ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2013
1632
Dronsch Strecker VogelStephan Hagenow Heilige Gemeinde – Sündige Christen Zum Umgang mit postkonversionaler Sünde bei Paulus und in weiteren Texten des Urchristentums, Narr Francke Attempto, Tübingen 2011 ISBN: 978-3 772 084 195 68,00 €
121
2013
Thomas Schmeller
znt16320067
Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 67 - 2. Korrektur ZNT 32 (16. Jg. 2013) 67 Buchreport Stephan Hagenow Heilige Gemeinde-- Sündige Christen Zum Umgang mit postkonversionaler Sünde bei Paulus und in weiteren Texten des Urchristentums, Narr Francke Attempto, Tübingen 2011 ISBN: 978-3 772 084 195 68,00 € »[D]ie Glaubwürdigkeitsfrage stellt sich bis heute: Wenn Christenmenschen dem Evangelium vertrauen, wie können sie dann Unrecht tun und wie fällt man als Gemeinde und als Einzelner dem Rad der Sünde in die Speichen? « (V). Die zu besprechende Monographie, die auf eine bei Klaus Berger geschriebene und 1996 (! ) eingereichte Dissertation zurückgeht, will dieser Frage für das Urchristentum nachgehen. Im Zentrum steht Paulus, aber es werden auch Mt, Jak, 1Joh und die Apostolischen Väter einbezogen. In seiner »Einführung« (1-25) formuliert H. zunächst »Anfragen an ein gängiges Geschichtsbild« (3), das bis vor kurzem nicht nur in der exegetischen Wissenschaft verbreitet war. In der akuten Erwartung der Parusie vertraten und lebten-- diesem Bild zufolge-- die ersten Christen das Ideal radikaler Sündlosigkeit. Erst mit der Verzögerung der Parusie und mit der Entwicklung der kleinen Bewegung zu einer großen Kirche sei dieses Ideal aufgegeben worden und habe man begonnen, mit der Realität der Sünde umzugehen, indem man Ämter und die Möglichkeit der Buße entwickelte. Um zwischen dem genannten Geschichtsbild und den vielen ntl. Texten zu vermitteln, in denen von Sünden die Rede ist, wurden und werden häufig zwei exegetische Brücken gebaut: Entweder werden im NT Vorstufen der späteren Bußpraxis gefunden. Oder die Frage wird mit der paulinischen Rechtfertigungslehre beantwortet, d. h. mit der gerechtfertigten, aber zugleich immer noch angefochtenen Existenz des Einzelnen. H. kann zeigen, dass beide Lösungsansätze unbefriedigend sind, weil sie auf unangemessenen Systematisierungen und Eintragungen beruhen. Daraus ergeben sich Konsequenzen für das eigene Vorgehen: H. will anachronistische durch adäquate Modelle ersetzen, stärker als üblich differenzieren und die Möglichkeit einer Entwicklung im paulinischen Sündenverständnis prüfen. Ein religionsgeschichtlicher Teil (27- 66) erhebt atl. und frühjüdische Vorstellungen von einem Ende und einem Wiederaufleben der Sünde, die sich mit den paulinischen Aussagen vergleichen lassen. Im AT sind besonders prophetische Texte relevant, die sich auf das Exil und die Folgezeit beziehen. In manchen frühjüdischen Pseudepigrapha (äthHen, ApkMos, OrSib, Jub, TestLev, auch in Qumranschriften) wird die Sünde vor allem kultisch interpretiert. Das Ende der Sünde wird hier als das von Gott-- z.T. durch die Gabe des Geistes-- herbeigeführte Ende aller Unreinheit verstanden. Hier sieht H. große Nähe zu Paulus. H. konstatiert eine Vielfalt von Entwürfen, die er auf zwei Modelle reduziert: das »einer apokalyptisch-heiligkeitsethisch orientierten Sündlosigkeit« und das »einer weisheitlich geprägten Sündlosigkeit« (64). Erstere ist charakterisiert durch Reinheit, Geist, Neuschöpfung und die Priorität der Gemeinschaft, letztere ist weniger absolut, juristisch geprägt und auf den einzelnen Sünder hin orientiert. Wie Paulus diese traditionsgeschichtlichen Deutehorizonte rezipierte und in seinen frühen Briefen (d. h. in 1Thess und 1/ 2 Kor) mit konkreten Gemeindesituationen in Verbindung brachte, untersucht der längste Teil der Arbeit (67-163). Im 1Thess ist von Sündlosigkeit nicht die Rede. Die