ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
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Dronsch Strecker Vogel„Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“?
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Veronika Hoffmann
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Hermeneutik und Vermittlung „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“? Grundlinien einer Theologie der Gabe mit einem Blick auf Lk-14,12-14 Veronika Hoffmann 1. Einleitung 1 Es gibt keine „Theologie der Gabe“ im Neuen Testament. Jedenfalls „gibt“ es sie nicht in dem Sinn, dass man sie einfach aus einer Zusammenschau neutestamentlicher Texte herausdestillieren könnte. Und noch grundsätzlicher gibt es weder „die“ Theologie der Gabe noch überhaupt „die“ Gabe. Es gibt vielmehr eine große Pluralität an verschiedenen theoretischen Zugängen, die sich zum Teil ergänzen, zum Teil widersprechen, 2 und es gibt eine noch größere Pluralität an Phänomenen des Gebens, die sich nicht auf eine einzige, „eigent- 1 Die folgenden Überlegungen greifen auf frühere Veröffentlichungen von mir zurück, insbesondere: V. Hoffmann, Skizzen zu einer Theologie der Gabe. Rechtfertigung - Opfer - Eucharistie - Gottes- und Nächstenliebe, Freiburg 2013; dies., Christus - die Gabe. Zugänge zur Eucharistie, Freiburg 2016. 2 Vgl. zu einer Übersicht über zumindest einige wichtige Zugänge z. B. Hoffmann, Skizzen, Teil 1; zur Thematik insgesamt dies. / U. Link-Wieczorek / C. Mandry (Hg.), Die Gabe. Zum Stand der interdisziplinären Diskussion, Freiburg 2016; A. Grund (Hg.), Opfer, Geschenke, Almosen. Die Gabe in Religion und Gesellschaft, Stuttgart 2015; M. Ebner / I. Fischer / J. Frey, Geben und Nehmen ( JBTh 27), Neukirchen-Vluyn 2012. Prof. Dr. Veronika Hoffmann, Jahrgang 1974, studierte katholische Theologie in Frankfurt/ M. (St. Georgen) und Innsbruck und wurde nach ihrer Ausbildung zur Pastoralreferentin im Bistum Mainz 2006 in Münster promoviert. 2007-2013 war sie Assistentin an der Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, wo sie sich 2012 mit einer Arbeit zur Theologie der Gabe habilitierte. Nach einem Heisenbergstipendium 2013 war sie 2013-2018 Professorin für Systematische Theologie an der Universität Siegen. Seit 2018 ist sie Professorin für Dogmatik an der Universität Fribourg (CH). Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte betreffen den religiösen Zweifel und die Frage nach dem Zusammenhang von Wirklichkeitsverständnis und Gotteskonzept. - Zeitschrift für Neues Testament 23. Jahrgang (2020) Heft 46 114 Veronika Hoffmann liche Gabe“ zurückführen lassen: Eine Spende für ein Katastrophengebiet, ein Weihnachtsgeschenk, ein Verlobungsring oder eine Flasche Wein zum Dank für einen freiwilligen Einsatz funktionieren nicht nach derselben Logik. Dass es eine solche Fülle verschiedener Phänomene gibt, zeigt zugleich die Bedeutung der Gabe: Geben und Empfangen in all seinen Abwandlungen (bis hin zum Bestechen) stellen grundlegende Elemente unseres Zusammenlebens auf familiärer, freundschaftlicher und gemeinschaftlicher Ebene dar. Entsprechendes lässt sich auch für die Bibel sagen, sowohl was die Pluralität der Phänomene als auch was die Bedeutung des Gebens angeht: Man vergleiche nur die Opfergaben, die beispielsweise das Buch Levitikus behandelt, Jakobs Versöhnungsgabe an Laban in Gen 33 und die Gaben des Geistes bei Paulus in 1Kor 2. Dass eine reine Untersuchung des Auftretens von Gabe-Begrifflichkeit zu keiner „Gabe-Theologie“ führen würde, heißt also durchaus nicht, dass die Bibel nicht in theologisch gehaltvoller Weise von der Gabe spräche. Die folgende kleine Skizze einer Theologie der Gabe arbeitet deshalb, von Phänomenen des Gebens ausgehend, zunächst systematisch und systematisierend. Die gewonnene Perspektive wird dann in einem zweiten Schritt an einen konkreten biblischen Text angelegt. Die Leitfrage lautet dabei, inwiefern sich die Rede von Geben und Empfangen als ein Modell eignet, um damit das Verhältnis von Gott und Mensch zu beschreiben. Wegen der genannten Pluralität bietet wohl kein Zugang zur Gabe alle relevanten Perspektiven. Ich werde im Folgenden aus dem interdisziplinären Diskurs über die Gabe einen Ansatz herausgreifen, der mir für die Beantwortung der Leitfrage besonders geeignet erscheint (2.). Ich komme dann auf die systematisch-theologische Fragestellung zurück (3.), um schließlich Lk 14,12-14 gabetheologisch zu lesen (4.). 