eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 18/35

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
61
2015
1835 Dronsch Strecker Vogel

Übernahme und Zurückweisung von Ritualen und rituellen Praktiken im Markusevangelium

61
2015
Peter Wick
znt18350043
Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 18.05.2015 - Seite 43 - 2. Korrektur ZNT 35 (18. Jg. 2015) 43 1. Ritual, ein offener und dynamischer Begriff Menschliches Leben und Zusammenleben wird stark von rituellen Praktiken mitgeprägt. Doch was ist ein Ritual? Die Antwort auf diese Frage ist viel schwieriger, als die Frage selbst das vermuten lässt. Die Ritualforschung öffnet eine Spannbreite von Definitionen, die von eng begrenzten rituellen Handlungsfeldern des individuellen Lebens und des gemeinschaftlichen Zusammenlebens bis zu einer hohen Durchdringung aller Lebensvollzüge und selbst der Sprache mit Ritualen reicht. 1 Die neutestamentliche Wissenschaft kann gewinnbringend entweder ein Ritualmodell mit der entsprechenden Theorie übernehmen 2 oder im Hören auf die Ritualforschung den Begriff in seinem vielfältigen Bedeutungspotenzial wahrnehmen, um ihn in seiner dynamischen Variabilität mit dem eigenen Forschungsgegenstand ins Gespräch zu bringen. Letzteres soll hier probeweise in Bezug auf das Markusevangelium geschehen. Durch ein dialogisches Vorgehen soll zuerst mit einer vorläufigen Definition von Ritualen das Markusevangelium nach rituellen Praktiken und Ritualen durchgesehen werden. Ein Ritual ist eine Handlung, die in einer festgelegten Form, wiederholt und nach bestimmten Regeln vollzogen wird. Handlungsträger kann ein Einzelner, eine Gemeinschaft oder auch ein Beauftragter einer Gemeinschaft sein. Rituelle Handlungen sind Praktiken, die Elemente dieser vorläufigen Definition aufweisen. Um mit dem Begriff Ritual operieren zu können, sollen sprachliche Konventionen, die zwar ebenfalls dieser Definition entsprechen, aber in der Regel unbewusst angewandt werden, nicht mit berücksichtigt werden. Die Grenzen zwischen Sitte, Gepflogenheit und Ritual können hier hingegen nicht scharf gezogen werden. Ein Ritual wird als etwas, das sich vom Alltag abhebt oder eine Zäsur im Alltagsgeschehen bildet, zum Gegenstand der Untersuchung. Wer einen Bissen Brot in den Mund schiebt, hat nach dieser Definition noch kein Ritual vollzogen, obwohl er dies wahrscheinlich nicht immer neu und anders und gegen gesellschaftliche Konvention machen wird. Wer aber nach allgemeiner Gepflogenheit vor jedem Essen nach festen Regeln ein Dankgebet spricht, isst erst, wenn er ein Ritual vollzogen hat. Rituale sind in einem begrenzten Sinn vorhersagbar. Eine bestimmte Situation, Zeit oder Raum lässt von einer Gruppe vorhersagbare Handlungsabläufe erwarten, weil diese bei solchen Gelegenheiten immer auf dieselbe Weise mit einer gewissen Intentionalität handelt. Soviel muss genügen als Arbeitsdefinition, auch wenn der Ritualbegriff ohne Weiteres auf das ganze Leben ausgeweitet werden könnte. Der Gegenbegriff zum Ritual scheint die Spontanität zu sein. Spontane Handlungen, intendierte wie nicht intendierte, sind keine Rituale. 2. Jesus und die Rituale seiner Zeit im Markusevangelium Alle Evangelien bezeugen je auf ihre Art, wie das Leben von Jesus durch Rituale geprägt worden ist und alle lassen ihn je unterschiedlich mit diesen Ritualen umgehen. Der Jude Jesus war in eine jüdische Alltagswelt eingebettet, die von Ritualen durchdrungen war. 3 So bildete der Tempel eine zentrale Institution für das Judentum seiner Zeit. Der Tempelkult war durch und durch ritualisiert. Selbstverständlich ist jedes Evangelium nicht historisches Zeugnis in einem abstrakten historischen Sinn, sondern Zeugnis einer lebendigen Erinnerungskultur aus der Jesusbewegung und der sich formierenden Kirche einige Jahrzehnte nach ihren Anfängen. Als solches Zeugnis soll das Markusevangelium hier ausgewertet werden. In Bezug auf die Gestalt jüdischer und alltäglicher Rituale muss der Graben zwischen dem Evangelium zum-- direkt nicht fassbaren-- historischen Jesus und seiner Zeit Peter Wick Übernahme und Zurückweisung von Ritualen und rituellen Praktiken im Markusevangelium Zum Thema »Ein Ritual ist eine Handlung, die in einer festgelegten Form, wiederholt und nach bestimmten Regeln vollzogen wird. […] Wer einen Bissen Brot in den Mund schiebt, hat […] noch kein Ritual vollzogen, obwohl er dies wahrscheinlich nicht immer neu und anders und gegen gesellschaftliche Konvention machen wird. Wer aber nach allgemeiner Gepflogenheit vor jedem Essen nach festen Regeln ein Dankgebet spricht, isst erst, wenn er ein Ritual vollzogen hat.« Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 18.05.2015 - Seite 44 - 2. Korrektur 44 ZNT 35 (18. Jg. 2015) Zum Thema vor Pessachbeginn (Mk 11,1-14,11). Das Pessach feiert diese Gruppe mit den üblichen Ritualen. Die Jünger fragen Jesus danach, wo er das Pessach in der Stadt essen will (Mk 14,12). Schließlich bereiten sie alles nach seiner Anordnung vor (Mk 14,16). »Das Pessach bereiten« beziehungsweise »das Pessach essen« impliziert eine Aneinanderreihung vieler Rituale, die jedes Jahr von jeder Familie oder Gruppe, die am Fest teilgenommen hat, praktiziert worden sind. Am letzten Vorbereitungstag schlachteten Familien und Gruppen kurz vor dem Festbeginn am Abend ein Opfertier, das dann zu Beginn des ersten Festtages zusammen mit ungesäuerten Broten und bitteren Kräuter und diversen Vorspeisen 4 verzehrt wurde (Ex 12,8; Num 9,11). Die Opfertiere wurden im Gegensatz zu Schlachtungen im Rahmen des Tempelkultes vom Volk selbst, das heißt von den jüdischen Männern und nicht von den Priestern geschlachtet (2Chr 30,17). 5 Das Opfertier wurde für je mindestens zehn Mahlteilnehmer geschlachtet. 