Sünde betrifft vor allem die Gemeinde insgesamt, weniger das einzelne Gemeindemitglied. Anhand von 1Kor wird das Konzept der Tempelförmigkeit der Gemeinde untersucht. Es ist u. a. durch einen Prozesscharakter gekennzeichnet. Der Bau ist nicht abgeschlossen, die Heiligung der Christen nicht vollendet. Auch hier überwiegt der kollektive Charakter. Dieses Konzept steht für H. hinter 1Kor 5. Der Unzuchtsünder muss ausgeschlossen und dem Satan übergeben werden, um die Heiligkeit des Ganzen zu bewahren. Das pneuma, das gerettet werden soll, ist für H. der Geist der Gemeinde, ihr »Gemeinschafts-Geist« (97). Es geht weniger um die Bestrafung des Sünders als um die »Stärkung der zerrissenen Einheit« (100). In Auseinandersetzung mit J.T. South plädiert H. entschieden dafür, mit einem physischen Fluchtod des Sünders zu rechnen. Dadurch kommt es zur vollen Wiederherstellung der Heiligkeit der Gemeinde, die zuvor beeinträchtigt, aber nie verloren war. Diese Heiligkeitsbzw. Tempeltheologie hält H. für den Hintergrund auch von 1Kor 6,1-11. Wieder ist das Thema die Bewahrung der Tempelförmigkeit und ihre Verteidigung nach außen. Warum es beim Thema der Gerichtsbarkeit gerade um Tempelförmigkeit gehen soll (der Tempel kommt ja erst in 6,19 vor), wird von H. nicht wirklich begründet. Immerhin ist die Abgrenzungsbemühung gegenüber der paganen Umwelt im Text klar erkennbar. Die Heiligen dürfen sich auf keinen Fall mit den Ungerechten zusammentun, um ihre internen Streitfälle zu lösen. Das gefährdet die Heiligkeit der Gemeinde. Gegen die Mehrheitsmeinung findet H. in 6,11 keinen direkten Bezug zur Taufe, sondern sieht diesen Vers in der Tradition der Geistverheißung (wie z. B. Ez 36,25). Die Heiligen können »als Individuen ohne Verlust ihrer Heiligkeit sündigen« (120), weil es bei der Heiligkeit vor allem um eine kollektive Größe und um einen Prozess geht: »Für unser Denken ist es schwer, die Spannung zwischen dem gleichzeitigen Heiligsein und Heiligwerden auszuhalten« (121). Ein unzweifelhafter Beleg für den Tempelförmigkeitsgedanken ist 2Kor 6,14-7,1. H. hält diesen Text für Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 68 - 2. Korrektur 68 ZNT 32 (16. Jg. 2013) Buchreport paulinisch, weil er gut zu der aus 1Kor erhobenen Heiligkeitstheologie passe. Wieder geht es um eine klare Abgrenzung von der Welt, die der neuen, durch Christi Tod zuteil gewordenen Gerechtigkeit (2Kor 5,21) entsprechen soll. Auch 1Kor 6,19 verwendet das Bild des Tempels, um die Abgrenzung und die zu bewahrende Reinheit zu propagieren. Dass das Bild jetzt auf die individuellen Christen und nicht mehr auf die Gemeinde bezogen wird, vermerkt H. zwar. Das scheint für ihn aber erstaunlicher Weise keinen großen Unterschied zu machen. Unklar ist auch, warum es »nicht auf den vergangenen individuellen Taufakt […], sondern auf die gegenwärtige Bindung an den Kyrios« (128) ankommt und warum das einander ausschließende Alternativen sein sollen. Ausführlich widmet sich H. dem Text 1Kor 11,17-34, wo wieder der kollektive Aspekt der Sünde hervortritt. Ein Forschungsüberblick (Theißen, Lampe, Klinghardt, Schröter) zeigt, dass heute soziale Missstände als Kern des Problems angenommen werden. Die korinthische Abendmahlspraxis gefährdet die Gemeinschaft innerhalb der Gemeinde und zwischen der Gemeinde und ihrem Herrn. Bei der umstrittenen Deutung des sōma in V. 29b entscheidet sich H. für eine Beziehung sowohl auf die Gemeinde als auch auf den Leib Christi: Es gehe um »die sich das Gericht zuziehende Gemeinde, wenn sie es versäumt, ihren Leib von Verunreinigungen fernzuhalten« (147). Der Kyrios selbst greift ein und merzt durch Krankheiten und Todesfälle (11,30) die Sünde aus. Im Rückblick konstatiert H. deutliche Unterschiede zu den traditionsgeschichtlichen Vorgaben. Der wichtigste von ihnen