eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 14/27

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
0601
2011
1427 Dronsch Strecker Vogel

Claudia Janssen Anders ist die Schönheit der Körper. Paulus und die Auferstehung der Toten in 1Kor 15 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005 358 Seiten ISBN: 3-579-05210-1 Preis: antiquarisch verfügbar

0601
2011
Jürgen K. Zangenberg
znt14270067
Buchreport ZNT 27 (14. Jg. 2011) 67 Claudia Janssen Anders ist die Schönheit der Körper. Paulus und die Auferstehung der Toten in 1Kor 15 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005 358 Seiten ISBN: 3-579-05210-1 Preis: antiquarisch verfügbar Wohl kaum ein anderes Vorurteil hängt dem Christentum hartnäckiger an als das der Körperfeindlichkeit. Und wie viele andere Vorurteile ist auch dieses nicht völlig aus der Luft gegriffen. Unzählige Autoren haben auf das noch heute problematische Verhältnis des Christentums zu einem unbefangenen - nach aktuellen, liberalen Standards wohlgemerkt! - Umgang mit Körperlichkeit aufgegriffen und verweisen dazu auf die Nachwehen der platonisch inspirierten Scheidung zwischen Körper und Seele, die traditionelle Idealisierung der zölibatären Lebensform oder das falsch verstandene protestantische Pflichtethos, das eigenes Fühlen und Wollen unter den Verdacht selbst- oder weltverliebter Sündigkeit stellt. Oft genug muss Paulus als Kronzeuge für den Beginn der Missstände herhalten. Dem gegenüber stehen immer wieder Versuche, das christliche Nachdenken über den Körper aus einem erneuerten Schöpfungs- und Erlösungsverständnis heraus von repressiven Aspekten zu befreien und auf eine neue Basis zu stellen. In diesen Zusammenhang gehört Claudia Janssens vorliegendes Buch, das auf ihre im Jahre 2004 am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Marburg angenommene Habilitationsschrift über das paulinische Auferstehungsverständnis nach 1Kor 15 zurückgeht. Natürlich handelt es sich dabei zuallererst um eine exegetische Studie, die in aller gebotenen Gründlichkeit Beobachtungen am Text und Argumente der Forschung prüft. Doch sollte es nicht verwundern, dass bei meiner Lektüre des Buches im Jahre 2010 immer wieder aktuelle Debatten um Kindesmissbrauch an christlichen Einrichtungen oder die stets penetrantere Zurschaustellung von Körperlichkeit in den modernen Medien gewollt oder ungewollt mitschwingen. Das Thema »Körper« bleibt eben höchst aktuell. Die Autorin lässt solcherart Aktualisierungen ausdrücklich zu, ja fordert sie sogar, und sieht ihre Studie als Beitrag zur Überwindung christlich motivierter Körperfeindlichkeit, »deren dualistische Gegenüberstellung körperlicher und geistig-seelischer Existenz und der damit verbundenen Abwertung von Weiblichkeit […] in den vergangenen Jahren vielfach thematisiert« wurde (S. 27). Janssen weiß, dass sie sich bei der Verfolgung ihres Zieles nicht bei blutleeren Lehrsätzen aufhalten darf, sondern die »Frage der konkreten Körper der Menschen« zu stellen hat, »von denen in 1Kor 15 die Rede ist« (S. 14). Die Studie muss ihres Erachtens daher beides bieten: eine historisch-deskriptive Untersuchung der paulinischen Körpertheologie im Kontext der damaligen gesellschaftlichen« Bedingungen, darüber hinaus aber muss sie das emanzipatorische Potential der paulinischen Rede vom sōma besonders herausstellen. Geschult am Arsenal befreiungstheologischer und feministischer Ansätze, beginnt Janssen auch konsequenterweise gleich zu Beginn damit, die von ihr konstatierten Parameter moderner geisteswissenschaftlicher Diskussion über »Körper« zu umreißen und hält eine Reihe von Punkten für die folgende exegetische Arbeit an Paulus fest (verstanden als Beiträge zu einer »Körpergeschichte«): die kulturbezogene Positionalität jeglicher Definition und Erfahrung von Körper (diese Kategorie ist Janssen besonders wichtig, wenn ich auch meine Zweifel habe, ob die »Erfahrung« antiker