ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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Dronsch Strecker VogelDominik Finkelde Politische Eschatologie nach Paulus. Badiou – Agamben – Žižek – Santner Wien 2007, 141 S. Preis: 15,00 Euro ISBN: 978-3-85132-481-5
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Eckart Reinmuth
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70 ZNT 22 (12. Jg. 2008) Buchreport Dominik Finkelde Politische Eschatologie nach Paulus. Badiou - Agamben - Žižek - Santner Wien 2007, 141 S. Preis: 15,00 Euro ISBN: 978-3-85132-481-5 Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Apokalypse enthält eine außertheologische Komponente, die in der Moderne ihren eigenen Verlauf genommen hat. Zu Beginn des neuen Jahrtausends kam es vor diesem Hintergrund zu überraschenden Perspektiven, die sich vor allem auf das Denken des Paulus richteten. Diente die Auseinandersetzung mit dem letzten Buch der Bibel bereits in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg dazu, seismographisch Schwingungen eines irritierten Zeitgefühls zu erfassen, das auf diese Weise Eindrücke und Vorahnungen gesellschaftlicher Instabilität zu artikulieren versuchte, so sah die Zeit zwischen den Weltkriegen eine modernitätskritisch motivierte politisch-theologische Rezeption mit unterschiedlicher Couleur und ambivalenten Wirkungen. Zu nennen sind neben Resonanzen in apokalyptischen Elementen nationalsozialistischer (Brokoff) und kommunistischer (Ley) Ideologie v.a. Namen wie Carl Schmitt und Walter Benjamin (Brokoff / Jacob). Ihre theoretischen Überlegungen zur politischen Philosophie stoßen folgerichtig in gegenwärtigen Überlegungen zur politiktheoretischen Relevanz des paulinischen Messianismus auf erneutes Interesse und kritische Relektüren. Diese Zusammenhänge gehören durchaus zur Vorgeschichte eines neuen Interesses für Paulus, das sich keineswegs rein akademischen oder historischen Fragestellungen verdankt, sondern auf die aktuelle Bedeutung des Apostels in den Diskursen politischer Theorie und Philosophie zielt. Wird hier das Denken des Paulus als fundamental für das abendländische, ›westliche‹ Denken verstanden, so verbindet sich damit zugleich die Erwartung, in seinem eschatologischen Messianismus als konkreter apokalyptischer Denkform alternierendes Potential für die Grundierungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des Politischen zu entdecken. Dominik Finkelde hat jetzt in einer konzentrierten Studie gezeigt, wie Paulus in der gegenwärtigen politischen Philosophie interpretiert wird. Seine Darstellung konzentriert sich auf Alain Badiou, Giorgio Agamben, Slavoj Žižek und Eric Santner. Gemeinsamer Nenner der Pauluslektüren dieser Autoren ist ihr Verständnis der messianischen Zeit »als Endzeit, die nicht das Ende aller Zeiten in Form einer angehängten Apokalypse meint, sondern die ›die Zeit, die bleibt‹ als Durchtränktsein von Jüngstem Gericht und banalstem Alltag versteht.« (11). Ihnen geht es nicht um eine religiöse Interpretation des paulinischen Denkens. Ihre Frage nach seiner politisch-philosophischen Bedeutung führt sie zu einer konsequent immanenten Interpretation, bei der die vertikale, transzendente Dimension »höchstens noch Metapher für die Undurchschaubarkeit reiner Immanenz« ist (12). Finkelde fragt in seinem Buch, wie konsequent diese ›horizontale‹ Beschränkung durchgehalten wird. Er will zugleich zeigen, dass die neuen Pauluslektüren »als Neubestimmung der politischen Philosophie zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu verstehen« sind (12). Im Vordergrund der neuen Pauluslektüren steht die Frage nach dem globalen Verhältnis von Partikularität und Universalität, die ungelöste Frage also, wie unterschiedliche Kulturen und Gesellschaften, Religionen und Politiken sich friedlich begegnen und konstruktiv die Herausforderungen gemeinsamen Lebens auf dieser Welt bestehen können. Paulus