eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 10/19

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2007
1019 Dronsch Strecker Vogel

Dale C. Allison - Resurrecting Jesus. The Earliest Christian Tradition and Its Interpreters. t&t clark, New York / London 2005, 404 S., ISBN 0567029107, 30,90 €

61
2007
Stefan Alkier
znt10190077
ZNT 19 (10. Jg. 2007) 77 Dale C. Allison RReessuurrrreeccttiinngg JJeessuuss.. TThhee EEaarrlliieesstt CChhrriissttiiaann TTrraaddiittiioonn aanndd IIttss IInntteerrpprreetteerrss t&t clark, New York / London 2005, 404 S., ISBN 0567029107, 30,90 € Dale C. Allison ist Erret M. Grable Professor of New Testament Exegesis and Early Christianity am Pittsburgh Theological Seminary, USA. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Frage nach dem historischen Jesus, den er als »Millenarian Prophet« interpretiert, wie es der Untertitel seiner Monographie »Jesus of Nazareth« (1998) anzeigt. Den größten internationalen Bekanntheitsgrad seiner Schriften dürften allerdings die gemeinsam mit W.D. Davies besorgten drei Kommentarbände zum Matthäusevangelium erreicht haben, die in der renommierten Reihe ICC zwischen 1988 und 1997 erschienen sind. Allison weiß sich mit seinem historisch-kritischen Ansatz der deutschsprachigen Exegesetradition verpflichtet. Die Arbeiten von Albert Schweitzer, Johannes Weiß und besonders die von Joachim Jeremias sowie der geschichtstheologische Ansatz Wolfhart Pannenbergs haben ihn nachhaltig geprägt. Insbesondere in der konsequenten eschatologischen Interpretation Jesu von Nazareth weiß er sich nach wie vor mit ihnen grundsätzlich einig. Dennoch ist er ein höchst eigenständiger Vertreter historischer Kritik, ein Forscher ohne Schere im Kopf, dessen Scharfsinnigkeit besticht und dessen Einfälle durchaus überraschen können. Die sechs Essays, die er in dem Buch »Resurrecting Jesus« zusammengestellt hat, sind nicht nur informativ und geistreich, sondern auch noch in bester Wissenschaftsprosa abgefasst und auf bildende Art und Weise unterhaltsam. Die autobiographischen Einwürfe, die Allison hier macht, stehen vornehmlich im Dienst seiner fachgeschichtlichen, hermeneutischen, metaphysischen, theologischen und wissenschaftstheoretischen Reflexionen historisch-kritischer Arbeit. Es sind nicht zuletzt diese Reflexionen, die bei aller historischen, philologischen und bibliographischen Gelehrsamkeit des Autors sein Buch äußerst lesenswert machen, auch wenn man seine Positionen nicht (alle) teilt. Die Sammlung eröffnet der Essay »Secularizing Jesus« (1-26), mit dem er vehement der üblich gewordenen dreiteiligen Epochisierung der historischen Jesusforschung (First Quest, New Quest, Third Quest) widerspricht. Er weist insbesondere nach, dass die implizierten »No Quest« Zeiten dieses Schemas einer wissenschaftsgeschichtlichen Prüfung nicht standhalten. Er schlägt vor, die irreführende diachrone Periodisierung zugunsten einer synchronen Typisierung von grundlegenden Ansätzen der Interpretation des historischen Jesus (z.B. jüdischer eschatologischer Prophet, Kyniker, Vorläufer christlicher Orthodoxie, liberaler Sozialreformer etc., vgl. 18) aufzugeben. Der zweite Essay, »The problem of audience« (27-55), entwickelt die These, dass manche widersprüchlichen Aussagen der in den Evangelien dargestellten Lehre Jesu nicht literarkritisch und redaktionell aufzulösen seien, sondern diese Widersprüchlichkeit der historischen Kommunikationssituation, genauer, dem Wechsel der Zuhörerschaft Jesu geschuldet sei, und damit auf den historischen Jesus selbst zurückgehen könnte: »Jesus said different things to