ist, dass die Tradition mit einer Sündlosigkeit erst nach dem Endgericht oder sogar erst nach der allgemeinen Auferstehung rechnete. Diese beiden eschatologischen Akte stehen für Paulus noch aus. Dennoch kann bei ihm, wenn nicht von Sündlosigkeit, so doch von »einer relativen Sündenfreiheit« (150) gesprochen werden, auch wenn Satan noch am Werk ist. Die Sündenfreiheit ist aber auf die Gemeinde, nicht auf die Schöpfung bezogen. Wegen dieser starken kollektiven Ausrichtung will H. nicht von postbaptismaler, sondern von postkonversionaler Sünde sprechen. Nicht die individuelle Tauferfahrung, sondern die Konversion zu einer neuen Gemeinschaft steht in Spannung zur Sünde der Christen, und nicht die Taufgnade, sondern die Heiligkeit der Gemeinde wird durch diese gefährdet. Der nächste Teil (165-212) ist dem Römerbrief gewidmet. Er unterscheidet zwischen diachronen und synchronen Aspekten der Sünde. Erstere beziehen sich auf die Frage, »[i]nwiefern die Sünde wirklich vergangen ist« (167). Eine wichtige einschlägige Stelle ist Röm 8,1: »Der mit Christus verbundene Glaubende ist der Verurteilung [katakrima] entgangen, die für die weiterhin unter der Hamartia stehenden Juden und Heiden unumgänglich ist« (172 f.). Nachdem die Sünde verurteilt ist, können die Christen die Forderungen des Gesetzes erfüllen, weil der Geist ihnen hilft. Auch hier hebt H. das kollektive Element hervor: Diese Zusage gilt zunächst den Angehörigen der neuen Gemeinschaft, erst sekundär den Einzelnen. Die alte Frage nach der Identität des Ich in Röm 7 streift H. nur, spricht sich jedenfalls gegen die traditionelle protestantische Deutung aus und will »unter den Ich-Formulierungen besser nicht mehr als eine rhetorische Figur verstehen« (178) (was auch immer das heißen soll). Neben diesem diachronen Zugang, der das bereits über die Sünde vollzogene Gericht betont, gibt es aber auch synchrone Aspekte: Die vielen in Röm 5-7 gebrauchten militärischen Metaphern zeigen, dass immer noch Krieg herrscht und dass die Christen in diesen Entscheidungskampf zwischen den Mächten bzw. der Sünde und Christus einbezogen sind. Die Sünde bleibt eine Gefahr für die Christen, von absoluter Sündlosigkeit kann nicht die Rede sein. Den Neuschöpfungsaussagen wie Röm 6,6; 2Kor 5,17; Gal 6,15 geht es nicht um einen individuell neuen Menschen, sondern um den Eintritt in die christliche Erlösungsgemeinschaft, die (kollektiv und diachron gesehen! ) der Herrschaft der Sünde nicht mehr unterliegt. Die Sündenfreiheit ist nur im diachronen Sinn absolut; im synchronen Sinn ist sie relativ. Röm 6,7 (ho gar apothanōn dedikaiōtai apo tēs hamartias) bezieht sich nicht auf Christen, sondern auf Christus, der als einziger dem Einfluss der Sünde vollständig entnommen ist. Die Christen begeben sich durch die Taufe unter seinen Schutz. Allerdings wird mit der Taufe das Heilsgeschehen nicht abgeschlossen, sondern ein Heilsprozess eröffnet: »Am Ende dieses Prozesses steht nach Paulus die Hoffnung, dass die Getauften nicht nur mit Christus gestorben und begraben sind, sondern auch mit ihm auferstehen (6,6). Bis dahin aber muss der Einzelne die Sünde zurückdrängen und überwinden« (197). Frei von der Sünde ist er nicht im Sinn einer Vergebung aller früheren und einer Immunisierung gegen zukünftige Sünden in der Taufe, sondern darin, dass er durch die Taufe unter der Herrschaft Christi steht und so im Zuge der Heiligung die Sünde immer mehr zurückdrängen kann. Diese Christusbindung ist für H. ein Kennzeichen des spätpaulinischen Denkens, während der frühpaulinische Umgang mit der Sünde (s. o.) vor allem pneumatologisch ausgerichtet war. Mit dieser Entwicklung geht eine stärkere Reflexion auf die Situation der einzelnen Christen einher. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass eine Systematisierung der paulinischen Aussagen immer wieder an Grenzen stößt. Deutlich ist aber auch, dass der Eschatologie eine zentrale Rolle zukommt: »Christen leben in einer Zeit des Übergangs« (219). Wie lässt sich diese Zeit des bereits gegenwärtigen und doch noch nicht erfüllten Heils, des bereits erfolgten und doch noch zu erwartenden Gerichts charakterisieren? Gibt es eine Größe, »die es zulässt, gegenwärtiges Heil zu beschreiben, ohne den Zukunftsaspekt zu vernachlässigen« (225)? Für H. ist eine solche Größe das Reich Christi, das er im kurzen nächsten Teil (213-246) untersucht. Im Unterschied zum Mainstream der Forschung sieht er das Messiasreich von 1Kor 15,20-28 nicht als zukünftige, sondern als gegenwärtige Realität, die Christi Heilspräsenz zum Ausdruck bringt. Die Herrscherfunktion Christi ist dabei weder auf den Kosmos (unter Absehung von der Menschenwelt) bezogen noch auf die Kirche beschränkt. Es handelt sich um eine Herrschaft, die sich erst allmählich überall in der Schöpfung durchsetzt. Die Kirche ist also nicht einfach mit dem Reich Christi identisch, repräsentiert es aber besser als der Kosmos. Denselben Zeitschrift für Neues Testament_32 typoscript [AK] - 26.09.2013 - Seite 69 - 2. Korrektur ZNT 32 (16. Jg. 2013) 69 Gedanken eines gegenwärtigen Messiasreichs findet H. in Röm 8,31-39. An die Stelle der Durchsetzung seiner Herrschaft nach außen tritt hier ein anderer Aspekt des Königtums Christi, nämlich seine Schutzfunktion als Anwalt und Fürsprecher (Röm 8,34). Weitere paulinische Belege bietet H. nicht (immerhin aber einen außerkanonischen: den Barnabasbrief ). Angesichts dieses mageren Befunds klingt sein Fazit erstaunlich zuversichtlich: »Es hat sich herausgestellt, dass die Annahme eines gegenwärtigen Christusreichs als ein paulinisches Denkmodell durchaus geeignet ist, sich dem Problemfeld christlicher Sünde angemessen zu nähern. […] Der Eintritt in das Reich Christi durch Taufe und Geistempfang garantiert noch keine Aufnahme in das endgültige Reich Gottes, vor dessen Vollendung noch die Verantwortung des Einzelnen im Gericht liegt. Aber mit der Aufnahme in das Reich Christi liegt die Erwählung zum Heil beschlossen« (244). Der eschatologische Vorbehalt wird in dieser Konzeption als ein »linearer Prozess der sich allmählich kosmisch durchsetzenden Christusherrschaft« (245) gesehen. Die himmlische Fürsprecherfunktion Christi hat eine irdische Entsprechung im fürbittenden Gebet der Christen für sündige Mitchristen. Dieser »Tradition der stellvertretenden Gebetserrettung« (249) ist ein umfangreicher Teil der Arbeit gewidmet (247-311). Näherhin geht es um eine zweifache Stellvertretung: »Einmal übernimmt die Gemeinde das Gebet für den Sünder selbst, der in der Ausübung seiner Vollmachten eingeschränkt ist, zum anderen vertritt die Gemeinde Gott selbst im Vollzug des Urteils« (308). Die wesentlichen Elemente der genannten Tradition sind »Feststellung einer Sünde«, »Herstellung einer Öffentlichkeit«, »Gebet für den Sünder« und »Darstellung der Wirkung des Gebets« (250). Bevor H. den Befund bei Paulus untersucht, will er die weite Verbreitung der Tradition hervorheben, indem er sie im Jakobusbrief (5,13-15.16-18.19 f.), im 1. Johannesbrief (5,13-21) und im Matthäusevangelium (18,15-20) nachzuweisen versucht-- m. E. nicht immer erfolgreich. Um die vier konstitutiven Elemente identifizieren zu können, muss er z.T. einige Kunstgriffe anwenden. Ein Beispiel: Das Gebet für den Sünder ist in Mt 18,15-18 nicht enthalten. Deshalb nimmt H. die Verse 19 f. dazu und postuliert, hier werde das fürbittende Gebet nachgetragen, das in V. 15-18 für jede Instanz gelte, ohne eigens genannt zu werden. Auf ähnlich kreative Weise findet er die »Tradition der stellvertretenden Gebetserrettung« auch bei Paulus bezeugt, und zwar in 2Kor 12,19-13,10. An Stelle der Gemeinde, die eigentlich