ist in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse, weil er einen Universalismus entwickelt hat, der ohne die Negation partikularer Identitäten auskommt. Unentschieden scheint gegenwärtig, ob die ›westliche Welt‹ die eigenen Werte als global verbindlich voraussetzt oder die Pluralität und Disparatheit unterschiedlicher Wertegemeinschaften anerkennt. An das Denken des Paulus richtet sich nun die Erwartung, ein Modell jenseits dieser aussichtslosen Alternative zu entwickeln, das zugleich Perspektiven für den Umgang mit Minoritäten und die Kommunikation unter Partikularitäten enthält und die Anerkennung des Anderen, Fremden, gelingen lässt, ohne dass der Maßstab des Einen als allgemein gültig in Anschlag gebracht wird. Die Frage nach der Begründung des Universalismus angesichts unabschließbarer Partikularitäten ist folglich hochaktuell. Sie ist ein wesentlicher Grund, der zu einer erneuten Rückfrage nach Paulus führt. So sieht Alain Badiou »in Paulus den Urheber einer universalistischen Wahrheitslehre, die gerade aus einer radikalen und subjektiven Innerlichkeit heraus sich über ethnische, religiöse und politische Gren- 081208 ZNT 22 - Inhalt 07.10.2008 16: 04 Uhr Seite 70 ZNT 22 (12. Jg. 2008) 71 Buchreport zen hinwegsetzt.« (15). Nach Giorgio Agamben begründet Paulus »keine universelle Religion, die durch eine neue christliche Identität und eine neue Berufung definiert wird, sondern er widerruft jede Identität und jede Berufung an sich.« (15). Slavoj Žižek konzentriert sich auf das Modell der Selbstentäußerung Christi am Kreuz und geht davon aus, »dass die Inkarnation Gottes den Abgrund zwischen Gott und Mensch in einen immanenten Abgrund verkehrt und die Gottähnlichkeit des Menschen dort betrifft, wo dieser unfähig ist, mit sich selber identisch zu sein.« (16). Eric Santner schließlich steuert eine psychoanalytisch geprägte Metaebene bei. Er »erweitert die Paulinische Auseinandersetzung mit dem Gesetz der Thora hin zu einer Auseinandersetzung mit Begehrensstrukturen des Menschen, die das Subjekt in einer Abhängigkeit gegenüber gesellschaftlichen Institutionen halten.« (17). Finkeldes Darstellung bietet eine ausgezeichnete Einführung in die z.T. sehr komplizierten Begründungsstrukturen dieser vier Paulusinterpreten. So gelingt es ihm im Abschnitt über Badiou (19-39), dessen eigenwillige mathematische Ontologie - Badious auf ihr basierender Ereignisbegriff nimmt in seinem philosophischen Werk eine zentrale Stellung ein (Badiou 2005) - mit klaren Strichen zu skizzieren und in ihrer grundlegenden Funktion für seine Paulusinterpretation vorzustellen. Ist die Auferstehung Christi in paulinischer Perspektive für Badiou das Ereignis schlechthin, so wird sie gleichwohl als fiktives Ereignis, als »mythologische Behauptung« verstanden, der zugleich jedoch universale Bedeutung zugemessen wird. Diese Bedeutung realisiert sich, weil und indem das Ereignis »in der Folgezeit von unendlich vielen Subjekten übernommen oder verkörpert wurde. Dabei sind es die Subjekte, die durch ihre Treue (fidélité) die universelle Singularität des Ereignisses verkünden und somit nur rückwirkend und nachträglich seine Wahrheit konstituieren, indem sie sie beglaubigen.« (Rölli 32). Badiou übergeht jedoch die inhaltliche Irreduzibilität, die die paulinische Rede von der Auferstehung Jesu beansprucht. Der Verdacht, die Einzigartigkeit des Ereignisses ›Auferstehung‹ könne dann ebenso gut auf subjektiver Einbildung beruhen, die sich in einem dezisionistischen Akt für seine politisch verwertbare Bedeutung entscheide, liegt allzu nahe. Im Kapitel über Agamben (41-73) sticht u.a. die Darstellung seiner Auseinandersetzung mit Badiou hervor (44-48). Im Blick auf Agambens Studie zum Homo sacer verfolgt Finkelde die These, »dass Agamben den Paulinischen Messianismus als Gegenkonzept zu einem Leben im ›Bann‹ entwirft, so wie es der Homo Sacer als Modell kreatürlicher, dem Gesetz ausgelieferter Existenz verkörpert.