ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2011
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Dronsch Strecker VogelDämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen
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Ulrich H. J. Körtner
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Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 56 - 3. Korrektur 56 ZNT 28 (14. Jg. 2011) 1. Engel und Dämonen in der Welt von heute 1.1 Erledigt? »Man kann«, so Rudolf Bultmann in seinem berühmten Entmythologisierungsvortrag von 1941, »nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.« 1 Für Engel und Dämonen sei im modernen Weltbild einfach kein Platz mehr. »Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetz der Natur der Geister- und Dämonenglaube.« 2 Auch außerhalb Europas, z. B. im Orient, lasse sich beobachten, wie »in folge der modernen hygienischen und medizinischen Einrichtungen die mythische Religion abstirbt« 3 , und es sei schlicht unmöglich, das mythische Weltbild zu repristinieren, es sei denn bei Strafe intellektueller Unredlichkeit. 70 Jahre später scheint der Befund ganz anders zu lauten. Vom Absterben »mythischer Religion«, des Engel- und Dämonenglaubens kann keine Rede sein. Er hält sich keineswegs nur in den Nischen okkulter und satanischer Kulte. Das Nebeneinander von moderner westlicher Schulmedizin und traditioneller Medizin, von Mediziner und Medizinmann, von Pharmazie und Exorzismus gehört in afrikanischen und asiatischen Ländern ebenso wie in Südamerika zum Alltag und ist ein Thema interkultureller Medizin und Pflege. Auch in westlichen Ländern gedeihen Formen von esoterischer Komplementärmedizin, die an geheimnisvolle Kräfte und kosmische Energie glauben, die sich naturwissenschaftlich nicht nachweisen lassen. »Schulmedizin« ist in Teilen der Gesellschaft ein Schimpfwort, und die Unumstößlichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse und des auf ihnen fußenden modernen Weltbildes wird nicht nur von Fundamentalisten und evangelikalen Christen angezweifelt. In einer Welt, in der die darwinsche Evolutionstheorie angezweifelt und über »intelligent design« diskutiert wird, ist eben auch für Engel und Dämonen Platz. Und auch die Fantasy-Literatur ist von guten und bösen Wesen und Mächten bevölkert. Das Irrationale und die abgründigen Seiten menschlicher Existenz bilden die Nachtseite von Aufklärung und Moderne, die uns z. B. die schwarze Romantik oder die Bilder Francisco de Goyas zeigen. »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer« lautet der Titel einer seiner bekanntesten Radierungen, wobei offen bleibt, ob die dargestellten fledermausartigen Ungeheuer von der künstlerischen Phantasie bewusst gestaltet werden und somit ebenfalls eine Hervorbringung der Vernunft sind oder nur entstehen können, wenn die Vernunft schläft und außer Kraft gesetzt ist. Vielleicht stellt Goyas düsteres Traumbild gerade so die Ambivalenz der Aufklärung dar, die von Horkheimer und Adorno als abgründige Dialektik beschrieben worden ist. 4 Der esoterische Buchmarkt floriert, und auch auf Kirchentagen haben Referenten großen Zulauf, die etwas über Schutzengel zu erzählen wissen. Wo es 50 Engel für das Jahr oder für die Seele gibt, 5 ist auch die Existenz von Dämonen nicht auszuschließen. Nicht nur charismatische Kirchen praktizieren Geistheilungen und Dämonenaustreibungen, auch die römisch-katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen praktizieren bis heute exorzistische Rituale, die durch das kanonische Recht geregelt werden. 6 1.2 Kirchliche Positionen Wie der Katechismus der Katholischen Kirche ausführt, hat die Kirche ihren Auftrag und ihre Vollmacht, Exorzismen zu vollziehen, von Jesus selbst erhalten. In einfacher Form findet der Exorzismus bei jeder Taufe statt. Davon wird der sogenannte Große Exorzismus unterschieden, der nur auf Erlaubnis des Ortsbischofs und nur von einem Priester vorgenommen werden darf. Die katholische Kirche vollzieht dabei, wie sie selbst weiß, eine Gratwanderung. »Man muß dabei klug vorgehen und sich streng an die von der Kirche aufgestellten Regeln halten. Der Exorzismus dient dazu, Dämonen auszutreiben oder vom Einfluß von Dämonen zu befreien und zwar kraft der geistigen Autorität, die Jesus seiner Kirche anvertraut hat. Etwas ganz anderes sind Krankheiten, vor allem psychischer Art; solche zu behandeln ist Sache der ärztlichen Heilkunde. Folglich ist Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen Hermeneutik und Vermittlung Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 57 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 57 Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen es wichtig, daß man bevor man einen Exorzismus feiert, sich Gewißheit darüber verschafft, daß es sich wirklich um die Gegenwart des bösen Feindes und nicht um eine Krankheit handelt.« 7 Die Existenz von Dämonen und Engeln wird also von der katholischen Kirche weiterhin selbstverständlich vorausgesetzt. Interessant ist nur die Aufspaltung der Welt in Krankheiten, die ganz natürliche Ursachen haben, und solche Phänomene, die auf die Einwirkung von Dämonen oder des Teufels höchstpersönlich zurückgeführt werden. Dem modernen naturwissenschaftlichen Weltbild wird insofern Tribut gezollt, als psychische Erkrankungen oder auch Epilepsie, die im Neuen Testament als Formen von Besessenheit, nun als natürlich zu erklärende Krankheit gelten. Dass die von Jesus in den Evangelien geschilderten Exorzismen sich auf eben solche Krankheitsbilder beziehen, wird offenbar gar nicht als Problem empfunden. Dass die katholische Kirche mit ihrem Festhalten am Großen Exorzismus die christliche Verkündigung im Sinne Bultmanns unverständlich und unmöglich macht, ist eine Kritik, die viele Menschen nicht verstehen werden. Engels-, Teufels- und Dämonenglaube gedeihen keineswegs nur in kirchlichen Randmilieus, religiösen Sondergemeinschaften und neuen religiösen Bewegungen. Laut einer Untersuchung aus den 1970er Jahren ist beinahe jeder vierte evangelische Pfarrer und fast jeder zweite katholische Geistliche davon überzeugt, dass es eine vom Teufel bewirkte Besessenheit gibt, die nicht psychologisch oder psychiatrisch erklärbar ist, und befürwortet in solchen Fällen das Mittel des Exorzismus. 