ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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2019
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Dronsch Strecker VogelWie sicher ist die Q-Hypothese?
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2019
Manuel Vogel
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Zeitschrift für Neues Testament 22. Jahrgang (2019) Heft 43 / 44 Kontroverse Wie sicher ist die Q-Hypothese? Einleitung in die Kontroverse Manuel Vogel Die Kontroverse dieses Heftes trägt dem Umstand Rechnung, dass zwischen Vertretern der Zweiquellen-Hypothese und der Farrer-Goulder-Hypothese gegenwärtig die lebhaftesten Diskussionen geführt werden: Ist eine je unabhängig voneinander erfolgte Benutzung des MkEv und der Logienquelle durch den Matthäus- und den Lukasevangelisten nach wie vor eine sinnvolle und anderen Erklärungsmodellen überlegene Annahme, oder ist diese Annahme bei näherer Betrachtung nur haltbar durch eine Reihe von Zusatzhypothesen, die wie Türme und Türmchen, Erker und Erkerchen ein Traumschloss zieren? Wird, wie Werner Kahl anhand beachtlicher forschungsgeschichtlicher Schlaglichter illustriert, die Zweiquellen-Hypothese durch das ihr von Anbeginn anhaftende Interesse der historischen Sicherung der Jesustradition gegen radikal kritische Ansätze des 19. Jh.s zwar nicht falsifiziert, jedoch hinsichtlich ihres Beharrungsvermögens allzu durchschaubar? Oder ist ihr diachrones Differenzierungspotenzial mit den nur so möglichen Durchblicken auf älteste Tradition ein Gewinn, der, wie Markus Tiwald insistiert, nicht leichtfertig in den Wind geschlagen werden sollte? Beide Verfasser sehen sehr wohl die unscharfen Ränder der von ihnen vertretenen Hypothesen. Die von Kahl in modifizierter Weise vertretene Farrer-Goulder-Hypothese muss sich v. a. die Frage gefallen lassen, warum Lukas bestimmte 136 Manuel Vogel durchkomponierte Blöcke des MtEv wie etwa die Bergpredigt, wenn er das MtEv denn gekannt und benutzt hat, derart zerlegt haben sollte. Die damit aufgebürdete Beweispflicht wird von Kahl (nicht nur, aber auch) mit dem Argument zurückgewiesen, dass man über die Motive und Intentionen eines antiken Verfassers im Umgang mit seinen Quellen schlicht vieles nicht wissen kann und außerdem auch nicht wissen muss, um zu belastbaren Annahmen und Ergebnissen zu gelangen. Bemerkenswert ist, wie Tiwald umgekehrt die mannigfachen und in der Tat nicht auf die leichten Schulter zu nehmenden Einwände gegen die Zweiquellen-Hypothese kontert, die sich, wie Kahl beispielhaft vorführt, im Detail auf Schritt und Tritt ergeben: Tiwald reklamiert im Blick auf die von der Zweiquellen-Hypothese angenommene je eigenständige Benutzung des MkEv angesichts der problematischen Übereinstimmungen von Mt und Lk gegen Mk im Mk-Stoff neuere Einsichten in die hohe Fluidität der frühchristlichen Textüberlieferung bis mindestens ins 3. Jh. und beendet damit die leidige und für Vertreter der Zweiquellen-Hypothese missliche Wahl zwischen Proto- und Deuteromarkus mit dem Argument, dass wir für die Anfangszeit mit einer Mehrzahl, wenn nicht gar einer Vielzahl von unter einander differierenden Handschriften des MkEv rechnen müssen, ebenso mit dem Faktor der „sekundären Mündlichkeit“, d. h. dem Mitwirken mündlicher Überlieferungsprozesse an den textgenetischen Beziehungen zwischen den Synoptikern. Wer sich zwischen beiden Positionen einstweilen nicht entscheiden will, sei auf die durchaus vorhandenen Schnittmengen hingewiesen: Es gibt bei Vertretern der Zweiquellen-Hypothese auch Stimmen, die sich für eine lk Benutzung des MtEv neben Q aussprechen, d. h. für ein Mischmodell, und umgekehrt konzediert Kahl die Möglichkeit, dass Lk eine Quelle mit früher Jesustradition benutzt hat, die auch Mt vorlag, nur dass dies nicht erweisbar sei. Aber Aussichtslosigkeit ist wohl öfter ein Stimulus für Wissenschaft gewesen als ein Hindernis. Die scharfen Angriffe, die Kahl wider die Zweiquellen-Hypothese führt, sind nicht leicht von der Hand zu weisen. Die in Kenntnis von derlei Argumenten formulierte Position Tiwalds lässt aber vermuten, dass die Vertreter der Zweiquellen-Hypothese alles andere als unbeweglich sind und sich so schnell nicht geschlagen geben, wenn überhaupt. Die Leserinnen und Leser sind nun eingeladen, sich anhand der Kontroverse dieses Heftes der ZNT über den Sachstand einer Debatte zu informieren, die derzeit erheblich in Bewegung geraten ist.
