eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 22/43-44

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
1201
2019
2243-44 Dronsch Strecker Vogel

Q als Fiktion

1201
2019
Werner Kahl
znt2243-440137
Zeitschrift für Neues Testament 22. Jahrgang (2019) Heft 43 / 44 Q als Fiktion Zur Plausibilität und Bedeutung des Synoptischen Integrationsmodells Werner Kahl 0. Einführung Die folgenden Ausführungen möchte ich verstanden wissen als Beitrag zur Klärung der synoptischen Abhängigkeitsverhältnisse. Eine kritische Reflexion der Voraussetzungen der Zweiquellentheorie (im Folgenden: 2QT) und eine neutrale Vergleichung der synoptischen Evangelien legen m. E. zweierlei nahe: Erstens die Relativierung der Gültigkeit der 2QT und zweitens die Beschreibung eines Alternativmodells. Dieses sollte mit weniger Unsicherheiten als das herkömmliche Modell behaftet sein und gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Standards genügen. Als ein solches Alternativmodell stelle ich hier das von mir so genannte Synoptische Integrationsmodell (im Folgenden: SIM) zur Diskussion. 1 Wie wohl die meisten deutschsprachigen Theologen und Theologinnen hatte ich bereits in der gymnasialen Oberstufe die 2QT kennengelernt - allerdings nicht als eine Theorie unter anderen, sondern quasi als nicht hinterfragbare Tatsache. Die Logienquelle Q erschien als Faktum. Dies wurde uns Studierenden dann in Pro- und Hauptseminaren an der Universität Göttingen so weitervermittelt. In vager Erinnerung ist mir wohl ein Hinweis des von mir sehr geschätzten Neutestamentlers Hartmut Stegemann Mitte der achtziger Jahre geblieben, dass das synoptische Problem letztlich nicht bewältigt sei und einer überzeugenden Lösung harre. Trotzdem lernten wir Studierende die 2QT als alternativ- 1 Damit ist die Farrer-Goulder-Hypothese gemeint, die Francis Watson als L/ M Hypothesis bezeichnet, s. sein Beitrag in diesem Heft. 138 Werner Kahl loses Modell anzuwenden. In der neutestamentlichen Einleitungsliteratur jener Jahre gab es gelegentlich kurze Hinweise auf andere Lösungsvorschläge, die als Kuriosa präsentiert und knapp abgefertigt wurden. Noch in meiner Emory Dissertation von 1992 ging ich von der Existenz von Q als nicht zu hinterfragender Tatsache aus. In jener Arbeit untersuchte ich die neutestamentlichen Wundererzählungen differenziert nach den Evangelien und eben Q. 2 Nachdem in der letzten Generation neutestamentlicher Forschung eine ganze Reihe von tiefgreifenden Paradigmenwechseln vollzogen wurden - Third Quest in der Jesusforschung, Neue Paulusperspektive, überhaupt die Überwindung antijüdischer Vorurteile in der Forschung, Aufwertung synchroner Interpretationsmethoden gegenüber diachronen - ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem in Großbritannien, in den USA und in Skandinavien nun selbst die 2QT zunehmend in den Fokus einer kritischen Auseinandersetzung geraten. Das ist auf den ersten Blick umso bemerkenswerter angesichts der Tatsache, dass seit dem Jahr 2000 zum ersten Mal mit der Critical Edition of Q 3 (im Folgenden: CEQ) die Logienquelle als verbindlich rekonstruierter Standardtext vorliegt - so zumindest nach Anspruch des International Q-Project (im Folgenden: IQP). 4 Im selben Jahr, als das IQP gegründet wurde und seine Arbeit aufnahm - 1989, erschien mit Michael D. Goulders, Luke. A New Paradigm, der umfängliche Versuch einer Bestreitung der Existenz von Q im Rahmen einer grundsätzlichen Kritik der 2QT. 5 Es ist das Verdienst von Michael Goodacre, in seiner Dissertation aus dem Jahr 1996 aufgrund eines umsichtigen Vergleichs der Stärken und Schwächen der 2QT mit denen des von Michael Goulder im Detail 1989 ausgearbeiteten Modells - das LkEv ist das Resultat einer intentional-kritischen Verschränkung von MkEv und MtEv unter Voraussetzung sowohl der Priorität des MkEv als auch der Nicht-Existenz von Q - das von Goulder vertretene Modell als das triftigere erwiesen zu haben. 6 Mittlerweile sind eine Reihe von Einzelstudien erschienen, 2 W. Kahl, New Testament Miracle Stories in their Religious-Historical Setting A Religionsgeschichtliche Comparison from a Structural Perspective (FRLANT 163), Göttingen 1994, 222. 3 J.M. Robinson / P. Hoffmann / J.S. Kloppenborg (Hg.), The Critical Edition of Q. Synopsis including the Gospels of Matthew and Luke, Mark and Thomas with English, German, and French Translations of Q and Thomas, Leuven / Minneapolis 2000; vgl. P. Hoffmann / C. Heil (Hg.), Die Spruchquelle Q. Studienausgabe. Griechisch und Deutsch, Darmstadt / Leuven 2002. 4 Vgl. C. Heil, Die Q-Rekonstruktion des Internationalen Q-Projekts: Einführung in Methodik und Resultate, in: Novum Testamentum XLIII (2001), 128-143, hier 137 f. 5 ( JSNT.S 20) Sheffield. 6 M. Goodacre, Goulder and the Gospels: An Examination of a New Paradigm, JSNTSup 133, Sheffield 1996; M. Goulder, Luke. A New Paradigm , JSNTSup 20, Sheffield 1989. Q als Fiktion 139 die die Grundposition von Goulder, die letztlich auf Austin M. Farrer zurückgeht, 7 auch wenn ähnliche Überlegungen bereits bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreichen, 8 zu Ungunsten der 2QT stützen. 9 Alle Erklärungsversuche bezüglich der Genese des synoptischen Beziehungsgeflechts stehen allerdings grundsätzlich unter Vorbehalt. Es ist nämlich weder möglich zu wissen, in welcher genauen Textgestalt die synoptischen Evangelien im ersten und zweiten Jahrhundert vorgelegen haben noch welche weiteren schriftlichen und mündlichen Quellen sie jeweils für die Jesus-Christus-Erzählung benutzten. Wir haben aus dem ersten und dem beginnenden zweiten Jahrhundert nur die im späteren Kanon des Neuen Testaments bezeugten Jesus-Christus-Erzählungen in Form der vier Evangelien vorliegen, wobei deren jeweilige ursprüngliche Gestalt textkritisch nur annäherungsweise rekonstruierbar ist. Auch ist nicht durchgehend plausibel zu machen, aus welchen Gründen und mit welcher Intention ein möglicherweise späterer Evangelienverfasser 7 A.M. Farrer: On Dispensing with Q, in: D.E. Nineham (Hg.): Studies in the Gospels: Essays in Memory of R. H. Lightfoot , Oxford 1955, S. 55-88. 8 J.H. Scholten, Das Paulinische Evangelium. Kritische Untersuchung des Evangeliums nach Lucas und seines Verhältnisses zu Marcus, Matthäus und der Apostelgeschichte , Elberfeld 1881 (holl. Original: 1870); A. Jacobsen, Untersuchungen über die synoptischen Evangelien , Berlin 1883. 9 Vgl. die folgende Auswahl: Kahl, Erhebliche matthäisch-lukanische Übereinstimmungen gegen das Markusevangelium in der Triple-Tradition - ein Beitrag zur Klärung der synoptischen Abhängigkeitsverhältnisse, in: ZNW 103/ 1 (2012), 20-46; F. Watson, Gospel Writing. A Canonical Perspective , Grand Rapids / Cambridge 2013; F. Damgaard, Rewriting Peter as an Intertextual Character in the Canonical Gospels , Abington / New York 2016; J.C. Poirier / J. Peterson (Hg.), Marcan Priority Without Q. Explorations in the Farrer Hypothesis , London / Oxford / New York 2016; M. Müller / J. Tang Nielsen (Hg.), Luke’s Literary Creativity, London / Oxford / New York 2016; M. Müller / Heike Omerzu (Hg.), Gospel Interpretation and the Q-Hypothesis, London / Oxford / New York 2018. Prof. Dr. Werner Kahl, Jahrgang 1962, studierte Evangelische Theologie in Bochum, Göttingen und an der Emory University in Atlanta, Georgia, wo er 1992 promoviert wurde. Nach Vikariats- und Pastoratszeit in der Rheinischen Landeskirche unterrichtete er von 1999 bis 2001 Neues Testament an der staatlichen Universität von Ghana in Legon, Accra. Er habilitierte sich 2004 an der Universität Frankfurt a. M. Dort unterrichtet er als apl. Professor. Seit 2006 ist er Studienleiter an der Missionsakademie an der Universität Hamburg. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind Wunder im Neuen Testament, Synoptische Frage, Interkulturelle Hermeneutik, Bibel und Koran. 140 Werner Kahl den Text eines möglicherweise vorliegenden Evangeliums beibehalten oder verändert hätte. Deshalb müssen synoptische Erklärungsmodelle immer vorläufig sein und hypothetisch bleiben. Sie können bestenfalls verschiedene Grade von Wahrscheinlichkeit beanspruchen. Angesichts dieser Sachlage ist die 2QT im Vergleich zum benannten Alternativmodell insofern wissenschaftstheoretisch grundsätzlich im Nachteil, als sie - mindestens - eine hypothetische Quelle, d. h. Q, einführt und somit die Hypothetizität des Erklärungsmodells steigert und damit seine Aussagekraft schwächt. Tatsächlich wird aber im Rahmen der 2QT fast immer mit mehreren hypothetischen Quellen gerechnet - neben Q noch mit weiteren hypothetisch erschlossenen (deutero-)markinischen Versionen und/ oder einer Anzahl von schriftlichen oder mündlichen Nebenquellen: „Damit wird unter der Hand aus der klassischen Zweiquellentheorie inklusive einer nicht-hypothetischen Quelle (unserem MkEv) zuweilen eine 2- oder mehr-Quellen Theorie inklusive keiner nicht-hypothetischen Quelle“. 10 Die wissenschaftstheoretische Problematik solcher Thesenanhäufungen wird von Vertretern der 2QT kaum bedacht. Das von mir präferierte Alternativmodell 10 Vgl. Kahl, Übereinstimmungen, 26. Eine „reine“ 2QT ist von ihrem Erfinder, dem Philosophen Christian Hermann Weiße in seinem Werk Die Evangelische Geschichte kritisch und philosophisch bearbeitet , 2 Bände, Leipzig 1838, vertreten worden. Eine weniger spekulative Würdigung von mt.-lk. Übereinstimmungen im gemeinsamen Markusstoff bewegte ihn allerdings zwei Jahrzehnte später dazu, eine Ur-Markushypothese einzuführen, vgl. Weiße, Die Evangelienfrage in ihrem gegenwärtigen Stadium , Leipzig 1856, 156 f. Auch H.J. Holtzmann, Die synoptischen Evangelien. Ihr Ursprung und geschichtlicher Charakter , Leipzig 1863, hatte anfangs eine Ur-Markushypothese vertreten. Aber auch Holtzmann, der eigentliche exegetische Begründer der 2QT, vollzog in den folgenden zwei Jahrzehnte einen Positionswechsel, indem er sich von der Ur-Markushypothese zugunsten der Annahme einer nebenläufigen Benutzung des MtEv durch Lukas verabschiedete, vgl. Holtzmann, Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament , Freiburg 1885, 339. Eine Tendenz zu dieser Modifikation der 2QT lässt sich für Holtzmann seit 1878 dokumentieren, vgl. Kahl, The Gospel of Luke as narratological improvement of synoptic pre-texts. The narrative introduction to the Jesus Story (Mark 1.1-8 parr.), in: Müller / Omerzu, Gospel Interpretation , 223-244, hier 229, Anm. 26-30. Ende des 19. Jahrhunderts hat dann P. Wernle, Die synoptische Frage , Freiburg 1899, gegen die im Rahmen der 2QT weit verbreitete Ur-Markushypothese (S. 223) für eine möglichst unkomplizierte Fassung der 2QT argumentiert, allerdings unter Annahme verschiedener Redaktionen von Q, die Matthäus und Lukas vorgelegen hätten (S. 253). E.J. Schmid, Matthäus und Lukas. Eine Untersuchung des Verhältnisses ihrer Evangelien (Biblische Studien 23), Freiburg 1930, hat gut einhundert Jahre nach Weißes klassischem Werk exegetisch versucht, eine gewissermaßen „reine“ 2QT etablieren, d. h. unter Verzicht auf weitere hypothetische Quellen. Schmid verfährt exegetisch recht „grob“ und apodiktisch. Die „einfache Lösung“ wird heute vertreten etwa von M. Tiwald, Die Logienquelle. Text. Kontext, Theologie , Stuttgart 2016. In Konkurrenz dazu steht das von U. Schnelle skizzierte „differenzierte“ Modell, nach dem Matthäus und Lukas neben jeweiligen Sondergutquellen ein Deutero-MkEv und unterschiedliche Redaktionen von Q benutzt hätten, vgl. Schnelle, Synoptische Frage, in: RGG 4 7 (2004), 1978-1985, hier 1983. Q als Fiktion 141 im Anschluss an Farrer, Goulder und Goodacre setzt die uns im Kanon vorliegenden synoptischen Evangelien voraus, wenn auch in der benannten textlichen Ungesichertheit. Es kommt ohne hypothetische Quellenannahmen aus. Darin besteht seine Stärke. Austin Farrer hat dies so prägnant wie bestechend auf den Punkt gebracht: „Die Q-Hypothese ist eine Hypothese. Das ist ihre Schwäche. Um diese zu beseitigen, benötigen wir keine konträre Hypothese. Wir müssen lediglich den lukanischen Gebrauch des Matthäusevangeliums verständlich machen. Und um nachzuvollziehen, wie Lukas das Matthäusevangelium verstand, müssen wir nur betrachten, wie Lukas sein eigenes Buch verstand. Das lukanische Buch ist nun keine hypothetische Größe. Hier liegt eine Ausgabe von ihm auf meinem Schreibtisch“. 