2. Was ist eine Gabe? Fragen wir also zunächst: Was ist eine Gabe? Oder, im Sinn der behaupteten Pluralität von Phänomenen: Welche Gestalten kann eine Gabe haben? Aus der Fülle der möglichen Aspekte seien vier Fragen herausgegriffen, die helfen, dem jeweiligen Charakter der Gabe auf die Spur zu kommen: „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“? 115 2.1 Gestalten des Gebens 1. Gibt nur einer oder geben beide? Ist die Gabe also einseitig oder gegenseitig? 2. Wenn beide geben: Geht der Empfänger mit dem Empfang der Gabe eine Verpflichtung ein, seinerseits zu geben? 3 3. Müssen gegenseitige Gaben gleichwertig sein? 4. Geht es wesentlich um die Gabe als Ding oder geht es um die Beziehung, die mit ihr ausgedrückt werden soll? Beobachtet man mit Hilfe dieser Fragen einige typische Gestalten des Gebens, so zeigt sich: Bei einer Katastrophenhilfe wird die Gabe in aller Regel einseitig sein. Man erwartet nicht, dass ein Erdbebenopfer eine Dankeskarte schreibt. Und es geht um materielle Hilfe, nicht um die Beziehung zwischen Geber und Empfänger. Der Empfänger mag sich auch freuen, dass es jemanden gibt, der in seiner Not an ihn gedacht hat. Aber vorrangig braucht er Essen oder ein Dach über dem Kopf oder medizinische Versorgung. Wer ihm das gibt und warum, ist zweitrangig. Geschenke zu Weihnachten können einseitig sein, v. a. an Kinder, sind aber doch häufig gegenseitig. Dass es eine gewisse „Pflicht zur Gegen-Gabe“ geben kann, wissen alle Kinder, die sich nach Weihnachten mit Dankesbriefen an wohlmeinende Tanten quälen. Hingegen bedeutet Gegenseitigkeit nicht unbe- 3 Das ist die zentrale Frage, die Marcel Mauss in seinem Klassiker „Die Gabe“ stellt und von der quasi die gesamte Gabeforschung des 20. Jh. ihren Ausgang genommen hat. Vgl. M. Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 2 1994; M. Hénaff, Der Preis der Wahrheit. Gabe, Geld und Philosophie, Frankfurt a. M. 2009. Prof. Dr. Veronika Hoffmann , Jahrgang 1974, studierte katholische Theologie in Frankfurt/ M. (St. Georgen) und Innsbruck und wurde nach ihrer Ausbildung zur Pastoralreferentin im Bistum Mainz 2006 in Münster promoviert. 2007-2013 war sie Assistentin an der Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, wo sie sich 2012 mit einer Arbeit zur Theologie der Gabe habilitierte. Nach einem Heisenbergstipendium 2013 war sie 2013-2018 Professorin für Systematische Theologie an der Universität Siegen. Seit 2018 ist sie Professorin für Dogmatik an der Universität Fribourg (CH). Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte betreffen den religiösen Zweifel und die Frage nach dem Zusammenhang von Wirklichkeitsverständnis und Gotteskonzept. - 116 Veronika Hoffmann dingt auch Äquivalenz: Wenn die Eltern der Tochter ein Fahrrad schenken und sie den Eltern ein Bild malt, dann ist der ökonomische Unterschied zwischen den Gaben erheblich, aber das stört das Gelingen eines solchen Gabentausches nicht im Mindesten. Die Skala der Bedeutungen der Beziehungsgeste einerseits, der gegebenen Sache andererseits kann ausgesprochen variabel sein: Auch ein Kinderbild, das von wenig künstlerischer Begabung spricht, wird vermutlich aufgehängt, weil es nicht um künstlerische Qualität geht, sondern um die ausgedrückte Zuneigung. Das Kind seinerseits könnte das Fahrrad sowohl als einen Ausdruck der elterlichen Liebe als auch - vielleicht zunächst sogar vorrangig - als einen in sich erstrebenswerten