ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2006
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Dronsch Strecker VogelDaniel N. Schowalter / Steven J. Friesen (eds.): Urban Religion in Roma Corinth. Interdisciplinary Approaches. Cambridge MA (Harvard University Press) 2005 (Harvard Theological Studies 53), 553 Seiten, Paperback, 5 Karten am Ende des Bandes und zahlreiche Schwarzweiß-Abbildungen im Text, ISBN 0674C16602; 31,50 €
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2006
Manuel Vogel
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vierten und fünften Jahrhunderts, etwa in den »Akten des Andreas und des Matthias«, einer späten Erweiterung der Andreasakten. Hier gerät der Apostel Matthias in das Land der Menschenfresser, wo ihm die Augen ausgestochen werden und man seine Hand mit einem Datumsstempel versieht, um den idealen Zeitpunkt zum Verzehr zu terminieren. Als Matthias nach wunderbarer Wiederherstellung seines Augenlichts weiteren Menschenverzehr vereitelt, wird er von der verärgerten Bevölkerung durch die Straßen geschleift, sodass seine Haut am Pflaster haften bleibt. Aus den Hautfetzen wachsen fruchttragende Bäume hervor - und so weiter (148f.). Ob man solche Lektüre vergnüglich findet, ist, wie Klauck in seinem Schlusswort anmerkt, »nicht zuletzt eine Geschmacksfrage« (269). Theologische bzw. theologiegeschichtliche Substanz haben die Texte häufig aber auch dort, wo man es ihnen beim ersten Lesen nicht ansieht. So haben »die viel belächelten Tierwunder, denen man einen gewissen naiven Charme nicht absprechen kann« (266), häufig eine symbolische Komponente, die beachtet sein will. Der (zunächst) wilde Löwe aus den Paulusakten etwa verkörpert »die ungebändigte Triebkraft der menschlichen Natur« (266) und die Enthaltsamkeit der getauften Raubkatze ist »ein exquisite[s] Beispiel für den Zusammenhang von Taufe und Eheverzicht« (77), der vom Phänomen des altkirchlichen Enkratismus her zu verstehen ist. Weitere thematische Querschnitte nimmt Klauck im Schlusskapitel vor (»Rückblick und Ausblick«, 261-269), nämlich zur Gnosisfrage (262), zu Ehe, Ehelosigkeit und Eheverzicht (263), zur Auseinandersetzung mit der paganen Kultur (265), zur Wunderfrage (266), zur Rolle von Frauen (266) und zum Nachleben der Apostelakten in der Kunstgeschichte (268). So gilt von diesen Texten in vieler Hinsicht, dass sie »[i]nteressant und lehrreich« sind, und das gilt auch von Klaucks Buch. Manuel Vogel 66 Daniel N. Schowalter / Steven J. Friesen (eds.) Urban Religion in Roma Corinth. Interdisciplinary Approaches Cambridge MA (Harvard University Press) 2005 (Harvard Theological Studies 53 ), 553 Seiten, Paperback, 5 Karten am Ende des Bandes und zahlreiche Schwarzweiß-Abbildungen im Text, ISBN 0674016602; 31,50 € Korinth gehört seit jeher zu den besonders bedeutenden Zentren der frühen Christenheit, insofern hat eine Besprechung über ein neues Buch zu dieser Stadt gerade in einer Ausgabe über Apostelgeschichten durchaus ihren Platz. Über keine andere frühchristliche Ortsgemeinde als die korinthische (Rom eventuell ausgenommen) besitzen wir dank der paulinischen Literatur und späterer Schriften derart viele Nachrichten aus erster Hand. Dieser sonst höchst seltene Zustand hat immer wieder dazu eingeladen, die im NT hervortretenden theologischen Themen und sozialgeschichtlichen Eigenheiten der korinthischen Christen mit dem in Beziehung zu setzen, was wir aus der Archäologie über die Lebenswelt der Korinther insgesamt erfahren. Die Aufgabe ist freilich nicht einfach. Abgesehen von den für das NT relevanten Themen wirft die Kulturgeschichte der Stadt Probleme auf, in der sich viele fundamentale Fragen der Erforschung des östlichen Mittelmeerbereichs insgesamt spiegeln: Was wissen wir über das kulturelle, religiöse und wirtschaftliche Profil der archaischen und klassischen Stadt, die durch die Römer 146 v.Chr. zerstört wurde? Welchen Charakter hatte das gut ein Jahrhundert später von Caesar neu