eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 17/34

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2014
1734 Dronsch Strecker Vogel

Selbstbestimmte Freiheit

121
2014
Theo Kobusch
znt17340047
Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 47 - 2. Korrektur ZNT 34 (17. Jg. 2014) 47 1. Die Freiheit des inneren Menschen im NT Das Prinzip der christlichen Freiheit besteht nach Hegel darin, dass ein »Ort im Innersten des Menschen gesetzt worden [ist], auf den es allein ankommt und wo der Mensch nur bei sich und bei Gott ist« 1 . Dieses Prinzip ist schon im Neuen Testament erkennbar. Es ist möglicherweise auf stoischen Einfluss zurück zu führen. Die Vorstellung von einer inneren Freiheit ist überall präsent. Das belegen schon all jene Stellen, wo von einem Wollen die Rede ist, auch die, die von einem göttlichen Wollen sprechen. Hinter der an seinen himmlischen Vater gerichteten Bitte Jesu, die in den Evangelien (Lk 22,42 parr) überliefert ist: »nicht mein Wille geschehe, sondern dein Wille«, scheint in der Tat die stoische Umdeutung des aristotelischen Begriffs der prohairesis im Sinne eines wahren Selbst oder einer personalen Identität erkennbar zu sein, auch wenn die Evangelisten durchgehend von thelēma sprechen. 2 Wenn, wie in 2Kor 8,10 das Wollen vom Vollbringen oder Vollenden unterschieden wird, ist die innere Absicht gegenüber der äußeren Handlung gemeint. Gott kann das Wollen und Vollbringen im Menschen bewirken, freilich nicht ohne das Wollen des Menschen, aber doch über seine Anstrengungen hinaus (Phil 2,13). Auch der spezifisch christliche Gedanke von der Selbstverleugnung ist nur als eine Willensbewegung verständlich. Wer sein Leben retten will, der verliert es, und wer es um Christi willen verliert, der findet es gerade (Mt 16,25). Diese Dialektik des Willens ist im Neuen Testament geradezu omnipräsent. Wenn jemand »unter euch groß sein will, dann wird er euer Diener«, also klein sein. Wenn er der erste sein will, so »wird er euer Knecht sein«. Es handelt sich um die Dialektik des göttlichen Willens, denn der Menschensohn hat den Menschen dieses Beispiel gegeben (Mt 20,26). Die Allmacht Gottes ist da am größten, wo sie umschlägt in Ohnmacht. Von einem Willen, der solcherart um des Menschen willen sich seiner Macht entäußert, ist nicht denkbar, dass er bestimmte Gruppen unter den Menschen, bestimmte Rassen, bestimmte Völker oder Nationen, bestimmte Berufe oder Religionsangehörige aus seinem Reich der Freiheit, aus der freien Stadt Jerusalem (Gal 4,27) ausschließen könnte. Deswegen heißt es in 1Tim 2,4 er »will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen«. Wer in seinem Wort bleibt, der wird die Wahrheit erkennen, und diese »Wahrheit wird euch frei machen« (Joh 8,33). Die Befreiung des Christen ist in erster Linie eine Befreiung zur inneren Freiheit, d. h. eine Befreiung von der Sünde. Einerseits heißt es, dass alles Böse im Inneren des Menschen sei (Mk 7,20), andererseits: »Das Reich Gottes ist in euch« (Lk 17,21). Gut und Böse sind im Herzen des Menschen. Das Gute, insofern es das Gute will, das Böse, weil es schwach werden kann. Im 7. Kapitel des Römerbriefes haben wir sozusagen die christliche Version des philosophischen Stücks von der Willensschwäche vor uns. Das Wollen des Guten liegt bei mir, nicht aber die Verwirklichung, sagt Paulus. Nicht was ich will, tue ich, sondern was ich hasse, das tue ich. Nicht das Gute, das ich will, verwirkliche ich, sondern was ich nicht will, das Böse. Wenn es um das Tun, das Wirklichmachen geht, bin nicht mehr ich der Akteur, sondern vielmehr die in mir wohnende Sünde (Röm 7,14-20). Es ist zweifellos ein besonderer antiker Text, der uns hier begegnet. Denn einerseits fügt er sich mit seinen Anspielungen an stoische Philosopheme in die Entwicklung des Willensschwächeproblems in der antiken Philosophie, andererseits bricht er gerade mit dieser Tradition, insofern hier von einer »klarsichtigen«, d. h. nicht durch ein Wissens- oder Bewusstheitsdefizit bedingten Willensschwäche die Rede ist. 3 Es ist der in der Sünde gefangene, von der Sünde beherrschte Mensch, der hier im Vordergrund steht. In keinem Text des NT kommt der Begriff der »Sünde« so häufig vor wie im Römerbrief. Kann da eigentlich noch von der Freiheit des Menschen gesprochen werden, der so tief in Sünde verstrickt ist, dass er sich selbst daraus nicht befreien kann? Ist das Theo Kobusch Selbstbestimmte Freiheit Das frühe Christentum im Kontext der antiken Philosophie Kontroverse »Die Befreiung des Christen ist in erster Linie eine Befreiung zur inneren Freiheit, d.h. eine Befreiung von der Sünde.« Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 48 - 2. Korrektur 48 ZNT 34 (17. Jg. 2014) Kontroverse d. h. von einem äußeren Indeterminismus, die gegen verschiedene philosophische Richtungen verteidigt wird. Justin hat als einer der ersten in diesem Sinne gegen die stoische Doktrin von der universalen und durchgängigen Determiniertheit aller Dinge und Geschehnisse Stellung genommen. Bemerkenswert ist die Differenziertheit seiner Kritik. Denn während die stoische Ethik durchaus anerkannt und einzelne Vertreter dieser Schule, wie z. B. Musonius, neben Heraklit oder Sokrates als »Christen« vor oder neben dem Christentum eingeschätzt werden, 6 hat Justin die stoische Lehre von den Prinzipien und dem »Unkörperlichen«, d. h. die Physik und Metaphysik einer unbarmherzigen Kritik unterworfen. Dazu gehört aber die Ansicht von der durchgehenden Determiniertheit aller menschlichen Handlungen. Ein solcher Determinismus widerspricht nach Justin einem Urphänomen des menschlichen Willens. Wenn alles determiniert wäre, könnte es nämlich nicht das Phänomen der menschlichen Verantwortung geben, das darauf beruht, dass der Wille Gegensätzliches tun kann. Indem der Mensch das Moralische als das in seiner Macht Stehende, d. h. in seine Verfügungsgewalt und Kompetenz Gelegte, erkennt, hat er schon den »freien Willen« in sich vorausgesetzt. 