ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2010
1325
Dronsch Strecker VogelBiblische Rede vom Geist im Dienst der Christologie
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Odette Mainville
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ZNT 25 (13. Jg. 2010) 67 Die hier zur Disposition stehende Frage lautet: Ist die Christologie die Grundlage der Pneumatologie des lukanischen Doppelwerkes? Die Beantwortung dieser Frage setzt eine andere voraus: Hat Lukas eine eigene Pneumatologie entwickelt? Um diese zweite Frage zu beantworten, muss beobachtet werden, wann, wie und warum Lukas vom Geist spricht. Zunächst muss präzisiert werden, dass sich dieser Aufsatz nur mit der theologischen Bedeutung des Wortes »Geist« von seiner semitisch alttestamentlichen Verankerung her befasst. Es geht um die ruah, die die LXX mit pneuma und die Vulgata mit spiritus übersetzen: Der Hauch Gottes, der Leben schafft und als Kraft handelt, mit dem bestimmte Figuren in Hinsicht auf bestimmte Aufgaben zugunsten Israels erfüllt werden. 1. Das Wirken des Geistes im Lukasevangelium Der Geist ist besonders aktiv in den ersten vier Kapiteln des Lukasevangeliums. Bei jeder seiner Interventionen handelt er als Garant der Worte und der Taten der Personen, die mit dem Kommen und der Mission Jesu in der Welt verbunden sind. Im Diptychon der Ankündigungen der Geburten von Johannes und Jesus spielt der Geist eine doppelte Rolle, nämlich eine präventive und eine schützende. In der ersten Ankündigung (Lk 1,11-20) präzisiert der Engel, dass das Kind des Zacharias vom Heiligen Geist vom Mutterleib her erfüllt werden wird (gr. Plēsthēsetai; 1,15); dann enthüllt er die Aufgabe, die ihn erwartet: Die Wege des Herrn vorzubereiten (V. 76). Das Passivum futurum des Verbs »erfüllen« zeigt, dass eine äußerliche Quelle für die Gabe des Geistes zu dem Kind verantwortlich sein wird. In Hinblick auf die Bedeutung seiner Berufung wird der Schutz des Geistes seiner Geburt vorangehen 1 und seine Wirksamkeit wird sich dauerhaft entfalten. In der zweiten Ankündigung hat der Verweis auf den Geist ein ganz anderes Ziel. Die Verheißung seiner Intervention bezieht sich auf Maria und nicht auf das Kind (1,35): »Der heilige Geist wird über Dich kommen (gr. epeleusetai) und die Kraft des Höchsten wird Dich überschatten (gr. episkiasei), auch darum (gr. dio kai) wird das Heilige, das gezeugt wird, Sohn Gottes genannt werden«. Die Intervention des Geistes hat nicht die Zeugung (wie es in Mt 1,18.20 der Fall ist), sondern den Schutz der Umgebung, in der das Kind gezeugt wird, 2 zum Objekt, wie es das Verhältnis von Ursache-Wirkung zeigt, das durch dio kai zwischen den beiden Hälften des Verses hergestellt wird. Alle anderen Erwähnungen des Geistes in Lk 1-2 betreffen Personen, die das Kommen Jesu durch Orakel kommentieren. Das erste, das Elisabeth zugeschrieben ist (V. 41-45), bringt eine doppelte Anerkennung seines Status zum Ausdruck: Elisabeth selbst, die vom Heiligen Geist erfüllt wurde (gr. eplēsthē pneumatos hagiou), ruft: »Wie geschieht mir, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? «(V. 43); und das Kind in ihrem Leibe hüpft vor Freude angesichts diesem vom Heiligen Geist bereits erfüllten Kind - was als Johannes pränatale Anerkennung der Überlegenheit Jesu gedeutet wird. Es kommen dann die prophetischen