gegründete Korinth, nun eine Veteranenkolonie mit all ihrer kulturellen und sozialen Vielfalt aus römischem Bevölkerungsanteil und orientalischen Elementen? Was wissen wir über die Religiosität, die ethnische oder kulturelle Praxis ihrer Bewohner? Gibt es Verbindungen in die Vergangenheit? Und natürlich: Welchen Platz nahmen die frühen Christen innerhalb dieses komplexen Umfeldes ein? Fragen des wirtschaftlichen Gefüges, der kulturellen Entwicklung zwischen der Romanisierung des Ostens und der Orientalisierung des römischen Reichs können anhand von Korinth diskutiert werden, und es scheint naiv, die neutestamentliche Korintherkorrespondenz des NT ohne die stetige Reflexion über diese fundamentalen Gegebenheiten zu analvsieren, da wir anders die Mensche~ aus dem Blick verlieren, für die und von denen diese Texte geschrieben wurden. Glücklicherweise gehört Korinth seit mehr als 100 Jahren zu den Schwerpunkten amerikanischer Forschungstätigkeit in Griechenland, sodass ein stetiger Dialog zwischen materiellen und literarischen Quellen aus den Blickwinkeln mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen möglich ist. Der vorliegende Band tut genau dies und führt ähnliche Sammelbände über Ephesus und Pergamon fort, die beide noch unter der Ägide und Inspiration von Helmut Koester entstanden sind.' Nun sind Daniel Schowalter (Professor of Religion and Classics, Carthage College, Kenosha WI) und Steven J. Friesen (Professor of Religious Studies, University of Missouri, Columbia MI) für die Fortsetzung der fruchtbaren Arbeit verantwortlich und legen einen Band vor, der als Musterbeispiel dafür gelten kann, was an Erkenntnisgewinn und Innovation erreicht werden kann, wenn man mit »Interdisziplinarität« wirklich ernst macht und das Studium der materiellen Kultur in die Arbeit am NT integriert, als auch Fragestellungen der neutestamentlichen Wissenschaft in den althistorischen Diskurs einspeist. Insgesamt 17 Studien beleuchten die mittlerweile ungeheure Fülle an archäologischem Material und die vielfältigen daraus erwachsenen ZNT 18 (9. Jg. 2006) Fragen und Probleme. Dadurch ergeben sich nicht nur ein willkommener Einblick in den Fortgang der Forschung zu Korinth allgemein (zum Teil mit der Vorstellung neuen Materials), sondern immer wieder neue Ansätze und Fragestellungen im Hinblick auf die neutestamentlichen Texte, die ja nicht nur Quellen zur Geschichte des frühesten Christentums darstellen, sondern auch ganz einzigartige Zugänge in einen bestimmten Teil des kulturellen Milieus der Stadt selbst bieten. Nach einer allgemeinen Einleitung durch Daniel N. Schowalter (3-10) und einer Orientierung über unserem momentanen Kenntnisstand zum städtischen Korinth durch G.D.R. Sanders (»Urban Corinth: An Introduction «, 11-24) greifen die ersten neun Studien schwerpunktmäßig archäologische Themen auf. Das Verhältnis zwischen Korinth und seiner ländlichen Umgebung, zu Ausdrucksweisen des urbanen Selbstverständnisses und der kulturellen Identität der korinthischen Elite, zu religiösen Traditionen und Kulteinrichtungen werden von David G. Romano, L. Michael White, Betsey A. Robinson, Nancy Bookidis, Elizabeth R. Gebhard, John R. Lanci, Charles K. Williams II, Mary E.H. Walbank und Christine M. Thomas anhand neuester Funde diskutiert (freilich hätte ich nicht nur angesichts von Röm 16,1; Apg 18,18 gern etwas mehr zu Kenchreai und Lechaion erfahren). Besonders interessant fand ich die beiden Studien zu den Bestattungspraktiken in Korinth ein Thema, das bisher noch viel zu wenig Aufmerksamkeit gefunden hat (Mary E.H. Walbank, » Unquiet Graves. Burial Practices of the Roman Corinthian«, 249-280; Christine M. Thomas, »Placing the Dead. Funeral Practice and Social Stratification in the Early Roman Period at Corinth and Ephesos«, 281-304. Dabei wird manch hartnäckiges Vorurteil berechtigter Kritik unterzogen, u.a. die Rolle sakraler Prostitution (vgl. John R. Lanci, » The Stones Don't Speak and the Texts Tell Lies«, 205-220). So