eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 20/39-40

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2017
2039-40 Dronsch Strecker Vogel

Sola Scriptura und Communio Sanctorum

121
2017
Karl-Wilhelm Niebuhr
znt2039-400127
Zeitschrift für Neues Testament Heft 39 / 40 20. Jahrgang (2017) Sola Scriptura und Communio Sanctorum Zum Verhältnis von Schriftgemäßheit und Kirchengemeinschaft Karl-Wilhelm Niebuhr Die meisten Fragen der Gestaltung kirchlichen Lebens, die uns heute beschäftigen, lassen sich nicht durch Verweise auf die Bibel beantworten� Das liegt zunächst einmal daran, dass die Bibel zu vielen dieser Fragen schlicht nichts sagt, weil sie sich ihren Autoren und Adressaten nicht stellten� Auch zu aktuellen Fragen der Ökumene kann die Bibel unmittelbar nichts sagen, weil es ‚Kirchen’ im Sinne heutiger, überregional verbreiteter Konfessionskirchen in biblischer Zeit noch nicht gab� Gleichwohl berufen sich alle christlichen Kirchen bei der Gestaltung ihres Lebens und Glaubens auf das Zeugnis der Heiligen Schrift, und die drei großen Konfessionsfamilien, die orthodoxen Kirchen, die römischkatholische Kirche und die Kirchen der Reformation, haben sich im Zuge der ökumenischen Bewegung immerhin soweit angenähert, dass sie der Schrift gegenüber allen sonstige „Bezeugungsinstanzen der Wahrheit“ eine maßgebliche Rolle zuweisen� 1 Trotz solcher Annäherung im Grundsätzlichen bleiben beim konkreten Umgang mit der Bibel im Zusammenhang kirchlicher Lehrbildung 1 Zum Begriff „Bezeugungsinstanzen der Wahrheit“, der im ökumenischen Dokument „Communio Sanctorum“ Verwendung findet, vgl� K�-W� Niebuhr, Biblisch-theologische Grundlagen des Communio-Begriffs im Zusammenhang der Ekklesiologie mit besonderem Bezug auf „Communio Sanctorum“, KuD 50 (2004), 90-125. - Da der folgende Beitrag als programmatischer Essay gedacht ist, erlaube ich mir, in den Fußnoten vorwiegend auf eigene Arbeiten zum Thema zu verweisen und auf die Fülle einschlägiger Sekundärliteratur aus Bibelwissenschaft, Kirchengeschichte und Systematischer Theologie nicht näher einzugehen� 128 Karl-Wilhelm Niebuhr offene Fragen, und die reformatorischen Kirchen haben aktuell wenig Grund, sich dabei den anderen Konfessionsfamilien als vorbildlich zu präsentieren� Mir scheint die Suche nach der Einheit der Kirche Jesu Christi im ökumenischen Kontext auch heute unaufgebbar� Freilich kann solche Einheit nicht mit dem „Text“ der Schrift identifiziert oder unmittelbar aus ihrem Wortlaut herausgelesen werden� Ein naiver Gebrauch des reformatorischen Grundsatzes sola scriptura ohne Reflexion der geschichtlichen Ursprungszusammenhänge der biblischen Zeugnisse und ihrer Auslegungsgeschichte bis in die spezifischen Konstellationen des frühen 16� Jahrhunderts hinein 2 und darüber hinaus wäre hermeneutisch genauso defizitär wie ein fundamentalistischer Biblizismus! Maßstab für die theologische Beurteilung von Lehrentscheidungen und Gestaltungsfragen kirchlichen Lebens ist vielmehr das gesamtbiblische Zeugnis, das durch Einordnung biblischer Einzeltexte in ihren kanonischen Zusammenhang und ihren biblisch-theologischen Horizont zu ermitteln und in hermeneutischer Reflexion mit Blick auf seine gegenwärtige Geltung zu entfalten ist� Um solche Einordnungen von Einzelaussagen der Schrift in ihren biblischtheologischen Zusammenhang nachvollziehbar vornehmen zu können, gebrauche ich im Folgenden das Denkmodell der Spannungseinheit� Nach diesem Modell kann eine komplexe Wirklichkeit als Einheit erfasst werden, ohne dass dabei einander widerstreitende Elemente ignoriert oder miteinander ausgeglichen werden müssen� Solche Spannungseinheit lässt sich m� E� im Zeugnis der Schrift auf drei verschiedenen Ebenen erkennen, im Zeugnis beider Testamente der Schrift vom Heil schaffenden Handeln des einen Gottes (1�), 3 im Zusammenhang zwischen dem Wirken, Weg und Geschick Jesu und dem Bekenntnis zu seiner Auferweckung von den Toten (2�) 4 und im Verhältnis zwischen dem einen Christusgeschehen und den vielfältigen Zeugnissen der Schrift, die auf dieses Geschehen verweisen (3�)� 5 2 Zur Kontextualität von Luthers Schriftverständnis und der sich darauf beziehenden Formel sola scriptura vgl� K�-W� Niebuhr, Gerechtigkeit und Rechtfertigung bei Matthäus und Jakobus� Eine Herausforderung für gegenwärtige lutherische Hermeneutik in globalen Kontexten, ThLZ 140 (2015), 1329-1348 (1331-1336). Zum reformatorischen Schriftprinzip und seinen Ursprüngen im Ablassstreit vgl� zuletzt F� Stengel, Sola Scriptura im Kontext� Behauptung und Bestreitung des reformatorischen Schriftprinzips (ThLZ�F 32), Leipzig 2016� 3 Vgl� dazu K�-W� Niebuhr, Schriftauslegung in der Begegnung mit dem Evangelium, in: F. Nüssel (Hg.), Schriftauslegung, Themen der Theologie 8, Tübingen 2014, 43-103 (54-69). 4 Vgl� dazu K�-W� Niebuhr, Jesu Wirken, Weg und Geschick� Zum Ansatz einer Theologie des Neuen Testaments in ökumenischer Perspektive, ThLZ 127 (2002), 3-22 (zum ökumenischen Aspekt bes. 6-12). 