Worte, die unmittelbar mit den beiden Geburten verbunden sind. Bei der Geburt des Johannes spricht sein ebenfalls vom Geist erfüllter (gr. eplēsthē pneumatos hagiou) Vater Zacharias einen Psalm (V. 67-79), in dem die jeweilige Rolle der beiden Kinder deutlich verteilt wird: Jesus, der aus der Familie Davids stammt, wird der Erlöser sein, den der Gott Israel sendet (V. 68-69); Johannes wird der Prophet des Höchsten sein, der vor ihm hergehen wird, um die Wege des Herrn vorzubereiten (V. 76). Nach der Geburt Jesu und bei seiner Darbringung im Tempel bezeichnet ihn in der Tat Simeon, der über ihn prophezeit, als den erwarteten Heiland Israels - und sein prophetisches Wort wird vom Heiligen Geist dreifach autorisiert (2,25-27). Mit Ausnahme von Maria werden alle Figuren, die sich in den beiden ersten Kapiteln über Jesus geäußert haben, aus dem narrativen Setting des Evangeliums verschwinden. Sie wurden punktuell vom Geist Gottes erfüllt, wie die alttestamentlichen Propheten (Num 11,17.25.29; Jes 11,2; 42.1; 61,2; Ez 11,5). Der Inhalt ihrer Sprüche war streng christologisch ausgerichtet, und in jedem einzelnen Fall hatte der Geist die einzige Kontroverse Odette Mainville Biblische Rede vom Geist im Dienst der Christologie 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 67 68 ZNT 25 (13. Jg. 2010) Kontroverse Funktion, sie zu legitimieren. Eine besondere Stellung bekommt insofern die Erfüllung des Geistes bei Johannes. Denn sie ist auch prophetischer Art, aber mit dem Novum, dass sie permanent wird. Deshalb unterscheidet sich die Funktion des Geistes bezüglich Johannes auch von der hinsichtlich der Funktion bei Marias, denn sie schafft eine Sphäre der Heiligkeit. Bis zu diesem Punkt erscheint der Geist als ein Werkzeug Gottes, das in bestimmten Figuren im Wesentlichen im Dienste des Kommens Jesu, des signifizierten Heilands und Messias, wirksam ist. Sein Wohnen in Jesus wird aber eine einzigartige Bedeutung erhalten. In der Szene der Taufe steigt der Geist auf ihn in dem Augenblick herab, in dem die himmlische Stimme seine Erwählung mit einem freien Zitat von Jes 42,1 offenbart: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen« (Lk 3,22). Und in einer Anspielung auf dieses Ereignis bezeichnet Jesus in seiner Vorstellungsrede in der Synagoge in Nazareth (4,18-27) das Kommen des Geistes als Salbung und Einsetzung in eine Mission, die er mit prophetischen Begriffen klar definiert (V. 24.25-26.27). Der narrative Verlauf des Evangeliums wird übrigens diese Interpretation bestätigen. 3 Der deutlichste Beleg findet sich in dem Mund der beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus: »Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volke« (24,19). Hier muss man aber auf die genaue Beschreibung des Verhältnisses des Geistes zu Jesus als auf eine bedeutende Neuakzentuierung hinweisen: An die Stelle der passiven partizipialen Form des Verbs »erfüllen« (gr. pimplēmi), die bisher für alle anderen Figuren verwendet worden war, hat Lukas die adjektivische Form »voll« (gr. plērēs) für Jesus gewählt. So schreibt er von Jesus, der nach seiner Taufe vom Heiligen Geist in die Wüste geführt wird: »Jesus kehrte nun voll vom Heiligen Geist vom Jordan zurück« (4,1). Es handelt sich um einen Zusatz zu der markinischen Quelle, der die Qualität des Wohnens des Geistes in Jesus auch gegenüber Johannes hervorhebt: Der Täufer ist zwar auch dauerhaft, aber in Hinblick auf eine präzise Aufgabe und nur für diese Aufgabe vom Heiligen Geist erfüllt, während Jesus uneingeschränkt voll von Geist ist. Der Geist Gottes ist Bestandteil seines Wesens. Dies ist radikal neu und fügt sich in die Ökonomie einer radikal neuen Ära der Heilsgeschichte. 