eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 10/19

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2007
1019 Dronsch Strecker Vogel

Ostern - Ereignis und Erzählung

61
2007
Eckart Reinmuth
Um Ostern war es nie ruhig. Die Behauptung, Jesus sei auferstanden, bildete von Beginn an eine Provokation. Sie wurde zum Kern des entstehenden Christentums und blieb seine größte Herausforderung. Bis heute. Wie sich ihr stellen? Entschärfungsstrategien sind kaum zu zählen, Domestikationsanstrengungen nicht minder. Aber Ostern kann nicht abgetan, nicht ›bewältigt‹ werden, indem es weltbildlich nivelliert, ausgeschlossen oder negiert wird. Die Provokation von Ostern bildet eine der bleibenden massiven Anfragen, denen auch unser spätmodernes Selbstverständnis ausgesetzt ist.
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ZNT 19 (10. Jg. 2007) 3 Um Ostern war es nie ruhig. Die Behauptung, Jesus sei auferstanden, bildete von Beginn an eine Provokation. Sie wurde zum Kern des entstehenden Christentums und blieb seine größte Herausforderung. Bis heute. Wie sich ihr stellen? Entschärfungsstrategien sind kaum zu zählen, Domestikationsanstrengungen nicht minder. Aber Ostern kann nicht abgetan, nicht ›bewältigt‹ werden, indem es weltbildlich nivelliert, ausgeschlossen oder negiert wird. Die Provokation von Ostern bildet eine der bleibenden massiven Anfragen, denen auch unser spätmodernes Selbstverständnis ausgesetzt ist.* Nach zehn Jahren Die Diskussion um Ostern ist in den letzten zehn Jahren, nachdem die Aufregung um das Buch »Die Auferstehung Jesu« des Göttinger Neutestamentlers G ERD L ÜDEMANN 1 sich gelegt hatte, weiter gegangen. Aber ist sie auch voran gekommen? Die einschlägige Literatur der letzten zehn Jahre zeigt ein erhöhtes Interesse an historischen, vor allem religionsgeschichtlichen Fragen. Auch fundamentalistisch orientierte Neuerscheinungen sind zu verzeichnen. Die gegenwärtige Diskussion, für die zusätzlich eine Vielzahl von Aufsätzen zu berücksichtigen wäre, ist nicht leicht zu überblicken. Sie läuft nach meinem Eindruck auf die Frage hinaus, was mit der Rede von der Auferstehung Jesu überhaupt gemeint ist. Ist es das - wie auch immer zu beurteilende - visionäre Erleben von Menschen, 2 oder ist es ein Ereignis, das Menschen zu Zeugen werden ließ? Letztlich geht es um die Alternative zwischen Wirklichkeit oder Fiktion, Illusion oder Wahrheit. Die Positionen dieser komplexen Alternative sind z.T. so facettenreich, dass die Grenzen nicht immer leicht zu bestimmen sind. Klare Unterscheidungen und begriffliche Klarstellungen werden immer dringlicher. C ARSTEN P ETER T HIEDE und G ERD L ÜDE - MANN sind sich in ihrem schriftlichen Streitgespräch (s. Kasten) in ihrer Auffassung von historischer Faktizität im Prinzip offensichtlich einig. Der Streit dreht sich deshalb kongenial um Neues Testament aktuell Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung. Die jüngste Diskussion und das Matthäusevangelium »Die Provokation von Ostern bildet eine der bleibenden massiven Anfragen, denen auch unser spätmodernes Selbstverständnis ausgesetzt ist.« WWiicchhttiiggee MMoonnooggrraapphhiieenn uunndd SSaammmmeellbbäännddee" ddiiee iinn ddeenn lleettzztteenn 1100 JJaahhrreenn zzuumm TThheemmaa eerrsscchhiieenneenn ssiinndd: : • Allison, D., Resurrecting Jesus, New York / London 2005 • Avemarie, F. / Lichtenberger, H. (Hgg.), Auferstehung - Resurrection (WUNT 135), Tübingen 2001 • Bieringer, R. et al. (Hgg.), Resurrection in the New Testament, FS Jan Lambrecht (BEThL 165), Leuven 2002 • Eckstein, H.-J. / Welker, M. (Hgg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn 2002 • Hempelmann, H., Die Auferstehung Jesu Christi - eine historische Tatsache? Argumente für den Osterglauben, 3., erw. Aufl. Wuppertal u.a. 2003 • Kessler, H. (Hg.), Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften, Darmstadt 2004 • Muncaster, R. O., Ist Jesus wirklich auferstanden? , Hamburg 2004 • Neusner, J. (Hg.), Faith, Truth, and Freedom. The Expulsion of Professor Gerd Lüdemann from the Theology Faculty at Göttingen University. Symposium and Documents, New York 2002 • Neusner, J. (Hg.), Im Würgegriff der Kirche. Für die Freiheit der theologischen Wissenschaft, Lüneburg 1998 • Simonis, W., Auferstehung und ewiges Leben? Die wirkliche Entstehung des Osterglaubens, Düsseldorf 2002 • Stewart, R. B. (Hg.), The Resurrection of Jesus. John Dominic Crossan and N. T. Wright in Dialogue, Minneapolis 2006 • Swinburne, R., The Resurrection of God Incarnate, Oxford 2003 • Thiede, C. P., Die Auferstehung Jesu - Fiktion oder Wirklichkeit? Ein Streitgespräch, Basel u.a. 2001 • Wright, N.T., The Resurrection of the Son of God, Minneapolis 2003 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 3 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 4 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell die Glaubwürdigkeit der Quellen, die im Blick auf die Auferstehung Jesu als historische Tatsache freilich konträr bewertet werden. 3 N.T. W RIGHT s umfangreiches Werk (s. Kasten) zielt darauf, mittels historischer Auswertung der Texte ihre Glaubwürdigkeit auf- und jede psychologisierende oder spiritualisierende Deutung abzuweisen. 4 Er versucht u.a., die Argumente für eine Historizität der Auferstehung Jesu historisch-kritisch zu analysieren und positiv zu bewerten. Wright konzediert zwar, dass sie den Osterglauben nicht begründen können. In Verbindung mit diesem Glauben entwickeln sie jedoch argumentative Kraft, die die Auferstehung Jesu als historisches Geschehen verstehen lässt. In dieser Sicht machen die Tatsache des leeren Grabes und der körperlichen Erscheinungen Jesu nach seinem Tod die Schlussfolgerung, dass Gott Jesus von den Toten erweckte, unausweichlich. Insofern ist die Auferstehung Jesu für den Bischof von Durham ein wenn auch grundstürzendes, 5 so doch historisch plausibles Ereignis. H EMPELMANN s Argumentation (s. Kasten) verläuft in anderen Bahnen, kommt jedoch, ebenfalls orientiert am Begriff der historischen Tatsache, zu einem vergleichbaren Ergebnis: »Die Auferstehung ist ein Geschehen, dem historische Faktizität nicht einfach abgesprochen werden kann, andererseits aber eine Wirklichkeit, die eine solch’ beschränkte Kategorie wie die der historischen Faktizität schlechthin transzendiert.