7 Deswegen ist anzunehmen, dass der Wille des Menschen, wie auch der der Engel, von Gott mit einer autonomen, souveränen und selbstmächtigen Wahlfreiheit (gr.: autexousion) ausgestattet erschaffen wurde, durch die er befähigt ist, sich nach beiden Seiten hin, zum Guten oder Bösen, wenden zu können. Wenn diese ursprüngliche Wahlfreiheit in den geschaffenen Wesen nicht angenommen würde, wäre weder Lob noch Tadel denkbar. Denn wer würde schon das von der heimarmenē Festgelegte, das, was nicht anders sein kann, loben oder tadeln? 8 Das Argument, die Phänomene des Lobens und Tadelns setzten notwendig die Freiheit des autexousion bzw. die Verantwortung des Menschen (eph' hēmin) voraus, gehört in den Zusammenhang einer gegen die Stoa gerichteten Kritik, die von Platonikern oder Aristotelikern stammt. Sie könnte aber auch auf eine innerstoische Kritik an der alten Stoa zurück gehen. Die stoische Lehre über das Verhältnis von »Schicksal« und »Freiheit« ist alles andere als einheitlich. 9 Was die Kritik Justins an dem stoischen Determinismus angeht, so scheint sie einerseits vorgebildet zu sein beim Platoniker Plutarch und andererseits eine besondere Nähe zu seinem jüngeren Zeitgenossen Alexander von Aphrodisias aufzuweisen. 10 Insbesondere ist es die oben schon erwähnte Umdeutung des Begriffs der prohairesis durch Epiktet, die sich hier, bei Justin, aber auch bei anderen Vertretern der christlichen Philosophie niederschlägt: prohairesis ist nicht mehr, wie nicht hoffnungslose Knechtschaft? Hatte Luther nicht allen Grund, sich für seine These vom servum arbitrium auf Röm 7 zu berufen? Paulus nimmt im 7. Kapitel des Römerbriefes interessanterweise auch Bezug auf die schon vorchristlich belegbare Lehre vom »inneren Menschen« (Röm 7,22). 4 Der innere Mensch ist es, der Freude am göttlichen Gesetz hat und dem Gesetz der Sünde in den Gliedern Widerstand leisten kann. Der innere Mensch, d. h. die Vernunft oder das Gewissen, ist jene Instanz, die überhaupt urteilen kann, dass ich das, was ich gerade tue, in Wirklichkeit hasse und das, was ich eigentlich will, nicht tue. Der innere Mensch, das ist der klare Blick auf mich selbst, auf mein Tun und mein Wollen. Er ist sozusagen der Sitz der Freiheit, die sich zwar nicht selbst aus den Verstrickungen der Sünde befreien, aber doch »Scham« empfinden kann (Röm 6,23) und gegenüber der Gnade Gottes offen ist. 2. Freiheit und Verantwortung in der frühen christlichen Philosophie Zwar nennt sich das patristische Denken erst vom 4. Jahrhundert an selbst die »christliche Philosophie«, aber man hat guten Grund, es von den Anfängen an so zu benennen und es als eine Form der Philosophie, nicht der Theologie anzusehen. 5 Zu ihren unverkennbaren Merkmalen gehört die Lehre vom freien Willen, Theo Kobusch, wurde 1972 an der Universität Gießen mit der Arbeit »Studien zur Philosophie des Hierokles v. Alexandrien« promoviert; 1982 Habilitation an der Universität Tübingen. Seit 2003 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie des Instituts für Philosophie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind: die Geschichte der Philosophie, Metaphysik, Freiheit und Personalität, Religionsphilosophie, Ethik, Sprachphilosophie. Prof. Dr. Theo Kobusch Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 49 - 2. Korrektur ZNT 34 (17. Jg. 2014) 49 Theo Kobusch Selbstbestimmte Freiheit bei Aristoteles, die ganz im Dienst der Natur, auch der »zweiten Natur« stehende Entscheidungsfähigkeit, sondern-- sozusagen-- das Ich selbst, die Identität der Person, das wahre Selbst von einem praktischen Standpunkt aus, während bei Platon und Aristoteles dafür eher der (theoretische) nous steht 11 . Wenn Justin kurz darauf die Stoiker kritisiert, weil sie Gott nicht von dem »Sichwendenden« und »Sichverändernden« zu unterscheiden wissen, hat er offenbar einen doppelten Sinn des Begriffs »Sichwenden« (gr.: trepesthai) vor Augen, nämlich die Hinwendungsmöglichkeit des Willens, also einen ethischen Sinn, und die Veränderungsmöglichkeit von Naturdingen, d. h. einen physischen Sinn. Der ethische Sinn des Begriffs ist es, der später sozusagen Schule gemacht hat. Denn die Vorstellungen vom Menschen als einem »amphibischen« Wesen, das auf der »Grenzscheide« (gr.: methorios) steht zwischen Sinnfälligem und Intelligiblem, das nach beiden Seiten sich orientieren kann (epamphoterizein), das eine Mittelstellung innehat und ähnliche Charakterisierungen, die z.T. schon bei Philo von Alexandrien vorkommen und im Neuplatonismus breit aufgenommen worden sind, werden in der späteren christlichen Philosophie durch die besondere Stellung und Funktion des menschlichen Willens und seiner Autonomie begründet 12 . Für Gregor von Nyssa z. B. ist diese beidseitige Neigungs- oder Wendungsmöglichkeit des Willens das spezifische Merkmal des Menschlichen, zumal auch ein ständiges Anwachsen im Guten nicht denkbar wäre ohne diese Fähigkeit 13 . Justins Schüler, Tatian, der, wie er selbst am Ende seiner Rede an die Hellenen sagt, »aus dem Land der Assyrer stammt« und die griechische Philosophie studiert hat, bezieht sich am Anfang und am Ende der Rede auf die Philosophie der Barbaren als den Ursprung aller Philosophie, auch der christlichen. Deswegen nennt er sich selbst den Barbarenphilosophen. Die christliche Philosophie sticht aber besonders auch durch ihre Freiheitslehre gegenüber dem griechischen Astraldeterminismus hervor, nach dem Reichtum und Armut, aber auch moralische Zustände wie Zorn oder Geduld auf eine astrale notwendige Bestimmung zurück zu führen seien. Doch, so wendet Tatian ein, des Menschen Zustand ist nicht Produkt fremder Bestimmung. »Zugrunde gerichtet hat uns das Selbstmächtige unserer Freiheit (autexousion). Denn wir, die Freien, haben uns selbst zu Sklaven gemacht, zu Sklaven der Sünde. Das Böse haben wir hervorgebracht, nicht Gott, von dem nichts Böses kommen kann.