11 Tatsächlich aber kommt auch diese Theorie nicht ohne hypothetische Annahmen aus. Sie setzt an die Stelle hypothetischer Quellen die ebenfalls hypothetische und nur mehr oder weniger plausible Erklärung der Verfahrensweise eines späteren Evangelienverfassers im Verhältnis zu ihm vorliegenden Evangelien. Allerdings ist das Alternativmodell gegenüber der zur Konvention gewordenen 2QT wissenschaftstheoretisch im Vorteil: 1. Die veranschlagte Interpretationstätigkeit des Lukas kann aufgrund vorliegender Texte allgemein überprüft werden. 2. Auch die 2QT agiert - und zwar über die Eruierung von hypothetischen Quellen hinaus - mit hypothetischen Annahmen bezüglich der Vorgehensweise der beiden späteren Evangelienverfasser „Matthäus“ und „Lukas“ in Bezug auf das MkEv und auf Q. Dies ist für Q in besonders problematischer Weise evident: zum einen hinsichtlich der Eruierung von Q aus einem kritischen Vergleich von MtEv und LkEv und zum anderen hinsichtlich der Interpretation der so gewonnenen Logienquelle durch die Verfasser von MtEv und LkEv. Damit liegt im Vergleich zum Alternativmodell die nicht zu umgehende Hypothetizität von synoptischen Klärungsversuchen im Rahmen der 2QT zu einem gesteigerten Grad vor. Anders herum formuliert heißt das: Das Ausufern von Hypothetizität wird im Alternativmodell im Gegenüber zur 2QT eingehegt. Aufgrund der relativen Unbestimmtheit der Textgestalt, der Quellenlage und der Verfasserintentionen wird es in der Interpretation der synoptischen Benutzungsverhältnisse darum gehen müssen abzuwägen, ob die Klärungen, die das Alternativmodell bezüglich einer hinreichend großen Anzahl von synoptischen Passagen ermöglicht, als triftig erscheinen oder ob sich bei einer diesbezüglichen Negativentscheidung 11 Farrer, Dispensing, 66: „The Q hypothesis is a hypothesis, that is its weakness. To be rid of it we have no need of a contrary hypothesis, we merely have to make St. Luke's use of St. Matthew intelligible; and to understand what St. Luke made of St. Matthew we need no more than to consider what St.Luke made of his own book. Now St. Luke’s book is not a hypothetical entity. Here is a copy of it on my desk“. 142 Werner Kahl der Rekurs auf Modelle, die einen höheren Grad an Hypothetizität mit sich bringen wie z. B. die 2QT, empfiehlt. Die insbesondere in der deutschsprachigen Exegese lange Zeit vorherrschende Ausblendung einer kritischen Reflexion der Triftigkeit der 2QT im Vergleich zu Alternativmodellen ist angesichts der gegenwärtigen internationalen Debattenlage jedenfalls obsolet. 12 Im Folgenden werde ich zunächst erstens das Projekt einer CEQ aus editionswissenschaftlicher bzw. literaturwissenschaftlicher Perspektive problematisieren. Im Kontext einer kulturwissenschaftlichen Begründung und Ausrichtung aller Geisteswissenschaften inklusive der Theologie sind in Bezug auf die Analyse und Erklärung der synoptischen Beziehungsverhältnisse in der neutestamentlichen Exegese Methoden in Anwendung zu bringen, die gegenwärtig akzeptierten wissenschaftlichen Standards in verwandten Fächern wie der Literatur-, Editions- und Geschichtswissenschaft und Altphilologie entsprechen. Es ist der neutestamentlichen Wissenschaft - nicht nur im Hinblick auf die synoptische Problematik - zum Schaden geraten, dass sie im 20. Jahrhundert durch deutschsprachige Forscher dominiert wurde, die seit den zwanziger Jahren Exegese tendenziell losgelöst vom interdisziplinären oder auch internationalen Diskurs trieben. Es wird deutlich werden, dass sowohl die 2QT als auch Q wissenschaftstheoretisch problematische und kaum haltbare Konstrukte darstellen. Die Akzeptanz, deren sich die 2QT trotz ihrer allgemeinen wissenschaftstheoretischen Problematik und ihrer auch von ihren Verfechtern eingestandenen „großen Schwäche“ 13 - den so genannten Minor Agreements (im Folgenden: MA) - seit gut einhundertfünfzig Jahren erfreut, erklärt sich im Zusammenhang ihrer Entstehungsgeschichte. Die verworrene und durchaus spannende Geschichte der vorgeblichen Lösung des synoptischen Problems im 19. Jahrhundert, als welche die 2QT weithin gilt, werde ich deshalb zweitens anhand ihrer markantesten Wendepunkte nachzeichnen. Grundsätzlich gilt dabei: Die Kontextualität ihrer Entstehung invalidiert per se noch nicht die Triftigkeit der 2QT. Sie lässt aber zweierlei verständlich werden: erstens, die Vehemenz, mit der bis in die Gegenwart hinein an der 2QT festgehalten wird, auch wenn in deutschsprachigen Veröffentlichungen der letzten Jahre der Totalitätsanspruch, mit dem die 2QT lange Zeit vertreten wurde, zurückzutreten und einer 12 Dass Tiwald, Logienquelle , diese Forschung sowie alle kritischen Anfragen an die 2QT beinahe komplett ausblendet, ist angesichts der derzeitigen internationalen Diskussionslage bemerkenswert, vgl. auch seine aus der Zeit gefallene Behauptung: „Die am weitesten verbreitete Erklärung ist die Zweiquellentheorie , mit der heute so gut wie alle seriösen Bibelwissenschaftler arbeiten (daher auch nicht ,Zweiquellen hypothese ‘, sondern ,Zweiquellentheorie‘)“ (17). 13 So als Vertreter der 2QT M. Ebner, Die synoptische Frage, in: ders. / S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2008, 67-84, hier 78. Q als Fiktion 143 wachsenden Diskussionsbereitschaft zu weichen beginnt; 14 zweitens, die Unbekümmertheit, mit der wissenschaftstheoretische Einwände gegen die 2QT im Allgemeinen und gegen die so genannte Rekonstruktion von Q im Besonderen ignoriert werden. Drittens werde ich das Phänomen der MA diskutieren und zwar in zweierlei Hinsicht: zum einen erweise ich den Begriff MA als irreführende Bezeichnung, die letztlich systemstabilisierend verhindert, dass die eigentlichen Probleme der 2QT zu Tage treten - es handelt sich dabei um eine self-fulfilling prophecy ; zum anderen stelle ich eine differenzierende Neudefinition dieser Kategorie vor, die dem Befund angemessener ist. Die synoptischen Texte sind einer neuen Vergleichung zu unterziehen, und zwar unter Umgehung der bisherigen Perspektive der 2QT, denn diese kann nur zu Ergebnissen kommen, die mit den sie bestimmenden Vorentscheidungen kompatibel sind. Viertens stelle ich die Methodik eines neutralen Textvergleichs vor, bei dem keinerlei Vorentscheidungen über die Richtung einer Abhängigkeit des einen vom anderen Synoptiker getroffen wird. Hier geht es um die neutrale Erhebung aller wechselseitigen Übereinstimmungen und Unterschiede. Fünftens werde ich von Vertretern der 2QT gegen SIM regelmäßig vorgebrachten Argumente diskutieren, um sechstens und abschließend das auf Farrer und Goulder zurückgehende, von Goodacre und Watson kritisch ausdifferenzierte Modell, das ich als Synoptisches Integrationsmodell bezeichne, zu würdigen. 1. Die editionstheoretische Problematik der Critical Edition of Q Der Critical Edition of Q liegen editionstechnische Prinzipien zugrunde, die dem gegenwärtigen diesbezüglichen Forschungsstand in den Literaturwissenschaften und in der Altphilologie nicht gerecht werden. 15 Der Rekonstruktionsversuch von Q kann sich nämlich nicht auf eine Hauptüberlieferung in Form von „vollständigen oder fragmentarischen Kopien des zu edierenden Textes“ 16 14 Vgl. dazu etwa die unpolemische Diskussion von Alternativentwürfen zur 2QT auf der einen und das Eingeständnis der Problematik der 2QT auf der anderen Seite durch Ebner, Die synoptische Frage, 78-82. 15 Vgl. A. Bohnenkamp, Textkritik und Textedition, in: Grundzüge der Literaturwissenschaft, hg. v. H.L. Arnold / H. Detering, München 2 1997, 179-203, bes. 181 f.; M.L. West, Textual Criticism and Editorial Technique applicable to Greek and Latin texts, Stuttgart 1973; E. Pöhlmann, Textkritik und Texte im 19. und 20. Jh., in: Einführung in die Überlieferungsgeschichte und in die Textkritik der antiken Literatur. Bd. II: Mittelalter und Neuzeit, hg. v. ders., Darmstadt 2003, 137-182, bes. 139 f. 16 Bohnenkamp, Textkritik, 181. 144 Werner Kahl stützen, sondern nur auf Formen von Nebenüberlieferung (Zitate, Exzerpte, Parodien, Paraphrasen, Übersetzungen etc.). Die Editionswissenschaftlerin Anne Bohnenkamp hält Rekonstruktionsversuche auf der Basis von Nebenüberlieferung wissenschaftlich für nicht vertretbar: „Im Zusammenhang mit der Edition sogenannter ‚unfester’ Texte, für deren Überlieferung […] zahlreiche Textmutationen […] und mehrfache Redaktionen […] charakteristisch sind, kommt eine Archetypus-Rekonstruktion grundsätzlich nicht in Frage. Das Bemühen um ein ‚Original‘ verliert hier seine Berechtigung“. 17 Das wissenschaftstheoretische Problem in Bezug auf die Rekonstruktion von Q ergibt sich in diesem Zusammenhang aus einer Reihe von Faktoren: 1. Die Existenz von Q ist rein hypothetischen Charakters; Q ist kirchengeschichtlich nicht belegt, es sei denn man nähme dafür die Referenz auf τά λόγια in der bei Eusebius überlieferten Papiasnotiz zum Matthäusevangelium in Anspruch - das aber wird mit guten Gründen selbst in der heutigen Q-Forschung weithin abgelehnt. 18 2. Es gibt keine auch nur fragmentarisch erhaltenen Kopien von Q - die Spruchsammlung wäre bereits im 1. Jh. verloren gegangen; das ist bei einer so wichtigen Quelle, die immerhin die „Sprüche des Herrn“ bewahrt hätte und die so weit verbreitet gewesen seien müsste, dass sie an geographisch weit auseinander liegenden Orten unabhängig voneinander von Matthäus und von Lukas benutzt werden konnte, nicht plausibel. 19 3. Die Vorlage wird zu rekonstruieren versucht mittels der unsicheren literarkritischen Methodik einer Trennung von Redaktion und Tradition in den jeweiligen mt und lk Passagen, die für Q aufgrund der Vorentscheidungen der Zweiquellentheorie veranschlagt werden sowie aufgrund der Vergleichung der betreffenden Passagen im MtEv und LkEv. 20 Michael Wolter hat 17 Ebd., 184. 18 Nach Heil (Einleitung, in: Spruchquelle Q, 11-28, hier 12) handelte es sich bei der Gleichsetzung von τά λόγια mit jener von der Zweiquellentheorie vorausgesetzten Logienquelle im 19. und 20. Jh. um einen „kreativen Irrtum“. Vgl. dazu J.M. Robinson, History of Q Research, in: Critical Edition, xix-lxxi, bes. xx-xxxiii. 19 Vgl. Kahl, Vom Ende der Zweiquellentheorie oder: Zur Klärung des synoptischen Problems, in: Kontexte der Schrift. Band II: Kultur, Politik, Religion, Sprache. FS Wolfgang Stegemann, Stuttgart 2005, 404-442, hier 409; so auch B. Adamczewski, Q or not Q? The So-called Triple, Double, and Single Traditions in the Synoptic Gospels, Frankfurt 2010, bes. 84. 20 Die Problematik wird noch verschärft, wenn Exegeten in weiteren Arbeitsschritten versuchen, Q in Q Mt und Q Lk zu differenzieren, bzw. wenn in diesem „Archetypus“ seinerseits Q als Fiktion 145 scharfsinnig auf die diesem Verfahren zugrunde liegende problematische, weil „völlig unbegründete Petitio principii“ hingewiesen, denn „[d]ie vorliegenden Rekonstruktionen setzen durchweg voraus, dass in einer der beiden Formulierungen der Q-Wortlaut erhalten ist“. Ein „Vergleich der lk-mt Wortlautrezeption des MkEv“ zeigt aber, dass „[i]n nahezu der Hälfte der Fälle […] die mk Formulierung weder bei Matthäus noch bei Lukas bewahrt“ ist. 21 Darüber hinaus wären - das lehren die so genannten Minor Agreements - selbstverständlich auch mt-lk Übereinstimmungen gegen die angenommene Redequelle zu veranschlagen. 