« (32). Die Argumentation Hempelmanns ist methodisch kaum von extremen Positionen zu separieren, die mit scheinbar historischer Logik die Historizität der Auferstehung behaupten (vgl. z.B. S IMONIS , M UNCASTER ; s. Kasten). Diese Beobachtung scheint mir wichtig, weil sie die Notwendigkeit des überfälligen Klärungsbedarfs unterstreicht. Wenn evangelikale Verteidiger und ›aufgeklärte‹ Oster-Bestreiter sich in vergleichbarer und unkritischer Weise des historischen Paradigmas bedienen, um ein Geschehen als geschichtliches zu beweisen oder zu widerlegen, steht dessen sachbezogene Tragfähigkeit in Frage. Der kurze Blick auf die jüngste Diskussion um Ostern zeigt, dass auch gegenwärtige theologische Veröffentlichungen noch von den Fragestellungen geprägt sind, die mit dem Aufkommen des Historismus an die Auferstehung Jesu zu richten waren. Aber im Diskurs der Geschichtswissenschaft wie der Theologie ist Ostern als historische Tatsache fehl am Platz. Deshalb sind alle scheinbar historisch verfahrenden Bestreitungen und Apologien es auch. Der Subtext der Diskussion 6 wird nach meinem Eindruck immer noch von der ungelösten Frage bestimmt, wie in der neutestamentlichen Wissenschaft das Verhältnis von historischer und theologischer Arbeit zu bestimmen ist. Solange jedoch nicht klar ist, wie die Reichweite, Funktion und Geltung des empiristisch imprägnierten historischen Paradigmas theologisch zu bestimmen ist, wird es der akademischen Theologie kaum gelingen, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und die unglückliche Alternative von Historismus und Fundamentalismus zu überwinden. Andererseits ist das Selbstverständnis der exegetisch arbeitenden Disziplinen spürbar in Bewegung. Viel stärker wird ihre theologische und religionspädagogische Verpflichtung bedacht, werden historistische Engführungen überwunden, werden Fragen einer Ethik der Interpretation reflektiert, wird das Ganze der Texte mit seinen narrativen und argumentativen Strukturen in den Blick genommen. Diese Entwicklung ist vielversprechend. Sie muss keineswegs dazu führen, die Rede von der ›Wirklichkeit‹ 7 bzw. der ›Realität‹ 8 der Auferstehung aufzugeben. Mit Begriffen wie diesen geht es um das Anliegen, Ostern als etwas unabhängig von unserm Dafürhalten sich Ereignendes, als das - traditionell-theologisch formuliert - extra nos des Handelns Gottes zu verstehen. Hier ergeben sich neue Perspektiven für die Rückfrage nach dem Neuen Testament. Matthäus: Jesus blieb jeden Beweis schuldig Ich will vor diesem Hintergrund den Blick auf das Matthäusevangelium richten, jedoch nicht beim »Der Subtext der Diskussion wird nach meinem Eindruck immer noch von der ungelösten Frage bestimmt, wie in der neutestamentlichen Wissenschaft das Verhältnis von historischer und theologischer Arbeit zu bestimmen ist.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 4 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 5 Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung Ende, bei den Ostergeschichten einsetzen, sondern an der Schwelle zum öffentlichen Auftreten Jesu. In der Versuchungsgeschichte (Mt 4,1-11) steht die Identität Jesu zur Debatte. Bist du Gottes Sohn, so lautet die Voraussetzung, die der Gegenspieler in eindringlicher Einförmigkeit seinen beiden ersten Proben voranstellt. Zweimal bezieht sich der Versucher auf die Gottessohnschaft Jesu mit ihrer Proklamation hatte die Taufperikope (3,13-17) unmittelbar vorher geschlossen, und es war derselbe Geist, der in der Taufe zum Identitätsmerkmal Jesu wurde, der ihn jetzt in die Wüste führt. Um die tatsächliche Identität Jesu aber geht es Matthäus mit seiner gesamten Erzählung. Denn diese fragliche, in Frage gestellte Bedingung - »wenn du denn Gottes Sohn bist - bist du denn Gottes Sohn? « - bildet einen markanten Rahmen um die von Matthäus erzählte öffentliche Wirksamkeit Jesu. 9 Gezielt lässt er die Schaulustigen in der Kreuzigungsszene, die Bystanders dieser tödlichen Folterung, dieselben Worte an den Gekreuzigten richten. Bist du Gottes Sohn, dann steig herab. Es ist also gerade diese metaphorische Identitätsbezeichnung, die Jesus in der Kreuzigungsszene entgegengehalten wird: Bist du Gottes Sohn, dann steig herab vom Kreuz (27,40)! Er hat Gott vertraut, der soll ihn nun retten; schließlich hat er gesagt »Gottes Sohn bin ich« (27,43). »Wenn du Gottes Sohn bist« - in dieser Formulierung stimmen Mt 4,3.6 und 27,40 überein. Es ist die Identität Jesu, die in Versuchung und Passion auf dem Spiel steht. Aber in welchem Sinne? Ich will das zunächst an der zweiten Versuchung verdeutlichen und dazu auf eine Parallele oder eher eine Antiparallele aus der hellenistischen Literatur hinweisen. Zunächst Matthäus: Er erzählt, dass der Gegenspieler Jesus in die heilige Stadt führt, auf die oberste Spitze des Tempels stellt und zu ihm sagt: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Ps 91,11f.): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Jesus entgegnet: Wiederum steht auch geschrieben (Dtn 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« (Mt 4,5-7). Ein paar Jahrzehnte nach Matthäus schreibt ein griechischer Reiseschriftsteller namens Pausanias (geb. zwischen 111 und 115 n.Chr.) seine Beschreibung Griechenlands, eine Art kulturgeographischer Fremdenführer in 10 Büchern. 10 Im ersten Buch, das der Beschreibung Attikas gewidmet ist, schildert Pausanias einen athenischen Altar und die Geschichte, die zu seiner Errichtung führte: Der sogenannte Altar des Anteros (›Anti-Eros‹, Gegenliebe) in der Stadt soll ein Weihgeschenk von Metoiken sein, weil Meles, ein Athener, einen Metoiken (freier ›Mitbewohner‹ Athens Eckart Reinmuth Prof. Dr. Eckart Reinmuth, 1951 in Rostock geboren, studierte Evangelische Theologie in Greifswald, wurde 1981 in Halle promoviert und habilitierte sich 1992 in Jena. Er war Gemeindepastor in Mecklenburg und Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Naumburg und der Universität Erfurt. Seit dem Sommersemester 1995 lehrt er an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Seine Hauptforschungsgebiete sind die antik-jüdische Literatur und ihre Hermeneutik sowie moderne Literatur- und Geschichtstheorien in ihrer Bedeutung für die Auslegung des Neuen Testaments heute. Veröffentlichungen unter: http: / / www.theologie.uni-rostock.de/ reinmuth.htm. Letzte Buchveröffentlichungen: Hermeneutik des Neuen Testaments (UTB 2310), Göttingen 2002; Neutestamentliche Historik - Probleme und Perspektiven (ThLZ.F 8), Leipzig 2003; Paulus. Gott neu denken (BG 9), Leipzig 2004; Der Brief des Paulus an Philemon (ThHK 11/ II), Leipzig 2006; Anthropologie im Neuen Testament (UTB 2768), Tübingen 2006; zusammen mit K.-M. Bull: Proseminar Neues Testament. Texte lesen, fragen lernen, Neukirchen- Vluyn 2006. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 5 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 6 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell auswärtiger Herkunft) namens Timagoras, der ihn liebte, 11 aus Hohn aufforderte, auf die höchste Spitze eines Felsens zu klettern und sich dann hinabzustürzen. Timagoras setzte sein Leben daran und wollte dem Jüngling und seinem Befehl zu Willen sein und stürzte sich hinab. Als Meles den toten Timagoras sah, wurde er von einer derartigen Reue ergriffen, dass er sich vom gleichen Felsen hinabstürzte und so verstarb. Von dieser Zeit an wurde es bei den Metoiken gebräuchlich, den Anteros als den Rächer des Timagoras zu verehren. Eine berührende Geschichte, die für den Autor schon lange zurück liegt. Es geht um ein Denkmal der unerwiderten Liebe des Timagoras zu Meles, denn dieser verschmähte seine Liebe und trieb ihn stattdessen in den Tod. Es geht um Liebe und nicht erwiderte Gegenliebe. Die Unterschiede zwischen beiden Texten sind groß, vielleicht zu groß, um diese Texte zu vergleichen. Aber wer will ausschließen, dass man sich beim Hören oder Lesen des Matthäusevangeliums auch an Geschichten wie diese erinnert fühlen konnte? Da sind schließlich auch Gemeinsamkeiten. Es geht in beiden Geschichten