ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2007
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Dronsch Strecker VogelWie Auferstehung der Toten denken?
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2007
Hans H. Kessler
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50 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Robert C. Neville befasst sich in seinem Beitrag mit Problemen, die sich aus der zeitlichen Struktur unserer Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod ergeben. Er begegnet ihnen durch ein Verständnis von Ewigkeit als Zusammensein der Zeitdiastasen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie durch den Gedanken eines ewigen Schöpfungsaktes, in dem wir schon immer unsere ewige Identität haben, die im zeitlichen Leben meist verdeckt ist und hervortritt, wenn das zeitliche Leben endet. Auferstehung bedeutet für Neville nicht etwas nach dem Tod, sondern jetzt, mitten im irdischen Leben, zu diesem ewigen Leben erwachen und so mit Christus in den Himmel erhöht sein. Dieses an einer Zeit-Ewigkeits-Metaphysik orientierte Konzept, das, da Gott nicht in der Zeit wirkt, nur z.T. Deuteropaulinen (Kol 3,1-4; Eph 2,5f.) ähnelt, erscheint mir etwas platonisch und abstrakt. Ich versuche von konkreten existentiellen Erfahrungen auszugehen und mich an biblischen Perspektiven zu orientieren. Auch ich setze ein bei Schwierigkeiten mit der Annahme einer Auferstehung der Toten. Sie sind schon alt. Schon Paulus hat nach Apg 17,31f. bei den Populärphilosophen Athens nur Spott geerntet, als er von Auferstehung sprach, die sie wohl als Wiederbelebung des Leichnams missverstanden - ein Missverständnis der leibhaftigen Auferstehung in vielen Köpfen bis heute. Doch die Schwierigkeiten haben sich gewaltig verschärft durch den heute in breiten Kreisen als vortheoretische Hintergrundüberzeugung herrschenden Naturalismus, für welchen es nur diese eine »natürliche« Wirklichkeit und außer der physikalisch erklärbaren Natur nichts gibt. In diesem Wirklichkeitsverständnis bleibt für Gott, für sein Wirken in der Welt und für eine Auferstehung kein Platz. So ist Auferstehung der Toten für viele in den Bereich des Unvorstellbaren, ja des Undenkbaren gerückt. Wer die biblisch-christliche Hoffnung auf Auferstehung vertritt und über sie verantwortlich Rechenschaft geben will (1Petr 3,15), muss deshalb zeigen, dass eine Auferstehung der Toten nichts in sich Widersprüchliches und Unsinniges, sondern (als möglich und als wirklich) denkbar ist, unter welchen Voraussetzungen sie denkbar ist und welches Verständnis von Wirklichkeit sie impliziert. Deshalb eine unerlässliche Vorfrage: 11.. Ist es überhaupt sinnvoll und verantwortbar, sich in die biblisch-christliche Glaubenswelt hineinzubegeben und - hier auf unser Thema bezogen - auf Auferstehung zu hoffen? Spricht etwas dafür? Ein positivistischer Naturalismus verneint dies. Aber seine Sichtweise auf die Welt ist eingeschränkt und blendet relevante Fragen aus. Es gibt nämlich menschliche Grunderfahrungen, die gravierende Fragen aufwerfen und die, denkt man sie durch, bis an den Punkt führen, wo Hoffnung über den Tod hinaus - gewiss nicht bewiesen ist, aber - sich denkerisch als zutiefst sinnvoll erweist und alle Unvernünftigkeit verliert. Drei solche Grunderfahrungen seien genannt. (1) Der eigene Tod, um den der Mensch weiß: Er wird ihm zum Problem, weil er das schärfste Nein zur Identität, zu Ganz-sein und Sinn ist. Alles wäre am Ende eitel, wenn der Tod das Letzte wäre. George Orwell, Verfasser des Romans »1984«, der mit seinem »Gespür für Ungerechtigkeit« eine Religion ablehnte, die das Elend auf Erden mit Vertröstung auf den Himmel verzuckert, und deshalb meinte, Atheist zu sein, hat bekannt: Kontroverse Hans H. Kessler Wie Auferstehung der Toten denken? 