eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 9/18

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2006
918 Dronsch Strecker Vogel

Das Imperium schlägt zurück. Die Apologetik der Apostelgeschichte auf dem Prüfstand

121
2006
Heike Omerzu
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Heike Omerzu Das Imperium schlägt zurück. Die Apologetik der Apostelgeschichte auf dem Prüfstand Das römische Reich, Geschichte und Organisation des Imperiums, aber auch seine Kultur und Religion sind seit den Anfängen historisch-kritischer Forschung Gegenstand von Untersuchungen zur sog. »Umwelt« und »Zeitgeschichte« des Neuen Testaments. 1 Ziel dieser Darstellungen ist es, den historischen Kontext zu erhellen, in dem das frühe Christentum entstanden ist und in dem es sich ausgebreitet hat. Dabei liegt seit geraumer Zeit ein besonderes Augenmerk auf den sozialen Rahmenbedingungen in den einzelnen Städten und Provinzen des Reiches sowie auf den vielfältigen Ausdrucksformen des Kaiserkultes. 2 Seit etwas über einem Jahrzehnt ist nun jedoch u.a. im Rahmen der Gruppe »Paul and Politics« der Society of Biblical Literature vor allem in Teilen der anglo-amerikanischen Exegese eine Perspektivverschiebung bei der Betrachtung Roms zu beobachten: Es werden gezielt die das Imperium bestimmenden Machtstrukturen zur Analysekategorie erhoben.' Den Ausgangspunkt dieser neuen Fragestellung bildet die Kritik an individualisiekünstliche, erst in der Neuzeit aufgekommene Trennung von Religion und Politik aufgegeben. 6 Darüber hinaus kommt aber auch die Einsicht der neueren Forschung zur Geltung, daß kaiserliche Religion und kaiserliche Politik untrennbar miteinander verbunden waren. Die kultische Verehrung des (noch lebenden! ) Kaisers galt anders als lange Zeit angenommen den Reichsbewohnern offensichtlich nicht nur als ein rein formaler, inhaltsleerer Akt der Pflichterfüllung. Historische und archäologische Studien haben vielmehr gezeigt, wie verbreitet Tempel und Statuen, Rituale und Feste für den Kaiser waren, und daß die imperiale Propaganda in Form von Inschriften und Münzen weite Teile des öffentlichen Lebens bestimmte. Der Kaiserkult mit seinen mannigfaltigen Ausprägungen diente somit als wichtiges Mittel, um imperiale Machtstrukturen zu etablieren und soziale Kontrolle in den Städten und Provinzen des Reiches auszuüben. Diese neue, »imperiale« Perspektive wurde bislang vor allem für die Paulusexegese, jüngst auch umfassender für das renden und entpolitisierenden Engführungen »klassischer« lutherischer Paulusinterpretationen, die bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts durch den schwedischen Exegeten Krister Stendahl angestoßen wurde. 4 Sowohl die Abfassung als auch die Interpretation der frühchristlichen Texte werden so hinsichtlich »Mit Fokus auf den soziopolitischen Implikationen der römischen Machtverhältnisse und deren. Widerhall in frühchristlichen Gemeinden wird die kt: ütstliche, er.st in der Ne.uzeit attfgekommen.e Trennung von Religion und P12litik.aufgegeben,: « Matthäusevangelium, fruchtbar gemacht. Auf andere frühchristliche Schriften wurde sie hingegen nur vereinzelt angewandt. 1 Dabei ist vor allem überraschend, daß das lukanische Doppelwerk bisher nur beiläufig vor diesem Hintergrund untersucht wurde, denn schließlich wird die Haltung des Lukas gegenüber ihrer Einbindung in konkrete Machtstrukturen untersucht bzw. als Ausdruck des Ringens um bestimmte Interessen und Wertvorstellungen verstanden. 5 Als wesentliche die frühen Christinnen und Christen prägende Bedingungen sind dabei die politisch-religiösen und sozio-ökonomischen Herrschaftsmechanismen im römischen Reich in den Blick zu nehmen. Mit Fokus auf den sozio-politischen Implikationen der römischen Machtverhältnisse und deren Widerhall in frühchristlichen Gemeinden wird die 26 Rom sowohl hinsichtlich der historischen Voraussetzungen als auch der Intention seiner Darstellung in der Exegese seit längerem kontrovers diskutiert. Im folgenden sollen daher zunächst die wichtigsten bisher vorgetragenen Lösungsvorschläge skizziert werden, um auf dieser Grundlage anhand ausgewählter Stellen der Apostelgeschichte (die dabei aus pragmatischen, nicht sachlichen Gründen exemplarisch für das lukanische Doppelwerk herangezogen wird) zu prüfen, ZNT 18 (9. Jg. 2006) Heike Omerzu Prof. Dr. Heike Omerzu, Jahrgang 1970, Studium der Evangelischen Theolo.gie und Anglistik in Duisburg und Mainz. Promotion in Mainz 2002, seit 2003 Juniorprofessor.in für Neues Testament in Mainz. Forschungsschwerpunkte: Frühes Christentum und Imperium Roman.um, Apostelgeschichte, Christologie im Markusevangelium, Antikes Judentum. ob die »imperiale« Perspektive einen neuen Beitrag zur Frage nach dem Verhältnis des Lukas zu Rom leisten kann. Von der Apologetik zum Anti-Imperialismus Am häufigsten wird die lukanische Position mit dem Stichwort der Apologetik verbunden. Dieses leitet sich vom griechischen Begriff für Verteidigung oder Rechtfertigung ab und begegnet mit dem zugehörigen Verb mehrfach in der Apostelgeschichte, vor allem im Zusammenhang des Paulusprozesses (apologia: Apg 22,1; 25,16; apologein: Apg 19,33; 24,10; 25,8; 26,1.2.24; vgl. Lk 12,11; 21,14). Anders als in der Alten Kirche, wo sich die Apologie nach dem Vorbild der Verteidigung des Sokrates, aber auch der Werke jüdischer Apologeten wie J osephus oder Philo als eigene Literaturgattung herausbildete, umschreibt der Begriff Apologetik innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft grundsätzlicher das Anliegen der frühen Christen und Christinnen, die eigenen Überzeugungen in der Auseinandersetzung mit der religiösen Umwelt zu vertreten. Trotz etlicher Differenzierungen hinsichtlich der historischen Umstände und der literarischen Umsetzung wird die lukanische Haltung klassischerweise im Sinne der politischen Apologetik als ZNT 18 (9.Jg. 2006) Verteidigung der Kirche vor dem römischen Imperium verstanden (vgl. H.J. Cadbury; H. Conzelmann; F.W. Horn). 