darum, etwas zu beweisen. Der begehrende Timagoras wird von dem Jüngling Meles dazu gebracht, seine Liebe zu beweisen. Wir können nur mutmaßen, warum er sprang. Rechnete er damit, dass ihm die Liebe Flügel verleihen würde? Jesus soll dazu gebracht werden, seine Identität - die des geliebten Sohnes (vgl. 3,17! ) - unter Beweis zu stellen. Er springt nicht. Er bleibt den Beweis dieser Liebe des Vaters schuldig. Was würde geschehen? Würde er fallen oder fliegen? Es geht in beiden Geschichten auch um eine Machtfrage. Beide Versuchungen bestehen darin, dass sie mit ihrer Aufforderung zu springen Macht auszuüben versuchen. Mit Liebe verträgt sich das nicht. Der erbrachte tödliche Liebesbeweis erinnert daran, dass gerade der Beweis zum Tod der Liebe wird. Jesus erbringt im Matthäusevangelium nie den ›Beweis‹ für seine Möglichkeiten. Er springt nicht, er zitiert keine Legionen herbei, als er gefangen wird (26,53) - obwohl er es, davon ist Matthäus überzeugt, könnte -, er steigt nicht vom Kreuz - obwohl die Leute doch wohl Recht haben, wenn sie die Worte des Versuchers wiederholen. Das genau gehört zur Christus-Logik des Matthäus. Ihr entspricht auch die Erzählung von der Ablehnung Jesu in Nazareth - Jesus konnte dort fast keine Wunder tun; 13,58. Aber so ist die Stelle falsch zitiert. Von einem Nicht-Können spricht Markus, nicht Matthäus. Mk 6,5 heißt es: »er konnte nicht« - 12 Mt 13,58 lautet: »er tat nicht« - er konnte, aber er tat nicht, ›fast‹ nicht. Warum? Matthäus bleibt die Antwort nicht schuldig, sie folgt im selben Satz - weil sie ihm nicht glaubten, wegen ihres Unglaubens (apistia). Matthäus macht deutlich, dass es im Blick auf die tatsächliche Identität Jesu um Glauben geht - einen kraftvollen Glauben, der offensiv auf Beweise verzichtet. Obwohl - oder gerade weil - er um Zweifel, Anfechtung, Ärgernis, Kleinglaube weiß. Und obwohl und weil er um Ablehnung, Unglaube, Gerüchte und Anschuldigungen weiß. Das ist nicht dasselbe; die beiden Aufzählungen sind für Matthäus nicht kongruent. Blicken wir auf Ostern im Gesamtkontext des Matthäusevangeliums, so wird deutlich, dass die Konnotationen von Pistis und Apistia, Glauben und Nichtglauben zu unterscheiden sind. Zur Pistis gehören Zweifel, Anfechtung, Ärgernis, Kleinglaube; zur Apistia gehören Ablehnung, Gerüchte und Anschuldigungen. Die erzählerische Gestaltung des Matthäus erfordert hier eine deutliche Differenzierung. Blicken wir zunächst auf den ersten Komplex: Zweifel, Anstoß, Kleinglaube. Matthäus zeigt einen prägnanten Sprachgebrauch von ›Anstoß erregen, Ärgernis bereiten‹ (skandalizein / skandalon). Er bietet mit 14 Vorkommen des Verbs (von 29 im NT [3x Paulusbriefe], 26 in den Evangelien [Mk 8, Lk 2, Joh 2]) die höchste Zahl der Verbverwendung. Das Substantiv Skandalon / Ärgernis findet sich im NT 15x; davon bieten Matthäus (5x) und das Corpus Paulinum (6x) das höchste Aufkommen. Die prägnante, auf Jesus und seinen Weg bezogene Verwendung von ›Ärgernis, Anstoß‹ (skandalon) und ›Ärgernis bereiten, zum Bösen verleiten‹ (skandalizein) durch Matthäus ist aufschlussreich. Das Verb ist außerhalb der jüdisch-christlichen Tradition so gut wie unbekannt, ebenso wie der übertragene Gebrauch des Substantivs; es geht etymologisch auf das Stellholz an der Falle zurück, das ›hochschnellt‹ - ›zurückschnellen, zuklappen‹ -, und bezeichnet dann pars pro toto die Falle selbst. Seine entscheidende Prägung erhielt 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 6 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 7 Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung es durch den Gebrauch der griechischen Übersetzung der Schriften Israels (LXX): Hier bekam es die Bedeutung ›Anstoß geben, irre machen, zur Sünde verleiten‹; im Passiv ›Anstoß nehmen‹ usw. Ich kann die matthäischen Belege hier nicht im einzelnen durchgehen. Aber Matthäus ist es offensichtlich wichtig zu erwähnen, dass Jesus als Verführung zum Bösen, als Verleitung zur Sünde wahrgenommen werden konnte - und das auch da, selbst da, wo es um seinen wehrlosen Weg in Passion und Tod geht. Das zeigt sich besonders deutlich in 26,31: ihr alle werdet in dieser Nacht an mir Anstoß nehmen; vgl. die Bestreitung durch Petrus V. 33. 13 Nicht die Unbewiesenheit des Glaubens ist für Matthäus das Skandalon, sondern der Inhalt - dass der Sohn, der geliebte Sohn Gottes, diesen Weg geht und so zeigt, wie Gott mit uns ist (1,23). Ähnliche Beobachtungen können wir mit dem Stichwort ›Kleinglauben‹ machen. Auch hier handelt es sich um einen konzeptionellen Sprachgebrauch. Das Wort ›Kleingläubige‹ erscheint bei Mt 8,26; 14,31; 16,8 und an einer Stelle, deren Formulierung aus der Logienquelle Q bezogen sein kann: 6,30 / Lk 12,28. Daneben ist auch der einmalige Substantivgebrauch ›Kleinglaube‹ in 17,20 zu berücksichtigen. 14 Es ist also ein für Matthäus wichtiger Begriff. Gemeint ist nicht Unglaube, sondern versagender Glaube, der ›zu wenig‹ ist angesichts dessen, was von ihm gefordert und erwartet wird - ein Glaube, der den Ansprüchen der Wirklichkeit nicht standhält. Matthäus tilgt zwar weitgehend das bei Markus bestimmende Bild vom Unverständnis der Jünger, aber betont um so mehr ihr Versagen in Glauben und Gehorsam, ihre Gefährdung durch Kleinglaube und Zweifel. Dem, was er Kleinglaube nennt, steht ein Glaube gegenüber, der seine dringlichste Metapher im Senfkorn hat. Die Heilung des Mondsüchtigen endet mit der Jüngerfrage (17,19): Warum konnten wir ihn nicht heilen? Jesus antwortet: Wegen eures Kleinglaubens. Denn wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin! , so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein (17,20). Matthäus gestaltet damit einen intratextuellen Bezug auf 13,31f. 15 Er spielt auf einen Erzählinhalt an, den er bereits narrativ entfaltet hat. Jeder kann wissen, was mit der Wendung ›Glauben wie ein Senfkorn‹ gemeint ist. Das Gleichnis Mt 13,31f. spricht von einem Prozess, vom ›kleinsten‹ unter den Samenkörnern, von seinem erstaunlichen Wachsen usw. Seine einzige Qualität ist seine Geringheit, Kleinheit, und seine Geschichte beginnt damit, dass es ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte. Wenn also diesem Bild kontrastierend der Kleinglaube gegenübergestellt wird, kann es nicht um zu wenig Quantität an Glauben gehen, sondern es muss um die Art des Glaubens gehen. Diese Art Glauben meint ein rückhaltloses Vertrauen in die überwindende Kraft des verschwindend Geringen. Ärgernis, Kleinglaube - und der Zweifel? Er findet sich da, wo er am wenigsten zu erwarten wäre: bei der Begegnung des Auferstandenen mit seinen Jüngern. Ich schließe daraus, dass Matthäus seine Ostergeschichten keineswegs als den entscheidenden Beweis für die tatsächliche Identität Jesu versteht. Die kleine Notiz genau an der einzigen Stelle, wo Matthäus die unzweifelhafte Gegenwart des Auferstandenen in der Begegnung mit seinen Jüngern erzählt, ist überraschend. Sie ist im Griechischen wie im Deutschen drei Worte lang: Einige aber zweifelten (28,17). Diese Notiz bringt zum Ausdruck, dass selbst in dieser Situation Zweifel an der Osterwirklichkeit möglich war und tatsächlich bestand. Das griechische Wort für zweifeln, zögern