1 »Es gibt nämlich menschliche Grunderfahrungen, die gravierende Fragen aufwerfen und die, denkt man sie durch, bis an den Punkt führen, wo Hoffnung über den Tod hinaus [...] sich denkerisch als zutiefst sinnvoll erweist und alle Unvernünftigkeit verliert.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 50 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 51 Hans H. Kessler Wie Auferstehung der Toten denken? »Das Wesen des Menschen besteht darin, dass man letztlich bereit ist zu verlieren, geschlagen und zerbrochen zu werden am Leben. Es ist der unentrinnbare Preis dafür, dass man seine Liebe zu den anderen behält.« Dann fügte er hinzu: »Wenn der Tod allem ein Ende setzt, ist es viel schwieriger zu glauben, dass man auch dann im Recht sein kann, wenn man besiegt worden ist. Staatsmänner, Nationen, Theorien, Aktionen werden dann zwangsläufig nach ihrem materiellen Erfolg beurteilt.« Liegt also schon im »Wesen des Menschen«, wenn es nicht absurd sein soll, die Forderung nach Überwindung der Grenze des Todes? (2) Der Tod des geliebten Mitmenschen: Liebe, die den Anderen uneigennützig bejaht, kann die Vernichtung des geliebten Anderen nicht akzeptieren, sie fordert und hofft für ihn, dass er gerettet und erfüllt werden möge, und zwar nicht, weil ich etwas von ihm habe, sondern einfach um seinetwillen. Gabriel Marcel hat dies auf die Formel gebracht: »Einen Menschen lieben, heißt sagen: du wirst nicht sterben« - und dies angesichts von Tod und Vernichtung. 2 Die Liebe ist die stärkste Option gegen den Tod. Sie fordert für den Geliebten Unvergänglichkeit (das ist ihre Logik), kann sie aber selbst nicht geben (das ist ihre Aporie). Sie enthält ein Versprechen, das über den Tod hinausweist. Geht es ins Leere? Dann wäre uneigennützige Liebe letztlich absurd. (3) Der Tod des misshandelten, entwürdigten, getöteten Anderen (z.B. des verhungerten oder des zu Tode gequälten Kindes): Was ist mit dem nicht wieder gutgemachten Unrecht? Was ist mit denen, die nicht das Privileg hatten, das Leben auszukosten, ja die nie etwas vom Leben gehabt haben, weil andere es ihnen verunmöglicht haben? Wer sie vergisst und ihre Leiden verdrängt, um sein bisschen Glück nicht zu trüben, der kann eigentlich nicht wahrhaft human und solidarisch sein. Wer sich aber weigert, das Gedächtnis an die Opfer auszulöschen, und die Forderung nach Gerechtigkeit für sie aufrecht erhält, der muss streng genommen in Resignation, in untröstliche Trauer und Verzweiflung verfallen, oder es stellt sich für ihn unabweisbar die Frage nach einer unbedingt rettenden Wirklichkeit. 3 Kurz: Das irdische Leben enthält ein unabgegoltenes Versprechen und eine Forderung, die es selbst nicht einzulösen vermag, die aber, wenn menschliche Existenz nicht einfach absurd, sondern sinnvoll und prinzipiell bejahbar sein soll, nach Einlösung in einem anderen Leben verlangt, und zwar geradezu gebieterisch (im Sinn eines Postulats). Die Liebe und die Solidarität weisen strukturell über sich hinaus auf eine andere, vollkommene Liebe und Solidarität, die Erfüllung, Gerechtigkeit, Sinn verbürgt und schafft. Das für viele so schöne und für viele andere so traurige Leben verspricht und fordert mehr, als es halten kann. Da bleibt ein gewaltiger Überschuss an offenen Fragen. Atheistische Religionskritik hat alle Hoffnungen für die Toten unterschiedslos als realitätsferne, reine Wunschprojektionen zu entlarven versucht. Nun gibt es hier gewiss Projektionen, und es ist nicht leicht zu unterscheiden, was an ihnen zum Wuchern egoistischer Phantasie und was zum anthropologischen Grundbestand gehört, dem eine Wirklichkeit entsprechen könnte. Eben diese Unterscheidung hat die Religionskritik versäumt, und damit hat sie sich die Frage nach den Hans H. Kessler, geb. 1938 in Schwäbisch Gmünd, Studium der Philosophie und der Theologie in Tübingen, Würzburg und Münster, theologisches Diplom in Tübingen, Promotion zum Dr. theol. in Münster bei Walter Kasper, Tätigkeiten in Gemeindepastoral und Schule. Seit 1972 Professor für Systematische Theologie (Fundamentaltheologie und Dogmatik), zuerst am Fachbereich Religionswissenschaften, seit 1987 am Fachbereich Katholische Theologie der J.W.Goethe-Universität Frankfurt am Main, seit 2003 pensioniert. Hauptforschungsgebiete: Jesusforschung und Christologie sowie Erlösungslehre, Schöpfungsglaube im Gespräch mit heutiger Naturwissenschaft und Ökologie, Dialog mit anderen Religionen. Hans H. Kessler 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 51 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 52 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Kontroverse radikalen Bedingungen der Möglichkeit solcher Projektionen erspart. Warum ist der Mensch überhaupt so strukturiert, dass er - in einer (zumindest prinzipiell) endlosen Unzufriedenheit und Unersättlichkeit - über alles, auch über den Tod hinausfragt, transzendiert und projiziert? Dass er ausgerichtet ist auf ein Mehr (ein Besser, Ganz- und Heilsein), dass er, wie neurologische Forschung zeigt, aufgrund der biologischen Beschaffenheit seines Gehirns auch auf eine andere, transzendente Dimension ausgerichtet ist und ihrer in extremen Stress- und Grenzsituationen (aber auch künstlich induziert) gewahr werden kann? Führt uns da nur unsere Konstitution irre, ist das nur unser Konstrukt, oder hat sich unsere Konstitution evolutiv so herausgebildet, weil sie sich einer umfassenderen und tieferen Wirklichkeit annähert oder - darwinistisch gesprochen - »anpasst«? Sind wir vielleicht so gebaut, so voller Durst nach Dauer, Liebe, Gerechtigkeit, weil es - am Grunde von allem - eine andere Wirklichkeit gibt, die uns hat entstehen lassen, auf sich hin (als unsere wahre Erfüllung), so dass wir deswegen unablässig auf der Suche sind (und uns dabei oft an Dingen festmachen, die uns »ent-täuschen« müssen, weil sie das nicht halten können, was wir uns fälschlich von ihnen versprechen, sondern ein Versprechen auf mehr sind)? 4 Die Frage bleibt philosophisch unentscheidbar, aber ihre Ausarbeitung eröffnet einen Zugang und vorläufigen Verstehenshorizont für die Botschaft von dem Gott, »der die Toten auferweckt« (Achtzehngebet 2; Röm 4,17) und »der Jesus von den Toten erweckt hat« (Röm 4,24 u.ö.). 22.. Voraussetzung für die Hoffnung auf ein Leben der Toten ist der Glaube an einen göttlichen Urgrund (Schöpfer), an seine andere Dimension und seine schöpferische Kraft. Biblischer Glaube kann, weil er die Schöpferkraft Gottes bekennt, sagen: »Nicht bleibt der Arme für immer vergessen, nicht ist die Hoffnung der Elenden ewig verloren« (Ps 9,19). Der Streit darüber, ob die Toten am Ende vergessen und endgültig verloren sind oder nicht, ist ein Streit um Gott, ein Streit um den Totenerwecker-Gott. Sogar »der tote Sperling ist bei ihm nicht vergessen«, hatte Jesus behauptet (Lk 12,6). (1) Hegel bringt die Sache einmal so auf den Punkt: »Der Tod ... ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten, das, was die größte Kraft erfordert.« 5 Diese größte Kraft , das Tote festzuhalten, ihm neues, unzerstörbares Leben zu geben, haben wir Menschen nicht. Und die Natur hat sie auch nicht. In der Natur gibt es »das Stirb und Werde«, das Stirb des einen Individuums und das Werde eines anderen. Dass die gestorbenen Individuen selber leben, das schafft die Natur nicht. Eine individuelle Auferstehung vom Tod und eine Erlösung kann es nur geben, wenn die Natur, wenn das All nicht alles ist. Genauer: Wenn ein Gott ist, der mehr vermag, als in der Natur und im All »drin« ist (an Möglichkeiten). »An einen Gott glauben, heißt, dass es mit den Tatsachen der Welt noch nicht abgetan ist.