5 Vgl� dazu K�-W� Niebuhr, Welchen Jesus predigen wir? Überlegungen im Anschluss an Martin Kähler, Sacra Scripta 9 (2011 / 12), 123-142. Sola Scriptura und Communio Sanctorum 129 1. Die Spannungseinheit zwischen Altem und Neuem Testament Wenn sich die Kirche auch ursprünglich dem Christusgeschehen verdankt, von dem das Neue Testament Zeugnis gibt, so hat sie doch von Anfang an die Schriften Israels zu ihren theologischen Grundurkunden gerechnet und sie bald schon als „Altes Testament“ ihrer Heiligen Schrift eingeordnet� 6 Ebenso wie das Christuszeugnis der Gemeinden der Jesus-Anhänger 7 im Neuen Testament nicht losgelöst vom Israelzeugnis des Alten Testaments begründet und entfaltet werden kann, kann auch das Selbstverständnis der Christusgemeinden als von Gott erwähltes Volk der Heilszeit nicht ohne Bezug auf Israel zur Sprache gebracht und entfaltet werden� Bei der Beurteilung theologischer Aussagen im ökumenischen Gespräch über die Kirche heute muss daher das gesamtbiblische Zeugnis beider Testamente gehört werden� Im Rahmen einer biblischen Hermeneutik sind dabei beide grundlegenden Aussagezusammenhänge zur Geltung zu bringen: das Offenbarungszeugnis beider Testamente vom Heil schaffenden Handeln Gottes an Israel und seiner Schöpfung und das Offenbarungszeugnis des Neuen Testaments vom Christusgeschehen als endzeitlicher Vollendung dieses göttlichen Heilshandelns� Mit dieser Formulierung ist die Asymmetrie im 6 Die Sekundärliteratur ist uferlos; vgl� zuletzt den Überblick zur Kanongeschichte bei C� Markschies, Haupteinleitung, in: ders�/ J� Schröter (Hg�), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung� I� Band: Evangelien und Verwandtes, Teilbd� 1, Tübingen 2012, 1-180 (25-74). Zur Kanonbildung als einem theologisch relevanten Prozess vgl. T. Söding, Der Kanon des Alten und Neuen Testaments� Zur Frage nach seinem theologischen Anspruch, in: J�-M� Auwers / H� J� de Jonge (Hg�), The Biblical Canons (BEThL 163), Leuven 2003, XLVII-LXXXVIII� 7 Der Begriff „Jesus-Anhänger“, der darauf zielt, die für die neutestamentliche Zeit anachronistischen Begriffe „Christen“ oder „Kirche“ zu vermeiden („Gemeinde“ ist auch nicht viel besser), ist sicherlich eine Verlegenheitslösung� Man könnte ebenso gut von „Christus-Verehrern“ sprechen� Prof. Dr. Karl-Wilhelm Niebuhr, geb� 1956 in Neuruppin, 1994-1996 Professor für Biblische Theologie an der Technischen Universität Dresden, seit 1997 Professor für Neues Testament an der Friedrich-Schiller-Universität Jena� - Forschungsschwerpunkte: Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti; Kommentar zum Jakobusbrief ( EKK ); Anthropologie des Neuen Testaments; Katholische Briefe und Aposteltraditionen� 130 Karl-Wilhelm Niebuhr Verhältnis beider Testamente der christlichen Bibel zueinander erfasst� Während das Alte wie das Neue Testament vom Handeln Gottes an Israel und der ganzen Schöpfung einschließlich der Völker zeugt, kann von der endzeitlichen Vollendung des Handelns Gottes in Jesus Christus nur und erst das Neue Testament Zeugnis geben, wenngleich wiederum dieses neutestamentliche Zeugnis ohne die alttestamentlichen Zeugnisse über Gottes Handeln an Israel und seiner Schöpfung „in der Luft hängen“ würde� Damit ist gesagt, dass eine sachgemäße Verhältnisbestimmung zwischen beiden Testamenten im Rahmen des christlichen Glaubens vom Neuen Testament her vorgenommen werden muss� Einem jüdischen Selbstverständnis, das sich auf das Bundesverhältnis zwischen Gott und seinem Volk stützt, wie es in den Schriften Israels bezeugt wird, ist damit aber keineswegs der Boden entzogen, sondern vielmehr gleichermaßen Raum gegeben, wie der eigene, christliche Interpretationsanspruch auf das Alte Testament vom Christusglauben her gewahrt bleibt� Im Blick auf eine biblisch-theologisch begründete Rede von Ursprung und Wesen der Kirche sind allerdings Entsprechungen und Differenzen zwischen dem alttestamentlichen und dem neutestamentlichen Zeugnis in ein theologisch sachgemäßes Verhältnis zueinander zu setzen� Im Blick auf das Gottesverständnis kann dabei im Rahmen christlich-theologischer Lehrbildung von einer grundlegenden Identität beider Testamente gesprochen werden� Die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen ihnen besteht darin, dass ein heilsames Verhältnis zwischen Gott und Mensch nur von Gott her begründet werden kann, während Menschen dazu in der Lage sind, diese Gottesbeziehung zu zerstören� Ein solches Gottesverständnis liegt schon dem alttestamentlichen Erwählungsgedanken zu Grunde� 8 Im Neuen Testament ist es besonders in der paulinischen Theologie zum Tragen gekommen, wie sich exemplarisch an Röm 9-11 zeigen lässt, aber ebenso an der Reflexion des Paulus über seinen eigenen Weg vom Verfolger der Gemeinde Gottes zum Verkünder des Evangeliums� 9 Wenn also das Gesamtzeugnis der christlichen Bibel vom Neuen Testament her erschlossen werden muss, so können doch theologisch verbindliche Aussagen über die Kirche auch aus