hat im Deutschen wie im Griechischen etwas mit ›Zwiespältigkeit‹ zu tun: Man ist sich im Unklaren, welche Wirklichkeitsannahme zutreffend ist; es könnte so sein, aber auch ganz anders. Das Verb ›zweifeln‹ findet sich bei Matthäus nur noch in 14,31 - hier im Kontext von Kleinglaube: Petrus tut es Jesus nach und wandelt auf dem Wasser. Doch als er den starken Wind sieht, erschrickt er und beginnt zu sinken: Herr, hilf mir! Jesus aber streckt seine Hand aus, ergreift ihn und sagt zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Der Zweifel, von dem Matthäus spricht, ist also nicht eine Sache des Unglaubens. Er gehört zum Glauben. Er macht aus Glauben Kleinglauben. Wie sollen wir uns also die Mt 28,17 imaginierte Situation vorstellen? Der Auferstandene 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 7 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 8 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell lässt sich vor den elf Jüngern sehen: Sie sehen ihn, und sie antworten mit einer Proskynese; sie fallen auf ihre Knie und huldigen ihm. Einige jedoch können sich nicht auf dieses Erleben einlassen - es ist offensichtlich keine Frage unstrittiger Faktizität, sondern eine Frage ihres Glaubens. 16 Soviel zu den Männern. Auch die Reaktion der Frauen ist nicht ungeteilt. Am Beginn des Kapitels 28 wird erzählt, welch Schrecken die Wachen am Grab befällt, als sie die Folgen der Auferweckung des Gekreuzigten erleben: Erdbeben, ein Engel vom Himmel, der den Stein wegwälzt und sich darauf setzt; er ist anzusehen wie ein Blitz, sein Gewand leuchtet weiß wie Schnee. Eben dieser Engel fordert die Frauen zu einer anderen Reaktion auf: Ihr jedoch sollt euch nicht fürchten (wie in diesem Moment die Wachen; V. 4); ihr sucht ja Jesus den Gekreuzigten. Hier ist er nicht; erweckt ist er, wie er gesagt hatte. Die direkte Rede des Engels schließt in V. 7; Matthäus erzählt in V. 8 die Reaktion der Frauen: Und sie eilten schnell vom Grab weg, voll Furcht und großer Freude und liefen, es seinen Jüngern zu berichten. Wieder ist vom Schrecken die Rede, diesmal der Frauen. Auch ihre Reaktion ist also nicht ungeteilt, und der ihnen begegnende Jesus mahnt erneut: Fürchtet euch nicht! (V. 10; an allen genannten Stellen [V. 4.5.8.10] wird dasselbe griechische Substantiv bzw. Verb verwendet). Nun könnte man natürlich denken, Matthäus habe eine zweideutige Realität im Sinn gehabt; er habe sich den Auferstandenen wie ein Phantom, wie eine Halluzination usw. vorgestellt. Aber das wäre ein schwer wiegendes Missverständnis. Das lässt sich an den merkwürdigen Machenschaften und Gerüchten ablesen, von denen Matthäus im Zusammenhang seiner Ostererzählung berichtet. In Mt 27,62-66 geht es um die von den Hohepriestern (und Pharisäern) erwirkte Bewachung des Grabes durch römische Soldaten. Sie sollen verhindern, dass die Jünger den Leichnam Jesu rauben und anschließend behaupten, Jesus sei tatsächlich - entsprechend seiner Ankündigung, die in V. 63b zitiert wird - durch Gott auferweckt von den Toten. Die denkbare Möglichkeit, dass der Osterglaube auf Jüngerbetrug beruhen könnte, wird also ausdrücklich erwähnt, durch den erzählten Verlauf der Ereignisse jedoch ausgeschlossen. Es sind vielmehr erneut die Hohenpriester (und Ältesten), die nun zum Mittel des Betrugs greifen (28,11-15). Sie bestechen die Soldaten, genau das zu behaupten, was sie selbst dazu bewogen hatte, das Grab bewachen zu lassen: Die Jünger hätten den Leichnam nachts gestohlen, während die Wache schlief. Betrug gegen angeblichen Betrug, Vorwurf gegen Vorwurf - wir haben einen klaren Fall matthäischer Erzählironie vor uns. Für Matthäus ist der Gang der Ereignisse eindeutig, auch wenn es andere, unzutreffende Auffassungen geben mag (vgl. 28,15: Das Gerücht vom Grabraub der Jünger hat sich bis heute gehalten). 17 Damit ist nun - so verstehe ich Matthäus - eine klare Grenze markiert. Denn der Streit um das, was geschah, wird auf der Ebene der historischen Recherche kein Ende finden. Immer wird es Menschen geben, die andere Erklärungen für den Glauben an den Auferstandenen finden als die, die in der Begegnung mit dem Lebendigen selber gründet. Der Glaube wird bis zum Ende der Zeit ohne jeden Liebesbeweis (s.o.) auskommen und jeden Beweis schuldig bleiben. Aber das ist nicht seine Schwäche. Das ist, so versucht Matthäus mit seiner Christus-Logik zu verdeutlichen, seine Stärke. Ostern kann bestritten werden; Ostern kann geglaubt werden. Das ist die theologisch durchdachte, matthäische Alternative. Diese Alternative aber steht quer zu der sich scheinbar endlos fortschreibenden Alternative zwischen Historismus und Fundamentalismus, die immer noch die Diskussion um das neutestamentliche Osterzeugnis bestimmt. Es ist überdies eine Diskussion, die die Frage nach Ostern in merkwürdiger Weise von den Texten, von ihrer Eigengeprägtheit und vom jeweiligen Textganzen abstrahiert. Das Matthäusevangelium kann uns daran erinnern, dass das Osterereignis nicht, wie es in Exegese und Theologie gern geschieht, von seinem Kontext, der Geschichte Jesu Christi, als besonders schwieriges Kapitel abstrahiert werden darf, sondern einem Glauben entspricht, der diese Geschichte als Ganze wahrnimmt und als wahr bekennt. Es ist ein Glaube, so haben wir gesehen, der 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 8 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 9 Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung nichts als Beweis instrumentalisiert, selbst den Auferstandenen nicht weil er sich an diesen und nichts anderes gebunden hat. Es ist ein Glaube, dessen eigene Versuchung in der Versuchungsgeschichte Jesu vorabgebildet ist: Bringst Du den Beweis, so hast Du Deine Identität verloren. Matthäus bleibt jeden Beweis dafür schuldig, was sich tatsächlich in der Geschichte Jesu Christi ereignet hat. Was aber ist dann für Matthäus der Grund des Glaubens? Was heißt es für Matthäus, Ostern als Ereignis zu denken? Hier helfen uns die Textbeobachtungen weiter. Für Matthäus ist die Auferweckung Jesu aus dem Tod ein Ereignis, das durchaus zwiespältige Deutungen erfahren kann. Matthäus verwendet seine theologische Sorgfalt auf den Hinweis, dass die Auferweckung Jesu anders gesehen werden konnte, jedenfalls in den Augen der Unbeteiligten, ja selbst der Eingeweihten. Ein Ereignis, das Zwiespalt zulässt. Kein Ereignis also im Sinne einer Tatsache, die keinen Zweifel kennt. Sondern ein Ereignis des Handelns Gottes, der jeden Zweifel zulässt. Das Ereignis denken Vielleicht hilft hier die Etymologie des Wortes, das Entscheidende zu verstehen. Ereignis heißt ja ›das vor Augen Gestellte‹ - von ereignen, vor Augen stellen (ahd. ouga Auge) 18 . Es geht um das sich dem Auge Bietende, von uns Wahrgenommene, unserem Fassungsvermögen Erkennbare. Ein reflektierter, vom alltagssprachlichen Gebrauch ausgehender Begriff versteht ein Ereignis als bedeutsames Geschehen. 19 Was macht ein Geschehen zum Ereignis? »Eine Umfrage würde wohl zu Tage fördern, dass ein Ereignis als Einbruch oder Einschnitt begriffen wird, etwas, das überrascht und wonach das eigene Leben, das Umfeld, die Lebenswelt nicht mehr die sind, die sie vorher waren.