« 6 Das Alte Israel hatte sich fast 1000 Jahre lang eine Hoffnung für die Toten versagt. Hier, auf dieser Erde, galt es vor und mit Gott zu leben, ohne Ausflucht ins Jenseits. Und als Israel dann spät (im 3./ 2. Jh. v.Chr.) doch zu einer Hoffnung für die Toten durchstieß, geschah dies nicht vom menschlichen Unsterblichkeitsbedürfnis her (als dessen Projektion), sondern aus dem Glauben an den einen Schöpfergott heraus (als dessen innere Konsequenz und Explikation). Die Annahme eines Lebens der Toten war nicht primär Produkt menschlichen Überlebenswillens, sondern eine Auswirkung des ersten Gebots, d.h. der Überzeugung von der Göttlichkeit des einen Gottes, dessen Schöpferkraft, Lebensfreundlichkeit, Gerechtigkeitsliebe und verlässliche Treue auch am Tod keine Grenze findet. Deshalb entgegnet dann Jesus den Sadduzäern, die - altgläubig - eine Auferstehung der Toten ablehnen: »Ihr kennt weder die Schriften noch die Kraft Gottes« (Mk 12,24). Auferstehung, neues Leben der Toten, ist etwas, das überhaupt nur verstehbar und annehmbar ist im Glauben an Gott, seine Dimension und seine Kraft. Ohne die Annahme Gottes ist die Rede von Auferstehung der Toten und Auferstehung Jesu eo ipso sinnlos. (2) Dabei hängt alles am Gottesverständnis. Viele denken beim Wort »Gott« an ein übergroßes Wesen im »Jenseits« hinter unserer Welt; dann wäre Gott von der Welt getrennt, durch sie begrenzt, gar nicht unendlich, gar nicht Gott. Die Bibel sieht es anders: Da ist mitten in der Welt noch wer, »der Ich-bin-da« (Ex 3,14b). Mit seiner kabod (Präsenz) und ruach (Atem, Lebenskraft) »erfüllt« er alles, das All und jedes Wesen in ihm 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 52 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 53 Hans H. Kessler Wie Auferstehung der Toten denken? (z.B. Jer 23,24; Jes 6,1.3; Weish 1,7; 8,1), ist er »mir innerlicher als ich mir selbst« (Augustinus). Zugleich umgibt er mich von allen Seiten (Ps 139), so dass wir in ihm leben, weben und sind (Apg 17,28), wir und alles Kosmische, und alles schon immer in der unendlich aufgespannten Weite Gottes vorkommt. Und zugleich gibt er als das große liebende Du uns und die ganze Schöpfung in ihre Eigenständigkeit hinein frei, wirbt um unsere Gegenliebe und ist stets dialogisch mit uns (z.B. Ps 23,4; Ps 73,25f.). Wenn 1Kön 8,27f. zufolge Salomo nach dem Tempelbau betet: »Der Himmel und die Himmel der Himmel können dich nicht fassen, um wie viel weniger dieses Haus«, so weiß er um diese drei Aspekte (Weltimmanenz, -transzendenz, -zugewandtheit Gottes). Und zugleich weiß die große christliche Tradition mit ihm, dass der kosmische Himmel (engl. sky) ein Gleichnis für den religiösen Himmel (engl. heaven) ist, für die ganz andere Dimension Gottes, die nicht dort erst beginnt, wo unsere Dimensionen enden, sondern sie alle durchdringt, allem (Raum und Zeit, Evolution, Zufall und Notwendigkeit, Materie und Geist, Natur und Geschichte, Person und Freiheit usw.) zugrunde liegt und allem ko-präsent ist. Die Wörter »Himmel« und »Ewigkeit« verweisen auf diese radikal andere Dimension Gottes. So kann Nikolaus von Kues in einer Himmelfahrtspredigt sagen: Da Gott nicht nur die alles einfassende Peripherie, sondern auch das alles durchpulsende Zentrum ist, »sitzt« der zu Gott erhöhte »Christus nicht gleichsam am Rande des Kosmos, sondern im Zentrum« aller Wirklichkeit, uns und allem ganz nah; auch unsere Toten, die bei Gott sind, sind uns dann ganz nah. Aus seiner all-präsenten Dimension heraus kann Gott uns Zeichen und Winke geben, uns anrufen und locken, uns ergreifen und erfüllen, und - eben auch uns im Tod »lebendig machen durch seinen Geist, der schon in uns wohnt« (Röm 8,11). Es geht also nicht um eine andere Welt hinter unserer Welt, sondern um ein erweitertes Verständnis der einen Wirklichkeit, die reicher und tiefer ist, als unsere Sinne und Wissenschaften erfassen. 