ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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Dronsch Strecker VogelRemembering Jesus
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James D.G. Dunn
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54 ZNT 20 (10. Jg. 2007) Ich freue mich über die Gelegenheit, mein Gespräch mit Jens Schröter fortzusetzen. Vielen Dank auch für seine freundlichen Reaktionen auf meine wissenschaftliche Arbeit und für die wertvollen Anregungen, die ich durch frühere Äußerungen und unsere bisherigen Gespräche erhalten habe. Die geschätzten Leserinnen und Leser werden verstehen, dass ich mich im vorliegenden Beitrag auf jene Punkte konzentrieren werde, an denen unsere Ansichten sich unterscheiden. Lassen Sie mich die These meines Buches »Jesus Remembered « 1 noch einmal kurz zusammenfassen: Ich beginne mit einer grundsätzlichen Wahrscheinlichkeit: 1. Die synoptische Tradition der Sendung Jesu bietet eine außergewöhnlich kohärente und konsistente Darstellung Jesu. Selbst wenn man die unterschiedliche Zusammenstellung des Materials und deren individuelle Eigentümlichkeiten berücksichtigt, so kommt man doch unweigerlich zu dem Schluss, dass der dargestellte Jesus ein und derselbe ist. 2 Zusätzlich weise ich auf die folgenden, mit hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusetzenden Grundannahmen hin: 2. Die Mission Jesu hinterließ bei seinen unmittelbaren Anhängern, sowohl was ihren Charakter als auch was die damit verbundene Lehre betrifft, einen beträchtlichen Eindruck. 3. Dieser Eindruck schlug sich mehr oder weniger von Anfang an bei seinen Schülern in Form von Geschichten über Jesus und von Lehrinhalten nieder, die sowohl vor Jesu Tod als auch nach dessen Auferstehung wesentlicher Bestandteil von deren eigener Verkündigung waren. 4. Die Menschen, die sich durch die Taufe »im Namen Jesu« der neuen religiösen Gruppierung anschlossen und (bald) die Bezeichnung »Christen« akzeptierten, wollten natürlich etwas über diesen Jesus wissen, mit dessen Namen sie bezeichnet wurden. 3 5. Ich behaupte schließlich, dass wir die Verbindung zwischen der grundsätzlichen Wahrscheinlichkeit (1.) und den obigen Grundannahmen (2.-4.) am besten in der mündlichen Verkündigung und Überlieferung von Jesu Aussprüchen und Taten erkennen können, das heißt entsprechend dem Muster von Übereinstimmung und Variation, das für die mündliche Überlieferung und deren wiederholte Performanz typisch ist. 6. Dies legt wiederum nahe, dass die synoptische Tradition, die eben diesen Charakter aufweist, diesen bereits in der Zeit der mündlichen Überlieferung, also mehr oder weniger bereits von Anfang an, annahm. Ich bin von Schröters Gegenargument nicht überzeugt, dass es keinerlei Interesse daran gegeben habe, sich an die Lehren Jesu als Lehren Jesu zu erinnern, und dass die synoptische Tradition aus Sammlungen katechetischer Lehrmaterialien hervorgegangen sei, von denen nur einige wenige (zufällig) auf Jesus selbst zurückgingen. Dies lässt viel zu wenig Raum für die oben dargelegten, mit hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusetzenden Grundannahmen (2.-4.), nämlich dass der Eindruck, den Jesus hinterließ, in der Verkündigung und der Katechese der frühen Gemeinden bewahrt und weitergegeben wurde und zwar gerade mit Hilfe des Materials bzw. als das Material, das schließlich zur synoptischen Überlieferung wurde. Anders gesagt, meiner Meinung nach ist es sehr wahrscheinlich, dass die Jesusüberlieferung (die synoptische Tradition) direkt auf Jesus selbst zurückzuführen ist, weil ihre Herkunft von Jesus Kontroverse James D.G. Dunn Remembering Jesus »...meiner Meinung nach ist es sehr wahrscheinlich, dass die Jesusüberlieferung (die synoptische Tradition) direkt auf Jesus selbst zurückzuführen ist...