« 20 Zu Recht nannte der Systemtheoretiker N IKLAS L UHMANN das Ereignis eine »Auffassungsform«. 21 Entscheidend ist folglich seine Rezeption. Ein Geschehen wird zum Ereignis, wenn ihm eine eigene Bedeutung verliehen wird. 22 Das erfordert Sinnbildungsprozesse, die, wie v.a. P AUL R ICŒUR wirksam ausgearbeitet hat, im Erzählen realisiert werden. Ereignisse werden »im Kontext von Erzählungen identifiziert«. 23 In der gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Diskussion hat der Ereignisbegriff zwei entscheidende Profilierungen erfahren. Zunächst zur geschichtstheoretischen Diskussion: Die theoretischen Voraussetzungen der Konzeption L EOPOLD VON R ANKES , der Geschichte gezielt als Ereignisgeschichte aufgefasst hatte, wurden v.a. durch die französische Schule der Annales und ihre Vordenker bereits mit der Wende zum 20. Jahrhundert überholt. Sie hinterfragten den Begriff ›Ereignis‹ als objektive historiographische Kategorie. Auch in Deutschland 24 wurden diese neuen struktur- und sozialgeschichtlichen Impulse intensiv rezipiert. Bahnbrechend für eine erneute Reflexion des historischen Ereignisbegriffs war erst die Veröffentlichung eines Sammelbandes der Konstanzer Forschergruppe »Poetik und Hermeneutik« von 1973. 25 Eine wesentliche Anregung verdankt diese neuerliche historische Ereignisdiskussion der Rezeption Foucaults, insofern der Begriff nun diskursiv gedacht werden konnte, Ereignisse also in Anbindung an je konkrete Diskurse verstanden wurden. 26 Die theoretische Diskussion um die Rolle von Ereignissen für die Geschichtsschreibung ist längst nicht abgeschlossen. 27 Auch in der französischsprachigen philosophischen Diskussion spielt der Ereignisbegriff (événement) eine wichtige Rolle. Dabei ist v.a. der Einfluss H EIDEGGER s 28 auf L YOTARD 29 und D ERRI - DA 30 und weitere Philosophen zu berücksichtigen. Der hier entwickelte Ereignisbegriff steht quer zu dem der geschichtstheoretischen Diskussion. 31 Geht es bei dieser um eine Neubewertung der Ereignishaftigkeit der Vergangenheit für die Geschichtsschreibung, so wird in den Re- Lektüren Heideggers die Frage gestellt, wie Ereignisse überhaupt erst Zeit- und Geschichtsbewusstsein konstituieren. 32 Diese Frage darf jedoch, so fordert Barbara Naumann, auch von der Historik nicht ausgeblendet werden. 33 In prononcierter Weise hat der französische Philosoph A LAIN B ADIOU vor diesem Hintergrund den Ereignisbegriff aufgenommen 34 und auf die Auferstehung Jesu Christi und ihre Bedeutung für Paulus angewendet. 35 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 9 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 10 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell Badiou geht davon aus, dass die Auferstehung Jesu weder für uns noch für Paulus selbst »der Ordnung des Faktischen, des Falsifizier- oder Beweisbaren, angehört. Sie ist reines Ereignis, Eröffnung einer Epoche, Veränderung der Beziehungen zwischen Möglichem oder Unmöglichem. Denn anders als ein partikulares oder mirakulöses Faktum ist die Auferstehung Christi nicht an sich von Interesse. Ihr wahrer Sinn besteht darin, dass sie den möglichen Sieg über den Tod bezeugt, jenen Tod, den Paulus ... nicht als Faktizität, sondern als subjektive Disposition auffasst. Daher ist die Auferstehung beständig mit unserer Auferstehung zu verbinden.« 36 Badiou verwendet das Stichwort ›Ereignis‹ in einem ungewöhnlich qualifizierten Sinn. Der zitierte Passus gibt zu erkennen, dass Badiou zwischen einem ›Ereignis‹, das bezeugt und bekannt, und dem Faktischem, das bewiesen oder falsifiziert werden kann, unterscheidet. Als Ereignis hat die Auferstehung universale Bedeutung. Sie ist ein Datum, das grundlegende Veränderungen bewirkte. Als ›Faktum‹ begriffen wäre sie ein Mirakel mit beschränkter Geltung. Ihre Bedeutung läge im Faktischen selbst. Alles Interesse würde ihrer Tatsächlichkeit gelten, in der sich ihr ›Sinn‹ erschöpfen würde. Demgegenüber liegt der ›Sinn‹ der Auferstehung Christi darin, den »möglichen Sieg über den Tod« zu bezeugen. Für Badiou ist die Auferstehung Christi freilich ein fiktives Ereignis, eine »mythologische Behauptung«. 37 Die Überlegungen Badious zur universalen Bedeutung der Auferstehung Jesu sind in diesem Sinne theoretisch, sie sind als Interpretation einer geschichtsträchtigen Behauptung mit universaler Wirkung zu verstehen. 38 Sie können deshalb die theologische Interpretation, die Ostern als Ereignis des Handelns Gottes begreift, nicht ersetzen. Die theologische Behauptung der Ereignishaftigkeit der Auferstehung basiert exklusiv auf dem Handeln Gottes, nicht auf historischer Evidenz. Allein aus diesem Grund wahrt die Rede von der Auferstehung Jesu die strikte Unsichtbarkeit dieses Ereignisses (s.u.). Paulus formuliert 2Kor 4,18b ein solches Kriterium mit den Worten: Das Sichtbare ist an die vergehende Zeit gebunden (proskaira), das Unsichtbare indessen unvergänglich (aiona). Es ist an Gottes Zeit gebunden. Paulus denkt das lebenschaffende Handeln Gottes an Jesus Christus, den Menschen und allem Sein analog. Es ist der Schöpfergott, der Leben gibt, der Glaubenden das Leben zur Erfahrung werden lässt (2Kor 4,6), der Tote lebendig macht und das Nichtseiende ruft, dass es sei (Röm 4,17); es ist dieser Gott, der das Niedrige und Verachtete, sogar das Nichtseiende erwählt hat, um das zunichte zu machen, was ist (1Kor 1,28). Von einem fiktiven Ereignis zu sprechen, ist ein Widerspruch in sich selbst. Die Kategorie des Ereignisses ist vielmehr in theologischer Hinsicht unaufgebbar, wenn es um die Auferstehung Jesu Christi geht. 39 Dieser Begriff ermöglicht es, die Ereignishaftigkeit des Lebens Jesu, seine Kontingenz und Konkretheit, mit dem lebenschaffenden Handeln Gottes an ihm zusammenzudenken. Deshalb ist theologische Arbeit an dieser Stelle unersetzbar. Sie hat die Aufgabe, das Ereignis der Auferstehung vor der Abstraktion in eine Idee zu schützen. Vom Ereignisbegriff ist der der ›Tatsache‹ 40 zu unterscheiden. Er taucht im Deutschen erstmalig 1756 auf (in einer Übersetzung eines englischsprachigen Werkes von J. Butler). Der Begriff ›Tatsache‹ entstammt ursprünglich einem theologischen Kontext; hier geht es um »Sachen der Tat«, und zwar der Tat Gottes. Also konkret um sein belohnendes oder strafendes Handeln (als Akte der Heilsgeschichte; hier wurzelte die Konzeption supranaturaler Tatsachen), das in der Weltgeschichte 41 wiedererkannt wird. Sehr bald geht es dann in säkularisiertem Verständnis um isolierte Geschichtstatsachen; dieses Verständnis wurde zu unserem Alltagsverständnis. Hierauf aufbauend findet sich das einem ursprünglich juristischen Kontext entstammende ›Faktum‹ (z.B. als ›Delikt‹). Als ›tatsächlich‹ kann »das in der Zeit Wirkliche oder Verwirklichte bezeichnet werden.« 42 Es geht zugleich um Neutralität: Die Konstatierung einer Tatsache schließt keine Wertung ein. »Eine theologische Verwendung des Ereignisbegriffs hat sich vor jeder Mystifizierung zu hüten, die erneut in der Gefahr stünde, die Auferstehung Jesu Christi zu einem Mirakel zu machen.