8 Dass sich der Wunder- und Dämonenglaube längst erledigt habe, wie Bultmann überzeugt war, stimmt zumindest nicht empirisch, aber auch theologisch nicht. Das römisch-katholische Lehramt vertritt-- unter Berufung auf das biblische Zeugnis-- nach wie vor eine Engel- und Dämonenlehre. Demnach ist es »eine Glaubenswahrheit«, dass es Engel gibt, bei denen es sich um »geistige, körperlose Wesen« handelt. 9 »Als rein geistige Geschöpfe haben sie Verstand und Willen; sie sind personale und unsterbliche Wesen. Sie überragen alle sichtbaren Geschöpfe an Vollkommenheit. Der Glanz ihrer Herrlichkeit zeugt davon.« 10 Beim Teufel und den Dämonen handelt es sich nach offizieller katholischer Lehre um gefallene Engel, die ursprünglich von Gott gut erschaffen waren. »Wegen des unwiderruflichen Charakters ihrer Entscheidung und nicht wegen des Versagens des unendlichen göttlichen Erbarmens kann die Sünde der Engel nicht vergeben werden.« 11 Und so treiben diese bösen Engel, weil es von der göttlichen Vorsehung zugelassen wird, 12 in Geschichte und Gegenwart ihr Unwesen. Die evangelischen Kirchen äußern sich in dieser Frage weit zurückhaltender. Zwar kennt auch die reformatorische Taufpraxis den Ritus des Exorzismus in der Form einer Absage des Täuflings an den Teufel, sie ist aber in den deutschen lutherischen Kirchen (VELKD) und in den Kirchen der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) nur noch fakultativ bei Erwachsenentaufen vorgesehen. Exorzistische Gebete oder Gebet mit zumindest exorzistischen Motiven, die sich bis heute in zwei von drei Formularen der lutherischen Taufagende gehalten haben, werden liturgiewissenschaftlich für »unbewältigte Erblasten« gehalten. 13 Die neueste Ausgabe des Evangelischen Erwachsenenkatechismus der VELKD handelt wohl von »Mächten des Bösen«, 14 be- Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich H. J. Körtner, geb. 1957. Nach dem Studium der Evangelischen Theologie in Bethel, Münster und Göttingen Assistentenzeit und Vikariat an der Kirchlichen Hochschule Bethel und in Bielefeld. 1982 Promotion, 1987 Habilitation an der Kirchlichen Hochschule Bethel. 1986-1990 Gemeindepfarrer in Bielefeld, 1990-1992 Studienleiter an der Evangelischen Akademie Iserlohn. Seit 1992 Ordinarius und Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft an der Evangelisch- Theologischen Fakultät der Universität Wien. Ulrich H. J. Körtner »Laut einer Untersuchung aus den 1970er Jahren ist beinahe jeder vierte evangelische Pfarrer und fast jeder zweite katholische Geistliche davon überzeugt, dass es eine vom Teufel bewirkte Besessenheit gibt, die nicht psychologisch oder psychiatrisch erklärbar ist, und befürwortet in solchen Fällen das Mittel des Exorzismus.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 58 - 3. Korrektur 58 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Hermeneutik und Vermittlung hauptet aber nicht die Existenz von Dämonen, sondern spricht lediglich in metaphorischen Wendungen von Menschen, die sich dem Bösen »wie einer unheimlichen Macht« ausgesetzt sehen. 15 Die Rede vom Teufel meine »die Existenz einer bösen, zerstörerischen Macht, die sich gegen Gott und seine Schöpfung richtet und den Menschen versklaven kann.« Doch müsse man sich diese Macht nicht unbedingt personhaft vorstellen, sondern es sehe manchmal nur so aus, als ob hinter dem Bösen »ein zielgerichteter Wille, eine kalte Systematik der Vernichtung« stehe. 16 Im Übrigen verweist der Katechismus darauf, dass weder das Apostolische Glaubensbekenntnis noch das Nicäno-Konstantinopolitanum vom Teufel sprechen. Der Teufel gehöre also nicht ins christliche Glaubensbekenntnis, und von Dämonen ist im Evangelischen Erwachsenkatechismus schon gar nicht die Rede. 2. Entdämonisierung Die Erklärungen, die der Evangelische Erwachsenenkatechismus bietet, entsprechen der allgemeinen volkskirchlichen Bewusstseinslage. Die kirchliche Verkündigung und Praxis hat sich aber auch an Menschen zu richten, zu deren Weltbild konkret-dingliche Satans- und Dämonenvorstellungen gehören. Unter systematisch-theologischen Gesichtspunkten trifft Bultmanns Urteil durchaus zu, dass eine Lebenspraxis, die auf die Therapieangebote und Krankheitsdeutungen der modernen Medizin zurückgreift und gleichzeitig an krankmachende Dämonen und Wunderkräfte glaubt, selbstwidersprüchlich ist. Die Aufgabe einer kritischen und aufgeklärten Theologie kann auch nicht darin bestehen, satanologische oder dämonologische Vorstellungswelten zu stützen. Wer jedoch Menschen, die an die Existenz von Engeln und Dämonen glauben, nur das Bultmannsche »Erledigt« entgegenschleudert, verliert ihnen gegenüber seine Sprach- und Kommunikationsfähigkeit. Mögen einem vielleicht wie auch Bultmann die Geschichten von der Heilung der vermeintlich von Dämonen besessenen Gottliebin Dittus durch Pfarrer Johann Christoph Blumhardt ein Greuel sein, 17 bleibt doch zu fragen, welche seelsorgerlichen und liturgischen Angebote eine moderne Volkskirche Menschen zu bieten hat, für die die Welt der Engel und Dämonen keineswegs erledigt ist. Oder sollte für diese Menschen nur in charismatischen und fundamentalistischen Gemeinden Platz sein? Die Basis einer auf Engel- und Dämonenglauben eingehenden kirchlichen Praxis kann nach meiner Überzeugung freilich nur eine aufgeklärte, kritische Theorie sein. Das gilt für die Praktische Theologie ebenso wie für die Systematische Theologie. Insofern behalten Bultmanns radikale Aussagen über die Unmöglichkeit oder Unlauterkeit, ein vormodernes Weltbild zu repristinieren, ihr theologisches Recht. Man kann in gewisser Hinsicht Bultmanns eigenes Programm einer Entmythologisierung bzw. existentialen Interpretation des Neuen Testaments als Form des Exorzismus verstehen, nämlich als Exorzismus durch theologische Aufklärung und Sachkritik. Sie schließt die Kritik an solchen Formen von Exorzismus ein, die gerade durch die Art, wie sie gegen Dämonen kämpfen, den Teufels- und Dämonenglauben noch bestärken und ihn theologisch legitimieren. Heinz Streib bezeichnet die praktisch-theologische Aufgabe als »Entzauberung«. Der Tradition des Exorzismus könne die Praktische Theologie jedoch »nur gerecht werden, indem sie eine neue Auslegung von der Macht des Wortes angesichts der Verstrickungen des Menschen in die Mächte des Bösen, die als Teufel, Geister und Dämonen symbolisiert werden, expliziert«. 