eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 12/23

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
0601
2009
1223 Dronsch Strecker Vogel

Am Anfang war die Übersetzung

0601
2009
Kristina Dronsch
znt12230062
62 ZNT 23 (12. Jg. 2009) Jede Kinderbibel beruht auf Wahlentscheidungen, denn jede Kinderbibel wählt aus den Erzählungen der biblischen Schriften aus, indem bestimmte Teile der biblischen Texte aufgenommen werden und andere eben nicht. Dass in einer Kinderbibel Erzählungen aus dem Johannesevangelium ausgewählt werden, ist keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr ist in der großen Mehrzahl der gegenwärtig sich auf dem Büchermarkt befindlichen Kinderbibeln zu beobachten, dass einer Textauswahl aus den Synoptikern der Vorzug gegeben wird. Vorsichtig formuliert, kann gesagt werden, dass Kinderbibeln als Indikator der religionspädagogischen Großwetterlage dienen: Die sich dort seit den 60er Jahren beobachtete Marginalisierung des Johannesevangeliums zugunsten der Synoptiker findet in Kinderbibeln ihre Fortsetzung. 1 Doch gegenwärtig lässt sich in diversen aktuellen Kinderbibeln, die für Kinder ab 8-10 Jahre geeignet sind, auch die Tendenz finden, Texte des Johannesevangeliums aufzunehmen. Wie dies geschieht, soll anhand von drei aktuellen Kinderbibeln, die sich auf dem Büchermarkt etabliert haben und die in der gegenwärtigen aktuellen religionspädagogischen Diskussion zu Kinderbibeln berücksichtigt werden, dargelegt werden. Nicht nur hinsichtlich der Frage, was in einer Kinderbibel aufgenommen wird bzw. was nicht aus dem biblischen Erzählbestand aufgenommen wird, ist eine Frage der Auswahl. Auch hinsichtlich der Frage, wie etwas erzählt wird, wird eine Wahl getroffen. Diese betrifft nicht nur die Art und Weise der Darstellung der Erzählung, sondern auch die Art und Weise, wie Elemente der erzählten Handlung aufgenommen werden: Durch Tilgung, Ergänzung, Umformung, Umordnung, Gewichtung und Komposition werden in Kinderbibeln Transformationen der biblischen Erzählung(en) vorgenommen. Mit Blick auf die 27 Schriften des Neuen Testaments ist es also ein Proprium einer Kinderbibel, dass nicht alle 27 Schriften aus dem kanonischen Textbestand der Bibel aufgenommen werden, sondern dass sowohl hinsichtlich der aufgenommenen Schriften insgesamt als auch hinsichtlich der aufgenommenen biblischen Textpassagen und deren narrativer Gestaltung in einer Kinderbibel Wahlentscheidungen getroffen werden. Im Folgenden sollen anhand der Kinderbibeln von: a.) Irmgard Weth: Neukirchener Erzählbibel. Die Bücher der Bibel neu erschlossen und erzählt. Mit Bildern von Kees und Michiel de Kort, 2. neu durchgesehene Auflage, Neukirchen Vluyn 2008, von b.) Regine Schindler / Stepan Zavrel: Mit Gott unterwegs. Die Bibel für Kinder und Erwachsene neu erzählt, 6. Aufl., Zürich 2004 sowie c.) anhand der Gütersloher Erzählbibel von Diana Klöpper / Kerstin Schiffner, Gütersloh 2004 in einem ersten Schritt die von den Autorinnen und Autoren vorgenommenen Wahlentscheidungen deskriptiv erfasst werden, indem aufgezeigt wird, a) was aus dem Johannesevangelium aufgenommen wird im Kontext der jeweiligen Kinderbibel und b.) wie dies geschieht. Im Anschluss daran folgen c.) evaluativ Überlegungen, die die Frage aufnehmen, wie dieser Befund zu bewerten ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. I. Irmgard Weth: Neukirchener Erzählbibel. Die Bücher der Bibel neu erschlossen und erzählt. Mit Bildern von Kees und Michiel de Kort, 2. neu durchgesehene Auflage, Neukirchen Vluyn 2008. Die Bibel, die durch ihre langen, zweispaltig gesetzten Textpassagen auffällt, ist für Kinder ab 10 Jahre. Die »Neukirchener Hermeneutik und Vermittlung Kristina Dronsch Am Anfang war die Übersetzung. Die Übersetzung des Johannesevangeliums als Interpretation in drei exemplarisch ausgewählten, aktuellen Kinder- und Jugendbibeln. »Jede Kinderbibel beruht auf Wahlentscheidungen ...« 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 62 Kristina Dronsch Am Anfang war die Übersetzung ZNT 23 (12. Jg. 2009) 63 Erzählbibel« kann als eine Fortsetzung der »Neukirchener Kinderbibel« verstanden werden; neue und größtenteils in der Kinderbibel unberücksichtigt gebliebene biblische Geschichten sind in der Erzählbibel zusammengestellt (für die alttestamentlichen Geschichten z.B.: Hiob, Ezechiel, Esra und Nehemia). In den insgesamt 200 Erzählungen aus dem Alten und Neuen Testament finden sich kaum zusätzliche erzählerische Elemente, vielmehr geht es der Verfasserin darum, »die Vielfalt biblischer Bücher und biblischer Erzählformen« 2 zur Sprache zu bringen, indem die einzelnen Schriften des Alten und Neuen Testaments stärker als eigenständige literarische Einheiten berücksichtigt werden. In die aufgenommenen biblischen Geschichten in der Erzählbibel kommen auch vom Druckbild her abgesetzte biblische Zitate vor, die sich am revidierten Luthertext und der Einheitsübersetzung orientieren. In insgesamt 21 Kapiteln wird in die Vielfalt biblischer Erzählformen eingeführt, wobei meistens in jeweils einem Kapitel eine Textauswahl aus einer altbzw. neutestamentlichen Schrift dargeboten wird. Die Kapitel 18 bis 21 bieten Texte aus Schriften des Neuen Testaments. Zu den Auffälligkeiten dieser Erzählbibel gehört es, dass bei der Auswahl der Erzählungen aus den Evangelien ausschließlich das Johannesevangelium Berücksichtigung findet, welchem gegenüber den Synoptikern der Vorzug gegeben wird. In Kapitel 18 unter der Überschrift »Das Evangelium von Jesus Christus« werden insgesamt 28 einzelne Erzählungen präsentiert, die dem Erzählfaden des Johannesevangeliums folgen, beginnend beim Prolog und endend mit der Erzählung aus Joh 21. Kapitel 19 (»Die Ausbreitung des Evangeliums«) und Kapitel 20 (»In alle Welt«) der Erzählbibel bieten Geschichten der Apg und Kapitel 21 unter der Überschrift »Botschaft der Hoffnung« einige ausgewählte Erzählungen aus der Offb. Die Briefliteratur bleibt unberücksichtigt. Hinsichtlich der konsequenten Berücksichtigung des Johannesevangeliums entsteht ein den johanneischen Erzählfaden aufnehmendes »Miniaturevangelium« von Jesus Christus, welches den Plot des Johannesevangeliums narrativ so entfalten will, »dass Menschen im Lesen und Hören des Evangeliums Jesus Christus selber begegnen, dass sie erkennen, wer er in Wahrheit ist, und dass sie selber zum Glauben an ihn finden, so wie es die Menschen erlebt haben, denen Jesus begegnet ist«. 