different people« (41). So schwierig die Zuschreibung im Einzelnen auch sei, da wir die originalen Kommunikationssituationen kaum rekonstruieren können, so warnt diese Einsicht jedoch davor, mit Hilfe von literar- und redaktionsgeschichtlichen Hypothesen eine von jeglichen Widersprüchen gereinigte »Lehre Jesu« bzw. einen widerspruchsfreien »Jesus« zu konstruieren. Der dritte Essay »The problem of Gehenna« (56-110) tritt in einem ersten Argumentationsgang (56-90) der Auffassung entgegen, der historische Jesus habe keine eschatologischen Strafen gekannt und nichts über die Hölle gesagt: »Maybe a Jesus who says nothing about hell is the artefact of interested historians who themselves have nothing to say about hell, or at least nothing good to say.« (58). Schon die Berücksichtigung der jüdischen Tradition und ihrer Heiligen Schriften, in der der historische Jesus verankert war, spräche dafür, dass die Gehenna und eschatologische Strafen dem Juden Jesus eine Selbstverständlichkeit gewesen seien. Zudem taucht das Thema des Endgerichts in zahlreichen verschiedenen Gattungen in den neutestamentlichen Evangelien auf. Dabei hält Allison es zwar in den meisten Fällen nicht für möglich, einzelne Jesusworte als authentisch zu erweisen. Daraus zieht er aber nicht etwa einen pessimistischen Schluss. Im Gegenteil deklariert er die überwiegende Mehrheit der Jesusworte der synoptischen Evangelien als »possibly authentic« (76), womit er zugleich die notwendige kritische Vorsicht des Historikers als auch sein Vertrauen zur synoptischen Evangelienüberlieferung zum Ausdruck bringt. Insbesondere Mk 9,43-48 führt er als authentischen Beleg für seine These an, Jesus habe als apokalyptischer Endzeitprophet mit dem Endgericht und dessen Strafen in absehbarer Zukunft gerechnet (vgl. 77). Allerdings werde die Gehenna bzw. werden die eschatologischen Strafen niemals selbständiges Thema des historischen Jesus, vielmehr gehörten sie zum Gesamtsetting seiner apokalyptischen Prophetie (vgl. 78ff.). Die Rede von der Hölle nutze Jesus aber kaum als Drohung gegen Außenstehende, vielmehr als Warnung für die, die ihm folgen. Die Jesustradition und die Evangelisten haben bzgl. Jesu Rede vom Endgericht keine neuen Akzente gesetzt (vgl. 82). Buchreport 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 77 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 78 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Buchreport Auf den verbleibenden zwanzig Seiten des Essays geht Allison der Frage nach, ob und inwiefern Jesu Rede von der Hölle bzw. vom Endgericht auch für heutige Menschen relevant sein könnte, nachdem durch die Aufklärung klar geworden ist, dass es sich bei der Hölle um einen mythischen Ort handelt. Allison zufolge verweist die mythologische Rede von der Hölle auf die Verantwortung für unsere Taten. Aber auch der Begriff des Himmels als Gegenbegriff zur Hölle sei mythologische Redeweise. Allisons Interpretation dieser mythologischen Vorstellungen führt ihn aber nicht zu einer philosophischen, säkularisierten Deutung. Vielmehr begreift er Himmel und Hölle als bildliche Sprache für die ansonsten unsagbare Realität eines Lebens nach dem Tod, das die Taten vor dem Tod durchaus nicht ignoriert. Allison rechnet damit, dass Mutter Theresa und Stalin verschiedene Leben nach ihrem Tod haben und diese Verschiedenheit durch ihre irdischen Taten bedingt sei (vgl. 99). Spätestens an dieser Stelle des Buches zeigt sich, dass Allisons Denken sich über die historische Argumentation hinausbewegt. Der Essay schließt mit einem Exkurs 1 »Percy Bysshe Shelley and the Historical