6 Der Autor kann so mit seinen knappen Worten einen ganzen rituellen Komplex anführen und dem Leser vermitteln, dass Jesus in großer Selbstverständlichkeit an diesem nicht nur teilgenommen, sondern ihn auch als Vorsteher seiner Gemeinschaft verantwortlich durchgeführt hat. Dafür muss dem Leser dieser Ritualkomplex nicht im Detail bekannt sein. Der Tempelvorfall ist schwieriger zu deuten. Unmittelbar nachdem Jesus Jerusalem erreicht hat, geht er in den Tempel und besichtigt ringsum alles (Mk 11,11). Es ist wahrscheinlich, dass auch hier Jesus, entsprechend einer Sitte der Wallfahrer, den Tempel sofort nach dem Eintreffen in Jerusalem aufsuchte, obwohl der Tag sich schon neigte. Die Grenze zwischen dem Befolgen einer Sitte und der Vollführung eines Rituals ist fließend. Der Evangelist legt nahe, dass der Aufbruch von Jericho, die Heilung des blinden Bartimäus und der Einzug in Jerusalem an demselben Tag stattgefunden haben. Offensichtlich war Jesus alles andere als zufrieden mit dem, was er sah. Der Tempel war in den Augen dieses Wallfahrers nicht bereit für das Fest, sondern durch diverse Praktiken verunreinigt. Am nächsten Morgen schreitet er, nachdem er den Tempel betreten hat, zur Tat. Er beginnt, die Verkäufer und die Käufer dort hinauszutreiben und wirft die Tische der Geldwechsler und die Stühle der Taubenverkäufer um (Mk 11,15). Der Text sagt nichts davon, dass Jesus in Kultrituale eingegriffen oder diese gestört habe. Irgendein Teil des riesigen, von Säulenhallen umgebenen Vorhofes des Tempels ist der einzig vorstellbare Schauplatz dieses Geschehens. Gut möglich ist, dass er in der großen Basilika stattfand, die den südlichen Abschluss des Vorhofes bildete. 7 Weder nicht allzu groß gemacht werden, da Rituale in der Regel eine hohe Stabilität aufweisen. Dies gilt in Bezug auf das Markusevangelium ganz besonders auch für die Hinweise auf den Tempelkult, denn ob nach den gängigen Datierungen die Zerstörung des Tempels unmittelbar bevorstand oder vor Kurzem geschehen ist, wird nicht so ins Gewicht fallen, da auch kurz nach 70 n. Chr. nirgendwo im Judentum eine ritualprägende Verarbeitung der Tempelzerstörung greifbar wird und die Jesusbewegung auch um 70 n. Chr. Teil des damals sehr heterogenen Judentums ist. Hingegen muss bei der markinischen Darstellung, wie Jesus mit vorgegebenen Ritualen umgeht, mit einem hohen Eigeninteresse des Autors für aktuelle Herausforderungen seiner Adressaten gerechnet werden. Die Frage, ob Jesus die Sakramente als Rituale für seine Kirche geschaffen habe, ist anachronistisch und kann nicht zum Ziel führen. Hingegen kann untersucht werden, wie der Autor Jesus in seine ihn umgebende Ritualwelt stellt und ob Rituale als selbstverständlich vorausgesetzt oder missachtet oder transformiert werden, um daraus Hinweise zu gewinnen, ob und wie sich in der Jesusbewegung eine Praxis gottesdienstlichen Handelns zur Zeit der Abfassung in ritueller Hinsicht entwickelt hat. Der Jesus des Markusevangeliums bewegt sich sehr vielschichtig in der ihn umgebenden Ritualwelt. Als Festbesucher erreicht Jesus mit seine Anhängern Jerusalem nach den damaligen Gepflogenheiten einige Tage Prof. Dr. Peter Wick (geboren 1965 in Basel, verheiratet, vier Kinder, wohnhaft in Hattingen an der Ruhr) studierte Evangelische Theologie in Basel und Fribourg. Promotion 1993 in Basel über Form und Inhalt des Philipperbriefes. 1994 -1995 Studienaufenthalt in Jerusalem. 1999 Habilitation über die Entstehung der urchristlichen Gottesdienste im jüdischen Kontext in Basel. 2000 - 2003 Assistenzprofessor für Neues Testament und Antike Religionsgeschichte an der Universität Basel. Seit 2003 auf dem Lehrstuhl für Exegese und Theologie des Neuen Testaments / Geschichte des Urchristentums an der Ruhr-Universitat Bochum (D). Seit 2008 im Vorstand des Käte- Hamburger Kollegs »Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa«. Prof. Dr. Peter Wick Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 18.05.2015 - Seite 45 - 2. Korrektur ZNT 35 (18. Jg. 2015) 45 Peter Wick Übernahme und Zurückweisung von Ritualen und rituellen Praktiken im Markusevangelium der Vorhof der Frauen, den jüdische Frauen betreten durften, noch der eigentliche Tempelhof, von dessen Rand her jüdische Männer den Opferungen auf dem großen Brandopferaltar durch die Priester zuschauen konnten, kann davon betroffen gewesen sein. All dies ist der Tempel (to hieron). Das eigentliche Tempelgebäude (ho naos) bleibt sowieso gänzlich unberührt. Jesus stört nicht die Kultrituale, sondern die weitere Infrastruktur dafür, die auch außerhalb des Tempels hätte stattfinden können. Allerdings ist das in der Forschung bei seiner nächsten Handlung umstritten, die keine Erwähnung in den anderen Evangelien findet. »Und er ließ nicht zu, dass irgendjemand ein Gerät durch den Tempel trug« (Mk 11,16). Das Wort skeuos bezeichnet irgendein Gerät oder Gefäß. Gewisse Exegeten wollten diesen Begriff auf Kultgeräte beziehen. Wenn aber Jesus den Transport von Gegenständen, die für kultische Rituale notwendig sind, verbietet, dann wäre seine Aktion gegen diese selbst gerichtet. 8 Andere vertraten die Ansicht, dass hier »die-- in der Perspektive dieses strenggläubigen Juden-- missbräuchliche Praxis, den Tempelplatz als Abkürzungsweg für Händler und Lastenträger von einem Teil Jerusalems zum anderen zu benützen« 9 , unterbunden werden soll. Diese Hypothese ist durchaus plausibel, da sie der Größe des Vorhofes, dessen geografischer Lage und auch späteren rabbinischen Quellen Rechnung trägt. 10 Der Kontext lässt eine antikultische Handlung als nicht plausibel erscheinen. Im Duktus der vorangehenden Aussagen richtet sich Jesus auch mit dieser gegen jede profane Tätigkeit auf dem Vorhof, vor allem gegen jegliche Form von Handel. Es ist davon auszugehen, dass der Verfasser eine intendierte kultkritische Spitze dieser Geschichte deutlicher herausgearbeitet und sie nicht alleine am Allerweltswort »Gefäß« festgemacht hätte. Schließlich wird er Jesus in seinem Evangelium über das Essen des Pessachs wieder positiv in einen kultischen Zusammenhang zum Opferkult treten lassen. Die Tempelaktion lässt sich problemlos als »Protest gegen die Entheiligung des heiligen Ortes« 11 verstehen. Der Kult und dessen Rituale werden nicht angegriffen, sondern vor profanen Handlungen in seinem direkten Umfeld geschützt. Zugleich ist dieser erste und größte Vorhof als Vorhof der Heiden bekannt. Nichtjuden durften nur diesen betreten, ein tieferes Eindringen war ihnen unter Androhung der Todesstrafe verboten. So war dieser Vorhof der einzige Ort, an dem sie anbeten konnten. Für Jesus ist seine Aktion ein Anlass zum Lehren. Mit dem Propheten Jesaja und Jeremia (Jes 56,7) will er, dass der Tempel ein Haus des Gebets genannt werden und nicht zu einer Räuberhöhle (Jer 7,11) verkommen soll. Der Kontext von Mk 11,16 zeigt somit deutlich, dass sich Jesus hier nicht gegen den Tempelkult oder an den Tempel gebundene Rituale, sondern gegen Praktiken richtet, die diese stören. Der ganze Tempel soll ein ungestörter und durch keinen Handel behinderter Ort des Gebets sein. Allerdings ist solch ein Einsatz nur durch einen militanten Eifer zu erklären. Denn der Vorhof (samt Basilika) war als Agora beziehungsweise Forum konzipiert und es war selbstverständlich, dass viele mit dem Tempel verbundene geschäftliche Aktivitäten dort stattfanden. 