« 061607 ZNT 20 03.10.2007 7: 32 Uhr Seite 54 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 20 (10. Jg. 2007) 55 James D.G. Dunn Remembering Jesus und seinen ersten Jüngern bekannt war. 4 Schröter verweist auf die Anonymität der Echos (er verwendet das Wort »Analogien«) der Jesustradition bei Paulus, Jakobus usw. hin. Daraus schlussfolgert er, dass es den ersten Christen nicht darum gegangen sei, solche Lehren gerade als Lehren Jesu in Erinnerung zu behalten. 5 Doch diese Antwort weist zwei Schwachpunkte auf: (a) Trotz seiner gegenteiligen Beteuerungen scheint Schröter nach wie vor eine Unterscheidung zwischen dem nachösterlichen Christus des Glaubens und dem vorösterlichen Jesus vorauszusetzen. Darauf zu bestehen, dass Texte wie 1Kor 7,10-11 für Paulus nur als Gebote des erhöhten Herrn autoritative Verbindlichkeit genießen, schließt für mich die deutlich einleuchtendere Möglichkeit aus, dass Paulus diese Lehrsätze kannte und sie deshalb als jene Lehrsätze zitieren konnte, an die man sich als vom gegenwärtigen Herrn während seiner Zeit auf Erden mitgeteilte erinnerte. Die formalen Abweichungen, mit denen Paulus die Gebote des Herrn verkündigt, entsprechen ganz und gar der Art von Abweichungen der mündlichen Jesusüberlieferung (wie sie durch die Art der synoptischen Tradition bestätigt wird). 6 Erstaunlich ist Schröters Argument, dass Paulus in 1Kor 11,23-25 »sich auch hier nicht auf Worte des irdischen Jesus bezieht, sondern auf eine frühchristliche Überlieferung«. Diese Behauptung stützt sich auf Schröters Beobachtung, »dass die zitierte Überlieferung mit der für eine Traditionsübermittlung typischen Terminologie ›empfangen‹ (gr. paralambanein) und ›weitergeben‹ (paradidonai) eingeführt wird«, die eine frühchristliche Tradition über das Abendmahl zitiere. Dieses Argument ignoriert und lässt ohne Begründung die wahrscheinlichere Überlegung außer Acht, dass diese Tradition eben als von Jesus selbst her »empfangene« und »weitergegebene« (diese Begriffe werden für die Übertragung mündlicher Tradition benutzt) Verkündigung verstanden wurde. (b) Aus meiner Sicht liegt ein großer Schwachpunkt der Argumentation Schröters darin, dass er die Funktionsweise einer mündlichen Gemeinschaft unberücksichtigt lässt. Die Darbietungen von Überlieferung wählen in einer mündlichen Gemeinschaft in typischer Weise immer aus einem größeren, reichhaltigeren Repertoire aus und sie beinhalten Anspielungen auf vertraute Motive dieses Repertoires. Dadurch wird beabsichtigt, das Bewusstsein der Zuhörer für diese Motive anzusprechen und deren Wertschätzung für diese und ähnliche Motive anzuregen. 7 Deshalb ist keine individuelle Darbietung oder Darstellung als die umfassende oder definitive Form der Überlieferung anzusehen. Die Überlieferung ist Teil des gemeinsamen Gedächtnisses der Gemeinschaft. Es wird von den anerkannten Lehrern oder den Ältesten einer Gemeinschaft bewahrt und sogar gehütet. Als Konsequenz sollten wir die »Echos« (oder Analogien) bzw. Spuren der Jesusüberlieferung, die sich in den neutestamentlichen Briefen finden, als Anspielungen auf eine Menge von Jesusüberlieferungen ansehen, die in den frühen Gemeinden bewahrt wurden. Diese Jesusüberlieferungen Prof. emeritus Dr. James Dunn ist aufgewachsen in Glasgow. Er promovierte 1968 in Cambridge. In der Zeit von 1970-1982 war Prof. James Dunn Dozent für Neues Testament an der Universität Nottingham, bevor er Lightfoot Professor of Divinity in Durham wurde. Prof. Dunn hat über 20 Bücher verfasst - darunter: »Baptism in the Holy Spirit«, »Jesus and the Spirit«, »Unity and Diversity in the New Testament«, »Christology in the Making«, »Jesus, Paul and the Law«, »The Partings of the Ways«, »The Theology of Paul the Apostle«, »Jesus Remembered«, »The New Perspective on Paul and A New Perspective on Jesus«. Darüber hinaus hat Prof. Dunn mehrere Kommentare verfasst (zum Römerbrief, zum Galaterbriebrief, zum Kolosser- und Philemonbrief