« Gott hat in diesem Sinne Engel und Menschen, damit sie nicht Produkte einer naturhaften Notwendigkeit würden, als mit selbstmächtiger Freiheit ausgestattete Wesen erschaffen, die das Gute nicht naturhaft haben, sondern kraft der »Freiheit ihres Willens« verwirklichen müssen, sei es dass sich der Gute Lob und Verdienst erwirbt, sei es, dass der Schlechte sich der Strafe stellt. 14 Parallelen zu Tatians Lehre vom freien Willen scheint die Freiheitslehre des Syrers Bardesanes (154-223) zu enthalten, dessen Rolle in der Freiheitsgeschichte unabhängig vom Urteil seines Kritikers und Landmanns Ephräm gewürdigt werden müsste. 15 Eine vergleichbare Vorstellung begegnet uns im Werk des Theophilus, des Bischofs von Antiochien. Auch hier ist der Einfluss des stoischen Denkens unverkennbar. Gott hat nach Theophilus den Menschen nicht als von Natur aus sterblich oder unsterblich erschaffen, sondern als das für Sterblichkeit oder Unsterblichkeit empfängliche Wesen (dektion), je nach dem, wohin er sich kraft seines freien und selbstbestimmenden Willens hinwendet. Der Mensch ist so sich selbst die Ursache seines Todes, wenn er aus »Nachlässigkeit« (gr.: ameleia) das göttliche Gesetz missachtet, oder er verschafft sich selbst die Aussicht auf das ewige Leben. 16 Wenig später, im Jahre 207/ 208, hat Tertullian ein fünf Bücher umfassendes Werk gegen Marcions Theologie verfasst (Adversus Marcionem). Es gehört mit Adversus Hermogenem (204/ 05), Adversus Valentinianos (206/ 07), De anima (210) und De resurrectione mortuorum (211) in die Reihe jener Schriften, die Tertullian gegen die Gnostiker geschrieben hat. Es ist besonders das zweite Buch von Adversus Marcionem, in dem Tertullian seine Freiheitslehre expliziert hat. Die Gnostiker zweifelten daran, dass Gott die Prädikate der Güte, Allmacht und Vorsehung zukämen. Denn warum duldete es Gott, dass der Mensch, sein Bild und Gleichnis, ja sogar seine Substanz, vom Teufel verführt dem Tode verfiel? Da es aber geschehen ist, kann man-- so die Gnosis-- daraus nur schließen, dass Gott weder gut noch mächtig noch vorausschauend ist. Tertullian zeigt im Gegenzug dazu, dass Gott die Möglichkeit der Verfehlung einrichten »musste«, gerade im Sinne seiner Güte und Allmacht. Er sieht es als seine Aufgabe an, die Notwendigkeit (debuisse) dieser göttlichen Einrichtung zu verteidigen. Denn in der Güte liegt das Moment der Notwendigkeit des Sichmitteilens. Was aber könnte nun der göttlichen Selbstmitteilung würdiger sein als sein Bild und Gleichnis, das, wie er selbst, durch Freiheit und Macht ausgezeichnet ist! Was Gott von Natur aus ist, das ist der Mensch durch göttliche Einrichtung bedingt, nämlich gut. Damit aber der Mensch dieses Gute als ein von Gott »emanzipiertes«, also als sein eigenes habe, und Tertullian fügt bedeutungsvoll hinzu: »irgendwie von Natur aus« habe, d. h. es im Sinne der zweiten Natur erlangen könne, hat Gott ihm den freien Willen gegeben. Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 50 - 2. Korrektur 50 ZNT 34 (17. Jg. 2014) Kontroverse In der Schrift De anima hat sich Tertullian zur Verdeutlichung seiner Theorie vom liberum arbitrium auch auf die griechische Tradition des autexousion bezogen und gegenüber den Gnostikern Marcion und Hermogenes darauf hingewiesen, dass die so verstandene Freiheit ein dem Menschen von Natur aus Gegebenes sei, so dass die Wendung dieses veränderbaren Willens auch immer eine Wendung der menschlichen Natur, verstanden als zweite Natur, darstellt. 17 Es fällt auf, dass gegenüber den Gnostikern, d. h. jenen Theoretikern der starren Naturen und Prinzipien, von christlicher Seite aus das Reich der zweiten Natur, also das vom menschlichen Willen Geformte, entgegen gehalten wird. Denn wenig später wird auch Origenes zwischen dem unterscheiden, was zum Reich des fest »Konstituierten« (gr.: kataskeuē) und Dinghaften gehört und dem, was »aufgrund einer Veränderung und eigenen Willens so geworden und, mit einem Neologismus ausgedrückt, seine Natur geworden ist«. 18 Offenbar hat Origenes hier die Vorstellung der sog. »zweiten Natur« vor Augen, die durch den Willen begründet wird. Tertullian und Origenes haben einen gemeinsamen Gegner, die Gnosis, d. h. die Nachfolgerin des stoischen Determinismus. Deswegen ist es sicher kein Zufall, dass beide Autoren auch den Gottesbegriff, was vorher in der antiken Philosophie nie geschehen ist, in dem Rahmen ihrer Freiheitsphilosophie neu bestimmen, indem sie Gott als die andere Freiheit ermöglichende Freiheit selbst verstehen. 19 Denn es gehört zur Bestimmtheit des Guten, dass es aus Freiheit verwirklicht wird. Also-- so könnten wir schließen-- ist das eigentlich Gute die Freiheit selbst. Damit der Mensch aber wirklich als sein eigener Herr (sui dominus) auftreten und das Gute wirklich freiwillig beobachten und das Schlechte wirklich freiwillig vermeiden könne, musste Gott ihm die nach beiden Seiten offene Wahlfreiheit (libertas ad utramque partem) geben. Das Gesetz aber, das dem Menschen gegeben ist, d. h. das Sittengesetz, ist nicht eine Behinderung der Freiheit, sondern geradezu ein Beweis der Existenz derselben. 20 Gott konnte auch, nachdem er dem Menschen die Freiheit geschenkt und der Mensch mit diesem Geschenk Missbrauch getrieben hatte, nicht in irgendeiner Weise intervenieren und die Willensfreiheit wieder aufheben-- was für ein Geschrei hätte dann Marcion über diesen treulosen, wetterwendischen Gott erhoben! --, sondern er musste sich gewissermaßen angesichts der einmal zugestandenen Freiheit zurück- und an sich halten (»igitur consequens erat, uti deus secederet a libertate semel concessa homini, id est contineret in semetipso«), damit das Gute, das unter Zwang kein Gutes ist, weiterhin frei verwirklicht werden könne. 