Jesus«, in dem er insbesondere Shelleys Essay »On Christianity«, geschrieben um 1817, veröffentlicht nach 1859, der Jesusforschung zur Kenntnisnahme anempfiehlt. Der vierte Essay trägt den Titel »Apocalyptic, Polemic, Apologetics« (111-148). Zunächst werden theologiegeschichtlich die Positionen erinnert, die Jesu Predigt von der apokalyptischen Endzeiterwartung her verstehen, danach die Positionen, die genau das ablehnen. Obwohl Allison keinen Zweifel daran lässt, dass er sich zur ersten Rubrik rechnet, warnt er überzeugend vor Simplifizierungen, denn gerade das Gesamtbild sei von der Konstruktion der Historikerin bzw. des Historikers abhängig und dieses wiederum bestimme die Interpretation und Verortung der ermittelten Daten. Allison zeichnet sodann autobiographisch nach, wie er zu seiner Überzeugung gekommen ist, Jesus als jüdischen Propheten der Endzeit zu begreifen. Die apokalyptische Prophetie bestimme zwar Jesu Auftreten im Ganzen, das heiße aber nicht, dass er ausschließlich eschatologisches Gedankengut verbreitet habe. Der fünfte Essay, »Torah, Urzeit, Endzeit« (149-197) geht der Frage nach Jesu Stellung zum Gesetz nach. Allison vertritt die These, dass auch Jesu Verhältnis zum Gesetz von seiner Überzeugung bestimmt war, in der Krisenzeit zu leben, die unmittelbar vor dem Ende der Welt und dem Kommen des Reiches Gottes stehe. Diese eschatologische Vision veränderte auch die Torah selbst, denn nicht mehr sie allein, sondern mehr noch die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Gottesreiches habe das Denken und Handeln zu bestimmen. Daraus erklären sich Allison zufolge auch die unterschiedlichen Aussagen zum Gesetz in den synoptischen Evangelien. Die Endzeit, die als Wiederherstellung der paradiesischen Urzeit zu denken sei, setze manche gesetzlichen Bestimmungen außer Kraft und zwar in der jüdischen Logik, dass ein gewichtiger Imperativ einem weniger gewichtigen Imperativ im Konfliktfall vorzuziehen sei. Jesus sei also ein konservativer Bekenner der Torah gewesen, der sie aufgrund seiner radikalen eschatologischen Vision im Konfliktfall aber auch als zweitwichtig einstufen konnte: »the radical Jesus seems to be the real Jesus« (176). Der sechste und mit Abstand mit seinem monographischen Ausmaß ausführlichste Essay gab dem Buch seinen Namen: »Resurrecting Jesus« (198-375). Diese Abhandlung versucht mit den Mitteln historischer Kritik und Hermeneutik die Frage zu klären, was es bedeutet, wenn man sagt, Jesus sei von den Toten auferstanden. Allison beantwortet diese Frage zunächst theologiebzw. forschungsgeschichtlich durch den Versuch einer Strukturierung der Interpretationen der Auferweckung Jesu in sieben Rubriken: 1. »Orthodox belief« (201) rechnet mit einem nach Ostern prinzipiell empirisch überprüfbaren leeren Grab und hält die in den Evangelien und in 1Kor 15 erzählten Erscheinungen des Auferweckten für objektive Visionen. Als bedeutenden neueren Vertreter dieser Richtung nennt er N.T. Wright, der 2003 eine 800 Seiten schwere Monographie zum Thema vorgelegt hat (vgl. dazu Hays/ Kirk in diesem Heft). 2. »Misinterpretation« (201) rechnet mit einem leeren Grab, das aber fälschlicherweise für das Grab Jesu gehalten wurde. Aus dieser Fehlinterpretation wuchs der Glaube an die Auferweckung Jesu. 3. »Hallucinations« (204) geht davon aus, dass Jesu Anhänger, insbesondere der von Schuldgefühlen wegen seiner Verleugnung Jesu geplagte Petrus, den Tod Jesu nicht wahrhaben wollte(n) und sich deshalb einbildete(n), ihn lebend gesehen zu haben. Als Vertreter nennt Allison Celsus, David Friedrich Strauß und Gerd Lüdemann. 