8 Angesichts aktueller oder drohender Konfrontationen der christlichen Gemeinden mit dem römischen Staat wolle Lukas mit seiner apologia pro ecclesia den unpolitischen Charakter des Evangeliums erweisen und den Verdacht der Unruhestiftung von den Christen abwenden. Dazu betone er wiederholt die politische Unschuld und Harmlosigkeit der Christen (z.B. Apg 19,37; 23,29; 25,8.25) und stelle gleichzeitig die vorbildliche Haltung der römischen Beamten ihnen gegenüber heraus: Sie sind es, die den Christen Schutz gewähren und deren Rechtsansprüche durchsetzen (z.B. Apg 21,31-33.37-40; 23,10.23; 24,23; 25,12.16.25), wohingegen die Juden als die wahren Unruhestifter und als Denunzianten dargestellt werden (z.B. Apg 13,50; 17,5; 18,12f.; 21,27f.; 23,12-15; 25,2f.7). Kritik hat diese These nicht zuletzt aufgrund der ihr (implizit oder explizit) zugrundeliegenden Annahme einer nicht-christlichen Leser- oder Zuhörerschaft erfahren. Daher wird in der Forschung auch die umgekehrte Auffassung vertreten, Lukas wolle gegenüber christlichen Adressaten Rom rechtfertigen und besonders positiv darstellen, also eine apologia pro imperio bieten (vgl. Ch.K. Barrett; R. Maddox; P. Walaskay; V. Robbins ).9 Lukas beabsichtige damit, etwaige antirömische Sichtweisen in seiner Gemeinde zu korrigieren, da sich die Christinnen und Christen angesichts der Parusieverzögerung auf unbestimmte Zeit mit dem Imperium arrangieren müssen. Sie sollten kein Martyrium provozieren, sondern auf die Loyalität des römischen Rechts vertrauen. Dementsprechend sei Lukas bemüht, negative Züge römischer Beamter zu beschönigen, indem er für Christen unvorteilhaftes Verhalten auf ihre Unwissenheit (Apg 16,35-40) oder auf den massiven Druck der Juden zurückführe (z.B. Apg 17,1- 10). Diese Position wird gelegentlich auch in Kombination mit der apologia pro ecclesia vertreten (vgl. H.W. Tajra; R.F. O'Toole; E. Plümacher; K. Wengst). 10 Darüber hinaus mehren sich in jüngerer Zeit die Stimmen, die in der Apostelgeschichte keinerlei apologetische Tendenz erkennen wollen, oder solche, die der Apologetik zumindest keine zentrale Bedeutung beimessen. So besitzt Lukas nach Ansicht von Philipp F. Esler vor allem ein legiti- 27 matorisches Interesse. Dieses ziele darauf ab, römischen Amtsträgern die Vereinbarkeit von christlichem Bekenntnis und Loyalität gegenüber Rom aufzuzeigen, wozu Lukas das Christentum u.a. als altehrwürdige Religion der Väter darstelle (vgl. Apg 3,13; 5,30; 15,10; 22,14; 26,6; 28,25). 11 Demgegenüber macht Richard J. Cassidy für seine, gleichfalls nicht-apologetische Deutung der Apostelgeschichte gerade deren romkritische Elemente stark: Er versteht die ambivalente lukanische Darstellung vor allem des Verhältnisses des Paulus zum Imperium als Anweisung für ein angemessenes Leben unter römischer Herrschaft. Demnach wolle Lukas seine Leser ermutigen, die gleiche Standhaftigkeit im Zeugnis an den Tag zu legen wie bereits zuvor Jesus und Paulus (»allegiance-witness theory«). 12 In ähnlicher Weise bestimmt Wolfgang Stegemann die Ermahnung zum offenen Bekenntnis als Christ als wesentliches Anliegen des Lukas. Dies sei nötig, weil seine Gemeinde aufgrund von Distanzierungsmaßnahmen der Diasporasynagogen zunehmend Gefährdungen durch die heidnische Obrigkeit ausgesetzt sei. 11 Carsten Burfeind beobachtet vor allem in Apg 21-28 eine romkritische Pointe, insofern die römischen Behörden in der Person des Apostels Paulus mit der christlichen Kyrios- und Basileia- Verkündigung konfrontiert würden. Dadurch aber werde der absolute Herrschaftsanspruch des Kaisers und des Imperium Romanum relativiert. 14 Während somit Burfeind gerade die politische Dimension lukanischer Theologie hervorhebt, spricht Jacob J ervell Lukas jegliches Interesse an politischen Fragen ab. 11 Da es ihm in der Apostelgeschichte im wesentlichen um die Darstellung eines innerjüdischen Konflikts gehe, der sich an der Verkündigung des Paulus entzündet, werde Rom lediglich unbeschönigt als politische Realität vorausgesetzt, der keine theologische Bedeutung zukommt. Auch die römischen Beamten stünden letztlich im Dienste der Ausbreitung der christlichen Botschaft oder könnten sie zumindest nicht aufhalten. Die Vorgehensweise der »imperialen« Perspektive Bereits dieser kurze Durchgang zeigt, daß von der durch Eckhard Plümacher noch vor gut 20 Jahren 28 konstatierten Einmütigkeit in bezug auf das »Vorhandensein einer politisch-apologetischen Tendenz bei Lk« 16 keine Rede mehr sein kann. In der Zwischenzeit steht von unterschiedlichen Seiten nicht nur ihre Zielsetzung, sondern verschiedentlich sogar die lukanische Apologetik überhaupt zur Diskussion. Allerdings ist die Forschung weit davon entfernt, sich auf einen neuen Konsens zu verständigen. Vor allem das Nebeneinander von positiven und negativen Zügen Roms in der Apostelgeschichte ist im Blick auf die Intention und die Adressaten des Lukas bislang nicht schlüssig beantwortet worden. Kann die eingangs skizzierte »imperiale« Perspektive hier weiterführen? Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst deren Vorgehensweise zu erläutern, da sich letztlich keine einzelne, spezifische Methode dahinter verbirgt. Der herrschafts- und damit romkritische Zugang wird vielmehr von dem Grundanliegen getragen, den Blick für die vielfältigen Formen, Funktionen und Folgen römischer Machtausübung zu schärfen. Diese Herrschafts- und Kontrollmechanismen wie auch die Reaktionen auf sie manifestieren sich ob bewußt oder unbewußt, absichtlich oder unabsichtlich auf unterschiedlichen Ebenen: in Sozialstrukturen und in militärischen Hierarchien, in Bauprogrammen und im Kult, im Provinzwesen und im Handel. Sie schlagen sich nicht zuletzt auch in der Sprache nieder, in Graffiti und Volksprosa ebenso wie in hoher Dichtung und gewandter Rhetorik. Um diese komplexen Zusammenhänge zu erhellen, wird auf die Methoden und Einsichten historisch-kritischer Exegese und ihrer Nachbardisziplinen wie der Judaistik und Religionsgeschichte, der Alten Geschichte, der Altphilologie oder der Archäologie zurückgegriffen. Das traditionelle Instrumentarium wird dabei jedoch bewußt ideologiekritisch eingesetzt und in verschiedene Richtungen erweitert. Zur Analyse der imperialen und kolonialen Machtgefüge werden insbesondere soziologische, sozialwissenschaftliche und kulturanthropologische Modelle und Theorien herangezogen. 