22 Tatsächlich wird die Problematik des Verfahrens zur Rekonstruktion von Q greifbar bei dem analogen Versuch, aus dem MtEv und dem LkEv das MkEv zu rekonstruieren: Dieses Vorhaben gelänge nur rudimentär und mit größten Verzerrungen. Um sich auch nur einigermaßen auf sicherem Boden bewegen zu können, müsste sich die Rekonstruktion auf - vergleichsweise eher spärlich auftretende - identische Sequenzen und Wörter des MtEv und LkEv beschränken. Und selbst innerhalb dieses Bereichs verhinderten die Minor Agreements sowie die Double-Tradition ein auch nur annähernd zutreffendes Resultat. Das International Q-Project setzt sich bei dem Versuch der Rekonstruktion von Q in editionstheoretisch naiver Weise über die angezeigte Problematik hinweg: Unter Ausblendung der Differenz von Haupt- und Nebenüberlieferung wird der Anspruch erhoben, mit der so genannten Critical Edition of Q einen Archetypus vorgelegt zu haben, der hinsichtlich seiner Qualität den textkritisch rekonstruzwischen Redaktion und Tradition unterschieden wird und dabei die Sprachgrenze vom Griechischen (Q Hell.) ins Aramäische (Q Pal.) übersprungen wird, vgl. die schematische Darstellung der Zweiquellentheorie in Schnelle, Einführung in die neutestamentliche Exegese, Göttingen 5 2000, 84. Dem gegenüber setzt nach Auskunft von Heil, Q-Rekonstruktion, 134 das International Q-Project „die Zweiquellentheorie in ihrer idealen Form voraus“, d. h. die Differenzierung in Q Mt und Q Lk wird ebenso abgelehnt wie Proto- oder Deutero-Mk-Hypothesen. M. Labahn (Der Gekommene als Wiederkommender. Die Logienquelle als erzählte Geschichte [ABG 32], Leipzig 2010) hält sich in seiner Arbeit an das Modell von Schnelle (vgl. 39 u. 158 f.), legt ihr aber gleichzeitig als Textbasis die Critical Edition of Q zugrunde (vgl. 155), ohne die damit gegebene Problematik zu reflektieren. 21 M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 13. Wolter, der grundsätzlich an der Zweiquellentheorie festhält, notiert in seinem Kommentar rund 250 mitteilenswerte Minor Agreements, für deren jeweiliges Zustandekommen regelmäßig verschiedene in der Literatur vertretene Möglichkeiten der Erklärung angeführt werden. 22 So zutreffend Wolter, Lukasevangelium, 13: „Außerdem ist damit zu rechnen, dass es wie im Mk-Stoff auch im Q-Stoff lk-mt Agreements gibt, die nicht vorlageninduziert sind, so dass es selbst dort, wo wir wortlautidentische lk-mt Doppelüberlieferungen vorfinden, immer eine Restunsicherheit gibt, ob wir es wirklich mit einer Q-Formulierung zu tun haben“. Vgl. auch Adamczewski, Q or not Q, 85 Anm. 264. 146 Werner Kahl ierten neutestamentlichen Schriften im „Nestle-Aland“ in nichts nachstände. 23 Gleichzeitig wird damit der hypothetische Charakter der Zweiquellentheorie weithin ausgeblendet. Die durch das IQP an den Tag gelegte Gewissheit hinsichtlich der Rekonstruierbarkeit eines Archetypus von Q zerbricht angesichts erheblicher - und nicht zuletzt: wissenschaftstheoretischer - Probleme bezüglich der Voraussetzungen und der Vorgehensweise dieses Unternehmens. Es bleibt zu betonen: Die Zweiquellentheorie ist eine durchaus interessante und äußerst wirkmächtige Theorie, aber Q ist keine Tatsache, sondern ihre Existenz stellt eine Arbeitshypothese dar. In der Vergangenheit gerne mit autoritativem Anspruch versehen, vermag die Superioritätsbeteuerung in Bezug auf die 2QT heute nicht mehr so einfach zu verfangen in einem universitären Umfeld von Theologie und Exegese, in dem in den Kulturwissenschaften sich Internationalisierung und interdisziplinäre accountability zunehmend als positive Werte etablieren. Wie aber kam es überhaupt zur Entstehung und Durchsetzung der 2QT? Wie ist ihre Attraktivität zu erklären, aufgrund derer sie über einhundertfünfzig Jahre zum fast unwidersprochenen exegetischen Standardmodell werden konnte? 23 So Heil, Q-Rekonstruktion, 140: „Wie in der Textkritik der Nestle-Aland die Ausgangsbasis bildet, mit der man übereinstimmt oder von der man sich kritisch absetzt, sollte nun die IQP-Rekonstruktion den Standardtext von Q darstellen, von dem alle weitere Q-Forschung kritisch ausgeht“. Vgl. auch ebd., 137 f., wo Heil die textliche Qualität der CEQ nicht nur mit dem „Nestle-Aland“ Text des NT, sondern auch mit der Göttinger Septuaginta Ausgabe positiv vergleicht. Gegen diesen Vergleich werden sich die Verantwortlichen der Münsteraner und Göttinger Unternehmen verwahren, basieren ihre editionswissenschaftlich verantworteten Projekte doch auf Formen von Hauptüberlieferung . Nur aufgrund der Nichtbeachtung der editionswissenschaftlich wesentlichen Unterscheidung von Haupt- und Nebenüberlieferung vermag sich Heil zur Rechtfertigung etwaiger Unsicherheiten der CEQ ausgerechnet auf ein demütiges Eingeständnis der grundsätzlichen Vorläufigkeit editionstechnischer Arbeit von Seiten des äußerst umsichtig und ausgesprochen konservativ vorgehenden vormaligen Herausgebers des Septuaginta Unternehmens, J.W. Wevers, zu beziehen (ebd., 138 Anm. 37), der als eminenter Linguist und Altorientalist die begrenzten Möglichkeiten in der Rekonstruktion antiker Texte genau im Blick hatte. Editionstheoretisch müsste das Argument genau anders herum lauten: Wenn selbst bei so sorgsam erarbeiteten Texteditionen wie dem „Nestle-Aland“ oder der Göttinger Septuaginta, die ihren Rekonstruktionen Stränge von Hauptüberlieferung zugrunde legen, letzte Sicherheiten nicht beansprucht werden können, so muss die CEQ als absolut unsicheres Projekt gelten, da es ausschließlich auf Nebenüberlieferung zurückgreifen kann. Q als Fiktion 147 2. Zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Zweiquellentheorie Die Lösung des synoptischen Problems in Form der klassischen 2QT ist in direkter Reaktion auf das Werk von David Friedrich Strauss, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, aus den Jahren 1835/ 36 erarbeitet worden. 24 Christian Hermann Weiße veröffentlichte sein für die 2QT grundlegendes Werk, Die evangelische Geschichte, kritisch und philologisch bearbeitet , im Jahr 1838. Als Quellentext des MtEv und des LkEv tritt hier neben unser MkEv eine aus dem MtEv und dem LkEv zu rekonstruierende Spruchsammlung als eine in die Zeit Jesu zurückreichende, als weithin zuverlässig aufgefasste schriftliche Quelle. Dieser Entdeckung bzw. Konstruktion kam nach Weiße die ausdrückliche Funktion zu, die radikalen Urteile von Strauss bezüglich der mythischen Darstellung Jesu in den Evangelien zu relativieren. 25 Für die Plausibilisierung der 2QT konnte Weiße dabei auf bereits vorliegende Forschungsergebnisse zurückgreifen. 26 Diese fügte er zu einem System zusammen, das - verglichen mit z.T. sehr komplizierten Er- 24 Dieser Lösungsvorschlag steht allerdings in einer Entwicklungslinie mit ähnlich gelagerten Erklärungsversuchen seit dem letzten Quartal des 18. Jh.s: Zur Sicherung der grundsätzlichen Historizität der Darstellung Jesu in den Evangelien - zunächst mittels verschiedener Urevangeliumshypothesen - sahen sich deutschsprachige Exegeten insbesondere seit der postumen Veröffentlichung der radikalen Bibelkritik von H.S. Reimarus durch G.E. Lessing (1774-1778) herausgefordert, vgl. dazu St. Alkier, Urchristentum. Zur Geschichte und Theologie einer exegetischen Disziplin (BHTh 83), Tübingen 1993, 81 f.; W. Schmithals, Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin 1985, 196. Im weiteren Verlauf dieses Forschungsstranges begannen sich verschiedene Dokumentenhypothesen durchzusetzen: Erste Vorstöße in Richtung der Annahme der Markuspriorität unternahm G.C. Storr (Über den Zweck der evangelischen Geschichte und der Briefe Johannis, Tübingen 1786; De fontibus evangeliorum Matthhaei et Lucae, Tübingen 1794). K.A. Credner, in dessen Werk Einleitung in das Neue Testament (Halle 1836) wesentliche Grundentscheidungen getroffen wurden, die dann in Vereinfachung von Weiße 1838 zur 2QT umgeformt wurden, scheint noch nicht auf Strauss zu reagieren. 25 Weiße, Die evangelische Geschichte, 6-8; vgl. 94: „So haben wir also in den drei synoptischen Evangelien einen Kreis von Berichten über das Leben und die persönliche Lehre Jesu, der in seiner Entstehung seinen wesentlichen Bestandtheilen nach unverkennbar das Gepräge nicht des Dichterischen oder Mythischen, sondern des Geschichtlichen trägt, wenn gleich er freilich nicht […] für frei von allerhand unhistorischen Beimischungen erkannt werden kann“. 26 Insbesondere die durch K. Lachmann 1835 wahrscheinlich gemachte Markuspriorität und die Benutzung einer Redequelle zumindest von Matthäus, wie sie 1832 unter dem Eindruck der Lektüre der entsprechenden Papiasnotiz von Schleiermacher beschrieben wurde; vgl. dazu Schmithals (Einleitung, 70 f.) und das zutreffende Urteil von Holtzmann, Die Synoptiker (HCNT 1), Freiburg 3 1901, 16 f.: „Erstmals hat diese Quelle (die Redequelle, W.K.) Schleiermacher entdeckt […], indem er das Zeugnis des Papias nicht sowohl auf unseren Mt, als vielmehr auf eine Sammlung von logia tou kyriou bezog. Durch Verbindung dieser ältesten apost. Schrift mit der ursprünglichsten Form der apost. Tradition bei 148 Werner Kahl klärungsmodellen jener Zeit 27 - in relativ einfacher Weise die Beziehungen der Synoptiker zueinander als literarische verständlich machen konnte. Dabei setzte Weiße im Anschluss an Karl Lachmann und zeitgleich mit Christian G. Wilke die Markus-Priorität voraus - eine Annahme, die im 19. Jh. über weite Strecken vor allem in Form einer Ur-MkEv-Hypothese auf wachsende Akzeptanz stieß. 28 Die Differenzierung von MkEv und Ur-MkEv erfüllte dabei eine Doppelfunktion: Zum einen konnten Widersprüche und mythische Züge, d. h. insbesondere die Wundertraditionen, einem späteren Redaktor zugewiesen werden. Zum anderen war es auf diesem Wege möglich, die MA und auch einige größere mt-lk Übereinstimmungen zu erklären, deren Zuweisung zur Spruchquelle sich als problematisch erwies. 29 Unter der Annahme, dass Matthäus und Lukas nicht unser MkEv, sondern ein verloren gegangenes Ur-MkEv benutzt hätten, konnte verständlich gemacht werden, dass die MA aus Stoff des Ur-MkEv herrührten, der dann in einer später überarbeiteten Version - unserem MkEv - weggefallen wäre. Der Zielsetzung der Überwindung der Strauss’schen Radikalposition wusste sich noch eine Generation später Heinrich J. Holtzmann mit seiner umsichtigen Begründung der 2QT verpflichtet - ein Indiz dafür, wie nachhaltig sowohl das erste Leben Jesu von Strauss als auch die noch radikalere, sich zudem die These der Mk-Priorität zu eigen machende Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker von Bruno Bauer aus dem Jahre 1841 die Grundfeste der historisch-kritisch orientierten Forschung am NT erschüttert hatten. Bereits der Untertitel des Erstlingswerks von Holtzmann aus dem Jahre 1863 kommuniziert sein Anliegen: Die synoptischen Evangelien. Ihr Ursprung und geschichtlicher Charakter . In direkter Auseinandersetzung mit Strauss diente die hier ausführlich entfaltete 2QT dem Zweck, „die geschichtliche Gestalt [ Jesu] [ ] in einer Weise nachzuzeichnen, die allen gerechten Ansprüchen der fortgeschrittenen historisch-kritischen Wissenschaften genügt ( )“. 30 Damit war der Anspruch an- Mc konnte schon vor Weiße bei Lachmann […] und Credner […] die Zweiquellentheorie in ihren einfachsten, seither nur immer allseitiger gefestigten Formen auftreten“. 27 Vgl. etwa den Versuch von Credner (Einleitung, 203-206), der ebenfalls unter dem Eindruck der Papiasnotiz auf eine Logienquelle rekurriert, die zusammen mit einem Ur- MkEv und mündlicher Überlieferung von einem Redaktor zum MtEv zusammengefügt worden sei, das das älteste der synoptischen Evangelien darstelle. Das LkEv speise sich aus diesem MtEv, aus dem späteren MkEv, einem Ur-MkEv und der Logienquelle. Tendenziell ist die 2QT somit bei Credner schon angelegt. 28 Sie wurde insbesondere vertreten von Holtzmann, Die synoptischen Evangelien. Ihr Ursprung und geschichtlicher Charakter, Leipzig 1863. 29 Vgl. Wernle, Die synoptische Frage, Freiburg 1899, 218: „In der That sind jene Stücke dem Urmr zugewiesen worden bloßs zur Erleichterung des synoptischen Problems“. 