Menschen hinreichend erreichbar und zur Erschließung antiker Literatur brauchbar ist), die Bezogenheit eines jeden Körpers auf andere, das spannungsvolle Verhältnis von materieller und spiritueller Dimension und die Bedeutung von Sprache - festgemacht z.B. am Verhältnis von sex und gender (selbst da, wo der Unterschied im paulinischen Text keine Rolle spielt, siehe z.B. S. 276-278) oder den verschiedenen Konnotationen, die mit der Zweiheit der Begriffe »Leib« und »Körper« gegeben sind (die es so im paulinischen Text zugegebenermaßen nicht gibt). Vor allem dies macht deutlich, dass bereits zu Beginn des Buches eine ganze Reihe von Vorentscheidungen getroffen sind - bis hin zu heuristischen Modellen und (mitunter recht gedrechselten) sprachlichen Ausdrucksformen -, die nicht am Text selbst gewonnen wurden, diesen aber erschließen helfen sollen. Dass das im Sinne des Textes nicht ohne weiteres gelingen kann, wird - denke ich - etwa an Janssens Ausführungen zu »Aspekte(n) paulinischer Körpertheologie in der aktuellen Diskussion« (S. 49- 59) deutlich, in der man mehr über die Resonanz dieser Aspekte in der feministisch inspirierten Forschung lernen kann als über diese Aspekte selbst. Ich gebe daher gern zu, dass ich als Rezensent vor allem mit den konzeptionellen Vorentscheidungen meine liebe Mühe habe. Damit sind wir angekommen bei der kontroversen Frage, ob die »kulturellen Festlegungen« des Diskurses um Körperlichkeit aus dem hermeneutischen Arsenal der Gegenwart oder nicht lieber doch primär aus der sprachlichen Analyse der Zeugnisse der Vergangenheit gewonnen werden sollten. Oder denke ich hier zu »männlich«? Für Janssen jedenfalls steht ihr Ansatz auf der Höhe der Zeit und die Exegese »vor der Aufgabe, im Spannungsverhältnis zwischen der Fremdheit eines Textes und dem Bedürfnis einer Identifikation mit seinen Inhalten zu erfassen, wie er theologisch auch in die Gegenwart hineinzusprechen vermag« (S. 28; Her- 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 67 68 ZNT 27 (14. Jg. 2011) vorhebung von J.K.Z.). Tragend für die Autorin ist die Absicht, dass durch die Analyse der paulinischen Vorstellungswelt konkrete Erfahrungen der heilvollen Veränderung von Körpern in der Welt der Sündenmacht Ausdruck gegeben wird (S. 29). Ich halte das für eine - freilich wohlgemeinte - Überforderung von Exegese. Sagt das der Text wirklich? Müsste man nicht schärfer zwischen dem unterscheiden, was der Text in seiner ganzen Begrenztheit und Weite sagt, und dem, was wir aufgrund unserer eigenen heil- und unheilvollen Situation hören müssten? Die Beschreibung dessen, was der Autor in seiner Zeit sagt (bzw. dessen, was wir davon noch hören können) ist m.E. grundsätzlich etwas anderes als das, was heute auf Basis dieses Textes zu sagen nötig wäre - auch wenn diese beiden Aspekte im Sinne kirchlicher, emanzipatorischer oder anderer aktualisierender Fruchtbarmachung in eine sinnvolle Beziehung gesetzt werden können. Aber nivellieren sollte man diese beiden Aspekte nicht, was dann meistens den biblischen Autor seiner Fremdartigkeit beraubt. Meiner Meinung nach sind Claudia Janssens Ausführungen gerade dort am stärksten, wo sie direkt am Text arbeitet, dort kommt sie immer wieder zu eindringlichen Ergebnissen. Die vielschichtige Analyse des Begriffes sarx, der oft genug unzulänglich mit »Fleisch« wiedergegeben wird, ist dafür etwa ein gutes Beispiel. Janssen zeigt, dass sarx »auf der einen Seite die Relationalität als Geschöpf zu Gott und zum anderen Gottferne und deren gesellschaftliche und soziale Konsequenzen ausdrückt« (S. 64-71). Rede vom sōma erfahrungsbezogen von »Gewalt- und Todeserfahrungen auf der einen Seite und ›Lebens‹-Erfahrungen von Gemeinschaft und Solidarität im Widerstand prägen seine Sprache« (S. 71- 82 [82]). Sōma wird so zur Brücke zwischen menschlichen Körpern und Jesus Christus. Im exegetischen Hauptteil (Kap. 2: Auferstehen ins Leben