18 Auch abgesehen von der Einzelseelsorge tut Entmythologisierung oder Entzauberung not in einer Welt, die unterschiedlichste Formen der Dämonisierung kennt. Das Unverstandene oder Unvertraute kann zum Bösen erklärt werden. Man denke an die Dämonisierung der modernen Technik und das Bild vom Zauberlehrling, der die Geister nicht mehr los wird, die er rief. Dämonisierung ist aber auch ein Phänomen im Bereich des Politischen. Der politische Gegner wird in der Fratze des Bösen oder des Teufels gezeichnet, gegnerische Mächte zur Achse des Bösen erklärt und das politische Weltbild in apokalyptischen Farben gemalt. Zwar ist es unsere Pflicht, das Böse beim Namen zu benennen, um ihm zu widerstehen. Doch wird es durch Personifikationen nicht aus der Welt geschafft. Im Gegenteil können diese dem Bösen weiter Vorschub leisten. Denn von der Personifizierung des Bösen bis zur Eliminierung der mit ihm identifizierten Personen oder Menschengruppen ist es nur ein kleiner Schritt. »Auch abgesehen von der Einzelseelsorge tut Entmythologisierung oder Entzauberung not in einer Welt, die unterschiedlichste Formen der Dämonisierung kennt. Das Unverstandene oder Unvertraute kann zum Bösen erklärt werden […] Entzauberung oder Entdämonisierung bedeutet, Strategien der Dämonisierung zu durchkreuzen, ohne die Realität des Bösen als solche zu leugnen oder zu banalisieren.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 59 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 59 Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen Entzauberung oder Entdämonisierung bedeutet, Strategien der Dämonisierung zu durchkreuzen, ohne die Realität des Bösen als solche zu leugnen oder zu banalisieren. Dass man Hitler als Dämon beschrieben oder von einer hinter ihm stehenden dämonischen Macht gesprochen hat, ist angesichts der ungeheuerlichen Verbrechen, die er begangen hat, durchaus verständlich. Verständlich ist auch, dass sich Mittäter und Mitläufer auf diese Weise ihr eigenes Handeln zu erklären versucht haben, nämlich als Ergebnis teuflischer Verführung. Solche Erklärungsversuche stehen jedoch in der Gefahr, von eigener Schuld und Verantwortung abzulenken, so dass aus Tätern unter der Hand Opfer werden. Es gehört zur Wirklichkeit des Bösen, dass Menschen tatsächlich sowohl Täter als auch Opfer sind. Das Teuflische an dieser Ambivalenz zeigt sich aber dann, wenn sie als Argument missbraucht wird, alle Unterschiede zwischen Opfern und Tätern zu verwischen, so dass am Ende die Mörder nochmals über ihre Opfer triumphieren. 19 Dietrich Bonhoeffer hat das Dämonische in der Zeit des Nationalsozialismus als »Maskerade des Bösen« beschrieben, die »alle ethischen Begriffe durcheinandergewirbelt« hat. »Daß das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten ethischen Begriffswelt Kommenden schlechthin verwirrend; für den Christen, der aus der Bibel lebt, ist es gerade die Bestätigung der abgründigen Bosheit des Bösen.« 20 Entdämonisierung, wie sie hier theologisch beabsichtig ist, bedeutet nicht die Bestreitung des Bösen, sondern das Wagnis, angesichts der Verhüllung des Guten und des Bösen, das Gute und das Böse beim Namen zu nennen, um so die Macht des Letzteren zu bannen. 3. Das Dämonische in der Systematischen Theologie Die bedeutendsten systematisch-theologischen Vorschläge zur Neuinterpretation der biblischen Rede von Dämonen und bösen Geistern im 20. Jahrhundert stammen von Karl Barth und Paul Tillich. Sie bestimmen auch noch gegenwärtig den Diskurs. 3.1 Karl Barth Barth übt scharfe Kritik an der traditionellen Deutung von Teufel und Dämonen als gefallenen Engeln, die noch heute in der offiziellen römisch-katholischen Lehre anzutreffen ist, aber auch in der altprotestantischen Dogmatik üblich war. 21 Die vormoderne Theologie kannte eine allgemeine Engellehre, innerhalb derer zwischen guten und bösen Engeln unterschieden wurde. Nach Barth aber sind die Bereiche der Engel und der Dämonen strikt geschieden, da sie keinen gemeinsamen Seinsgrund haben. Während die Engel zum Seinsbereich Gottes gehören, sind die Dämonen ihrer Herkunft und Art nach Erscheinungen des Nichtigen. Als das Nichtige bezeichnet Barth das Böse, das sich nicht nur als Sünde des Menschen zeigt, sondern auch in der Gestalt herrenloser Mächte und Gewalten. 22 Zwar haben auch die Engel Barth zufolge kein eigenständiges Sein: »Ihnen fehlt die Eigenständigkeit der irdischen Kreatur.« 23 Sie sind reine Funktion, also nicht für sich existierende Zeugen, sondern reines, authentisches Zeugnis. Als Manifestationen des Handelns Gottes in Jesus Christus können sie auch streng genommen gar nicht Gegenstand einer eigenen Lehre von den Engeln sein. Die Engellehre hat nach Barth »keinen ihr eigenen Sinn und Inhalt« 24 , sondern sie ist lediglich ein »Annex zur Christologie« 25 . Im Unterschied zur Lehre von den Engeln kann es nach Barth jedoch überhaupt keine Dämonologie geben, da den Dämonen in keinem positiven Sinn ein Sein zugesprochen werden kann. Was man als biblische Lehre von den Dämonen bezeichnen könnte, ist »nur der negative Reflex der biblischen Christologie und Soteriologie« 26 . Zwar existieren sie in einem gewissen Sinne. »Wie man die eigenartige Existenz des Nichtigen nicht in Abrede stellen kann, so auch nicht die ihrige. Sie sind nichtig, aber darum nicht nichts. Sie sind aber nur so, wie es ihnen zukommen kann: sie sind nur uneigentlich.