sowie zur Apostelgeschichte) und um die 200 Artikel geschrieben. Seine Schüler lehren in vielen verschiedenen Ländern. Prof. James Dunn ist verheiretat mit Meta Dunn, sie haben zusammen drei Kinder und zwei Enkelkinder. James Dunn 061607 ZNT 20 03.10.2007 7: 32 Uhr Seite 55 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 56 ZNT 20 (10. Jg. 2007) Kontroverse waren den Gemeindegliedern bereits vor und unabhängig von den Briefen bekannt, deren Autoren ihrerseits darauf anspielen konnten. Eben diese größere Menge von Jesusüberlieferungen war sehr wahrscheinlich ausdrücklich als Lehre Jesu (und Geschichten über Jesus) bekannt und sie tauchen deshalb in der synoptischen Überlieferung auf. Anders ausgedrückt: Solange wir keine Lücke zwischen dem Eindruck Jesu, den er mit seinem Leben und seiner Lehre hinterließ, und der Entstehung der synoptischen Überlieferung annehmen, ist die offensichtliche Schlussfolgerung: Die frühesten Gemeinden verfügten über ihre eigenen Jesusüberlieferungen, die der synoptischen Tradition ähnelten. Diese hatten sie von den Aposteln überliefert bekommen, auf sie konnten sich die frühesten christlichen Briefschreiber beziehen - und das taten sie auch. 8 Bei einem solchen internen Wechselspiel von Andeutungen und Querverweisen muss man nicht gesondert auf die Autorität hinter diesen Lehrinhalten hinweisen, auf die man sich bezog. Würde man das ausdrücklich tun, so verstieße man damit gegen den intern geltenden Verhaltenskodex und den davon ausgehenden Identifikationseffekt, den eine so sorgfältig gepflegte Tradition für eine Gemeinschaft besitzt und die entsprechend Folgendes voraussetzt: »Natürlich wissen wir, wer uns das gelehrt hat! Das müsst ihr uns nicht mitteilen.« Mit den alttestamentlichen Anspielungen verhält es sich ganz ähnlich: Jedem, der mit der Septuaginta vertraut war (wie Paulus von vielen seiner Adressaten offenbar annahm), musste man nicht erst sagen, dass Passagen wie 1Kor 2,16; 5,13 und 6,16 Zitate aus der Schrift sind oder 1Kor 8,6 eine Anspielung auf Dtn 6,4 ist. 9 Schröters Sicht der Dinge - und noch mehr die seiner Vorgänger, die er an dieser Stelle aufgreift -, verrät zu sehr die Verwurzelung in einer an literarischen Zeugnissen orientierten Geisteshaltung, in der das Urheberrecht eine minutiöse Kennzeichnung jedes nicht originären Gedankens erfordert. In vorliterarischen Gesellschaften ging es jedoch deutlich anders zu. Zweitens kritisiert Schröter meine These, dass wir (wenn überhaupt, dann) nur durch den »Glauben«, den Jesu Sendung bei den ersten Jüngern weckte, Zugang zu Jesus von Nazareth finden können. Ich gebe zu, ich verwende den Begriff »Glaube« in einem ziemlich weiten Sinne. Der Grund dafür liegt darin, dass ich die Grundannahmen der historischen Jesusforschung des 20. Jahrhunderts bestreite, nach denen (christlicher) Glaube erst mit dem Osterereignis begann und dieser Osterglaube spätere Historiker daran hindere, Jesus so zu sehen und zu hören, wie er in seinem vorösterlichen Wirken gesehen und gehört wurde. Deshalb benutze ich den Begriff »Glaube« für den Eindruck, den Jesus bereits vor Ostern auf seine ersten Jünger machte, eben weil ich besonders die Kontinuität zwischen der vorösterlichen Antwort der ersten Jünger sowie ihrem daraus abgeleiteten Engagement und ihrem nachösterlichen Glauben betonen möchte. Darüber hinaus kann ich in der synoptischen Tradition in ihrem typisch galiläischen Milieu und den individuellen Traditionen keine Auswirkungen des Osterglaubens ausmachen; ein Umstand, der darauf hinweist, dass ein Großteil der Jesustradition noch vor den Osterereignissen bereits seine bleibende (synoptische) Form erhalten hatte. Der Hauptpunkt der zweiten kritischen Anmerkung Schröters ist jedoch, dass dieser Eindruck, den Jesus bei seinen Jüngern hinterließ, nicht die einzige Antwort und Reaktion waren, die Jesus hervorrief. Er