Gegenstand betrachten. In der Regel sollen Gaben „passend“ sein: passend zum Empfänger, passend zum Anlass, passend zur Beziehung zwischen Geber und Empfänger. Ist das nicht der Fall, kann eine Gabe misslingen: Eine Volksmusik-CD für die beste Freundin, die bekanntermaßen eingeschworene Klassik-Hörerin ist, dürfte die Empfängerin als Gedankenlosigkeit empfinden. Spitzenunterwäsche als Weihnachtsgeschenk für eine Mitarbeiterin im Unternehmen könnte zu noch erheblicheren Folgeproblemen führen. Auch hier liegen aber nicht immer eindeutige Fälle vor, sondern der Kontext spielt eine erhebliche Rolle, wie ein weiteres Beispiel zeigen kann: Ein Kollege und ich hatten zufällig in derselben Stadt, aber vor je verschiedenem Publikum einen Vortrag zu halten. Wir nutzten die Gelegenheit, uns anschließend zum Abendessen zu verabreden. Dabei stellte sich heraus, dass ich zum Dank für meinen Vortrag eine Flasche Wein, er eine Schachtel Schokolade geschenkt bekommen hatte. Ich trinke jedoch kaum Alkohol und er mochte die Schokolade nicht besonders. Also haben wir kurzerhand getauscht - und jeder war zufrieden. Waren hier die ursprünglichen Gaben „misslungen“, unpassend, weil sie an den jeweiligen Vorlieben des bzw. der Beschenkten vorbeigingen? Ich zumindest habe das nicht so empfunden. Wohl: Hätte mir ein langjähriger Freund eine Flasche Wein geschenkt, wäre ich vermutlich leicht verletzt gewesen. Er müsste ja wissen, dass er mir damit keine Freude bereitet. Der Organisator des Vortrags hingegen, der mich persönlich gar nicht kannte, hatte keine Chance, das zu wissen. Die Flasche Wein als übliches Zeichen des Dankes in einem solchen Kontext hat deshalb trotzdem „funktioniert“. Klare Fälle gegenseitigen Gebens, die sowohl von einer sozialen Verpflichtung als auch von Äquivalenz geprägt sind, lassen sich beispielsweise bei wechselseitigen Einladungen unter Nachbarn finden. Hier lauten die sozialen Spielregeln häufig: Wenn man eingeladen wurde, ist die Gegeneinladung obligatorisch. Und „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“? 117 das Gastgeschenk des einen sollte in etwa dem Gastgeschenk des anderen entsprechen. Dieses letzte Beispiel zeigt zugleich, dass es sich bei einer Gabe nicht immer um ein Objekt handeln muss, das den Besitzer wechselt. Auch Einladungen sind Gaben. Oder wir halten eine lobende Rede, um unsere Anerkennung auszudrücken. Und sofern es sich um eine materielle Gabe handelt, wird das Geben nicht selten von bestimmten Riten begleitet, die den Gegenstand als Gabe markieren: Er ist beispielsweise in Geschenkpapier eingepackt und wird mit entsprechenden Gesten überreicht. 2.2 Die „Gabe der Anerkennung“ Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren und zeigen: Die Gabe ist ein vielschichtiges und vielfältiges Ding. Welche Gestalt von Gabe nimmt man nun sinnvollerweise zum Ausgangspunkt, wenn man von Geben und Empfangen zwischen Gott und Mensch sprechen will? Meines Erachtens lohnt es sich, diese Gabe deutlich von einer Hilfeleistung oder einem Almosen abzugrenzen und die Aspekte der Anerkennung und der Beziehung in den Vordergrund zu rücken. In Anlehnung an Marcel Hénaff und Paul Ricœur verstehe ich Geben und Empfangen im Weiteren deshalb als eine symbolische Praxis gegenseitiger Anerkennung und Zuwendung, als Gesten, mit denen Beziehungen aufgenommen, dargestellt und vertieft werden sollen. 4 Dann ist das Entscheidende nicht, dass ein Ding seinen Besitzer wechselt. Im Zentrum steht vielmehr das Verhältnis der Beteiligten zueinander. Die materiellen Gaben ebenso wie Gesten und Worte stellen die symbolischen Mittel dar, mit denen diese Anerkennung ausgedrückt wird. Indem ich etwas gebe, das mir gehört, gebe ich im doppelten Wortsinn etwas ‚von mir‘, ich gebe symbolisch einen Teil meiner selbst: „Es handelt sich nicht darum, jemandem etwas zu geben, sondern darum, sich selbst jemandem zu geben vermittels von etwas.