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 10 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 11 Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung Eine theologische Verwendung des Ereignisbegriffs hat sich vor jeder Mystifizierung zu hüten, die erneut in der Gefahr stünde, die Auferstehung Jesu Christi zu einem Mirakel zu machen. Es geht vielmehr darum, diesen Begriff mit transdisziplinärer Kompetenz so zu verwenden, dass das Ereignis des lebenschaffenden Handelns Gottes in metaphorischer Analogie und Unterschiedenheit zum historischen Ereignis gedacht werden kann. Was zu unterscheiden ist Wir können festhalten: Der Begriff der Tatsache ist im strengen Sinn aufgrund seiner Geschichte (die eine Geschichte der Säkularisierung war) für die Auferweckung Jesu bei Matthäus nicht verwendbar. Denn einer Tatsache kann mit Zweifel nicht begegnet werden. Dennoch geht es ihm um etwas völlig anderes als Halluzinationen oder subjektive Einbildungen. Matthäus jedenfalls unterlässt es genau aus diesem Grund, die Auferweckung Jesu zu schildern. Er spricht von ihr, weil er von ihren Wirkungen sprechen muss. Sie lassen nur einen Schluss zu - jedenfalls für die, denen sich der erinnerte Irdische als gegenwärtig Wirkender erschließt. Matthäus schützt damit auch das Ostergeschehen und schildert es nicht als eine allgemeiner Erfahrung zugängliche Tatsache. Er schildert keinen Vorgang, sondern seine zwiespältigen Wirkungen. Dieser Logik entspricht auch die Klammer, die zwischen den letzten Worten Jesu und dem Angebot des Versuchers besteht. Trat er am Anfang mit der Machtbefugnis auf, Jesus die Herrschaft über alle Königreiche der Welt und ihre Herrlichkeit zu geben (4,8f.), so ist es am Ende Jesus, ebf. auf einem Berg 43 wie in der Versuchungsszene, der seine Beauftragung an die Jünger mit den Worten beginnt: Alle Machtbefugnis ist mir übertragen - im Himmel wie auf der Erde. Alles ist ihm vom Vater übertragen (so konnte er schon 11,27 sagen) - nur, um bei unserer Frage zu bleiben: Beweisen lässt sich das gegenwärtig nicht. Im Gegenteil, unendlich viel spricht dagegen. Beweisen wird das erst das Ende der Weltzeit - mit diesem Hinweis endet das Matthäusevangelium (28,20b). Was gegenwärtig geschieht, das Lehren, Halten und Taufen (V. 19), geschieht einzig im Vertrauen auf diese Machtbefugnis. Es wird das immer neue Sprechen und Verstehen der Geschichte Jesu Christi sein, das ohne Kreativität und Freiheit, ohne das Erlernen neuer Sprachen nicht zu haben ist. Matthäus verlässt also nicht das strenge Kriterium des Glaubens, wenn es um die Präsenz des Auferstandenen und um das Ereignis geht, das ihn zum Lebenden und Gegenwärtigen machte. Erneut und ganz von selbst ist nun noch einmal das Wort ›Ereignis‹ gefallen. Matthäus denkt die Auferweckung Jesu als Ereignis; besser gesagt, er denkt sie so, dass unser Wort ›Ereignis‹ dem am besten entspricht. Dieses Wort entspricht vielleicht am besten der Folgerungslogik, die Matthäus mit dem frühen Christentum teilt. Die gegenwärtigen Erfahrungen der Glaubenden, die Erinnerungen an Visionen, Erscheinungen, Begegnungen mit dem Auferstandenen ließen gar keinen anderen Schluss zu, als dass sich da etwas ereignet hat, was einzig Gottes Handeln sein konnte: Dass dieser Gekreuzigte nicht im Tod geblieben ist (auch nicht in dieses Leben zurück gerufen wurde), sondern von Gott neu zum Leben aus Gottes Kraft gerufen wurde. Den neutestamentlichen Texten geht es durchgehend um die Ereignishaftigkeit der Auferstehung Jesu Christi. Das gilt für alle Formen, in denen sie erzählt, behauptet, bezeugt wird. Auch wenn jede dieser Formen einer vergangenen Vorstellungswelt zugehört und in ihrem Kontext verstanden werden will - generell ist zu beachten, dass zwischen Eingebildetem und Geschehenem deutlich unterschieden wird. Folglich hat sich auch die gegenwärtige Reflexion dieser Unterscheidung zu stellen und die damit gesetzte Grenze zu beachten. Konkret bedeutet das, dass das Nachdenken über die Bedeutung von Ostern nicht die Reflexion seines Ereignischarakters schuldig bleiben darf. Alle neutestamentlichen Zeugnisse wahren nun aber die Entzogenheit des Osterereignisses; sie schildern nicht es selbst, sondern Wirkungen, die sie im Blick auf dasselbe Ereignis identifizieren. Sie wahren damit sowohl seine Ereignishaftigkeit als auch seine in der Welt irdischer Faktizität festzuhaltende Unzugänglichkeit sowie seine Unverfügbarkeit, die es als überraschendes, jeder Erfahrung vorausliegendes Handeln Gottes bleibend hat. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 11 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 12 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell Das hat erhebliche Konsequenzen dafür, wie theologisch von Ostern zu reden ist. Wo z.B. autoritäre Sprache Besitz vom unverfügbaren und unsichtbaren Handeln Gottes ergreift, steht sie in Gefahr, es zu verraten. Dem Begriff des Ereignisses, so haben wir gesehen, entspricht nicht das Beweisen, sondern das Bezeugen. Deshalb sollte theologische Sprache an ihrer vermeintlich schwächsten Stelle - an der Stelle von Ostern - nicht mit autoritären Denkstrukturen, mit der scheinbaren Macht des Objektiven operieren. Ostern ist - und in dieser Tradition arbeitet Matthäus, ebenso wie die anderen frühchristlichen Autoren, deren Texte uns erhalten sind - ein erschlossenes Ereignis. Es hat mit dem Stichwort ›Auferweckung‹ einen der Namen erhalten, der ihm im Rahmen des historischen kulturellen Kontextes entspricht. Auch andere Bezeichnungen wie Erweckung, Erhöhung usw. sind Namen, Metaphern für Gottes Handeln, das als ausschließlich sein Handeln zu begreifen ist. 44 Für uns geht es, wenn wir Matthäus folgen, nicht um die Frage, was Ostern (»tatsächlich«) geschehen ist, sondern wie Ostern zu denken ist. Damit stehen wir erneut am Anfang des Evangeliums. Denn es ist für Matthäus ausschließlich dieses Handeln Gottes, das all das in Kraft setzt und begründet, was von diesem Jesus zu erzählen ist. Das ist die Identität Jesu, von der Matthäus von Beginn seines Evangeliums an spricht: die des Auferstandenen. Nur weil Matthäus dieses Vorzeichen so gründlich reflektiert hat, ist er in der Lage, so offensiv die Frage zu markieren: Bist du Gottes Sohn? - Und so deutlich Widerspruch, Ablehnung, Ärgernis, Fehldeutungen und Gerüchte zu berichten. Die Auferweckung Jesu Christi ist für Matthäus das dem Glauben erschlossene Ereignis des Handelns Gottes, das den Erfahrungen der lebendigen Gegenwart des Irdischen, Gekreuzigten (28,5), als des Sohnes Gottes zugrunde liegt. Matthäus weist - offenbar mit dem Ziel, gerade diese Einsicht zu sichern, ausdrücklich auf die Möglichkeit hin, andere Rückschlüsse aus der Verkündigung des Auferstandenen zu ziehen. Es ist der Weg des Christus Gottes, der als der Weg des Irdischen in die Mehrdeutigkeit der Geschichte führt. l Anmerkungen * Der Beitrag geht auf eine Vorlesung zurück, die ich meinem Lehrer Traugott Holtz im Juli 2006 zu seinem 75. Geburtstag halten durfte. Ich danke der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg für die Einladung zu dieser Gastvorlesung. 