3 Eingespannt in dieses Dreigestirn von Begegnung - Erkenntnis - Glauben, welches schon in dem in der Erzählbibel aufgenommenen Prolog zu finden ist, werden vorrangig die Erzählungen aus dem Johannesevangelium aufgenommen, bei denen es um eine euphorische Begegnungsgeschichte mit Jesus geht, in deren Verlauf es über die Begegnung mit Jesus zu einer positiven Erkenntnis kommt, die im zum Glauben-Kommen mündet. Repetierend wird über das ganze Kapitel 18 verstreut festgehalten, dass die Menschen, die Jesus begegnen, erkennen und glauben, dass Jesus »der Messias [ist], der Sohn Gottes, das wahre Opferlamm, der zu den Menschen kam, um sein Leben für sie hinzugeben« (S. 333). Als mit diesen Werten des Evangeliums vollkommen kongruent werden die Jünger in der »Neukirchener Erzählbibel« dargestellt: Sie sind es, die die Trias Begegnung - Erkenntnis - Glauben vollziehen (vgl. z.B. S. 350.367). Konsequent ist in diesen euphorischen Erzählstrang ein dysphorischer Erzählstrang eingeflochten, der durch die Gegner Jesu (tituliert als »Gegner«; »Gesetzeslehrer«, »Pharisäer«, »Priester« und »Leviten«, als »Juden« werden die Gegner signifikanter Weise nur bei Jesu Verurteilung titu- Kristina Dronsch, Jahrgang 1971, studierte Evangelische Theologie in Bon, Göttingen, Zürich, Neuchâtel und Hamburg. Seit 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche am Fachbereich Ev. Theologie an der Goethe- Universität in Frankfurt und wurde dort 2006 promoviert. Forschungsschwerpunkte: Markusevangelium, Gleichnisse, Bedeutungstheorien. Kristina Dronsch 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 63 Hermeneutik und Vermittlung 64 ZNT 23 (12. Jg. 2009) liert [S. 378]) vorangetrieben wird. Diese treten schon gleich zu Beginn der Erzählungen in Opposition zu Jesus und seiner Botschaft auf (S. 332). Sie sind die Opponenten Jesu, weil sie nicht erkennen, dass Jesus der Sohn Gottes ist und deshalb beschließen, »Jesus zu töten« (S. 364). Dass dieser Plan gelingen kann, liegt daran, dass einer aus der Gruppe der Jünger zum Verräter wird (»Die Jünger starrten ihn an. Judas war der Verräter! Jesus hatte ihn durchschaut. Aber was hatte Judas vor? Was wusste Jesus von seinen Plänen? «). Judas ist die Figur, der die Werte des Evangeliums von Jesus Christus verrät und mit dem sich die Leser/ innen nicht identifizieren sollen. Als Identifikationsangebot gilt vielmehr »der Jünger, den Jesus lieb hatte« (S. 379) und der Jesus auch angesichts von Kreuzigung und Tod nicht verlässt, denn »bis zur letzten Stunde, wusste er sich von Jesus geliebt. Selbst noch am Kreuz hat ihm Jesus seine Liebe erwiesen« (S. 379). Im Gegensatz zum johanneischen Erzählfaden (vgl. Joh 19,35-37) bezeugt dieser Jünger in der »Neukirchener Erzählbibel«: »Ja, es ist wahr. So starb Jesus am Kreuz, damit auch ihr glaubt: Er ist es, den Gott für uns alle dahingab, das wahre Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt« (S. 379). Unter der Überschrift »Der neue Auftrag« wird Joh 21 transformiert in eine Beauftragungsgeschichte von Petrus und den übrigen Jüngern, welche zugleich eine Scharnierfunktion zu dem folgenden Kapitel 19 unter der Überschrift »Die Ausbreitung des Evangeliums« hat. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der »Neukirchener Erzählbibel« der Versuch unternommen wird, die Geschichte von Jesus Christus ausschließlich anhand des Johannesevangeliums zu erzählen unter Ausklammerung der übrigen Evangelien. Die insgesamt 28 Erzählungen, die den Erzählfaden des Johannesevangeliums aufnehmen, bieten zahlreiche »Begegnungsgeschichten«, in denen die Jesus Begegnenden entsprechend der signifikanten Trias von Begegnung - Erkenntnis - Glauben ihr persönliches Zeugnis von dieser Begegnung ablegen. Besondere Exponenten einer glückenden Begegnungsgeschichte sind die Jünger, mit denen sich die Leser/ innen identifizieren sollen. Ihnen gegenübergestellt werden die Gegner Jesu, die sich durch ihr Nichterkennen, wer Jesus ist, auszeichnen. Regine Schindler / Stepan Zavrel: Mit Gott unterwegs. Die Bibel für Kinder und Erwachsene neu erzählt, 6. Aufl., Zürich 2004. Diese Bibel, die sich explizit sowohl an Kinder als au ch an Erwachsene richtet, zeichnet sich durch eine Textauswahl, die den Reichtum biblischer Sprache hervorhebt, sowie durch eine perspektivenreiche Erzählsprache aus. In 88 Erzählungen spannt die Zürcherin Regine Schindler einen Bogen mit »Geschichten vom Anfang« bis zur Reise des Paulus nach Rom. Die 39 Geschichten aus dem Neuen Testament beginnen mit einem kursiv gesetzten Introtext, der unter der Überschrift »Warten auf eine neue Zeit« eine Verbindung zwischen den vorher erzählten Texten aus dem Alten Testament und den nun folgenden Texten aus dem Neuen Testament schafft. In ähnlicher Weise schließt die Kinderbibel mit einem »Ausgangstext«, wo unter der Überschrift »Wie es weitergeht« im