4. »Deliberate deception« (207) meint die Betrugsthese etwa von H.S. Reimarus, die Jünger hätten den Leichnam Jesu gestohlen, um auf dem Betrug der Auferweckung die Kirche aufzubauen, die ihnen materielle Vorteile bringen sollte. 5. »Genuine Visions« (208) rechnet mit der Objektivität der Jesuserscheinungen des immateriell in das Leben Gottes eingegangenen Jesus von Nazareth, während sein toter Körper den irdischen Gesetzen der Verwesung gehorchte. 6. »Belief in God’s vindication« (209) lässt den Auferweckungsglauben aus der Überzeugung der Anhänger des getöteten Jesus von Nazareth entstehen, Gott habe seinen Propheten gerechtfertigt, indem er ihn erhöht habe. Das Grab war demnach voll und die Visionserscheinungen sind Legende. Als wichtige Vertreter nennt Allison Klaus Berger und Rudolf Pesch. 7. »Rapid disintegration of the body plus visions« steht stellvertretend für abenteuerliche Hypothesen, die Allison als »idiosynkratisch« bezeichnet. »Rapid Disintegration« meint, Gott habe die Verwesung Jesu so sehr beschleunigt, dass nach drei Tagen nichts mehr von ihm übrig war - mit Allison: kein Kommentar. Bevor Allison nun zur eigenen historisch-kritischen Untersuchung voranschreitet, stellt er einen Abschnitt ein, den er »Confession« nennt und dem dann ein Abschnitt folgt, der »Doubts« überschrieben ist. Allisons’ Begründung für die Notwendigkeit des Abschnittes »Confession« besteht darin, dass die eigenen religiösen Vorurteile auch eine historisch-kritische Untersuchung maßgeblich und unhintergehbar mitbestimmen. Inhaltlich legt er seinen Wunsch nach der Realität eines liebenden Gottes offen, der die Macht zur Auferweckung Toter besitzt. Zudem aber zeigt sich Allison davon überzeugt, dass auch die eschatologisch bestimmte Lehre Jesu ohne seine Auferweckung in der Luft hinge und erheblich an Überzeugungskraft und Plausibilität verlöre. Ferner sei 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 78 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 19 (10. Jg. 2007) 79 Buchreport das Bekenntnis zur Auferweckung und Transformation des Leichnams Jesu ein Bekenntnis zur liebevollen Anerkenntnis der materiellen Schöpfung in Gen 1. Und schließlich sei Jesu Auferweckung das Nein zum Tod: »and I want to deny death, or at least its finality« (219). Ergibt sich das Ja zum literalen Verständnis der Auferweckung Jesu aus Allisons religiösem Bekenntnis, so resultieren seine »Doubts« nicht etwa aus den Implikationen und Konsequenzen der Aufklärung verpflichteter historisch-kritischer Wissenschaft, sondern aus den absurden Konsequenzen antiker jüdischer und christlicher biologistischer Ausschmückungen der eschatologischen Auferweckung der Toten. Hier kann und will Allison nicht folgen. Das eigentliche theologische Problem sieht er aber in der Diskontinuität zwischen der leiblichen Auferweckung Jesu und der nicht leiblichen aller ihm folgenden Auferweckten (vgl. 222). Allison hält es auch für unmöglich, dass Gott alle Toten leibhaftig auferweckt, denn wie solle das etwa im Falle verbrannter Leiber zu denken sein, deren Asche verstreut wurde und sich mit anderen materiellen Substanzen zusammengefügt hat (vgl. 222). Deshalb bekennt er sich zum Glauben an eine immaterielle pneumatische Seinsweise der Auferweckten, die er in 1Kor 15 zu finden meint (vgl. 225). Die historisch-kritische Untersuchung beginnt mit einer Sichtung der formgeschichtlich ermittelten Bekenntnisformeln des frühen Christentums: Die Wendung »Gott hat auferweckt Jesus / Christus / ihn von den Toten« stehe am Anfang der Entwicklung hin zu christologisch und soteriologisch komplexeren Formeln (vgl. 