“ 5 4 Vgl. Hénaff, Preis; ders., Die Gabe der Philosophen. Gegenseitigkeit neu denken (Sozialphilosophische Studien 8), Bielefeld 2014; P. Ricœur, Wege der Anerkennung. Erkennen, Wiedererkennen, Anerkanntsein, Frankfurt a. M. 2006, 274-326; ders., Phénoménologie de la reconnaissance - Phänomenologie der Anerkennung, in: S. Orth / P. Reifenberg (Hg.), Facettenreiche Anthropologie. Paul Ricœurs Reflexionen auf den Menschen, Freiburg / München 2004, 138-159. 5 M. Hénaff, De la philosophie à l’anthropologie. Comment interpréter le don? Entretien avec Marcel Hénaff (Esprit 282/ 2002), 135-158, hier 143. Hervorhebung im Original. Man kann das auch daran sehen, dass die gegebene Sache häufig nichts im unmittelbaren Sinn Praktisches oder Lebensnotwendiges ist, wie die Geldspende an die Erdbebenopfer, sondern etwas, das Luxus oder Überfülle markiert, seien es Blumen, Pralinen, Schmuck, die Einladung zu einem festlichen Essen oder sonst etwas, das sich der Empfänger nicht von sich aus „leisten“ würde, auch wenn er finanziell dazu durchaus in der Lage wäre. 118 Veronika Hoffmann Wenn es aber bei dieser Form der Gabe wesentlich um Beziehung geht, dann bedeutet das auch, dass im Unterschied zu einer Spende eine solche Gabe nicht einseitig bleiben kann, sondern gerade auf Gegenseitigkeit zielt. Die ideale Gabe ist hier keine, bei der der Geber auf jede Erwartung einer Gegengabe verzichtete. Vielmehr muss sie gerade als gescheitert gelten, wenn sie keine Antwort hervorruft. Denn eine ausbleibende Antwort heißt, dass der Empfänger die Gabe abgelehnt, die Anerkennungsgeste zurückgewiesen, die Beziehung verweigert hat. Gibt es also eine „Verpflichtung zur Rückgabe“ gemäß der zweiten oben gestellten Frage? Ja und nein. Es herrscht ein spezifisches Verhältnis von Freiheit und Verpflichtung, das Hénaff mit der Metapher des Spiels verdeutlicht. Es gibt einerseits gesellschaftliche „Spielregeln“ der Gabe, die das Risiko begrenzen sollen, das der Geber eingeht, wenn er dem anderen Anerkennung und Gemeinschaft anbietet. Innerhalb dieser Spielregeln kann man erwarten, dass der andere einen nicht bloßstellt, sondern zumindest „die Fassade wahrt“. Man grüßt höflich - selbst wenn man einander nicht leiden kann. Man spricht auf eine Einladung hin eine Gegeneinladung aus - auch wenn man nicht viel Lust darauf hat. Aber diese „Spielregeln“ sind andererseits mit Spielräumen der Freiheit verbunden, nicht zuletzt mit der Möglichkeit, die Spielregeln zu brechen und das Spiel zu verweigern. Ich kann meine Nachbarn ignorieren und demonstrativ in die Luft schauen, wenn mir ein Kollege auf dem Flur entgegenkommt. Das heißt, die Antwort auf eine Gabe „besteht nicht so sehr darin, die Gabe zu erwidern, als vielmehr seinerseits zu geben; nicht darin, zurückzuerstatten, sondern seinerseits die Initiative des Gebens zu ergreifen“ 6 . Die erste Gabe fordert den Empfänger gewissermaßen heraus, sich zu positionieren. Das unterscheidet diese Gestalt der Gabe markant sowohl von caritativen Praktiken als auch von ökonomischen Tauschverhältnissen: Die einen bleiben einseitig, bei den anderen ist ein symmetrischer, gleichwertiger Austausch essenziell. Die Metapher des Spiels deckt noch ein weiteres Charakteristikum der Gabe auf. Auch wenn zumeist vereinfachend von „einer“ Gabe die Rede ist, bestehen solche sozialen Praktiken doch in aller Regel nicht aus einem einzelnen Vorgang des Gebens und der antwortenden Gegen-Gabe, wie wenn ich einen Kauf bezahle, um dann den Laden zu verlassen und keinen weiteren Gedanken an den Verkäufer mehr zu verschwenden. Denn die Partner eines Gabegeschehens werden nicht „quitt“ wie nach einem Kauf (sondern im besten Fall sind nachher beide dankbar). Vielmehr zieht eine Gabe, wenn es gut geht, die nächste nach sich, geht das Spiel immer weiter: Die Beziehung will gepflegt werden. (Und 6 Hénaff, Preis, 215. Hervorhebung im Original. Übersetzung modifiziert. „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“? 