« 27 Eben darum kann es keine ausgebaute Dämonologie geben, und die Rede vom Glauben an Dämonen ist selbstwidersprüchlich, da sich Glaube im gehaltvollen Sinne des Wortes allein auf Gott richten kann. Statt sich also über die Dämonen und bösen Geister zu verbreiten, soll die Theologie lediglich einen kurzen, aber scharfen Blick auf sie richten. Um jede dualistische Weltsicht schon im Keim zu ersticken, erklärt Barth, dass Gott der Herr auch des »Die Rede vom Glauben an Dämonen ist selbstwidersprüchlich, da sich Glaube im gehaltvollen Sinne des Wortes allein auf Gott richten kann. Statt sich also über die Dämonen und bösen Geister zu verbreiten, soll die Theologie lediglich einen kurzen, aber scharfen Blick auf sie richten.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 60 - 3. Korrektur 60 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Hermeneutik und Vermittlung dämonischen Bereichs ist und dass auch dieser ganz so wie das Nichtige von Gott her ist. Wie der Teufel laut Joh 8,44 der Vater der Lüge ist, so ist nach Barth das Nichtige als solches die Lüge. Die Dämonen sind die »tausendfache […] und tausendförmige […] Kraft und Kräfte der Lüge« 28 , wobei das Nichtige gern »sich selbst bagatellisiert und unsichtbar macht« 29 . Die Macht der Lüge zeigt sich als Versucher, als Ankläger, die die Menschen fälschlich beschuldigen, als Tyrannen, als Klagegeister, die Menschen fälschlicherweise in Trauer versetzen und ihnen den Humor nehmen, oder auch als Poltergeister, die Menschen in Alarm versetzen, wo sie doch in Wahrheit auf Gott vertrauen und Ruhe bewahren dürfen. 30 Wie vom Bösen als dem Nichtigen, so ist auch von den Dämonen nach Barth theologisch nur im Modus ihrer Entmächtigung zu reden. Nicht ihre Existenz, sondern ihre Überwindung ist zu bezeugen. Statt Scheu vor den Dämonen ist die Abscheu ihnen gegenüber zu bekunden, statt Respekt nur Zorn und Verachtung. Bemerkenswerterweise gebraucht Barth in diesem Zusammenhang den Begriff der Entmythologisierung, während er doch Bultmanns Hermeneutik ansonsten denkbar kritisch gegenübersteht. 31 Engel und Dämonen verhalten sich nach Barth zueinander »wie Kerygma und Mythus«, womit Barth auf die gleichnamige Reihe von Sammelbänden zu Bultmanns Entmythologisierungsprogramm anspielt. 32 Teufel und Dämonen sind nach Barth »der Mythus-- der Mythus aller Mythologie. Glauben an Gott und seine Engel heißt im Blick auf den Teufel und die Dämonen: Entmythologisierung.« 33 Von Bultmann grenzt sich Barth freilich sogleich ab. Denn während Bultmann den Dämonenglauben ganz im Sinne der Aufklärung für erledigt hält und einem obsoleten Weltbild zuordnet, erklärt Barth, der Mythos der Dämonen werde nicht von einem modernen Weltbild aus, sondern einzig vom christlichen Glauben aus »als die Grundlüge aller Lügen durchschaut« 34 . Entmythologisierung der Dämonen bedeutet im Sinne Barths daher nicht, ihre Existenz in Abrede zu stellen. Vielmehr müsse der »theologische Exorzismus […] ein Akt des im Glauben begründeten Unglaubens sein« 35 . Die Kritik der Aufklärung am Teufels- und Dämonenglauben sei dagegen fatal gewesen, weil es von der Kritik der Dämonen zur Bestreitung der Theologie nur ein kleiner Schritt war. Noch fataler sei es freilich gewesen, dass die altprotestantische Orthodoxie mit ihrer mythologischen Engel- und Dämonenlehre-- »eine von den bösen Träumen der alten Dogmatik« 36 -- zur radikalen Religions- und Theologiekritik allen Anlass geboten habe. 37 3.2 Paul Tillich Während Barth die biblisch-mythische Redeweise vom Teufel und den Dämonen beibehält, spricht Paul Tillich in neutrischer Form von dem Dämonischen. Unter dem Titel »Das Dämonische« veröffentlichte Tillich 1926 einen »Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte«, wie der Untertitel lautet. 38 Im selben Jahr erschien sein Aufsatz über den »Begriff des Dämonischen und seine Bedeutung für die Systematische Theologie« 39 . Seine Gedankenentwicklung lässt sich bis in sein theologisches Hauptwerk, die »Systematische Theologie«, verfolgen. 40 Der neutrische Begriff des Dämonischen findet sich bereits in Sören Kierkegaards Schrift »Der Begriff Angst« (1844). Kierkegaard definiert das Dämonische als die Angst vor dem Guten. Sobald die Sünde gesetzt ist, lassen sich zwei Erscheinungsformen der Angst unterscheiden: Die Angst des Guten vor dem Bösen und die Angst des Bösen vor dem Guten, eben das Dämonische: »Das Individuum befindet sich im Bösen und ängstigt sich vor dem Guten. Die Sündenknechtschaft ist ein unfreies Verhältnis zum Bösen, aber das Dämonische ist ein unfreies Verhältnis zum Guten.« 41 Das Dämonische ist bei Kierkegaard also eine psychologische bzw. eine anthropologische Kategorie. Rudolf Otto hat demgegenüber den Begriff des Dämonischen in enger Verbindung mit demjenigen des Numinosen verwendet. Das Tremendum und Fascinosum des Heiligen, das sich bei Luther in der Forderung zeige, Gott ebensowohl zu fürchten als zu lieben, äußere sich in der »Religion der Primitiven« auf elementare Weise in der Form der »dämonischen Scheu«. 42 Das Heilige ist das gleichermaßen grauenvolle wie lockende »Dämonisch-Göttliche«. 43 Auf dieser Linie liegt auch Tillichs Verständnis des Dämonischen, das er-- anders als Barth-- streng vom Satanischen abgrenzt. Beeinflusst von der Religionsphilosophie Schellings deutet Tillich das Dämonische als »gestaltwidriges Hervorbrechen des schöpferischen Grundes in den Dingen« 44 . Während es sich jedoch beim Satanischen um ein »absolut selbständiges Hervorbrechen des ›Abgrundes‹, ein bloßes Verzerren jeder Gestalt« handelt, ist dagegen im Dämonischen »immer noch das Göttliche, die Einheit von Grund und Abgrund, von Gestalt und Verzehren der Gestalt enthalten«. 