229ff.). Aber gerade diese einfachste Formel mache deutlich, dass die Interpretation der Auferweckung stets an die Erinnerung des Auferweckten gebunden sei, worauf Allison später noch deutlicher zu sprechen kommt. Erst die Erinnerung an Jesu Lehre und Leben lässt es wünschenswert erscheinen, dass genau dieser Jesus auferweckt wurde. Ein bloßes »Dass« der Auferweckung ergibt keinen Sinn, was Allison an folgender Formulierung verdeutlicht: »God raised Fred from the dead […] Who the heck is Fred? « (375) Die eruierten Formeln tragen ihre Bedeutung nicht in sich, sondern erhalten sie nur im Kontext der narrativen Erinnerung an den vorösterlichen Jesus. Auch die in 1Kor 15,3-8 aufgeführten Schauungen des Auferweckten versteht Allison als »summary of traditional narratives« (235). Aus dem strukturellen Vergleich der in 1Kor 15,1-8 berichteten Ereignisse vom Tod Jesu bis zu den Erscheinungen des Auferstandenen mit den vier kanonischen Evangelien zieht Allison den Schluß, dass trotz der markanten Unterschiede Paulus und die Evangelien eine weitestgehende syntagmatische Übereinstimmung in der Ereignisfolge zeigen: Tod, Begräbnis, Auferweckung am dritten Tag; Erscheinung vor Individuen, Erscheinungen vor elf oder zwölf Jüngern bzw. Aposteln (vgl. 239). Sodann widmet sich Allison der Untersuchung und Interpretation der in den Evangelien erzählten Erscheinungen des Auferweckten (239-269). Er kommt dabei zu dem negativen Ergebnis, dass die Werkzeuge historischer Kritik es nicht erlauben zu bestimmen, wie weit die einzelnen Erzählungen authentische Erinnerung bewahren. Über das auch in 1 Kor 15,3-8 Berichtete hinaus lässt sich historisch nichts sagen. Schon gar nicht sei es möglich, die »Gefühle« und »Emotionen« der ersten Christen zu untersuchen, wie es Gerd Lüdemann forderte (vgl. 268). Allison hält dann aber auch als positives Ergebnis der Untersuchung zwei »facts« fest: 1. Verschiedene Leute berichteten Christophanien 2. Jesus erschien mehrmals mehr als einer Person gleichzeitig (vgl. 269). Im folgenden Abschnitt, der mit »Seeing Things« überschrieben ist (269-299), versucht Allison, diese beiden Fakten mittels einer Analogie zu erklären: Berichte von Erscheinungen Verstorbener. Hatte Gerd Lüdemann mit Hilfe dieser Analogiebildung die Überzeugung des von Schuldgefühlen geplagten Petrus, den auferweckten Jesus gesehen zu haben, psychologisierend als Selbsttäuschung zu entlarven versucht, so benutzt Allison sie ganz anders. Allison geht nämlich von einem tatsächlichen Kontakt Toter zu Lebenden aus und unterstreicht seine Auffassung nicht nur mit der Anführung seriöser empirischer Untersuchungen zu solchen Erscheinungsberichten, sondern - in Analogie zur Rhetorik des Paulus (! ) - mit einem autobiographischen Argument. Nicht nur ihm selbst, sondern auch anderen Mitgliedern seiner Familie seien Tote erschienen (vgl. 275ff.). Es handele sich um »a regular part of cross-cultural-experience« Unsere gegenwärtigen kulturellen Vorurteile, die den Kontakt zwischen Toten und Lebenden verleugnen bzw. in den Bereich des Aberglaubens oder der Geisteskrankheit verbannen, dürfen die Realitäten menschlicher Erfahrung nicht verleugnen (271). Auf dieser Basis geraten ihm dann die in der neutestamentlichen Literatur erzählten Erscheinungen doch noch zu authentischen Erinnerungen realer Erlebnisse. Der verstorbene Jesus sei ihnen erschienen (vgl. 288 unten). Was aber geschieht hier durch diese Analogiebildung mit dem auferweckten Gekreuzigten? Wie in allen Analogiemodellen wird ihm sein Spezifikum geraubt. Aus dem auferweckten Gekreuzigten wird ein Toter, der Kontakt zu