119 wenn man in einem Geschäft zum Kauf ein Geschenk obendrauf bekommt, dann hat das nicht selten einen ähnlichen Zweck, nämlich „Kundenbindung“.) Man kann die Charakteristik einer solchen „Gabe der Anerkennung“ also von drei möglichen Missverständnissen abgrenzen: 1. Missverstanden ist diese Gabe, wenn man meinte, beim Geben gehe es wesentlich um das Ding, das gegeben wird. Noch einmal sei betont: Solche Gaben gibt es durchaus. Wie wir gesehen haben, fallen insbesondere Spenden in der Regel in diese Kategorie. Und die konkreten Praktiken des Gebens und Empfangens sind nicht selten „Mischformen“, auch das wurde bereits deutlich. Aber die Grundunterscheidung bleibt wichtig: Wenn es um Anerkennung und Beziehung geht, dann ist das, was gegeben wird, wesentlich Symbol; es steht für den Geber, seine Zuwendung zum Empfänger, die bestehende oder gewünschte Beziehung zwischen den beiden. 2. Ungeeignet ist für diesen Kontext ebenso ein Verständnis der Gabe, demzufolge sie idealerweise einseitig sei. Eine solche „reine Gabe“ wird vielfach propagiert: Wer beim Geben auf eine Gegengabe hoffe, der sei schon nicht mehr ganz altruistisch nur am anderen interessiert, sondern wolle auch etwas für sich bekommen. Die Gabe sei damit schon zum Tausch „ökonomisiert“ (mindestens der Absicht des Gebers nach). Auch das gibt es, aber wieder scheint es mir zu einfach, hier alle Gaben über denselben theoretischen Leisten zu scheren. Wenn die Gabe Anerkennung ausdrücken und Gemeinschaft pflegen soll, kann, was auf den ersten Blick so ideal aussieht, sogar problematisch werden. Was für eine Gestalt von Beziehung wäre das letztlich, wenn der andere mir immerzu großzügig und uneigennützig gibt und seinerseits nichts von mir erwartet? In einer persönlichen, freundschaftlichen oder partnerschaftlichen Beziehung kann eine solche „Nicht-Erwartung“ unpassend sein. Wollen wir da nicht gerade, dass der andere sich etwas von uns wünscht, vor allem: dass er sich eine Beziehung wünscht, die gegenseitig ist und sich auch entsprechend ausdrückt? Will ich eine „reine Liebe“, bei der der andere von jedem Bedürfnis seinerseits absieht, oder will ich nicht auch, dass er sich freut, mich zu sehen, dass er mit mir zusammen sein möchte, dass er mich begehrt? Wieder ist es mir wichtig zu betonen, dass es hier verschiedene Fälle geben kann. Aber m. E. kommen Verhältnisse der Gemeinschaft und der Anerkennung auf Dauer nicht ohne die eine oder andere Gestalt von Gegenseitigkeit aus. Diese Gestalten können dabei sehr verschieden sein, wie wir bereits beim Kind gesehen haben, das ein Fahrrad geschenkt bekommt und ein Bild malt. 3. Das führt uns zum letzten Missverständnis: der Gleichsetzung von Gegenseitigkeit mit Symmetrie. Oft wird das ineinandergeschoben, als ob gegenseitiges Geben immer hieße, dass die Gaben auch äquivalent sein müssten - und dann sei man eben in gefährlicher Nähe zu einem quasi ökonomischen Tausch. 120 Veronika Hoffmann Auch diese Fälle gibt es, man denke an die genannte Einladung unter Nachbarn. Ähnlich unterliegen wechselseitige Geburtstagsgeschenke nicht selten einer solchen heimlichen Äquivalenzerwartung. Dann genügt möglicherweise der eine den sozialen Spielregeln, indem er das Preisschild entfernt, bevor er etwas verschenkt, der Beschenkte aber recherchiert seinerseits den Preis der erhaltenen Gabe, um seine Gegengabe entsprechend dimensionieren zu können. Aber wiederum ist das keineswegs zwingend. 