12 Eine solche Aktion ist ein Einsatz für eine radikale Ausweitung der Heiligkeit des Tempels. 13 Zugleich scheint sich Jesus hier nicht für irgendein konkretes Ritual einzusetzen, denn das Gebet ist dafür viel zu offen und unkonkret angesprochen, als dass damit bestimmte Gebetsrituale am Tempel gemeint sein könnten. Ja, sein Einsatz für das Gebet auf dem Vorhof der Heiden lässt sowohl an fixiertes und ritualisiertes als auch an freieres Gebet denken. Nachdem Jesus einen Aussätzigen geheilt hat, setzt er sich dafür ein, dass sich dieser dem rituellen Prozedere am Tempel durch die Priester gemäß der Tora unterzieht: »Gehe hin und zeige dich dem Priester und bringe das für deine Reinigung dar, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis« (Mk 1,44). Mit den mosaischen Reinheitsgesetzen stimmt diese Erzählung ganz überein. 14 3. Distanzierungen zu rituellen Praktiken durch Jesus Jesus distanziert sich im Markusevangelium nicht vom Tempel und dessen Ritus und der damit verbundenen rituellen Praxis, doch von anderen jüdischen Ritualen distanziert er sich in diesem Evangelium deutlich. Jesus hat eine fromme jüdische Gruppe gegründet. Andere fromme Gruppierungen haben-- immer nach dem Plot der markinischen Erzählung-- erwartet, dass er gewisse rituelle Praktiken in seiner Gruppe einführt. So wundern sich die Anhänger des Johannes des Täufers und die Pharisäer, warum seine Anhänger nicht fasten (Mk 2,18). Jesus begründet dies mit der Besonderheit seiner Person und der Zeit: »Die Hochzeitsgäste können nicht fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist.« Es werden allerdings Tage kommen, an denen dies nicht mehr der Fall sein wird, dann werden sie fasten. Jegliche Fastenpraxis, die bei den anderen Teil der Gruppenrituale war, wird so zurückgewiesen und zugleich auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, an dem diese aufgenommen werden soll. Es muss hier also von einer vorläufigen Distanzierung gesprochen werden. Interes- Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 18.05.2015 - Seite 46 - 2. Korrektur 46 ZNT 35 (18. Jg. 2015) Zum Thema sant ist, dass-- streng genommen-- Jesus die eine rituelle Praxis aufgrund einer anderen, die einer Hochzeitsfeier angemessen ist, zurückweist. Das Lukasevangelium arbeitet den Ritualcharakter des Fastens der Pharisäer und die Vorläufigkeit des Fastenverzichts in der Jesusgruppe deutlicher heraus. »Sie aber sprachen zu ihm: ›Die Jünger des Johannes fasten oft und verrichten (machen) Gebete, ebenso auch die der Pharisäer, die deinen aber essen und trinken‹« (Lk 5,33). Die Wendung »Gebete verrichten« lässt an festgesetzte Gebete denken, die zu bestimmten Zeiten gebetet worden sind. Nach Lukas 18,12 haben die Pharisäer zweimal die Woche gefastet. Dies sind Hinweise auf den nicht spontanen, rituellen Charakter von Gebet und Fasten bei den Pharisäern und in der Johannesgruppe. Im Lukasevangelium gibt Jesus seinen Jüngern mit dem »Vater-Unser-Gebet« wenigstens ein festgesetztes Gebet (Lk 11,2-4), im Matthäusevangelium ist das »Vater Unser« ein Angebot mit rituellem Charakter an die Jünger und das Volk (Mt 6,9-13). Die Gebetspraxis der Jünger wird im Markusevangelium kaum sichtbar. Die Gebetspraxis Jesu scheint betont spontan zu sein und richtet sich nach keinen Ritualen. Immer wieder zieht Jesus sich an einsame Ort zum persönlichen Gebet zurück (Mk 1,35; 6,46). Mit den Jüngern betet Jesus nie. Auch im Garten Gethsemane betet er für sich allein (Mk 14,32. 35. 39). Er gibt ihnen allerdings Anweisungen zum Beten (Mk 9,29; 11,24f; 13,18; 14,38). Doch weder bei Jesus noch bei den Jüngern kommt ein rituelles Gebet in den Blick. Die einzige Ausnahme bildet vielleicht die Todesstunde. Am Kreuz könnte Jesus mit den Worten »mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen« den Psalm 22 gebetet haben (Ps 22,2). Dies ist das einzige Gebet, das Jesus in Mk in der Öffentlichkeit gebetet hat. Da er dies aber in einer einzigartigen Situation vorträgt, vervollständigt sich das Bild dieses Evangeliums. Jesus wird nicht mit rituellem Beten in Verbindung gebracht, sondern eher von diesem abgerückt. Der Autor macht sich für ein persönliches, individuelles und spontanes Beten stark, Jesus und seine Bewegung werden-- gegen Erwartungen anderer jüdischer Gruppierungen-- von jeglichem rituellen Gebet distanziert. Noch schärfer wird die Distanzierung von der hoch ritualisierten Reinheitspraxis der Phariäser und pauschal von der des ganzen jüdischen Volks herausgehoben (Mk 7,1-23). Rituelle und ethische Unreinheit sind zwei verschiedene Kategorien, die sich in der Tora und im Frühjudentum nicht generell voneinander trennen lassen. Sie können miteinander vermischt sein und mit göttlicher Strafe sanktioniert werden (Lev 18,19-25). Gerade in Judäa zur Zeit Jesu gab es möglicherweise manche Juden, die versuchten, rein zu leben, auch wenn sie nicht den Tempel besuchten. 15 Ab dem ersten Jahrhundert vor Christus finden sich Stufenpools als Reinigungsbad (Miqweh). Solche Bäder dienten zur rituellen Reinigung des Körpers durch ein Bad (vgl. Joh 13,10). 16 Diese wurden im Zugangsbereich des Tempels, vor einer Synagoge und in Wohnhäusern in Judäa, in Jerusalem und in Qumran, in Galiläa aber auch bei den Samaritanern gefunden. Die Pharisäer waren eine der treibenden Kräfte einer besonderen »Durchritualisierung« des Alltags, da sie so sich und der jüdischen Bevölkerung eine vom Priesteramt und Tempel unabhängige Möglichkeit boten, einem priesterähnlichen Reinheitsideal nachzueifern. 17 Der Verfasser lässt Jesus sich deutlich von der ganzen Reinheitspraxis distanzieren. »Und sie sahen einige seiner Jünger, dass sie mit gemeinen, das bedeutet mit ungewaschenen Händen die Brote essen. Denn die Pharisäer und alle Juden essen nicht, wenn sie sich nicht mit einer Faust [voll Wasser] die Hände gewaschen haben-- so halten sie die Überlieferungen der Ältesten-- auch essen sie nicht, wenn sie vom Markt kommen, wenn sie nicht ein Tauchbad genommen haben. Auch gibt es viele andere [Praktiken], die sie zu halten übernommen haben: Tauchbäder von Bechern, Krügen und ehernen Gefäßen. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten fragten ihn: ›Weshalb wandeln deine Jünger nicht gemäß den Überlieferungen der Ältesten, sondern essen das Brot mit gemeinen Händen? ‹« (Mk 7,2-5). Jesus hebt nach diesem Evangelium die ganze jüdische rituelle Reinheitspraxis auf und will nur noch ein ethisiertes Reinheitsverständnis gelten lassen (Mk 7,6-23). 18 Dies steht im deutlichen Gegensatz zu Lukas, gemäß dem sich Jesus nur von einer pharisäischen rituellen Praxis distanziert (Lk 11,37.39). Auch bei Matthäus scheint es um eine spezifische Praxis jüdischer Gruppierungen und nicht um alle Praktiken des ganzen Volks zu gehen (Mt 15,1f ). Später wird Jesus nach Matthäus dem Volk und den Jüngern sagen, dass sie alles befolgen sollen, was die Pharisäer und die Schriftgelehrten lehren (Mt 23,3). Bemerkenswert ist ebenfalls, dass Matthäus und Lukas den Satz von Markus, dass Jesus mit diesen Worten alle Speise für rein erklärt hat, auslassen (Mk 7,19). »Die Pharisäer waren eine der treibenden Kräfte einer besonderen ›Durchritualisierung‹ des Alltags.« Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 18.05.2015 - Seite 47 - 2. Korrektur ZNT 35 (18. Jg. 2015) 47 Peter Wick Übernahme und Zurückweisung von Ritualen und rituellen Praktiken im Markusevangelium Gerade der synoptische Vergleich zeigt, dass nur Markus in dieser Hinsicht ein radikales Bild von Jesus zeichnet. Jesus distanziert sich von der jüdischen Ritualisierung des Alltags zugunsten einer Freiheit von Ritualen und Spontanität. 4. Rituelle Praktiken im Gemeinschaftsmahl Eine Untersuchung der Mahlpraxis Jesu im Markusevangelium zeigt ein ganz anderes Bild. Mähler waren in der Antike sehr stark rituell konstituiert. So war die allgemein verbreitete hellenistische Deipnon-Symposionpraxis durch feste Rituale geprägt, die auch vom Judentum übernommen worden sind. Abendmahl und anschließendes Weingelage zur gegenseitigen Unterhaltung der Teilnehmer waren durch Rituale geprägt, von denen viele über Jahrhunderte zuerst in der griechischen, dann aber auch in der hellenistisch-römischen Welt stabil blieben. 19 Das fängt schon mit der Körperhaltung an. Jedes Mal, wenn Jesus und seine Jünger sich in den Evangelien zu Tisch begeben, setzen sie sich nicht hin, sondern legen sich zu Tische nach der damaligen Gepflogenheit in der hellenistisch-römischen Welt. Die Ereignisse, die zum Tod des Johannes des Täufers geführt haben, bettet nur Markus explizit in die typischen rituellen Praktiken einer Deipnon-Symposionfeier ein, die zu Ehren des Geburtstages von Herodes begangen wird. Nur dieser Evangelist erwähnt, dass Herodes ein Deipnon veranstaltet hat. Die über Jahrhunderte ziemlich stabile Ritualform erlaubte den Ehefrauen oft, am Deipnon teilzunehmen. Hingegen standen Frauen, die am Symposion teilnahmen, in der Regel den Symposiasten auch zur sexuellen Unterhaltung zur Verfügung. Die Tochter der Herodias tanzt und gefällt dem König und allen seinen Gästen. Er gewährt ihr eine beliebige Bitte. Um die Mutter um Rat zu fragen, muss sie den Raum verlassen. Offensichtlich nimmt die Ehefrau an dieser Runde nicht teil, was ein deutliches Indiz dafür ist, dass das Symposion begonnen hat und die Tochter einen erotisch konnotierten Tanz zur Unterhaltung der Männer aufgeführt hat. In einer Schüssel wird dann zur perversen Unterhaltung am Symposion das Haupt Johannes des Täufers gebracht (Mk 6,21-28). Diese Geschichte gewinnt erst ihr volles Profil, wenn der vorgegebene rituelle Rahmen beachtet wird. Offensichtlich war diesem Evangelisten dieser Rahmen sowohl im Negativen als auch im Positiven wichtig. Im Judentum wurde in den vorgegebenen Deipnon- Rahmen ein rituelles Dankgebet (Eucharistie) beziehungsweise ein Segensgebet (Beracha) über dem Brot eingefügt, das mit einer ebenfalls rituellen Handlung gebrochen worden ist. Wenn Jesus im Markusevangelium Herr des Mahles ist, beachtet er diese rituelle Praktik. So spricht er bei der Speisung der Fünftausend den rituellen Segen (eulogeō 6,41) über den fünf Broten, die er bricht, bei der Speisung der Viertausend tut er das auch über den Fischen (8,7), spricht aber das rituelle Dankgebet (eucharisteō 8,6) über den Broten. Gerade die Erzählung von der Speisung der Fünftausend betont, dass Jesus sich genau an die Mahlordnungen und Tischgepflogenheiten hält. Er lässt die Menschen in sympotischen Gruppen niedersetzen (Mk 6,39: symposia symposia; Vgl. V. 40). Auch bei seinem letzten Deipnon mit seinen Jüngern beachtet er die vorgegebenen hellenistischen und jüdisch adaptierten Mahlrituale auf das Genaueste, die offensichtlich schon traditionell im Judentum auch den Grundrahmen des Pessachmahles bildeten. Er bricht das Brot während des Essens und spricht eine Beracha darüber (Mk 14,22) und danach über dem Becher ein Eucharistiegebet (Mk 14,23). Offensichtlich ist es dem Verfasser wichtig, zwischen Beracha und Eucharistie zu alternieren. 20 Paulus betont, dass dies der erste Becher nach dem Mahl war. Damit verortet er ihn eindeutig im Ritual, das das Symposion eröffnet. Bei Markus ist das nicht so deutlich. Es scheint, dass dieser Kelch eher ein gemeinsames Einander-Zutrinken während des Symposions war. Eine solche Proposis gehörte zu den rituellen Praktiken des Symposions. 21 Der Zugang über die rituellen Praktiken beim Mahl ändert die Perspektive. Es ist nicht so, das eucharistische Elemente und Anspielungen im Sinne eines Sakramentes in den Erzählungen der Speisungswunder enthalten sind, sondern die dafür in Frage kommenden Elemente dieser Geschichten folgen der rituellen Mahlpraxis ihrer Zeit und das letzte Deipnon stimmt mit ihnen deshalb so überein, weil auch dieses ganz in diese Praktiken eingebettet ist. Das, was dieses Deipnon von anderen unterscheidet, sind die spezifischen Deuteworte Jesu über der Brotverteilung und der Trinkgemeinschaft aus dem einen Becher (Mk 4,22-24). Jesus erscheint so in diesem Evangelium nicht als Begründer eines neuen Mahlrituals und schon gar nicht als der Stifter eines Sakramentes, sondern er verwendet allgemein verbreitete Rituale so, dass ein Deipnon allein durch seine Deuteworte zu einem einzigartigen und un- »Mähler waren in der Antike sehr stark rituell konstituiert.« Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 18.05.2015 - Seite 48 - 2. Korrektur 48 ZNT 35 (18. Jg. 2015) Zum Thema terscheidbaren wird. Es kann also von einer spontanen Erweiterung der rituellen Praxis gesprochen werden, da die Deuteworte selbst nicht Bestandteil des Rituals sind und in der Erzählung nicht rituellen Charakter aufweisen, sondern vorgegebene Rituale deuten. Einen Hinweis im Text, dass diese spontane und individuelle Interpretation Jesu zu einem fest gefügten Ritual der christlichen Gemeinde zur Zeit der Niederschrift dieses Evangeliums werden soll, gibt es in diesem Text nicht. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Die Deuteworte sind in ihrer erzählten Spontanität das A-Rituelle an diesem Mahl. 22 Der Fortgang der Geschichte weist darauf hin, dass sich Jesus nach seinen spontanen Deuteworten wieder ganz im Rahmen der Ritualordnung des Pessachs bewegt. Zum Abschluss der Feier singen sie den Lobgesang und gehen hinaus (Mk 14,26). Sogar das Verlassen des Symposion-Saales, der gerade nach Markus ganz nach der Sitte der damaligen Zeit vorbereitet worden war (Mk 14,12-16), könnte noch zum rituellen Rahmen des Symposions gehören. Ein Symposion konnte rituell durch den gemeinsamen Auszug der Symposiasten aus dem Triklinum (Raum für das Symposion) in die Nacht abgeschlossen werden. 5. Jesus, Stifter von Ritualen? Gemäß dem Markusevangelium hat Jesus keine Rituale gestiftet. Er lebte in der Ritualwelt seiner Zeit und hat sich in der Regel an die gesellschaftlich vorgegebenen rituellen Praktiken gehalten. Dies gilt auch für den Tempelkult. Allerdings hat er die für seine Zeit und für verschiedene jüdische Gruppen typische Ritualisierung des Alltags abgelehnt. Die den Alltag prägenden Reinheitsgebote und Speiseregeln erklärt er für seine Jünger als irrelevant. Alle Speise sei rein. Hier setzt das Markusevangelium einen deutlich anderen Akzent als die anderen Evangelien. Allerdings finden solche anti-rituellen Forderungen ihre Grenzen an den rituellen Praktiken, die in der ganzen hellenistischen Welt und mit leichten Abwandlungen auch im Judentum üblich waren. Zwei Gründe können dafür genannt werden. Der erste bezieht sich mehr auf die Darstellung von Jesus selbst, der zweite ist auf mögliche Adressaten des Evangeliums bezogen. Jesus wird in diesem Evangelium ganz besonders als Charismatiker und Gründer einer charismatischen Bewegung im soziologischen Sinn dargestellt. Er bricht in einer für eine charismatische Bewegung typischen Weise nicht mit den Institutionen, sondern geht zu diesen in eine freiheitliche Distanz. 23 Letztlich entscheidet er in dieser Erzählung immer wieder und abhängig von der Situation, wie viele von den Institutionen für ihn und seine Bewegung gelten und wie groß zugleich seine Freiheit und Unabhängigkeit von ihnen ist. Tempel, Synagoge und Haus, aber auch die Thora und andere feste Größen für das Judentum können als solche Institutionen betrachtet werden. Jesus hält gemäß der Thora und selbstverständlich auch gemäß jüdischer Sitte den Sabbat, interpretiert aber den Umgang mit dem Sabbatgebot sehr eigenwillig und freiheitlich, indem er dieses Gebot den Bedürfnissen der Menschen unterordnet. Der Sabbat ist um der Menschen willen da, nicht umgekehrt. Er selbst ist als Charismaträger Herr des Sabbats (Mk 2,27f.). Das Doppelgebot der Liebe wird-- ganz anschlussfähig für einen Schriftgelehrten- - zum Zentrum seiner Ethik und damit auch der Thora (Mk 12,28-30). Das Gebot »Vater und Mutter zu ehren« erhält einen sehr hohen Stellenwert, Speisegebote werden pauschal aufgehoben (Mk 7,1-23). Der Charismatiker Jesus entscheidet aus seiner Vollmacht heraus. Selbstverständlich können Gegner von Jesus in solch einem Vorgehen leicht Willkür ausmachen. Die Synagoge ist für Jesus eine selbstverständliche und unhinterfragte Institution (Mk 1,21; 3,1). An Synagogenversammlungen nimmt Jesus teil. Doch er ordnet sich nicht nur dieser Institution unter, sondern funktionalisiert sie zugleich als öffentliche Plattform für seine Lehre und seine Heilungshandlungen und Exorzismen (Mk 1,23-27; 6,2). Jesus akzeptiert in ähnlicher Weise die Institution des Tempels, unternimmt zu Pessach eine Tempelwallfahrt nach Jerusalem und lässt das Pessach nach den Ordnungen vorbereiten. Als Anführer einer Gruppe nimmt er am Wettstreit jüdischer Gruppierungen um die Heiligkeit des Tempels und am Protest gegen dessen Entheiligung teil. Allerdings konzentriert er sich dabei nicht auf die rituelle Kultpraxis, wie das sowohl von den Pharisäern 24 als auch von den Essenern überliefert ist, 25 sondern auf die Würde des Vorhofes der Heiden als Ort des Gebets für Juden und Nichtjuden. Jesus will weder den Rahmen des Tempelkults sprengen, »Gemäß dem Markusevangelium hat Jesus keine Rituale gestiftet. Er lebte in der Ritualwelt seiner Zeit und hat sich in der Regel an die gesellschaftlich vorgegebenen rituellen Praktiken gehalten. […] Allerdings hat er die für seine Zeit und für verschiedene jüdische Gruppen typische Ritualisierung des Alltags abgelehnt.« Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 18.05.2015 - Seite 49 - 2. Korrektur ZNT 35 (18. Jg. 2015) 49 Peter Wick Übernahme und Zurückweisung von Ritualen und rituellen Praktiken im Markusevangelium noch sprengt sein Einsatz für die Heiligkeit des Tempels den Rahmen von dem, was auch andere jüdische Gruppierungen auf ihrer Agenda stehen hatten. Charismatisch sind hingegen die Art der Handlung und der Ort im Tempel, auf den sie primär bezogen ist. Jesus zieht sich immer wieder mit seiner Gruppe in ein Haus zurück. Doch er lehrt seine Jünger nicht nur dort (Mk 7,17), sondern es kommt auch zu Heilungswundern im Haus (Mk 1,29-31; 2,1-12). Mit dem Gebot »Vater und Mutter zu ehren« setzt er sich sehr für den familiären Generationenvertrag und damit für das Haus ein. Er speist meistens im häuslichen Rahmen nach der damaligen Sitte. Doch zugleich relativiert er in charismatischer Freiheit die Familie, ruft eine neue, nicht durch Geburt und Ehe konstituierte Familie ins Leben (Mk 3,31-35) und bricht mit vielen Speiseordnungen seines Volkes. So erscheint Jesus als der typische charismatische Begründer einer Bewegung, die selbst noch keine eigenen Institutionen schafft, sondern sich im Rahmen der vorgegebenen Institutionen bewegt, von denen sie sich zugleich auch in unterschiedlichem Grad distanziert. Diese Begründung muss aber mit einer zweiten verbunden werden, um die Radikalität der Distanzierung von Reinheits- und Speisegeboten, die das alltägliche Leben betreffen, zu erklären. Der Verfasser dieses Evangeliums ist offensichtlich ein entschiedener Vertreter der frühchristlichen Richtung, die um der Integration der Nichtjuden in die ekklesia willen diese rituellen Praktiken relativiert und als Forderung für nichtjüdische Jesusanhänger zurückweist, nämlich in der Überzeugung, dass Nichtjuden durch ihren Glauben an den jüdischen Messias Jesus nicht zu Juden werden sollen. Er steht damit Paulus sehr nahe, ebenfalls den Beschlüssen, die von der Jerusalemer Führung gefällt worden sind und auch vom Verfasser der deutlich späteren Apostelgeschichte vertreten werden. Er will nicht, dass seine wohl mehrheitlich nichtjüdischen Adressaten anfangen, nach jüdischer Sitte zu leben. 