17 Darüber hinaus kommen verstärkt synchrone, literatur- und sprachwissenschaftliche Methoden zur Anwendung, wie z.B. die Erzählanalyse, die Rezeptionsästhetik, die rhetorische Kritik oder die Diskursanalyse. 18 Der Erkenntnisgewinn einer romkritischen, »imperialen« Perspektive auf die Apostelge- ZNT 18 (9. Jg. 2006) schichte soll im folgenden anhand ausgewählter Aspekte diskutiert werden. Zunächst werden dazu direkte Nachrichten über römische Funktionsträger dahingehend untersucht, welche Schlüsse auf die lukanische Haltung zum Imperium sich aus deren Darstellung ziehen lassen. Im Blick auf die weitergehende Frage nach der Zielgruppe der Apostelgeschichte wird sodann die Unterscheidung zwischen öffentlicher und verhüllter Redeweise nach James C. Scott als heuristisches Modell herangezogen. Schließlich soll auf diesem Hintergrund exemplarisch in bezug auf die Titel kyrios und soter gefragt werden, ob ihre christologische Verwendung in der Apostelgeschichte zugleich eine implizite Polemik gegen ihren Gebrauch im Kaiserkult enthält und welche Implikationen sich für die lukanische Theologie daraus ergeben. Römische Funktionsträger in der Apostelgeschichte Obwohl Lukas die Ausdrücke Rom bzw. Römer mit Abstand am häufigsten im Neuen Testament verwendet (16mal in Apg, davon nur in 2,10 nicht in bezug auf Paulus; 4mal im übrigen NT), ist auffällig, daß er an keiner Stelle offen oder gar eindeutig Stellung zum Imperium Romanum bezieht. Vertreter Roms begegnen in der Apostelgeschichte in verschiedenen erzählerischen Funktionen und Zusammenhängen. Zum einen werden die Namen bzw. Maßnahmen einzelner Kaiser und Statthalter lediglich erwähnt, ohne daß diese als Erzählfiguren auftreten. So wird bspw. dreimal innerhalb wörtlicher Reden auf die (Mit-) Verantwortung des Pilatus am Tode Jesu zurückgeblickt (Apg 3,13; 4,27; 13,28). Durch die wiederholte Nennung des Kaisers Claudius verknüpft Lukas wie bereits im Evangelium - Heilsgeschichte und Weltgeschichte miteinander (Apg 11,28; 18,2; vgl. Lk 2,lf.; 3,lf.). Zum anderen erscheinen römische Amtsträger mit Ausnahme des Kaisers 19 verschiedentlich als Akteure der Handlung. Dabei ist jedoch eine große Spannbreite sowohl hinsichtlich ihrer Darstellung als auch ihrer Haltung gegenüber den Christen und Christinnen zu beobachten. Bezeichnenderweise treten die zwei römischen Charaktere, die uneingeschränkt positiv darge- ZNT 18 (9. Jg. 2006) stellt werden und im Verlauf der Erzählung zum Glauben an Christus kommen, im jeweiligen Kontext beide nicht in ihrer offiziellen Funktion auf: der Hauptmann Kornelius (Apg 10) und der Prokonsul von Zypern, Sergius Paulus (Apg 13,7.12). Die weiteren Nachrichten über Vertreter des Imperiums stehen demgegenüber alle im Zusammenhang mit forensischen Konflikten des Paulus. Etliche, nicht namentlich genannte und in der militärischen Hierarchie untergeordnete Figuren wie z.B. Liktoren (Apg 16,35.37), Hauptleute (Apg 21,32; 22,25f.; 23,17.23; 24,23) oder Soldaten (vgl. Apg 21,32.35; 23, 10.23.27.31; 27,3 lf.42; 28,16) treten weitgehend unkonturiert lediglich als gehorsame Befehlsempfänger in Erscheinung, die keinerlei persönliches Interesse am Schicksal der Christen zeigen. Differenziertere und zugleich ambivalente Charakterzeichnungen die hier nicht im Detail ausgeführt werden können - 20 finden sich u.a. von den Statthaltern Gallio (Apg 18,12-17), Felix (Apg 23,31-24,26) und Festus (Apg 24,27-26,32) sowie von dem Tribun Lysias (Apg 21f.). Einen besonders negativen Eindruck hinterläßt das Vorgehen der Beamten in Philippi, die den römischen Bürger Paulus zunächst widerrechtlich foltern und inhaftieren und dann ohne Rehabilitierung ausweisen wollen (Apg 16,19- 23.35-40). Während die Statthalter Felix und Festus beide insofern in ungünstigem Licht erscheinen, als sie bereit sind, den Juden eine Gunst zu erweisen (Apg 24,27; 25, 9), wird das Bild des Festus doch dadurch positiv ergänzt, daß er um eine zügige Wiederaufnahme des Prozesses bemüht ist (Apg 25, 1-6) und Paulus das von ihm eingeforderte Recht unverzüglich gewährt (Apg 25,12.21.25). Anders hingegen Felix: Die Lobrede auf seine Person durch den Christengegner (! ) Tertu! lus (Apg 24,2-4) wird spätestens durch die auktorialen Kommentare in Apg 24,22-27 als ironische Spitze durchsichtig. Denn Felix wird so entgegen dem relativ wohlwollenden Verhalten auf der Handlungsebene (Einberufung eines Zeugen; Anordnung einer leichten Haft; Interesse am christlichen Glauben) als korrupt gezeichnet (Verschleppung; Bestechlichkeit). Dieser kurze Überblick illustriert bereits, daß die Römer in der Apostelgeschichte keineswegs so wohlwollend dargestellt werden, wie es von Vertretern der politischen Apologetik oft postuliert wird. Doch wie läßt sich die umrissene, wenn 29 nicht durchweg kritische, doch mindestens ambivalente Repräsentation der Römer im Blick auf die lukanische Position und die Situation seiner Adressaten auswerten? Die häufig anzutreffende Vermutung, Lukas stehe Rom grundsätzlich positiv und vertrauensvoll gegenüber, lasse aber dennoch willkürliche und widerrechtliche Maßnahmen nicht aus, um so Kritik an Ausnahmen vom Ideal zu üben, ist unbefriedigend; sie beruht letztlich auf einem argumentum e silentio. Weiterführend scheinen hingegen zwei in jüngerer Zeit vorgetragene Vorschläge, die insofern der Tendenz der »imperialen« Perspektive entsprechen, als sie die negativen Züge Roms nicht zu harmonisieren versuchen. So geht Peter Oakes davon aus, daß frühchristliche Haltungen gegenüber dem Imperium durchweg von einer Spannung zwischen positiven und negativen Faktoren gekennzeichnet waren, deren Verhältnis jedoch variabel war. 21 Auch wenn diese Parameter noch exakter zu definieren und zu operationalisieren wären, ist Oakes' Grundannahme plausibel, daß die differenzierte Haltung der Apostelgeschichte gegenüber dem Imperium ebenso realistisch wie repräsentativ ist: » Roman officials in Acts ... are portrayed in varying ways, both positive and negative( ... ). We could read the officials as uniformly representing Rome, but a Rome that was, in Luke's eyes, a paradoxical mixture of good and bad.