schreibt: »Dass Jesus ›Glauben geweckt‹ hat, ist jedoch nur eine Konsequenz seines Wirkens neben anderen (und zur Zeit seines irdischen Auftretens zweifellos nicht die am weitesten verbreitete). Historisch ebenso bedeutsam war, dass er Widerspruch und Ablehnung hervorgerufen hat«. Ich bin mir nicht sicher, ob Schröter glaubt, ich würde dies bestreiten, da ich ja gerade in meinem Buch »Jesus Remembered« deutlich hervorgehoben habe, dass es selbstverständlich völlig verschiedene Reaktionen gegenüber Jesus gab (vgl. S. 131-132). Natürlich gibt es Anzeichen dafür »dass Jesus nicht nur Akzeptanz, Sympathie oder gar ›Glauben‹ hervorgerufen, sondern auch Reaktionen ganz anderer Art ausgelöst hat - Reaktionen, die ebenfalls historisch erklärt werden müssen. Jesus nachzufolgen war also offenbar nur eine mögliche Form, »Zuerst einmal haben wir keine anderen Quellen für unser Wissen über Jesus als das Material derjenigen, die an ihn glaubten.« 061607 ZNT 20 03.10.2007 7: 32 Uhr Seite 56 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 20 (10. Jg. 2007) 57 James D.G. Dunn Remembering Jesus Kontroverse auf sein Wirken zu reagieren - und zwar eine solche, zu der die meisten seiner Zeitgenossen offensichtlich nicht bereit waren«. Dies wird von mir keinesfalls in Frage gestellt. Aber mein Ausgangspunkt ist ein ganz anderer. Zuerst einmal haben wir keine anderen Quellen für unser Wissen über Jesus als das Material derjenigen, die an ihn glaubten. Die Beispiele von Schröter zur Widerlegung meiner Ansicht stammen alle aus den Evangelien selbst und das heißt konkret aus Texten, die eben nicht unabhängig von diesen Quellen waren, die in positiver Weise auf Jesus Bezug nahmen. Abgesehen davon sind die Hinweise auf Jesus bei nichtchristlichen Autoren recht dünn gesät. Doch weiterführende Überlegungen, wie wir das Thomas-Evangelium und die anderen nichtkanonischen Evangelien bewerten müssen, würden den Rahmen dieser Debatte sprengen. Sicherlich bestätigt Thomas beides, nämlich dass sich die Jesusüberlieferung auch neben der kanonischen Entwicklungslinie ausbreitete dass diese Überlieferung sehr vielfältig war und sich unterschiedlich weiter entwickelte. Das Thomasevangelium ist in erster Linie interessant, um die Vielfalt der Überlieferung zu demonstrieren, die es auch mit den Synoptikern teilt. Es sollte jedoch nicht als Zeuge für eine von der synoptischen Tradition unabhängige Jesusüberlieferung angesehen werden. Meiner Meinung nach ist vielmehr daran festzuhalten, dass die synoptische Tradition die Hauptverbindung zu den frühesten Reaktionen auf Jesus und zu den frühesten Formen der Jesusüberlieferung bietet. Zum Zweiten halte ich folgenden Sachverhalt für ziemlich einfach und offensichtlich: Wenn wir den Jesus »finden« wollen, von dem her das Christentum letztendlich entstanden ist, dann haben wir außer den kanonischen Evangelien keinen anderen Zugang zu eben diesem Jesus. Dies war meiner Meinung nach das Hauptziel der Frage nach dem historischen Jesus: herauszufinden, was diesen Jesus ausmachte, mit dem alles anfing. Wie ich bereits gesagt habe, um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir berücksichtigen, welchen Eindruck er bei seinen ersten Jüngern hinterließ (welchen Glauben er hervorrief) und wir müssen das etwas alberne Argument bei Seite lassen, dass dieser Glaube bei einer Suche nach dem »wirklichen« Jesus außen vor gelassen werden müsse - sprich, nach einem Jesus zu fragen, der keinen Glauben hervorrief. Meiner Meinung nach werden wir mittels der synoptischen Tradition keinen anderen Jesus finden als den, der einen Eindruck hinterließ, der nach wie vor in und durch die synoptische Tradition belegt ist. Ich hege keine allzu große Hoffnung für alle jene, die einen Jesus des Pilatus oder einen Jesus des Kaiphas suchen. Und all jene, die auf der Jagd nach einem neutralen oder objektiven