Lebenden aufnimmt, wie Millionen und Abermillionen anderer Toter vor und nach ihm auch. Gerade die Offenheit des in Analogien denkenden Historikers Allison für andere Realitäten, die vor den kulturellen Vorurteilen zu Recht warnt, übersieht die eschatologische Einzigartigkeit und Analogielosigkeit der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth und ihre damit verbundene kosmologische Dynamik. Durch Allisons gut gemeinte Analogiebildung wird der Gekreuzigte zu einem Toten unter anderen Toten und das Ereignis der Auferweckung verliert damit seinen kosmologischen Sinn und seine soteriologische Kraft. Allisons sympathische Vorurteilslosigkeit führt wieder einmal vor Augen, wohin eine theologievergessene historische Kritik führt: in die theologische Entleerung des kosmologischen Ereigniszusammenhangs von Tod und Auferweckung Jesu von Nazareth. So grundverschieden Lüdemann und Allison auch argumentieren, so führt beide die Vernachlässigung theologischen Denkens in die subjektivistische Falle einer idiosynkratischen Metaphysik. Dies wird im weiteren Verlauf des Buches von Allison noch deutlicher. Er reflektiert die vollkommen zutreffende Einsicht, dass die Einzeldaten von dem Gesamtsetting der jeweiligen Weltsicht ausgewertet werden (vgl. 342f.). Allison zieht aber nicht wie die Theologen Deuser, Neville und Kessler in diesem Heft den Schluss daraus, dass dann eine metaphysische Debatte über die Grund- 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 79 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 80 ZNT 19 (10. Jg. 2007) Buchreport lagen der Realität bzw. des Realitätsbegriffs das Gebot der Stunde sei, um Denkweisen und Kriterien zu erarbeiten, die der Realität der religiösen Erfahrung ebenso angemessen sind wie der Realität empirischer Sachverhalte und der Realität von Bedeutungsereignissen (Semiose). Vielmehr verweist er die Wahl des jeweiligen Deuterahmens in die Beliebigkeit des Subjekts etwa nach dem Slogan: Über Weltbilder lässt sich nicht streiten (vgl. etwa 342; 347f.). Aber genau vor diese Aufgabe stellt das religiöse Empfinden und seine theologische Reflexion. Kurzum: Allisons Empirisierung der neutestamentlichen Erscheinungserzählungen mittels der Analogiebildung zu den Berichten der Erscheinungen Verstorbener missinterpretiert den auferweckten gekreuzigten Christus Jesus von Nazareth als einen zurückkehrenden Toten und übersieht die kosmologische Theo- Logik des Ereigniszusammenhangs von Tod und Auferweckung des gekreuzigten Christus Jesus. Mit großem Gewinn hingegen ist seine Diskussion zur Problematik des leeren Grabes zu lesen, die die Überschrift trägt »An opend tomb and a missing body? « (299-337). Allisons scharfsinnige Argumentation arbeitet zwei starke Argumente gegen das leere Grab und zwei von ihm als stärker bewertete Argumente für die Annahme heraus, das Grab Jesu sei leer vorgefunden worden. Obwohl Allison also zu dem Ergebnis kommt, es sei historisch wahrscheinlicher, dass das Grab leer gewesen sei, weist seine Analyse jegliche einseitige Selbstsicherheit der einen oder anderen Position in ihre Schranken und bringt auch hier die bereits erwähnte zutreffende Einsicht zur Geltung, dass letztlich die Gesamtsicht über die Interpretation der Daten entscheiden wird. Dennoch bringen einen gerade Allisons historische Erwägungen der einzelnen Daten ins Denken. Gegen das leere Grab führt er an, dass die frühen Christen nachweislich in der Lage waren, fiktionale Erzählungen zu generieren und dass eine ganze Reihe von Legenden über verschwundene Körper religionsgeschichtlich nachweisbar sind (vgl. 332). Für