33. Wie ist Auferstehung der Toten widerspruchsfrei (ohne sacrificium intellectus) zu denken? »Auf(er)stehen« ist ein Bild (neben anderen) und nicht die Sache selbst. Ein mehrdeutiges Bild, das erst durch flankierende Bilder (von Gott Aufgenommen-, Erhöht-, Verwandelt-werden) oder durch nähere Erklärung Eindeutigkeit gewinnt. (1) Manche (v.a. außerbiblische) apokalyptische Texte stellen sich vor, dass (am nahen Weltende) die ins Grab gelegten materiellen Körper wiederbelebt werden und - auf eine erneuerte Erde - auferstehen (so wohl auch Dan 12,1-4); dagegen denken 2Makk 7 und jüdische Gebete (Achtzehn-, Morgen-, Friedhofsgebet) ent-apokalyptisiert an eine Auferstehung in den Himmel, in die Dimension Gottes hinein. Die Sadduzäer haben nach Mk 12,18-27 Auferstehung der Toten eher apokalyptisch als Wiederherstellung von Verhältnissen vor dem Tod verstanden und eine so (miss-)verstandene Auferstehung wegen der absurden Konsequenzen mit Recht als undenkbar abgelehnt. Jesus hingegen versteht Auferstehung anders: »Wenn sie aus Toten auferstehen, heiraten sie nicht mehr, sondern sind wie Engel in den Himmeln« (Mk 12,24f.), also in einer ganz anderen Seinsweise in der Dimension Gottes, verwandelt. Explizit spricht Paulus davon, dass wir im Tod »verwandelt werden« (1Kor 15,51f.; Phil 3,21; 2Kor 3,18); er denkt Auferweckung förmlich als Verwandlung. Dieses neutestamentliche Auferstehungsverständnis ist gegenüber apokalyptischen Vorstellungen präzisiert von der Ostererfahrung und dem Glauben an die Auferstehung und Erhöhung Jesu zu Gott her. Entsprechend geht es bei der Auferstehung der Toten nicht darum, dass irgendwann (am nahen oder fernen Ende der Zeiten) die ins Grab gelegten materiellen Körper wiederbelebt und mit ihren platonisch gedachten Seelen wiedervereinigt werden. Nicht Wiederherstellung früherer Verhältnisse ist gemeint, sondern der Übergang und Eintritt in eine ganz andere Dimension, in ein radikal andersartiges, unzerstörbares Leben der verstorbenen Person in und aus Gott. Auferstehung besagt also nicht Verlängerung oder Wiederherstellung (Restitution) irgendeines früheren Zustandes der Person, sondern ihre Verwandlung (Transformation) zu ihrer vollen Identität, zur Erfüllung ihres unerfüllten Wesens, in der Gemeinschaft mit Christus und mit allen. Wie aber soll Identität der Person durch den Bruch des Todes hindurch widerspruchsfrei denkbar sein? Würde Auferstehung als Restitution eines früheren Zustandes verstanden, so wäre 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 53 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 54 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Kontroverse eine Identität der Person nicht widerspruchsfrei denkbar, sie würde zum inkonsistenten abstrusen Mirakel. Die einzige konsistente Denk-Möglichkeit besteht darin, Auferstehung als durch Gott bewirkte Transformation, und zwar im Augenblick des Todes (vgl. Lk 23,43; Phil 1,23), und Gott als den - nicht okkasionell intervenierenden, sondern - schon immer präsenten tragenden Grund der Kontinuität zu denken: Gott ist es, der die Person im Moment ihres Todes nicht ins Nichts fallen lässt, sondern unterfängt, »festhält« (Ps 63,9) und verwandelt, sie also mit dem neuen Leben beschenkt. (2) Was aber bedeutet dann »leibliche« Auferstehung? In welchem Verhältnis stehen irdische Leiblichkeit und dann Auferstehungs-Leiblichkeit zum materiellen Körper und zum materiellenergetischen Kosmos? Einige tastende Überlegungen. »Leib« und (materiell-physischer) Körper sind nicht dasselbe. Phänomenologisch ist der Leib des Anderen dasjenige, was wir in der ursprünglichen Lebenseinstellung erfahren: Er »ist schon mehr als ein materielles Ding«, »hat schon eine zum Seelischen gehörige Schicht« (Husserl), ist voller Bedeutung: Selbstausdruck der Person, ihre Exteriorität, Passibilität und Affizierbarkeit (Levinas), Medium ihrer Aktionsfähigkeit und Kommunikation; erst wenn wir von dieser ursprünglichen bedeutungsvollen Ganzheit absehen, erhalten wir den bloß materiellen Körper, ein Abstraktionsprodukt. Ähnlich ist für die Bibel Leib nicht ein Teil des Menschen (der bloße Körper), sondern der Mensch als ganze Person, aber unter einer bestimmten Hinsicht betrachtet, nämlich in seiner Verflochtenheit und Kommunikation mit den anderen Menschen und