Anschluss an die Reise des Paulus nach Rom ein Ausblick gegeben wird, wie es mit der Kirche bzw. frühen Christenheit weitergehen wird. Hinsichtlich der Evangelienerzählungen aus dem Neuen Testament, die sich in dieser Kinderbibel finden, wird versucht, keine »Evangelienharmonie« zu bieten, sondern die Texte bewusst nach einem Evangelium zu erzählen. So sind »Jesu Abschiedsmahl« und »Getsemani« nach dem Matthäusevangelium erzählt, »Pontius Pilatus« und »Golgata« folgen dem Markusevangelium. Die Geschichte von der Auferstehung unter der Überschrift »Jesus lebt« wird nach dem Johannesevangelium erzählt. Innerhalb der aufgenommenen Texte aus dem Neuen Testament werden thematische Bündelungen vorgenommen. So werden Wunder- oder Gleichnistexte zu größeren Einheiten zusammengeschlossen. Während die Offenbarung des Johannes gänzlich fehlt und auch kein eigenes Kapitel zu den Paulusbriefen vorhanden ist, sondern innerhalb der Paulus betreffenden Erzählungen partiell Briefteile integriert werden, wie z.B. der Philipper-Hymnus, finden jedoch einige Texte aus dem Johannesevangelium Aufnahme in der Kinderbibel. 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 64 Kristina Dronsch Am Anfang war die Übersetzung ZNT 23 (12. Jg. 2009) 65 Unter der Überschrift »Woher hat er solche Macht? « werden die Wundergeschichten aus Mk 2,1-12; Lk 5,17-26 sowie Joh 2,1-11 gebündelt. Erzählt aus der Perspektive von vier Feldarbeitern, die einen Gelähmten auf der Tragbahre bei sich haben, wird die johanneische Erzählung von dem Weinwunder als Auftakterzählung einer weiteren Wundergeschichten eingeführt. Einer der Männer erzählt bei einer Pause während der Feldarbeit, bei der ein Wasserbeutel herumgereicht wird, dass man sich erzählt von einem Jesus aus Nazareth, der Wasser zu Wein gemacht hat. Sie kennen zwar Jesus (noch) nicht, aber einer von ihnen kennt zwei seiner Jünger und er habe auch gehört, dass er Kranke heilen soll. Nach beendeter Arbeit kehren die Männer, die den Gelähmten tragen, vom Feld zurück in ihr Dorf und sehen eine Menschentraube sich vor einem Haus versammeln. Nachdem sie erfahren, dass Jesus von Nazareth da ist und im Haus predigt, beschließen die vier Männer, den kranken Mann zu Jesus zu bringen. Die Heilung des Gelähmten wird in Verknüpfung markinischer und lukanischer Elemente der Handlung erzählt. Zum Ende des Kapitels wird von fünf Arbeitern auf dem Feld berichtet, die während einer Pause den Wasserbeutel herumreichen und von Jesus erzählen, »der von Gott solche Macht bekommen hat« (S. 180). D.h. die Erzählung von dem Weinwunder zu Kana wird in einen neuen Erzählzusammenhang eingefügt, der thematisch unter der Frage, woher Jesus solche Macht hat, zwei Wundergeschichten miteinander verbindet. Des Weiteren ist in der Kinderbibel unter der Überschrift »Eine Frau in Samaria« Joh 4,1-42 aufgenommen, als eine Geschichte, dass auch Frauen zu Jesus gehören. Dies wird noch unterstrichen durch die Einordnung dieser Geschichte in den Erzählzusammenhang der Kinderbibel, denn nach diesem Kapitel der Begegnung zwischen Jesus und der Frau in Samaria wird unter der Überschrift »Zwei Schwestern« die Erzählung von Maria und Martha, wie diese beiden Jesus in ihrem Haus als Gast beherbergen, erzählt. Das Gespräch zwischen Jesus und der Frau am Brunnen wird aus der Sicht der Frau erzählt und konzentriert sich auf ihre Wahrnehmungen und Aktionen. Es steht ganz im Dienste des Erkennens, wer Jesus ist, welches die Frau am Ende dazu führt, in ihrer Stadt zu verkünden, dass Jesus Christus da ist, der von Gott kommt. Unter der Überschrift »Fünf Brote und zwei Fische« wird Joh 6,1-15 aufgenommen, jedoch erweitert um einzelne Momente der Speisungserzählung aus Mk 6,30-44 (z.B. Mk 6,34). Geschickt wird das in Joh 6,9 erwähnte Kind zu dem Haupthandlungsträger der Erzählung in der Kinderbibel. Es wird von seinem Weg in die nahe gelegene Stadt berichtet, wo es seinen Korb mit den fünf Broten und zwei Fischen verkaufen soll. Auf seiner Reise trifft es auf Kinder und Erwachsene, die auf dem Weg zu einer Seebucht sind, wo Jesus ist. Es schließt sich ihnen an und wird Zeuge, wie Jesus die Menschenmenge mit seinen fünf Broten und den zwei Fischen satt werden lässt, indem viele Hände »teilen und brechen, teilen und brechen« (S. 200f.). Auch hier steht am Ende wieder die Erkenntnis - diesmal der großen Menschenmenge, die Jesus satt gemacht hat -, wer Jesus ist, nämlich dass er von Gott kommt und ein Prophet ist. Am Ende der Erzählung kehrt das Kind mit seinem nun um einiges schwereren, mit Brot und Fischen gefüllten Korb zurück nach Hause, um von Jesus zu erzählen. Unter der Überschrift »Jesus lebt« wird die Erzählung der Ereignisse am leeren Grab aus Joh 20,11-23 aufgenommen. Im Vordergrund steht die Begegnung des auferstandenen Jesus mit Maria am Grab. Schon in der Erzählung vorher unter der Überschrift »Golgota« wird Maria als Handlungsträgerin eingefügt, die mit dem Hauptmann am Kreuz steht , wo beide erkennen, dass Jesus Sohn Gottes ist. Auch in der Erzählung »Jesus lebt« wird wieder im Rahmen des Dialogs zwischen Maria und Jesus eine Erkenntnisgeschichte erzählt, bei der die Trauer von Maria verwandelt wird in Freude und in der Erkenntnis endet: »Jesus ist nicht mehr tot. Sie weiß: Ich habe ihn als erster gesehen. Ich darf es den anderen erzählen. Ich habe einen wichtigen Auftrag« (S. 242). Maria wird nicht nur zur ersten Zeugin der Auferstehung, sondern auch zur ersten Botin der Verkündigung der frohen Botschaft, die sie sodann den sich ängstlich versteckt haltenden Jüngern berichtet. Insgesamt werden in der Kinderbibel »Mit Gott unterwegs« vier Erzählungen aus