6. Die Ergebnisse im Blick ausgewählter Ritualtheorien Diese exegetischen Beobachtungen können in einen fruchtbaren Dialog mit Ritualtheorien gebracht werden. Dies kann hier allerdings nur ansatzweise geschehen, denn die Ritualforschung (ritual studies) ist zwar eine junge Disziplin, aber bereits sehr komplex geworden. Andréa Bellinger und David J. Krieger bieten dafür eine gute Übersicht, die hier kurz dargestellt werden soll. 26 Rituale stehen stets in einem engen Zusammenhang zur menschlichen Gemeinschaft. Klassisch ist die Bestimmung des Rituals durch Durkheim als Mittel zur Gemeinschaftsstiftung. »Wann immer Menschen zusammenkommen, […] gibt es eine natürliche Tendenz, ihre Handlungen aufeinander abzustimmen, zu koordinieren, zu standardisieren und zu wiederholen. Dies ist die ursprüngliche Form des Rituals. Gemeinsames Handeln dieser Art erzeugt ein Gefühl der Teilnahme an etwas Über-individuellem, etwas Transzendentem.« 27 Rituale vermitteln so eine Gruppenidentität, für die Menschen einen Teil ihrer Individualität preisgeben. »Im rituellen Handeln fügen sich die daran Partizipierenden etwas »Höherem«, werden von etwas Höherem in Anspruch genommen.« 28 So werden nach einer Studie von David I. Kertzers bestimmte Rituale wie die Flagge oder die Nationalhymne dafür eingesetzt, um Menschen eine Gruppenidentität zu vermitteln. 29 Albert Bergesen sieht die Funktion politischer Rituale in der Bestätigung bestehender Machtstrukturen und gesellschaftlicher Konventionen, indem sie durch Ausgrenzung die Identität einer Gemeinschaft sichtbar machen und dadurch die Gemeinschaft stärken. Die rituelle Ordnung bildet die gesellschaftliche Ordnung mit ihren internen Hierarchien und ihren Außengrenzen ab. 30 Er betont unter Bezug auf Douglas und Erving Goffmann, wie Sprechhandlungen ritualisiert werden, um die persönliche Identität in einem bestimmten Milieu zu bestätigen. Mary Douglas vertritt die Sicht, dass gerade Reinheitsrituale und Tabus dazu dienen, die Gruppensolidarität zu stärken. Sie ziehen Grenzen und bringen Ordnung in eine chaotisch erlebte Welt. In diesem Sinne schaffen sie Identität. Wer zu einer Gruppe gehört, nimmt an ihren Ritualen teil und versichert sich damit seiner Identität innerhalb der Gruppe. 31 Nach Victor Turner sind Rituale gemeinschaftsstiftende Handlungen, die gegebene Strukturen auflösen und helfen, dass eine Gemeinschaft sich mit diesem Potenzial von Transformation so weiterentwickeln kann, dass kein Chaos ausbricht. 32 Doch es wird nicht nur die Meinung vertreten, dass Rituale die Wirklichkeit abbilden und sie kontrolliert beeinflussen können. Jonathan Z. Smith vertritt die Ansicht, dass Rituale Ideale einer Gesellschaft abbilden, die in der Realität nicht erreicht werden. Das Ritual zeigt das Gegenbild, das in der Wirklichkeit nicht erreicht werden kann und auch nicht muss. Die Wirklichkeit darf so bleiben wie sie ist. So herrscht innerhalb des Tempelbezirks eine ideale Ordnung, in der alles seinen Sinn hat. Die rituell geordnete Welt kann aber so eine Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 18.05.2015 - Seite 50 - 2. Korrektur 50 ZNT 35 (18. Jg. 2015) Zum Thema Spannung zur realen Welt auslösen. Menschen können erstere für realer als die reale Welt halten. 33 Es gibt nach Humphrey und Laidlaw so etwas wie eine bestimmte Haltung dem Ritual gegenüber, die konstitutiv für das Ritual ist. »Die rituelle Einstellung distanziert Akteure und Teilnehmer derart von der Handlung, dass sie diese nicht als ihre eigene anerkennen.« 34 »Indem der Mensch rituelle Handlungen ausführt, wird eine Weltordnung artikuliert und damit entstehen zugleich gemeinsam akzeptierte Gültigkeitskriterien.« 35 Durch das Ritual kann Wissen gewonnen und vermittelt und zur Schau gestellt werden. Dies geschieht durch die »Verkörperung« von Sinn durch das Handeln in Zeit und Raum und durch die Transformation der Welt. 36 Rituelles Wissen wird durch das Ritual selbst verwirklicht und vermittelt, ja sogar durch dieses erst erschlossen. »Die rituelle Aussage ist zugleich ihre Geltung und nicht bloß ein Anspruch darauf.« 37 Die Welt wird nicht beschrieben, sondern rituell gestaltet und durch das Ritual artikuliert. Ein Ritual kann nur durch ein anderes Ritual kritisiert oder transformiert werden. 38 Schon der kurze Einblick in diese Ritualtheorien zeigt, welch reiches Feld hier für die neutestamentliche Wissenschaft noch fruchtbar gemacht werden muss. Zum gemeinsamen Nenner verschiedener Ritualtheorien gehört die gemeinschaftsfördernde Funktion von Ritualen. Rituelle Praktiken fördern die Unterscheidung, wer zu einer Gruppe gehört und wer nicht. Sie haben eine stabilisierende Wirkung und verstärken die geltenden Ordnungen und Hierarchien. Sie vermitteln und fördern ein bestimmtes Wissen, welches sich die Ritualteilnehmer durch ihr Mithandeln und nicht durch einen rationalen Diskurs aneignen. Wer an einem Ritual teilnimmt, nimmt an einer Handlung teil, die nicht seinem Denken und Wollen entspringt, er nimmt an etwas Höherem teil, über was er nicht verfügt, dem er sich aber durch seine Partizipation unterstellt. Auch im Markusevangelium hat eine Lektüre, die sich auf rituelle Praktiken konzentriert, gezeigt, dass Jesus selbstverständlich Mitglied der mediterranen, hellenistisch-römischen Gesellschaft und Teil des jüdischen Volkes ist. Indem er gewisse rituelle Praktiken seines eigenen Volkes durch sein charismatisches Auftreten relativiert, der Individualität der menschlichen Situation unterordnet oder sogar dezidiert zurückweist, stört er die klaren Grenzen mancher jüdischer Gruppen- und Volksidentitäten. Dies zeigt sich am Besten an der Aufhebung von