Geschöpfen, also seinem interaktiven Bezogensein, seinem Gemeinschafts- und Erdbezug. Leibhaftige Auferstehung als Verwandlung besagt dann, dass die unverwechselbar selbe Person mit den zu ihr gehörenden Beziehungen von Gott gerettet wird, aber nicht nur so, wie sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihres irdischen Daseins war (z.B. in verkrüppeltem Körper-Leib oder mit kaputten Beziehungen), vielmehr ganz-geworden, geheilt, geläutert, vollendet. Dieser Mensch höchstpersönlich wird geheilt und vollendet: mit seinen - gelebten und verweigerten, geglückten und gescheiterten - Beziehungen, mit seinen uneingeholten oder ihm vorenthaltenen Möglichkeiten, also so, wie er von Gott her sein könnte (und den andern gut-tut) und wie er im Tiefsten vielleicht zu sein sich sehnt. Im Judentum der Zeit Jesu gibt es neben der volkstümlich naiven Vorstellung von Auferstehen aus dem Grab mindestens ebenso viele Belege für die Annahme eines Zugleich von in der Erde ruhendem Leichnam und auferwecktem leibhaftigem Leben bei Gott, so dass Auferstehung mit dem im Grab liegenden Leichnam nichts zu tun haben muss (Jub 23,31; äthHen 102-104; Ps 73,23- 26; 49,16; 63,4.9 und jüdische Gebete; Weish 3,1-9; 4,7-13; 5,1-16; 2Makk 7,22.28f.; 4Makk 5,37; 7,19; 13,17; 16,25; 18,23; u.a.). Das bedeutet: Der Leib der Auferstehung beinhaltet biblisch immer die Identität der Person samt ihren Bezügen zu Gemeinschaft, Erde, Welt, nicht immer jedoch eine materielle Identität mit dem begrabenen oder vernichteten Körper. Auch Jesus (nach Mk 12,24f.) und Paulus (1Kor 15,35-44) denken an ein völlig neues »leibhaftiges«, d.h. an ein personal identisches, gemeinschafts- und weltbezogenes Leben der auferweckten Toten, das mit der begrabenen Leiche nicht direkt etwas zu tun hat: das verwesliche »Fleisch und Blut kann die Unverweslichkeit nicht erben« (1Kor 15,50b); »gesät wird ein verweslicher, natürlicher Leib, auferweckt ein unverweslicher, pneumatischer Leib« 7 (1Kor 15,42.44), und zwar von dem Gott, der uns in allem, auch im Moment des Todes, ko-präsent ist (Röm 8,11). Zur Identität des neuen Lebens der Person (also zum Auferstehungsleib) gehört gewiss auch der Bezug zur Materie (zur Körperlichkeit), indes nicht lediglich der Bezug zu den Materie-Elementen, die zufällig im Moment des Todes Substrat des irdischen Leibes waren, und zu dem begrenzten Körper, der ins »Leibhaftige Auferstehung als Verwandlung besagt dann, dass die unverwechselbar selbe Person mit den zu ihr gehörenden Beziehungen von Gott gerettet wird, aber nicht nur so, wie sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihres irdischen Daseins war [...], vielmehr ganz-geworden, geheilt, geläutert, vollendet.« 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 54 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 55 Hans H. Kessler Wie Auferstehung der Toten denken? Grab gelegt wurde. Im Tod und in der Auferstehung bricht der Bezug der Person zu Materie, Körperlichkeit, materiellem Kosmos (und zur Zeit) nicht ab, aber er wird ein anderer als jetzt; auch er wird verwandelt. Karl Rahner hat das einmal so gesagt: In Tod und Auferstehung wird die Person »nicht a-kosmisch, sondern all-kosmisch«; nicht dass sie sich ins Grenzenlose verlöre, aber sie öffnet sich zu grenzenlos allen anderen und allen Geschöpfen hin. Aus der Dimension Gottes heraus ist der auferweckte Christus und sind die in Gott geborgenen Verstorbenen uns, die wir noch in der gestreckten, ablaufenden Zeit leben, beziehungsvoll gegenwärtig. Die Rede von der Leibhaftigkeit der Auferstehung hält somit ein Doppeltes fest: dass die von Gott auferweckte und in sein Leben geborgene Person sie selbst (identisch) bleibt und vollends wird, und dass der Bezug der Person zu den anderen und zum materiellen Kosmos nicht abbricht, sondern durch die verwandelnde Kraft des Geistes und der Liebe Gottes geheilt, entgrenzt und so vollendet wird. Gott macht aus unseren Lebensbruchstücken - mit unserer vollen Einwilligung - ein Ganzes. 