21 Die Willensfreiheit aber kann ihre Schuld oder Verfehlung nicht auf den zurückführen, von dem sie verliehen wurde, sondern nur auf den, der sie selbst pflichtwidrig angewendet hat. 22 3. Die Vollendung der Freiheitslehre bei Clemens und Origenes Wie Tertullian die Freiheit des Menschen im Westen, nämlich in Karthago oder auch Rom verteidigte, so wurde auch im Osten, in Alexandria, von Clemens der Grundstein zu einer Philosophie der Freiheit gelegt. Das »Werk« der Freiheit besteht nach Clemens aus zwei Elementen, die eng zusammen gehören: nämlich aus dem Wollen und der Ausführung des Gewollten. Das Erstere ist Sache der Seele, genauer gesagt: des Willens, bei dem es im Sinne des stoischen eph’ hēmin liegt, z. B. den Geboten Gottes zu folgen oder nicht. Die Ausführung aber kann nicht ohne den Körper vollzogen werden. Clemens weiß in diesem Zusammenhang auch das menschliche Handeln vom Herstellen zu unterscheiden, denn es geht nicht, wie bei diesem, bloß um das Endprodukt, sondern auch um den Willen, d. h. die Absicht und ebenso, im Falle einer Fehlleistung, um die Reue, also wiederum um eine Willensbewegung. 23 Clemens bezieht sich auch direkt auf die stoische Lehre vom eph’ hēmin, also dessen, was in unserer Verantwortung liegt. Das zu unterscheiden von dem, was außerhalb unserer Verantwortung liegt, war für die Stoiker von äußerster Wichtigkeit. In unsere Verantwortung fallen in diesem Sinne vor allem unsere Willensbewegungen, allen voran die »Zustimmung«. Und da jede Stellungnahme, sei es in Form einer »Meinung« oder »Annahme« oder eines »Urteils« oder auch, was für Clemens besonders bedeutsam ist, des »Glaubens«, eine Zustimmung enthält, gehört sie in erster Linie zu dem, wofür die Menschen Verantwortung tragen. 24 Um dies jedoch angemessen denken zu können, dass der Mensch selbst für etwas verantwortlich sein kann oder griechisch ausgedrückt: dass es in seiner Hand liegt, dies oder das zu wählen, muss eine Voraussetzung noch erfüllt sein: Dem Willen muss der Charak- »Dem Willen muss der Charakter des Selbstbestimmenden (autexousion) zukommen, damit die ›Handhabung‹, d. h. der rechte Gebrauch oder auch Missbrauch der von Gott geschenkten Freiheit in seine Verantwortung fällt und nicht in die des göttlichen Gebers.« Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 51 - 2. Korrektur ZNT 34 (17. Jg. 2014) 51 Theo Kobusch Selbstbestimmte Freiheit ter des Selbstbestimmenden (autexousion) zukommen, damit die »Handhabung«, d. h. der rechte Gebrauch oder auch Missbrauch der von Gott geschenkten Freiheit in seine Verantwortung fällt und nicht in die des göttlichen Gebers. 25 Wenn wir das eph’ hēmin der Stoiker tatsächlich im Sinne dessen verstehen dürfen, wofür der Mensch Verantwortung trägt, dann muss doch gleich hinzugefügt werden, dass hier nicht an einen »abgrundtiefen Gegensatz« zwischen Verantwortungsethik und Gesinnungsethik wie bei M. Weber zu denken ist. Vielmehr sind »Gesinnung«, d. h. prohairesis oder schlicht: der Wille und »Verantwortung«, also eph’ hēmin eine Einheit, indem sie zwei Seiten einer Medaille darstellen. Im Namen der so verstandenen Verantwortung hat Clemens nicht nur alle griechischen Vorstellungen von einem verhängnisvollen Schicksal zurückgewiesen, sondern vor allem auch die (z. B. bei Basilides zu findende) gnostische These von der für Verfehlungen in einem vorherigen Leben jetzt zu ertragenden Strafe kritisiert: »Wie sollte das wahr sein können, da es doch bei uns liegt, (die Tat) zuzugeben und bestraft zu werden oder nicht« 26 . Die Strafe für eine Verfehlung erfolgt ja auch nicht, um die entsprechende Handlung ungeschehen zu machen, sondern »weil sie geschehen ist«. Die Strafe gehört deswegen zu jenen Folgen der Tat, die auch in unserer Verantwortung liegen. Das setzt voraus, wie Clemens sehr klar dargelegt hat, dass unser Verantwortungswille als ein Wollen begriffen wird, das sich nach beiden Seiten hinwenden, also z. B. den Entschluss fassen kann, Philosophie zu treiben oder nicht zu philosophieren und ebenso moralisch das Gute zu tun oder das Böse, letzteres freilich ohne es eigentlich zu wollen, denn »niemand wählt das Schlechte insofern es schlecht ist«, sondern in der Annahme, es sei gut (Strom. I 17,84). Für beides ist er verantwortlich und in beiden Fällen auch für die Folgen, nämlich einerseits für das Lob oder die Ehrung, andererseits für den Tadel oder die Strafe. 27 Im Falle des Guten freilich erhält der Mensch auch göttliche Hilfe, so dass ein Synergismus von endlicher und göttlicher Freiheit denkbar wird. 28 Gegen welche Vorstellungen sich Clemens’ Freiheitslehre richtet, ist vielleicht aus dem Vorhergehenden noch nicht deutlich geworden. Es ist nicht mehr, wie bei den frühen Apologeten, hauptsächlich die stoische Lehre von der heimarmenē, obwohl auch sie der Kritik verfällt. Doch der eigentliche Gegner ist jetzt ein anderer, so dass auch der terminologische Gegenbegriff zur Freiheit, (d. h. eph’ hēmin oder prohairesis oder autexousion) sich verändert. Das wird da deutlich, wo Clemens seinen eigenen Glaubensbzw. Erkenntnisbegriff dem des Basilides gegenüber stellt. Nach dem Gnostiker ist Glauben und Erkennen eine »Naturanlage«, Clemens aber begreift beides als eine Form der vernünftigen Zustimmung und damit der »selbstbestimmenden Seele«. Basilides, sagt Clemens, spricht von »physis« und »hypostasis« und »ousia« und vergisst darüber-- wie wir es im Deutschen kaum nachformulieren können-- die »exousia«, d. h. die Freiheit. 