45 Anders als bei Barth gehört das Dämonische also »In der zerstörerischen, chaotischen Macht des Dämonischen bricht freilich zugleich das Schöpferische hervor.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 61 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 61 Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen nicht auf die Seite des Nichtigen, sondern es partizipiert auf pervertierte Weise an der Macht des Seins. Seine Perversion besteht in der »Erhebung eines Bedingten zur Unbedingtheit« 46 , welche die beständige Gefahr aller Religion ist. Das Gegenteil des Heiligen ist nicht etwa das Profane, sondern eben das Dämonische. »Das Dämonische widerstrebt nicht der Selbst-Transzendierung, wie es das Profane tut, sondern verfälscht die Selbst- Transzendierung, indem es einen bestimmten Träger der Heiligkeit mit dem Heiligen selbst identifiziert.« 47 Heiligkeit kann leicht in Besessenheit und Fanatismus umschlagen, wie auch alle Religion-- einschließlich des Christentums-- »das Geschöpf der Offenbarung und zugleich deren Verzerrung« ist. 48 Das Dämonische gehört daher zu den Zweideutigkeiten der Religionen als einer Grundgestalt der Selbsttranszendierung des Lebens. Einer zweibegrifflichen, dualistischen Weltanschauung stellt Tillich »eine dreibegriffliche Weltanschauung gegenüber, in welcher der dritte Begriff (Das Dämonische, das Zerstörerische, das Sinnwidrige usw.) nicht etwa die Antithese ist, die zur Synthese kommen soll, sondern der aktuelle Widerspruch, der schlechthin bekämpft werden muß.« 49 In der zerstörerischen, chaotischen Macht des Dämonischen bricht freilich zugleich das Schöpferische hervor. Das unterscheidet Tillichs Begriff des Dämonischen von Barths Verständnis der Dämonen. Ähnlich konnten schon die Romantik, Goethe und der Geniekult des 19. Jahrhunderts vom Dämonischen als schöpferischer Potenz im Menschen sprechen und dabei an die Rede vom Daimon bei Sokrates und Platon anknüpfen. Tillich unterscheidet zwischen individuellen und sozialen Erscheinungsweisen des Dämonischen. In beiden Fällen hat das Dämonische den Charakter einer überpersönlichen Macht, wie sie in dem Begriff der Besessenheit zum Ausdruck kommt. Hauptmerkmal des Dämonischen in all seinen Spielarten ist »der Zustand der Gespaltenheit«. Als Beispiele führt Tillich einerseits »die extrem pathologischen Fälle der Ichzerspaltung oder der radikalen Komplexverhaftung, also der Aufhebung bzw. Bindung des verantwortlichen Persönlichkeitszentrums« 50 , an, andererseits Phänomene von »Massendämonien« 51 , als da wären der Intellektualismus und der Ästhetizismus, der moderne Kapitalismus und der Nationalismus. 52 Tillichs Verständnis des Dämonischen führt die Theologie in das interdisziplinäre Gespräch mit Psychoanalyse, Religions- und Kunstgeschichte. Es handelt sich bei seinem Begriff des Dämonischen jedoch keineswegs nur um eine anthropologische oder ästhetische Kategorie, sondern letztlich um einen metaphysischen Begriff. »Dämonie ist metaphysische Perversion, nicht ethischer Mangel.« 53 Anders als bei Barth gehört das Dämonische als vom Satanischen unterschiedener Begriff nicht wie die Lehre vom Teufel in einen Appendix zur Sündenlehre. Es ist vielmehr nach Tillichs Auffassung ein unaufgebbarer Zentralbegriff systematischer Theologie, von der Religionsphilosophie über die Dogmatik zur Ethik. Dabei stellt Tillich jedoch klar, dass seine Theorie des Dämonischen nicht mit einer Lehre von vermeintlich existierenden Dämonen verwechselt werden darf. Dämonen innerhalb wie außerhalb der biblischen Tradition sind Symbolisierungen des Dämonischen. Tillichs Begriff des Dämonischen ist nicht nur für sein Religionsverständnis und seine Gotteslehre von Bedeutung, sondern ein Schlüsselbegriff seiner Geschichtstheologie und seiner Auffassung von den Zweideutigkeiten des Lebens. Außerdem führt er ins Zentrum von Tillichs Neuinterpretation der reformatorischen Rechtfertigungslehre. Der Besessenheit stellt Tillich nicht etwa die Freiheit, sondern »die Begnadetheit« gegenüber. 54 Im Widerfahrnis der Gnade bricht der Grund und Abgrund des Seins nicht als Macht der Zerstörung, sondern als Neuschöpfung hervor. So gesehen »bedeutet der Begriff des Dämonischen in seiner radikalen Anwendung auch auf das Christentum die vollkommene Durchführung des Prinzips der Rechtfertigung-- auch dem Erkennen gegenüber« 55 . 3.3 Gegenwärtige Dogmatik Barths Lehre von den Engeln und den Dämonen und seine grundlegende Korrektur gegenüber der altprotestantischen Dogmatik hat die weitere dogmatische Entwicklung stark beeinflusst. Als Beispiel sei das verbreitete Lehrbuch von Wilfried Härle angeführt. Angesichts des eingangs erwähnten Umstandes, dass Engel heutzutage auch im evangelischen Bereich wieder starke Beachtung finden, hält es auch Härle für wichtig, Engel und Dämonen, aber auch Engel und Gott klar voneinander zu unterscheiden. Wie Barth weist auch Härle die traditionelle Unterscheidung zwischen guten und bösen Engeln als theologisch unsachgemäß zurück. 56 Nicht nur Dämonen, sondern auch die Engel haben kein eigenständiges Sein. Sei schon die ontologische These abwegig, es gebe Engel wie Menschen und Tiere, so führe auch die darauf aufbauende Frage nach ihrem Wesen und ihren Eigenschaften in die Irre. Härle macht sich die Feststellung des Alttestamentlers Claus Westermann zu eigen: »Der Engel kommt ins Sein mit seinem Auftrag, er vergeht mit der Erfüllung seines Auftrags, denn seine Existenz ist seine Botschaft.