Autoren nicht nur explizit auf die »Dekade zur Überwindung von Gewalt«, sondern die vom ÖRK in den schon seit 1999 geäußerten Anliegen sind in Aufriss und Inhalt der Studie deutlich erkennbar. Zwei Beispiele. Der Gewaltbegriff ist, wie vom ÖRK im Einklang mit dem aktuellen humanwissenschaftlichen Forschungsstand zum Thema gefordert, sehr breit angelegt und versucht die verschiedensten Ausprägungen von »Gewalt« zu berücksichtigen (S.11-17): Psychische, institutionelle, strukturelle und symbolische Gewalt werden hier angesprochen und in den verschiedenen Kontexten behandelt. Vielleicht zeigt dieser Beitrag zur ausgerufenen Dekade gerade darin sein »akademisches« setting, dass die brachial physische Seite der Gewalt eher Randthema zugunsten subtilerer Ausdrucksformen der Gewalt zu sein scheint (»physische Gewalt« taucht beispielsweise in der Liste der Gewaltbereiche S.13f. nicht auf, wenn sie auch vorher und danach immer wieder benannt wird). Doch macht die an den Ansatz von M. Foucault erinnernde weit ausgefächerte Bestimmung des Gewaltbegriffs gerade den Reiz für den Leser aus. Das Thema »Gewaltüberwindung« kann als weitere Antwort der Autoren zur ausgerufenen Dekade genannt werden. Fast zwei Drittel des Buches (S.105-267) haben die biblischen Gegenbilder bzw. Wege zur Überwindung von Gewalt zum Thema. Damit ist die Studie keineswegs nur deskriptiv, sondern will auf biblischer Basis Handlungsspielräume für gelingende Lebenspraxis aufzeigen. Exegese als Basis für Ethik so könnte man gewagt formulieren. Die solide exegetische Qualität des vorliegenden Buches steht außer Frage die zahlreichen Literaturangaben zu jedem Kapitel, die Verweise auf die aktuelle Forschungssituation in den Anmerkungen sowie die vielfältig herangezogenen antiken Zeugnisse literarischer sowie auch ikonographischer Natur machen die historisch-kritische Verortung in jeder Hinsicht deutlich. Den besonderen Reiz macht aber m.E. der immer wieder versuchte hermeneutische Brückenschlag in die aktuelle Situation aus. Als Beispiel empfiehlt sich die exemplarische Lektüre des Kapitels zum Gewaltthema in der Bergpredigt (S.200-218), das von M. Mayordomo auf Mt 5,38-48 fokussiert wurde. Allein schon die treffende Darstellung in den hermeneutischen » Überlegungen zur Praxis« des immensen Legitimationsdruckes, unter dem der so rigoristische Text in der heutigen Situation steht, wirkt für neue Perspektiven kathartisch und erleichtert die vorgeschlagene Verortung in einer zum Reich Gottes bezogenen Ethik. Derartige hermeneutische Brückenschläge machen die Studie letztendlich, jenseits der klar erkennbaren exegetischen Grundlage und ihrer akademischen Heimat, zu einem kirchlich eingebundenen Werk, dem ein entsprechend großer Adressatenkreis zu wünschen ist. Peter Busch ZNT 17 (9. Jg. 2006)