dem Johannesevangelium aufgenommen. Es findet sich die nicht immer stringent durchgehaltene Tendenz bestimmte Geschichten nach einem Evangelium zu erzählen, aber dennoch ist bei dieser 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 65 Hermeneutik und Vermittlung 66 ZNT 23 (12. Jg. 2009) Kinderbibel das Bemühen zu finden, »die Auswahl unter den unterschiedlichen Erzählweisen der vier Evangelisten« 4 hervorzuheben. Bei den ausgewählten Texten nach dem Johannesevangelium fällt auf, dass sie narrativ so inszeniert werden, dass sie alle der Klärung der Frage dienen, wer Jesus ist. Der sich in dieser Kinderbibel häufig findende Perspektivwechsel, der die biblische Geschichte aus der Perspektive einer der Handlungsträger erzählt, lässt diesen gnoseologischen Aspekt als eine Frage, die die Erzählfiguren begleitet, auch für die Leserinnen und Leser dieser Kinderbibel zu einer offenen Frage werden. Diana Klöpper / Kerstin Schiffner, Gütersloher Erzählbibel. Mit Bildern von Juliana Heidenreich, Gütersloh 2004. Der »Gütersloher Erzählbibel« liegen drei grundlegende Wahlentscheidungen zugrunde, die am Ende der Kinderbibel entfaltet werden: 1. Es soll die Fremdheit biblischer Texte wahrgenommen werden und keine »Heile-Welt-Bibel« den Kindern geboten werden; 2.) es sollen keine Geschlechterrollenklischees fortgeschrieben werden, stattdessen soll die Vielfalt von Handlungsmustern in den biblischen Texten für Jungen und Mädchen fruchtbar gemacht werden. Auf »der Ebene der Auswahl der zu erzählenden Geschichten ist auf die in den biblischen Geschichten vorkommenden Frauengestalten angemessen Rücksicht zu nehmen«. 5 Das Anliegen der Nichtfestschreibung von Rollenbzw. Geschlechterklischees betrifft auch die Schreibung des Gottesnamens in dieser Kinderbibel, das durch den häufig sich findenden Genuswechsel im Gottesnamen forciert werden soll; 3.) es soll dem Anliegen des christlich-jüdischen Dialogs Genüge getan werden. Das Coverbild, welches nicht noch einmal in der Kinderbibel auftaucht und an den Exodus erinnert, kann als Programm dieser Kinderbibel gelesen werden: Die Erfahrung der Befreiung wird für die Jüdinnen und Juden als die Grunderfahrung mit ihrem Gott ausgemacht und die neutestamentlichen Texte werden in diese Erfahrung der Befreiung eingeschrieben: »Das Kommen Jesu bedeutet für sie eine Aktualisierung dieser Erfahrung, als Befreite zu leben - und diesmal gilt die Einladung verstärkt denen, die nicht zu Israel gehören, aber zu Israels Gott eine Beziehung haben wollen« (S. 385). Es finden sich in der umfänglichen neutestamentlichen Textauswahl, die überwiegend dem kanonischen Aufbau folgt, nicht nur Texte aus den Evangelien, sondern auch aus der Apg, der Offb und der Briefliteratur. Bei den Evangelienerzählungen werden hauptsächlich Texte aus dem Lukasevangelium ausgewählt und der Erzählfaden dieser Kinderbibel folgt dem Lukasevangelium. Jedoch werden die lukanischen Texte ergänzt um eine kleine Auswahl von zehn Texten aus Mt, Mk und Joh. Die Evangelientexte außerhalb des Lukasevangeliums sind als ein Textblock eingefügt und zwar bevor nach dem Lukasevangelium Jesus in Jerusalem einzieht. Aufgenommen aus dem Joh sind unter der Überschrift »Die Frau am Brunnen« Joh 4,1-42, unter der Überschrift »Jesus - Auferstehung und Leben für Lazarus« Joh 11,1-46 sowie unter der Überschrift »Die so genannten ›Ich-bin-Worte‹« verschiedene Ichbin-Worte aus dem Evangelium. Die Erzählung in der Kinderbibel von der Begegnung zwischen Jesus und einer Frau am Brunnen wird durch einen kurzen Introtext, der sich in der Schriftart vom übrigen Text abhebt, eingeleitet. Hier wird hervorgehoben, dass im Johannesevangelium von einer Frau berichtet wird, die am Brunnen mit Jesus ein Streitgespräch führt und nach dieser Begegnung allen Menschen von Jesus, »der für sie zum Messias geworden ist« (S. 313), berichtet. Die Kinderbibel setzt erzählerisch ein, indem die Geschichte der Begegnung mit Jesus aus der Retrospektive von der Frau bei ihrer Rückkehr in ihr Dorf erzählt wird. Hier steht nicht der gnoseologische Aspekt im Vordergrund, sondern die Erzählung der Frau von ihrer Begegnung mit Jesus am Brunnen wird zu einer Befreiungsgeschichte, in der die Frau bekennt: »Jetzt bin ich frei [...]! Vertraut mir, dieser Mann bringt die Befreiung, auf die wir alle hoffen! « (S. 315) Die darauf folgende Erzählung unter der Überschrift »Jesus - Auferstehung und Leben für Lazarus« stellt wieder Begegnungen von Frauen mit Jesus in der Vordergrund, diesmal sind es Maria und Martha. Im Zentrum ihres Gesprächs mit Jesus steht Jesu Selbstoffenbarung mit den 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 66 Kristina Dronsch Am Anfang war die Übersetzung ZNT 23 (12. Jg. 2009) 67 Worten »Ich bin die Auferstehung und das Leben«, denen die angesprochene Martha vertraut (das Wort »glauben« wird nicht verwendet). Nachdem Jesus vor den Anwesenden den schon vier Tage im Grab liegenden Lazarus, den Bruder der beiden Frauen, aus seinem Grab herausruft, vertrauen auch »viele der Frauen und Männer, die dabei gewesen waren, auf Jesus und das, was er lehrte« (S. 316). Diese Transformation gegenüber dem Johannesevangelium, wo am Schluss hervorgehoben wird, dass viele sahen, was Jesus tat und deshalb an ihn glaubten (vgl. Joh 11,45), stellt zugleich eine Überleitung zu den folgenden aufgenommenen Bildworten dar, die in der Kinderbibel ebenfalls mit einem kurzen, im Schrifttyp abgesetzten Intro-Text versehen sind. In diesem Intro- Text wird rückwirkend eine Erklärung gegeben, wie die Erzählung von Lazarus und seiner Auferweckung zu verstehen ist: Jesu Aussage »Ich bin die Auferstehung und