für ihre Sünder bitten sollte, übernimmt Paulus diese Aufgabe. Nicht nur die Verteilung der behaupteten Traditionselemente auf einen größeren Zusammenhang ist hier problematisch. Auch H.s Versuch, die »Herstellung einer Öffentlichkeit« zu belegen, ist schwer nachvollziehbar. Er verweist auf die rätselhafte Zeugenformel in 13,1 und lehnt die verbreitete Deutung auf Besuche und Mahnungen ab. Er selbst scheint an ein öffentliches Verfahren zu denken, das Paulus einfordere. Nur ist davon einfach nicht die Rede. Wie hätten die Korinther wahrnehmen sollen, »dass Paulus auf ein bekanntes Instrument im Umgang mit Sünde anspielt« (292), wie H. es behauptet? Diesen Teil abschließend identifiziert H. die genannte Tradition auch in einigen Schriften der Apostolischen Väter (Did, Barn, 2Clem). Die »Systematische Schlussbetrachtung« (313-328) hebt vor allem auf die Fremdartigkeit ab, mit der die ntl. Texte mit Sünde umgehen. Moderne Begriffe und Konzepte (Autonomie des Subjekts, Sünde als gestörte Gottesbeziehung des Einzelnen) sind hier nur beschränkt anwendbar. Entscheidende Bedeutung hat die kollektive Dimension der Sünde, also »die Frage, ob sich der Sünder durch seine Tat aus der Gemeinschaft heraus nimmt oder nicht« (318, im Original kursiv). Paulus versucht, die Gemeinden insgesamt von der Sünde reinzuhalten bzw. zu reinigen, vertritt aber keine Sündlosigkeit der einzelnen Christen. Es ist zunächst die Tempelförmigkeit der Gemeinde, die geschützt werden muss. Das paulinische Denken hat sich allerdings insofern entwickelt, als in den späteren Briefen die Gerechtigkeit gegenüber der Heiligkeit eine größere Rolle spielt und die Situation der einzelnen Christen stärker in den Blick kommt. In Abgrenzung von dem »Zerrbild eines perfektionistischen Urchristentums, das sich schließlich mit der durchschnittlichen Rechtschaffenheit seiner Gemeindeglieder abfinden musste« (328), hält H. als paulinischen Befund fest: »Christen leben in einem Zwischenreich, in dem Christus König ist, regiert und dort eingreift, wo seine Gemeinde bedroht ist. Das Auftreten von Sünde unter Christen führt nicht zur Preisgabe der Gemeinde der Heiligen und Gerechten« (328). Das Buch schließt mit einem guten Literaturverzeichnis, bietet aber leider kein Register der Schriftstellen. Es handelt sich um eine ungewöhnlich anregende Monographie. Viele vertraute Interpretationsmuster werden kritisch betrachtet. H. bietet neuartige Leseweisen an, mit denen die Fragen etwa nach dem Verhältnis von Sünden und Sündlosigkeit oder nach der Funktion des ausstehenden Gerichts angemessener als bisher beantwortet werden können. Das ist unbestreitbar ein großes Verdienst. Vielleicht ist es gerade dieser innovative Habitus, dessen Abgrenzung vom Mainstream manchmal zu Verabsolutierungen und Zuspitzungen führt, die kaum nachvollziehbar sind. Schon bei der Herabstufung der Bedeutung individueller Sünden und der Taufe dürfte H. übers Ziel hinausschießen (und sich im Übrigen auch selbst widersprechen, vgl. z. B. S. 155 mit 161). Vor allem scheint mir aber problematisch, dass er die Konzepte der Tempelförmigkeit, des Reichs Christi und der stellvertretenden Gebetserrettung, die an manchen Stellen durchaus Sinn machen, leider auch auf Stellen anwendet, wo sie einfach keinen Sinn machen. Einige Beispiele wurden oben genannt. Kritisch anzumerken ist zudem, dass H. es seinen Leser/ innen nicht gerade leicht macht. Dem Gedankengang zu folgen, ist wegen unklarer Formulierungen, undefinierter Übergänge und mangelnder Stringenz oft nur schwer möglich. Das ändert aber nichts daran, dass H. ein wichtiges Buch geschrieben hat. Er hat der Forschung Neuland erschlossen. Wie sie damit umgeht, wird sich zeigen. Sie sollte es jedenfalls nicht ignorieren. Thomas Schmeller
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