« 57 Damit sei »in Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 62 - 3. Korrektur 62 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Hermeneutik und Vermittlung nuce alles Wesentliche zur Angelologie gesagt« 58 . Engel sind nach Härle ein »Symbol, das auf Gott verweist« 59 . Daher sei die Kunst eher als die Dogmatik geeignet, Engel und Situationen, in denen sie uns begegnen können, darzustellen. Wie schon Barth weist Härle die Vorstellung eines Engelsturzes und somit eine Symmetrie zwischen Engellehre und Dämonologie zurück, »denn wenn Engel ihren Auftrag vergessen, verleugnen oder verkehren würden, dann würden sie sich damit nicht in Teufel verwandeln, sondern ihre Seinsweise als Engel verlieren« 60 . Auch sei die Existenz von Dämonen ontologisch zu bestreiten. »Wenn von den Engeln, so ist auch, ja erst recht von den bösen Geistern zu sagen: Es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß sie als oder wie Geschöpfe Gottes existieren.« 61 Auch der Dämonisierung von Menschen und Menschengruppen müsse entschieden entgegengetreten werden, sei doch selbst unter der Annahme der Besessenheit zwischen der besitzergreifenden Macht des Bösen und dem menschlichen Opfer dieser Macht zu unterscheiden. Gleichwohl könne die Rede von Dämonen und bösen Geistern nicht einfach übergangen werden, reiche sie doch ins Zentrum der Jesusüberlieferung. Das Reden vom Teufel oder Dämonen habe insofern Anhalt an menschlicher Erfahrung, als dadurch die überindividuelle Machtförmigkeit der Sünde, die Eigendynamik des Bösen und seine Verführungskraft zum Ausdruck kommen. Allerdings weist Härle auf die Gefahr hin, dass das Reden von dunklen Mächten ihrer Faszination erliegen kann. Wie schon Barth möchte Härle dieser Gefahr dadurch begegnen, »daß die Begrenztheit dieser Mächte ernstgenommen wird, d. h. dadurch, daß von ihrer Überwindung gesprochen wird« 62 . Wolfhart Pannenberg hält Barths Angelologie für »die bedeutendste Erörterung des Themas in der neuen Theologie« 63 , kritisiert aber, dass Barth nicht auf die religionsgeschichtlichen Hintergründe der biblischen Engelsvorstellungen eingegangen sei, die zum Teil auf die babylonische Astrologie und teilweise auf Vorstellungen von Naturkräften oder Elementen zurückgehen. Auch bemängelt Pannenberg, dass Barths funktionale Betrachtung der Engel, d. h. ihre Deutung rein von ihrer Botenfunktion her, die ontologische Frage nach ihrem Sein unbegründeterweise abschneide. Pannenbergs Engellehre setzt bei der Beschreibung der Engel als Geister (gr. pneumata) ein, welche die Frage nach ihrem Verhältnis zu Gott, dem Geist schlechthin (Joh 4,24), aufwerfe. 64 Mit einem Vergleich aus der Physik beschreibt Pannenberg den Geist als Feld und interpretiert dementsprechend auch das mit Engeln als Geistern Gemeinte »nicht in erster Linie als personale Gestalt, sondern als ›Macht‹« 65 . Personale Engelsvorstellungen seien gegenüber der Erfahrung göttlicher Machtwirkungen sekundär. Sie müssten keineswegs supranaturalistisch gedeutet werden, könnten sich doch naturwissenschaftliche und theologische Aussagen auf dasselbe Ereignis beziehen. »Warum also sollten die Naturkräfte nicht auch in den Formen, in denen die moderne Menschheit sie kennt, als Diener und Boten Gottes-- und also als ›Engel‹ aufgefaßt werden? « 66 Auch die Rede von Dämonen soll mit einem naturwissenschaftlichen Weltbild in Einklang gebracht werden können, wie Pannenberg im Anschluss an Jürgen Moltmann argumentiert. Moltmann spricht von der Schöpfung als auf Gott und seine Zukunft hin offenem System. 67 Der Himmel im religiösen, nicht im astronomischen Sinne ist für Moltmann »das Reich der Energien, der Möglichkeiten und Potenzen Gottes« 68 . Letztere setzt Moltmann mit den Engeln gleich. 69 Zu dämonischen und widergöttlichen Mächten werden die Naturkräfte nach Pannenberg, »wenn sie sich der Zukunft Gottes, dem Reich seiner Möglichkeiten verschließen, also zu ›geschlossenen Systemen‹ werden.« Wie er hinzufügt, lasse es »sich nicht ausschließen, daß das Weltgeschehen wenigstens teilweise unter dem Einfluß solcher Machtzentren steht« 70 . Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, also das Entropiegesetz, ist für Pannenberg ein deutlicher Hinweis darauf. Doch bleiben die Mächte des Verderbens letztlich der Schöpfermacht Gottes unterworfen: »Wenn es richtig ist, daß das Prinzip der Entropievermehrung im Weltprozeß einen Aspekt dieser Verderbensmacht oder ihrer Wirkungsweise erkennen läßt […], so läßt sich daran allerdings auch veranschaulichen, daß sogar diese Verderbensmacht noch als Diener Gottes (Hi 1,6) und seines Schöpferwillens zu verstehen ist« 71 . Abgesehen davon, dass Pannenbergs Verhältnisbestimmung von theologischen und naturwissenschaftlichen Aussagen mit grundlegenden erkenntnistheoretischen Problemen behaftet ist, kehrt in seiner Deutung dämonischer Naturkräfte die alte Lehre vom Abfall der bösen Engel wieder, die Barth mit überzeugenden Gründen entkräftet hat. Anders als Pannenberg beharrt Edmund Schlink auf dem personalen Charakter widergöttlicher Verderbensmächte. 72 Tillichs Interpretation des Dämonischen repräsentiert für Schlink die seit der Aufklärung zu beobachtende Tendenz, das Böse zu verharmlosen. Eine »Entdämonisierung« der biblischen Texte und der modernen Welt »durch Bestreitung personaler dämonischer Wirklichkeit« ist für Schlink theologisch unzulässig. 73 Zwar kann er wie Barth sagen, die Enthüllung der Verderbensmächte sei zugleich ihre Entmächtigung. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 63 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 63 Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen Auch seien die dämonischen Mächte »kein Gegenstand der Wahrnehmung und Überprüfung wie Gegenstände der Welt« 74 . Doch werde das Problem der Entdämonisierung in der Neuzeit generell zu leicht genommen. »Sie geschieht nicht durch Leugnung dieser Mächte, sondern durch ihre Enthüllung und Austreibung. Durch rationale Umdeutung kann sich der Mensch von den Verderbensmächten nicht befreien.