eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 15/29

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
0601
2012
1529 Dronsch Strecker Vogel

Knut Backhaus Der Hebräerbrief (Regensburger Neues Testament) Friedrich Pustet Regensburg 2009 ISBN 978-3-7917-2208-5 Preis: 49.90 Euro

0601
2012
Manuel Vogel
znt15290069
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 69 - 4. Korrektur ZNT 29 (15. Jg. 2012) 69 Buchreport Knut Backhaus Der Hebräerbrief (Regensburger Neues Testament) Friedrich Pustet Regensburg 2009 ISBN 978-3-7917-2208-5 Preis: 49.90 Euro Knut Backhaus hat einen engagierten Kommentar geschrieben. Das merkt man schon bei der Lektüre des Vorwortes, und hat man erst das Vorwort gelesen, kann man sich diesem Engagement (und damit auch dem Kommentar) kaum entziehen: Es macht neugierig auf den Kommentar, und der Kommentar macht neugierig auf den Hebräerbrief. Konzeptionell trägt der Band dem Vermittlungsauftrag der Kommentarreihe Regensburger Neues Testament dadurch Rechnung, dass er eine Doppelperspektive einnimmt und durchhält: die historische Perspektive auf den Hebräerbrief als ein in vieler Hinsicht fremdes Dokument, dessen religiös-kultureller Hintergrund in exegetischer Detailarbeit aufzuhellen ist, wie auch die gegenwartsorientierte Perspektive, die es dem Hebräerbrief zutraut, Antworten auch auf Fragen heutiger Leserinnen und Leser zu geben. Wo in einem Kommentar sonst Exkurse zu stehen pflegen, nimmt Backhaus eine Reihe von »Ausblicken« auf die Gegenwart vor. In diesen Abschnitten, nicht weniger als 34 an der Zahl, »mutet sich der Kommentator selbst den Lesern zu. Genauer: Ich teile meine eigene Begegnung mit dem Text mit und versuche so, eine Brücke vom Sinnpotential des historischen Textes zu unserer Zeit zu schlagen. Das ist kein historisches Unterfangen mehr, sondern ein subjektiver und stets anfechtbarer Versuch, Möglichkeiten einer ›Sinnkarriere‹ aufzuzeigen« (7). Die ausführliche Einleitung (13 -79) bleibt auch dem Fachpublikum wissenschaftlich nichts schuldig- - auf Schritt und Tritt wird deutlich, dass der Autor auf dem Gebiet der Hebräerbriefforschung bestens ausgewiesen ist- -, doch ist sie auch für interessierte Nichtfachleute gut lesbar, weil sie die Forschung zwar auf der Höhe der Zeit repräsentiert, diese jedoch nicht selbst zum Thema macht. Die Einleitung ist denn auch, wie der Kommentar insgesamt, zu einhundert Prozent fußnotenfrei. Dagegen vermittelt das umfangreiche Literaturverzeichnis einen Eindruck, wie intensiv Backhaus das Gespräch mit der Forschung geführt hat. Dem Kommentar kommt es zugute. Im ersten Satz der Einleitung versichert sich Backhaus der Geneigtheit seines Lesepublikums: »Wer zum Hebräerbrief greift (oder sogar zu einem Kommentar über den Hebräerbrief ), beweist Mut. Normale Christen halten den Hebräerbrief für unzugänglich« (13). Allein, der Autor schmeichelt den Lesenden nicht, sondern fordert sie heraus: »Der Hebräerbrief hingegen hält normale Christen für unzugänglich und schwerfällig […]. Dieser Kommentar hat sein Ziel erreicht, wenn deutlich wird, wer Recht hat. Es kann nicht seine Aufgabe sein, die Barrieren einzuebnen, die den Hebräerbrief von unserer Lebenswelt trennen. Aber er kann versuchen, die symbolische Welt hinter ihnen begehbar zu machen. Es ist eine Welt, in der der Himmel wirklicher ist als die irdischen Schattenbilder, das Wort mächtiger wirkt als die Mehrheitsmeinung und sich zwischen Himmel und Erde ein Begegnungsdrama abspielt, in dem Gottes Lebensraum schon jetzt zugänglich wird. An diesem Drama nehmen die Lesenden mit ihrer je eigenen Glaubensgeschichte unmittelbar teil« (13). Schon diese einleitenden Sätze machen deutlich, dass der Verfasser des Kommentars hinter der Sprachmächtigkeit des Briefverfassers nicht zurücksteht. Aber wie verhält es sich mit den notorisch schwierigen Passagen des Hebräerbriefes, etwa der berühmt-berüchtigten Verweigerung der zweiten Buße? Hier verweist Backhaus auf dreierlei: Einmal auf die älteste kirchliche Bußpraxis, die keineswegs einheitlich war und schon gar nicht unisono der (vermeintlich) harten Linie des Hebräerbriefes gefolgt ist (vgl. 233). Sichtlich wird die Schrift hier zu einem Stück Tradition, oder anders: Der Übergang zwischen Schrift und Tradition ist an dieser Stelle fließend. Die (jedenfalls auf den ersten Blick) kompromisslos harte Haltung des Hebräerbriefes wird historisch im guten Wortsinn relativiert, ins Verhältnis gesetzt zu anderen Positionen der Alten Kirche, die (z.T. in expliziter Auseinandersetzung mit Hebr 