30 Holtzmann, Die synoptischen Evangelien, 1. Q als Fiktion 149 gemeldet, mittels der 2QT zuverlässige Quellen zur Erfassung des historischen Jesus gewinnen zu können: „Wir dürfen es vielleicht als den schätzbarsten Gewinn unserer Untersuchung bezeichnen, dass wir durch sie in Stand gesetzt sind, ein irgendwie bestimmtes Bild von dem historischen Charakter der Person Jesu und des, seinen Lebensrahmen erfüllenden, Inhalts zu geben. Darin erblicken wir zugleich den entschiedensten Fortschritt, womit wir, ohne zu den abgestumpften Waffen einer, auf dogmatischen Voraussetzungen beruhenden, Apologetik greifen zu müssen, die Resultate der Tübinger Schule ein für allemal hinter uns liegen lassen“. 31 Oder noch deutlicher, aber problematischer, da gewissermaßen entlarvend: „[W]ir unternehmen es, die synoptischen Evangelien so zu bearbeiten, dass sie schliesslich auf die Frage, inwiefern sie als Quellen für ein aufzustellendes synoptisches Christusbild gelten können, eine vollkommen gesicherte und nach allen Seiten gerechtfertigte Antwort ergeben muss “. 32 Einigermaßen unverblümt kommuniziert Holtzmann hier sein Anliegen: Es geht um die Absicherung eines historischen Jesusbilds. Diesem Ziel dient die 2QT. 33 Die zwei postulierten Quellen - Spruchsammlung und (Ur-)MkEv - der beiden späteren Großevangelien haben also nach Weiße und Holtzmann die Funktion, die grundsätzliche Historizität dessen, was in theologisch aufgeklärter Perspektive als wesentlich in den synoptischen Evangelien erschien, zu verbürgen, und zwar als Versuch der Überwindung der radikalen mythenkritischen Negierung dieser Historizität insbesondere durch Strauss. Es ging hierbei um nichts weniger als um den Versuch der Rettung der Gestalt Jesu und des Christentums unter dem Paradigma der Moderne. 34 31 Ebd., 468. 32 Ebd. 9 (Hervorhebung W.K.) 33 Vgl. D. Lührmann, Die Logienquelle und die Leben-Jesu-Forschung, in: A. Lindemann (Hg.), The Sayings Source Q and the Historical Jesus, Leuven 2001, 191-206, hier 191: „Die Zwei-Quellen-Theorie ist im 19. Jahrhundert entwickelt worden zur Sicherung eines historisch begründbaren Jesusbildes“. Demselben Zweck diente im 19. Jh. auch die Annahme eines Ur-MkEv, welches sich dadurch ausgezeichnet hätte, dass - ähnlich wie in der Redequelle - hier nur rudimentär Wunderreferenzen vorgelegen hätten. Zur kritischen Neubewertung der ntl. Wundererzählungen innerhalb der 2QT, vgl. Holtzmann, Die synoptischen Evangelien, 497-514. 34 Die von I. Broer in seiner Einleitung in das Neue Testament (Bd. I. Die synoptischen Evangelien, die Apostelgeschichte und die johanneische Literatur, Würzburg 2006) unter der problematischen Überschrift „die Findungsgeschichte der Logienquelle“ (ebd., 54; Hervorhebung W.K.) kommunizierte Behauptung zur Entstehung der 2QT widerspricht der diesbezüglichen Forschungsgeschichte: „Die Zweiquellentheorie war das Ergebnis der Suche nach den Gründen für die großen Übereinstimmungen zwischen den ersten drei 150 Werner Kahl Nachdem sich mit der liberalen Theologie eine Ethisierung des Vermächtnisses Jesu Bahn gebrochen hatte und die Mythisierungsbedrohung durch die Tübinger Schule überwunden schien, löste sich die weitere Diskussion um die 2QT ab dem letzten Quartal des 19. Jh. von ihrer Gründungsproblematik. 35 In dem Maße, wie das MkEv ab etwa der Jahrhundertwende zunehmend als historisch zuverlässiges Zeugnis angezweifelt wurde, 36 stieg die Wertschätzung von Q. 37 Die aufgezeigte identitätsvergewissernde Relevanz der 2QT für die historisch-kritische Exegese und die liberale Theologie insgesamt ließ ihre Vertreter sorgsam darauf achten, dass diese Theorie nicht untergraben würde. Interessanter Weise erwog Holtzmann selbst im Jahre 1878 - also nur 15 Jahre nach dem Erscheinen seiner Grundlegung der 2QT - öffentlich die von ihm vorher explizit verworfene Möglichkeit, 38 dass die Annahme eines Ur-MkEv zur Er- Evangelien im 19. Jahrhundert […]“. (ebd., 54). Dass auch historisch-kritische Forschung im 19. Jh. - und selbstverständlich darüber hinaus - trotz der Beteuerung wissenschaftlicher Objektivität in der Regel unbewusst interessengeleitet und von problematischen, da letztlich dogmatischen Anliegen abhängig betrieben wurde, ist im 20. Jh. zutreffend insbesondere von der Dialektischen Theologie angemahnt worden, vgl. O. Weber, Grundlagen der Dogmatik, 1. Bd., Neukirchen 1955, 201: „Im Grunde hat die historisch-kritische Arbeit der beiden letzten Jahrhunderte immer eine offene oder versteckte Tendenz zur Sicherung - nicht zur Sicherung des überlieferten ‚Christentums’, wohl aber zur Sicherung jenes im Hintergrund stehenden Eigentlichen. In der Regel wirkt auch ein Werturteil mit: man ist überzeugt, dass das historisch Früheste auch das inhaltlich Reinste sei: ihm kann man dann das Prädikat der ‚Offenbarung‘ zuerkennen! “ Zur Forschungsgeschichte bezüglich der Entstehung und Durchsetzung der 2QT im 19. Jh. in einem weiteren akademischen Kontext, in dem in den Philologien die Suche nach ältesten Quellen zum Verständnis vorliegender Texte als wesentlich erachtet wurde, vgl. J.C. Poirier, The Q Hypothesis and the Role of Pre-Synoptic Sources in Nineteenth-Century Scholarship, in: Goodacre / N. Perrin (Hg.), Questioning Q, London 2004, 13-27. 35 Vgl. Wernle (Die synoptische Frage), der die Auseinandersetzungen mit der Tübinger Schule nicht einmal mehr erwähnte. Sein Buch diente vor allem der ausführlichen Verteidigung der 2QT gegen sie modifizierende Versuche synoptischer Klärungen der vorangegangenen Jahrzehnte. 36 Vgl. das epochale Werk von W. Wrede, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen 1901; vgl. dazu das Referat von K.L Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu. Literarkritische Untersuchungen zur ältesten Jesusüberlieferung, Berlin 1919, 15 f. 37 Vgl. A. von Harnack, Sprüche und Reden Jesu. Die zweite Quelle des Matthäus und Lukas, Leipzig 1907, 173: „Wer ist wertvoller? […] Die Spruchsammlung und Markus müssen in Kraft bleiben, aber jene steht voran. Vor allem wird die Übertreibung des apokalyptisch-eschatologischen Elements in der Verkündigung Jesu und die Zurückstellung der rein religiösen und moralischen Momente hinter jenes immer wieder ihre Widerlegung durch die Spruchsammlung finden. Sie bietet die Gewähr für das, was in der Verkündigung Jesu die Hauptsache gewesen ist: die Gotteserkenntnis und die Moral zu Buße und Glauben, zum Verzicht auf die Welt und zum Gewinn des Himmels - nichts anderes“. 38 Holtzmann, Die synoptischen Evangelien, 163 f. Q als Fiktion 151 klärung der MA unnötig sei, wenn man stattdessen und vorzugsweise davon ausginge, dass Lukas neben dem MkEv und der Logienquelle auch noch das MtEv benutzt hätte. 39 Damit reagierte er auf sehr überzeugende Infragestellungen seiner Ur-MkEv Hypothese, wobei er die von seinem Kritiker Bernhard Weiss vorgebrachte Alternative, wonach bereits Markus die durch Erzählstoff erweiterte Redequelle benutzt hätte, umgehen konnte. 40 Als dann - auf dem Hintergrund dieser Problematik! 41 - sein Doktorand, der spätere praktische Theologe Eduard Simons, in seiner 1880 in Bonn erschienenen Untersuchung, Hat der dritte Evangelist den kanonischen Matthäus gekannt? , diese Frage ausdrücklich affirmativ beantwortete, machte der Explikator der klassischen 2QT sich eben diese Modifikation zu eigen, 42 und er vertrat sie seither durchgängig in seinen Lehrbüchern und Kommentaren. 43 39 Holtzmann, Rezension: G. Meyer, La Question Synoptique. Essai sur les rapports et l’origine des trois premier évangelique canonique (Paris 1878), in: ThLZ 3 (1878), 553-554. Diese Idee war seit Mitte des 19. Jh. bereits vor allem von zwei prominenten Theologen ventiliert worden: A. Ritschl, Über den gegenwärtigen Stand der Kritik der synoptischen Evangelien, in: ders., Gesammelte Aufsätze, Freiburg / Leipzig 1893, 1-51, bes. 48 f. (Erstveröffentlichung: ThJ 1851); H.A.W. Meyer geht gegenüber den ersten beiden Auflagen seines 1832 erstmals erschienenen Werks, Kritisch exegetisches Handbuch über die Evangelien des Markus und Lukas (KEKNT, Göttingen), seit der dritten Auflage von 1855 davon aus, dass das MtEv aufgrund der ihm von Anfang an zuerkannten Autorität „dem Luk. bei seinen Forschungen schwerlich unbekannt und unberücksichtigt bleiben konnte: so ist zwar auch unser erstes Evangel. zu den Quellen des Luk. zu rechnen, doch jedenfalls mit der Beschränkung, dass ihm der mehr urevangelische und weniger judaisirende (sic! ) Markus von grösserem Gewicht war, und dass er überhaupt in seinem Verhältnisse zu Matth. mit einer kritischen Selbstständigkeit zu Werke ging […]“ (hier zitiert nach der vierten Auflage von 1860, 217 f.). Diese Kehrtwende deutet sich bereits 1853 in der dritten Auflage seines entsprechenden Kommentars zum Matthäusevangelium gegenüber den vorangehenden beiden Auflagen an: ders., Kritisch exegetischer Kommentar über das Neue Testament das Evangelium des Matthäus umfassend, Göttingen, 27 f. Holtzmann hatte diese Positionsveränderung 1863 noch kritisch notiert, vgl. ders., Die synoptischen Evangelien, 40 Anm. 4. Vor Ritschl und Meyer hatte allerdings Credner (Einleitung) bereits 1836 in seinem Vorläufermodell der 2QT Lukas die Logienquelle, das MkEv (d. h. MkEv und Ur-MkEv) und das MtEv benutzen lassen. 40 Vgl. die Diskussion und die Nachweise in B. Weiss, Lehrbuch der Einleitung in das Neue Testament, Berlin 2 1889, 484 f., 542; vgl. dazu das Referat in Schmid, Matthäus und Lukas. Eine Untersuchung des Verhältnisses ihrer Evangelien, Freiburg 1930, 8-9. 41 Vgl. die Ergebnisformulierung von Simons, Hat der dritte Evangelist, 112: „Wir gewinnen einen Standort, von welchem aus ein im weitesten Umfang primärer Charakter des Mr.-Textes sich mit Erfolg vertheidigen lässt“. 42 Holtzmann in seiner Rezension des Werks von E. Simons, in: ThLZ 6 (1881), 180-183. 43 Ders., Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in das Neuen Testament, Freiburg 1885, 339 (und nachfolgende Auflagen); vgl. auch die diesbezügliche persönliche Mitteilung in ders., Die Synoptiker (Hand-Commentar zum Neuen Testament 1), Tübingen / Leipzig 3 1901, IVf. 152 Werner Kahl Dieser Positionswechsel wurde wohl von vielen, aber nicht von der Mehrzahl der maßgebenden Neutestamentler jener Zeit mit vollzogen, da die Annahme einer auch nur beiläufigen Benutzung des MtEv durch Lukas die Rekonstruktion und Sicherung der Logienquelle erschweren und letztlich ihre Existenz bedrohen würde, wie Bernhard Weiss in den 1880er Jahren gegen diese „jüngste Wendung der Markushypothese“ 44 warnend einwandte: „Wenn man neuerdings um dieser Erscheinungen willen [ ] die Voraussetzung der gesammten an Weisse anknüpfenden Kritik wieder fallen lassen [ ] und eine Bekanntschaft des Lucas mit dem ersten Evangelium, ja eine, wenn auch nur gedächtnissmässige, Benutzung desselben zugeben will, so wird damit jeder sichere Anhaltspunkt für die Ermittelung der vom ersten und dritten Evangelisten gemeinsam benutzten Redequelle aufgegeben [ ]“. 45 Das Risiko, die zwischen kirchlichem Dogmatismus einerseits und Tübinger Radikalkritik andererseits unter großem Aufwand errungene Plattform historisch-kritischer Synoptikerexegese und liberaler Theologie wieder in Frage stellen zu lassen, wurde von der Mehrzahl der Exegeten nicht eingegangen. Hatte Holtzmanns Buch von 1863 46 wesentlich zur Durchsetzung der 2QT beigetragen, so konsolidierte Paul Wernle 1899 in seinem Werk, Die synoptische Frage , abschließend die klassische 2QT, wie sie Weiße vorgetragen hatte, indem er sie gegen Versuche der Aufweichung verteidigte. Wernle widmet sich darin u. a. der Zurückweisung der durch Simons repräsentierten Alternative. 47 Die Annahme einer nebenherlaufenden Benutzung des MtEv durch Lukas wurde - berechtigter Weise - als eine beträchtliche Bedrohung für die 2QT und damit für die Existenz von Q und also für die Möglichkeit eines Rückgangs zum historischen Jesus erachtet. Gleichzeitig war im letzten Quartal des 19. Jh.s - exemplarisch 44 B. / J. Weiss, Die Evangelien des Markus und Lukas (KEK), Göttingen 8 1892, 275. An dieser Stelle ist fälschlicher Weise das Buch von Simons in das Jahr 1890 datiert worden. 