29 Freiheit wird hier verstanden aus dem Gegensatz zu allem, was eine festumrissene Natur hat oder eine dinghafte Subsistenz oder ein festgelegtes Wesen. Freiheit ist das »Außerwesentliche«. Hier wird, so scheint es, ein Denken und mit ihm verbunden eine neue Terminologie auf den Weg gebracht, die, denkt man an den Gegensatz von prohairesis und ousia bei den griechischen Vätern und von natura und voluntas bei Augustinus, über Jahrhunderte gültig bleiben sollte. Was Clemens vorbereitet hat, hat Origenes vollendet. Die Vollendung besteht darin, dass in dieser Philosophie die Freiheit erstmals als Prinzip begriffen wird, und wie man hinzufügen muss: die menschliche Freiheit, die bei Origenes prohairesis, eph’ hēmin, autexousion, aber nicht thelēma genannt wird. 30 Die Freiheit als Prinzip zu begreifen bedeutet aber, schlechthin alles, die materiellen Dinge wie die intelligiblen Wesen, alles Naturgeschehen, Schöpfung und Apokatastasis, Gott und sein Heilshandeln, das menschliche Handeln und seine Motive und Antriebskräfte und was es sonst gibt, so zu denken, dass es mit der Existenz der menschlichen Freiheit verträglich ist. Die Bewahrung der Freiheit des Menschen, das ist der absolute Standpunkt des Origenes, von dem aus er Gott und die Welt betrachtet. Dem wird nicht gerecht, wer, wie H. Holz, den göttlichen Willen als einen Durchsetzungswillen begreift, der zwar nicht durch Zwang, aber doch durch die »innere Gewalt des Guten selbst« wirke. 31 Hinter dieser Ansicht verbirgt sich die Position des Kelsos, die Origenes ablehnt. Denn Kelsos hatte schon die Frage gestellt, ob es denn der göttlichen Allmacht nicht möglich war, den Menschen von vorneherein und unmittelbar (autothen) so tugendhaft und vollkommen einzurichten, dass es keiner weiteren »Korrektur« bedurft hätte und so nicht das mindeste Übel existierte (Contr. Cels. IV 3). Beide, der antike Christentumskritiker und der moderne Origenesinterpret, haben nicht begriffen, um was es »Origenes’ Antwort auf die Frage des Kelsos fasst in einen Satz, was doch eigentlich eine ganze Abhandlung verdiente: ›Wenn Du das Freiwillige an der Tugend aufhebst, würdest Du ihr Wesen aufheben‹.« Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 52 - 2. Korrektur 52 ZNT 34 (17. Jg. 2014) Kontroverse Origenes zu tun war. Origenes’ Antwort auf die Frage des Kelsos fasst in einen Satz, was doch eigentlich eine ganze Abhandlung verdiente: »Wenn Du das Freiwillige an der Tugend aufhebst, würdest Du ihr Wesen aufheben«. Ohne Freiheit gibt es keine Tugend, und ohne Freiheit gibt es nichts Gutes, deswegen ist das eigentlich Gute die Freiheit. Deswegen kann auch Gott nicht das Gute direkt und unmittelbar bewirken, sondern nur vermittelt durch die menschliche Freiheit. In diesem Sinne heißt es in der Gebetsschrift, dass Gott das Gute einem Menschen niemals im Modus des Zwangs, sondern immer nur unter der Bedingung der Freiheit zukommen lassen will. 32 Dazu passt gut ein anderes großes Wort, nach dem Gott kein Tyrann, sondern ein König ist, und ein König übt keine Gewalt aus, sondern überzeugt, denn er will, dass seine Untertanen sich in Freiheit auf seinen Heilswillen einlassen. 33 Gregor von Nyssa hat wenig später den Gedanken aufgenommen, wenn er sagt, dass Gott der vernunftbegabten Natur die Gnade der Selbstbestimmung (autexousion) gegeben hat, damit das Verantwortungsbewusstsein (to eph' hēmin) Platz greife und das Gute nicht erzwungenermaßen und unfreiwillig, sondern mit Freiheit vollbracht werde. 34 Hier erscheint die Freiheit, die fehlbare, die endliche, als von Gott anerkannte höchste Würde des Menschen. Die Anerkennung der Freiheit bedeutet aber die Anerkennung des »inneren Menschen«, d. h. der Subjektivität, denn Origenes identifiziert letzteren ausdrücklich mit dem Willen. 35 Andere Freiheit anerkennen kann aber nur ein Wesen, das selbst frei ist. Es ist deswegen nur konsequent, wenn Origenes Gott selbst auch die »ungezeugte Freiheit« nennt. 36 Dieses Gott-Mensch-Verhältnis aber impliziert die von den Stoikern übernommene These von der Gleichartigkeit der Tugend bei Gott und den Menschen oder, wie man auch sagen kann, von der Univozität des Moralischen. 37 Im Sinne dieser Freiheitsphilosophie hat Origenes in vielen seiner Werke der Grundthese der Gnostiker (Valentinus, Basilides, Herakleon) widersprochen, die alles auf feste Naturen oder Wesen oder Konstitutionen zurück führen wollen. 38 Origenes stellt dem seine Lehre von der universalen Freiheitsbedingtheit alles Seienden gegenüber. Die Verschiedenheit der Vernunftwesen ist so nicht auf den Willen des Schöpfers zurück zu führen, sondern sie verdankt sich der Willensfreiheit der Vernunftgeschöpfe selbst, die entweder durch die Nachahmung Gottes »Fortschritte« machten oder durch »Nachlässigkeit« von Gott abfielen. Der Zustand, der so aufgrund der eigenen Willensbewegung erreicht wurde, ist einer »Natur« oder einem »Wesen« durchaus ähnlich. Origenes versteht offenbar eine solche durch Freiheit konstituierte Natur im Sinne der »zweiten Natur«, d. h. als ein durch Gewohnheit Festgewordenes. 39 Es ist der freie Wille, der einem jeden seine Natur macht. 40 Diese Lehre von der durch den menschlichen Willen gemachten Natur ist ein Resultat der Auseinandersetzung mit den Gnostikern, die die Naturen, Wesen und Konstitutionen als von Gott eingerichtete, dem menschlichen Willen vorgegebene, ihn total bestimmende Ordnung verstanden. Deswegen muss Origenes’ Freiheitslehre vor allem von diesem Gegensatz zur Vorstellung einer fertigen Ordnung her betrachtet werden. Eine solche nimmt z. B. Kelsos an, so dass immer dasselbe in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geschehen, Sokrates also immer angeklagt würde und nichts aus der Geschichte gelernt werden könnte. Origenes sieht in einer solchen Annahme den Ruin des freien Willens und jeglicher Verantwortung. Lob und Tadel verlören ihren Sinn. So kann die Geschichte nicht verstanden werden. 