eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 18/36

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2015
1836 Dronsch Strecker Vogel

Matthias Konradt Das Evangelium nach Matthäus (Das Neue Testament Deutsch Neues Göttinger Bibelwerk – Neubearbeitungen – Band 001) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Academic 2015 XVI, 507 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-51341-5 Preis: 49,99 €

121
2015
Olaf Rölver
znt18360077
Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 77 - 4. Korrektur ZNT 36 (18. Jg. 2015) 77 seine Rede von der basileia Gottes als eine Gegenerzählung interpretiert, die die vorhandene, real existierende Gesellschaftsordnung umkehrt (82-111). Das 4. Kapitel »Destitution« widmet sich im Wesentlichen Mt 8,20. Myles Exegese weist Jesus als denjenigen aus, der in der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung keinen Platz hat. Jesus wird in der Lesart von Myles zu einem »Teil«, das keinen Anteil an den vorhandenen sozio-ökonomischen Strukturen hat (112-134). Im nächsten Kapitel-- »Rejection«-- zeigt der Autor auf, wie dieses Ausschlussverfahren sich auch auf den Weg Jesu ausweitet und letztendlich in Verrat und Verwerfung mündet (135- 162). Das letzte exegetische Kapitel mit der Überschrift »Extermination« zeigt einen matthäischen Jesus, dessen Tod am Kreuz der erwartbare Höhepunkt einer Exklusions- und Isolationsgeschichte ist, deren Strukturmerkmal die Obdachlosigkeit Jesu ist: »…the extermination of an expendable excess to the normal functioning of the economic order fails to account for its own complicity in producing those who fall outside of the system« (190). Mit frischem und parteiischem Blick auf ein Thema, das mit Aktualität in unser gegenwärtiges Zeitgeschehen drängend hineinragt, werden durch Myles Arbeit neue Einsichten in das Matthäusevangelium ermöglicht. In aller Deutlichkeit zeigt der Autor dabei auf, dass es keine ideologiefreie Interpretation biblischer Texte gibt. Wer das nicht anerkennen mag, wird sich mit der Lektüre des Buches »The Homeless Jesus in the Gospel of Matthew« schwer tun und auch Myles Werk-- wie das des eingangs erwähnten Künstlers- - für nicht zumutbar halten. Dennoch trifft auch für Myles Arbeit an mehreren Stellen die Feststellung von Terry Eagleton zu: »[…] Ideologie (ist) wie Mundgeruch immer das, was die anderen haben.« (rez. von Kristina Dronsch) Matthias Konradt Das Evangelium nach Matthäus (Das Neue Testament Deutsch Neues Göttinger Bibelwerk-- Neubearbeitungen - Band 001) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Academic 2015 XVI, 507 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-51341-5 Preis: 49,99 € In der Vergangenheit sind eine ganze Reihe hochwertiger Kommentare zum Matthäusevangelium im deutschsprachigen Raum erschienen, die sehr unterschiedliche Schwerpunkte bei der Auslegung setzten. Der monumentale vierbändige Kommentar von Ulrich Luz (1985 ff.) zum Beispiel bezog die Wirkungsgeschichte des Textes konsequent in die Auslegung ein; der zweibändige Kommentar von Hubert Frankemölle (1994 ff ) arbeitete rezeptionsästhetisch; einen Schwerpunkt auf im jüdisch-christlichen Gespräch behandelte Themen setzte der Kommentar von Peter Fiedler (2006), der insbesondere die jüdische Perspektive des Textes herausstrich und Rupert Feneberg sah das Matthäusevangelium als eine Schrift für eine heidenchristliche Gemeinde neben der Synagoge an und stellte seinen Kommentar (2009) unter diese Leitperspektive. Nun ist in der Reihe »Das Neue Testament Deutsch« der Kommentar des Heidelberger Ordinarius Matthias Konradt (im Folgenden K.) erschienen. Der Klappentext verspricht, dass in diesem Kommentar »zusammen mit der kompositorischen Gestaltung und den dichten Bezügen auf das Alte Testament besonders die theologische Linienführung herausgearbeitet« werde. Mit 507 Seiten Umfang legt K. den umfangreichsten Band der bisher erschienenen Neubearbeitungen in der Kommentarreihe NTD vor. Den Vorgaben der Reihe gemäß kommt das Buch ohne griechische Schrift und ohne Anmerkungen aus. Gelegentliche Hinweise auf die Fachliteratur werden mit Kurztiteln eingestreut, ausgewählte Literaturhinweise und ein umfangreiches Stellenregister runden den Band ab. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur hat K. in seiner gewichtigen Monographie zur Ekklesiologie des Matthäusevangeliums »Israel, Kirche und die Völker im Matthäusevangelium (WUNT 215), Tübingen 2007« sowie in einer ganzen Reihe von Aufsätzen zum Matthäusevangelium vorgelegt; hier konzentriert er sich nun ganz auf den biblischen Text. Vor der Kommentierung der einzelnen Perikopen findet sich eine kurze Einleitung in Grundfragen der Matthäusexegese, in denen K. seine Sicht der Dinge bündig zusammenfasst (1- 24). K. sieht im Matthäusevangelium einen in den 80er Jahren des 1. Jh.s vermutlich in Südsyrien entstandenen Text eines christusgläubigen Juden, der für eine mehrheitlich jüdisch geprägte Adressatenschaft schreibt, die sich in einem bedrängenden Konflikt mit ihrer jüdischen Umwelt befindet (17-24). Vor diese Einleitungsfragen stellt K. jedoch einige Überlegungen zu Grundcharakteristika und theologischen Themen des Matthäusevangeliums, wodurch die Schwerpunktsetzung des Kommentars bereits klar erkennbar wird. Das Matthäusevangelium ist, wie K. richtig sieht, ein sorgfältig durchkomponiertes Ganzes mit zahlreichen intertextuellen Bezügen. Textwahrnehmungen, die Matthäus lediglich für einen Tradenten oder Redaktor seiner Quellen halten, scheiden so von Vornherein aus. K. schlägt eine Gliederung in sechs gleichberechtigte Teile (1,2- 4,16/ 4,17-11,1/ 11,2-16,20/ 16,21- 20,34/ 21,1-25,46/ 26,1-28,20) vor, die im Kommentar mit römischen Ziffern gezählt werden. Als besonders bedeutsa- Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 78 - 4. Korrektur 78 ZNT 36 (18. Jg. 2015) Buchreport me theologische Themen nennt K. die Christologie, die Ekklesiologie und das Schriftverständnis. Diese drei Themen werden zu Leitlinien seiner Auslegung. Die intra- und intertextuellen Bezüge arbeitet K. bei jeder Perikope extensiv heraus. Die Auslegung jeder Perikope beginnt mit kurzen Hinweisen zur Gliederung des Teiltextes und zur Quellenkritik, die aber nur dann ausführlicher in den Blick genommen werden, wenn sich dadurch die Schwerpunktsetzungen des matthäischen Textes besser erkennen lassen. Weitaus mehr Aufmerksamkeit erhalten die Querverweise innerhalb des matthäischen Textes, die sorgfältig nachgezeichnet werden, so dass der Text als ganzer stets im Blick bleibt. Bezüge auf die Schrift, aber auch auf disparate Traditionen aus frühjüdischen Schriften werden ausgiebig notiert, und häufig werden die intertextuellen Bezüge für ein Verstehen des matthäischen Textes ausgewertet. Beispielhaft ist etwa die Einordnung der sog. »Antithesen« (5,21-48) in die frühjüdischen Diskussionen der Zeit, durch die deutlich wird, dass es sich hier um Toraauslegung Jesu im Rahmen der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Auslegungen von »Pharisäern und Schriftgelehrten« handelt, nicht etwa um eine Ablösung der Tora durch die Lehre Jesu (79). An anderen Stellen kommt die Auswertung der Schriftbezüge dem begrenzten Umfang des Kommentars geschuldet etwas zu kurz. Die zahlreichen Stellenangaben aber regen hier zum vertiefenden Studium an. In der Versuchungserzählung (4,1-11) oder in der Episode von der Flucht der Hl. Familie nach Ägypten (2,13-15) haben die Schriftbezüge ja eine theologische Funktion und dienen nicht nur dazu, der Erzählung »biblisches Kolorit« zu verleihen (so 44.55-- ähnlich 186 [zu 11,21-24]). Ein großer Verdienst des Kommentars ist es, den Nachweis zu führen, dass Matthäus die theologischen Traditionen Israels aufnimmt und seine ethische Unterweisung positiv an die Tora anbindet, um mit seiner »Gesetzesauslegung den hinter [- wieso ›hinter‹? O.R.] den Geboten stehenden Gotteswillen umfassend« aufzudecken (16). Dazu bedient sich Matthäus einer Hierarchisierung der Toragebote, wie dies auch aus dem Diasporajudentum