45 B. Weiss, Lehrbuch, 542; vgl. auch ders. / J. Weiss, Evangelien, 277: „[..I]n dem Augenblick, in welchem man die Voraussetzung aufgiebt (sic), dass Mt und Lk einander nicht gekannt haben, fällt natürlich die Berechtigung, eine dem 1. und 3. Ev. gemeinsame Quelle neben Mk anzunehmen, unwiderruflich dahin“. 46 Siehe Anm. 28. 47 Vgl. Wernle, Synoptische Frage, 50-54. Er nennt in seinem Vorwort (IV) Simons und Jacobsen undifferenziert nebeneinander als diejenigen, die „die Abhängigkeit des Lc von Mt begründet“ hätten. Es ist aber zu beachten, dass Simons und Jacobsen unter ganz verschiedenen Vorentscheidungen zu diesem Ergebnis gekommen waren, wobei sich ersterer innerhalb des Paradigmas der 2QT bewegte, während sich letzterer von der 2QT verabschiedete, indem er die Logienquelle als unnötige Annahme ausschied. Dem alleinigen Anliegen, die wechselseitige Unabhängigkeit von LkEv und MtEv innerhalb der klassischen 2QT zu erweisen, wusste sich Schmid (Matthäus und Lukas) verpflichtet. Q als Fiktion 153 durch B. Weiss 48 , den späteren Holtzmann 49 und Wernle 50 - die die exegetischen Diskussionen jenes Jh.s so bestimmende These eines Ur-MkEv zugunsten der synoptischen Priorität unseres MkEv überwunden, wenn auch mittels unterschiedlicher Argumentationslinien. Darüber hinaus war die Redequelle als feste Größe etabliert worden. Das Problem einer überzeugenden Erklärung der MA aber ist bis heute bestehen geblieben. 3. Das Problem und die Problematik der Minor Agreements Mit den Begriffen Minor Agreements bzw. kleine Übereinstimmungen werden im Rahmen der 2QT jene Übereinstimmungen des MtEv und des LkEv gegen das MkEv bezeichnet, die in der Triple-Tradition begegnen, d. h. in denjenigen Textpassagen, die allen drei Synoptikern gemein sind. MA werden unterschieden von großen Übereinstimmungen . Bei diesen handelt es sich um die der sog. Double-Tradition zugerechneten Passagen, d. h. um denjenigen Stoff, den MtEv und LkEv jenseits der Triple-Tradition gemein haben und aus dem herkömmlicher Weise die Spruchquelle Q rekonstruiert wird. Wie unten gezeigt werden wird, ist die Differenzierung in MA einerseits und große Übereinstimmungen andererseits uneindeutig und von durchaus problematischen Vorentscheidungen abhängig. Die MA würden für die 2QT dann ein Problem darstellen, wenn es sich bei ihnen nicht um wenige bzw. geringfügige und zufällige Übereinstimmungen handelte. Tatsächlich ziehen sie sich durch den gesamten synoptischen Stoff: von Mk 1,1 bis 16,8 parr. Eine konservative Zählung, die auf der Notierung allein formidentischer Wörter beruht, kommt auf eine Anzahl von 637 MA. 51 48 Einleitung, 542: In der Spruchquelle, von Weiss „apostolische Quelle“ genannt, hätte bereits sich mit dem MkEv überlappender Erzählstoff befunden, und Markus hätte Q gekannt. 49 Einleitung, 2 1886, 357 (so schon in der ersten Auflage von 1885, 339): Da Lukas neben der Spruchsammlung und dem MkEv auch das MtEv gekannt hätte, „kommen wenigstens die meisten Motive zur Unterscheidung eines Urmarcus von Mr in Wegfall“ (vgl. noch die Ausführungen ebd., 363-365). 50 Wernle (Die synoptische Frage) widerspricht den Erklärungsversuchen sowohl von Weiss als auch von Holtzmann (vgl. ebd., 208-219) und kommt zu dem Ergebnis: „Also hat die Urmarcushypothese aus der synoptischen Frage auszuscheiden; der Wahrheitskern, von dem sie ausgeht, gehört in die Textgeschichte“ (ebd., 223). 51 Nach A.M. Honoré, A Statistical Study of the Synoptic Problem, in: NovTest 10 (1968), 95-147, hier 98; vgl. noch A.D. Baum, Der mündliche Faktor und seine Bedeutung für die synoptische Frage. Analogien aus der antiken Literatur, der Experimentalpsychologie, der Oral Poetry-Forschung und dem rabbinischen Traditionswesen (TANZ 49), Tübingen 2008, 21-24, bes. 23. A. Ennulat (Die „Minor Agreements“: Untersuchungen zu einer 154 Werner Kahl Aber nicht nur in quantitativer Hinsicht stellen MA die 2QT vor Schwierigkeiten. Angesichts der Qualität einer nicht geringen Anzahl von MA und ihres oft clusterhaften Auftretens 52 bedeuten sie eine ernsthafte Herausforderung für die 2QT, denn bei der vorausgesetzten Annahme einer voneinander unabhängigen Benutzung des MkEv und der Logienquelle durch Matthäus und Lukas wären wohl gelegentlich zufällige Übereinstimmungen zu erwarten, aber solch eine Fülle von bedeutenden Übereinstimmungen des MtEv mit dem LkEv gegen das MkEv im Markus-Stoff müsste ausgeschlossen sein. 3.1. Erklärungsversuche Im Rahmen der 2QT ist seit Mitte des 19. Jh. ganz unterschiedlich mit dem Phänomen der MA umgegangen worden bzw. es sind unterschiedliche Erklärungsversuche bemüht worden. Die markantesten seien im Folgenden benannt: 1. Die MA wurden als Problem schlichtweg ignoriert bzw. hinsichtlich ihrer Anzahl und Qualität heruntergespielt 53 ; 2. Sie sind auf zufälliges Zusammentreffen der Seitenreferenten zurückgeführt 54 oder 3. textkritisch erklärt worden 55 ; 4. Sie gaben Anlass zur Konstatierung zusätzlicher, aber sonst unbekannter, mündlicher oder schriftlicher Quellen, die auf das MtEv und das LkEv eingewirkt hätten. 56 5. Q wurde nach vorne und nach hinten um Erzählstoff erweitert, um als Quelle für MA in angenommenen Doppelüberlieferungen mit dem MkEv dienen zu können. 57 offenen Frage des synoptischen Problems [WUNT II/ 62], Tübingen 1994, 10) kommt auf insgesamt 1183 positive und negative - aufgrund gemeinsamer Auslassungen - sog. MA. 52 Ich identifiziere 110 solcher Cluster von mt-lk Übereinstimmungen innerhalb der Triple-Tradition, siehe Kahl, Erhebliche matthäisch-lukanische Übereinstimmungen, 32-35. 53 Z.B. H. Conzelmann / Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, Tübingen 14 2004, 74. 54 Z.B. Wernle, Synoptische Frage; Schmid, Matthäus und Lukas; F. Neirynck, The Minor Agreements and the Two-Source Theory, in: Strecker, Minor Agreements, 25-62. 55 Z.B. C.M. Tuckett, The Minor Agreements and Texual Criticism, in: Strecker, Minor Agreements, 119-141; tendenziell so bereits A. Jülicher, Einleitung in das Neue Testament, Tübingen 1931, 350. 56 Z.B. T. Schramm, Der Markus-Stoff bei Lukas. Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchung, Cambridge 1971. 57 Z.B. B. Weiss, Einleitung, 542; ders., Die Quellen des Lukasevangeliums, Stuttgart / Berlin 1907, 193 f.; ders. / J. Weiss, Markus und Lukas, 277 f. Q als Fiktion 155 6. Es wurde im 19. Jh. ein nicht mehr existentes Ur-MkEv 58 und im 20. Jh. verstärkt ein verloren gegangenes Deutero-MkEv 59 postuliert, auf dessen jeweilige Benutzung durch Matthäus und Lukas die MA zurückgingen. 7. Es wurde ein direkter, wenn auch nebenher laufender Einfluss des MtEv auf das LkEv angenommen, wodurch die Ur-MkEv These überwunden schien. 60 8. Es wurden und werden Kombinationen der obigen Erklärungsversuche vertreten. 61 Die Vorgehensweisen 1. bis 3. werden durch die Evidenz der MA deutlich invalidiert. Erklärungsversuche 4. bis 6. argumentieren mit über Q hinausgehenden hypothetischen Quellenkonstruktionen, die sich einzig dem Zweck verdanken, die MA zu erklären. Das 7. Modell läuft - wie gezeigt - in der Konsequenz auf eine Infragestellung der Existenz von Q hinaus. 62 In der „Beseitigung“ 63 der durch die sog. MA gegebenen Störung der 2QT kommt es zuweilen selbst in Veröffentlichungen mit hohem wissenschaftlichen Anspruch zu so willkürlichen wie kuriosen Lösungsvorschlägen. So etwa, wenn Walter Schmithals in der TRE unter Rekurs auf die UrMk-Hypothese die folgende Überlegung zu zwei der markantesten mt-lk Übereinstimmungen gegen das MkEv anstellt: „So scheinen die signifikantesten positiven Übereinstimmungen von Mt und Lk gegen Mk, nämlich gegen Mk 14,65 und 14,72, darauf zurückzugehen, daß ihre Mk-Hand- 58 Z.B. Holtzmann, Die synoptischen Evangelien. 59 Z.B. Ennulat, Minor Agreements; in radikaler Ausführung: A. Fuchs, Die „Seesturmperikope“ Mk 4,35-41 parr im Wandel der urchristlichen Verkündigung, in: Strecker, Minor Agreements, 65-91. 60 Ritschl, Über den gegenwärtigen Stand, 47-49; Simons, Hat der dritte Evangelist; Holtzmann in diesbezüglichen Veröffentlichungen nach 1878; vgl. ders., Einleitung, 2 1886, 363: „Sollten also insbesonderheit Mt und Mr zugleich bei Lc vorausgesetzt sein, so würde sich für diejenigen Fälle, wo beide Seitenreferenten gegen den Urevangelisten bald in Auslassungen oder Zuthaten, bald auch im gemeinsam von ihm abweichenden Ausdruck übereinstimmen, eine sehr einfache Erklärung ergeben und damit wenigstens das weitaus wichtigste Motiv für Unterscheidung eines Urmarcus in Wegfall kommen“. Zur Erklärung der sog. MA ist diese Position nach umfänglichen statistischen Analysen als Mittelweg zwischen der klassischen 2QT und der sog. Farrer(-Goulder) These (siehe unten unter Punkt 5) vertreten worden in dem wichtigen und in der diesbezüglichen Forschung zu Unrecht vernachlässigten Werk von R. Morgenthaler, Statistische Synopse, Zürich / Stuttgart, 1971. 61 Z.B. P. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, Berlin/ New York 1975, 274 f.; Schmithals, Einleitung, 209. 62 Vgl. dazu oben unter Punkt 2 die Ausführungen zu A. Jacobsen. 63 So die beredte Wortwahl von Schmid, Matthäus und Lukas, 169, 180 u.ö. 156 Werner Kahl schriften authentische Überlieferung boten, während der kanonische Mk auf eine Handschrift zurückgeht, die ein bei 14,65 und 14,72 an derselben Stelle beiderseits defektes Blatt enthielt, das ein früher Abschreiber wenig glücklich (Mk 14,65 und 14,72 sind unverständlich) korrigierte“. 64 Dass die aufgezeigte Divergenz von nicht allgemein durchsetzungsfähigen Lösungsversuchen und ein mit ihnen verbundenes hohes Maß an Hypothetizität bezüglich der Erklärung der sog. MA in der neutestamentlichen Wissenschaft akzeptabel ist, macht lediglich die grundlegende Bedeutung transparent, die der 2QT zuerkannt wird. 3.2. Minor Agreements als problematische Kategorie Die Problematik der Kategorie MA wird greifbar anhand der verbreiteten Methodik einer einseitigen , sozusagen systemstabilisierenden Eruierung von MA: Im Zusammenhang des MkEv eingebettete mt-lk Übereinstimmungen, welche Überschüsse in Form eines Satzes bzw. mehrerer Sätze darstellen, gelten z. B. nicht mehr als MA, sondern werden der Spruchquelle zugeschlagen, vgl. etwa die sog. Bußpredigt des Täufers (Mt 3,7-10/ Lk 3,7-9) oder die Messianische Verkündigung des Täufers (Mt 3,11b-12/ Lk 3,16b-17), aber auch die ausgeführten Versuchungen Jesu (Mt 4,2-11/ Lk 4,2b-13). 65 Damit ergeben sich freilich weitere Schwierigkeiten, etwa hinsichtlich des Charakters der vorgeblichen Quelle mit Sprüchen Jesu , die dann exakt parallel zum MkEv nicht nur narrativ eingesetzt hätte, sondern auch noch ausgerechnet mit der Täufer überlieferung. 66 Und gerade hinsichtlich dieser Beobachtung widerspricht das Thomasevangelium , das gelegentlich zur Plausibilisierung der Existenz von Q herangezogen wird, der postulierten Logienquelle. Im koptisch 64 Schmithals, Art. Evangelien, Synoptische, in: TRE 10 (1982), 570-626, hier 596. 65 Vgl. dazu die Beobachtungen von Goodacre, The Synoptic Problem. A Way Through the Maze, London / New York 2001, 128-131. 66 Vgl. dazu die m. E. unhaltbaren, der Rettung von Q dienenden Hypothesenanhäufungen durch Lindemann, Die Logienquelle Q. Fragen an eine gut begründete Hypothese, in: ders., Sayings Source, 3-26, bes. 5-8. Während Lindemann erwägt, dass Q erst mit der Bergpredigt/ Feldrede begonnen hätte, schlägt jüngst Labahn (Der Gekommene) unter Rekurs auf Erkenntnisse der literaturwissenschaftlichen Pragmatik den umgekehrten Weg ein, indem er Q als intentional offene Erzählung begreift: „In der vorangegangenen Perspektive ist der sparsame Einsatz direkter Erzählinformationen und Erzählerkommentare mit Anliegen und literarischem Charakter des Dokuments in Einklang zu bringen. Der beklagte Mangel an narrativer Struktur wird so von der crux zum clue des opus“ (564). Danach gilt - unter Verweis auf Wolfgang Iser: „Der implizite Leser ist als ein verständiger Leser konstruiert, der die im Text auftretenden gaps inhaltlich füllt“ (565). Die quellenkritische Not in der Rekonstruktion von Q wandelt sich in diesem Entwurf zur narratologischen Tugend. Q als Fiktion 157 überlieferten Text des Thomasevangeliums sind nämlich ausschließlich Sprüche Jesu überliefert, die nur äußerst spärlich mit narrativen Markern versehen sind. Aufgrund der beschriebenen Vorgehensweise der Trennung von längeren und kürzeren mt-lk Übereinstimmungen lassen sich dann tatsächlich keine längeren MA in der Triple-Tradition finden, denn die sind gerade aufgrund jener Trennung ausgesondert worden. Daraus wird dann im Arbeitsbuch zum Neuen Testament von Hans Conzelmann und Andreas Lindemann ein Argument für die Annahme der gegenseitigen Unabhängigkeit von MtEv und LkEv: „an keiner Stelle liegen über Mk hinausgehende gemeinsame ganze Sätze vor“. 