eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 23/45

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
znt2345/znt2345.pdf61
2020
2345 Dronsch Strecker Vogel

Editorial

61
2020
Kristina Dronsch
Christian Strecker
Manuel Vogel
znt23450003
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, „Jerusalem, die hochheilige Hauptstadt Judäas, liegt 23 Meilen von Sychem, 16 von Dispoli, 16 von Hebron, 14 von Jericho, 4 von Bethlehem, 16 von Bersabee, 24 von Askalon, ebensoviele von Joppe, 16 von Ramatha, 6 von Emaus, 4 von den Bergen, zu denen Maria eilte. Diese weltberühmte Stadt überragt als die erste aller Städte die ganze Welt, weil hier die Rettung des Menschengeschlechts durch Tod und Auferstehung des Herrn vollbracht worden ist.“ - Dies steht in lateinischer Sprache auf der berühmten Ebstorfer Weltkarte, so genannt nach dem Ort ihres Fundes in einer Abstellkammer des Benediktinerinnenklosters in Ebstorf in der Lüneburger Heide im Jahr 1830 (dt. Übers. zitiert aus http: / / www2.leuphana.de/ ebskart/ ). Die um 1300 entstandene Weltkarte zeigt die Idealgeographie einer Welt mit Jerusalem als Mittelpunkt. Jerusalem ist hier aber nicht nur der Nabel der Welt, sondern auch des kosmischen Christus, der sie mit seinen Armen umspannt und hält: Das Haupt, die Füße und die Hände der ausgestreckten Arme begrenzen und umfassen sie in den vier Himmelsrichtungen. Für das vormoderne Weltbild waren Geographie und Christologie noch nicht inkommensurabel, so wahr es das beiden gemeinsame Zentrum anzugeben und ins Bild zu setzen wusste. Ihren besonderen historischen und geographischen Index hat die auf der mittelalterlichen Karte so genannte „hochheilige Hauptstadt Judäas“ aber auch unter den Bedingungen der Moderne und Spätmoderne nicht eingebüßt, und mit ihr werden unversehens und immer wieder neu auch die neutestamentlichen Texte, die den Namen dieser Stadt nennen, zu Brennpunkten der Deutung von Religion, Politik und Geschichte. Das aktuelle Heft der ZNT thematisiert die Darstellungen und Deutungen Jerusalems im Kontinuum der antiken jüdischen und christlichen Traditionsgeschichte. Der Beitrag von Klaus Bieberstein unter der Rubrik NT aktuell beschreibt Jerusalem als „eine Symbollandschaft in Stein“, die „nicht vom Himmel Zeitschrift für Neues Testament 23. Jahrgang (2020) Heft 45 4 Editorial gefallen, sondern langsam entstanden (ist) und (…) im Laufe von Jahrhunderten immer wieder palimpsestartig überschrieben“ wurde. Er spannt einen Bogen von den archäologisch aufweisbaren Anfängen der Stadt um 1800 v. Chr. und ihren sukzessiven literarischen „Codierungen“ über die zunehmend transzendenten Aufassungen göttlicher Präsenz bis hin zur Imagination eines himmlischen Tempels und einer himmlischen Stadt in der frühjüdischen Apokalyptik, wie sie in der Johannesoffenbarung anschaulich wird. Die drei Beiträge zum Thema konzentrieren unseren Blick auf das Jerusalem und den Tempel der Evangelien: Niels Neumann zeigt, dass Jerusalem im Matthäusevangelium die Raumsemantik eines Konflikts mit den römischen und römisch installierten Machtstrukturen markiert, der mit Jesu Reich-Gottes-Verkündigung notwendigerweise aufbrechen musste. Bernd Kollmann nimmt sich eines Problems der historischen Jesusforschung an, wenn er fragt: „Warum wollte Jesus nach Jerusalem? “. Deutlich wird, dass sich wesentliche Aspekte von Jesu Botschaft und Wirken in der Jerusalem-Frage wie in einem Brennglas bündeln. Annette Weissenrieder und Martina Kepper bringen ausgehend von Eph 2,14 archäologische und literarische Daten zur Architektur des Jerusalemer Tempels in ein interessantes Gespräch. Sie führen vor, wie in scheinbar objektive Baubeschreibungen des Herodianischen Tempels ältere Heiligtumskonzeptionen hineinwirken, deren Binnenabgrenzungen des heiligen Bezirks nicht primär auf den Ausschluss von Menschengruppen zielen, sondern auf einen gestuften Zugang zur Präsenz Gottes. Die Kontroverse zwischen Markus Sasse und Manuel Vogel hat die Frage zum Gegenstand, ob die Zerstörung Jerusalems und seines Tempels im Jahr 70 n. Chr. als schwerwiegende Krise des antiken Judentums aufzufassen ist. Obwohl das historische Bild der Epoche zwischen den Kontroverspartnern nicht strittig ist, wählen sie einen grundverschiedenen Zugang zum Thema und entfalten eine ausgesprochen gegenläufige Sicht. Wolfgang Stegemann führt unter der Rubrik Hermeneutik und Vermittlung aus, dass Jerusalem als „die einzige zweidimensionale Stadt der Welt“ (S. Ben- Chorin) „nicht nur ein realer, sondern auch ein mythischer Ort für Juden, Christen und Muslime“ ist. Vor diesem Hintergrund divergierender und weithin auch konfliktbehafteter Jerusalem-Deutungen bis in die Gegenwart zeichnet Stegemann „[e]inige Aspekte der theologischen Bedeutung Jerusalems im Neuen Testament“ nach und macht deutlich, welche neuen Sinnlinien die frühe Jesusbewegung in den antik-jüdischen Jerusalem-Diskurs einzieht. Der von Stefan Alkier besorgte Buchreport stellt schließlich mit „Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt“ von Max Küchler ein Buch vor, das auf einzigartige Weise Vergangenheit und Gegenwart der einsti- Editorial 5 gen „Hauptstadt Judäas“ zueinander bringt und dazu einlädt, Jerusalem einmal selbst zu bereisen. Aus der Redaktion ist mitzuteilen, dass Richard Hays mit Eintritt in den Ruhestand seine Mitarbeit bei der ZNT beendet hat. Wir danken ihm für seine jahrelange Verbundenheit mit unserer Zeitschrift, der er wichtige Impulse gegeben hat. Die Herausgeberinnen und Herausgeber grüßen ihn an dieser Stelle mit allen guten Wünschen. Neu hinzugekommen ist Jan Heilmann, den wir hiermit herzlich im erweiterten Kreis willkommen heißen, und wir freuen uns auf seine Mitwirkung und seine Ideen. Und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir nun einmal mehr eine anregende und ertragreiche Lektüre. Kristina Dronsch Christian Strecker Manuel Vogel