« 75 Die angemessenen theologischen Sprachformen für die dämonischen Mächte seien die Warnung vor ihnen, die Mahnung zum Gebet und die Absage an das Böse. Gemessen an den Interpretationsvorschlägen Barths und Tillichs- - so unterschiedlich diese im Einzelnen auch sind-- bedeutet Schlinks Erklärungsversuch für das Dämonische einen Rückschritt. Die Warnung vor der Verharmlosung oder Banalisierung des Bösen hat ihr gutes Recht. Doch bleibt bei Schlink zum einen ontologisch unklar, wie man sich die Existenz der Verderbensmächte vorzustellen hat, zum anderen droht durch die Art und Weise, in der Schlink von diesen Mächten spricht, das grundsätzlich geteilte Anliegen der Entdämonisierung unterlaufen zu werden. Es gibt eben Formen des Exorzismus oder der Entdämonisierung, die einem Dämonenglauben Vorschub leisten, den doch auch Schlink unterbinden will. 4. Schlussfolgerungen Tillichs Versuch, zwischen dem Dämonischen und dem Satanischen zu unterscheiden, kann angesichts des biblischen Gesamtbefundes nicht überzeugen, auch wenn seine Analysen dämonischer Phänomene im Einzelnen erhellend sind. Zwar kann Tillich für seine Argumentation ins Feld führen, dass sie eine Neuinterpretation der Rede Luthers vom Deus absconditus ist, der in seiner Verborgenheit und Abgründigkeit letztlich kein anderer als der Schöpfergott ist, der in Jesus Christus sein Wesen als Liebe offenbart. Aber bei dieser Neuinterpretation steht eher Schelling als das Neue Testament Pate. Überzeugender ist dagegen Barths Zugang, der Engel und Dämonen wie Kerygma und Mythos voneinander geschieden sieht und die theologische Aufgabe im Umgang mit dem Dämonischen als Entmythologisierung und Entzauberung bestimmt. Auch seine Kritik an der traditionellen Lehre von den gefallenen Engeln verdient Zustimmung. Problematisch ist aber die gegen Bultmann gerichtete Wendung, die Barth dem Begriff der Entmythologisierung gibt. Darauf kann hier nicht ausführlich eingegangen werden, weil dies nichts Geringeres als eine detaillierte Rekonstruktion der Hermeneutik Bultmanns erfordern würde. Es sei in unserem Zusammenhang nur darauf hingewiesen, dass Entmythologisierung bei Bultmann keineswegs die Eliminierung mythischer Rede im Neuen Testament, sondern ihre existentiale Interpretation bedeutet, dass aber zur theologischen Interpretation biblischer Texte auch das Element der Sachkritik gehört. Dass es sich bei der Rede vom Teufel und den Dämonen im Neuen Testament um mythische Redeweise handelt, lässt sich im Ernst nicht bestreiten. Darauf mit Nachdruck hinzuweisen, heißt keineswegs zwingend, die auf diese Weise zur Sprache gebrachten Phänomene und Erfahrungen des Bösen zu verharmlosen. Bultmanns existentiale Interpretation ist als Programm einer theologischen Aufklärung zu verstehen, die sich gegenüber reduktionistischen Tendenzen des neuzeitlichen Rationalismus kritisch verhält. Entmythologisierung als theologisches Programm ist aber Exorzismus im besten Sinne des Wortes. Wie sich auf der Linie Bultmanns verantwortlich vom Dämonischen reden lässt, ohne die Welt zur remythisieren, sei abschließend an den Dogmatiken von Gerhard Ebeling und Dietz Lange gezeigt. Ebeling spricht von der Verborgenheit der Herrschaft Gottes in den Machtverhältnissen der Welt. Das Gottwidrige zeigt sich nach Ebeling keineswegs nur dort, wo landläufig vom Bösen gesprochen wird. Es fällt darunter vielmehr »auch vieles, was nach menschlichem Urteil recht und gut zu sein scheint« 76 . Der Tiefe des Gegensatzes zwischen dem Gottgemäßen und dem Gottwidrigen, die erst im Licht der neutestamentlichen Heilsbotschaft zutage tritt, meint der christliche Glaube schließlich nur noch in einer dualistischen Sprache angemessenen Ausdruck verleihen zu können. So kommt es zur Vorstellung transsubjektiver Mächte, unter die sich der Mensch versklavt fühlt. »Diese dämonologisch-dualistische Sprache, die das ganze Neue Testament durchzieht, ist nicht ungefährlich« 77 , kann sie doch in einen metaphysischen Dualismus abgleiten. Nur wenn das Gottsein Gottes nicht in Frage gestellt wird, dürfe man sich dieser Sprache als Interpretament bedienen. »Genau genommen kann man nur rückblickend so reden im Wissen darum, daß es eigentlich schon erledigt, diese gottwidrige Herrschaft schon am Ende ist, die Stunde der Befreiung bereits geschlagen hat.« 78 Dietz Lange knüpft an die Interpretation der Sünde und des Dämonischen bei Kierkegaard an. Die Rede vom Teufel oder von Dämonen lässt sich demnach als Hypostasierung realer menschlicher Erfahrungen rekonstruieren, bei denen es sich im Kern um die Erfahrung von »Gottentfremdung« 79 , das heißt aber in gewisser Weise um eine Form der Selbsterfahrung, handelt. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 64 - 3. Korrektur 64 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Hermeneutik und Vermittlung »Wenn man sich diese Beziehung auf die Selbsterfahrung klarmacht, dann erweist sich die scheinbar so primitive Vorstellung einer personifizierten Macht des Bösen als überraschend treffende Beschreibung menschlicher Grunderfahrung.« 80 Seine destruktive Macht entfaltet das Dämonische insbesondere dann, wenn seine Hypostasierungen als solche nicht mehr durchschaut werden. Wie nötig in solchen Fällen die Entmythologisierung des Dämonischen ist, sei abschließend an einem erschreckenden Beispiel aus Westafrika verdeutlicht. Ganz selbstverständlich glauben dort auch Christen noch an böse Geister und halten Menschen, die psychisch krank sind, für von Dämonen besessen. Wie Tiere werden Schizophrene, Manisch-Depressive oder auch Epileptiker zu Tausenden weggesperrt, aus Angst, die bösen Geister könnten auf die Gesunden überspringen. Man kettet sie an Bäumen an, wo sie Wind und Wetter ausgesetzt sind und kaum versorgt werden. 1991 gründete Gregoire Ahongbonon das Projekt St. Camille de Lellis, das sich für die Befreiung der sogenannten Kettenmenschen einsetzt und diese inzwischen in fünfzehn Zentren betreut und medizinisch behandelt. 