entsteht ein ungemein detailreiches und vielfältiges Bild Korinths, dessen urbaner Raum zutiefst durch Monumente und Orte religiöser Praxis durchzogen war. Schade ist nur, dass dem zeitgenössischen Judentum keine eigenständige Studie gewidmet ist. Natürlich sind direkte Hinweise auf ZNT 18 (9.Jg. 2006) jüdische Präsenz in Korinth spärlich (vgl. Philo, Legatio ad Gaium 281), doch reicht es aus methodischen Gründen nicht, die jüdischen Bewohner Korinths allein im Kontext neutestamentlich orientierter Studien zu behandeln. Die übrigen sieben Artikel widmen sich der frühchristlichen Präsenz in der Stadt, wobei natürlich die paulinische Gemeinde besonderen Raum einnimmt. Margaret Mitchell führt in die gegenwärtige Forschungslage zum »Corinthian Epistolary Archive« ein, die für sie »documentary evidence of one urban religious cult at Corinth in the first century« (336) darstellt (»Paul's Letter to Corinth: The Interpretive Intertwining of Literary and Historical Reconstruction«, 307-338). Auf der Basis dieser Grundlage schlägt sie Wege zur vergleichenden Behandlung städtischer Religiosität insgesamt vor, in die sich auch das frühe Christentum einordnen lässt. Helmut Koesters Beitrag warnt jedoch davor, allzu große Erwartungen an die Aussagefähigkeit der paulinischen Korrespondenz zu stellen, wenn es darum geht, Fragen der urbanen Religiosität und korinthischen Sozialgeschichte zu klären. Paulus' Perspektive sei zu »utopian«, zu selektiv und zu stark auf das Kommen Christi hin ausgerichtet, um sich auf eine Debatte um die »present unjust, hierarchical, and oppressive social order of the Roman world« einzulassen (349). In der Tat eine höchst stimulierende Aporie! Steven Friesen untersucht die Rolle der korinthischen Gemeinde im Gefüge frühchristlicher Gemeinden im Mittelmeerbereich (» Prospects for a Demography of the Pauline Mission: Corinth among the Churches«, 351-370), Richard A. Horsley sieht die paulinischen Gemeinschaft als »alternative society« und Teil der »Israelite/ Judaean resistance to the Roman imperial order« (»Paul's Assembly in Corinth«, 371-395), James Walters untersucht die Bezüge zwischen der städtischen Identität des römischen Korinth und dem Selbstverständnis der örtlichen paulinischen Christengemeinschaft (»Civic Identity in Roman Corinth and Its Impact on Early Christians«, 397-417). Die letzten beiden Arbeiten widmen sich der nachpaulinischen Zeit. G.D.R. Sanders weist anhand archäologischer Dokumente religiösen Lebens aus der Zeit zwischen 300 und 600 nach, dass heidnischer Kult bis weit ins 5. Jh. ungebrochen fortdauerte und öffentliche Manifestationen des Christentums nicht vor ca. 500 begegnen (»Archaeological Evidence for Early Christianity and the End of Hellenic Religion in Corinth«, 419-442). Vassiliki Limberis untersucht schließlich das korinthische Christentum des 4. und 5. Jahrhunderts aus der Innenperspektive (»Ecclesiastical Ambiguities: Corinth in the Fourth and Fifth Centuries«, 443-457). Eine ausführliche Bibliographie (459-498) und ein vielleicht etwas zu knapper Index (511-523) runden den immens wichtigen Band ab, von dem man sich trotz der einen oder anderen Lücke eine Menge Impulse für die zukünftige Arbeit am NT erhoffen kann. Nirgendwo anders als hier sind die neuesten Ergebnisse der Archäologie Korinths in so gut lesbarer und stimulierender Weise für Leserinnen und Leser des Neuen Testaments greifbar. Ein Muss für jeden, der die paulinischen Korintherbriefe verstehen will! Jürgen Zangenberg Anmerkungen 1 H. Koester, Ephesus. Metropolis of Asia. An Interdisciplinary Approach to Its Archaeology, Religion and Culture (Harvard Theological Studies 41), Valley Forge 2004; ders., Pergamon, Citadel of the Gods. Archaeological Record, Literary Description and Religions Development (Harvard Theological Studies 46), Harrisburg 1998. Zu vergleichen ist auch Ch. Barkirtzis / H. Koester (Hgg.), Philippi at the Time of Paul and after His Death, Harrisburg 1998 über Philippi. 67