« (57; vgl. dazu die hervorragende, weit ausgreifende Analyse 58-70). Agamben liest Paulus mit der Erwartung, dass das Denken der messianischen Zeit wesentliche Anstöße für ein neues Durchdenken der Grundlagen politischen Handelns bietet, das die autoritären Voraussetzungen gegenwärtiger Politik (sc. »Biopolitik«) überwindet. Agambens Pauluslektüre stellt den Versuch dar, die Naherwartung, unter der Paulus lebte, nachzubuchstabieren und sie zu einer politischen Anfrage zu transformieren. Agamben geht es darum, das messianische Denken des Paulus als fundamental für das abendländische, ›westliche‹ Denken aufzuweisen und zugleich daraus alternierendes Kapital zu schlagen. Er deutet die messianische Botschaft des Römerbriefes als die Ermöglichung einer Alternative, die von den Polaritäten praktischer Politik nicht erfasst wird. Paulus ist für Agamben der Prototyp des messianischen Denkers. Im Mittelpunkt des Abschnitts über Žižek steht dessen Buch ›Die Puppe und der Zwerg‹ (Frankfurt a.M. 2003), das zwar keine eigenständige Paulusinterpretation bietet, sich aber substantiell auf ihn (und die Positionen Badious und Agambens) bezieht. Finkelde gelingt es, die überraschenden Wendungen im Denken Žižeks verständlich zu skizzieren. Finkelde zufolge verteidigt Žižek »das christliche (sc. paulinische) Erbe als das aus der Perspektive des historischen Materialismus einzig vertretbare Fundament einer Kritik gegen Unrechtsstrukturen in der Welt. Nur von einem auf Universalität ausgerichteten Wahrheitsbegriff, der vom konkreten Subjekt ausgeht und vom militanten Wahrheitskämpfer vertreten wird, könne man das materialistische (nicht das ideologische) Erbe des Marxismus neu beleben und der alternativlos erscheinenden liberaldemokratischen Gesellschaftsform Opposition bieten.« (84). Die Konsequenzen, Stärken und Schwächen dieser Position werden von Finkelde deutlich aufgezeigt (vgl. bes. 95- 97). Der amerikanische Literaturwissenschaftler Eric Santner setzt sich sowohl mit Žižek, als auch mit Badiou und Agamben auseinander. Seine Würdigung des jüdisch-christlichen Erbes bildet »einen Gegenpol zu Žižeks atheistischer Apologie des Christentums.« (99). Agambens im Zusammenhang der Interpretation des Gesetzes verwendeter Begriff des ›Banns‹ wird von ihm psychoanalytisch verstanden und mit Blick auf »unbewusste, das Begehren erzeugende Strukturen in der menschlichen Psyche« interpretiert (100). Damit wird die Analyse, die Paulus in Röm 7 vorlegt - sie spielt sowohl für Badiou als auch für Agamben eine maßgebliche Rolle - in einer psychoanalytischen Perspektive erfasst. Sie ermöglicht es, das Begehren und seine Projektionen, die sich als Bedeutungsüberschuss symbolisierter Gegenstände, Personen, Umgebungen und Ordnungen manifestiert, zu einem gesellschaftsanalytischen Modell zu verbinden. Dieser Bedeutungsüberschuss kann als tiefgreifende Alterität, als »die Fremdheit, ja Unheimlichkeit des Anderen« (102) verstanden werden; sie steht bei Santner »für eine nahezu ›göttliche‹ Anfrage an das Subjekt« (102), insofern es hier um »eine nicht-repräsentierbare Fremdheit, die den Sinn-Horizont um uns immer wieder zerbrechen kann« (103), 081208 ZNT 22 - Inhalt 07.10.2008 16: 04 Uhr Seite 71 Buchreport 72 ZNT 22 (12. Jg. 2008) geht. Auf dieser Grundlage betont Santner, dass die im Zuge gesellschaftlicher Symbolisierungsprozesse hergestellten Bedeutungsüberschüsse in individueller bzw. politischer Praxis nie aufgehen, sondern als anspruchsvolle Reste, gleichsam als Meta-Imperative im Rang göttlicher Beauftragung tradiert und kommuniziert werden. Die Vielzahl von Defensivstrategien, die individuell und gesellschaftlich ihnen gegenüber entwickelt und konventionalisiert werden, kennzeichnet Santner zufolge menschliche Wirklichkeit. Vor diesem Hintergrund beschreibt Santner die Moderne als »chronischen Alarmzustand eines permanenten Legitimationsdefizits« (108), das