das leere Grab spräche hingegen: 1. dass Erscheinungen Jesu ohne die Kenntnis des leeren Grabes nicht zu der Annahme seiner Auferweckung, sondern eher seiner Entrückung bzw. Erhöhung geführt hätten und dass 2. die Entdeckung des leeren Grabes durch Maria Magdalena und die anderen Frauen eher einen nicht fiktionalen Eindruck hinterlasse (vgl. 332). Dem interessierten Leser empfehle ich aber auch die Kenntnisnahme der anderen Argumente, die Allison anführt, und ihn etwa die Grablegung durch Joseph von Arimathäa auch in den Bereich des historisch Wahrscheinlichen einordnen lässt. Allison vermeidet nun aber den Kurzschluss, von der größeren Wahrscheinlichkeit der Annahme des leeren Grabes auf die Tatsächlichkeit der Auferweckung Jesu zu schließen. Vielmehr spricht er hier von einem »dead end« (334) historischer Argumentation, denn das leere Grab sage nichts über den Grund seines Leerseins aus, wobei hier nur etwa noch einmal an die oben referierten sieben Interpretationstypen zu erinnern wäre. Der darauf folgende Abschnitt »Problems and Presuppositions« (337-344) thematisiert die bereits oben referierte Einsicht in die Bedingtheit der Interpretation der Einzeldaten durch den Gesamtzusammenhang des jeweiligen Weltbildes, ohne die Frage zu stellen, wie kritisch und diskursiv mit der Vielfalt der Weltbilder bzw. der Wirklichkeitsannahmen umgegangen werden kann. Hier bleibt Allison zu sehr in subjektiver Beliebigkeit stecken. Der Abschnitt »The most reasonable explanation« (344-350) setzt sich kritisch mit der angesichts der Komplexität der Fragestellungen und Vagheiten der historischen Untersuchungen zur Auferweckungsproblematik unangebrachten Selbstsicherheit der von N.T. Wright und vielen evangelikalen Christen vertretenen These auseinander, die neutestamentlichen Auferstehungstexte als faktische Berichte zu lesen, sei ihre vernünftigste Erklärung. Zwei Exkurse schließen das Buch ab. Der erste setzt sich mit Joseph von Arimathäa auseinander, der zweite vertieft Allisons Argumentation mit der Analogiebildung zu den Erscheinungsberichten Verstorbener. Fazit: Allison ist trotz seiner zu kritisierenden Fehlinterpretation des auferweckten Gekreuzigten als zurückgekehrten Toten ein wichtiger Beitrag zur Jesusforschung und zur Auferstehungsdebatte gelungen. Sein Buch enthält viele Informationen und birgt erhellende Untersuchungen und geistreiche Einsichten. Besonders seiner Erörterung der Frage nach dem leeren Grab sind viele Leserinnen und Leser zu wünschen. Ich stimme ihm ohne Einschränkung zu, wenn er schreibt: »we require more than history if we are to find the truth of things« (351) und »a resurrected Jesus may resist us, for he is not passive but active and so lives beyond our control« (XI). Stefan Alkier UTB Theologie UTB Theologie UTB Theologie UTB Theologie UTB Theologie Eve-Marie Becker Doris Hiller (Hg.) Handbu Handbu Handbu Handbu Handbuch Evangech Evangech Evangech Evangech Evangelische Theologi lische Theologi lische Theologi lische Theologi lische Theologie ee ee Ein enzyklopädischer Zugang 2006, 384 Seiten, €[D] 29,90/ SFr 50,50 ISBN 978-3-8252-8326-1 Eine enzyklopädisch vertiefte Einführung in Lehrbestand und Forschungsperspektiven der Hauptdisziplinen Evangelischer Theologie. Der enzyklopädische Zugang zielt neben der Darbietung fachlich-enzyklopädischen Wissens auf einen eigenen Ansatz zur Verknüpfung der Einzeldisziplinen miteinander und zum enzyklopädischen Diskurs über das Ganze der Theologie. Dischingerweg 5 D-72070 Tübingen 006207 ZNT 19 19.03.2007 8: 37 Uhr Seite 80 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100%