3. Gabe und Anerkennung als Denkmodell für das Verhältnis von Gott und Mensch 3.1 Gottes Geben - und eine menschliche Antwort? Was gewinnt man nun, wenn man die knapp skizzierte „Gabe der Anerkennung“ als Modell für das Verhältnis von Gott und Mensch aufgreift? Zunächst gilt für ein solches Verfahren die grundsätzliche Einschränkung, die wir immer machen müssen, wenn wir menschliche Begriffe auf Gott anwenden: Ihre Aussagekraft ist begrenzt, weil sich von Gott in menschlicher Sprache nur begrenzt angemessen sprechen lässt. So wissen wir beispielsweise, wenn wir sagen, dass Gott „spricht“, dass dieses „Sprechen“ von ihm nicht in derselben Weise aussagbar ist wie von uns (wo es sich um einen physischen Vorgang handelt, der in einer bestimmten Sprache stattfindet). Aber wir versuchen dennoch, etwas von Gott und seinem Verhältnis zur Welt einzufangen, wenn wir sagen, dass er „spricht“. Was bedeutet es also zu sagen, dass Gott „gibt“? Und angesichts des vorgeschlagenen Modells stellt sich sofort die weitere Frage: Warum sollte ausgerechnet eine gegenseitige Gabe als Modell dienen, anstatt dass wir einfach in Freude und Dankbarkeit annehmen, was Gott uns schenkt, ohne uns verpflichtet zu fühlen, irgendwelche „frommen Gegenleistungen“ zu erbringen? Nehmen wir uns nicht zu wichtig, wenn wir meinen, dass Gott von uns eine Gegen-Gabe erwartete? Die letzte Frage kann bereits auf eine erste Antwortspur führen. Die eben im Blick auf eine mögliche einseitige Gabe gebrauchte Formulierung, dass man „nichts vom anderen erwartet“, ist im Deutschen in sprechender Weise doppelsinnig. Sie kann besagen: Wir stellen keine Ansprüche an ihn, oder aber: Wir trauen ihm nichts zu. Diese Doppeldeutigkeit weist darauf hin, dass es demütigend sein kann, nur empfangen, aber nicht geben zu können. „Milde Gaben verletzen den, der sie empfängt“ 7 , lautet ein im Gabediskurs viel zitiertes Wort von Marcel Mauss. Eine übergroße, nicht beantwortbare Gabe kann den Empfänger 7 Mauss, Die Gabe, 157. „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“? 121 entwürdigen, indem sie ihm seine Kleinheit, seine Abhängigkeit vor Augen führt und die Größe des Gebers demonstriert. Die Kategorie der gegenseitigen Gabe im skizzierten Sinn scheint mir deshalb eine Möglichkeit zu sein (ich will damit nicht sagen: die einzige), um zu denken, dass der große, heilige Gott uns mit seiner Zuwendung nicht klein macht, sondern groß. Er gibt nicht ein Almosen, das uns unsere Kleinheit und Sünde erst recht bewusst machte, sondern er würdigt uns, mit ihm in Gemeinschaft zu sein, und das heißt auch: Er bittet um unsere Antwort auf seine Gabe. Andererseits kann das Modell der Gabe verhindern, dass eine solche Hochschätzung des Menschen unter der Hand zu seiner Überforderung führte oder die Bedingungslosigkeit der göttlichen Zuwendung in Frage stellte. Deswegen ist es so wichtig, dass sich in diesem Modell Gegenseitigkeit mit extremer Asymmetrie verbinden lässt. Dann muss man einerseits nicht aus Sorge vor einer „Ökonomisierung“ des Gottesverhältnisses eine strikt einseitige „reine Gabe“ Gottes postulieren, auf die der Mensch nicht zu antworten vermöchte. Andererseits aber ist diese menschliche Antwort keine „Leistung“ - sie ist so „wertlos“ wie das Kinderbild. Man könnte wohl die ganze Heilsgeschichte, die die Bibel erzählt, in dieser Perspektive der Gabe lesen. Hier müssen ein paar Andeutungen genügen: 8 Der Glaube an Gott als Schöpfer ist der Glaube an die Bedingungslosigkeit seiner „ersten Gabe“, an das Ja, das er spricht und nie zurücknimmt. So sprechen die Erzählungen in Gen 1 f. beredt davon, dass Gott diese Welt gewollt hat und mit Wohlwollen auf sie schaut. Es geht in diesen Texten bekanntlich nicht um den zeitlichen Beginn, sondern um den Grund der Welt - deshalb ist der Glaube an dieses „erste Ja“ auch ein Spiegel der Hoffnung auf Gottes „letztes Ja“, das eschatologische. Wenn wir uns als Geschöpfe und unser Leben als geschenkt verstehen, dann sprechen wir von diesem Grund, auf dem wir stehen. Und wir sprechen davon, dass wir es weder verdienen können noch müssen, leben zu dürfen. Abgesehen davon, dass wir damit hoffnungslos überfordert wären, fällt es überhaupt nicht in den Bereich dessen, was verdient werden kann. Wir befinden uns nicht im Kontext der Ökonomie, sondern der Gabe, die Anerkennung schenkt. Gottes Anerkennung, seine Zuwendung zu uns als seinen geliebten Geschöpfen, mit denen er in Gemeinschaft sein will, ist der Grund dafür, dass wir sind. Zugleich verbindet sich diese erste Gabe Gottes mit der Bitte, der Aufforderung an den Menschen, in die Beziehung zu ihm einzutreten. Biblisch wird das unter anderem in der Kategorie des Bundes formuliert. Zwischen Gott und Mensch ist ein solcher Bund notwendig extrem asymmetrisch, aber dennoch gegenseitig. Und wenn der Mensch den Bund bricht, ist das für Gott nicht gleichgültig, 8 Vgl. für die folgende sehr verknappte Skizze ausführlicher Hoffmann, Christus, 32-55. 