dem Alten Testament gewonnen werden� So kann christliche Theologie etwa am Beispiel Israels aus dem Alten Testament lernen und im Neuen bestätigt finden, dass die Kirche creatura verbi ist und angesichts ihrer Verfehlung des Gotteswillens ganz auf Gottes Barmherzigkeit und Vergebung angewiesen bleibt� Ebenso lernt sie im Alten Testament Gott schon als den kennen, der sich durch menschlichen Ungehorsam nicht von seinen 8 Vgl� nur die exemplarischen Gestalten Abraham und David nach Gen 12 und 1Sam 16� 9 Vgl� dazu K�-W� Niebuhr, Heidenapostel aus Israel� Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62), Tübingen 1992, 66-78.137-158. Sola Scriptura und Communio Sanctorum 131 heilsamen Intentionen abbringen lässt und Gemeinschaft mit ihm und untereinander gerade da ermöglicht, wo sie von Menschen für unmöglich gehalten wird� Im Gottesverständnis lässt sich also eine grundlegende Identität beider Testamente der christlichen Bibel feststellen� Darüber hinaus kann von einer heilsgeschichtlichen Verbindung zwischen dem Handeln Gottes an Israel und seinem endzeitlichen Handeln im Christusgeschehen gesprochen werden, sofern damit ein theologisches Urteil getroffen wird und nicht etwa ein historisches� Kontinuität besteht nämlich allein im berufenden Handeln des Gottes Israels, der der Vater Jesu Christi ist� Dieser Glaube impliziert nach Paulus, dass Gott seine Heilszusage an Israel einlöst, indem er aus Israel und den Völkern sein endzeitliches Heilsvolk beruft� 10 Auch das lukanische Doppelwerk ist buchstäblich von Anfang 11 bis Ende 12 in diesem Sinn ‚heilsgeschichtlich’ geprägt, wobei im Zusammenhang der lukanischen Geschichtsdarstellung die Zeugnisse der Schrift über „den Christus“ besonderes Gewicht erhalten� 13 Von daher kann die Beziehung zwischen den Heilszusagen an Israel im Alten Testament und den Heilserfahrungen der Kirche im Neuen auch im Sinn einer Typologie begriffen werden� In den Schriften des Neuen Testaments wird eine solche dezidiert christologische, eschatologische und ekklesiologische Interpretation alttestamentlicher Texte, abgesehen von den Evangelien und den Paulusbriefen, in besonders drastischer Weise im Hebräerbrief, 14 aber etwa auch im 1� Petrusbrief vollzogen� 15 Mit solchen typologischen Interpretationen ist aber keineswegs ausgeschlossen, vielmehr gerade sichergestellt, dass das Alte Testament als Gottes Wort der Kirche gegenüber auch sein eigenes Wort zur Geltung bringen kann� Es ist dies nach christlichem Verständnis aber eben das Wort des drei-einen Gottes, der mit Israel seinen Bund schließt und hält, dessen heilsamer Geist in Jesus aus Nazareth wirksam war und in seiner Gemeinde nach Ostern erfahrbar bleibt und der in Jesus Christus die Kirche aus Israel und den Völkern zu seinem endzeitlichen Volk berufen hat und vollendet� Schließlich lassen sich noch eine Fülle von metaphorischen Verbindungslinien zwischen alttestamentlichen Zeugnissen des Glaubens Israels und neutesta- 10 Vgl. exemplarisch Röm 9,22-24. 11 Vgl. besonders die Lobgesänge Lk 1,46-55.68-79; 2,29-32.34. 12 Vgl. Apg 28,23-28. 13 Vgl. Lk 24,25-27.45-49; Apg 2,29-36; 3,18; 8,5-12; 17,2 f. Vgl. zur heilsgeschichtlichen Konzeption des Lukas M� Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 26-33; ders�, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung (FS E� Plümacher), hg�v� C� Breytenbach / J� Schröter, AJEC 57, Leiden, Boston 2004, 253-284. 14 Vgl. bes. Hebr 3,1-6; 8,1-5. 15 Vgl. nur 1Petr 2,9f; 3,3-6.20 f. 132 Karl-Wilhelm Niebuhr mentlichen Zeugnissen des Glaubens der Kirche ziehen� Sie sind besonders für ekklesiologische Zusammenhänge bedeutsam� So können etwa kultische Motive aus der biblisch-jüdischen Überlieferung im Neuen Testament in metaphorischem Sinn rezipiert werden� 16 Die Rede von der Gemeinde als „Tempel Gottes“ 17 und von ihrer „Heiligkeit“ 18 ist ein klassisches Beispiel dafür, aber auch die von dem Apostel oder den Glaubenden als „Priestern“� 19 Zwischen den genannten Ebenen der Beziehungen von Altem und Neuem Testament zueinander ( Identität im Gottesverständnis, heilsgeschichtliche Kontinuität, Typologie, metaphorische Verbindungslinien ) ist in der theologischen Interpretation jeweils sorgfältig zu unterscheiden� Die Kirche verdankt sich dem berufenden Wirken des einen Gottes Israels, der im Alten Testament bezeugt wird und nach dem Zeugnis des Neuen Testaments als der drei-eine Gott geglaubt wird� Vom Glauben an den drei-einen Gott des Neuen Testaments her erschließen sich die Zeugnisse des Alten Testaments in differenzierter Weise als christliche Glaubensaussagen, die für die Kirche maßgeblich sind� Nur wenn die Zeugnisse der Schriften Israels vom christlichen Glauben her erschlossen werden, kann das Alte Testament ein theologisch konstitutiver Bestandteil der christlichen Bibel bleiben� 2. Die Spannungseinheit zwischen Jesu Wirken und der österlichen Verkündigung Das Neue Testament bezeugt Jesu Wirken, Weg und Geschick im Licht des Glaubens an