Gottes [1Kor 15], S. 83-278) stützt sich Janssen vor allem auf 1Kor 15,35-57 und untersucht auf der Basis des »Spannungsverhältnis(ses) zwischen diskursiver Vermittlung von Körpererfahrungen und deren Verankerung in der konkreten Lebensrealität« bei Paulus besonders »die Bedeutung der gegenwärtigen menschlichen Körperlichkeit für die Rede von der leiblichen Auferstehung«, sowie die »Verhältnisbestimmung des irdischen und des himmlischen Menschen« (S. 84f.). Diese beiden Themen sind durchaus von entscheidender Bedeutung: Auferstehung ist für Paulus laut Janssen nicht eine Neubegründung von Leiblichkeit nach dem Tod (die außerhalb der Auferstehungsdimension negativ konnotiert bliebe), sondern die konsequente Verwandlung und Befreiung hin zu einer neuen, von Gott gestifteten und zum Nächsten und zur Welt hin offenen Beziehung des Menschen zu Gott. Hier sind Janssens Überlegungen zur Metapher vom Säen von Bedeutung (S. 107-117). Janssen unterstreicht zu Recht, dass Paulus vor allem in relationalen Strukturen denkt: Was der menschliche Körper und Auferstehungsleib sind, richtet sich danach, »in welchem ›Herrschaftsbereich‹ sie stehen: in dem Gottes, der Leben bedetute [sic! ], oder in dem der Hamartia und des Todes« (S. 274). Im Anschluss an die zeitgenössische jüdische Apokalyptik versteht auch Paulus seine Rede von der Auferstehung als konkretes Wort in die Geschichte hinein: Sie beide analysieren die Verhältnisse und rufen zur Beteiligung an deren Veränderung auf (ibid.). Janssens abschließende sprachtheoretische Reflexionen (»Die Sprache des Geheimnisses«, S. 279-323) sind getragen von der Einsicht, dass Paulus seine Botschaft in zeitgenössischen Bildern formuliert. Das ist nicht neu und selbstverständlich richtig. Wenn Janssen daraus aber die Notwendigkeit ableitet, »je eigene Ausdrucksmöglichkeiten zur Beschreibung der Erfahrungen mit dieser anderen Wirklichkeit zu entwickeln, die die Gegenwart transparent werden lassen für das Leben Gottes« (S. 281), um auch in einer postchristlichen Gesellschaft sprachfähig bleiben zu können, dann geht dies sicher über das hinaus, was man bei Paulus selbst finden kann. Jede und jeder mag dann selbst entscheiden, ob oder wie man dieses Programm im Sinne des Paulus umsetzen möchte. Grundlegend für Janssen selbst ist ein differenzierteres Verständnis des biblischen Zeitbegriffs im Sinne der »Qualität von Leben«: »Die Zukunft als Qualität von Leben richtet den Blick auf die Gegenwart und den Hoffnungscharakter biblischer Verheißung für das Leben auf der Welt und eine Veränderung dieser Welt« (S. 293). Diesen Aspekt vertieft Janssen im Folgenden im Anschluss an Luise Schottroff und die Befreiungstheologie, und greift damit den Beginn ihres Buches wieder auf. Ziel ist dabei ein positives Verständnis vom Körper in seiner ganzen Konkretheit im Hier und Jetzt sowie eine dieser Konkretheit angemessene, erfahrungsbezogene christliche Rede vom Körper, beides zusammengefasst unter dem Begriff »Eschatologische Spiritualität« aus neuem Sehen, neuer Sprache und neuer Praxis (S. 307-323). Insofern endet das Buch - beinahe wie Paulus in 1Kor 15 selbst - in, wie Janssen es nennt, »Theo-poesie«. Was bleibt also? Jenseits mancher zweifelnder Verwunderung darüber, wie »modern«, »feministisch« oder »befreiungstheologisch« Paulus zu reden imstande sein soll, habe ich von Claudia Janssen gelernt, neu über die Würde (sie selbst nennt es mit einem fast altertümlich anmutenden, wohltuenden Wort »Schönheit«) des Körpers nachzudenken und die Impulse des frühesten Christentums dazu ernst zu nehmen. Inmitten der täglich anzutreffenden Erniedrigung des menschlichen Körpers ist das wichtig genug und keinesfalls wenig, wenn mir auch vieles im vorliegenden Buch über das hinauszugehen scheint, was sein Kronzeuge Paulus selbst vor 2000 Jahren an seine Korinther zu sagen hatte. Jürgen K. Zangenberg 016911 ZNT 27 - Inhalt 24.03.11 11: 08 Seite 68