das Leben« habe eine übertragene Bedeutung. Bei der Lazaruserzählung geht es nicht um eine Totenauferweckungserzählung, sondern es handelt sich um eine das Wunder marginalisierende individualisiert zugesprochene Hoffnungsweckungserzählung, die die Grunderfahrung der Befreiung fortschreibt. Das Ich-bin- Wort steht für die Aussage: »Für mich ist Jesus das Leben: Ich kann aufstehen und lasse mich nicht länger von der Angst vor denen, die stärker sind als ich und die mir ans Leben können, niederdrücken! « (S. 317) Die folgenden, aus ihrem Erzählzusammenhang herausgeschälten Bildworte aus Joh 6,35; 8,12; 10,11.14; 14,6; 15,1.5 werden dementsprechend immer mit der im Schrifttyp abgesetzten von den Autorinnen eruierten übertragenen Bedeutung geboten, die dominant der Grundentscheidung die Kinderbibel folgt, dass mit Jesu Kommen die schon in den alttestamentlichen Texten zugesprochene Befreiungserfahrung aktualisiert wird. Dies kann jedoch erweitert werden um ein zweites Grundanliegen dieser Kinderbibel, nämlich die Verkündigung Jesu in ihrer Verbindung zu Israel zu stellen und somit einen Beitrag zum jüdisch-christlichen Dialog zu liefern. So ist beispielsweise für das Bildwort »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« aus Joh 14,6 folgende übertragene Bedeutung angegeben: »Für mich ist Jesus der Weg zu Israels Gott, durch ihn wird für mich wahr, was den Völkern in der Schrift versprochen ist. So kann ich leben und teilhaben an der Freiheit, die GOTT seinem Volk Israel geschenkt hat« (S. 317). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die »Gütersloher Erzählbibel« nur eine - gemessen an der Größe der Textauswahl dieser Kinderbibel - geringe Anzahl von Texten aus dem Johannesevangelium aufnimmt zu Gunsten des lukanischen Erzählfadens, der im Mittelpunkt der Evangelienerzählungen steht. Die ausgewählten Texte aus Joh werden entsprechend dem Grundanliegen dieser Kinderbibel transformiert, nämlich die Erfahrung der Befreiung, die durch Jesus, den Messias, aktualisiert wurde, in das Zentrum der Aussagen johanneischer Texte zu stellen und stellt das Bindeglied der aus dem Johannesevangelium aufgenommenen Texte dar. Dieses Grundanliegen einer das Individuum betreffenden weltlich verstandenen Befreiung ist so dominant, dass sogar die aus ihrem narrativen Kontext entbundenen »Ich-bin-Worte« in dieses Zusammenhang eingeordnet werden. II. Das Ergebnis dieses Durchgangs anhand dreier aktueller Kinderbibeln bezüglich der getroffenen Wahlentscheidungen zu johanneischen Texten in den Kinderbibeln könnte sowohl hinsichtlich der Frage, Was ausgewählt wird und Wie ausgewählt wird aus dem Johannesevangelium, nicht heterogener sein und ließe sich beliebig durch weitere Kinderbibeln in diesem Tenor der Inhomogenität erweitern. Alle drei vorgestellten Kinderbibeln bieten eine Auswahl von johanneischen Texten, die je unterschiedlichen Umfanges ist und sich nur dahingehend auf einen gemeinsamen Nenner bringen lässt, dass keine der vorgestellten Kinderbibeln alle Texte des Johannesevangeliums bietet. Auch das »Wie« der Gestaltung der aufgenommenen johanneischen Texte ist inhomogen. Alle Kinderbibeln bieten Transformationen der johanneischen Texte. Während die »Neukirchener Erzählbibel« darauf verzichtet, den johanneischen Erzählfaden umzuordnen, nimmt sie dennoch Ergänzungen und Umformungen der johanneischen Texte vor (beispielsweise, dass Erkennen der Jünger, dass Judas der Verräter ist) und gewichtet die aufgenommenen Erzählungen hinsichtlich der Trias Begegnung - Erkenntnis - 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 67 Hermeneutik und Vermittlung 68 ZNT 23 (12. Jg. 2009) Glauben. Bei der Bibel »Mit Gott unterwegs« werden die aufgenommenen johanneischen Erzählungen auch umgeordnet, indem beispielsweise mehrere Wundergeschichten aus verschiedenen Evangelien in einen Erzählzusammenhang gestellt werden. Dementsprechend liegt bei dieser Kinderbibel ein Schwerpunkt auf dem Aspekt der Komposition, der besonders dadurch unterstrichen wird, dass die johanneischen Texte in einen neuen Erzählzusammenhang integriert werden. Aber auch Aspekte der Ergänzung (z.B. der Wasserbeutel, den die fünf Feldarbeiter herumreichen), Umformung (beispielsweise durch die Erzählperspektive) und Gewichtung (es handelt sich durchgängig um »gnoseologische« Erzählungen) werden deutlich. Auch bei der »Gütersloher Erzählbibel« finden sich Ergänzungen (z.B. was die Ich-bin-Worte bedeuten), Umformung (z.B. die Zusammenstellung der Ich-bin-Worte) und besonders der Gewichtung, über die nicht nur das Nachwort in der Erzählbibel Auskunft gibt, sondern die auch in den einzelnen ausgewählten johanneischen Erzählungen durch die dominante Akzentuierung als Befreiungsgeschichten zum Tragen kommen. Während auf der einen Seite implizit die Vielfalt des »Was« und »Wie« der Auswahl in Kinderbibeln begrüßt wird, weil es gerade ein Proprium dieser Gattung ist - beispielsweise hält Tschirch in seinem RGG-Artikel zu Kinderbibeln fest, dass sich Kinderbibeln dadurch auszeichnen, dass sie »eine Auswahl mehr oder weniger frei in kindgemäßer Sprache nacherzählter [...] bibl. Texte« 6 bieten -, ist auf der anderen Seite eine »Verwirrung über die Variationsbreite der vorliegenden Kinderbibeln« 7 zu konstatieren. Die folgenden Ausführungen verdanken sich deswegen dem grundlegenden Interesse, die positiv anerkannte Pluralität und Heterogenität, die sich bei der Aufnahme johanneischer Texte in Kinderbibeln gezeigt hatte, ernst zu nehmen und sind daher von der Überzeugung getragen, dass gerade die den Kinderbibeln zugrundeliegenden Wahlentscheidungen zu einer Frage nach der Ethik von Kinderbibeln drängt. Während die Frage nach der »Moral in Kinderbibeln« 8 zu einem gängigen wissenschaftlichen Topos in der Kinderbibelforschung avanciert ist, ist die Frage nach der Ethik von Kinderbibeln eine thematisch vielfach gestreifte, jedoch nicht explizierte Frage, die häufig in Form einer Kriteriologie für gute versus schlechte Kinderbibeln zur Anwendung kommt. Das dabei häufig repetierte Basiskriterium lautet: »Die Frage, wann eine Kinderbibel gut ist, kann mit Hilfe der zentralen Kriterien der Didaktik beantwortet werden: Wenn sie den biblischen Text ernst nimmt und ihm gerecht wird und wenn sie das Kind in seinem Subjektsein respektiert und ihm gerecht wird«. 