( ... ) Luke [has] a view of Rome in which there is tension between appreciation and resentment. Luke's Rome is a mixture of efficiency, openness, justice and corruption.« (87f.) Während Oakes vor allem neutestamentliche Texte untersucht, hat Martin Meiser unlängst darauf hingewiesen, daß sich Lukas mit seiner ambivalenten Sicht auf das Imperium auch in guter römischer Gesellschaft weiß: 22 »Kritik an vergangenen Autoritätspersonen war unter den Bedingungen des Prinzipates mit seinen wechselnden Herrschern und Herrscherhäusern nicht unbedingt gefährlich, sondern konnte sich durchaus mit der ,offiziellen< Linie vereinbaren lassen, zumal dann wenn besagte Personen( ... ) in Ungnade gefallen waren.( ... ) Lukas kritisiert vorzugsweise Personen, die auch anderweitig kritisiert werden, und Kritik an vergangenen Autoritäten muß nicht gefährlich sein, sondern kann der offiziellen Linie durchaus entsprechen« (183f.). In diesem Sinne sind dann die kritischen Nachrichten über Pontius Pilatus, 30 Iunius Gallio und Antonius Felix als »ungefährlich« einzustufen, da sie mit entsprechenden Äußerungen in der römischen Literatur (und z.B. bei Josephus) konform gehen. Während Oakes keine Überlegungen hinsichtlich der Intention der spannungsvollen Darstellung des Imperiums anstellt, geht Meiser davon aus, daß Lukas mit dem Neben- und Nacheinander von korrektem und korruptem Verhalten römischer Amtsinhaber »den christlichen Lesern den Eintrag ihrer divergierenden Erfahrungen ermöglichen« (186) will. So sehr ihm dabei hinsichtlich der paränetischen Ausrichtung im Blick auf eine christliche Adressatenschaft zuzustimmen ist, bleibt doch zu fragen, warum oder inwiefern Lukas fürchten mußte, daß romkritische Aussagen in die falschen Hände gelangen könnten, wie es die Rede von »gefährlichen« bzw. »ungefährlichen« Äußerungen impliziert. Das Modell der öffentlichen und verhüllten Redeweisen Hierbei kann ein im Rahmen der »imperialen« Perspektive bereits wiederholt aufgegriffenes soziologisches Modell instruktiv sein. Der amerikanische Soziologe James C. Scott geht davon aus, daß sich Macht- und Unterdrückungsstrukturen in hegemonialen Gesellschaften sowohl bei den Herrschenden als auch bei den Beherrschten in und auf verschiedenen Diskursebenen niederschlagen.23 Öffentliche Äußerungen (»public transcript«) werden von beiden Gruppen gemeinsam wahrgenommen. Sie seien daher darauf ausgerichtet, den Erwartungen innerhalb des wechselseitig akzeptierten bzw. geduldeten Machtverhältnisses zu entsprechen. Für die Untergebenen heißt dies in der Regel aber, sich den vorherrschenden Werten der Mächtigen zu beugen, Loyalität zu bezeugen, ja vorfindliche Machtstrukturen durch stereotype Lippenbekenntnisse oder schweigenden Gehorsam sogar aufrechtzuerhalten. Darin spiegele sich (potentiell) jedoch nicht die wirkliche Haltung der Unterdrückten, denn nach Scott gilt: »[T]he more menacing the power, the thicker the mask« (3 ). Ihre authentische Ansicht werde hingegen lediglich »offstage«, d.h. innerhalb der eigenen sozialen Gruppe unmittelbar ausgedrückt. Da sich diese Sprachhandlungen in einer dem Zugriff ZNT 18 (9. Jg. 2006) Neben dem Genius des Kaisers spielten auch die gleichsam zu Göttern erhobenen Leistungen der augusteischen Herrschaft eine zentrale und sichtbare Rolle im Rahmen der römischen Kaiserpropaganda, wie hier zum Beispiel die reichsweite »Sicherheit«. Museum Palestrina der Machthabenden entzogenen, geschützten Sphäre ereignen, nennt Scott sie etwas mißverständlich versteckte Äußerungen (»hidden transcript«). Diese unmaskierte Sicht negiere oder relativiere häufig die öffentliche und offizielle Redeweise. Zwar sei das »hidden transcript« i.e.S. in den meisten Fällen unzugänglich (Scott zieht u.a. Sklavenerzählungen der amerikanischen Südstaaten aus dem 19. Jh. heran), lasse sich aber teilweise rekonstruieren, weil es in verschleierter Form auch in öffentlichen Äußerungen enthalten sei. Wenn die Tarnung (»disguise«) darin besteht, die Identität des Urhebers einer Äußerung durch Anonymität zu schützen, liege offener Widerstand vor, da Kritik unmittelbar geäußert werde (z.B. in Form von Klatsch, Magie, anonymen Aufrufen). Versteckter Widerstand bediene sich hingegen der Verschleierung der Botschaft selbst (z.B. durch Euphemismus, Spott; Anspielungen; Doppeldeutigkeiten). 