67 Das aber ist ein Zirkelschluss. Allerdings ist schon die Behauptung, wonach MtEv und LkEv in der Triple-Tradition „niemals ganze Sätze über Mk hinaus“ enthielten, selbst im Rahmen der 2QT nicht korrekt: Mit dem bekannten MA Mt 26,68/ Lk 22,64b - „Wer hat dich geschlagen? “ - liegt ein „ganzer“ Satz als MA vor! Es ließen sich drei weitere Beispiele anführen. 68 Aber das Argument von Conzelmann/ Lindemann trägt noch nicht einmal im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang ungeprüft vorausgesetzte Unterstellung, wonach etwa Lukas aus dem MkEv häufig und deutlich erkennbar „ganze Sätze“ übernommen hätte. Was hier suggeriert wird, lässt sich nämlich am Text nicht erhärten - ganz im Gegenteil: Neben einigen Halbsätzen weist das LkEv exklusiv mit dem MkEv in der Triple-Tradition nur drei mehr oder weniger identische, ganze Sätze auf. 69 Innerhalb des 2QT-Diskurses bedeuten MA einen Restbestand an Material, der mehr oder weniger als Problem ernst genommen wird, der die 2QT aber nicht wirklich in Frage stellen kann . Die MA sind nämlich eine Funktion dieser Theorie . Allein der Begriff MA, definiert als geringfügige mt-lk Übereinstimmungen, ist gewisser Maßen eine self-fulfilling prophecy , die die 2QT stützt, denn er setzt bereits voraus, dass Matthäus und Lukas das MkEv unabhängig voneinander benutzt hätten. Unter dieser Prämisse werden kürzere mt-lk Übereinstimmungen gegen das MkEv im Mk-Stoff aufgespürt, die dann über ihren Status als mehr oder weniger minor auch nicht hinauskommen können . Der Modus des synoptischen Vergleichs, wie er unter der Voraussetzung der 2QT zur Anwendung kommt, erweist sich insgesamt als problematisch, führt er doch zu einer verzerrten Wahrnehmung der synoptischen Verhältnisbestimmung, d. h. eine, die mit der 2QT kompatibel ist. Wissenschaftlich erforderlich ist ein neutraler Vergleich der Texte. 67 Conzelmann / Lindemann, Arbeitsbuch, 74. 68 Mt 3,12/ Lk 3,17 („Q“); 21,44/ 20,18; 26,75c/ 22,62. 69 Mk 9,38b-39a/ Lk 9,49b-50a; 9,40/ 9,50b; 10,15/ 18,17. 158 Werner Kahl 4. Zur Methodik eines neutralen Textvergleichs Nun ergibt eine vorbehaltlose Vergleichung der Triple-Tradition bzw. besser des gesamten synoptischen Stoffs ein ganz anderes Bild: Vergleicht man dieses Material nämlich neutral miteinander nach allen wechselseitigen Differenzen und Übereinstimmungen, so ergibt sich, dass in vielen Passagen, in denen nach der 2QT MA konstatiert werden, es tatsächlich noch weniger exklusive Übereinstimmungen zwischen dem LkEv und dem MkEv(! ) gibt. Anders gesagt: In vielen Perikopen der Triple-Tradition weist das LkEv insgesamt mehr Übereinstimmungen mit dem MtEv als mit dem MkEv auf. Diese Tatsache konnte bisher bei dem weithin üblichen Verfahren einer isolierten Betrachtung allein der exklusiven Übereinstimmungen zwischen MtEv und LkEv im Markusstoff - also unter Ausblendung der diesbezüglichen exklusiven Übereinstimmungen zwischen MtEv und MkEv einerseits und zwischen LkEv und MkEv andererseits 70 - nicht in den Blick treten. Sie ist mit der 2QT auch nicht kompatibel zu machen, sondern stellt sie in Frage. Bei dem hier empfohlenen neutralen Vergleich wird zunächst keine Vorentscheidung getroffen über die Richtung einer etwaigen schriftlichen Abhängigkeit. D.h. das Material, das alle drei Synoptiker in einer parallelen Perikope identisch haben, wird wohl notiert; es scheidet aber als richtungweisend aus! Diese Übereinstimmungen möchte ich als inclusive agreements (IA) bezeichnen. Unter der Voraussetzung der 2QT hätte Lukas diesen Stoff immer aus dem MkEv übernommen. Ein neutraler Vergleich kann darüber zunächst keine Entscheidung treffen, denn im Fall, dass Lukas das MtEv gekannt hätte, könnte er diesen Stoff auch aus diesem haben. Um neutral Tendenzen einer literarischen Abhängigkeit feststellen zu können, wäre es um der Wissenschaftlichkeit des Verfahrens geboten, die IA zunächst zu isolieren. Übrig blieben dann Sondergut sowie Übereinstimmungen von je zwei Synoptikern gegen den dritten. Diese 70 Bereits Morgenthaler (Statistische Synopse, 281) stellte 1971 unter positiver Bezugnahme auf das statistisch-analytische Werk von B. de Solages (Synopse grecque des Évangiles. Méthode nouvelle pour réssoudre le problème synoptique, Leiden 1959) fest: Jene Zweierverbindungen „sind bis dahin selten oder nie untersucht und den Koinzidenzen Mt-Lk gegenübergestellt worden“. Diese Beobachtung trifft eine Forschergeneration später noch immer zu. Eine Ausnahme ist Baum (Der mündliche Faktor, 22-24), der seiner Arbeit die synoptischen Analyseergebnisse von Honoré (Statistical Study) aus dem Jahr 1968 zugrunde legt. Schramm (Markus-Stoff) erkennt in seinen gründlichen synoptischen Analysen von 1971 wohl zahlreiche gewichtige Übereinstimmungen zwischen MtEv und LkEv in Perikopen des Markusstoffs, führt sie aber, um grundsätzlich im Rahmen der 2QT bleiben zu können, zurück auf eine Vielzahl mündlich wie schriftlich umlaufender mk Traditionsvarianten, auf die dann Matthäus und Lukas unabhängig voneinander rekurriert hätten. Q als Fiktion 159 Übereinstimmungen bezeichne ich als exclusive agreements (EA), die ihrerseits differenziert werden in EA Mk-Mt , in EA Mk-Lk und in EA Mt-Lk . Erst auf der Grundlage dieser differenzierten Betrachtung wäre dann der Versuch zu unternehmen, Abhängigkeitsverhältnisse zu bestimmen. Ein solcher Vergleich aller der der Triple-Tradition zuerkannten Perikopen ergibt folgendes Ergebnis - an dieser Stelle sind inklusive und exklusive Übereinstimmungen konservativ quantifiziert anhand formidentischer Wörter : Im synoptischen Beziehungsverhältnis weisen MtEv und MkEv - gemessen allein an der Anzahl formidentischer Wörter - eine relativ größere Nähe zueinander auf (1908 EA Mk-Mt ) als LkEv und MkEv zueinander (1039 EA Mk-Lk ) oder - noch deutlicher - als MtEv und LkEv (637 EA Mt-Lk ) zueinander. Die Differenz in der Anzahl der jeweiligen EA ist dabei wohl deutlich, aber alles andere als gravierend: MtEv-MkEv weisen etwa dreimal so viele EA auf wie MtEv-LkEv; aber die EA Mk-Lk machen nur etwa anderthalbmal so viele aus wie die EA Mt-Lk . 71 Bedeutet diese Erhebung bereits eine ernstzunehmende Herausforderung für die 2QT, so kommt eine detaillierte synoptische Vergleichung von Perikopen der Triple-Tradition zu einem Ergebnis, das die 2QT nachhaltig erschüttert. Jetzt werden nämlich außer den exklusiven Übereinstimmungen formidentischer Wörter auch sämtliche relative Nähen bzw. Distanzen in Bezug auf Wortwahl und Aussageinhalt zweier Evangelien gegen das jeweils dritte notiert. 72 Über die Erfassung dieser Indikatoren kann so ein Gesamtbild über das tatsächliche Verhältnis der synoptischen Evangelien - hier beschränkt auf die Triple-Tradition - zu einander gewonnen werden. All diese Beobachtungen unterminieren die bisher von Vertretern der 2QT als gültig erachtete Einschätzung, wonach „in allen gemeinsamen Abschnitten der drei Synoptiker ausnahmslos Lk viel enger mit Mk zusammengeht als mit Mt, und dass seine Übereinstimmungen mit Mt gegen Mk immer nur einen ganz geringen Prozentsatz seiner Übereinstimmungen mit Mt bilden […]“. 73 Robert Morgenthaler, der aufgrund der Häufungen von EA Mt-Lk in einigen Perikopen sowie aufgrund der Tatsache, dass diese Übereinstimmungen in beinahe der gesamten Triple-Tradition zu beobachten sind, eine modifizierte 2QT vertritt, wonach Lukas auch das MtEv benutzt hätte, hält eine „Alternativlösung zur Q-Hypothese“ mit dem Hinweis darauf nicht für geboten, dass es sich hier 71 Vgl. das Schaubild bei Kahl, Erhebliche matthäisch-lukanische Übereinstimmungen, 29. 72 Zur Ausführung vgl. ebd., 30-35. 73 Schmid, Matthäus und Lukas, 176 (Hervorhebungen: W.K.); so auch Labahn, Der Gekommene, 33. 160 Werner Kahl aufs Ganze gesehen doch nur um „kleinere Übereinstimmungen“ handelte. 74 Wenn sich diese Minimierung der EA Mt-Lk aufgrund der vorangehenden Beobachtungen nicht länger halten lässt, dann ist damit die Aufgabe nach einer Alternativlösung des synoptischen Beziehungsverhältnisses sehr wohl gestellt. 5. Die kritischen Anfragen an das Synoptische Integrationsmodell Im bisherigen Verlauf der Darstellung sind bereits zwei der drei von Conzelmann/ Lindemann vorgebrachten typischen Argumente gegen eine direkte literarische Beziehung MtEv-LkEv entkräftet worden: 75 Es konnte erstens entgegen ihrer Behauptung gezeigt werden, dass es unter den sog. MA sehr wohl „über Mk hinausgehende gemeinsame ganze Sätze“ gibt. 76 Zweitens ist ihre Einschätzung, wonach „die Zahl der ‚positiven‘ minor agreements im ganzen doch sehr gering ist“ 77 , kaum haltbar angesichts einer Anzahl von wenigstens 637 positiven EA Mt-Lk , die an 110 Stellen clusterförmig auftreten, also an den meisten Stellen sicher nicht zufällig zustande gekommen sind. 78 Das von Conzelmann/ Lindemann vorgebrachte dritte Argument, wonach „der beiden gemeinsame nicht aus Mk stammende umfangreichere Stoff […] bei Lk niemals an derselben Stelle wie bei Mt in den Mk-Faden eingefügt ist“, 79 74 Morgenthaler, Statistische Synopse, 303. 75 Zur Widerlegung dieser, sowie weiterer Einwände, vgl. Goodacre (The Synoptic Problem, 122-161) und schon Larfeld, Evangelien, 73-78. 76 Conzelmann / Lindemann, Arbeitsbuch, 74; vgl. oben unter Punkt 3.2. 77 Ebd., 74. 78 J.C. Hawkins (Horae Synopticae. Contributions to the Study of the Synoptic Problem, Oxford 2 1909, 208-210) kommt auf 238 von ihm identifizierte “MA”, von denen er 218 als zufällig zustande gekommen erklärt. Es bleiben 20 dieser Übereinstimmungen in 20 Perikopen übrig. Theoretisch hält es Hawkins neben anderen Erklärungen auch nicht für unmöglich, dass „one of these compilers [was] able to consult the work of the other“ (211). Aber dieses Szenario erklärt er dann doch für unwahrscheinlich angesichts des „very small bulk of the additions and alterations, compared with the whole amount of the matter of these sections“ (212). Wenn es nun aber viel mehr - und nicht so leicht weg zu diskutierende! - EA Mt-Lk gibt und sehr häufig relative bis größte Nähen zwischen dem MtEv und dem LkEv, so legte sich nach der Argumentation von Hawkins sehr wohl nahe, dass zwischen MtEv und LkEv ein direktes Benutzungsverhältnis besteht. Die - Conzelmann/ Lindemann analoge - willkürliche Vorgehensweise der Reduzierung ernsthafter EA Mt-Lk auf wenige Fälle wird von Hawkins komplementiert durch die hypothetische Annahme einer deutero-mk Rezension (212). An diesem Beispiel wird Folgendes anschaulich: Die 2QT erscheint als Resultat der Kombination nicht-textgestützter Behauptungen mit Hypothesenhäufungen . 79 Ebd., 74 (Hervorhebung im Original). Q als Fiktion 161 sei im Folgenden noch einmal ausführlicher im Zusammenhang mit der Infragestellung einer möglichen Kenntnis der mt Bergpredigt durch Lukas diskutiert. Gegen die Annahme einer lk Benutzung des MtEv wird in der diesbezüglichen exegetischen Literatur vor allem eingewandt: „Why would so literary an artist as Luke want to destroy the Matthean masterpiece of the Sermon on the Mount? “ 80 Dieser Einwand verfängt nicht. Holtzmann, der ihn 1863 selbst vorgebracht hatte, 81 entlarvte ihn Mitte der achtziger Jahre des 19. Jh. als Scheinargument, welches auf einem gewohnheitsmäßigen, ästhetischen Urteil beruht: „Und doch spricht aus solchem Urtheil nur die eingewurzelte Gewohnheit, in Mt eben die maassgebende Gestalt der evangel. Geschichte, die vollkommenste Ausprägung der Reden Jesu u.s.w. zu erblicken, davon nicht zu begreifen wäre, wie sie einem Schriftsteller, der sie kannte, so wenig gewichtig vorkommen konnte, um in vielen ihrer Bestandteile gänzlich ignorirt zu werden“. 