9 In einer Kinderbibel kommen somit idealtypisch »zwei konstitutive Bezugsgrößen zum Ausgleich. Zum einen die Beziehung auf die Vollbibel - sie ist das Werk, das ohne substantiellen Verlust tradiert werden soll -, zum anderen der Bezug auf den Rezipienten. Die Bibel soll dem Verständnis von Kindern erschlossen werden«. 10 Es geht um das Verhältnis von Text- und Kindgemäßheit bei Kinderbibeln. Die Textgemäßheit und Kindgemäßheit sind somit die ethischen Schlüsselbegriffe für die Beurteilung der Qualität einer Kinderbibel. Jedoch, wenn nach einer näheren Entfaltung der beiden Begriffe gefragt wird, stellt sich eine gewisse Verlegenheit ein: Textgemäßheit sei »eine theologisch verantwortete Bearbeitung des biblischen Stoffes. Die Übertragung der biblischen Texte geschieht auf der Grundlage bibelwissenschaftlicher Erkenntnisse. Sie entspricht den biblischen Aussagen über Gott, über Jesus, über uns Menschen und ist gleichzeitig erfahrungsbezogen sowie von aktueller Bedeutung« 11 - so Lauther- Pohl. Braun fragt demgegenüber: »Werden Eigenart, ursprüngliche Intention, Sinnpotential und Kontext des Bibeltextes respektiert, so dass er unverstellt das zur Sprache bringen kann, was in ihm angelegt ist? « 12 Für Tschirch zeige sich die Textgemäßheit, wenn der Autor einer Kinderbibel über verlässliche bibelwissenschaftliche Kriterien verfügt, »die verhindern können, daß dem lesenden Kind unter der Hand etwas anderes als die Mitte der Schrift, als das, was ›Christum treibt‹, als Sinn und Sache Jesu vermittelt wird, als der Glaube an Gott, den Vater, wie ihn Jesus bezeugt hat.« 13 Der Textgemäßheit konterkarierend zur Seite gestellt wird die Kindgemäßheit. So soll eine Kinderbibel im gleichen Maße, wie sie theologisch fundiert sein soll, auch pädagogisch verantwortet sein. Dies zeige sich an der Erzählsprache, die theologische Fachausdrücke, wie Reich Gottes, zu vermeiden habe und spannend zu erzählen 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 68 Kristina Dronsch Am Anfang war die Übersetzung ZNT 23 (12. Jg. 2009) 69 weiß, sowie an der Geschichtenauswahl und an den Illustrationen - so Lauther-Pohl. 14 Bei Braun wird die Kindgemäßheit eingelöst, wenn folgende Fragen positiv beantwortet werden: »Werden die Heranwachsenden als mündige LeserInnen ernst genommen [...]? Werden die Lebenssituation, die entwicklungsbedingten Verstehensvoraussetzungen und Interessen der Heranwachsenden berücksichtigt? « 15 Das, was als textgemäß gilt, ist ebenso kriteriologisch unscharf, wie das, was als kindgemäß gilt. Diesen beiden Leitkriterien fehlt, was sie voraussetzen: nämlich eine verbindliche Kriteriologie, die die Textgemäßheit und Kindgemäßheit als vermeintlich inhärente Eigenschaft von Kinderbibeln ausweisen kann. Im Hintergrund dieser beiden vermeintlichen Kriterien steht letztlich ein Parameter, das im Zusammenhang mit der Frage von Übersetzungen verhandelt wird: Es geht um den Komplex von Treue und Verrat. Er steht im Hintergrund der Frage nach dem Verhältnis von Textgemäßheit und Kindgemäßheit: Einerseits soll der biblische Text ohne Verlust und Verfälschung in einer Kinderbibel entfaltet werden, andererseits in die Worte gekleidet werden, die den heutigen Kindern als Rezipienten zugänglich sind unter Wahrung der Treue zum Text. Es ist allerdings gerade der Parameter der Texttreue und des Textverrates, welcher sich als nicht tauglich, weil nicht ethisch erweist. Denn er beruht auf einer Grundvoraussetzung, die sich als nicht haltbar erweist. Er verdankt sich einem letztlich technologischen Modell von Enkodierung und Dekodierung von Botschaften und setzt somit eine ideale, reine Sprache voraus, die sich jedoch als sprachtheoretisch unhaltbar erwiesen hat. Es gibt nicht die Herauslösung einer Art idealen oder ideellen Sinn-Kerns, eines objektivierbaren Gehaltes des biblischen Textes, der im Zuge der Übersetzung in Kinderbibeln unbeschadet weiter gegeben wird und jeweils nur in ein anderes Kleid gewandert ist. Vielversprechend für den ethischen Diskurs ist es hingegen, Kinderbibeln als Übersetzungen zu verstehen - jedoch losgelöst von dem unethischen Parameter von Treue und Verrat. 16 Kinderbibeln sind Über-setzungen im eigentlichen Sinn des Wortes. Nach Jörn Albrecht ist das Wort »übersetzen« eine Lehnübersetzung aus dem lateinischen »traducere«, das eine geographische und navigative Bedeutung besitzt: traducere navem, das Schiff ans andere, ans fremde Ufer steuern. 17 D.h. wenn man übersetzt, hat man es also - wie beim Seefahren - mit dem Anderen, mit dem Fremden zu tun, das den Ausgangspunkt für eine Begegnung darstellt. Diese Begegnung mit dem Fremden stellt sich bei einer Kinderbibel in zweifacher Weise ein, so dass von einer doppelten Radikalisierung der Fremdheit gesprochen werden kann: a.) die Fremdheit biblischer Texte; b.) die Fremdheit der Welt der Kinder. Die biblischen Texte sind fremde Texte. Sie funktionieren nach Regeln, die uns nicht vertraut sind und entstammen »einem andern kulturellen Kontext, der uns zunächst fremd ist. Unsere Gewöhnung und Vertrautheit mit biblischen Texten mag uns dies Faktum zwar verdecken und uns zu dem falschen Eindruck verführen, wir könnten unmittelbar verstehen, was die Texte sagen wollen«. 