4 Daraus folgt, dass das Evangelium keine Notwendigkeit mehr sieht, den Geist als die in den Worten und in den einzelnen Gesten Jesu wirkende Kraft zu erwähnen. 5 Wir dürfen also zusammenfassen. Zum einen beobachten wir, dass sich der Geist im dritten Evangelium immer als die wirkende Kraft Gottes zeigt, die das Kommen und die Mission Jesu legitimiert, und dies sowohl wenn sie in den Figuren seiner Umgebung als auch wenn sie direkt in Jesus selbst erscheint. Zum anderen entdecken wir aber, dass jede Intervention des Geistes einer christologischen Absicht entspricht. Das Wohnen des Geistes in Jesus bekommt ebenfalls eine neue Qualität. 2. Der Geist am Werk in der Apostelgeschichte Die Anfänge der Kirche, wie sie die Apostelgeschichte schildert, stehen vollständig unter dem Einfluss des Geistes. Zu fragen ist folglich, ob sich der Status und das Handeln des Geistes in der Kontinuität dessen befinden, was im Evangelium feststellbar war. In dieser Hinsicht liefern die letzten Worte des Auferstandenen am Osterabend das erste Indiz einer Antwort: »Und siehe, ich werde, was mir der Vater verheißen hat, auf euch herab senden. Ihr sollt also in der Stadt bleiben, bis ihr mit Kraft aus der Höhe ausgerüstet werdet« (24,49); diese Kraft wird ausdrücklich bei der Eröffnung der Apostelgeschichte mit dem Geist identifiziert (Apg 1,8). Lukas spricht weiterhin vom Geist als einer Kraft, die von Gott her kommt, aber jetzt stellt sich Jesus als der Vermittler seiner Aussendung vor. Wir wollen nun den Weg beobachten, der dazu führt. Sofort am Anfang der Apostelgeschichte (Apg 1,4- 5) erfahren wir vom Auferstandenen selbst, dass die Verheißung des Vaters mit der Ankündigung, die der Täufer von einer Taufe mit dem Heiligen Geist gemacht hatte (Lk 3,16), gleichzusetzen ist. Diese Taufe mit dem Heiligen Geist soll sich in den nächsten Tagen ereignen, und man versteht, dass sie sich an Pfingsten verwirklicht (Apg 2,1-4). Wie aber wurde diese Ausgießung ermöglicht? Die Rede des Petrus gibt uns dazu Hinweise, um diese Frage zu beantworten. Petrus erklärt zunächst das an Pfingsten beobachtete Phänomen als die Erfüllung der Orakel des Propheten Joel (Joel 3,1-5), der die Ausgießung des Geistes auf jedes Fleisch in der eschatologischen Zeit ankündigte, damit alle prophezeien können (Apg 2,17-21). »Bis zu diesem Punkt erscheint der Geist als ein Werkzeug Gottes, das in bestimmten Figuren im Wesentlichen im Dienste des Kommens Jesu, des signi[zierten Heilands und Messias, wirksam ist.