81 Die Befreiung der Kettenmenschen in Westafrika ist eine ganz praktische Form von Entdämonisierung, eine Form der Entmythologisierung im besten Sinne des Wortes. Wer meint, dafür Verständnis aufbringen zu sollen, dass man sehr wohl elektrisches Licht, Computer und Internet benutzen und gleichzeitig an die Welt der Dämonen glauben könne, statt Menschen moderne medizinische Therapie anzubieten, der lasse sich durch das Elend der Kettenmenschen eines Besseren belehren. Anmerkungen 1 R. Bultmann, Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, hg. v. E. Jüngel (BEvTh 96), München 1988, 16. 2 Bultmann, Neues Testament, 15. 3 Bultmann, Neues Testament, 16, Anm. 16. 4 M. Horkheimer/ Th. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a. M. 13 2001. 5 A. Grün, 50 Engel für das Jahr. Ein Inspirationsbuch, Freiburg u. a. 2007; ders., 50 Engel für die Seele, Freiburg u. a. 2006. 6 Für die römisch-katholische Kirche siehe CIC, can. 1172. 7 Katechismus der Katholischen Kirche (KKK), München 1993, Nr. 1674 (448). 8 U. Rosin/ A.J. Hammers, Art. Parapsychologie, Okkultismus …, in: Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Bd. 15, 1979, 610-617, zitiert nach H. Streib, Art. Exorzismus III. Praktisch-theologisch, RGG 4 II, Tübingen 1999, 1829- 1830. 9 KKK, Nr. 328. 10 KKK, Nr. 330. 11 KKK, Nr. 393. 12 Vgl. KKK, Nr. 395. 13 A. Jilek, Die Taufe, in: H.-Chr. Schmidt-Lauber/ M. Meyer-Blanck/ K.-H. Bieritz (Hgg.), Handbuch der Liturgik, Göttingen 3 2003, 285-318: 311. 14 A. Brummer/ M. Kießig/ M. Rothgangel (Hgg.), Evangelischer Erwachsenenkatechismus. suchen-- glauben-- leben, Gütersloh 8 2010, 228 f. 15 Evangelischer Erwachsenenkatechismus, 228. 16 Ebd. 17 Vgl. R. Bultmann, Zu J. Schwiewinds Thesen, das Problem der Entmythologisierung betreffend, KuM I, Hamburg 1948, 135-153: 150. 18 Streib, Exorzismus, 1830. 19 Vgl. M. Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Ein Interview mit Kommentar von H. Gumnior, Hamburg 2 1971, 62. 20 D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. Chr. Gremmels, E. Bethge u. R. Bethge, in Zusammenarbeit mit I. Tödt (DBW 8), Gütersloh 1998, 20. Das Zitat stammt aus dem Text »Nach zehn Jahren« aus dem Jahr 1943 (19-39). 21 Vgl. K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik III/ 3, Zollikon- Zürich 1950, 608 ff. 22 Vgl. M. D. Wüthrich, Gott und das Nichtige. Eine Untersuchung zur Rede vom Nichtigen ausgehend von § 50 der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths, Zürich 2006. 23 Barth, KD III/ 3, 566 (kursive Wörter hier und in anderen Zitaten im Original gesperrt). 24 Barth, KD III/ 3, 428. 25 Barth, KD III/ 3, 586. 26 Barth, KD III/ 3, 621. 27 Barth, KD III/ 3, 613. 28 Barth, KD III/ 3, 619. 29 Barth, KD III/ 3, 617. 30 Vgl. Barth, KD III/ 3, 620 f. 31 Vgl. K. Barth, Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen (ThSt [B] 34), Zollikon-Zürich 2 1953. 32 H.W. Bartsch (Hg.), Kerygma und Mythos, 6 Bd. in mehreren Teilbänden, Hamburg 1948-1968. 33 Barth, KD III/ 3, 611. 34 Barth, KD III/ 3, 612. 35 Barth, KD III/ 3, 611. 36 Barth, KD III/ 3, 623. 37 Vgl. Barth, KD III/ 3, 613. 38 P. Tillich, Das Dämonische. Ein Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte (SGV 119), Tübingen 1926 (= ders., Der Widerstreit von Raum und Zeit. Schriften zur Geschichtsphilosophie [GW VI], Stuttgart 1963, 42-71). 39 P. Tillich, Der Begriff des Dämonischen und seine Bedeutung für die Systematische Theologie, in: ders., Offenbarung und Glaube. Schriften zur Theologie II (GW VIII), Stuttgart 1970, 285-291. 40 Siehe bes. P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. III, Stuttgart 1963, 124-130. Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 65 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 65 Ulrich H. J. Körtner Dämonen und Dämonisierung in Gegenwartsdiskursen 41 S. Kierkegaard, Der Begriff Angst (GW 11. Abt., hg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes), Gütersloh 1981, 123. 42 R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, Breslau 3 1919, 17. 43 Otto, Das Heilige, 35. 44 Tillich, Das Dämonische, 47. 45 Ebd. 46 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 286. 47 Tillich. Systematische Theologie III, 125. 48 Tillich, Systematische Theologie III, 127. 49 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 287. 50 Ebd. 51 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 288. 52 Tillich, Das Dämonische, 67 ff. 53 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 287. 54 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 288. 55 Tillich, Der Begriff des Dämonischen, 290. 56 W. Härle, Dogmatik, Berlin/ New York 1995, 297. 57 C. Westermann, Gottes Engel brauchen keine Flügel, München 2 1968, 7. 58 Härle, Dogmatik, 299. 59 Ebd. 60 Härle, Dogmatik, 489. 61 Ebd. 62 Härle, Dogmatik, 492. 63 W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. II, Göttingen 1991, 125. 64 Pannenberg, Systematische Theologie II, 126. 65 Pannenberg, Systematische Theologie II, 127. 66 Pannenberg, Systematische Theologie II, 129. 67 J. Moltmann, Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre, München 3 1987, 172. 68 Moltmann, Gott in der Schöpfung, 180. 69 Moltmann, Gott in der Schöpfung, 172. 70 Pannenberg, Systematische Theologie II, 131. 71 Ebd. 72 E. Schlink, Ökumenische Dogmatik. Grundzüge, Göttingen 2 1985, 180 ff. 73 Schlink, Ökumenische Dogmatik, 182. 74 Schlink, Ökumenische Dogmatik, 183. 75 Schlink, Ökumenische Dogmatik, 184. 76 G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd, III, Tübingen 1979, 486. 77 Ebeling, Dogmatik III, 487. 78 Ebeling, Dogmatik III, 488. 79 D. Lange, Glaubenslehre, Bd. I, Tübingen 2001, 437. 80 Lange, Glaubenslehre I, 437. 81 Informationen unter »Freundeskreis St. Camille«, http: / / www.st-camille.com/ baa/ willkommen/ willkommen.htm (zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011). Siehe auch die Reportage in der Zeitschrift »Chrismon«, 20. 1. 2011 (im Internet abrufbar unter: http: / / chrismon.evangelisch.de/ artikel/ 2011/ der-retter-der-kettenmenschen-6818). Vorschau auf Heft 29 Hebräerbrief Mit Beiträgen von Stefan Alkier, Wilfried Eisele, Richard Hays, David Moffit, Karl-Heinrich Ostmeyer, Eckart Reinmuth und Manuel Vogel.