alle großen Institutionen betreffe. Sie gründet in »der offenbar gewordenen Grundlosigkeit von Legitimität« und führe dazu, dass »das Ausgeliefertsein gegenüber der symbolischen Autorität noch viel stärker« empfunden werde (108). Hier liegt nicht nur ein Verweis auf das Werk Franz Kafkas (107ff.), sondern auch auf den erwähnten Paulustext nahe. »Für Santner verweist Paulus’ Kritik am Gesetz auf einen mit Tod und Sünde in Verbindung stehenden Mechanismus, der Abhängigkeiten bis in unser Unbewusstes hinein produziert. Paulus’ Rede vom Gesetz (Röm 7,7-9) dient daher in Santners Interpretation als Kritik an Gesetzesstrukturen und ihren Auswirkungen auf die subkutanen Begehrensstrukturen des Menschen insgesamt.« (110). Das damit freigelegte analytische Potential kann genutzt werden, um »die uns deformierenden symbolisch verbürgten Gesellschaftsformen als solche zu erkennen und zu suspendieren.« (115). Finkeldes gut lesbare, unterschiedliche Positionen klar differenzierende und kritische wie weiterführende Fragen entwickelnde Einführung macht die Relevanz deutlich, die das Denken des Paulus für Versuche einer Reformulierung politischer Philosophie am Beginn des 21. Jahrhunderts gewonnen hat. Die Faszination dieses Denkens beruht offensichtlich auf seiner eschatologischen und messianischen Grundierung. Sie scheint nicht nur sinnvolle Perspektiven freizulegen, unter denen die Wurzeln von Recht und Politik aufgehellt werden können, sondern auch kritische Positionen zu ermöglichen, in denen sich das Subjekt in seinen gesellschaftlichen und politischen Relationen neu justiert und zu alternierenden Entwürfen sowie einer selbstbestimmten Praxis befreit und ermutigt sieht. Will sich eine theologische Paulusinterpretation diesen Herausforderungen stellen, so hat sie sich kaum an der ›radikalen Immanenz‹ dieser Entwürfe abzuarbeiten, sondern die Konkretheit der Geschichte Jesu Christi ins Spiel zu bringen. Paulus geht es nicht um eine eschatologische Denkform, sondern um den Versuch, die Geschichte Jesu als des Christus angemessen zu interpretieren. Ihre politischen Implikationen auszufalten, dürfte zu den aktuellen Aufgaben dieser Arbeit gehören. Eckart Reinmuth Literatur zur Vertiefung • Giorgio Agamben, Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief (es 2453), Frankfurt a.M. 2006 (orig. Il tempo che resta, Turin 2000) • Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben (es 2068), Frankfurt a.M. 2002 (orig. Homo sacer. Il potere sovrano e la nuda vita, Turin 1995) • Alain Badiou, Paulus. Die Begründung des Universalismus, München 2002 (orig. Saint Paul - La fondation de l’universalisme, Paris 1997) • Alain Badiou, Das Sein und das Ereignis, Berlin 2005 (orig. L’Être et l’Événement, Paris 1988) • Jürgen Brokoff, Die Apokalypse in der Weimarer Republik, München 2001 • Jürgen Brokoff / Joachim Jacob (Hgg.), Apokalypse und Erinnerung in der deutsch-jüdischen Kultur des frühen 20. Jahrhunderts, Formen der Erinnerung Bd. 13, Göttingen 2002 • Dominik Finkelde, Streit um Paulus. Annäherungen an die Lektüren von Alain Badiou, Giorgio Agamben und Slavoj Žižek, PhR 54 (2006), 303-332 • Michael Ley, Apokalypse und Moderne. Aufsätze zu politischen Religionen, Wien 1998 • Eric Santner, Miracles Happen: Benjamin, Rosenzweig, Freud, and the Matter of the Neighbor, in: Žižek / Santner / Reinhard (Hgg.), The Neighbor. Three Inquiries in Political Theory, Chicago / London 2005, 76-134 • Marc Rölli, Einleitung: Ereignis auf Französisch, in: M. Rölli (Hg.), Ereignis auf Französisch, München 2004, 7-40 • Eric Santner, The Psychotheology of Everyday Life. Reflections on Freud and Rosenzweig, Chicago / London 2001 • Slavoj Žižek, Die Puppe und der Zwerg. Das Christentum zwischen Perversion und Subversion, Frankfurt a.M. 2003 (orig. The Puppet and the Dwarf. The Perverse Core of Christianity, Cambridge/ MA 2003) 081208 ZNT 22 - Inhalt 07.10.2008 16: 04 Uhr Seite 72