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 68 Odette Mainville Biblische Rede vom Geist im Dienst der Christologie Diese Erfüllung wurde dadurch ermöglicht, dass die Werke Jesu von Nazareth von Gott akkreditiert worden sind und, obwohl er von unfrommen Händen getötet wurde, ihn Gott auferweckt (2,22-28) und zum Messias gemacht hat (2,30). Im Blick auf die Ausübung seiner Messianität hat ihm Gott seinen Geist gegeben (V. 33a), den Jesus seinerseits auf die Jünger ausgegossen hat (V. 33b). Dies wird am Pfingsttag feststellbar, erklärt Petrus, wenn die Jünger in allen Sprachen gehört werden. Nach Joels Orakel sind sie zu Propheten gemacht worden. Bevor wir die lukanische Darstellung des prophetischen Amtes der Jünger untersuchen, müssen wir auf den Zusammenhang zwischen der Intervention des Geistes in der Ankündigung an Maria und dem in der Petrusrede erwähnten Messianismus eingehen: »Der Heilige Geist wird über Dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird Dich überschatten. Darum wird auch das Heilige, das gezeugt wird, Sohn Gottes genannt werden« (Lk 1,35). Wir schlagen vor, diese Ankündigung als eine prospektive Projektion zu lesen, die auf eine Zeit jenseits der irdischen Mission Jesu verweist: Die irdische Mission Jesu ist bereits durch den Geist im Moment der Taufe legitimiert worden, während die Ankündigung vor der Geburt sich auf seine messianische Laufbahn, die erst mit seiner Auferstehung wirklich wird, bezieht. Diese messianische Auslegung von Lk 1,35 steht in der diskursiven Kontinuität des ersten Teils der Worte des Engels (V. 32-33), dessen messianischer Gehalt evident ist. 6 Wenn nämlich der Titel »Sohn des Höchsten« im ersten Teil einen funktionalen, messianischen Wert hat, kann man mit guten Gründen denken, dass der Titel »Sohn Gottes« die gleiche Bedeutung im zweiten Teil beinhaltet. Die Ankündigung des Engels unterscheidet dann zwei Ebenen des Messianismus: Der erste nimmt die jüdische Erwartung auf und versucht, ihr zu genügen (V. 32-33), während der zweite über die Erfahrung einer neuen Herrschaft in der Gemeinde berichtet (V. 35). In dieser Perspektive wäre die Formulierung des V. 35 eine Vorwegnahme dieses zukünftigen Messianismus und die Intervention des Geistes und Hinweis auf sein Wesen als ein pneumatischer nachösterlicher Messianismus zu verstehen. 7 Dies scheint Lukas am Anfang der Apostelgeschichte zu bestätigen. Er bescheinigt zunächst, dass der Messianismus erst in der Auferstehung entsteht (Apg 2,30-31): »Da er nun ein Prophet war und wusste, dass Gott ihm mit einem Eid zugesagt hatte, einer von seinen Nachkommen werde auf seinem Thron sitzen, redete er vorausschauend von der Auferstehung des Christus.« 8 Er fährt fort und erklärt, dass dieses Messianische dadurch wirksam gemacht worden ist, dass Jesus den Geist vom Vater bekommen und ihn auf seinen Jüngern ausgeschüttet hat (Apg 2,32-33): »Diesen Jesus hat Gott erweckt; dessen sind wir alle Zeugen. Er ist nun zur Rechten Gottes erhöht und hat vom Vater die verheißene Gabe, den heiligen Geist, empfangen, den er jetzt ausgegossen hat, wie ihr seht und hört.« Diese Verkündigung erklärt also, dass die Ausübung des Messianismus des auferstandenen Christus wesentlich pneumatisch ist. Als Korollarium kann man auch sagen, dass der Geist das Instrument der Herrschaft Christi ist. Der Geist wird nämlich nur dann erwähnt, wenn die Quelle und die Natur der nachösterlichen Funktion Jesu, Christus, erklärt wird. Prof. Dr. Odette Mainville studierte Pädagogik in Gaspé und dann eologie in Montreal und Chicago. Sie war Lehrerin für Sonderschulen in Gaspé und Québec, und sie ist seit 1989 Professorin für biblische Exegese mit den Schwerpunkten Paulus und synoptische Evangelien an der Faculté de théologie et de sciences des religions de