seinen heilvollen Tod und seine Auferweckung von den Toten durch Gott� Der Glaube an Jesus als wahren Menschen und wahren Gott, der seinen dogmatischen Ausdruck in der „Zwei-Naturen-Lehre“ der altkirchlichen Bekenntnisse gefunden hat, prägt als Spannungseinheit schon die narrativen Zeugnisse von Jesus im Neuen Testament, die Evangelien� Im Blick auf eine biblische Begründung von Ursprung und Gestalt der Kirche spiegelt sich diese christologische Grundaussage in der Spannungseinheit zwischen der voröster- 16 Vgl� dazu K�-W� Niebuhr, Art�: Kult / Kultus� V� Neues Testament, RGG 4 4, 2001, 1809 f� 17 1Kor 6,19� 18 Vgl� dazu K�-W� Niebuhr, Heiligkeit und Heiligung im Rahmen der paulinischen Theologie, in: M� Illert / M� Schindehütte (Hg�), Theologischer Dialog mit der Rumänischen Orthodoxen Kirche� Die Apostoliziät der Kirche� 12� Begegnung im bilateralen Theologischen Dialog zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland (Goslar XII)� Heiligkeit und Heiligung� 13� Begegnung im bilateralen Theologischen Dialog zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland (Goslar XIII), ÖR.B 97, Leipzig 2014, 164-182. 19 Röm 15,16; 1Petr 2,5�9� Sola Scriptura und Communio Sanctorum 133 lichen Lebensgemeinschaft Jesu mit den von ihm berufenen Jüngern und der Gemeinschaft der österlichen Gemeinde mit Jesus Christus, die im Geschehen von Tod und Auferstehung gründet, wider� Diese Spannungseinheit kann anhand charakteristischer Merkmale des vorösterlichen Wirkens Jesu aufgewiesen werden, die erst im Zusammenhang mit dem Osterglauben einen für die Kirche maßgeblichen, biblischen Sinn erhalten� 20 Hier ist vor allem auf Formen des Wirkens Jesu hinzuweisen, die in der Exegese als prophetische Zeichenhandlungen beurteilt werden� 21 Damit sind Taten und Verhaltensweisen gemeint, die punktuell die Wirklichkeit der Gottesherrschaft unter den Lebensbedingungen und Sozialbeziehungen irdischen Lebens aufscheinen lassen� Diese Zeichenhandlungen werden in ihrem theologischen Sinn erst verständlich, wenn sie im Zusammenhang von Wirken, Weg und Geschick Jesu im Licht des Osterglaubens erfasst werden� Sie dürfen also nicht gegen den Osterglauben der Gemeinde ausgespielt, sondern müssen auf ihn bezogen werden� So ist die Berufung und Sendung des Zwölferkreises als zeichenhafte Wiederherstellung des Zwölf-Stämme-Volkes zu verstehen, dem die eschatologischen Verheißungen der Propheten gelten� 22 Der Zwölferkreis, in ihm besonders Petrus, repräsentiert mit seinem Zeugnis für die Auferweckung Jesu 23 aber zugleich auch die Kontinuität der von Jesus Berufenen über den Graben von Karfreitag hinweg - oder besser: durch das Grab des Gekreuzigten hindurch� 24 Hier hat die besondere Bedeutung der Apostel für die Kirche, und unter ihnen auch die des Petrus, ihren theologischen Grund� In diese österliche Gemeinschaft der Apostel können dann sogar Paulus und Jakobus, der Herrenbruder, einbezogen 20 Vgl� dazu die Reflexionen des katholischen Neutestamentlers Wilhelm Thüsing: Die neutestamentlichen Theologien und Jesus Christus� Grundlegung einer Theologie des Neuen Testaments� Bd� I: Kriterien aufgrund der Rückfrage nach Jesus und des Glaubens an seine Auferweckung, Münster 2 1996; Bd� II: Programm einer Theologie des Neuen Testaments mit Perspektiven für eine Biblische Theologie, Münster 1998; Bd� III: Einzigkeit Gottes und Jesus-Christus-Ereignis, hg�v� T� Söding, Münster 1999� 21 Wesentliche Impulse für die neutestamentliche Forschung auf diesem Gebiet sind von dem katholischen Neutestamentler Heinz Schürmann ausgegangen, vgl� bes�: Die Symbolhandlungen Jesu als eschatologische Erfüllungszeichen� Eine Rückfrage nach dem irdischen Jesus, BuL 11 (1970), 29-41.73-78 (bearbeiteter Nachdruck in: derselbe, Jesus - Gestalt und Geheimnis� Gesammelte Beiträge, hg�v� K� Scholtissek, Paderborn 1994, 136-156); Der Jüngerkreis Jesu als Zeichen für Israel (und als Urbild des kirchlichen Rätestandes), GuL 36 (1963), 21-35 (bearbeiteter Nachdruck in: Gestalt und Geheimnis, 64-84). 22 Vgl. Mt 10,1-4 / Mk 3,13-19 / Lk 6,12-16; Mt 10,5-14 / Mk 6,7-11 / Lk 9,1-6; Mt 19,28 / Lk 22,28-30. 23 Vgl. zu Petrus 1Kor 15,5; Lk 24,12 (Mk 16,7); Joh 20,2-10; 21,1-14.15-23, zum Zwölfer- (bzw. Elfer-) Kreis 1Kor 15,5; Lk 24,36-49; Mt 28,16-20; Joh 20,19-23.24-29. 