Reinheits- und Speisegeboten. Durch eine solche Distanzierung arbeitet der Verfasser an der spezifischen Identität seiner eigenen messianischen Jesusgruppe und ihres Gottesverhältnisses 39 , die sich mit ihrer rituellen Praxis anders als andere jüdische Gruppierungen definiert. Allerdings geschieht dies nicht durch neue, eigene Rituale, dafür ist der Grundcharakter dieser Gruppe noch zu charismatisch ungebunden. Zugleich fordert Jesus seine Anhänger und Gesprächspartner dazu auf, anstelle solcher Rituale die volle Verantwortung für das eigene Handeln entsprechend der Gebote zu übernehmen. Die Verantwortung für die Eltern kann nicht durch ein Ritual delegiert werden, sondern bleibt in der persönlichen Verantwortung. Der Evangelist richtet sich gegen ein bestimmtes Interaktionsritual, mit dem Kinder sich von ihren Unterstützungspflichten gegenüber ihren Eltern lösen konnten. Bei diesem Ritual spielt das Wort »Korban« eine entscheidene Rolle (Mk 7,11f.). Durch solche auf Jesus zurückgeführten Strategien haben sich die markinischen Gemeinden offensichtlich gezielt von ihrem jüdischen Kontext unterschieden, dem sie weiterhin zugerechnet werden müssen. Bemerkenswert ist, dass eine eigene rituelle Praxis in diesem Evangelium gerade nicht sichtbar wird. Die Nachfolge und damit die existenzielle Bindung an die Person Jesu entscheidet darüber, wer zu seiner Gruppe gehört. Zugleich scheint Jesus eine Erfahrung zu vermitteln, die mehr als ein Wissen ist. Sie ist ein mysterion (Mk 4,11). Dieses kann vielleicht als Ersatz für das rituelle Wissen, welches Jesus mit der Rückweisung der Reinheitsgebote untergräbt, gedeutet werden. Die Partizipation an dieser Erfahrung scheint ebenfalls darüber zu entscheiden, wer dazu gehört und wer nicht. Den Zwölfen ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben. 40 Denen »draußen«, die die anderen sind, wird alles in Gleichnissen zuteil (Mk 4,11). Die Ritualperspektive verlangt hier nach weiteren Untersuchungen unter Einbezug charismatischer Modelle: Mit welchen Strategien kann sich eine Gruppe soziologisch konstituieren, wenn sie sich partiell von dem sie umgebenden Ritualrahmen löst, aber auf die Einführung eigener Rituale verzichtet? »Zum gemeinsamen Nenner verschiedener Ritualtheorien gehört die gemeinschaftsfördernde Funktion von Ritualen. Rituelle Praktiken fördern die Unterscheidung, wer zu einer Gruppe gehört und wer nicht. Sie haben eine stabilisierende Wirkung und verstärken die geltenden Ordnungen und Hierarchien.« Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 18.05.2015 - Seite 51 - 2. Korrektur ZNT 35 (18. Jg. 2015) 51 Peter Wick Übernahme und Zurückweisung von Ritualen und rituellen Praktiken im Markusevangelium 7. Fazit Der Einbezug der Ritualforschung in die neutestamentliche Wissenschaft verspricht neue Fragestellungen und Erkenntnisse und ermöglicht eine weitere spezifische Profilierung der Evangelien und der Paulusschriften untereinander. Obwohl die Tradition von Paulus und die von Markus zum letzten Mahl Jesu ähnlich sind, führt Paulus bei den Korinthern im Gegensatz zu Markus ein Ritual ein, das immer wieder in den Gemeinden vollzogen wird (1Kor 11,23-26), das rituelles Wissen und Teilhabe vermittelt. Auch nach Lukas soll dieses Mahl zur rituellen Praxis der Gemeinde gehören (Lk 22,19). Matthäus spricht von einer tieferen bleibenden rituellen Einbettung seiner Adressaten in das Judentum und zugleich von eigenen rituellen Praktiken, wie unter anderem die Gemeinderegel (Mt 18,15-20) und der trinitarische Taufbefehl (Mt 28,18-20) zeigen. Doch auch bei Markus kann-- so betrachtet-- keineswegs davon die Rede sein, dass Jesus gegen jede rituelle Gestaltung der Gottesbeziehung war. 41 So wird deutlich, dass eine konsequente und kritische Rezeption der Ritualforschung ein Desiderat der neutestamentlichen Forschung ist. Da die neutestamentlichen Schriften Zeugnisse einer charismatischen Bewegung sind, die sich sowohl von Ritualen distanziert, als auch neue schafft, muss die Ritualforschung mit der Charismatismusforschung konsequent verbunden werden. Weshalb schafft der Charismatiker Jesus im Markusevangelium keine neuen Rituale und weshalb tut er das im Matthäusevangelium? Bezeugt das Matthäusevangelium damit eine verstärkte Institutionalisierung des ursprünglichen Charismas? Oder gibt es weitere Deutungsmöglichkeiten, in die sich auch Paulus als charismatische Führungspersönlichkeit mit seinen Briefen integrieren ließe? Anmerkungen 1 Eine hilfreiche Übersicht bietet A. Belliger/ D. J. Krieger, Ritual und Ritualforschung, in: dies. (Hgg.), Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, Wiesbaden 5 2013, 7-34. 2 Vgl. C. Strecker,. Die Liminale Theologie des Paulus. Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive (FRLANT 185), Göttingen, 1999, 40-71. 3 Diese Arbeit beruht auf folgenden Vorarbeiten, die hier nicht eigens zitiert werden: P. Wick, Die urchristlichen Gottesdienste. Entstehung und Entwicklung im Rahmen der frühjüdischen Tempel-, Synagogen- und Hausfrömmigkeit (BWANT 150), Stuttgart u. a. 2002; P. Wick, Das antike Judentum, in: L. Bormann, Neues Testament. Zentrale Themen, Neukirchen-Vluyn 2014, 5-25. 4 Vgl. Mischna Pessachim 10,3. 5 So auch Philo Spec Leg 2,145. 6 Vgl. S. Safrai, The Temple and the Divine Service, in: M.-Avi-Yonah (Hg.), The World History of the Jewish People 7. The Herodian Period, Jerusalem 1975, 282-337, 309. 7 So L. I. Levine, Jerusalem, Protrait of the City in the Second Temple Period (538 B. C. E.-- 70 C.E.), Philadelphia 2002, 236. 8 So J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus (Bd. 2, EKK 2/ 2), Zürich [u. a.]/ Neukirchen-Vluyn 1979, 129; auch G. Guttenberger, Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123), Berlin [u. a.] 2004, 158f. (s. besonders Anm. 217). 9 So P. Dschulnigg, Das Markusevangelium (ThKNT 2), Stuttgart 2007, 300; 302 mit anderen (s. Anm. 42). 10 Vgl. auch H.L. Strack/ P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, München 1924, Bd. II, 27. 11 J. Ernst, Das Evangelium nach Markus (RNT), Regensburg 1981, 329. 12 Levine, Jerusalem, 232-237. 