122 Veronika Hoffmann wie die alttestamentlichen Propheten und die Deutungen der Katastrophen der Geschichte Israels deutlich machen. Wiederum gibt es jedoch andererseits ein Engagement Gottes, das dieser nicht zurücknimmt, eine Gabe, die er auch angesichts der äußersten Ablehnung noch aufrechterhält - für Christen zuhöchst greifbar in der Person Jesu Christi, des Gekreuzigten und Auferweckten. 3.2 Fruchtbare Spannungen und prekäre Ambivalenzen Diese Skizze des Gebens und Empfangens zwischen Gott und Mensch ist freilich nicht nur allzu knapp, sondern auch noch allzu glatt. Die Reflexionen auf zwischenmenschliche Verhältnisse haben gezeigt, dass Praktiken des Gebens von Spannungen, gar Ambivalenzen durchzogen sein können. Was eine Gabe ist oder sein sollte, kann unter der Hand zu einer Art Tauschhandel werden, zu einem Bestechungsversuch, zu einem Versuch, den anderen auch gegen seinen Willen an mich zu binden. Die Untersuchung von Gabepraktiken hat viel mit der Beobachtung solcher Spannungsverhältnisse zu tun. Auch für das Verhältnis von Gott und Mensch ist das Modell der Gabe geeignet, um Ambivalenzen aufzudecken. Solche Spannungsverhältnisse und ihre mögliche Verwandlung in problematische Ambivalenzen ließen sich zum Beispiel am Fall des Opfers beobachten. M. E. lassen sich gute Gründe dafür anführen, das alttestamentliche Kultopfer (zumindest auch) als eine antwortende Gabe des Volkes Israel an seinen Gott zu verstehen. Diese antwortende, „zweite Gabe“ dankt Gott für seine „ersten Gaben“: des Lebens, des Landes, der Ernte, der Tora, und bittet ihn, dass sein Segen, seine Zuwendung sich fortsetzen mögen. Wiederum handelt es sich um eine Praxis von Anerkennung, in der sich extreme Asymmetrie mit echter Gemeinschaft verbindet. Nicht zufällig begegnet als eine wesentliche Metapher, unter der das kultische Opfer verstanden wird, diejenige eines Gastmahles, zu dem Gott eingeladen wird. 9 Der große, heilige Gott ist keiner, den man ernähren müsste (vgl. Ps 50,12) oder mit dem man Tauschgeschäfte betreiben könnte. Aber er ist einer, der seinem Eigentumsvolk heilvoll zugewandt ist und der selbst „Regeln“ gegeben hat, wie es sich ihm trotz seiner Größe und Heiligkeit nähern kann: die Regeln des kultischen Opfers. Die Alttestamentlerin Ina Willi-Plein hat das emblematisch in die Formel gefasst: „Gott isst nicht, aber er lässt sich einladen.“ 10 Das heißt jedoch mitnichten, dass das Opfer in Israel auch 9 Vgl. A. Marx, Opferlogik im alten Israel, in: B. Janowski / M. Welker (Hg.), Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, Frankfurt a. M. 2000, 129-149. Für ausführlichere Reflexionen auf das Opfer in gabetheologischer Perspektive vgl. Hoffmann, Skizzen, 347-408. 10 I. Willi-Plein, Opfer und Ritus im kultischen Lebenszusammenhang, in: Janowski / Welker, Opfer, 150-177, hier 165 Anm. „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“? 