und von christlichen Vorurteilen befreiten Jesus sind, den wir dann für uns selber leidenschaftslos beurteilen können, halte ich für Traumtänzer. Schröters dritter Kritikpunkt ist, dass meine Darlegung zu sehr von der Apostelgeschichte abhinge, wie sein Zitat verrät: »Die Kontinuität zwischen dem irdischen Jesus und der Jerusalemer Urgemeinde, die Aufnahme des Paulus in den Kreis der Zeugen der Jesustradition sowie die Fortsetzung der Geschichte Jesu durch die Entstehung der von den Aposteln geleiteten frühen Kirche - all dies sind substantielle Elemente des lukanischen Bildes der frühchristlichen Geschichte.« Zugegebenermaßen bin ich ein wenig überrascht von dieser Kritik, da ich mir bisher einer solchen Abhängigkeit von der Apostelgeschichte nicht bewusst war. Wie eingangs angedeutet, stützt sich mein Argument auf einen direkten Zusammenhang zwischen dem dauerhaften Charakter der synoptischen Tradition und der wahrscheinlichen Annahme, dass Jesus einen Eindruck hinterließ, der unverzüglich in mündlichen Geschichten und in unterschiedlichen Versionen seiner Lehre Gestalt annahm. Es ist nicht nur die Apostelgeschichte, sondern es sind auch Paulus und Jakobus, die von Lehrern in den frühesten Gemeinden sprechen. Diese Lehrer waren vermutlich dafür zuständig, die in diesen Gemeinden vorhandene Überlieferung zu vermitteln. Und nicht nur die Apostelgeschichte betont die Bedeutung von Jerusalem und Petrus, sondern auch Paulus erkennt besonders in Gal 1-2 (auch für die Bestätigung seiner eigenen Botschaft) deren Bedeutung an. Ich stimme natürlich zu, dass die Apostelgeschichte die Vielfalt bestätigt, die die neue religiöse Gruppierung von Anfang an erlebte. Doch umso interessanter ist für mich die Beobachtung, dass die Unterschiede der synoptischen Tradition verglichen mit dem Johannesevangelium oder den übrigen außerkanonischen Schriften so gering sind. Ich fand es sehr interes- 061607 ZNT 20 03.10.2007 7: 32 Uhr Seite 57 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% 58 ZNT 20 (10. Jg. 2007) Kontroverse sant, dass die nachhaltigen Bemühungen der letzten Jahre, einen anderen Zugang zu den christlichen Ursprüngen abseits der Apostelgeschichte - und in bewusster Abgrenzung von ihr - zu rekonstruieren, schon bald im Sande verliefen. 10 In Schröters letztem Vorstoß stellt er Überlegungen an, ob »[v]ielleicht […] die exegetische und theologische Forschung zu sehr auf den einen Impuls hinter den Texten und - analog dazu - auf den einen Text hinter den verschiedenen Manuskripten fixiert [ist]. Es könnte sich jedoch herausstellen, dass das Modell einer anfänglichen Pluralität von Erinnerungen, die nicht auf die eine ›originale‹ Textversion hinter den Manuskripten, nicht auf den einen Jesus hinter den vielfältigen Erinnerungen und nicht auf den einen Ursprung der vielfältigen Ausprägungen christlichen Glaubens zurückgeführt wird, den Quellen angemessener ist«. Dies ist ein kleines bisschen keck, bemühe ich mich doch besonders, den Prozess mündlicher Überlieferung von dem einer literarischer Textentstehung (mit ihren sukzessive anwachsenden Editionen) zu unterscheiden; und ich bin ja gerade auf der Grundlage der Ergebnisse von Experten der Oralitätsforschung zu dem Schluss gelangt, dass die Rede von einer originalen und ursprünglichen Version im besten Falle irreführend ist. 11 Kernpunkt meiner Argumentation in »Jesus Remembered« ist, dass man sich an Jesus von Anfang an auf verschiedene Weisen erinnert hat: er lehrte vermutlich die gleichen Inhalte mehrfach bei verschiedenen Gelegenheiten in unterschiedlicher Form. Verschiedene Zeugen desselben Ereignisses werden es unterschiedlich nacherzählen; diejenigen, die Jesu Lehren weiterverbreiteten, empfanden es als vollkommen angemessen, einzelne Details und den Aufbau zu variieren. Also müssen wir zwischen der »Originalversion« und dem ursprünglichen Eindruck