l’Université de Montréal. Seit 2009 Honorarprofessorin. Wichtige Bücher in den Bereichen des lukanischen Doppelwerkes, der paulinischen eologie und der Hermeneutik: L’Esprit dans l’œuvre de Luc (1991), La Bible au creuset de l’histoire (1995), Un plaidoyer en faveur de l’unité. La lettre aux Romains (1999). Weitere Veröffentlichungen unter: http: / / www.ftsr.umontreal.ca/ faculte/ profs/ mainville_odette.html Letzte Buchveröffentlichung: Les christophanies du Nouveau Testament. Histoire et théologie (2008). Odette Mainville ZNT 25 (13. Jg. 2010) 69 »Der Geist Gottes ist Bestandteil seines [sc. Jesu] Wesens. Dies ist radikal neu [...]« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 69 Kontroverse 70 ZNT 25 (13. Jg. 2010) Die Ausschüttung des Geistes in der Szene der Taufe Jesu hatte als Ziel, die prophetische Laufbahn Jesu zu legitimieren, ohne dass er über den Geist schon verfügen konnte. Die neue Ausschüttung nach der Auferstehung hat demgegenüber eine doppelte Auswirkung: Sie verleiht ihm das Leben in Fülle, so dass der Tod keine Macht mehr über ihn hat, und macht ihn zum Herrn des Geistes, so dass er ihn ausschütten kann, um seine Herrschaft auszuüben. Der pneumatische Messianismus Jesu wird folglich durch die Vermittlung des Zeugnisses der Glaubenden ausgeübt werden, gemäß der in Apg 1,8 ausformulierten Empfehlung des Auferstandenen: »Ihr werdet eine Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist über euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein, in Jerusalem, in ganz Judäa, in Samarien und bis an die Enden der Erde.« Dieses missionarisch-geographische Programm wird auf wundersame Weise eingehalten werden, wie das ganze Buch der Apostelgeschichte belegt. Immer wird der Geist die aktive Kraft sein, die in jeder Initiative und in jeder Ausweitungsbewegung der Kirche wirksam sein wird. Die Beispiele häufen sich so sehr, dass hier nur die herausragenden Punkte aufgelistet werden können: - Die Kirche in Jerusalem stellt ihren ersten Erfolg ganz unter das Zeichen der Erfahrung des Pfingstgeschehens (2,1-4). - Vor dem Hohen Rat setzt Petrus, erfüllt vom Heiligen Geist (4,8), die Kraft, die in ihm wirksam ist, mit dem Namen Jesu in Verbindung. - Stephanus, voll von Heiligem Geist (6,5), hält seine lange, die Heilsgeschichte zusammenfassende Rede vor dem Hohen Rat. - Das Apostelamt des Philippus in Samarien wird vom Geist legitimiert (8,14-17.29.31). - Petrus, vom Geist geführt (10,19.44-45; 11,12.16-17), empfängt durch die Taufe den gottesfürchtigen Kornelius und sein ganzes Haus, auf die der Geist herabkommt. - Paulus, erfüllt vom Heiligen Geist (9,17), beginnt in Damaskus seine Mission (V. 20), die sich durch das ganze Römische Reich im Laufe seiner großen Missionsreise nach dem Willen des Geistes (13,2.4; 16,6-7) ausweiten wird. - Die Versammlung in Jerusalem, angestoßen durch den Heiligen Geist, bestätigt die Erfahrung des Petrus bei Kornelius (15,7-8) und die Mission des Paulus unter den Heiden (15,28). 