24 Nach Scott zeigt also das Eindringen des verborgenen in den öffentlichen Diskurs, daß die Beherrschten ihre Unter- ZNT 18 (9. Jg. 2006) Heike Omerzu Das Imperium schlägt zurücl< Zur römischen Kaiserpropaganda zählte auch der von Augustus für das gesamte römische Reich erzielte »Friede«. Dieser Altar dient der Verehrung der pax Augusta. Museum Palestrina drückung nicht akzeptieren, sondern die alltägliche Erfahrung der Ohnmacht auf diese Weise bewältigen. Scotts Theorie des »public« und »hidden transcript« kann in doppelter Hinsicht für das Verständnis der Apostelgeschichte fruchtbar gemacht werden. Einerseits kann sie im Blick auf die Frage nach den Adressaten weiterführend sein. Lukas wird sich, wie gezeigt, nicht gezielt an ein nichtchristliches römisches Publikum gewandt haben, um etwa eine Apologie der christlichen Überzeugungen zu liefern. Dennoch läßt sich sein Werk als »public transcript« lesen, da es wohl kaum Anstoß bei den Römern erregt hätte. Die offen geäußerte Kritik hält sich in den allgemein tolerierten Grenzen (vgl. M. Meiser). Vielmehr werden die bestehenden Herrschaftsstrukturen und Hierarchien (vordergründig) anerkannt. Mit Paulus steht ab Apg 13 sogar eine Person im Mittelpunkt, die christliche Existenz und römisches Bürgerrecht problemlos miteinander vereinen kann. Wenn sich die Apostelgeschichte aber an 31 ein christliches Publikum wendet, bleibt weiterhin zu klären, warum sich Lukas nicht des »hidden transcript« i.e.S. bedient. Offensichtlich mußte er damit rechnen, daß sein Werk wider seine Absicht! auch an »offizielle« Kreise geraten könnte. Diesbezüglich scheint mir am plausibelsten anzunehmen, daß er fürchtete, die Römer könnten durch Denunziationen von jüdischer Seite auf den (vermeintlich) subversiven Charakter christlicher Glaubens- und Lebensweisen aufmerksam werden (vgl. W. Stegemann). Dieses Ansinnen hätte Lukas dann durch die Negativzeichnung der Der wahre »Herr« und »Retter« Obwohl »Sohn Gottes« für Lukas das wichtigste Attribut war, um die IdentitätJesu zu umschreiben, wie allein die Geburtserzählung in Lk 1-2 zeigt, ist »Herr« (gr. Kyrios) mit über 60 Belegen der Titel, den er Jesus in der Apostelgeschichte am häufigsten beilegt. 25 Er bezeichnet vor allem den gegenwärtigen, von Gott erhöhten Christus. Dementsprechend ordnet Lukas bereits in der Pfingstpredigt die Titel Kyrios und Christus (gr. christos = Gesalbter) einander programmatisch zu Juden als eigentliche Unruhestifter konterkariert. Der bekannte Briefwechsel zwischen Kaiser Trajan und dem Statthalter Plinius (Ep X 96f.) zeigt jedenfalls, daß die Römer noch etliche Jahre nach Abfassung der Apostelgeschichte von sich aus keinerlei Interesse daran hatten, die Christen gezielt zu verfolgen, aber dennoch entsprechenden Anzeigen nachgingen. »Für die Suche nach Spureneines >hidden transcript< in der Apostelgeschichte ist jedoch vor allem wichtig, daß die Bezeichnungen >Herr< und (Apg 2,36). Die Apostelgeschichte endet zudem mit der Notiz über die ungehinderte Predigt vom » Herrn Jesus Christus« in Rom (Apg 28,31 ). Doch auch schon in der Engelbotschaft zu Anfang des Evangeliums werden Kyrios und Christus zusammengestellt (Lk 2,11), dabei aber noch ergänzt um den Titel Soter (gr. = Retter; vgl. Lk 1,47; vgl. auch Lk 1,69.71.77; >Retter< bzw. die Vorstellung des Kaisers als Wohltäter auch in der imperialen Propaganda verwendet werden, ohne damit ihre allgemeineren Konnotationen zu verlieren.« Andererseits ist vor dem Hintergrund des Modells von Scott zu fragen, ob die Apostelgeschichte auch Elemente eines »hidden transcript« enthält, die nur für Christen hinter dem »public transcript« durchscheinen. Lassen sich also im Text Anspielungen finden, die sich als (verborgene) Kritik an der römischen Herrschaft interpretieren lassen? In diesem Fall würde, ganz in der Linie der »imperialen« Perspektive, die Vermutung bestätigt, daß die Apostelgeschichte mehr romkritisches Potential besitzt, als gemeinhin angenommen. Für eine entsprechende Analyse bieten sich vor allem solche Begriffe und Motive an, die nicht nur im christlichen Kontext, sondern auch in der römischen Kaiserpropaganda begegnen, wie z.B. Friede ( eirene I pax ), Eintracht (homonoia I concordia ), Sicherheit (asphaleial securitas), Vorsehung (pronoia I providentia ), Zeitalter (aion I saeculum ), Herr (kyrios I dominus), Retter (soter I salvator) oder Sohn Gottes (hyios theoul filius dei, divi filius). Im folgenden kann dies lediglich für die Epitheta »Herr« und »Retter« exemplarisch skizziert werden. 32 2,30; 3,6). In Apg 5,31 und 13,23 wird Jesus ebenfalls als »Retter« tituliert; darüber hinaus bildet das Motiv gleichfalls eine Inklusion um das gesamte Doppelwerk, insofern in 28,28 die Rettung bzw. das Heil (gr. = soterion) für alle Völker angekündigt wird. Der Titel Christus hat seine traditionsgeschichtlichen Wurzeln eindeutig im antiken Judentum und auch für die Epitheta Kyrios und Soter ist eine judenchristliche Herkunft wahrscheinlich." Für die Suche nach Spuren eines »hidden transcript« in der Apostelgeschichte ist jedoch vor allem wichtig, daß die Bezeichnungen »Herr« und »Retter« bzw. die Vorstellung des Kaisers als Wohltäter auch in der imperialen Propaganda verwendet werden, ohne damit ihre allgemeineren Konnotationen zu verlieren. 27 Die Würdebezeichnung »Herr« hebt in der griechisch-römischen Antike auf die überragende, aber rechtmäßige Machtposition von Göttern oder Menschen ab. Die lateinische Form dominus hat sich erst spät als Kaisertitel etabliert (vgl. Dio 72,20,2). Laut Sueton hat sich Domitian als »unser Herr und Gott« (Dom 10,3: dominus ac deus noster) anreden lassen, weshalb der Titel »Herr« ZNT 18 (9.Jg. 2006) vielleicht im Zuge der Verdammnis nach seinem Tod zunächst verpönt war. Allerdings ist das griechische Äquivalent Kyrios bereits als Titel für Claudius (POxy I 37,5f.) belegt und erscheint dann vor allem seit Nero, der u.a. als »Herr der ganzen Welt« bezeichnet wird (SIG' 814,31; vgl. auch POxy II 246; PLond 280,6 ). Was den Titel »Retter« oder »Beschützer« angeht, werden mit ihm spätestens seit hellenistisch-römischer Zeit Herrscher und Feldherren für herausragende Taten geehrt. Vermittelt durch den hellenistischen Herrscher- und Wohltäterkult findet der Titel später sukzessiven Eingang in die römische Kaiserideologie. Die Gewährung von Schutz und Sicherheit gegenüber eroberten Völkern diente dem Imperium zur Legitimation seiner Macht, da die Errungenschaften der pax Romana vielfach als Heil empfunden wurden. 