24 Vgl� in der Reflexion des Paulus Röm 6,3 f� 134 Karl-Wilhelm Niebuhr werden, obwohl sie bekanntlich nicht zu den vorösterlichen Anhängern Jesu zählten� In der durch Begegnungen mit dem auferstandenen Christus begründeten Gemeinschaft der Apostel 25 wird also die Gemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern österlich transformiert� 26 Durch das Heilen Kranker lässt Jesus zeichenhaft erkennen, dass Gott den Menschen heil geschaffen hat und dass er alle Krankheit und alles Elend von Israel wegnehmen will, wie es die Propheten für die eschatologische Heilszeit verheißen haben� 27 In dieser prophetischen Verheißung und ihrer zeichenhaften Verwirklichung durch Jesu Heilungen wurzelt die Hoffnung der österlichen Gemeinde, dass Gott auch ihre gegenwärtigen Erfahrungen von Leid und Unheil in eschatologischen Jubel verwandeln wird� Die Vollmacht zum Vergeben von Sünden , durch die der vorösterliche Jesus in seinem heilenden Wirken und seinem Zuspruch von Vergebung zeichenhaft Gemeinschaft mit Gott bewirkt, 28 bildet in österlicher Transformation die Grundlage für das Geschehen der Sündenvergebung in Taufe und eucharistischem Mahl� Diesem Geschehen verdankt die Kirche ihre Existenz� Die Tischgemeinschaften Jesu , insbesondere die Einbeziehung von sozial und religiös Deklassierten, 29 lassen seinen Anspruch erkennen, als Repräsentant Gottes die zerstörte Sozialgemeinschaft in Israel zu heilen und im Vorgriff auf die eschatologische Vollendung schon jetzt ein Festmahl zu feiern, ein Anspruch, den auch der auferstandene Christus im eucharistischen Mahl gegenüber seiner Gemeinde erhebt� In seinem letzten Mahl erschließt sich Jesu „Proexistenz“ radikal in seiner Lebenshingabe für die Vielen� 30 Jesus stellt den Jüngern im Vollzug der Mahl- 25 Biblischer Schlüsseltext dafür ist 1Kor 15,3-11. 26 Vgl� dazu K�-W� Niebuhr, Gemeinschaft der Apostel� Das „Apostelkonzil“ als Bezugspunkt und Modell konziliarer Gemeinschaft in der Kirche, in: D� Heller / J� Schneider (Hg�), Die Ökumenischen Konzilien und die Katholizität der Kirche� Das elfte Gespräch im bilateralen theologischen Dialog zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland (ÖR.B 83), Frankfurt 2009, 46-69. 27 Vgl. Mt 11,2-6 / Lk 7,18-23 im Horizont von Jes 29,18; 35,5 f.; vgl. dazu K.-W. Niebuhr, Die Werke des eschatologischen Freudenboten (4Q521 und die Jesusüberlieferung), in: C� M� Tuckett (Hg�), The Scriptures in the Gospels (BEThL 131), Leuven 1997, 637-646. 28 Vgl. Mt 9,1-8 / Mk 2,1-12 / Lk 5,17-26; Lk 17,11-19; vgl. dazu K.-W. Niebuhr, Jesu Heilungen und Exorzismen� Ein Stück Theologie des Neuen Testaments, in: W� Kraus / K�- W� Niebuhr (Hg�), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie� Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum (WUNT 162), Tübingen 2003, 99-112. 29 Vgl. Mt 9,10-17 / Mk 2,15-22 / Lk 5,29-39; Mt 11,19 / Lk 7,34; Lk 15,1f.; 19,1-10. 30 Mt 20,28 / Mk 10,45� Der Begriff „Proexistenz“ als umfassendes Signum für die Lebens- und Sterbenshaltung Jesu geht auf H� Schürmann zurück, vgl� die Zusammenstellung seiner einschlägigen Aufsätze dazu in: Jesus - Gestalt und Geheimnis (s. Anm. 21), 268-345. Sola Scriptura und Communio Sanctorum 135 gemeinschaft proleptisch und zeichenhaft seine Lebenshingabe vor Augen und bezieht sie damit ein in sein Todesgeschick� In der Feier der Eucharistie wird der auferstandene Gekreuzigte gegenwärtig und schafft sich seine Gemeinde� Die Gemeinde erfährt im eucharistischen Mahl Gemeinschaft mit dem Auferstandenen im Vorgriff auf die endzeitliche Vollendung der Schöpfung� 31 3. Die Spannungseinheit zwischen dem Christusgeschehen und seinen Bezeugungen Schließlich ist die Spannungseinheit zwischen dem einen Christusgeschehen und seiner vielfältigen Bezeugung in den Schriften des Neuen Testaments zu bedenken� Auf der ekklesiologischen Ebene entspricht dem die Spannungseinheit zwischen der einen Kirche und den vielfältigen Gestaltungsformen kirchlichen Lebens, wie sie in den Konfessionen begegnet� Nach einem vergröbert als ‚katholisch’ zu bezeichnenden Einheitsmodell wird der kirchlichen Lehrtradition eine maßgebliche Funktion bei der Anerkennung der Schrift als Kanon zugeschrieben� Demgegenüber kommt nach einem grob gesagt ‚protestantischen’ Einheitsmodell der im Glauben wahrgenommenen Offenbarung des Christusgeschehens die maßgebliche Rolle bei der Erschließung der Schrift zu� In der Spannungseinheit zwischen dem Zeugnis der Schrift, das der Kirche vorgegeben ist, und ihrer Überlieferung in der und durch die Kirche liegen m� E� Recht und Grenzen beider Modelle eng beieinander� 32 Damit steht dem einen Christusgeschehen als Ausdruck des Handelns des drei-einen Gottes der ganzen Bibel die Pluralität menschlicher Bezeugungen in der Schrift gegenüber� Solche Pluralität menschlicher Wahrnehmungen des Handelns Gottes hat in der Bibel selbst ihr Urbild� Als Modellfall biblischer Pluralität kann die Geschichte vom Turmbau zu Babel gelten, 33 in neutestamentlicher Entsprechung dazu die Pfingstgeschichte� 34 Deren Pointe liegt gerade darin, dass erst die Gabe des Geistes Gottes es ermöglicht, aus der Vielfalt von Sprachen und Stimmen die Einheit stiftende Grundbotschaft der Kirche wahrzunehmen und zu verstehen� Das Neue Testament zeichnet sich nicht bloß durch eine Vielfalt von Zeugnissen aus, die alle auf das eine Grundgeschehen 31 1Kor 11,23-34; Mk 14,25. 32 Vgl. dazu näher K.-W. Niebuhr, Gerechtigkeit und Rechtfertigung (s. Anm. 2), 1346-1348; ders�, Rechtfertigung - der einzige Weg zum Heil? Zur Stellung der paulinischen Rechtfertigungslehre in der Soteriologie des Neuen Testaments, ThG 52 (2009), 2-15 (12-15). 33 Gen 11,1-9. 