18 Gerade, weil Kinderbibeln durch die Beziehung auf ihre Rezipienten, die Kinder, bestimmt werden, ist diese Adressatenorientierung von grundlegender Relevanz. Entscheidend ist nun, dass diese Adressierung an Kinder jedoch nicht im Sinne einer realen sozialen Beziehung zu verstehen ist, sondern eine imaginäre Repräsentation einer sozialen Beziehung darstellt, die durch die vorgenommenen Wahlentscheidungen in einer Kinderbibel Gestalt gewinnt. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn er hält fest, dass die Adressierenden - als Verfasser einer Kinderbibel - und die Adressierten - die Kinder - eben nicht aus einer sozialen Gruppe stammen: denn Kinderbibeln werden von Erwachsenen geschrieben. Dies macht die unhintergehbare Fremdheit der Welt der Kinder aus, mit der die Adressierenden einer Kinderbibel sich auseinandersetzen müssen. Es sind nun gerade die beiden Aspekte der Fremdheit, die eine Übersetzung erforderlich machen. Eine Kinderbibel ist somit eine Übersetzung, die sich zu der doppelten Fremdheit - der Fremdheit biblischer Texte und der Fremdheit der Welt der Kinder - verhält. Dieses »Verhalten-zu« einer Kinderbibel-Übersetzung hat zwei Aspekte. In Bezug auf den biblischen Text möchte ich es mimetisch interpretativ nennen. Es wird »Kinderbibeln sind Übersetzungen im eigentlichen Sinn des Wortes.« 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 69 Hermeneutik und Vermittlung 70 ZNT 23 (12. Jg. 2009) forciert durch die kulturell, gesellschaftlich und historisch bedingten Methoden der Interpretation und des Textverstehens, die bei der Übersetzung einer Kinderbibel zum Tragen kommen. In Bezug auf die Rezipienten möchte ich es mimetisch kommunikativ nennen. Es wird forciert durch die kulturell, gesellschaftlich und historisch bedingten Überzeugungen und Wissensannahmen der Adressatenorientierung, die ebenfalls bei der Übersetzung einer Kinderbibel zum Tragen kommen. Beide Aspekte spielen in jeder Kinderbibel- Übersetzung eine Rolle. Das heißt jede Übersetzung einer Kinderbibel ist immer zugleich Interpretation und Kommunikation. Damit jedoch bei diesem mimetischen Verhalten nicht nur das Eigene im Fremden wiedergefunden wird, bedarf es der Formulierung von Kriterien, die die herausgearbeitete doppelte Fremdheit bewahren. In Abwandlung der von Stefan Alkier in ZNT 11 (2003) dargelegten drei Kriterien einer Ethik der Interpretation (dem Realitätskriterium, dem Kontextualitätskriterium sowie dem Sozietätskriterium) möchte ich als ethische Kriterien für die Übersetzung von Kinderbibeln reformulieren: a.) Eine Kinderbibel ist eine gute Übersetzung, wenn sie danach strebt, sowohl den biblischen Text als Interpretationsgegenstand als auch die Adressaten als Kommunikationsgegenstand als real vom Übersetzer Unterschiedenes in gewisser Weise darzustellen, und diesem anderen mit Respekt gegenübertritt. Eine Kinderbibel, die das Fremde des biblischen Textes oder der Rezipienten aufhebt oder ausblendet, verfehlt dieses ethische Kriterium. Wenn besonders die »Gütersloher Erzählbibel« die johanneischen Texte darauf hin befragt, inwiefern sie im Interesse einer (geschlechter)gerechten Welt eine Befreiungsbotschaft haben, so ist dies im Sinne einer gerechteren Welt sicherlich förderlich, aber es verlangt nicht, »sie nicht mehr als real vorgegebenes Anderes in den Blick zu nehmen«, 19 wie dies beispielsweise bei den johanneischen »Ich-bin-Worten« in dieser Kinderbibel geschieht. Auch halte ich durch die Beifügung der von den Verfasserinnen eruierten Bedeutung der johanneischen Ich-bin-Worte die Beachtung der Adressaten für verfehlt. Als nächstes Kriterium ist zu nennen: b.) Eine Kinderbibel ist eine gute Übersetzung, wenn sie sich als ein Beitrag zu einer gemeinschaftlichen Wahrheitssuche versteht, und andere Übersetzungen, auch wenn sie inhaltlich nicht geteilt werden, als Beitrag zu dieser Wahrheitssuche versteht. Der damit angesprochene Plural möglicher Übersetzungen wird hier ausdrücklich vorausgesetzt. So ist kritisch an die »Neukirchener Erzählbibel« die Frage zu stellen, ob sie in der einseitigen Darstellung des »Evangeliums Jesu Christi« nach dem Johannesevangelium unter Ausklammerung der anderen Evangelien dieses Kriterium unterläuft. Das Markus-, Lukas und das Matthäusevangelium sind genauso zu verstehen als Evangelium Jesu Christi. Mit der alleinigen Aufnahme johanneischer Texte in dieser Kinderbibel wird die Vielfalt der möglichen Übersetzungen des Evangeliums Jesu Christi unterbunden und die Übersetzung auf der Grundlage der johanneischen Texte in dieser Kinderbibel mit einem Alleinanspruch versehen, der eine gemeinschaftliche Wahrheitssuche eher unterbindet als fördert. Das letzte Kriterium für eine Kinderbibelübersetzung lautet: c.) Eine Kinderbibel ist eine gute Übersetzung, wenn sie ihre kulturelle Verortung offen legt und sich als ein Beitrag zur kommunikativen Erschließung der Welt präsentiert. Für eine Ethik der Übersetzung von Kinderbibeln ist es überaus wünschenswert, wenn nicht nur über das hermeneutische und methodische Vorgehen in einer Kinderbibel reflektiert wird, sondern wenn die getroffenen Wahlentscheidungen nachvollziehbar gemacht werden. Die Kinderbibel »Mit Gott unterwegs« ist dahingehend zu kritisieren, dass sie es unterlässt, ihr hermeneutisches und methodisches Vorgehen sowie die übrigen Wahlentscheidungen darzulegen. So wird bei dieser Kinderbibel nicht bedacht, dass auch Kinderbibeln immer die Möglichkeit bergen müssen, zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihr zu gelangen. Gerade, weil Kinderbibeln eine lebensgeschichtliche Relevanz haben, ist dieser Punkt von unaufgebbarer Wichtigkeit. In der Fokussierung auf die Übersetzung des Johannesevangeliums in Kinderbibeln wird ein diskursiver Rahmen für ethische Kriterien bezüg- »Das heißt jede Übersetzung einer Kinderbibel ist immer zugleich Interpretation und Kommunikation.