28 Inschriftlich belegt ist u.a. bereits für Iulius Caesar der Titel »Retter des menschlichen Lebens« (SIG' 760); Augustus wird als »Retter für uns und unsere Nachkommen« (OGIS 458), Claudius als »Retter der Welt« (IGRR IV, 12) bezeichnet. Josephus berichtet, daß Vespasian in Tiberias als »Retter und Wohltäter« Qos, Bell III 459) begrüßt wurde. Lukas verwendet hingegen für den römischen Princeps entweder einfach den von ihm innerhalb des Neuen Testaments deutlich bevorzugten »neutralen« Titel »Kaiser« (vgl. Lk 2,1; 3,1; 20,22.24f.; 23,2; Apg 17,7; 25,8.10-12.21; 26,32; 27,24; 28,19) oder den jeweiligen Namen (vgl. Lk 2,1; 3,1; Apg 11,28; 18,2). Er bringt jedoch nie weder positiv noch negativ akzentuiert die Attribute »Herr« und »Retter« mit dem Kaiser in Verbindung. Somit kritisiert Heil«). Dieser ist aus christlicher Perspektive natürlich nicht der Kaiser in Rom, sondern allein der durch die Auferstehung von Gott zum »Herrn« eingesetzte Jesus Christus. Dies verdeutlicht Lukas zum Abschluß seines Doppelwerkes nochmals in den Verteidigungsreden des Paulus, der kaum auf die politischen Anklagen eingeht und vielmehr vor einem illustren Publikum Zeugnis vom Christusgeschehen ablegt (vgl. C. Burfeind). Eine entsprechende Interpretation wäre als ein im »public transcript« enthaltenes »hidden transcript« für römische »Ohren« entweder nicht wahrnehmbar oder zumindest ungefährlich gewesen, da die unbedingte Loyalität zum Kaiser den Glauben an andere Götter nicht ausschloß. Für christliche Adressaten spendet der Gegenentwurf zur römischen Propaganda hingegen die Zuversicht, daß sich die Basileia Gottes gegen die faktischen gegenwärtigen Erfahrungen der Unterdrückung die daher geduldet werden können bald endgültig durchsetzen wird. Sie haben die Gewißheit, daß das wahre Heil nicht in den zwiespältigen Errungenschaften der pax Romana liegt, sondern in der mit der Auferstehung Christi angebrochenen, alle irdischen Machtvorstellungen transzendierenden Herrschaft Gottes. Ausblick: Die Apostelgeschichte zwischen Apologetik und Anti-Imperialismus Es ist deutlich geworden, daß die lange Zeit die exegetische Forschung beherrschende Annahme, die Apostelgeschichte liefere Lukas die römische Ideologie zwar nicht offen, da er keinen direkten Bezug auf sie nimmt. Er macht aber doch indirekt konkurrierende Machtan- »Es ist deutlich geworden, daß die lange Zeit die exegetische Forschung beherrschende Annahme, die Apostelgeschichte eine Apologie sei es im Sinne der Rechtfertigung des Christentums gegenüber Rom oder als Verteidigung des Imperiums gegenüber dem Christentum zu kurz greift. Lukas stellt durchaus auch kritische Aspekte des Imperiums dar sowohl direkt als auch indirekt. Er bewegt sich dabei mit seiner offen artikulierten Kritik auf sprüche geltend, indem er die Titel »Herr« mit wenigen Ausnahmen (vgl. z.B. Apg 25,26) und »Retter« ausschließlich auf Gott (Lk 1,47) und Christus (Lk 2,11; Apg 5,31; 13,23) bezieht. Somit liefere eine Apologie sei es im Sinne der Rechtfertigung des Christentums gegenüber Rom oder als Verteidigung des Imperiums gegenüber dem Christentum zu kurz greift.« betont Lukas also entgegen der Kaiserpropaganda, daß es nur einen Retter geben kann (vgl. bes. Apg 4,12a: »Und es ist in keinem anderen das dem Boden des gesellschaftlich Akzeptierten und staatlich Tolerierten. Auf der Ebene des binnenchristlichen Diskurses ruft er zwar keineswegs ZNT 18 (9. Jg. 2006) 33 zum offenen Widerstand gegen Rom auf, fordert aber auch keine bedingungslose Unterordnung, wie es eine »unkritische« Lektüre der Apostelgeschichte vermuten lassen könnte. Vielmehr entfaltet Lukas das allgemeine Diktum zum Verhältnis von christlicher Identität und Obrigkeit aus Apg 5,29, man solle Gott mehr gehorchen als den Menschen, im Blick auf das Imperium im weiteren Verlauf seiner Erzählung sehr subtil. Er relativiert die römischen Machtansprüche, indem er betont, daß der wahre Retter Christus ist und die endgültige Herrschaft mit der Basileia Gottes bevorsteht. Bis zur Parusie Christi muß man allerdings damit rechnen, ganz verschiedene, oft widersprüchliche Erfahrungen mit dem Imperium zu machen. Wie damit umzugehen ist, zeigt die Apostelgeschichte. Auf der Achse von Apologetik und Anti-Imperialismus wäre Lukas somit wohl als eine Art »Realpolitiker« in der Mitte anzusiedeln. Die »imperiale« Perspektive, die hier nur knapp illustriert werden konnte, wird im Blick auf die Apostelgeschichte also vielleicht nicht zu grundsätzlich neuen Erkenntnissen führen, kann aber doch differenziertere Urteile ermöglichen. Bspw. ist die Möglichkeit der Herrschaftskritik in Form verdeckter Rede gewiß keine neue Einsicht. Bereits die jüdische Apokalyptik kleidet ihre Polemik gegenüber Rom in verhüllte, oft metaphorische Sprache; die antike Rhetorik kennt die Figur des schema, um kritische Äußerungen zu verschleiern." Die Theorie Scotts ist jedoch insofern innovativ, als sie die sprachlichen Beobachtungen in ein soziologisches Modell überführt und als Ausdruck des Ringens um Macht interpretiert. So sehr die »imperiale« Perspektive dabei freilich von spezifischen Anfragen im Kontext gegenwärtiger US-amerikanischer Gesellschaft und Politik geprägt ist, kann sie wichtige Impulse für die Exegese neutestamentlicher Texte bieten. Die skizzierten Ansätze sind aufzugreifen, dabei aber zugleich kritisch durch Einzelexegesen und Detailstudien auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen und von anachronistischen Verzerrungen freizuhalten. In jedem Fall ist zu begrüßen, daß das römische Reich wieder verstärkt in den Blick kommt, nachdem es lange Zeit in den Hintergrund der Forschung getreten war. Diese hat sich vor allem in den letzten Jahrzehnten sehr auf den frühjüdischen Kontext des frühen Christentums konzen- 34 triert. Diese Arbeit muß zwar unbedingt fortgesetzt werden, doch ist erfreulich, daß daneben das Imperium als ein entscheidender, die Lebens- und Vorstellungswelt des frühen Christentums bestimmender Faktor wahrgenommen wird. Für die Exegese gilt also: Das Imperium schlägt zurück. Anmerkungen Vgl. z.B. die Überblickswerke von B. Reicke, Neutestamentliche Zeitgeschichte. Die biblische Welt von 500 v.Chr.