41 In ähnlicher Weise gehen auch die Gnostiker von einer festen, fertigen Ordnung aus. So verstehen sie z. B. den Unterschied zwischen Gut und Böse und die Trennung zwischen den Guten und den Bösen. Sie glauben, dass die Bösen »von Natur aus« nach dem Johanneswort in der Finsternis »sind«. Origenes hält dem entgegen, dass jeder von ihnen allein durch seinen Willen dort ist, weil er das Böse liebt. Entsprechendes gilt von den Guten und vom Licht. Bemerkenswerterweise werden beide, das Licht wie die Finsternis als »nichtseiendes« bezeichnet. Nicht das »Sein« der Finsternis bringt die schlechten Werke hervor, sondern weil sie Schlechtes tun, deswegen sind sie im Finstern. Das Zum-Licht-Gehen oder das Inder-Finsternis-Sein meint auch nicht eine Ortsangabe im Sinne der aristotelischen Ding-Kategorien (topikos), sondern drückt eine-- wir könnten sagen-- ethische Kategorie (energetikos) aus. Somit ergibt sich: Das Handeln, das immer mit dem Wollen beginnt, bestimmt das Sein, nicht umgekehrt. 42 Dieser Grundsatz steht bei Origenes im Hintergrund all seiner Auseinandersetzungen mit der Gnosis. Wenn Herakleon, der Gnostiker, den Willen anerkennte, ohne die Natur mit ins Spiel zu bringen, so würden wir ihm, sagt Origenes, »zustimmen«. Da er aber die »physische Konstitution« für die Ursache der Zustimmung hält, also dessen, was Origenes mit der Stoa für das eigentliche Adyton der Freiheit hält, »muss seine Rede zurückgewiesen werden« 43 . Den gnostischen »Natur«-Theoretikern hält er entgegen: Nicht eine Natur in mir ist der Grund meiner sittlichen Schlechtigkeit, sondern allein mein freier Wille ist der Übeltäter. Und wie könnt ihr erklären, dass ein Gesetzesübertreter, wenn er eine schlechte Natur hat, sich von der Gesetzlo- Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 53 - 2. Korrektur ZNT 34 (17. Jg. 2014) 53 Theo Kobusch Selbstbestimmte Freiheit sigkeit abwendet? 44 Auch das Skandalon des Todes wollen sie auf das Konto einer »Natur« oder »Konstitution« schreiben, wo es doch der selbstbestimmende Wille war, der keine Mühen für die Tugend ertragen wollte. 45 Der begriffliche Gegensatz von Natur, Konstitution und Wesen auf der einen und Freiheit, Verantwortung, freiem Willen und Selbstbestimmtheit auf der anderen Seite durchzieht das Werk des Origenes. Es ist sein umfassendes Denkprinzip. Die gewaltige Wirkungsgeschichte dieses Prinzips, die nur in Ansätzen erforscht ist und bis weit in die neuzeitliche Philosophie hineinreicht, 46 könnte, wenn sie im Einzelnen dargelegt würde, die Bedeutung dieser Freiheitsphilosophie unterstreichen. Schließlich hat Origenes im Rahmen seiner Freiheitsphilosophie ein Zeichen gesetzt, das von außerordentlicher Bedeutung für den Freiheitsbegriff selbst ist und das eine eigene Wirkungsgeschichte entfaltet hat. Die Kirchenväter haben fast durchweg von Tertullian an das aus der Septuaginta stammende Wort, dass der Mensch Bild und Gleichnis Gottes sei, auf seine Freiheit bezogen, d. h. auf das praktische, nicht das theoretische Erkenntnisvermögen 47 In der Freiheit aber liegt nach allgemein patristischer Ansicht die Würde des Menschen begründet. 48 Origenes hat nun im Rahmen dieses patristischen Denkens »Bild« und »Gleichnis« erstmals als zwei verschiedene, nicht aufeinander reduzierbare Elemente der menschlichen Freiheit, und das bedeutet auch: der menschlichen Würde, verstanden. Bild Gottes ist der Mensch, insofern ihm Gott das »Herz«, d. h. ein verborgenes Inneres, das Gewissen oder modern: die Subjektivität geschenkt hat. Gleichnis Gottes dagegen ist er, insofern er durch tugendhaftes Handeln die ihm gegebene Freiheit auch verwirklicht-- oder verfehlt. Mit anderen Worten, die später in der Wirkungsgeschichte auch gewählt wurden: Das Bild ist ein unverlierbares Element der menschlichen Freiheit, so dass auch der schlimmste Verbrecher es durch seine Untaten nicht verliert und er z. B. nicht gelyncht werden darf, sondern vor Gericht gestellt werden muss, das Gleichnis aber ist das verlierbare Element der menschlichen Würde, das durch die sittlichen Verfehlungen verlorengehen kann. Auch hier ist die Wirkungsgeschichte, in der die Anthropologie der sog. »Tübinger Schule«, allen voran des Franz Anton Staudenmaier hervorragt, 49 von enormer Bedeutung. Sie reicht bis zu der Überzeugung, dass die Würde des Menschen einerseits unantastbar ist und andererseits gegen den Missbrauch der Freiheit geschützt werden muss. Anmerkungen 1 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Teil 4, Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit, hg. von P. Garniron/ W. Jaeschke, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 9, Hamburg 1986, 63. 2 Vgl. C. H. Kahn, Discovering the Will. From Aristotle to Augustine, in: The Question of »Eclecticism« (Studies in Later Greek Philosophy) hg. v. J.M. Dillon/ A.A. Long, Berkeley/ Los Angeles/ London 1988, 234-259, hier: 254. 3 J. Müller hat in seiner Habilitationsschrift Willensschwäche in Antike und Mittelalter. Eine Problemgeschichte von Sokrates bis Johannes Duns Scotus, Leuven 2009, die Geschichte der Willensschwäche dargelegt und dabei dem 7. Kapitel des Römerbriefes ca. 30 Seiten gewidmet (211-242), deren Lektüre auch für die Exegeten ein Gewinn sein könnte. Zum klarsichtigen Charakter der Willensschwäche s. ebd., 238. Zum Ich-Stil im Römerbrief s. bes. H. Schelkle, Meditationen über den Römerbrief, Einsiedeln 1963, 102 ff. 4 Vgl. dazu J. Müller, Willensschwäche, 233 ff., 239. Zur Vorstellung vom inneren Menschen s.T. K. Heckel, Der Innere Mensch. Die paulinische Verarbeitung eines platonischen Motivs, Tübingen 1993 und T. Kobusch, Christliche Philosophie. Die Entdeckung der Subjektivität, Darmstadt 2006. 5 Vgl. T. Kobusch, Christliche Philosophie, Einleitung und Kap. I; G. Karamanolis hat es in seinem Buch The Philosophy of Early Christianity, Durham 2013, unternommen, die Christliche Philosophie bis zum Beginn des 4. Jh.s als Philosophie ernst zu nehmen. 