bekannt ist. K. unterstreicht zu Recht, dass die Kirche Israel nicht »ersetzt«, sondern den Gottesvolkgedanken transformiert und universalisiert. In diesem Zusammenhang betont K. allerdings stark, dass die Gemeinde »die wahre Sachwalterin der theologischen Traditionen Israels« (2) sei, die »einzig legitime Sachwalterin« (13) und Jesus für Matthäus »der eine, der den Menschen den Willen Gottes auf der Basis von Tora und Propheten […] erschlossen hat« (76). Wenn das in dieser Exklusivität zutrifft, dann tut Matthäus doch nichts anderes, als dass er »dem Judentum das Alte Testament wegnimmt«, wie dies schon Ulrich Luz in aller Klarheit auf den Punkt gebracht hat (Die Erfüllung des Gesetzes bei Matthäus, in: ZThK 75 (1978) 398-435, hier: 427). Diesem Ausschließlichkeitsanspruch entspricht, dass K. 5,20 als einen Satz über den »Heilsausschluss« der Pharisäer und Schriftgelehrten versteht (76); auch 21,31 (»Amen, ich sage euch, dass die Zöllner und die Huren euch vorangehen in das Reich Gottes«) versteht K. so, dass das »›Tor‹ zum Himmelreich […] geschlossen wird, bevor die Autoritäten eintreten können« (331); und auch in 23,2 f. findet K. keinen Hinweis auf eine prinzipiell anerkannte Halacha der Pharisäer und Schriftgelehrten, sondern sieht hier lediglich die soziale Realität konstatiert und wertet 23,3a (»Alles nun, was sie euch sagten, tut und haltet«) als ironische Aussage (355). Hier ist zu fragen, ob dieser schrifthermeneutische Ausschließlichkeitsanspruch mit dem Signum der Endgültigkeit exegetisch zutrifft, oder nicht spätere ekklesiologische Überlegungen in den Text zurückprojiziert. Auf der Ebene des Matthäusevangeliums findet doch die polemisch überzeichnete Auseinandersetzung mit den jüdischen Gegenspielergruppen noch innerhalb der jüdischen religiösen Kultur statt. Weder exegetisch noch ethisch taugen die gegnerischen Autoritäten als Vorbilder und bedürfen der Umkehr (3,7 f.; 4,17 u. ö.). Aber der Streit wird in Israel um der Zukunft Israels willen geführt-- und dazu gehören nach wie vor auch die Gegner, die für sich allerdings keine Privilegien mehr beanspruchen können. Sachlich geht es nach der Zerstörung Jerusalems deswegen nun darum, sich in handlungsorientierter Perspektive neu auf den Willen Gottes auszurichten und die »bessere Gerechtigkeit« (5,20) zu praktizieren. Auch gegenüber anderen Schriften des frühen Christentums erhebt laut K. das Matthäusevangelium einen Alleinanspruch. Insbesondere im Blick auf eine seiner beiden Hauptquellen sei das Evangelium »markuskritisch, wenn nicht […] antimarkinisch« (21), das gelte im Blick auf die Christologie, das Toraverständnis und die Rolle der Jünger. Matthäus schreibt also seinen Text, um das Markusevangelium zu verdrängen. Das ist ohne Frage eine bedenkenswerte These. Das Matthäusevangelium ist ein kirchliches Evangelium, die Ekklesiologie spielt in ihm bereits eine wichtige Rolle, und die geschilderte Situation der Jünger ist transparent auf die Situation der matthäischen Gemeinde. K. legt in seiner Auslegung einen Schwerpunkt auf dieses Thema und kann eine pointierte Wahrnehmung des matthäischen Textes vorlegen. »Der Bau der ecclesia ist […] für Matthäus ein Werk des Auferstandenen« (262), durch das die Heilsgemeinde entsteht, die mit der Jüngerzelle in Israel beginnt und nachösterlich für Menschen aus allen Völkern offensteht. Den scheinbaren Widerspruch zwischen 10,6 und 28,19 löst K. chronologisch auf: Während vor Ostern der »Radius der Mission« begrenzt ist (162), beginnt der universale »Bau der Kirche […] ›erst‹ mit der nachösterlichen Sendung« Jesu, wobei auch die Sammlung Israels Aufgabe der Jünger bleibt (464). Interpretationen, wonach Israel nach Ostern ausgeschlossen werde, weist K. deswegen scharf zurück (463f ). Das Thema Ekklesiologie macht K. zu einem Leitthema seiner Auslegung, daher erhält die Auslegung der einschlägigen Stellen (16,13-20; 18,15- 20; 26,17-29) besonderes Gewicht. Der souveräne Einsatz theologischer Fachsprache macht den Kommentar anschlussfähig