3. Deskriptive Züge des Geistes im lukanischen Doppelwerk Das lukanische Verständnis des Heiligen Geistes spiegelt offensichtlich die alttestamentliche Vorstellung des Geistes wider und nimmt seine Grundzüge auf, um seine Rolle im lukanischen Doppelwerk zum Ausdruck zu bringen. Wie bereits erwähnt bezeichnet der Geist zunächst im Ersten Testament die Interventionskraft Gottes in die Welt. Sein Hauch ist die zwingende Kraft, die das Geschick des Volkes Israel bestimmt. Lukas bleibt dieser deskriptiven Vorstellung so treu, dass er regelmäßig auf die Begriffe »Geist« und »Kraft«, die er als komplementäre Ausdrücke und sogar als Synonyme verwendet (vgl. Lk 1,35; 4,14; 24,49; Apg 1,8; 6,8.10; 10,38), zurückgreift. Selbst wenn er die Gleichung nicht explizit herstellt, wird sie durch die Beschreibung des Verhaltens des Geistes genauso offenbar. Die Wirkungen des Geistes ahmen nämlich die des Ersten Bundes nach. Zum Beispiel entrückt der Geist Philippus (Apg 8,39); wie er Elia (1Kön 18,12; 2Kön 2,16) und Ezechiel entrückt hat (Ez 3,14); der Geist zwingt Petrus, sich zu Kornelius zu begeben (Apg 10,19-20; 11,12), wie er sich zuvor unvorhersehbar und unwiderstehlich Samson (Ri 14,6.19; 15,14) und Gideon bemächtigte (Ri 6,34); der Geist bestimmt Paulus und Barnabas, um sie auszusenden (Apg 13,2.4); er hindert Paulus, das Evangelium in Asien zu verkündigen, und verändert das Itinerar seiner Reise (16,6-7). Auch die Erwähnung der Reden in Zungen, um den prophetischen Auftrag der Boten zu authentifizieren (Apg 10,46; 11,18; 19,6; oder in anderen Sprachen, Apg 2,4.17) erinnert an die Trance der alttestamentlichen Propheten, als sie ihre Orakel verkündigten (1Sam 10,6.10-12; 19,23-24; Num 24,2). Genauso aussagekräftig sind die Anklänge und Ähnlichkeiten zu den alttestamentlichen Begriffen, mit denen Lukas die Interventionen des Geistes beschreibt. Parallel sind die sich in der LXX und im lukanischen Doppelwerk entsprechenden Begriffe und Ausdrücke: »den Geist aussenden« (gr. apostellō): Ps 103,30 / / Lk 24,49; »den Geist anziehen« (gr. endyō): Ri 6,34; 1Chron 12,19; 2Chron 24,20 / / Lk 24,49; »der Geist kommt über« (gr. eperchomai): Ez 2,2; Num 24,2 / / Lk 1,35; Apg 1,8; »der Geist fällt herab auf« (gr. epipiptō): Ez 11,5; Ri 14,6.19; 1Sam 10,6 / / Apg 8,16; 10,44; 11,15; »den Geist ausschüt- »Die Ausübung des Messianismus des auferstandenen Christus [ist] wesentlich pneumatisch[...]« »Die Verhaltensweisen des Geistes ahmen [...] die des ersten Bundes nach.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 70 Odette Mainville Biblische Rede vom Geist im Dienst der Christologie ZNT 25 (13. Jg. 2010) 71 ten« (gr. ekcheō): Jes 32,15; 44,3; Spr 1,23 / / Apg 2,33; »vom Geist füllen« (gr. pimplēmi): Ex 39,29; Joel 3,1; Jes 32,15; 48,16; 63,11 / / Lk 1,15.41.67; Apg 4,31; »der Geist spricht zu« (gr. legō): Ez 11,5 / / Apg 8,29; 10,19; 11,12; 13,2; 19,1; 21,11. Daneben gibt es noch andere Verben, die, ohne im Griechischen wortwörtlich identisch zu sein, die gleichen Gedanken ausdrücken: »entrücken«: 1Kön 18,12; 2Kön 2,16; Ez 3,14 / / Apg 8,39; »herabkommen auf«: Num 11,25; Jes 11,2; 2Kön 2,15 / / Lk 3,22; »ausgießen«: Jes 29,10 / / Apg 2,17; »auf die Probe stellen«: Ex 17,2; Dtn 6,16; Ps 95,9 / / Apg 5,9; »ruhen auf«: Ri 3,10; Num 24,2 / / Lk 2,25. 