unterscheiden. Es gibt keine ursprüngliche Version dessen, was Jesus tat und sagte, so als ob es nur eine authentische Fassung gäbe, von der alle nachfolgenden Versionen abgeleitet und gegenüber dieser sekundär seien (wie es das literarische Modell suggeriert). Aber es gab eine ursprüngliche Quelle - wie auch Schröter zustimmend ausführt: »Historisch gesehen gab es natürlich den einen irdischen Jesus hinter den verschiedenen Erzählungen, die ihn als den ›erinnerten Jesus‹ repräsentieren«. Dennoch bleibt Schröter die Formulierung eines Ergebnisses aufgrund dieser Annahme leider schuldig, das für mich jedoch nahezu unmittelbar aus der oben genannten grundsätzlichen Wahrscheinlichkeit (1) folgt, nämlich dass es durch die verschiedenen, tradierten Erinnerungen an Jesu Taten und Worte hindurch eine auffallende Konsistenz und Kohärenz gibt. Diese Konsistenz und Kohärenz können am besten durch den Charakter des ursprünglichen Eindrucks erklärt werden; es handelt sich dabei um die Konsistenz und Kohärenz der Wirkung, die Jesus auf seine Jünger hatte. Es ist die Art und Weise, wie sie sich an ihn erinnerten. Ich gestehe zu, dass wir nicht näher an Jesus herankommen, und damit zu keinem anderen Jesus als zu dem, der einen solchen Eindruck hinterließ. Das ist einer der Hauptpunkte, die ich in meinem Buch »Jesus Remembered« herausgearbeitet habe; aber die Wiederentdeckung des Jesus, der offensichtlich gerade einen solchen Eindruck bei seinen Jüngern hinterließ, - dies ist sicherlich das eigentliche Ziel für einen an den Anfängen des Christentums interessierten Historiker. (Der Beitrag wurde aus dem Englischen übersetzt von Dr. Carsten Claußen und stud. theol. Christoph Maser) l Anmerkungen 1 J.D.G. Dunn, Christianity in the Making: Vol.1. Jesus Remembered, Grand Rapids 2003. Ich sollte an dieser Stelle ebenfalls auf meine kürzere Abhandlung »A New Perspective on Jesus: What a Quest for the Historical Jesus Missed« (Grand Rapids 2005) hinweisen, die außerdem als Anhang meinen Vortrag beinhaltet, den ich als Präsident der SNTS auf deren Jahrestagung im Jahre 2002 gehalten und unter dem Titel »Altering the Default Setting: Re-envisaging the Early Transmission of the Jesus Tradition«, (NTS 49 [2003] 139-175) publiziert habe. 2 Diesen Umstand bringt C.H. Dodd, The Founder of Christianity, London 1971, gut zum Ausdruck: »The first three gospels offer a body of sayings on the whole so consistent, so coherent, and withal so distinctive in manner, style and content, that no reasonable critic should doubt, whatever reservations he may have about individual sayings, that we find here reflected the thought of a single, unique teacher« (21f.). 3 Es fällt mir schwer, die Schlussfolgerung zu vermeiden, dass dies ein oder gar der hauptsächliche Grund für Paulus war, im Anschluss an seine Bekehrung bei seinem ersten Besuch in Jerusalem mit Petrus so viel 061607 ZNT 20 03.10.2007 7: 32 Uhr Seite 58 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 20 (10. Jg. 2007) 59 James D.G. Dunn Remembering Jesus Zeit zu verbringen (Gal 1,18). Paulus wollte Petrus in seiner Rolle als der führende Jünger Jesu und entsprechend als die Primärquelle für Geschichten über Jesus und dessen Lehrinhalte kennen lernen. 4 Siehe hier auch die Argumente von R. Bauckham, Jesus and the Eyewitnesses: The Gospels as Eyewitness Testimony, Grand Rapids 2006, mit denen ich größtenteils sympathisiere jedoch nicht völlig übereinstimme. 5 Deshalb hält Schröter fest, »dass die Evangelien bei der Abfassung ihrer biographischen Jesuserzählungen die urchristliche Lehre, die zuvor als allgemeine katechetisch-paränetische Tradition überliefert worden war, insgesamt der Autorität des irdischen Jesus unterstellt haben. Die Autorität des irdischen Jesus war dabei darin begründet, dass er zugleich als erhöhter Herr verehrt wurde. Die Unterscheidung zwischen ›authentischen‹ Jesusworten und anderem katechetischen Material war dagegen kein vordringliches Interesse und auch kein gravierendes Problem des frühen Christentums. Dies erklärt auch, warum in den synoptischen Evangelien ›echte‹ Jesusworte neben solchen Überlieferungen stehen können, die in anderen Schriften als anonyme Tradition angeführt oder unter anderer Autorität zitiert werden.