« 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 70 Kristina Dronsch Am Anfang war die Übersetzung ZNT 23 (12. Jg. 2009) 71 lich der in Kinderbibeln getroffenen Wahlentscheidungen geschaffen, bei der der Pluralität der Wahlentscheidungen Raum gegeben wird. Vielleicht gibt es gerade in dieser Hinsicht vom Johannesevangelium noch einiges zu lernen. Denn wie kein anderes Evangelium gibt diese Schrift zu erkennen, dass sie sich einer Wahlentscheidung verdankt: »Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen« (Joh 20,31). l Anmerkungen 1 Allerdings soll auch nicht verschwiegen werden, dass sich in jüngster Zeit eine Trendwende hinsichtlich der Berücksichtigung des Johannesevangeliums in religionspädagogischen Zusammenhängen beobachten lässt: Nicht nur die in diesem Heft rezensierte Studie von M. Kumlehn, Geöffnete Augen - gedeutete Zeichen. Historisch-systematische und erzähltheoretischhermeneutische Studien zur Rezeption und Didaktik des Johannesevangeliums in der modernen Religionspädagogik (Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs 1), Berlin / New York 2007 ist hier zu nennen, sondern auch die jüngst erschienenen religionspädagogischen Bücher: M. u. R. Zimmermann, Bibel verstehen. Am Beispiel des Johannesevangeliums. Unterrichtsmaterialien Religion betrifft uns 2, Aachen 2003, sowie G. Büttner / H. Roose, Das Johannesevangelium im Religionsunterricht. Informationen, Anregungen und Materialien für die Praxis, Stuttgart 2007, sind ein Anhaltspunkt dafür, dass sich eine Trendwende hinsichtlich der Beachtung des Johannesevangeliums in religionspädagogischen Zusammenhängen anzukündigen scheint. 2 So im Vorwort zur Neukirchener Erzählbibel. 3 So Weth, Neukirchener Erzählbibel, 473. 4 R. Schindler, »Mit Gott unterwegs« - Vorgeschichte - Textauswahl - Entstehen des Buches, in: G. Adam / R. Lachmann / R. Schindler (Hgg.), Inhalte von Kinderbibeln. Kriterien ihrer Auswahl (Arbeiten zur Religionspädagogik 37), Göttingen 2008, 219-238: 232. 5 K. Schiffner, Kinderbibeln - (k)ein Platz für feministische Theologie / Gender-Studies? ! , in: D. Klöpper / K. Schiffner / J. Taschner (Hgg.), Kinderbibeln - Bibeln für die nächste Generation? Eine Entscheidungshilfe für alle, die mit Kindern Bibel lesen, Stuttgart 2003, 66- 77: 74. 6 R. Tschirch, Art. Kinderbibel, RGG Bd. 4, 4. Aufl., Tübingen 2001, 973. 7 I. Renz, Kinderbibeln als theologisch-pädagogische Herausforderung. Unter Bezugnahme auf die Analytische Psychologie nach C.G. Jung, Göttingen 2006, 127. 8 Vgl. dazu beispielsweise die gleichnamige Broschüre von der dritten Trierer Kinderbibeltagung 1997, die vom Katechetischen Institut des Bistums Trier und der Katholischen Akademie Trier 1998 herausgegeben wurde. 9 G. Adam, Kinderbibeln - Von Luther bis heute, in: Jahrbuch für Kindertheologie 2 (2003), 157-169: 177. 10 Th. Erne, Die Kinderbibel als Medium religiöser Überlieferung, in: G. Adam / R. Lachmann (Hgg.), Kinderbibeln. Eine Lese- und Studienbuch (Schriften aus dem Comenius-Institut Bd. 1), Münster 2006, 19-30: 20. 11 M. Lauther-Pohl, Die empfehlenswerte Kinderbibel - wie sieht sie aus? Kriterien der Qualitätsprüfung, in: D. Klöpper / K. Schiffner / J. Taschner (Hgg.), Kinderbibeln - Bibeln für die nächste Generation. Eine Entscheidungshilfe für alle, die mit Kindern Bibel lesen, Stuttgart 2003, 10-25: 13. 12 J. Braun, Mit kritischem Blick auf Kinderbibeln heute. Übersicht, exemplarische Fehlformen, Beurteilung, in: Adam / Lachmann, Kinderbibeln, 140-144: 142. 13 R. Tschirch, Kinderbibeln kritisch gelesen. Vergleich verschiedner Kinderbibelerzählungen, in: Adam / Lachmann, Kinderbibeln, 119-126: 125. 14 Lauther-Pohl, Kinderbibel, 19ff. 15 Braun, Kinderbibeln heute, 142f. 16 Soweit ich sehe, ist Ch. Dohmen, Der Gott der Bibel - der Gott der Kinder? Alttestamentliche Gottesvorstellungen in Kinderbibeln, in: H.-G. Wirtz, Der Glaube der Kinder und das Gottesbild in Kinderbibeln, 37-55: 54, einer der wenigen, der explizit von Kinderbibeln als Übersetzungen spricht: »Da die Bibel selbst kein Kinderbuch ist, geht es in der Kinderbibel vor allem darum, biblische Glaubenserfahrungen für Kinder umzusetzen und die Kinder mit den biblischen Geschichten vertraut zu machen. Kinderbibeln sind folglich Übersetzungen von hochtheologischer Literatur in das Kinderbuch hinein. Dies impliziert, daß all die Probleme, Fragen und Schwierigkeiten, die uns bei Bibelübersetzungen begegnen, in besonderer Form auch bei Kinderbibeln gegeben sind.« 17 Vgl. J. Albrecht, Literarische Übersetzung - Geschichte, Theorie, Kulturelle Wirkung, Darmstadt 1998, 40.Vgl. auch A. Dimova, Das Wort »Übersetzung«, in: dies. u.a. (Hgg.),Wort und Grammatik. Festschrift für Pavel Petkov anlässlich seiner Emeritierung (Germanistische Linguistik 171-172), Hildesheim 2003, 307- 331. 18 R. Tschirch, Biblische Geschichten erzählen, in: Klöpper / Schiffner / Taschner (Hgg.), Kinderbibeln, 26-43: 31. 19 St. Alkier, Fremdes Verstehen - Überlegungen auf dem Weg zu einer Ethik der Interpretation biblischer Schriften. Eine Antwort an Laurence L. Welborn, ZNT 11 (2003), 48-59: 52. 020009 ZNT 23 Inhalt 03.04.2009 16: 19 Uhr Seite 71