4. Um die Ausgangsfrage zu beantworten Vor mehr als einem halben Jahrhundert wagte Étienne Trocmé zu behaupten, dass Lukas »keine entwickelte und durchdachte Pneumatologie besaß« 9 . Er hatte nicht nur Recht, sondern diese Aussage kann noch dahingehend verstärkt werden, dass Lukas nicht einmal eine originelle Pneumatologie entwickelt hat. Im Gegenteil: Er hat ein bereits erprobtes sprachliches und begriffliches Netz in größter Verbundenheit verwendet. Dadurch leitet er seinen Leser in die interpretativen Grundlinien seines Verständnisses der Thematik des Heiligen Geistes. Ganz nach der alttestamentlichen Art und Weise, nach welcher der Geist kein von Gott getrenntes Wesen, sondern eine Kraft, die von ihm herkommt, also eine Eigenschaft Gottes darstellt, bleibt er auch für Lukas eine Eigenschaft und ein Instrument Gottes. Dies allerdings mit dem Unterschied, dass Gott Christus seinen Geist in der Auferstehung vermittelt und ihn zu seinem Herrn macht. Die bereits erwähnte feierliche Verkündigung in Apg 2,32-33 ist in dieser Hinsicht entscheidend: Auf der einen Seite führt der ganze Weg Jesu, wie er im Evangelium dargestellt wird, auf diese Verkündigung hin. Auf der anderen Seite leiten sich die Geburt und die Ausbreitung der Kirche von ihr ab. Sie bildet die Achse der Kontinuität zwischen dem Leben Jesu und dem Leben der Kirche. Diese Verkündigung bildet den Gipfel - so wagen wir zu behaupten - des lukanischen Werkes. Der Geist, der sich in der frühen Kirche als wirksam erweist, ist also der des erhöhten Christus, und alle Werke des Geistes, die in der Apostelgeschichte erzählt werden, sind seine. Die Formulierung von Raymond Brown hat dies richtig zum Ausdruck gebracht: In der Kirche ist der Geist »der gegenwärtige Jesus, während er abwesend ist« 10 . Anders formuliert: Er ist der Christus, der durch die Kraft seines Geistes handelt. Lukas hat sich die alttestamentliche Sprache des Geistes angeeignet, aber er hat sie christianisiert. Darin besteht sein entscheidender Beitrag. Kein anderer neutestamentlicher Verfasser, nicht einmal Paulus, hat diese Übertragung des Geistes Gottes auf Christus in seiner Auferstehung / Erhöhung so explizit ausgedrückt, wie es Lukas getan hat (Apg 2,33). Kein anderer hat wie Lukas die kirchliche Konsequenz der Herrschaft, die Christus durch die Kraft seines Geistes ausübt, aufgezeigt. Lukas hat nicht versucht, eine Pneumatologie zu entwickeln. Sein Anliegen war vielmehr, Jesus als Christus in der Erfüllung seiner doppelten, vorösterlichen (prophetischen) und nachösterlichen (messianischen) Berufung darzustellen, und zu zeigen, dass der Geist Gottes der verantwortliche Agent für diese Erfüllung war. Dies hat sich sowohl in seinem Evangelium als auch in der Apostelgeschichte bestätigt. Lukas hat also keine Pneumatologie entwickelt, sondern er hat ein gut erprobtes pneumatisches Instrumentarium verwendet und es in den Dienst der Christologie gestellt. Abschließend muss man schlussfolgern, dass nicht die lukanische Christologie die Grundlage seiner Pneumatologie bildet, sondern umgekehrt, dass sich in seinem Doppelwerk die pneumatische Kraft im Dienste der Christologie befindet. Der Beitrag wurde übersetzt von François Vouga Anmerkungen 1 Die vom Mutterleib an ausgesprochene Berufung des Johannes nimmt die in der alttestamentlichen Zeit bekannte Erwählungsform der Berufungen von Samson (Ri 13,5; 16,17), Jesaja (Jes 49,1.5) und Jeremia (Jer 1,5), aber auch von Paulus (Gal 1,15) auf. Obwohl sie alle vor ihrer Geburt erwählt worden waren, wird von keiner dieser großen Figuren gesagt, dass sie vom Mutterleib an vom Geist erfüllt wurde. 