13 V. Gäckle, Allgemeines Priestertum. Zur Metaphorisierung des Priestertitels im Frühjudentum und Neuen Testament, Tübingen 2014, bes. 299-310. Gäckle bietet viele weitere Literatur und zeigt mit seiner akribischen Untersuchung von frühjüdischer Tempelkritik, dass im Vergleich dazu in dieser Perikope jegliche Kritik am Priestertum fehlt (303), die Aktion Jesu nicht auf das Gebäude bezogen ist (307) und nicht als grundsätzliche Opposition von Jesus gegen das Heiligtum gedeutet werden kann (307). Mit vorwiegend theologischen Argumenten deutet er dennoch die Unterbindung des Geldumtauschs und Handels als Funktionsstörung gegenüber dem Kult, die diesen symbolisch unterbindet (302; 307). 14 So mit überzeugenden Argumenten gegen den älteren Forschungskonsens F. Avemarie, Jesus and Purity, in: ders. (Hg.), Neues Testament und frührabbinisches Judentum. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 2013, 407- 432; 409-415, bes. 415; zuerst in: R. Bieringer/ F. García Martínez/ D. Pollefeyt/ P. J. Tomson (Hgg.), The New Testament and Rabbinic Literature (JSJ Suppl. 136), Leiden 2010, 255-279. 15 Zur Diskussion in Bezug auf Markus s. ausführlich Guttenberger, Gottesvorstellung, 133-147, bes. 141f. 16 J. K. Zangenberg, Pure Stone: Archaeological Evidence for Jewish Purity Practices in Late Second Temple Judaism (Miqwa’ot and Stone Vessels), in: Chr. Frevel/ Chr. Nihan (Hgg.), Purity and the Forming of Religious Traditions in the Ancient Mediterranean World and Ancient Judaism, Leiden 2013, 539-572, bes. 53ff.; 543; 546. 17 J. Neusner, The Idea of Purity in Ancient Judaism, Leiden 1973, 69: »The extension of the Temple purity rules to the household might be seen as an expression of extreme piety. As his presence is everywhere, so we should always behave as if we were in the Temple, that is, in his presence.« Ähnlich E. Regev, Pure Individualism. The Idea of Non-Priestly Purity in Ancient Judaism, JSJ 31 (2000), 176-202; 186- 199, der besonders das Moment der Konkurrenz betont. Zeitschrift für Neues Testament_35 typoscript [AK] - 18.05.2015 - Seite 52 - 2. Korrektur 52 ZNT 35 (18. Jg. 2015) Zum Thema 18 F. Avemarie zeigt mit guten Argumenten, wie trotz der Verallgemeinerung im Text vor allem von einer Distanzierung Jesu von gewissen pharisäischen Praktiken und bestimmten levitischen Regeln ausgegangen werden muss, dass Jesus sich aber keineswegs vom jüdischen Reinheitsdiskurs abgekoppelt hat, sondern in dessen Rahmen mehr Gewicht auf die Verunreinigung durch Sünde und Reinigung durch Heilung legt; vgl. Avemarie, Puritiy, 415-425. 19 Dazu ausführlich M. Klinghardt, Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft, Soziologie und Liturgie frühchristlicher Mahlfeiern (TANZ 13), Tübingen [u. a.] 1996, 55- 60; 99-129. Vgl. auch den Artikel »Gastmahl«, Der Neue Pauly, H. Cancik/ H. Schneider/ M. Landfester (Hgg.), Bd. 4, II P. Schmitt-Pantel, II Griechenland, c. Symposien 801-803, 802; G. Binder, III Rom 803-806, bes. 804f. 20 Bemerkenswerterweise alterniert er diese Wörter in derselben Weise, wie er das zwischen der Speisung der Fünftausend und der Viertausend beim Segen/ Danke über die Brote tut. 21 Vgl. M. Klinghardt, Bund und Sündenvergebung. Ritual und Literarischer Kontext in Mt 26, in: M. Klinghardt/ H. Taussig (Hgg.), Mahl und religiöse Identität im frühen Christentum, Tübingen 2012, 159-190, 167f.; vgl. auch J. Heilmann, Wein und Blut. Das Ende der Eucharistie im Johannesevangelium und dessen Konsequenzen (BWANT 204), Stuttgart 2014, 85f. 22 Dies ist hier ganz im Gegensatz zu 1Kor 11,23-26 formuliert. Dort wird die Wiederholung dieses Mahles vorausgesetzt und gefordert. Dieses Mahl ist offensichtlich ein wichtiges Ritual für die Gemeinde in Korinth. Doch weshalb ist im ungefähr zwei Jahrzehnte später geschriebenen Evangelium dieser wiederholende, rituelle Charakter nicht zu finden? Kennt der Evangelist keine rituelle Herrenmahlpraxis in seinen Gemeinden? Versucht er in seiner Jesusdarstellung die Erinnerung an ihn als radikalen Charismatiker wachzuhalten, bei dem das Rituelle ganz in den Hintergrund getreten ist? Diese Frage bedarf ausführlicherer Analysen, als das hier möglich ist. 23 Dazu, im Anschluss an Max Weber, W. Gebhardt, Charisma als Lebensform. Zur Soziologie des alternativen Lebens, Schriften zur Kultursoziologie 14, Berlin 1994, 34ff. 24 Vgl. U. C. von Wahlde, The Relationships between Pharisees and Chief Priests. Some Observations on the Texts in Matthew, John and Josephus (NTS 42), 1996, 506-522, 521f. 25 Dazu L.H. Schiffman, Community Without Temple: The Qumran Community’s Withdrawal from the Jerusalem Temple, in: B. Ego/ A.Lange/ P. Pilhofer (Hgg.), Gemeinde ohne Tempel (WUNT 118), Tübingen 1999, 267-284; 269-272. 26 Vgl. dazu die Einleitung von A. Belliger/ D. J. Krieger, Ritual und Ritualforschung, in: dies. (Hgg.), Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, Wiesbaden 5 2013, 13. 27 Ebd., 15. Vgl. hierzu besonders den Aufsatz von D. I. Kertzer, Ritual, Politik und Macht, in: A. Belliger/ D. J. Krieger (Hgg.), Ritualtheorien, 361-386. 28 Belliger/ Krieger, Ritual und Ritualforschung, 21. 29 Vgl. Belliger/ Krieger, Ritual und Ritualforschung, 15, mit besonderem Bezug auf den Aufsatz von Kertzer (vgl. FN 18). 30 So der Verweis von Belliger/ Krieger, Ritual und Ritualforschung, 15f. auf A. Bergesen, Politische Hexenjagd als Ritual, in: A. Belliger/ D. J. Krieger (Hgg.), Ritualtheorien, 261-280. 31 Weitere Hinweise finden sich bei Belliger/ Krieger, Ritual und Ritualforschung, 16 und bei M. Douglas, Ritual, Reinheit und Gefährdung, in: A. Belliger/ D. J. Krieger (Hgg.), Ritualtheorien, 77-96. 32 Ausführlich nachzulesen im Aufsatz von V. Turner, Liminalität und Communitas, in: A. Belliger/ D. J. Krieger (Hgg.), Ritualtheorien, 247-258. 33 So die Zusammenfassung von Belliger/ Krieger, Ritual und Ritualforschung, 17. Vgl für die weitere Darstellung J.Z. Smith, Ritual und Realität, in: A. Belliger/ D. J. Krieger (Hgg.), Ritualtheorien, 209-222. 34 Belliger/ Krieger, Ritual und Ritualforschung, 25. Vgl. dazu den Aufsatz von C. Humphrey/ J. Laidlaw, Die rituelle Einstellung, in: A. Belliger/ D. J. Krieger (Hgg.), Ritualtheorien, 133-154. 35 Ebd. 36 Vgl. Belliger/ Krieger, Ritual und Ritualforschung, 25-26. Ausführlich untersucht T.W. Jennings Jr. diesen Bereich in seinem Aufsatz Rituelles Wissen, in: A. Belliger/ D. J. Krieger (Hgg.), Ritualtheorien, 155-170. 37 Ebd. 38 Vgl. ebd. 39 So auch G. Guttenberger, Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (Beiheft zur ZNWKAK 123), Berlin [u. a.] 2004, 144. 40 E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus, Göttingen 1963, 83. 41 Gegen Guttenberger, Gottesvorstellung, 161.