6 Justin, Apologia Minor 8,1, hg. v. M. Marcovich, Berlin/ New York 1994, 149; vgl. Apologia Maior 46, 97. Zur Idee eines universalen Christentums siehe: T. Kobusch, Universales Christentum. Zur christlichen Idee einer universalen Religion, in: C. Bickmann/ M. Wirtz, Religion und Philosophie im Widerstreit? , Bd. 2, Nordhausen 2008, 465-490. 7 Justin, Apologia Maior 43, hg. v. M. Marcovich, 92.- - Merkwürdigerweise kommt C.H. Kahn, Discovering the Will, 248 f. nach Spekulationen über die Modernität des Ausdrucks des »freien Willens« zu dem Ergebnis, dass »most ancient discussions of moral freedom, both in Greek and in Latin, do not present the will as the direct subject of freedom«. Es genügt ein Blick auf-- gerade auch-- Epictet II 15 oder Justin, Dialogus cum Tryphone 88,5 oder auch Origenes, Fragmenta in evangelium Joannis fr. 43 oder Didymus Caecus, Comm. In Zachariam II 176; Comm. In Psalmos 3, Codex 232 und andere, um zu sehen, dass das falsch ist. 8 Justin, Apologia Minor 7,5, ed. Marcovich 148; vgl. auch Dialogus cum Tryphone 88,5. 9 Vgl. Chrysipp, Fragmenta logica et physica, fr. 984 (Alex. Aphrod., De fato XXVI. XXXV, hg. v. Bruns, 197-207).-- Während Zeno und Chrysipp die heimarmenē und das autexousion zusammen zu denken versuchten (fr. 975 Hülser)-- mit ruinösen Folgen für das autexousion--, ist die Philosophie Epiktets im ganzen und besonders seine Freiheitsabhandlung (IV 1) ein einzigartiges hohes Lied auf Freiheit, Verantwortung und autexousion, ohne dass die heimarmenē auch nur ein einziges Mal erwähnt würde. Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 54 - 2. Korrektur 54 ZNT 34 (17. Jg. 2014) Kontroverse 10 Vgl. S. D. Minns, Justin Martyr, in: The Cambridge History of Philosophy in Late Antiquity, Vol. I, hg. v. L. G. Gerson, Cambridge 2010, 258-269, hier: 268 spricht von »affinities« mit der Schrift De fato des Alexander von Aphrodisias. G. Karamanolis, The Philosophy of Early Christianity, 160, hält sie zusammen mit Plutarchs Kritik an der Stoa sogar für eine »Inspirationsquelle« der Justinschen Stoakritik, obwohl das schon aus zeitlichen Gründen im Falle der Schrift De fato nicht möglich ist, da diese erst in der Zeit von 198-209 verfasst worden sein muss. 11 Vgl. C. H. Kahn, Discovering the Will, 253. 12 Vgl. dazu T. Kobusch, Studien zur Philosophie des Hierokles von Alexandrien, München 1976, 123-141 ff. 13 Gregor Nyss., Contra Eunomium III 6,76, GNO II, ed. W. Jaeger, Leiden 1960, 213,3; De perfectione, hg. v. W. Jaeger, GNO VIII/ 1, Leiden 1986, 213,18; In inscript. Psalmorum, GNO V, hg. v. J. McDonough, Leiden 1962, 79,13. An einer interessanten Stelle in Athanasius’ Orationes contra Arianos, PG 26, 84, wird den Arianern der stoische Gedanke (und die Terminologie) von der im autexousion des Willens begründeten, amphibolischen Natur auch des göttlichen Logos in den Mund gelegt, damit so die Wandelbarkeit des Logos erwiesen würde-- was Athanasius freilich kritisiert. 14 Tatian, Rede an die Hellenen 7,1-4. 11,2. Vgl. zu Tatian auch G. Karamanolis, The Philosophy of Early Christianity, 161. 15 Zu Parallelen mit Tatian vgl. E. J. Hunt, Christianity in the Second Century, London/ New York 2003, 166-168. Zu Bardesanes vgl. auch A. Dihle, Die Vorstellung vom Willen in der Antike, 121 f. 16 Theophilus, Ad Autolycum II 27. 17 Tertullian, De anima XXI.6, ed. J. H. Waszink, CCSL 2, Turnhout 1954, 814. 18 Origenes, Commentaire sur S. Jean XX 174, hg. v. C. Blanc, Bd. IV, SC 290, Paris 1982, 242: »einai tina <ou> tē hypostasei ek kataskeuēs, alla ek metabolēs kai idias proaireseōs toiouton gegenēmenon, kai houtōs, hina kainōs onomasō, pephysōmenon.«; Vgl. auch De principiis II 6,5, hg. v. H. Görgemanns/ H. Karpp, Darmstadt 1976, 368, und C. Cels. III 69. 19 Vgl. Tertullian, Adversus Hermogenem, XVI.4, ed. E. Kroymann, CCSL 1, Turnhout 1954, 410: »Libertas, non necessitas, deo competit.« Origenes, Homélie sur le Lévitique XVI,6, ed. M. Borret, Bd. II, SC 287, Paris 1981, 288: »Vides constantiam et virtutem animae custodientis mandata Dei et habentis fiduciam libertatis ingenitae.« 20 Tertullian, Adversus Marcionem II 5-6, ed. E. Kroymann, CCSL 1, Turnhout 1954, 479-482. 21 Tertullian, Adversus Marcionem II 7, ed. Kroymann, 482 f. 22 Tertullian, Adversus Marcionem II 9, ed. Kroymann, 484- 486. 23 Clemens Alexandrinus, Stromata II 26,4-5 (GCS Clem. Al. 2, 127). 24 Clemens Alexandrinus, Stromata II 55,1 (GCS Clem.Al. 2,142). 25 Vgl. Clemens Alexandrinus, Quis dives salvetur 14,4 (GCS Clem.Al. 3,169). 26 Clemens Alexandrinus, Stromata IV 83,2 (GCS Clem.Al. 2,285). 27 Clemens Alexandrinus, Stromata IV 153,1-2 (GCS Clem. Al. 2,316). 28 Clemens Alexandrinus, Stromata VII 48,4 (GCS Clem. Al. 3,36). 29 Clemens Alexandrinus, Stromata V 3,2 (GCS Clem.Al. 2,327). 30 H. Holz, Über den Begriff des Willens und der Freiheit bei Origenes, in: NZSTh 12 (1970), 63-84, hat das göttliche Wollen, das biblisch fast durchgehend bei Origenes thelēma genannt wird, zum Ausgangspunkt und Zentrum seiner Interpretation gemacht, nach der die apokatastasis, von der Origenes bekanntlich nur im Modus der Hoffnung spricht, das »völlige Sich-Durchsetzen des absoluten Willens im Bereich des geschöpflichen Seins« sei. Nichts ist unorigeneischer als das! Vom spezifisch menschlichen Willen ist kaum die Rede. Prohairesis ist (wie auch das eph’ hēmin) bei H. Holz Origenes die Bezeichnung für den spezifisch menschlichen Willen, nicht für Gottes Willen. Vgl. C. Blanc, Origène, Commentaire sur S. Jean, Bd. II, SC 157, Paris 1970, 155: »Nous n’avons pas vu d’exemple où ce terme désignerait la volonté de Dieu …« Clemens dagegen kann auch von der göttlichen prohairesis sprechen (vgl. Stromata VII 3,16). 31 H. Holz, Über den Begriff des Willens, 74. 32 Origenes, De oratione 29,15, (GCS Orig. 2,390) 33 Origène, Homélies sur Jérémie XX 2, Bd. II, ed. P. Nautin, SC 238, Paris 2008, 256. 