2 Im Ersten Testament haben die Verben eperchomai (»herabkommen auf«, Gen 42,21; Weish 12,27) und episkiazō (»überschatten«, Ex 40,35; Ps 90,4; auch Apg 5,15) niemals die Konnotation von Zeugung, sondern bedeuten nur die göttliche Protektion des Volkes. »Kein anderer hat wie Lukas die kirchliche Konsequenz der Herrschaft, die Christus durch die Kraft seines Geistes ausübt, gezeigt.« 008010 ZNT 25 - Inhalt 30.03.2010 16: 34 Uhr Seite 71 Kontroverse 72 ZNT 25 (13. Jg. 2010) 3 Vgl. 7,11-17; 7,39; 9,7-8; 13,34; 22,64; vgl. auch 9,61- 62; 22,43; Apg 7,37. 4 Noch 4mal wird das Adjektiv plērēs in der Apostelgeschichte verwendet: 6,3 (die Sieben), 6,5; 7,55 (Stephanus) und 11,24 (Barnabas); aber jeder Fall gehört zu der nachpfingstlichen Epoche, und die betreffenden Personen sind im Geist getauft worden und sind gleich wie Jesus Propheten geworden, um sein Werk fortzusetzen. Vom Geist erfüllt zu werden scheint von nun an Bestandteil des Christseins zu sein. Vgl. O. Mainville, L’Esprit dans l’œuvre de Luc (Héritage et projet 45), Montréal 1991, 231-235; 290-294). 5 Eigentlich ist das einzige weitere Vorkommen in Bezug auf Jesus mit dem inneren Druck verbunden, der ihn bewegt, wenn er seinen Vater lobt, die Offenbarung der Geheimnisse für die Kleinen bestimmt zu haben (10,21). Die anderen betreffen die Jünger (11,13; 12,10.12). 6 Lk 1,32-33: »Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden, und Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.« 7 Vgl. in diesem Zusammenhang meinen Aufsatz: Le messianisme de Jésus. Le rapport annonce / accomplissement entre Lc 1,35 et Ac 2,33, in: J. Verheyden (Hg.), The Unity of Luke-Acts, (BETL CXLII), Leuven 1999, 313-327. 8 Lukas nimmt diese Interpretation des nachösterlichen Messianismus in der Rede des Paulus in Antiochia auf (Apg 13,30-35). 9 É. Trocmé, Le Saint-Esprit et l’Église d’après le livre des Actes, in: Autori varii., L’Esprit Saint et l’Eglise; catholiques, orthodoxes et protestants de divers pays confrontent leur science, leur foi et leur tradition: l’avenir de l’Eglise et l’œcuménisme, Paris 1969, 21.24. 10 R.E. Brown, The Gospel According to John (Anchor Bible 29A), New York 1970, 1141. Beiträge zum ethischen Gespräch: Martin Stiewe/ François Vouga (Hg.) Das Evangelium im alltäglichen Leben Beiträge zum ethischen Gespräch Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, Band 11 2005, 413 Seiten, €[D] 49,00/ SFr 84,00 ISBN 978-3-7720-8134-7 Die meisten ethischen Diskussionen konzentrieren sich auf Grenzgebiete. Der Grundgedanke dieses Buches ist es dagegen, die Normalität des alltäglichen Lebens zum Gegenstand der theologischen Reflexion zu machen. Dabei kommen die Erfahrung der religiösen Pluralität, der Sinn der Arbeit und die Arbeitslosigkeit, der Umgang mit dem Geld und die Globalisierung der Wirtschaft ebenso zur Sprache wie das private Leben zu Hause, in der Familie und mit Freunden, Krankheit, Geburt und Tod, die Freizeit und die Spiritualität. Zu jedem Thema werden zentrale Texte des Neuen Testaments und klassische Texte der Theologiegeschichte, unter anderem der Reformatoren, aber auch von Augustin, Blaise Pascal, Friedrich Schleiermacher, Johann Christoph Blumhardz, Karl Barth oder des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgelegt. A. Francke Verlag · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen · www.francke.de 008010 ZNT 25 - Inhalt 31.03.2010 13: 41 Uhr Seite 72