1 Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie, Göttingen 1994. Zu einem Rückblick auf die Diskussion und exegetische Einzelfragen vgl. z.B. A. Rese, Exegetische Anmerkungen zu G. Lüdemanns Deutung der Auferstehung Jesu, in: Bieringer (s. Kasten), 55-71; M. Leiner, Auferstanden in die Herzen und Seelen der Gläubigen? Psychologische Auslegungen der neutestamentlichen Auferstehungserzählungen, EvTheol 64 (2004), 212-227, 215-218. 2 Vgl. die differenzierenden Überlegungen bei Leiner, Auferstanden; eine Übersicht zu Modellen psychologischer Erklärungen der Ostervisionen findet sich dort 222. 3 Das Büchlein ist so angelegt, dass die Position Lüdemanns als die unterlegene erscheint. Auch Jacob Neusners Dokumentation zum ›Fall‹ Lüdemann (Faith, s. Kasten; das Buch schließt an die Veröffentlichung von 1998 an, s. Kasten) zeigt sich polemisch, freilich in entgegen gesetzter Richtung. Lüdemann-kritische Beiträge bleiben meist unübersetzt, während seine eigenen, in deutschen Zeitungen veröffentlichten, in englischer Sprache geboten werden. 4 Daneben zielen die umfangreichen religionsgeschichtlichen Materialsammlungen zu vorchristlichen Hoffnungen auf ein Leben nach dem Tod auch darauf, jede Form etwaiger Ableitbarkeit des frühchristlichen Osterglaubens zurückzuweisen. Wrights Argument richtet sich folglich in der Sache auch gegen die Position des im selben Jahr erschienenen Buches von Richard Swinburne (s. Kasten), der von der Voraussetzung ausgeht, dass das menschliche Gott-Denken nicht gegenstandslos sein kann, und daraus folgert, dass der so gedachte Gott auch Mensch wird, stirbt und aufersteht. Swinburne vertritt in der Diskussion um Ostern eine neothomistisch inspirierte Außenseiterposition; zum Hintergrund seines Denkens vgl. jetzt Th. Rentsch, Gott, Berlin 2005, 188-190. 5 Vgl. bes. 710-718. Die Auferstehung wird nach Wright zu einer Herausforderung des durch die Aufklärung geprägten Welt- und Geschichtsbildes (713). 6 Vgl. dazu E. Reinmuth, In der Vielfalt der Bedeutungen - Notizen zur Interpretationsaufgabe neutestamentlicher Wissenschaft, in: U. Busse (Hg.), Die Bedeutung der Exegese für Theologie und Kirche (QD 215), Freiburg 2005, 76-96, 78f. 7 Vgl. Eckstein, s. Kasten. 8 Vgl. St. Alkier, Die Realität der Auferstehung, in: G. Linde u.a. (Hg.), Theologie zwischen Pragmatismus und Existenzdenken, FS Hermann Deuser (MThS 90), Marburg 2006, 339-359. 9 Sie beginnt im unmittelbaren Anschluss an die Versuchungsgeschichte mit 4,12-17, und nach den Schmähungen der Passanten werden nur noch die Schreie der Verlassenheit erzählt: 27,46.50. Das öffentliche Wirken des irdischen Jesus ist zu Ende. 10 Pausanias, Reisen in Griechenland, übersetzt von E. Meyer, hg. F. Eckstein, abgeschl. von Peter C. Bol, 3 Bde., Zürich 1986-1989; Textausgabe Pausaniae Grae- 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 12 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 13 Eckart Reinmuth Ostern - Ereignis und Erzählung ciae Descriptio Vol. I, ed. M. H. Rocha-Pereira, Leipzig 1973. Der Teil des Werkes, dem unser Beispiel (I 30,1) entstammt, entstand zwischen 144 und 160 n.Chr.; vgl. E. Meyer, Einleitung, a.a.O. 10-59, 17. 11 Die Übersetzung von E. Meyer ›den er liebte‹ ist hier zu korrigieren, weil das verwendete Verbum ein Deponens ist; dem entspricht auch der sonstige Sprachgebrauch bei Pausanias. 12 Die entsprechende Geschichte bei Lukas (Lk 4,16-30) endet in Empörung und versuchter Lynchjustiz. 13 Die Erfahrungen der Glaubenden (13,21; 24,10) - das zeigt z.B. ein Durchgang durch den Gebrauch von skandalon und skandalizein (vgl. bes. 11,6; 13,57; 26,31) - sind den seinen analog. 14 Wir finden das Wort weder in LXX noch, so weit ich sehen kann, in weiterer frühjüdischer Literatur; auch nicht im Hellenismus. Es gibt allerdings eine parallele rabbinische Wendung, deren Wurzel durchaus auch die des matthäischen Gebrauchs sein kann. Da Matthäus das Wort in Q angetroffen haben wird (6,30/ / Lk 12,28), ist damit zu rechnen, dass es bereits im palästinischen Christentum verwendet und durch Matthäus aufgegriffen und geprägt wurde. 15 Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte. Das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, so dass die Vögel unter dem Himmel kommen und in seinen Zweigen wohnen. 16 Zu den Auslegungsmöglichkeiten vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 26-28), EKK I/ 4, Düsseldorf / Zürich / Neukirchen-Vluyn 2002, 438f. Luz plädiert überzeugend für dieses Verständnis: Alle elf huldigten dem Auferstandenen, einige zweifeln jedoch: »In die Proskynese mischen sich ›Zweifel‹.« Vgl. ähnlich P.W. van der Horst, Once More: The Translation of oiden in Mt 28.17, JSNT 27 (1986), 27-30, jetzt in: ders., Jews and Christians in their Graeco-Roman Context. Selected Essays on Early Judaism, Samaritism, Hellenism, and Christiantiy (WUNT 196), Tübingen 2006, 161-163. Anders A. Denaux, Matthews’s Story of Jesus’ Burial and Resurrection (Mt 27,57- 28,20), in: Bieringer, Resurrection (s. Kasten), 123-145, 141; er übersetzt »›but they doubtet‹, meaning to say, all the Eleven« (ebd. Anm. 19). 17 Hier mag offen bleiben, ob Matthäus auf tatsächliche Gerüchte anspielt; vgl. dazu W.J.C. Weren, »His Disciples Stole Him Away« (Mt 28,13). A Rival Interpretation of Jesus’ Resurrection, in: Bieringer (s. Kasten), 147-163. 18 Vgl. ausführlich zur Etymologie von ›Ereignis‹ E. Czucka, Emphatische Prosa. Das Problem der Wirklichkeit der Ereignisse in der Literatur des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1992, 44-54. 19 A. Nünning (Hg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze - Personen - Grundbegriffe, Stuttgart / Weimar 32004, 150; vgl. L. Engell, Art. ›Ereignis‹, in: N. Pethes / J. Ruchatz (Hgg.), Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon, Reinbek 2001, 149-150. 20 Th. Rathmann, Ereignisse Konstrukte Geschichten, in: Th. Rathmann (Hg.), Ereignis: Konzeptionen eines Begriffs in Geschichte, Kunst und Literatur, Köln et al. 2003, 1-19: 3. Vgl. die bündige Formulierung von Michael Moxter: »Für den Begriff des Ereignisses sind konstitutiv die Momente der Einmaligkeit, der Unwiederholbarkeit und der Unveränderlichkeit.« (M. Moxter, Erzählung und Ereignis. Über den Spielraum historischer Repräsentation, in: J. Schröter / R. Brucker [Hgg.], Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung [BZNW 114], Berlin / New York 2002, 67-88, 72). 21 N. Luhmann, Soziale Systeme (stw 666), Frankfurt a.M. 1987, 390. 22 Vgl. die prägnanten Formulierungen in E. Flaig, Ein semantisches Ereignis inszenieren, um ein politisches zu verhindern. Die entblößten Narben vor der Volksversammlung 167 v.Chr., in: Rathmann, Ereignis, 183- 198, 184: »Ereignisse sind Vorgänge, die zu Ereignissen gemacht werden, denen eine besondere Signifikanz zugewiesen wird. Die Signifikanz hängt ab von der Perspektive, die man wählt.« Es mache »keinen Sinn ..., ein ›Ereignis‹ auf Grund von objektiv ihm anhaftenden Qualitäten zu identifizieren.« 23 Moxter, Erzählung, 80. »Weil es kein natürliches Gefälle zwischen Ereignis und Erzählung gibt, bedarf es eines konstruktiven Beitrags, der in der Erzählung liegt und aus der Zeiterfahrung resultiert. ... Schon aufgrund ihrer zeitlichen Distanz ist die Erzählung gegenüber dem Ereignis überschüssig.« Der »Horizont der Möglichkeiten, aber auch der Schluß, den die Erzählung den Ereignissen verschafft, konfiguriert das Geschehene neu.