« 6 Eine Hauptthese meines Buches » Jesus Remembered« ist, dass der Gebrauch und die Weitergabe der Jesustradition zeigen, dass die ersten Überlieferer sich mehr mit dem Stoff und dem Kern der individuellen Überlieferung befassten als mit dem Versuch, eine Originalversion Wort für Wort zu reproduzieren. Daher bin ich überrascht, dass Schröter eine »Wort für Wort«- Übertragung zur einzigen Alternative zu seiner eigenen These macht, nach der sich die frühesten Tradenten schlicht und ergreifend nur »solcher Überlieferungen [bedienen], hinter denen die Autorität des Herrn steht, die sich damit als Basis frühchristlicher Lehre erweist«. Ich habe im Zusammenhang mit verschiedenen Kontexten die Beobachtung gemacht, dass Paulus Jesus bei ethischen Angelegenheiten nur dann zitiert, wenn er eine etwas andere Sichtweise vertritt (1Kor 7,10-11 und 9,14). Ich sollte darüber hinaus anmerken, dass ich 1Thess 4,15 nicht als einen von der Jesustradition verschriftlichten Ausspruch ansehe, sondern vielmehr als eine prophetische Äußerung, die in den Zusammenhang mit den Belangen in Thessalonich zu stellen ist. 7 Vgl. J.M. Foley, Immanent Art: From Structure to Meaning in Traditional Oral Epic, Bloomington, IN 1991. Kapitel 1 und 2 stellen fest, dass das Bewusstsein eines Vortragenden (Performer), das einer Gemeinschaft bereits vertraut ist, ein grundlegender Bestandteil seiner Darbietung ist. Der Vortrag wird innerhalb des »Erwartungshorizontes« der Gemeinschaft rezipiert. Die Lücken in der Darbietung können dadurch vom Publikum durch dessen Vorkenntnis der Tradition gefüllt werden. Was Foley als »metonymic reference« eines Vortrags bezeichnet, befähigt den Vortragenden zu einer ganzen Reihe von Anspielungen auf den gemeinschaftlichen Sprachgebrauch der eigenen Überlieferung und befähigt diese Gemeinschaft, die Konsistenz der Darbietung als Ganzes zu erfassen (vgl. besonders S. 6-13 und 42-45). Foley nimmt Bezug auf die Überlegungen von H.R. Jauss und W. Iser. Gründlich ausgeführt ist dieses Argument außerdem in den ersten drei Kapiteln von: The Singer of Tales in Performance, Bloomington, IN 1995. 8 Mit Bezug auf diese Überlegung führt Bauckham, Jesus and the Eyewitnesses, 7, treffend den berühmten Kommentar von V. Taylor; The Formation of the Gospel Tradition, London 1935, 41, an: »If the Form- Critics are right, the disciples must have been translated to heaven immediately after the Resurrection«. 9 Dieser Punkt ist mit Blick auf die alttestamentlichen Anspielungen und Textzitate bei Paulus grundlegend von R.B. Hays, Echoes of Scripture in the Letters of Paul, New Heaven 1989, sowie von F. Watson, Paul and the Hermeneutics of Faith, London 2004, entwickelt worden; allerdings unterscheide ich mich von diesen Untersuchungen dahingehend, dass es mir weniger um das Phänomen Intertextualität geht, sondern um eine mündliche Lehrsituation, die an eine hörende Erschließung der Schrift gekoppelt ist. 10 Vgl. R. Cameron / M.P. Miller (Hgg.), Redescribing Christian Origins (Symposium 28), Atlanta 2004. Meine Rezension findet sich in JBL 124 (2005), 760-764. 11 Dies war eine der wichtigsten Erkenntnisse von A.B. Lord, The Singer of Tales, Cambridge 1978, 100f.: »In a sense each performance is ›an‹ original, if not ›the‹ original. The truth of the matter is that our concept of ›the original‹, of ›the song‹, simply makes no sense in oral tradition«. 061607 ZNT 20 03.10.2007 7: 32 Uhr Seite 59 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100%