44.. Auferstehung als Prozess der Wandlung Das NT spricht von Auferstehung nicht nur im Tod, sondern auch längst vor dem Tod: von Auferstehen »mitten am Tag« (Marie-Luise Kaschnitz). Es ist voller Aufsteh-Geschichten (Mk 1,31; 2,11; 5,41 u.a.). Es geht ihm nicht nur um ein Leben nach dem Tod, es geht zuerst und vordringlich um die Ermöglichung eines menschlicheren, gerechteren, volleren Lebens vor dem Tod. Dass Jesus von Gott auferweckt ist, besagt ja auch, dass er mit seiner Praxis in Kraft gesetzt ist. Deswegen einerseits die Heilungs-, Aufrichtungs-, Befreiungsgeschichten, in denen am Boden liegende Menschen sich wieder erheben, aufatmen, ihres Lebens wieder froh werden können, weil sie sich in ihrer Würde geachtet sehen und ihnen jemand beim Aufstehen hilft. Deswegen wird andererseits die Metaphorik des Aufstehens und Auflebens auch für die Umkehr verwandt, für das Aufwachen und Auferstehen des Sünders aus dem Totsein mitten im Leben (Lk 15,24.32: »dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden«), für das Aufstehen derer, die den Exodus der Liebe hin zu den Anderen wagen (1 Joh 3,14: »wir sind vom Tod zum Leben hinübergegangen, wenn wir die andern lieben«). Das NT und die große christliche Tradition verstehen die Auferstehung als einen Prozess der Wandlung, der mit dem Christwerden, der Taufe, (einem Sterben des alten und Aufstehen eines neuen Menschen 8 ) beginnt, der das ganze Leben durchzieht (Luther: »täglich unter die Taufe kriechen«), und der dann den Tod bzw. die Auferstehung und die Vollendung in einer universalen communio mit umfasst. Seit Augustinus werden häufig »duae resurrectiones« 9 unterschieden: zum einen die tägliche Auferstehung aus dem Tod der Sünde (des In-sich-verkrümmt- und Abgeschnittenseins vom Lebensgrund Gott und von den Andern), zum andern die zukünftige Auferstehung aus dem physischen Tod. Die Auferstehungssprache bringt so zum Ausdruck, dass das neue, befreiende Leben von Gott her (das ewige Leben) bereits mitten im alten, falschen Leben anwesend und wirksam sein will. Statt von Auferstehung kann man auch von geschenkter Unsterblichkeit sprechen. So kann Luther einmal sehr schön sagen: »Mit wem Gott ein Gespräch angefangen hat, es sei in Zorn oder in Gnade, derselbe ist gewisslich unsterblich. ... Wir sind solche Kreaturen, mit denen Gott bis in Ewigkeit und unsterblicherweise reden wollte.« 10 l Anmerkungen 1 Zum Ganzen vgl. H. Kessler, Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Die Auferstehung Jesu Christi in biblischer, fundamentaltheologischer und systematischer Sicht. Erweiterte Neuausgabe, Würzburg 1995 (= Topos plus Taschenbuch, 2002); ders., Jenseits von Fundamentalismus und Rationalismus. Versuch über Auferstehung Jesu und Auferstehung der Toten, in: ders. (Hg.), Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften, Darmstadt 2004, 296-322. Kurz: ders., Auferstehung Christi II. und III., in: LThK 3 I (1993), 1182-1190; ders., Wie Auferstehung denken? , in: Christ in der Gegenwart 58 (2006) Nr. 16, 125-126. - Ich freue mich über die große sachliche Übereinstimmung mit S. Alkier, Die Realität der Auferstehung, in: G. Linde u.a. (Hg.), Theologie zwischen Pragmatismus und Existenzdenken. Festschrift für Hermann Deuser (MThs 90), Marburg 2006, 339-360. 2 G. Marcel, Geheimnis des Seins, Wien 1952, 472. 3 Der sich selbst als »religiös unmusikalisch« bezeichnende J. Habermas, Glauben und Wissen, Frankfurt a.M. 2001, 24f., weist auf unerledigte Fragen hin, darunter diese: Es »beunruhigt uns die Irreversibilität 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 55 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 56 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Kontroverse vergangenen Leidens - jenes Unrecht an den unschuldig Misshandelten, Entwürdigten und Ermordeten, das über jedes Maß menschlicher Wiedergutmachung hinausgeht«. Und dann fügt er, der Nichtgläubige, den bemerkenswerten Satz hinzu: »Die verlorene Hoffnung auf Resurrektion hinterlässt eine spürbare Leere.