34 Apg 2,1-13. 136 Karl-Wilhelm Niebuhr von Gott in Christus verweisen� Diese Vielfalt ist in der Kirche auch noch kanonisch autorisiert! 4. Kirchengemeinschaft auf biblischer Grundlage Auch die Frage, wie die Einheit der Kirche in ihren Lebensformen Ausdruck finden soll, kann der beschriebenen Spannungseinheit von Einheit und Vielfalt nicht entzogen werden� Alle kirchlichen Entscheidungen, die sich auf die Schrift als Maßstab für die Gestaltung kirchlichen Lebens und kirchlicher Strukturen stützen, müssen sich der Frage aussetzen: Bleibt in ihnen die Spannungseinheit zwischen dem einen Christusgeschehen und seiner vielfältigen Bezeugung in der Schrift gewahrt oder wird sie durch einseitige Betonung und Durchsetzung spezifischer Gestaltungsformen kirchlichen Lebens gefährdet oder gar aufgehoben? Für eine skizzenhafte Reflexion dieser Prüffrage lege ich das Modell der Kirche als communio sanctorum zugrunde, das bekanntlich sowohl im Neuen Testament als auch in der Bekenntnistradition der Kirchen eine bedeutende Rolle spielt� Im Modell der communio sanctorum kommen die beiden Aspekte kirchlicher Wirklichkeit in den Blick, die dem biblischen Konzept von Gemeinschaft ( koinōnia / communio ) entsprechen: Teilhabe am Heilshandeln Gottes und Gemeinschaft der Glaubenden untereinander� Der Aspekt der Teilhabe kommt darin zum Ausdruck, dass die Kirche ihre Existenz, ihre Gemeinschaft mit Gott und untereinander, Gott verdankt ( creatura verbi ), der Aspekt der Gemeinschaft in der Ausgestaltung kirchlichen Lebens in der gottesdienstlichen Feier, im Miteinander-Leben der Glaubenden und in ihrer gemeinsamen Bezeugung des Evangeliums� Beide Aspekte kirchlicher Wirklichkeit zeigen sich in den Grundvollzügen kirchlichen Lebens: der Verkündigung des Evangeliums und der Feier der Sakramente� Die Teilhabe an dem Geschehen, in welchem Gott seine Kirche beruft und schafft, ist nicht denkbar und erfahrbar ohne die Gemeinschaft derer, die das Evangelium hören und die Eucharistie feiern� Im neutestamentlichen wie im altkirchlichen Sprachgebrauch kann mit dem Wort koinōnia / communio sowohl die Teilhabe an Gott im Christusgeschehen, insbesondere an den eucharistischen Gaben ausgedrückt werden als auch die Gemeinschaft derer, die diese Gaben im Glauben miteinander teilen� Für den neutestamentlichen Gebrauch von koinōnia 35 ist ein zweifacher Doppelsinn zu 35 Vgl� dazu N� Baumert, KOINONEIN und METECHEIN - synonym? Eine umfassende semantische Untersuchung (SBB 51), Stuttgart 2003; B� Rossing, Modelle der Koinonia im Neuen Testament und in der Alten Kirche, in: H� Holze (Hg�), Die Kirche als Gemeinschaft� Lutherische Beiträge zur Ekklesiologie (LWB.D 42), Genf 1998, 61-74; J. Reumann, Sola Scriptura und Communio Sanctorum 137 konstatieren: Das Wort bezeichnet zum einen sowohl die Teilhabe an etwas bzw� jemandem als auch die Gemeinschaft zwischen zwei voneinander unterschiedenen Wesenheiten; der Begriff bezeichnet darüber hinaus zum anderen die Gemeinschaft von Menschen mit Gott, und zwar wiederum hinsichtlich beider Aspekte der zuerst genannten Bedeutung, also sowohl die Teilhabe an der Wirklichkeit des dreieinigen Gottes als auch die innige Kommunikation zwischen Menschen und Gott� Ein verbindendes Element des koinōnia -Wortfeldes im Neuen Testament 36 liegt in dem Bezug von koinōnia auf Gott, der auch bei den Aussagen zur zwischenmenschlichen Gemeinschaft, etwa in einer christlichen Gemeinde, zwischen der Gemeinde und ihrem Apostel oder zwischen Mitarbeitern einer oder verschiedener Gemeinden, bestimmend bleibt� Eine ‚rein zwischenmenschliche’ Gemeinschaft ist den neutestamentlichen Autoren fremd� Wenn man nach Bezügen des neutestamentlichen koinōnia -Verständnisses zum Alten Testament sucht, kommt das Bundesverhältnis zwischen Gott und seinem Volk Israel in den Blick� 37 Mit diesem Kürzel lässt sich ein komplexes Überlieferungsfeld zusammenfassen, zu dem unter anderem der Gedanke der Berufung und Erwählung Israels, 38 die Gabe der Tora als Gemeinschaftsordnung, 39 die Zusage der Treue Gottes gegenüber seinem Volk, 40 die Ansage seines Gerichts angesichts der Vergehen Israels, insbesondere seiner Abkehr von Gott, 41 und die Gewissheit von der unendlichen Überlegenheit der Barmherzigkeit Gottes gegenüber seinem Gerichtszorn 42 gehören� Eine charakteristische Ausprägung innerhalb des Alten Testaments fand die Bundestheologie Koinonia in der Bibel� Ein Überblick, in: G� Gaßmann / D� Heller (Hg�), Santiago de Compostela 1993� Fünfte Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung 3� bis 14� August 1993� Berichte, Referate, Dokumente, ÖR 67 (1994), 37-69; J. Roloff, Die Kirche im Neuen Testament (GNT 10), Göttingen 1993, 100-110.234-238.273-276.307-309. 36 Vgl� zur exegetischen Orientierung J� Hainz, Art�: koinōnia , EWNT 2 2, 1992, 749-755; W� Popkes / E� D� Schmitz / K� Haacker / A� Huschke, Art�: Gemeinschaft, TBLNT 2 1, 1997, 712-722. 