ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2007
1020
Dronsch Strecker VogelGemeinsames Statement von James D.G. Dunn und Jens Schröter
121
2007
James D.G. Dunn
Jens Schröter
znt10200060
60 ZNT 20 (10. Jg. 2007) In der voranstehenden Kontroverse haben wir vor allem diejenigen Aspekte thematisiert, an denen unsere Auffassungen bezüglich der Erstellung eines Jesusbildes voneinander abweichen. Gerade deshalb ist es uns wichtig, im Anschluss an diese Auseinandersetzung noch einmal deutlich zu machen, wo wir Gemeinsamkeiten in unseren Ansätzen sehen. Wir sind der Auffassung, dass die neue Phase der Jesusforschung nur dann fruchtbar sein wird, wenn sie sich nicht einfach als Wiederaufnahme der alten Frage von Reimarus versteht (Wie ist ein »historischer Jesus« hinter den neutestamentlichen Texten zu finden? ), sondern ihr Vorgehen erkenntnistheoretisch und geschichtshermeneutisch reflektiert. Dies hat einerseits zur Folge, dass sich die Jesusforschung darüber im Klaren sein muss, dass sie mit ihren historisch-kritisch entworfenen Jesusbildern niemals hinter die Texte gelangt, sondern sich immer vor diesen bewegt. Was uns von Jesus und seiner Zeit heute noch zugänglich ist, sind fragmentarische, zum Teil zufällig erhaltene Zeugnisse, die wir oft nicht einmal vollständig kennen - oder die durch neue Funde erweitert werden können -, und aus denen wir uns mit Hilfe unseres jeweiligen Kenntnisstandes ein Bild der Person Jesu erstellen. Wie bei aller Beschäftigung mit der Vergangenheit gilt also auch bei der historisch-kritischen Jesusforschung, dass ihre Ergebnisse vorläufig und wandelbar sind und niemals mit der Wirklichkeit hinter den Zeugnissen gleichgesetzt werden dürfen. An dieser Stelle scheint uns der Begriff der »Erinnerung« eine produktive hermeneutische Kategorie zu sein, die eben diesen Befund zum Ausdruck bringt. Obwohl gelegentlich geäußert wurde, die Erinnerungskategorie sei zu unpräzise und tendiere dazu, die Trennschärfe der in der kritischen Jesusforschung entwickelten »Kriterien der Rückfrage nach Jesus« zu verundeutlichen, sind wir weiterhin davon überzeugt, dass es sich um eine sinnvolle Kategorie handelt. Der Erinnerungsbegriff soll dabei in keiner Weise eine kritische Beschäftigung mit den historischen Materialien in den Hintergrund treten lassen. Wir haben in unseren Publikationen immer wieder deutlich gemacht, dass wir eine derartige kritische Analyse für unverzichtbar halten. Die Kategorie der Erinnerung bringt aber zum Ausdruck, dass historisch-kritische Rekonstruktionen der Person Jesu immer auch Konstruktionen sind, in die die Interpretationen und das Wirklichkeitsverständnis derjenigen, die Jesusbilder zeichnen, einfließen. Jesusbilder sind an Zeugnisse der Vergangenheit gebundene und darum an ihnen überprüfbare Entwürfe, aber es sind zugleich kreative Schöpfungen ihrer Autoren und Autorinnen, die darum immer zugleich eine Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit darstellen. Die geschichtshermeneutisch verstandene Kategorie der Erinnerung soll eben dies zum Ausdruck bringen. Die Bezeichnung »erinnerter Jesus« erscheint uns deshalb treffender zu sein als »historischer Jesus«, zumal letztere nicht selten so verstanden wurde, als sei damit der »wirkliche« Jesus hinter den Texten gemeint, obwohl es sich de facto um ein mit den Mitteln der historischen Kritik erstelltes Jesusbild eines Forschers oder einer Forscherin handelt. Dieser Zugang bedeutet auch, dass ein Entwurf des Wirkens und Geschicks Jesu so erfolgen muss, dass sowohl sein Wirken als ein Jude aus Galiläa in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts als auch die durch sein Wirken und Geschick ausgelösten Reaktionen, die schließlich zur Entstehung des christlichen Glaubens geführt haben, verständlich werden. Auch dies bedeutet wiederum keine Verabschiedung einer kritischdifferenzierenden Beurteilung des Materials. Es bedeutet allerdings, dass wir es als eine unverzichtbare Aufgabe der historischen Jesusforschung ansehen, die Einbindung Jesu in das - in sich vielfältige - Judentum seiner Zeit so genau wie möglich zu beschreiben und zugleich die Entstehung der Christologie historisch verständlich werden zu lassen. Dabei ist von vornherein deutlich, dass dies auf unterschiedliche Weise geschehen kann, da die Einzelurteile über historische Kontroverse Gemeinsames Statement von James D.G. Dunn und Jens Schröter: Der »erinnerte« und der »historische« Jesus 061607 ZNT 20 03.10.2007 7: 32 Uhr Seite 60 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100% ZNT 20 (10. Jg. 2007) 61 Gemeinsames Statement von James D.G. Dunn und Jens Schröter: Der »erinnerte« und der »historische« Jesus Befunde und der Grad der Wahrscheinlichkeit, mit dem eine Überlieferung mit Jesus selbst in Verbindung gebracht wird, differieren können. Es wäre nach unserer Auffassung jedoch kein plausibles historisches Szenario, das Wirken Jesu unverbunden neben die frühchristliche Christologie zu stellen. Dies würde die Entstehung der letzteren auf externe, also mit dem Wirken und Geschick Jesu nicht vermittelte Faktoren zurückführen und damit letztlich unverständlich machen. Wir sind somit der Auffassung, dass der Neuaufbruch in der Jesusforschung, den wir ausdrücklich begrüßen, nur dann wirklich weiterführend ist, wenn er sich nicht einfach als Fortsetzung der historisch-kritischen Jesusforschung auf verbreiterter Quellenlage versteht, sondern sein Vorgehen in einen geschichtshermeneutisch reflektierten Rahmen stellt. In der historischkritischen Jesusforschung stehen sich seit ihren Anfängen zwei Linien gegenüber. Die eine Linie beginnt bei Hermann Samuel Reimarus, setzt sich über die liberalen Leben-Jesu-Darstellungen des 19. Jahrhunderts fort und findet gegenwärtig in etlichen Darstellungen, die sich der »Third Quest« zurechnen, eine Wiederaufnahme. Auf dieser Linie wird versucht, die frühchristlichen Quellen rational zu erklären oder aber, den historischen Jesus kritisch von den frühen Quellen abzusetzen. Die andere Linie beginnt bei David Friedrich Strauß und setzt sich über Martin Kähler und Rudolf Bultmann ebenfalls in neuere Ansätze hinein fort. Auf dieser Linie tritt die Bedeutung des historischen Jesus zugunsten des geglaubten Christus in den Hintergrund. Nach unserer Überzeugung ist die Jesusforschung nur dann fruchtbar weiterzuentwickeln, wenn es gelingt, diese Diastase methodisch und hermeneutisch zu überwinden und ihre Aufgabe in der Erstellung plausibler, an die Quellen gebundener und zugleich vorläufiger, revidierbarer Entwürfe der Person Jesu zu sehen. James D.G. Dunn und Jens Schröter 061607 ZNT 20 03.10.2007 7: 32 Uhr Seite 61 User: Steffen Hack Lpi: 175 Scale: 100%
