eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 23/46

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
121
2020
2346 Dronsch Strecker Vogel

Ist hilastērion in Röm 3,25 eine Versöhnungsgabe?

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2020
Christian Strecker
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Kontroverse Ist hilastērion in Röm 3,25 eine Versöhnungsgabe? Einleitung in die Kontroverse Christian Strecker Die Heilsbedeutung des Todes Jesu ist seit geraumer Zeit Gegenstand komplexer theologischer und exegetischer Debatten. Mit Nachdruck sprachen sich in jüngerer Zeit Theologen und Theologinnen für einen „Abschied vom Opfertod Jesu“ aus. Die klassische Deutung des Todes Jesus sei, so die Argumentation, eine unzeitgemäße Auslegung der soteriologischen Relevanz des Todes Jesu, die dem modernen Menschen nicht mehr zugemutet werden könne. Auf evangelischer Seite machte sich Klaus-Peter Jörns für diese Position stark, auf katholischer Seite war es Manfred Limbek. Neben Zustimmung stießen beide Theologen auch auf Kritik. Die Rede vom Opfertod Jesu gehöre, so wurde eingewendet, zum unaufkündbaren Kernbestand des christlichen Glaubens. Und weiter: Das moderne Empfinden könne nicht zum Kriterium für die Deutung unbequemer Aussagen der christlichen Botschaft erhoben werden. Tatsächlich lässt sich nicht bestreiten, dass frühe Christen das kultische Opferritual am Versöhnungstag als Deutungskategorie heranzogen, um die Bedeutung des Todes Jesu zu erfassen. So interpretiert der Hebräerbrief den Tod Jesu in typologischer Manier unmissverständlich als hohepriesterliches Selbstopfer. Aber welches Gewicht kommt dieser Deutung im Rahmen des ntl. Gesamtzeugnisses zu? Ist es angemessen, das sühnende Opfer als den einen zentralen Deutungshorizont zu bestimmen, Zeitschrift für Neues Testament 23. Jahrgang (2020) Heft 46 90 Christian Strecker von dem her alle ntl. Aussagen über die Heilsrelevanz des Todes Jesu zu beurteilen sind? Diese Frage wurde in den letzten Jahrzehnten intensiv debattiert. Die dargelegte Debatte bildet den Rahmen, innerhalb dessen die Kontroverse zwischen Stefan Schreiber und Wolfgang Kraus über das rechte Verständnis der Aussagen in Röm 3,25 und der Vokabel hilastērion zu verorten ist. Die Schlüsselfrage lautet: Vor dem Hintergrund welcher rituellen Praxis wird Jesus Christus in Röm 3,25 metaphorisch als hilastērion identifiziert? Sind die Aussagen in Röm 3,25 primär in der atl.-jüdischen Lebenswelt verankert? Markiert hilastērion genauerhin die im hohepriesterlichen Ritual am Jom Kippur mit Blut besprengte Deckplatte der Bundeslade (hebr. kapporät)? Oder erschließt sich der Sinn der Aussagen gar nicht aus der jüdischen, sondern aus der griechisch-römischen Lebenswelt? Ist der Bezugspunkt mithin die griechisch-römische Praxis von Weihegaben an bestimmte Götter? Steht hilastērion in Röm 3,25 folglich für ein Weihegeschenk? Die letztgenannte Meinung vertritt Stefan Schreiber. Die klassische Auslegung, wonach Röm 3,25 auf das Jom-Kippur-Ritual rekurriert, verwirft er unter Verweis auf diverse Probleme, die diese Auslegung aufwirft. Stattdessen, so Schreiber, liege in Röm 3,25 eine bei Paulus auch sonst belegbare Heranziehung von Metaphern aus der griechisch-römischen Lebenswelt vor. Der konkrete Referenzpunkt sei die Weihepraxis. Dabei akzentuiere die Vokabel hilastērion gegenüber dem Standardbegriff für Weihegeschenke (anathema) speziell die versöhnende Funktion eines den Göttern gewidmeten Weihegeschenks, weshalb Schreiber die Übersetzung „Versöhnungsgabe“ wählt. Röm 3,25 variiere die Weihepraxis indes an zwei Punkten: Kein Mensch, sondern Gott selbst stifte hier das Weihegeschenk zur Versöhnung mit den Menschen. Dieses wiederum sei nicht wie üblich ein Gegenstand, sondern Jesu Tod. Wolfgang Kraus hält dagegen an dem klassischen Rekurs auf Lev 16 fest. Er kontert Schreibers Kritikpunkte an der Referenz von hilastērion auf den Deckel der Bundeslade und macht umgekehrt Probleme geltend, die mit Schreibers Deutung auf ein Weihegeschenk einhergehen. V.a. aber indizieren für ihn die Thematisierungen von Sünde, Sündentilgung und des „Sterbens für“ im näheren Kontext (Röm 1-3.5) wie auch die verwandte Argumentation in 2Kor 5,14-21, dass Röm 3,25 Jesu Tod im Kontext der Praktiken am jüdischen Versöhnungstag beleuchtet. Insgesamt führt die Kontroverse den großen Bedeutungsspielraum der Aussagen in Röm 3,25 vor Augen. Ungeachtet aller Differenzen stimmen beide Positionen aber darin überein, dass Röm 3,25 Jesu Tod als Zuwendung Gottes und insofern als heilvolle Gabe Gottes expliziert.