« (80). Moxter weist darauf hin, »dass durch die Erzählung etwas als bestimmt angesehen wird, ohne dass diese Bestimmung aus einer allgemeinen Regel hergeleitet werden könnte, die notwendig jedermanns Zustimmung erhält. Es ist die Eigenart der reflektierenden Urteilskraft, Zustimmung nur anzusinnen, die Subjekte aber hinsichtlich des Urteils selbst frei lassen zu müssen bzw. zu können.« (81). Damit bestätige sich, dass keine Erzählung nach dem Prinzip der Abbildung zu verstehen ist, dass vielmehr »der kategoriale Vorsprung der Erzählung vor dem Ereignis« (82) beachtet werden muss. 24 Zum unterschiedlichen Diskussionsverlauf in Frankreich und Deutschland vgl. J. Revel, Die Wiederkehr des Ereignisses - ein historiographischer Streifzug, in: A. Suter / M. Hettling (Hgg.), Struktur und Ereignis, Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, Sonderheft 19, Göttingen 2001, 158-174. 25 Geschichte - Ereignis und Erzählung, Poetik und Hermeneutik Bd. 5, hg. von R. Koselleck und W.-D. Stempel, München 1973. 26 Vgl. dazu Rathmann, Ereignisse, 11f. 27 Vgl. dazu die Diskussion in Suter / Hettling, Struktur. Zur Rolle identitätsbildender historischer Ereignisse vgl. z.B. J. Rüsen, Zerbrechende Zeit. Über den Sinn der Geschichte, Köln u.a. 2001, 164-170. Eric Hobsbawm hat eindrücklich gezeigt, dass es dabei auch um fiktive historische Tatsachen gehen kann; vgl. z.B. ders., Das Erfinden von Traditionen, in: C. Conrad / M. Kessel (Hgg.), Kultur & Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung, Stuttgart 1998, 97-118. 28 Vgl. v.a. M. Heidegger, Beiträge zur Philosophie (›Vom Ereignis‹), Gesamtausgabe, hg. von F.-W. von Herrmann, Bd. 65, Frankfurt a.M. 1989. Heidegger arbeitete seine zentrale Ereigniskonzeption von 1936-1938 aus. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 13 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 14 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Neues Testament aktuell 29 Zu Lyotards Ereignisbegriff vgl. I. Reuter, Predigt verstehen. Grundlagen einer homiletischen Hermeneutik, APrTh 17 (2000), 175-186 (»4.4. Das Ereignis als Kategorie der Unverfügbarkeit«). 30 Zum Ereignisbegriff Derridas vgl. D. Mersch, Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München 2002, 357-381. 31 Vgl. dazu B. Naumann, Zur Entstehung von Begriffen aus dem Ungeordneten des Gesprächs, in: Rathmann, Ereignis, 103-118. 32 Vgl. dazu Naumann, Entstehung, 108: Derrida und Lyotard halten »zwar an der Vorstellung von Endlichkeit und Besonderheit des Ereignisses fest, kehren aber die gewöhnliche Sicht des Ereignisses um. Sie erkennen im Ereignis Züge, die sich nicht mehr in die Vorstellung integrieren lassen, es stelle eine bedeutende Eintragung auf einer zeitlich strukturierten Matrix - etwa dem Verlauf der Geschichte - dar. Ereignisse entspringen aus dieser Perspektive nicht der, und sie ‚machen’ nicht die Geschichte, sondern ermöglichen erst die Konzeption von Zeit und Geschichtlichkeit.« 33 Naumann, Entstehung, 110, wehrt sich dagegen, das Ereignis im Zuge der narratologisch-historischen Diskussion »in die Konstruktion der Geschichte zu verbannen. Das Ereignis als ein Gegenwärtiges und Zukünftiges, als ein Unvordenkliches, das einen nicht kalkulierbaren Verlauf der Zeit allererst ermöglicht oder erzwingt, das seine Kraft aus der Überraschung zieht, das durch Plötzlichkeit gekennzeichnet und keinen vorgebildeten Kategorien zuzuordnen ist, das in das Geschehen einbricht, das bestehende Konstellationen verrückt oder neue herstellt und so Veränderung bewirken kann; das Ereignis, das eigen und einzig ist, das Geschichte macht, ohne der Geschichte ganz zuzugehören, und das zum Denken dessen, was es denn überhaupt sei, nötigt -, alle diese Aspekte sind per definitionem aus solchen Konzeptionen ausgeblendet, die das Ereignis als Geschichte und allein in der Geschichte fixieren.« 34 Vgl. jetzt A. Badiou, Das Ereignis denken, in: A. Badiou / S. Zizek, Philosophie und Aktualität. Ein Streitgespräch, Wien 2005, 15-49. 35 A. Badiou, Paulus. Die Begründung des Universalismus, München 2002 (frz. Orig. 1997). 36 Badiou, Paulus, 85f. 37 Badiou, Paulus, 197. Badiou erläutert sein nicht-religiöses Paulus-Verständnis 7ff. Die Auferstehung Christi gehört für ihn in den Bereich der Fabel (11f.). »›Fabel‹ ist, was in einer Erzählung sich für uns mit keinem Realen berührt, es sei denn mit jenem unsichtbaren, nur indirekt zugänglichen Rest, der allem offenkundig Imaginären anhaftet. In dieser Hinsicht reduziert Paulus die christliche Erzählung auf den einzigen Punkt, an dem sie Fabel ist, mit der Gewalt dessen, der weiß, dass diesen Punkt für real zu halten, vom gesamten Imaginären an seinen Rändern dispensiert« (12). 38 Badious Ereignisbegriff ist auch an dieser Stelle von Martin Heidegger geprägt; vgl. z.B. M. Heidegger, Zeit und Sein, in: Zur Sache des Denkens, Tübingen 2 1976, 1-25: 24: »Das Ereignis ist weder, noch gibt es das Ereignis«. Diese Äußerung Heideggers bezieht sich auf die Unvordenklichkeit des Ereignisses, nicht seine Undenkbarkeit. Vgl. dazu Naumann, Entstehung, 108f.: »Für Heidegger ist das Ereignis vielmehr unvordenklich hinsichtlich von Sein und Zeit. Im strengen Sinne bedeutet dies, dass das Ereignis nicht ist und dass es das Ereignis nicht gibt; es ist nicht einzuordnen in das Beziehungsgefüge der Existenz, sondern soll als eine Figur der Ermöglichung gedacht werden, als ein noch nicht Definiertes, aus dem etwas hervorgehen kann. Das Ereignis geht Sein und Zeit - in einem nichthistorischen Sinne - voraus. ... Vielleicht könnte man auch sagen, dass das Ereignis einen Versuch darstellt, zu denken, dass überhaupt ›etwas ist und nicht nichts‹.« 39 Vgl. dazu E. Reinmuth, Neutestamentliche Historik - Probleme und Perspektiven (ThLZ.F 8), Leipzig 2003, 52ff., 82ff. 40 Vgl. W. Halbfass, Art. ›Tatsache‹, HWPh 10 (1998), 910-916. 41 Hamann und Herder entdeckten die Offenbarung Gottes in der Natur als Tatsache. 42 Halbfass, Tatsache, 911. 43 Vgl. auch 5,1. Die Verklärungsszene 17,1-9 spielt auf einem hohen Berg. Hier erscheint Jesus - anders als der Auferstandene - in himmlischem Glanz. 44 Vgl. dazu Reinmuth, Historik, 47-55. 81ff.; ders., Eschatologie und Historik. Ein theologischer Beitrag zu 1Kor 15, in: J. Schröter / A. Eddelbüttel (Hgg.), Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive (TBT 127), Berlin / New York 2004, 221-235: 232-234. Noch nicht angekündigt: Noch nicht angekündigt: Noch nicht angekündigt: Noch nicht angekündigt: Noch nicht angekündigt: Stefan Alkier Die R Die R Die R Die R Die Re ee eealität alität alität alität alität der Auf der Auf der Auf der Auf der Aufer er er er erw ww wwec ec ec ec eck kk kku uu uun nn nng gg gg Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, Band 12 2007, ca. 280 Seiten, ca. €[D] 59,00/ SFr 93,00 ISBN 978-3-7720-8227-6 Narr Fr Narr Fr Narr Fr Narr Fr Narr Franc anc anc anc anck kk kke Att e Att e Att e Att e Attempt empt empt empt empto oo oo V VV VVerl erl erl erl erlag ag ag ag ag · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 36 Uhr Seite 14 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100%