82 Die Bergpredigt erfreut sich erst seit der aufgeklärten Theologie des 18./ 19. Jh.s großer Beliebtheit: Sie konnte geradezu als das Herzstück des MtEv und als jesuanische Grundlage einer christlichen Gesinnungsethik erachtet werden. 83 Wir haben aber keinerlei Evidenz dafür, dass diese Anschauung schon in den 80 J.A. Fitzmyer, The Gospel According to Luke I-IX. Introduction, Translation, and Notes (AB 28), New York 1981, 74; Ebner (Die synoptische Frage, 82) zitiert zustimmend Fitzmyers Diktum; vgl. Schmithals, Einleitung, 173. Dieses ästhetische Argument wandert in Variation mindestens seit Mitte des 19. Jh. durch die diesbezügliche Literatur, vgl. H.W.J. Thiersch, Die Kirche im apostolischen Zeitalter und die Entstehung der neutestamentlichen Schriften, Frankfurt / Erlangen 1852, 179 f.: „Andererseits hat Lukas sicher den Matthäus nicht vor sich gehabt; er hätte bei seinem Streben nach Vollständigkeit nicht so manchen herrlichen Stoff aus Matthäus unbenutzt gelassen“; vgl. Holtzmann, Die synoptischen Evangelien, 163 f.: „Alle Stellen, die Lucas mit Matthäus über A (Apostolische Quelle, d. h. Ur-MkEv, W.K.) hinaus gemein hat, stammen aus Λ (Logienquelle, W.K.) und erklären sich in der That auch nur so , da man […] annehmen müsste, dass Lucas den schön geschlossenen Zusammenhang der matthäischen Kunstwerke fast muthwillig durchbrochen hätte […]. Unnatürlich im höchsten Grad wäre es gewesen, wenn Lucas förmlich darauf ausgegangen sein sollte, die schön verbundenen Redecyclen in ihre Elemente aufzulösen , sie in einzelne Spruchfragmente zu zerreissen und dann diesen besondere Veranlassungen anzudichten“ (Hervorhebungen: W.K.). Historisch aufschlussreich sind diese Aussagen nur insofern, als sie einerseits Auskunft geben über den literarischen Geschmack Holtzmanns und zumindest einiger seiner gebildeten Zeitgenossen und andererseits über einen Mangel an Reflexionsvermögen hinsichtlich der kulturellen Distanz zur Enzyklopädie der mediterranen Antike. Zwanzig Jahre später wird Holtzmann dem eigenen Geschmacksurteil deutlich widersprechen, s. die übernächste Anm. 81 S. die vorangehende Anm. 82 Holtzmann, Einleitung, 2 1886, 364; vgl. ausführlicher die Begründung in Simons, Hat der dritte Evangelist, 109 f. 83 Vgl. Strecker, Bergpredigt, 16 f.; vgl. z. B. A. von Harnack, Sprüche und Reden Jesu. Die zweite Quelle des Matthäus und Lukas, Leipzig 1907, 173. 162 Werner Kahl ersten drei Jahrhunderten geteilt wurde - ganz im Gegenteil. 84 Allein der Begriff „Bergpredigt“ als Titel für die Perikopen, die wir nach unserer Kapiteleinteilung seit dem Mittelalter in Mt 5-7 finden, begegnet vor Augustins Schrift De sermone Domini in Monte aus dem Jahr 394 nicht, zumal mit dieser Schrift der älteste uns bekannte separate Kommentar dieser mt Redekomposition vorliegt. Wenn wir weiter in Betracht ziehen, wie eigenständig Lukas mit seiner mk Vorlage im Allgemeinen und mit längeren Redekompositionen im Besonderen umgeht 85 , dann erschließt sich analog nicht nur die Möglichkeit, sondern geradezu die Notwendigkeit einer so kritischen wie kreativen Adaption auch der mt Bergpredigt (Kürzung, Aufsplittung, Re-Gruppierung, Umformulierung) durch Lukas als Selbstverständlichkeit. 86 Die direkte Benutzung der mt Bergpredigt durch Lukas legt sich auch aufgrund folgender struktureller und inhaltlicher Beobachtungen nahe: Entgegen einem verbreiteten exegetischen Urteil fügen nämlich beide Seitenreferenten diese Rede im selben Markuszusammenhang ein, indem „Mt (4,25; 5,1) und Lk (6,17ff) die gleiche Mk-Stelle (3,7ff.) für die Rahmung der Bergpredigt/ Feldrede verwenden, dabei sogar die gleichen Elemente aus Mk 3 für die Einleitung der Predigt in Anspruch nehmen. Das kann schwerlich Zufall sein“. 87 Wenn Conzelmann/ Lindemann hingegen geltend zu machen versuchen, dass „Mt […] die bei Mk fehlende Bergpredigt hinter Mk 1,20 ein[fügt], Lk dagegen […] seine der Bergpredigt entsprechende Feldrede (6,20-49) erst nach Mk 3,19“, 88 dann ignorieren sie deutliche Indizien einer Aufnahme von Motiven aus Mk 1,28.32.34.39; 3,7f.13 in Mt 4,23-5,1. 89 Damit ist ein markantes Beispiel 84 K. Beyschlag, Zur Geschichte der Bergpredigt in der Alten Kirche, in: ZThK 74 (1977), 291-322. 85 So reduziert Lukas in 8,4-18 das Gleichniskapitel Mk 4,1-34 im Markuszusammenhang auf die Darstellung und Deutung eines Gleichnisses. Er lässt einiges aus und transloziert das Gleichnis vom Senfkorn nach 13,18-19 - allerdings in markanter Veränderung, die ko-textuell bedingt ist unter dem thematischen Fokus der Inklusion der Heiden (13,18- 30); vgl. dazu treffend Goulder, Luke, 41-43; 566-570. 86 Vgl. dazu die Ausführungen von Goulder (Luke, 38-41) sowie M. A. Matson, Luke’s Rewriting of the Sermon on the Mount, in: Goodacre / Perrin, Questioning Q, 43-70. 87 Schramm, Markus-Stoff, 113. Dem - so Schramm - „erstaunlichen Phänomen“ der Einfügung dieser Rede an derselben Stelle im MkEv versucht er (ebd.) durch die Annahme Rechnung zu tragen, „daß bereits die hinter Bergpredigt und Feldrede liegende Quelle eine Mk 3,7ff. entsprechende Rahmennotiz enthielt“, hier also eine Traditionsvariante vorläge; vgl. so auch Wolter, Lukasevangelium, 241. Holtzmann (Die synoptischen Evangelien, 75 f.) nahm diese mt-lk Übereinstimmung in der Lokalisierung zum Anlass, die Bergpredigt als Bestandteil eines Ur-MkEv zu postulieren, eingefügt nach Mk 3,13-19. 88 Conzelmann / Lindemann, Arbeitsbuch, 72; vgl. Schmid, Matthäus und Lukas, 212. 89 Zur Analyse vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1-7) (EKK I,1), Neukirchen-Vluyn 5 2002, 245, 266, wobei Luz allerdings die frappierenden Übereinstimmungen Q als Fiktion 163 dafür benannt, dass Lukas durchaus „gemeinsame[n] umfangreiche[n] Stoff […] an derselben Stelle innerhalb des Mk-Fadens“ einfügt wie Matthäus, 90 was freilich auch an der Täuferüberlieferung und Jesu Versuchung in Mk 1,1-13 parr verifizierbar ist. Zudem wird deutlich: Lukas lässt dieser mit Seligpreisungen anhebenden Rede Jesu wie Matthäus die narrativ entfalteten Themen Jüngerberufung 91 und Heilungssummarium vorangehen (Mt 4,18-22.23-25/ Lk 6,12-16.17-19), und zwar gegen Mk 3,7-12.13-19 und mit dem MtEv in umgekehrter Reihenfolge. Dabei erscheint die lk Vorbereitung der Rede als erzähllogische Korrektur des MtEv, denn nach dem narrativen Verlauf des MtEv können als die Adressaten dieser Lehre nach 5,1 nur die vier Jünger gemeint sein, die Jesus bis dato berufen hatte (4,18-22). 92 Die mt Einleitung zur Bergpredigt in 5,1f. steht außerdem in einer gewissen Spannung zur Notiz im Anschluss an die Rede in 7,28f., wonach vorausgesetzt ist, dass eine Vielzahl von Leuten die Adressaten der Lehrpredigt sind. In 5,1f. bleibt nämlich unklar, ob die Jünger die einzigen Adressaten sind, oder ob Jesu Worte auch für die Vielzahl von Leuten (5,1) bestimmt sind. Gegenüber dieser Unbestimmtheit erscheint die lk Inszenierung als Glättung. Lukas lässt nämlich im Anschluss an Mk 3,7-19 diese Rede ausdrücklich vor einer größeren Anzahl von Jüngern stattfinden, unter denen in Lk 6,13-16 zwölf als Apostel auserwählt worden waren. Dabei ist gleichzeitig die Anwesenheit einer großen Volksmenge (6,17) mitgedacht. Der Abschluss der Feldrede in 7,1 ist dazu kompatibel. Diese Korrekturen entsprechen der lk Vorgehensweise und dem Anliegen, welches Lukas in seinem Proömium (1,3f.) mitteilt: Damit der Adressat sich der Stichhaltigkeit dessen, was ihm erzählt worden war, vergewissern kann, hält es der Autor für nötig, alles in - wohl: kritischer - Orientierung an ihm vorliegenden Traditionen für Theophilos der Reihe nach aufzuschreiben. Lukas kommuniziert damit sein Bemühen, die von ihm bemerkten Inkonsistenzen in den ihm vorliegenden Jesuserzählungen in seiner Darstellung des Wirkens Jesu zu beheben. mit dem LkEv nicht diskutiert. Die identische Einfügung der Rede deutete im letzten Quartal des 19. Jh. Simons (Hat der dritte Evangelist, 36) als Indiz dafür, dass Lukas das MtEv benutzt hat; vgl. ähnlich auch Jacobsen (Untersuchungen, 6) und im 20. Jh. Morgenthaler, Statistische Synopse, 304 f. Dem Sachverhalt der identischen Einfügung der Rede in den mk Zusammenhang trägt die Aland-Synopse Rechnung, vgl. 73 f., 101 ff. Die Huck-Greeven-Synopse hingegen lokalisiert die Bergpredigt im narrativen Verlauf zwischen Mk 1,39-40 und die Feldrede nach Mk 3,19. 90 Vgl. Conzelmann / Lindemann, Arbeitsbuch, 72, 74. 91 Nach Mt 4,18-22 allerdings beschränkt auf die Berufung der vier ersten Jünger. 92 Schon Jacobsen (Untersuchungen, 6) stellte zurecht die kritische Frage nach der Anzahl der nach Mt 5,1 anwesend gedachten Jünger und moniert: „Hier liegt eine wenig befriedigende Skizze vor“. 164 Werner Kahl In der unmittelbaren szenischen Vorbereitung der nachfolgenden großen Rede Jesu orientierten sich im übrigen beide Seitenreferenten in Mt 4,24-5,1 und Lk 6,17-20a an der Vorlage Mk 3,7-13a. Auch in diesem Abschnitt begegnen EA Mt-Lk , die die Vermutung erhärten, dass Lukas neben dem MkEv auch das MtEv vorliegen hatte (vgl. Mt 4,24/ Lk 6,18; Mt 4,25/ Lk 6,17; Mt 5,1/ Lk 6,19, sowie die gemeinsame Auslassung von Mk 3,9.11b-12. 93 Außerdem heilt Jesus sowohl nach Mt 4,24 als auch nach Lk 6,19 „alle“ - im Unterschied zu „viele“ nach Mk 3,10. Dass die Feldrede (Lk 6,20-49) das Resultat einer kritischen Benutzung der mt Bergpredigt durch Lukas darstellt, scheint mir evident z. B. in Bezug auf seine gegenüber Matthäus entspiritualisierte und verkürzte Version der Seligpreisungen, derer Vierzahl Lukas eine Viererreihe von Unheilsansagen an die Reichen korrespondieren lässt. Die hier manifeste Materialität des Heils in Verbindung mit der Ansage der eschatologischen Umkehrung bestehender ungerechter Ordnungen stellt ein durchgängiges Merkmal der lk Darstellung des Evangeliums dar. 94 6. Abschließende Würdigung des Synoptischen Integrationsmodells In Bezug auf das Verhältnis von MtEv zu Q kommt Ulrich Luz als Vertreter der 2QT aufgrund detaillierter Analysen in seinem Matthäuskommentar zu folgender Beobachtung: „Zwischen Q und dem Matthäusevangelium gibt es nicht nur eine sprachliche und theologische, sondern auch eine kirchensoziologische und historische Kontinuität“. 95 Diese Nähen veranlassen ihn zu der These, dass die mt Gemeinde in Syrien von Repräsentanten der Q-Tradition gegründet worden sei, es sich also bei den Q-Traditionen um „eigene“ Traditionen der mt Gemeinde handelte. 96 Für die Stützung der 2QT ist dies allerdings eine Behauptung von zweifelhafter Qualität. Sie weist vielmehr in Richtung der Position Goulders, denn: Wenn es so große Nähen von Q und MtEv gibt, dass sich Q von der mt Redaktion kaum trennen lässt, dann indiziert das eher die Identität von Q und MtEv in Bezug auf die betreffenden Passagen. 97 Dies wird bestätigt - im Nachhi- 93 Mk 3,10-11a ist in modifizierter Motivdislozierung verarbeitet in Mt 4,24. 94 Vgl. S. Alkier, Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments (NET 12), Tübingen / Basel 2009, 126. 95 Luz, Matthäus, Bd. 1, 89. 96 Ebd., 90. 97 Goulder, Self-Contradiction in the IQP, in: JBL 118/ 3 (1999), 506-517, hier 517: „if Q writes and thinks like Matthew, and lived in the same area in the same decade, perhaps we should dispense with the Q hypothesis altogether“. Q als Fiktion 165 nein und nicht intendiert, wenn auch in diesem Zusammenhang in begrüßenswerter Weise! - durch die Analyseergebnisse meiner eingangs erwähnten Dissertation zu den ntl. Wundererzählungen. Dort stellte ich fest, dass sowohl in Q als auch im MtEv in den Wundererzählungen der Fokus auf der Positionierung zum Wundertäter Jesus zu liegen kommt, nicht etwa auf der Wundertat selbst: „In this tendency Mathhew’s miracle tradition appears to be in close proximity to Q“. 