6) in der Bußfrage zu einer ganz anderen Einschätzung gelangt sind. Zweitens lenkt Backhaus das Augenmerk auf den argumentativen Status jener Verse: Es geht dem Verfasser gar nicht darum, in der Bußfrage einen unhintergehbaren Rechtsgrundsatz zu formulieren, für den er kirchenpolitisch unbedingte Geltung einforderte, sondern zunächst formal darum, auf eine logische Unmöglichkeit, einen sachimmanenten Widersinn aufmerksam zu machen. Drittens soll deutlich werden, dass die Verse rhetorisch und pragmatisch und damit auch sachlich nicht unabhängig von ihrem intratextuellen Kontext verstanden werden können: »Der Redner erweckt die beiden für eine […] Mahnpredigt maßgebenden Leitaffekte: Furcht (metus) und Hoffnung (spes) […]. Die Wirkung entscheidet sich an der Reihenfolge: Im ersten Unterabschnitt (A) werden die Hörer mit schaudererweckenden Bildern und Drohungen aus der angenommenen Hörfaulheit und Glaubenslethargie gerissen, sodass ihnen deutlich wird, dass die Heilszusage weder trivial noch selbstverständlich ist. Im zweiten Unterabschnitt (B) wird in diese aufgescheuchte Seelenlage hinein das ganz Andere gesagt, nämlich unerwartet und unverdient das Heil: ›Wir sind aber, was Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 08.03.2012 - Seite 70 - 4. Korrektur 70 ZNT 29 (15. Jg. 2012) Buchreport euch, ihr Geliebten, betrifft, von dem überzeugt, was wirkmächtiger ist und Heil birgt, wenn wir auch so sprechen‹. Der Mensch hat keinen Anspruch darauf, dass Gott ihm Gnade erweist, und in V. 4 -8 wird deutlich, was die natürliche Folge des Glaubensabfalls ist. Aber in V. 9f. tritt dann unmittelbar Gott- - und mit ihm die Gnade- - auf den Plan: überraschend, befreiend, gegen alle natürliche Logik« (226f.). In der Wirkungsgeschichte wurde dieser Kontextbezug häufig übersehen: »Aus dem heilsamen Schrecken wurde […] die schreckliche Heillosigkeit« (227). Die rhetorische Lektüre dieses Abschnitts überzeugt, überzeugend ist auch der anschließende »Ausblick« (242-244), der dafür plädiert, Rhetorik als Theologie gelten zu lassen: »Wir nehmen Hebr nicht weniger ernst, wenn wir auch dies als Theologie würdigen. Freilich werden wir uns dann nicht auf den zeitlosen Wahrheitsgehalt einzelner theologischer Sätze fixieren, sondern diese in den Wirkzusammenhang der Gesamtrede stellen« (243). Wo und in welchem geistig-kulturellen und religiösen Milieu ist der Hebräerbrief entstanden? Backhaus votiert für Rom. Namentlich »das theologische Profil des Hebr gewinnt vor stadtrömischem Hintergrund eigene Stimmigkeit: Schließlich war die hauptstädtische Kirche bis zum Claudius-Edikt 49 n. Chr. deutlich judenchristlich geprägt. Nachdem die Judenchristen zeitweilig vertrieben worden waren, wurde das heidenchristliche Element in der Gemeinde dominant, doch so, dass die biblisch-jüdische Herkunftskultur Selbstverständnis, Denkform und Argumentationsweise bleibend prägte« (26). Nach Backhaus sind freilich, als der Hebräerbrief geschrieben wurde, die Probleme des Zusammenlebens von Christen aus Israel und Christen aus den Völkern, wie sie noch im Römerbrief deutlich zu erkennen sind, längst Geschichte. Der Verfasser war selbst wohl kein Judenchrist (22), und »eine theologische Unterscheidung zwischen Juden- und Heidenchristen steht in Hebr nicht mehr zur Debatte. Er wendet sich an das Gottesvolk als solches, das in der großen Tradition Israels steht und aus der Sicht des V[er]f[assers] gerade so zur Kirche geworden ist.« Er beschwört »Einheitsbilder, die die Traumata der jüdischchristlichen Trennungsprozesse hinter sich gelassen haben« (24). Dass Sabbat und Beschneidung nicht erwähnt werden, heißt also nicht, dass diese Größen noch fraglos in Geltung stünden, sondern dass sie schlicht keine Rolle mehr spielen. Historisch scheint mir ein solches Christentum jenseits jeglicher Interaktion mit dem synagogalen Judentum für das 1. Jh. unwahrscheinlich zu sein. Dass die biblisch-jüdische »kultische Anschauungsform« den Verfasser »mit der dominierenden Frömmigkeit auch seiner paganen Zeitgenossen verbindet« (62), scheint mir eine Verlegenheitsauskunft zu sein. Die Kontroverse dieses Heftes vertritt zu beiden Teilen in diesen und anderen Fragen eine gegenteilige Position. Für Backhaus ist der Hebräerbrief fraglos ein Dokument der Kirche. Die Geschlossenheit seiner Auslegung verdankt sich nicht zuletzt dieser Grundannahme, die der Rezensent theologisch für nicht unproblematisch hält. Den nicht geringen Eindruck, den der Kommentar auf ihn gemacht hat, schmälert das in keiner Weise. Manuel Vogel