34 Gregor Nyss., In Canticum Canticorum II, GNO VI, ed. H. Langerbeck, Leiden 1960, 55. Was für ein Fehlurteil bei A. Dihle, Die Vorstellung vom Willen in der Antike, Göttingen 1985, 134: »Der Wille als eigenständiger Faktor fehlt«! 35 Origenes, In Rom. VI 9 (1088A), ed.T. Heither, Fontes Christiani 2/ 3, Freiburg u. a. 1993, 276 »… quia interior homo, hoc est voluntas et propositum …« 36 Origenes, Homélie sur le Lévitique XVI,6, hg. v. M. Borret, Bd. II, SC 287, Paris 1981, 288. Vgl. E. Schockenhoff, Zum Fest der Freiheit. Theologie des christlichen Handelns bei Origenes, Mainz 1990, 170. 37 Vgl. dazu H.S. Benjamins, Eingeordnete Freiheit. Freiheit und Vorsehung bei Origenes, Leiden/ New York/ Köln 1994, 53; C. Hengstermann, Leben des Einen-- Der Tugendbegriff des Origenes, in: F.W. Horn/ U. Volp/ R. Zimmermann (Hgg.), Ethische Normen des frühen Christentums. Gut-- Leben-- Leib-- Tugend, Tübingen 2013, 433- 453, hier: 441-445; A. Fürst, Einleitung, in: Origenes. Die Homilien zum Ersten Buch Samuel, eingel. und übers. von A. Fürst, Berlin u. a. 2014, 43-46; T. Kobusch, Die Univozität des Moralischen. Zur Wirkung des Origenes in Deismus und Aufklärung (Akten des Origenes-Kongresses in Aarhus, unveröffentlicht). 38 Zum gnostischen Stichwort der Konstitution als Ursache des Heils oder Verderbens des Menschen vgl. auch M. Frede, A Free Will. Origins of the Notion in Ancient Thought, hg. v. A. A. Long, Berkeley u. a. 2011, 112-118. 39 Origenes, In Matth. 22,1-14 (GCS Orig. 10,642) und 22,15-22 (GCS Orig. 10,659); De principiis I 6,3, hg. von H. Görgemanns/ H.Karpp, Darmstadt 1976, 226 f. Im Johanneskommentar XX 174 (Commentaire sur S. Jean, Bd. IV, ed. C. Blanc, SC 290, Paris 2008, 242) wird vom Teufel bzw. Antichrist, dem Vater der Lüge, gesagt, dass er nicht dem Sein nach und aufgrund der Konstitution so ist, wie er ist, sondern weil er aufgrund einer Zeitschrift für Neues Testament_34 typoscript [AK] - 07.10.2014 - Seite 55 - 2. Korrektur ZNT 34 (17. Jg. 2014) 55 Theo Kobusch Selbstbestimmte Freiheit »Veränderung seines eigenen Willens so geworden und um einen Neologismus zu gebrauchen, naturiert worden ist.« 40 Origenes, In Epist. ad Romanos VIII 11 (1194 C), ed.T. Heither, Fontes Christiani 2/ 4, Freiburg u. a. 1994, 298. 41 C. Cels. IV 67. In C. Cels. V 61 charakterisiert Origenes Valentinus und seine Anhänger als die, die Heil und Verderben der Menschen von ihrer Natur oder Konstitution abhängig machen. 42 Origenes, Johanneskommentar, Catenenfragment Nr. XLII (GCS Orig. 4,517 f.). In ähnlicher Weise wird auch im Commentaire sur S. Jean XX 219, Bd. IV, hg. v. C. Blanc, SC 290, Paris 2008, 264, hervorgehoben, dass die »Kinder des Teufels« nicht aufgrund ihres »Wesens« und ihrer »Konstitution« so sind, wie sie sind, sondern aufgrund der »Werke«, d. h. durch ihren Willen. Zum Unterschied zwischen dem dinghaften Ort und dem willentlichen Standort vgl. auch Origenes, Homélies sur Samuel V 8, hg. v. P. Nautin/ M.-T. Nautin, SC 328, Paris 1986, 198, und Porphyrios, Sententiae c. 3, hg. v. E. Lamberz, Leipzig 1975, 2, ähnlich auch Gregor Nyss., De prof. christ., GNO VIII/ 1, hg. v. W. Jaeger, Leiden 1986, 140, 2 ff. 43 Origène, Commentaire sur S. Jean XIII 63, Bd. III, ed. C. Blanc, SC 222, Paris 2006, 64. 44 Origenes, Commentaire sur l’évangile selon Matthieu X 11, Bd. 1, ed. R. Girod, SC 162, Paris 1970, 182. 45 Origenes, In Matth. XIII 23, (GCS Orig. 10,243). 46 Zur unmittelbaren Wirkung des origeneischen Freiheitsgedankens vgl. T. Kobusch, Die philosophische Bedeutung des Kirchenvaters Origenes, Theologische Quartalschrift 165 (1985) 94-105; Die Würde des Menschen-- ein Erbe der christlichen Philosophie, in: R. Gröschner/ S. Kirste/ O. Lembcke (Hgg.), Des Menschen Würde-- entdeckt und erfunden im Humanismus der italienischen Renaissance (Politica 4), Tübingen 2008, 235-250. Zum Einfluss der Lehre des Origenes vgl. bes. die von A. Fürst bzw. A. Fürst und C. Hengstermann herausgegebenen Bände: Origenes und sein Erbe in Orient und Okzident (Adamantiana 1), Münster 2011; Autonomie und Menschenwürde. Origenes in der Philosophie der Neuzeit (Adamantiana 2), Münster 2012; Die Cambridge Origenists, George Rusts Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions (Adamantiana 4), Münster 2013. 47 Vgl. T. Kobusch, Bild und Gleichnis Gottes. Elemente menschlicher Freiheit, in: I. Atucha u. a. (Hgg.), Mots médiévaux offerts à R. Imbach, Porto 2011, 143-151. 48 Vgl. Origenes, Homélie sur la Genèse XVI 2, hg. v. L. Doutreleau, SC 7 bis, Paris 1985, 376: »Qui vero libertatis animae curam gerit et dignitatem mentis caelesti cogitatione nobilitat, iste ex filiis Israel est.« 49 S. den ausgezeichneten Beitrag von M. Wasmaier-Sailer, Die Origenes-Rezeption in der theologischen Anthropologie Franz Anton Staudenmaiers, in: A. Fürst/ C. Hengstermann (Hgg.), Autonomie und Menschenwürde. Origenes in der Philosophie der Neuzeit (Adamantiana 2), Münster 2012, 235-251. Bruno Kern Theologie der Befreiung UTB S 2013, 144 Seiten €[D] 12,99/ SFr 18,70 ISBN 978-3-8252-4027-1 Die Theologie der Befreiung ist einer der wirkmächtigsten Ansätze systematischer Theologie aus jüngerer Zeit. Die Kenntnis von Geschichte, Methode und Hauptinhalten ist im Theologiestudium beider großer Konfessionen Grundvoraussetzung. Innerhalb des theologischen Diskurses wurden zentrale Gedanken der Theologie der Befreiung von vielen anderen Ansätzen systematischer Theologie rezipiert, etwa von der „Politischen Theologie“ (J. Moltmann, J.B. Metz), der Feministischen Theologie u.ä. Der Band fasst die Grundinformationen zu dieser wichtigen theologischen Strömung zusammen und erläutert sowohl die theologischen Grundlagen als auch die Auswirkungen in der Kultur und Kirche der Gegenwart. Die „Hinwendung zu den Armen“ im Christentum wird so greifbar und verständlich. Glossar und Chronologie vervollständigen den Überblicksband.