für Diskussionen in anderen theologischen Fächern und hält so wichtige Impulse für kirchliches Denken bereit. Was z. B. könnte es bedeuten, »dass Kirche für Matthäus wesenhaft missionarisch ist« (12)? Ohne Frage ist auch die Christologie ein zentrales Thema im Matthäusevan- Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 13.11.2015 - Seite 79 - 4. Korrektur ZNT 36 (18. Jg. 2015) 79 gelium, das schon in 1,1 eindrucksvoll angeschlagen wird. K. arbeitet sorgfältig heraus, dass Matthäus die davidische Messianität Jesu zu einem Leitmotiv seiner Jesusgeschichte macht, und wie er das Nebeneinander von Davids- und Gottessohnschaft Jesu entfaltet (7). Der soteriologisch bedeutsame Tod Jesu »für die Vielen« (26,28) ist der Grund für die Zuwendung des Heils auch zu den Völkern nach seiner Auferstehung (10). In seinen Textauslegungen geht K. diesen Zusammenhängen immer wieder nach. Der christologische Aspekt rückt allerdings gelegentlich mehr ins Zentrum, als es der matthäische Text nahelegt. Im Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl (22,1-14) z. B. sieht K. in dem »Sohn« den zu Gott erhöhten Gottessohn Jesus und deutet deswegen das gesamte Gleichnis auf das nachösterliche missionarische Wirken der Jünger, in den Ersteingeladenen sieht er dann die religiöse Führungsschicht, in den »Ersatzgästen« das einfache Volk (341). Doch ist der »Sohn« in diesem Text eher ein stumpfes Motiv, das für den weiteren narrativen Verlauf der Erzählung keine Rolle spielt. Nicht die Erhöhung des Gottessohnes ist der archimedische Punkt des Gleichnisses, sondern die Frage nach einer angemessenen Antwort auf die unverbrüchliche Einladung Gottes angesichts der Situation nach der Zerstörung Jerusalems (22,7). In der Auslegung der Gleichnisse insgesamt irritiert angesichts des sonstigen reflektierten Umgangs mit dem biblischen Text ein recht statischer, manchmal ans Allegorisierende grenzender Umgang mit Metaphern. Im Gleichnis vom »Schalksknecht« (18,23-35) z. B. sieht K. im König Gott, im Knecht einen begnadigten Sünder und in den Mitknechten Glieder der Gemeinde (293-295), im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (20,1-16) ist der Weinbergbesitzer Gott, die Lohnauszahlung der endgerichtliche Empfang des Heils, der Denar der Empfang des ewigen Lebens und die unterschiedlich lange Arbeitenden sind »Frühberufene und Spätberufene« (306-311-- ähnlich auch in den Auslegungen zu 21,33-46 und 22,1-14). Der Matthäuskommentar K.s zeichnet insgesamt ein weithin überzeugendes Bild der matthäischen Gemeinde in ihrer Konfliktsituation mit anderen jüdischen Gruppen bzw. Autoritäten, insbesondere den Pharisäern, die sich »im Rahmen eines innerjüdischen Differenzierungsprozesses« (19) abspielt. Für theologisch ausgebildete Leserinnen und Leser bietet das Werk fundierte Textinterpretationen und ist durch die zahlreichen Verweise ein äußerst wertvolles Hilfsmittel und eine wahre Fundgrube. Seinen Platz in der Reihe der wichtigen deutschsprachigen Kommentare zum Matthäusevangelium hat dieses Buch schon jetzt gefunden. (rez. von Olaf Rölver) Bruno Kern Theologie der Befreiung UTB S, 2013, 144 Seiten, €[D] 12,99/ SFr 18,70 ISBN 978-3-8252-4027-1 Die Theologie der Befreiung ist einer der wirkmächtigsten Ansätze systematischer Theologie aus jüngerer Zeit. Die Kenntnis von Geschichte, Methode und Hauptinhalten ist im Theologiestudium beider großer Konfessionen Grundvoraussetzung. Innerhalb des theologischen Diskurses wurden zentrale Gedanken der Theologie der Befreiung von vielen anderen Ansätzen systematischer Theologie rezipiert, etwa von der „Politischen Theologie“ (J. Moltmann, J.B. Metz), der Feministischen Theologie u.ä. Der Band fasst die Grundinformationen zu dieser wichtigen theologischen Strömung zusammen und erläutert sowohl die theologischen Grundlagen als auch die Auswirkungen in der Kultur und Kirche der Gegenwart. Die „Hinwendung zu den Armen“ im Christentum wird so greifbar und verständlich. Glossar und Chronologie vervollständigen den Überblicksband.