98 Dabei reflektieren beide deutlich Konventionen jüdisch palästinischer Wunderüberlieferungen. 99 Mit der Bezeichnung des hier favorisierten Erklärungsmodells - Synoptisches Integrationsmodell - soll zum Ausdruck gebracht werden: Das synoptische Beziehungsverhältnis ist vor allem das Ergebnis von Prozessen kreativer Re-Lektüren und einer kritischen Integration von je schriftlich Vorliegendem, was insgesamt zu einer Zunahme an Stofffülle geführt hat. Nach dieser Benutzungstheorie verlief die Entwicklung vom MkEv zum MtEv und dann zum LkEv, der beide als Vorlagen benutzte. So wie der Autor des MtEv die Erzählung des MkEv einer kritisch-kreativen Re-Lektüre unterzogen und sie mit weiterem Material, dessen Herkunft und ursprünglicher Wortlaut uns unbekannt ist, angereichert hat, hat der Autor des LkEv sowohl das MkEv als auch das MtEv kritisch-kreativ bearbeitet, auf bestimmte Weise ineinander verschränkt und mit weiterem Stoff angefüllt. 100 Ich halte es darüber hinaus - auch angesichts des lk Prologs - für sehr wahrscheinlich, dass Lukas zahlreiche Erzählungen seines Sonderguts, insbesondere im sog. Reisebericht, aus weiteren, uns unbekannten Quellen schöpfte. Dabei wird er auf ähnliche Weise, wie er das MkEv und das MtEv verarbeitete, kritisch-kreativ fortgeschrieben und ineinander integriert haben, was er jeweils vorfand. Das m. E. plausible und sich aufgrund der Analyse des synoptischen Texts nahelegende Synoptische Integrationsmodell sei anhand der folgenden Skizze veranschaulicht. Ein Großteil des Stoffes, den das MtEv über das MkEv hinaus aufweist, dürfte auf von Matthäus gestaltete Jesusüber- 98 Kahl, Miracle Stories, 225. 99 Ebd., 222, 226. 100 So auch Goodacre, The Case Against Q , Harrisburg 2002, 188. Für das Johannesevangelium lässt sich im Anschluss an Hartwig Thyen, Das Johannesevangelium , HNT 6, Tübingen, 2005, in Bezug auf sein Verhältnis zu den in ihm reflektierten synoptischen Evangelien eine differente Verfahrensweise konstatieren. Auch der Autor des JohEv integriert seine Vorlagen kritisch-kreativ, allerdings in einem viel stärkeren Maß als Lukas dies tut in Bezug auf seine Quellen. Die Quellen des JohEv lassen sich kaum mehr erkennen. Für seine Vorgehensweise in Bezug auf die Verarbeitung der synoptischen Evangelien schlage ich die Bezeichnung Synoptisches Umschreibungsmodell (SUM) vor. Diese tendenziell kritisch-systematisierende Vorgehensweise brachte es mit sich, dass die bis zum LkEv aufgrund einer tendenziell kritisch-additiven Verfahrensweise stetig angewachsene Stofffülle wieder abnehmen konnte. 166 Werner Kahl lieferungen zurückgehen. Unter Rekurs auf die Papiasnotiz zum MtEv verweise ich mit λóγια auf solche für uns nicht näher greifbaren Überlieferungen. In Ernstnahme der Information des Lukasprologs (Lk 1,1), wonach bereits Viele entsprechende Erzählungen verfasst hatten, umfasst πολλοí sowohl das MkEv als auch das MtEv und darüber hinaus noch weitere Zeugnisse, die uns im Einzelnen unbekannt sind, die aber insbesondere im Sondergut des Lukas und vor allem in seinem sog. Reisebericht begegnen, selbstverständlich in kritisch-kreativer Adaption durch Lukas. Schaubild: Das Synoptische Integrationsmodell Es spricht theoretisch prinzipiell nichts gegen die Möglichkeit, dass der Verfasser des LkEv auch das MtEv benutzt haben könnte, und tatsächlich weisen viele Indikatoren darauf hin, dass Lukas das MtEv benutzt hat. Nur im Rahmen der innerhalb der 2QT vorausgesetzten Vorentscheidungen verbietet sich diese Möglichkeit kategorisch. Es ist indes gar nicht auszuschließen, dass sich unter den schriftlichen Jesuserzählungen, von denen Lukas Kenntnis hatte (vgl. Lk 1,1), auch eine Schrift mit Jesustraditionen befunden hat, die - in welcher Form auch immer - auch Matthäus vorgelegen und die dieser in seine Darstellung eingearbeitet hatte. Nur lässt sich diese Annahme aufgrund der Benutzung des MtEv durch Lukas nicht verifizieren. Sie ist unnötig und aufgrund der Tatsache, dass eine solche Quelle weder handschriftlich noch durch schriftstellerische Verweise für die Antike bezeugt ist, eher unwahrscheinlich. Wie gezeigt, weist die 2QT auf verschiedenen Ebenen erhebliche Schwierigkeiten auf. Das SIM wird dem synoptischen Befund besser gerecht als die 2QT. Das SIM erlaubt es, die Fortschreibungsaktivitäten sowohl von Matthäus als Q als Fiktion 167 auch von Lukas angemessener als unter dem Paradigma der 2QT möglich zu würdigen, nachzuvollziehen und auch zugrunde liegende Motivationen und Intentionen zu verstehen. 101 Bezüglich seiner Vorgehensweise hält sich Lukas generell an die im Mk-Ev und auch im Mt-Ev vorgegebene Struktur, innerhalb derer er Einfügungen und Perikopenumstellungen vornehmen kann. Im Durchgang durch beide Quellen schließt sich Lukas manchmal stärker an das Mk-Ev, manchmal stärker am das Mt-Ev an: Orientiert er sich z. B. in 1,5-4,30 am Mt-Ev, so gibt er in 4,31-6,19 dem Mk-Ev den Vorzug, um sich dann der mt. Bergpredigt zu widmen, die er in aller schriftstellerischen und theologischen Freiheit steinbruchartig benutzt. 102 Diese Veränderungen sind ganz unterschiedlich motiviert: Kürzungen, Auslassungen und Fokussierung ergehen vor allem aus Gründen der Ökonomie in Bezug auf den zur Verfügung stehenden Schreibplatz - das Lk-Ev ist aufgrund der Verschränkung seiner beiden Hauptvorlagen hinsichtlich seines Stoffumfangs die längste Schrift im NT. Einige Veränderungen gegenüber Mk-Ev und Mt-Ev haben die Funktion, Sinnzusammenhänge herzustellen und Leerstellen auszufüllen (etwa durch Umstellungen und Erweiterungen). Andere sind inhaltlich-theologisch bestimmt: Auslassungen oder Verminderung der - innerjüdischen - antijüdischen Polemiken des Mt-Ev, die in einem außerpalästinischen Rezeptionshorizont des Lk-Ev missverstanden werden könnten und auch dem integrativen Anliegen des Lukas in paulinischer Tradition entgegenliefen; Translozierung und Modifizierung des mk.-mt. rein-unrein Diskurses in Apg 10-15; Präferenz Gottes für die Armen; Heilsuniversalismus. Andere Veränderungen gründen in literarisch-rhetorischen Konventionen, mit denen Lukas Erwartungen seines vorausgesetzten Adressaten bedient (vgl. Prolog, historische Informationen, stilistische Verbesserungen). Kein Modell - auch nicht das hier vertretene SIM - kann dabei alle Fragen hinreichend erhellen. Goulder etwa beanspruchte in seinem Lukas-Kommentar, jede einzelne Bezugnahme von Lukas auf seine Prätexte MkEv und MtEv erklären zu können. Ein solcher Anspruch ist so problematisch wie unnötig. Angesichts der komplexen Sachlage muss es genügen, in einer hinreichend großen und weitgestreuten Anzahl von Fällen unter einem geringeren Konstruktionsaufwand als er unter dem Paradigma der 2QT an den Tag gelegt wird, die Existenz der EA Mt-Lk nachvollziehbar zu machen. Nicht zuletzt aufgrund des enormen enzyklopädischen Abstands zur Antike vermögen wir Heutigen es nicht, die Motivation der späteren Evangelisten in der vielfältigen Aufnahme 101 Damit ist selbstverständlich eine entsprechende Kommentierung der synoptischen Evangelien neu aufgegeben. 102 Vgl. Goulder, Luke, 197. von Impulsen aus ihren Prätexten in jedem Einzelfall zu erkennen. Aber: Es ist wissenschaftstheoretisch vertretbarer, den Versuch zu unternehmen, die kritische Aufnahme eines uns vorliegenden Prätextes durch einen späteren Autor einer uns ebenfalls vorliegenden Schrift plausibel zu machen, als seine Beziehung gegenüber einem hypothetischen, uns nicht vorliegenden Prätext, der zudem jenseits wissenschaftlicher Standards konstruiert wurde. Die schwerere Beweislast liegt auf jeden Fall auf Seiten derer, die hypothetische Quellentexte zur Klärung des synoptischen Problems einführen. Das Synoptische Integrationsmodell hingegen scheint mir das Modell zu sein, das sowohl dem synoptischen Befund als auch gegenwärtigen kultur- und literaturwissenschaftlichen Standards noch am ehesten gerecht wird. Aber auch in theologischer Hinsicht scheint mir das Synoptische Integrationsmodell angemessen und sinnvoll zu sein. Es handelt sich hierbei ja nicht, wie von Markus Tiwald in seinem in diesem Heft vorliegenden Votum für die Sicherheit der Q-Hypothese nahegelegt, um „ein Aufgeben der Geschichtlichkeit unseres Heils“. Die vorliegenden Evangelien sind doch aufeinander in bestimmter Weise diachron bezogene geschichtliche Textzeugen frühchristlichen Glaubens. Sie bezeugen - allerdings im Plural! - interessengeleitete und kontextuelle Evangeliumsverständnisse. Insofern handelt es sich hierbei um so markante wie prägnante und Orientierung gebenden Beispiele dafür, dass und in welcher Breite Evangelium zu aktualisieren und also immer wieder neu ins Leben zu ziehen sei. Die Evangeliumswahrheit im eigens konstruierten historischen Ursprung finden zu wollen, hat wie gezeigt den Diskurs der 2QT von Anfang an bestimmt. Die Interpretationsgeschichte von Q zeigt die Anfälligkeit eines solchen Anliegens und einer entsprechenden Vorgehensweise für Projektionen eigener Vorlieben in vorgebliche Urtexte hinein. Q leistet bereits auf der Ebene ihrer problematischen Rekonstruktion unkontrollierbaren modernen Einträgen Vorschub. Dies potenziert sich auf der Ebene der Erhebung vorgeblicher Interpretationen von Q im Mt-Ev und im Lk-Ev einerseits und von zur Zeit im Trend liegenden narratologischen oder soziologischen Untersuchungen zu Q, die auf äußerst tönernen Füßen stehen, andererseits. 103 Die Versuche in Vergangenheit und Gegenwart, die markanten Übereinstimmungen von MtEv und LkEv im Rahmen der 2QT zu erklären, muten geradezu abenteuerlich an. In der Ausweglosigkeit darüber, ihrem Vorhandensein Rechnung tragen zu müssen, haben Vertreter der 2QT seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart insbesondere weitere hypothetische Quellen postuliert 103 Vgl. meine Rezension von D.T. Roth, R. Zimmermann und M. Labahn (Hg.), Metaphor, Narrative, and Parables in Q (WUNT 315), Tübingen 2014, in: ThLZ Juli/ August 2016, 776-778. 168 Werner Kahl Q als Fiktion 169 und eine Vielzahl einander widersprechender Zusatzhypothesen eingeführt. In einem binnensystemischen Diskurs geht hier jegliches wissenschaftlich verantwortbare Augenmaß verloren. Mit allen Mitteln wird sozusagen ein Zaun um die 2QT gezogen, um sie abzusichern. Die 2QT ist orthodox und zum Selbstzweck geworden. Sie verstellt den Blick auf das, was evident ist und bis auf weiteres die wahrscheinlichste Lösung des synoptischen Problems darstellt: Lukas hat sowohl das MkEv als auch das MtEv benutzt und sie auf seine Weise ineinander verschränkt. Q ist fiction , die nicht mehr trägt. Die lange währende Vermutung der Existenz von Q und die Hypothese von zwei synoptischen Quellen verdanken sich einem exegetischen Diskurs, der einerseits in der Bestreitung der Historizität der neutestamentlichen Wundererzählungen ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gründet und andererseits in der rationalistischen Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts. 104 Dieser Diskurs ist selbst zum Mythos geworden. Es ist an der Zeit, ihn zu entmythologisieren. 105 104 Zur Geschichte der Entwicklung der 2QT von Reimarus bis Harnack, vgl. Kahl, Improvement, 223-232. Es ist insofern nicht zufällig, sondern war integraler Bestandteil der Frage nach den Quellen hinter den Synoptikern, dass die beiden wichtigsten Proponenten der 2QT im 19. Jahrhundert in ihren diesbezüglichen Grundlagenwerken in eigenen Kapiteln ausdrücklich die Wunderfrage diskutieren: Weiße, Evangelische Geschichte , Bd. 1, 334-376, und Holtzmann, Die synoptischen Evangelien, 497-514. Beide favorisieren die „Priorität der Lehrthätigkeit Jesu vor der Wunderthätigkeit“, so Weiße (XI) und ähnlich Holtzmann (505). 105 Vgl. treffend L.A. Foster, The „Q“ Myth in Synoptic Studies , BEThS (8/ 1964), 111-119, hier 111: „Demythologizing is a real need here“.