« Die eigene Ohnmacht dementiere nicht das Verlangen, »am Unabänderlichen doch noch etwas zu ändern«. 4 Augustinus, Confessiones 1,1: »Du hast uns auf dich hin erschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es seine Erfüllung findet in dir« - und zwar nicht erst im Tod, sondern schon jetzt vor dem Tod, und im Tod dann vollends und unzerstörbar. 5 G.F.W. Hegel, Phänomenologie des Geistes, hrsg. v. J. Hoffmeister, Hamburg 6 1952, 29 (Vorrede). 6 So hat L. Wittgenstein, Schriften I, Frankfurt a.M. 1960, 166f., notiert. 7 Pneumatischer Leib: der neue Leib (m.a.W.: die Person selbst in ihrem Bezogensein) wird ganz vom Pneuma Gottes durchseelt, daher ganz zur Agape befreit, grenzenlos liebesfähig (1Kor 15,44a; 2Kor 3,18; Phil 3,21). 8 In Anlehnung an Th.W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, Frankfurt a.M. 1964, 17, könnte man sagen: »Nichts Natürliches geht unverwandelt durch den Tod hindurch in die Erlösung.« Die ganze Schöpfung ist auf Erlösung hin, und das geht nicht ohne Verwandlung, ohne Untergang des Alten und Aufgang des ganz Neuen. 9 Augustinus, De civitate Dei 22,6,2; Thomas von Aquin, Summa Theologiae III 56,1 und 2; u.a. 10 Martin Luther, WA 43, 481. Claudia Resch Trost im Angesicht Trost im Angesicht Trost im Angesicht Trost im Angesicht Trost im Angesicht des Todes des Todes des Todes des Todes des Todes Frühe reformatorische Anleitungen zur Seelsorge an Kranken und Sterbenden Pietas Liturgica Studia, Band 15 2006, 255 Seiten, [D] 78,00/ SFr 131,00 ISBN 978-3-7720-8191-0 Der Weg zum „seligen Ende“ führte im Spätmittelalter über die gewissenhafte Vorbereitung auf den Tod. Theologen sahen es daher als Notwendigkeit an, all jene Menschen zu unterweisen, die Kranke besuchten beziehungsweise Sterbende begleiteten. Warum die Reformatoren die spätmittelalterlichen Ars moriendi- Schriften verwarfen und eigene Anleitungen zur Sterbeseelsorge formulierten, wird in vorliegender Publikation anhand einer formalen und inhaltlichen Analyse von 20 ausgewählten „Kranken- und Sterbetrostbüchlein“ eingehend dargestellt. Diese bislang kaum beachteten Beispieltexte geben über die von den Reformatoren erwünschte pastorale Trostpraxis Auskunft und gewähren Einblicke in die Krankenstube des 16. Jahrhunderts. Narr Francke Attempto Verla Narr Francke Attempto Verla Narr Francke Attempto Verla Narr Francke Attempto Verla Narr Francke Attempto Verlag gg gg · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Pietas Liturgica Studia Pietas Liturgica Studia Pietas Liturgica Studia Pietas Liturgica Studia Pietas Liturgica Studia Anne-Madeleine Plum Adoratio Crucis in Adoratio Crucis in Adoratio Crucis in Adoratio Crucis in Adoratio Crucis in Ritus und Gesang Ritus und Gesang Ritus und Gesang Ritus und Gesang Ritus und Gesang Die Verehrung des Kreuzes in liturgischer Feier und in zehn exemplarischen Passionsliedern Pietas Liturgica Studia, Band 17 2006, 448 Seiten, [D] 78,00/ SFr 131,00 ISBN 978-3-7720-8194-1 Jedes Jahr am Karfreitag stellt sich die Frage: Wie wird die Feier gestaltet, wie das Kreuz verehrt, welche Lieder werden gesungen? Aber auch die gesellschaftliche Diskussion über das Kreuz steht im Raum: Warum verehren Christen das Kreuz? Am Beispiel der Zentren Jerusalem, Rom, Konstantinopel wird aufgezeigt, wie die Kreuzverehrung im Lauf der Jahrhunderte liturgische Gestalt gewinnt. Nicht nur die Kreuzverehrung im Rahmen der Karfreitagsliturgie, auch Kreuzweg, Grablegung und andere Formen der Verehrung des Mysterium Crucis werden dargestellt. Am Beispiel von zehn Passionsliedern wird im 2. Teil aufgezeigt, wie die Botschaft des Kreuzes im Lied zur Sprache kommt. 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 56 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100%