37 Einen knappen Überblick über die aktuelle alttestamentliche Forschungsdiskussion gibt J� C� Gertz, Art�: Bund� II� Altes Testament, RGG 4 1, 1998, 1862-1865; vgl. auch den Sammelband E� Zenger (Hg�), Der Neue Bund im Alten� Studien zur Bundestheologie der beiden Testamente (QD 146), Freiburg, Basel, Wien 1993, sowie die umfassende Monographie von P� J� Gräbe, Der neue Bund in der frühchristlichen Literatur unter Berücksichtigung der alttestamentlich-jüdischen Voraussetzungen (fzb 96), Würzburg 2001� 38 Vgl. exemplarisch Gen 12,1-3; Dtn 7,7-16; 32,8 f.; Hos 11,1-9; Jes 41,8 f. 39 Ex 19-34; Dtn 6,1-13; 26,16-19. 40 Vgl. Gen 17,7; Ex 3,1-15; Num 22-24; Jer 31,3. 41 Vgl. Jes 1,1-20; 5,1-7; Jer 25,1-13; Hos 4 f. 42 Vgl. nur Ex 34,6 f.; Jer 31,31-34. 138 Karl-Wilhelm Niebuhr im sogenannten ‚deuteronomistischen Geschichtswerk’, 43 eine andere in der theologischen Geschichtsdeutung der Prophetenbücher, 44 wobei die Querverbindungen zwischen beiden die in sich vielfältige Einheit des alttestamentlichen Gottes- und Geschichtsverständnisses dokumentieren� 45 Auch für diese bundestheologische Konzeption gilt, dass Gemeinschaft zwischen Gott und Menschen und Gemeinschaft von Menschen untereinander sich durchdringen� Menschen werden in die Wirklichkeit göttlichen Handelns einbezogen, indem sich Gott ein Volk erwählt� Auch das Israel des Alten Testaments ist in diesem Sinne creatura verbi � Die durch Gott in seinem erwählenden Handeln an Israel konstituierte Gemeinschaft verpflichtet zum Gehorsam gegenüber seinem Gebot und zur Solidarität untereinander� Die Identität des Gottesvolkes und sein heiles Gottesverhältnis werden nicht etwa durch Israels Gehorsam gegenüber der Tora begründet� Vielmehr ist es Gott, der durch die Gabe der Tora eine heilvolle Gottesbeziehung schafft und sie wiederherstellt, wenn sie durch den Ungehorsam Israels zerstört wurde� Die Tora ist also im Bundesverhältnis Ausdruck der Gegenwart Gottes bei seinem Volk, Ort erfahrener Gottesgemeinschaft� Dies wird besonders im Opferkult erfahrbar, wo Gott im Vollzug der Sühne Sündern Gemeinschaft mit ihm ermöglicht und bewirkt� 46 Dieses vom Bundesgedanken bestimmte Verständnis von Kult und Tora ist in frühjüdischer Zeit bestimmend� In der jüngeren Forschung zum antiken Judentum hat sich dafür in Folge der Arbeiten von Krister Stendahl, Heikki Räisänen, Ed P� Sanders und James D� G� Dunn, der Terminus ‚covenantal nomism’ eingebürgert� 47 Die Tora wird hier als Gnadengabe Gottes und Ausdruck der Er- 43 Vgl� dazu exemplarisch O� Kaiser, Der Gott des Alten Testaments� Theologie des Alten Testaments, Teil 1: Grundlegung, Göttingen 1993, 186-212. Zur jüngeren Diskussion in der alttestamentlichen Wissenschaft vgl� W� Dietrich, Art�: Deuteronomistisches Geschichtswerk, RGG 4 2, 1999, 688-692. 44 Vgl. Kaiser, Theologie 1 (s. Anm. 43), 213-262. 45 Zur Frage der Einheit der Gottesbezeugungen des Alten Testaments in ihrer Verschiedenheit vgl. Kaiser, Theologie 1 (s. Anm. 43), 157-162; siehe auch ders., Der Gott des Alten Testaments� Wesen und Wirken� Theologie des Alten Testaments, Teil 2: Jahwe, der Gott Israels, Schöpfer der Welt und des Menschen, Göttingen 1998, 9-28, sowie den gesamten Teil 3: Jahwes Gerechtigkeit, Göttingen 2003� 46 Auch hier soll zur Orientierung über die Forschungslage nur auf einen Lexikonartikel verwiesen werden: B� Ego, Art�: Kult / Kultus� IV� Altes Testament und Antikes Judentum, RGG 4 4, 2001, 1807-1809. 47 Vgl� zu Einzelnachweisen und zu den Konsequenzen eines solchen frühjüdischen Gesetzesverständnisses für die Deutung der paulinischen Rechtfertigungsaussagen K�- W� Niebuhr, Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, in: T� Söding (Hg�), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der „Gemeinsamen Erklärung“ von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund (QD 180), Freiburg, Basel, Wien 1999, 106-130, bes. 118-123. Sola Scriptura und Communio Sanctorum 139 wählung Israels verstanden� Toratreue ist die von Israel geforderte Antwort auf seine Erwählung durch Gott� Der im Bundesverhältnis stehende Israelit kann Übertretungen der Tora bereuen und die von Gott in der Tora bereitgestellten Sühnemittel (Buße, Opfer, Barmherzigkeitstaten) gebrauchen� Eine heilvolle Gottesbeziehung wird nicht durch Gesetzesgehorsam ‚erworben’, sondern ist als Voraussetzung für ein heilvolles Leben von Gott in der Schöpfung geschaffen� Toragehorsam ist nicht bloß Erfüllung von Geboten und Vermeidung von Übertretungen, sondern Bekenntnis zum Bund Gottes mit Israel und Ausdruck des Willens, den Bund nicht eigenmächtig zu verlassen oder zu zerstören� Für eine biblisch-theologisch verankerte Rede von communio als Ursprung und Wesen der Kirche sind die Entsprechungen und Differenzen zwischen dem alttestamentlichen Bundesgedanken und der im Christusgeschehen gründenden Gemeinschaft, von der das Neue Testament zeugt, in ein Verhältnis zueinander zu setzen� Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich dabei im Entscheidenden auf einen eschatologischen, einen