-100 n.Chr., Berlin '1982; E. Lohse, Umwelt des Neuen Testaments (GNT 1), Göttingen 8 1989; J. Leipoldt/ W. Grundmann (Hgg.), Umwelt des Urchristentums, 3 Bde., Berlin 8 1990/ 81991/ "1987; H.- J. Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums, 2 Bde. (Kohlhammer Studienbücher Theologie 9,1/ 2), Stuttgart 1995/ 1996. Vgl. zur Sozialgeschichte z.B. G. Theißen, Studien zur Soziologie des Urchristentums (WUNT 19), Tübingen '1989; ders., Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien. Ein Beitrag zur Geschichte der synoptischen Tradition, Fribourg u.a. 2 1992; W.A. Meeks, Urchristentum und Stadtkultur. Die soziale Welt der paulinischen Gemeinden, Gütersloh 1993; E. Stegemann / W. Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, Stuttgart 2 1995; L. Schottroff, Lydias ungeduldige Schwestern. Feministische Sozialgeschichte des frühen Christentums, Gütersloh '2001. Vgl. zum Kaiserkult bes. S.R.F. Price, Rituals and Power. The Imperial Cult and Asia Minor, Cambridge 1984; P. Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, München 3 1997; A. Brent, The Imperial Cult and the Development of the Church Order. Concepts and Images of Authority in Paganism and Early Christianity before the Age of Cyprian (VC.S 45), Leiden u.a. 1999, bes. 17-72; M. Clauss, Kaiser und Gott. Herrscherkult im Römischen Reich, Stuttgart/ Leipzig 1999; H. Koester (Hg.), Ephesos: Metropolis of Asia. An Interdisciplinary Approach to its Archaeology, Religion, and Culture (HThS 41), Valley Forge, Pa. 1995; ders. (Hg.), Pergamon, Citadel of the Gods: Archaeological Record, Literary Description, and Religious Development (HThS 46), Harrisburg, Pa. 1998. Vgl. für einen Überblick folgende von R.A. Horsley herausgegebenen Sammelbände: Paul and Politics. Ekklesia, Israel, Imperium, Interpretation. Essays in Horror of Krister Stendahl, Harrisburg, Pa. 2000; Paul and the Roman Imperial Order, Harrisburg, Pa. u.a. 2004; vgl. auch ders., Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society, Harrisburg, Pa. 1997. Die Frage nach »Paul and Politics« untersucht Machtverhältnisse im weitesten Sinne. Neben dem römischen Imperium, das im vorliegenden Beitrag im Mittelpunkt steht, werden die »Politik« der Kirche, Israels und der Interpretation in den Blick genommen; vgl. ders., Introduction: Krister Stendahl's Challenge to Pauline Studies, in: ders., Paul and Politics, 11. Vgl. darüber hinaus bereits R.J. Cassidy, Jesus, Politics, and Society. A Study of Luke's Gospel, Maryknoll, NY ZNT 18 (9.Jg. 2006) 1978; ders., Society and Politics in the Acts of the Apostles, Maryknoll 1987; ders. / Philip J. Scharper (Hgg.), Political Issues in Luke-Acts, New York 1983; D. Georgi, Theocracy in Paul's Praxis and Theology, Minneapolis 1991; L. Alexander (Hg.), Images of Empire QSOT.S 122), Sheffield 1991; N. Elliott, Liberating Paul. The Justice of God and the Politics of the Apostle, Sheffield 1995. Vgl. K. Stendahl, The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West, HThR 56 (1963), 199-215. Vgl. Horsley, Challenge, 13f. Dabei ist allerdings nicht der weitere antike, sondern der im Gefolge Machiavellis heute übliche engere Politikbegriff im Sinne der Kunst der Konfliktaustragung mit dem Ziel des Erwerbs oder Erhalts von Macht zugrundegelegt, der dem englischen Ausdruck politics (als Komplementärbegriff zu policy und polity) entspricht; vgl. Herfried Münkler, Art. Politik/ Politologie, TRE 27 (1997), 1-6. Vgl. zu Paulus bes. die in Anm. 3 genannten Titel, zu Matthäus: W. Carter, Matthew and Empire. Initial Explorations, Harrisburg, Pa. 2001; J. Riches / D.C. Sim (Hgg.), The Gospel of Matthew in Its Roman Imperial Context. Early Christianity in Context, London 2005; vgl. auch P. Oakes (Hg.), Rome in the Bible and the Early Church, Carlisle 2002. Erstmals vertreten durch Chr.A. Hcumann, Dissertatio de Theophilo, cui Lucas historiam sacram inscripsit, BHPT IV, Bremen 1720, 483-505 (vgl. W.W. Gasque, A History of the Criticism of the Acts of the Apost! es [BGBE 17], Tübingen 1975, 21f.); vgl. dann vor allem H.J. Cadbury, The Making of Luke-Acts, London 1927, 308-315; H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas (BHTh 17), Tübingen 4 1962, 128-135; F.W. Horn, Die Haltung des Lukas zum römischen Staat im Evangelium und in der Apostelgeschichte, in: J. Verheyden (Hg.), The Unity of Luke-Acts (BEThL CXLII), Leuven 1999, 203-224, bes. 223f. Vgl. Ch.K. Barrett, Luke the Historian in Recent Study, London 1961, 63: »No Roman official would ever have filtered out so much of what to him would be theological and ecclesiastical rubbish in order to reach so tiny a grain of relevant apology. So far as Acts was an apology, it was an apology addressed to the Church ... «; R. Maddox, The Purpose of Luke-Acts, Edinburgh 1982, 96f; P.W. Walaskay, »And so we came to Rome«. The Political Perspective of St. Luke (MS- SNTS 49), Cambridge 1983, 15-37.64-67; V.K. Robbins, Luke-Acts: A Mixed Population Seeks a Horne in the Roman Empire, in: Alexander, Images, 202-221. 10 Vgl. H.W. Tajra, The Trial of St. Paul. A Juridical Exegesis of the Second Half of the Acts of the Apostles (WUNT II 35), Tübingen 1989, 199 u.ö.; Robert F. O'Toole, Luke's Position on Politics and Society in Luke-Acts, in: Cassidy / Scharper, Issues, 1-17, bes. 4- 8; E. Plümacher, Acta-Forschung 1974-1982, ThR 48 (1983), 1-56, 24; K. Wengst, Pax Romana. Anspruch und Wirklichkeit. Erfahrungen und Wahrnehmungen des Friedens bei Jesus und im Urchristentum, München 1986, 150f. 11 Vgl. P.F. Esler, Community and Gospel in Luke-Acts. The Social and Political Motivations of Lukan Theology (SNTS.S 57), Cambridge 1987, 16-23.201-219. ZNT 18 (9. Jg. 2006) Diese Argumentation ist freilich nicht weit entfernt vom Altersbeweis der späteren Apologeten. 12 Vgl. Cassidy, Society and Politics, bes. 158-170. 13 Vgl. W. Stegemann, Zwischen Synagoge und Obrigkeit. Zur historischen Situation der lukanischen Christen (FRLANT 152), Göttingen 1991, bes. 89f.268- 280; vgl. in Abgrenzung dazu, aber gleichfalls gegen apologetische Deutungen M. Walter, Die Juden und die Obrigkeit bei Lukas, in: K. Wengst/ G. Saß (Hgg.), Ja und Nein. Christliche Theologie im Angesicht Israels. FS Wolfgang Schrage, Neukirchen-Vluyn 1998, 277-290, bes. 289f. 14 Vgl. C. Burfeind, Paulus muß nach Rom. Zur politischen Dimension der Apostelgeschichte, NTS 46 (2000), 75-91. Nach J.M. Scott, Luke's Geographical Horizon, in: D.W.J. Gill/ C. Gempf (Hgg.), The Book of Acts in Its Graeco-Roman Setting (Al CS 2), Grand Rapids / Carlisle 1994, 483-544, 544 repräsentiert Rom für Lukas das vierte der danielischen Reiche und ist so der künftigen Herrschaft des Menschensohnes unterstellt (vgl. Dan 7,13f.; Apg 7,56). 15 Vgl. J. Jervell, The Theology of the Acts of the Apostles, Cambridge 1996, 86-88.100-106. 16 Plümacher, Acta-Forschung, 51; Hervorhebung im Original. 17 Vgl. für einen instruktiven Überblick D.C. Duling, Empire: Theories, Methods, Models, in: Riches / Sim, Gospel, 49-74. 18 Vgl. z.B. R.A. Horsley, Rhetoric and Empire and 1 Corinthians, in: ders., Paul and Politics, 72-102; D.J. Weaver, ,Thus you will know them by their fruits<: The Roman Characters of the Gospel of Matthew, in: Riches/ Sim, Gospel, 107-127. 19 Dies gilt auch für den Prozeß des Paulus, in dessen Verlauf der Kaiser lediglich in seiner Funktion als oberste Appellationsinstanz erwähnt wird (vgl. Apg 25,1 lf.21.25; 26,32; 28,19). Man kann nur aufgrund relativer Chronologie vermuten, daß Paulus an Nero appelliert hat; vgl. dazu H. Omerzu, Der Prozeß des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte (BZNW 115), Berlin/ New York 2002, 508 u.ö. 20 Vgl. dazu Omerzu, Prozeß, passim. 21 Vgl. Oakes, State, 75-80. Zu den sechs grundlegenden Einstellungen zählt er Ehrfurcht (z.B. gegenüber Prestige, Macht und Wohlstand Roms), Würdigung (z.B . der positiven Folgen der pax Romana), Wut (bes. angesichts der drängenden Steuerlast), Mißachtung (bes. der römischen Religion und des Kultes), Verweigerung (Rom als höchste Autorität anzuerkennen) sowie Hoffnung (auf den Umsturz des sozialen und politischen Systems Roms). 22 M. Meiser, Lukas und die römische Staatsmacht, in: M. Labahn/ J. Zangenberg (Hgg.), Zwischen den Reichen. Neues Testament und Römische Herrschaft (TANZ 36), Tübingen 2002, 175-193. 23 Vgl. J.C. Scott, Domination and the Arts of Resistance. Hidden Transcripts, New Haven u.a. 1990; vgl. auch S. Schreiber, Caesar oder Gott (Mk 12,17)? Zur Theoriebildung im Umgang mit politischen Texten des Neuen Testaments, BZ 48 (2004), 65-85; ders., Imperium Romanum und römische Gemeinden. Dimensionen politischer Sprechweise in Röm 13, in: U. Busse (Hg.), Die Bedeutung der Exegese für Theologie und Kirche (QD 35 215), Freiburg i.Br. 2005, 131-170; vgl. auch Duling, Empire, 70-73; N. Elliott, The »Patience of the Jews«. Strategies of Resistancc and Accomodation to Imperial Cultures, in: J.C. Anderson / C. Setzer/ P. Sellew (Hgg. ), Pauline Conversations in Context, FS Calvin J. Roetzel (JSNT.S 221 ), Sheffield 2002, 32-41; E.M. Heen, Phil 2: 6-11 and Resistance to Local Timocratic Rule. lsa theji and the Cult of the Emperor in the East, in: Horsley, Imperial Order, 125-153. 24 Vgl. Scott, Domination, 136-182; vgl. auch die Tabelle s. 198. 27 Vgl. dazu bereits A. Deissmann, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 4 1923, 298-310; D. Cuss, Imperial Cult and Honorary Terms in the New Testament (Par. 23), Fribourg 1974, bes. 53-71; P. Oakes, Philippians. From People to Letter (SNTS.MS 110), Cambridge 2001, 129-174; vgl. auch S. Walton, The Statc They Wcre in: Luke's View of the Roman Empire, in: Riches / Sim, Gospel, 1-41, 27 mit Anm. 86. 28 E. Faust, Pax Christi et Pax Caesaris. Religionsgeschichtliche, traditionsgeschichtliche und sozialgeschichtliche Studien zum Epheserbrief (NTOA 24), Fribourg / Göttingen 1993, 475; Oakes, Philippians, 160-165. 25 Vgl. J.D.G. Dunn, KYPIOI in Acts, in: Ch. Landmesser u.a. (Hgg. ), Jesus Christus als die Mitte der Schrift. Studien zur Hermeneutik des Evangeliums. FS Otfried Hofius (BZNW 86), Berlin/ New York 1997, 363-378. 29 Vgl. Schreiber, Caesar, 78 unter Hinweis auf Demetrius, De elocutione 287-294; Quintilian, Institutionis Oratoriae IX 2. 26 Vgl. F. Hahn, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, Göttingen 5 1995. 36 Eve-Marie Becker/ Doris Hiller (Hrsg.) Handbuch Evangelische Theologie Ein enzyklopädischer Zugang UTB 8326 2006, 390 Seiten, div. Tab., € [D] 29,90/ SFR 52,20 ISBN 3-8252-8326-7 Das Handbuch Evangelische Theologie eröffnet eine Zusammenschau aller Teildisziplinen theologischer Wissenschaft: Altes Testament - Neues Testament - Kirchengeschichte - Systematische Theologie: Dogmatik und Ethik - Praktische Theologie, Religions- und Gemeindepädagogik. Die Beiträge stellen jeweils das Selbstverständnis der einzelnen Disziplin und ihr Verhältnis zu den Nachbardisziplinen und zur theologischen Wissenschaft insgesamt dar. Im dritten Teil der Beiträge wird das enzyklopädisch-theologische Denken am Beispiel des Themas »Gebet« konkretisiert und praktisch durchgeführt. Ein ausführliches Namensregister erfasst die für die Geschichte theologisch-enzyklopädischen Arbeitens zentralen Personen. Aus dem Inhalt: Theologische Enzyklopädie - Eine Einführung • Altes Testament• Neues Testament • Kirchengeschichte • Vorüberlegungen zur Systematischen Theologie • Dogmatik• Ethik• Praktische Theologie, Religions- und Gemeindepädagogik A. Francke ZNT 18 (9. Jg. 2006)