christologischen und einen ekklesiologischen Aspekt konzentrieren� Der eschatologische Aspekt schlägt sich nieder in der Erfahrung des Geistes Gottes als Gegenwart� Die im Alten Testament verheißene Geistbegabung des Gottesvolkes wird in den Gemeinden der Jesus-Anhänger als gegenwärtig erfahren, wenngleich die Vollendung endzeitlicher Gottesgemeinschaft noch zukünftig aussteht� 48 Der christologische Aspekt zeigt sich in der Behauptung der neutestamentlichen Zeugen, dass im Christusgeschehen die Heilserwartungen Israels, vor allem die Erwartung des endzeitlichen Repräsentanten Gottes und Retters Israels, in ganz unerwarteter Weise wahr geworden sind, 49 nämlich in der Menschwerdung Gottes in Jesus aus Nazareth� Der ekklesiologische Aspekt wird darin sichtbar, dass nach dem Selbstverständnis urchristlicher Gemeinden das endzeitliche Gottesvolk im Christusgeschehen von Gott selbst neu konstituiert wird, indem er aus Israel und den Völkern Menschen zur Gemeinschaft im Glauben beruft� 50 5. Resümee Die Bibel bietet einen großen Reichtum an exemplarischen Texten, modellhaften Konzeptionen und grundlegenden theologischen Bestimmungen für das 48 Neben der Pfingstgeschichte in Apg 2 (vgl. bes. das Zitat aus Joel 3,1-5 in Apg 2,17-21) kann hier auf die paulinische Missionsverkündigung verwiesen werden, in deren Zusammenhang es zu Geisterfahrungen in den Gemeinden kam (vgl. 1Thess 1,6; Gal 3,1-3; 1Kor 12,1-3). 49 Vgl. als exemplarisches Beispiel die Szene der „Täuferanfrage“ Mt 11,2-6 / Lk 7,18-23, siehe dazu meinen Aufsatz: Die Werke des eschatologischen Freudenboten (s� Anm� 27)� 50 Vgl. hierzu noch einmal Röm 9,22-24, aber auch Eph 2,11-22. 140 Karl-Wilhelm Niebuhr Wesen und die Gestaltung kirchlichen Lebens� Dieser Reichtum wird durch einzelne biblische Begriffe oder Wortfelder wie koinōnia / communio nur unzureichend erfasst� Ebenso wenig erschließt er sich, wenn einzelne Texte oder Begriffe unmittelbar auf Gestaltungsformen oder -ziele kirchlichen Lebens übertragen werden� Vielmehr können die biblischen Zeugnisse ihre grundlegende und kritische Funktion für die Gestaltung kirchlichen Lebens nur in ihrem hermeneutisch reflektierten kanonischen Zusammenhang erfüllen� Dafür wurde hier ein mehrfach in sich differenziertes Modell von Spannungseinheiten im biblischen Zeugnis vorgeschlagen� Als charakteristisch für das biblische Verständnis von koinōnia / communio hat sich ein zweifacher Doppelsinn ergeben� Gemeinschaft ist zugleich Teilhabe und Kommunikation, Einssein und Gemeinsamkeit, und zwar im Verhältnis der Glieder der Gemeinschaft untereinander wie der Gemeinschaft zwischen ihnen und Gott bzw� Jesus Christus, also in horizontaler wie in vertikaler Hinsicht� Solche biblische koinōnia / communio hat nach dem Alten Testament ihre Grundgestalt im Bund Gottes mit seinem Volk Israel� Nach dem Neuen Testament wird dieser Bund im Christusgeschehen durch Gott endzeitlich vollendet� Für ein biblisch begründetes Verständnis von Gemeinschaft in der Kirche lassen sich gemeinschaftstheologische Aspekte fruchtbar machen, wie sie am Wirken Jesu in österlicher Perspektive abgelesen werden können� Das modell- und zeichenhafte Wirken Jesu, seine kompromisslose Lebensausrichtung am Willen Gottes, sein Ruf in die Gegenwart der Gottesherrschaft in seiner Nachfolge, seine bedingungslose Zuwendung zu denen am Rande der Gesellschaft, seine rücksichtslose Lebenshingabe für andere, all dies wurde in österlicher Transformation und in narrativer Ausgestaltung in den neutestamentlichen Schriften zur Lebensgrundlage für die Gemeinschaft der Jesus-Anhänger und Christus-Verehrer� Auch für Gestaltungsformen von Kirchengemeinschaft bietet das Neue Testament, in kanonischer Perspektive gelesen, verschiedene Modelle an, etwa nach paulinischer Missionspraxis ein Modell geistgewirkter Selbständigkeit von Gemeinden, die durch Kommunikation untereinander und gemeinsamen Bezug auf den Gründerapostel Kirchengemeinschaft praktizieren, bei allen daraus resultierenden Konflikten, von denen die paulinische Korrespondenz unmissverständlich zeugt, oder das Modell des Jüngerkreises Jesu, der als Kollektiv ganz auf den berufenden Herrn orientiert ist und in dem doch einzelne, vor allem Petrus, Führungsfunktionen ausüben, bei aller Ambivalenz, die in dem neutestamentlichen Petrusbild ungeschönt sichtbar wird� Friedlichkeit ist offenbar kein neutestamentliches Gemeindemodell! Besonders attraktiv gerade in ökumenischer Perspektive scheint mir dagegen das Modell der Gemeinschaft der Apostel zu sein, das exemplarisch in dem doch so kontrovers-theologischen Sola Scriptura und Communio Sanctorum 141 Galaterbrief vor Augen tritt: Nach kontroverser Diskussion um die Einheit aller Gemeinden von Jesus-Anhängern und Christus-Verehrern reichen die Protagonisten einander die Hand zur Gemeinschaft und beauftragen sich gegenseitig: „wir zu den Völkern und sie zum Volk der Verheißung“, und, nicht zu vergessen: „dass wir der Armen gedenken“ (Gal 2,1-10).