123 tatsächlich immer so verstanden worden wäre. Das Spannungsverhältnis des „Er isst nicht, aber er lässt sich einladen“ scheint immer wieder aus der Balance geraten zu sein. So prangern beispielsweise die Propheten Versuche an, mit Hilfe des Opfers Gott zu bestechen (vgl. Am 5,21-24). Auch unsere folgende Lektüre einer kurzen Passage aus dem Lukasevangelium wird solche Spannungsverhältnisse und nahe liegende Missverständnisse aufweisen. Weil es solche Ambivalenzen gut sichtbar und beschreibbar macht, bietet sich das Modell der Gabe als hermeneutischer Schlüssel gerade für entsprechende Zusammenhänge an. 4. Lk 14,12-14, gabetheologisch gelesen Die knappen Überlegungen zum Opfer waren ein erster Hinweis auf konkrete Gestalten, in denen sich Geben und Empfangen zwischen Gott und Mensch vollziehen kann. In der Regel werden solche Gestalten vermittelt sein über zwischenmenschliches Geben und Empfangen: Menschen empfangen Gottes Gaben durch andere Menschen. Und sie antworten auf seine Gaben, indem sie anderen Menschen geben. Aber in welcher Weise kommt Gott tatsächlich in unseren zwischenmenschlichen Gabeverhältnissen vor und was verändert sich, wenn er vorkommt? Hier ließe sich unter anderem über das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe nachdenken (Mt 22,34-40 parr.), über die Identifizierung des Weltenrichters mit den „geringsten Brüdern“ (Mt 25,40) oder über Jesus, der im Namen seines Vaters Kranke heilt, Dämonen austreibt und Sünden vergibt - Vor-Zeichen des Reiches Gottes, der eschatologischen Gabe Gottes von umfassender Heilung und Gemeinschaft. Ich möchte im Folgenden exemplarisch auf einen Text schauen, bei dem es in wenigen Versen gabetheologisch eine Menge zu entdecken gibt. „Dann sagte er [ Jesus, V.H.] zu dem Gastgeber: Wenn du mittags oder abends ein Essen gibst, lade nicht deine Freunde oder deine Brüder, deine Verwandten oder reiche Nachbarn ein; sonst laden auch sie dich wieder ein und dir ist es vergolten. Nein, wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“ (Lk 14,12-14, EÜ 2016) 4.1 Die neue Gemeinschaft der Gottesherrschaft Da Praktiken des Gebens, Empfangens und Erwiderns mit Sozialverhältnissen zu tun haben, lassen sich mit ihrer Hilfe auch Über- und Unterordnungen, Abhängigkeiten und Gruppenzugehörigkeiten steuern. Mancher gehört in be- 124 Veronika Hoffmann stimmte Kreise des wechselseitigen Gebens und Empfangens hinein, andere müssen draußen bleiben. In diesen Strukturen sozialer Inklusion und Exklusion finden sich zu allem Überfluss selbstverstärkende Tendenzen. Offensichtlich gibt es Menschen, die sowohl viel geben als auch viel empfangen. Und es gibt solche, die aus diesen sozialen Netzwerken herausfallen, weil sie als Gabe-Partner zu wenig attraktiv sind. Mahlpraktiken stellen in allen Gesellschaften und Religionen ausgezeichnete Gestalten solcher Vergemeinschaftung und Abgrenzung dar. Auch bei Jesus spielen die gemeinsamen Mähler eine entscheidende Rolle. Er ist geradezu berüchtigt dafür: „Dieser Fresser und Säufer, dieser Freund der Zöllner und Sünder! “ (Mt 11,19). Typischerweise werden hier „fressen und saufen“ und die Gemeinschaft mit denen, mit denen es sich nicht gehört, Gemeinschaft zu haben, in einem Atemzug genannt. Jesus feiert in den Mählern die Zugehörigkeit der sozial Ausgegrenzten zum Reich Gottes. Das ist auch das zentrale Thema im 14. Kapitel des Lukasevangeliums, wie Claus-Peter März dargestellt hat: „Die Mahlpraxis Jesu ist auf die Teilnahme aller ausgerichtet, um das Mahl zum Erfahrungsraum der alle Grenzen überschreitenden Gottesherrschaft zu machen.“ 11 Die konkreten Mähler Jesu wie die Belehrungen und Gleichnisse, die er an sie anknüpft, geben „seiner Botschaft vom Erbarmen Gottes erfahrbare Kontur“ 12 , indem sie wieder und wieder die Inklusion der Exkludierten als entscheidendes Merkmal des anbrechenden Gottesreiches sowohl einfordern als auch konkret praktizieren. In Lk 14,12-14 ist also nicht von Almosen die Rede. Armenfürsorge kann man sicher effizienter gestalten als über ein Festmahl - aber soziale Zugehörigkeit wird in ganz wesentlichem Maß genau über solche Festmähler definiert. Die Armen, Lahmen, Krüppel und Blinden sind zwar sicher auch unfähig, in materieller Hinsicht zurückzugeben. Entscheidend ist aber, dass sie ihrerseits nicht einladen können, das heißt: Sie können auf der Ebene der Sozialbeziehungen nicht adäquat antworten. Die gabetheoretische (idealtypische) Grundunterscheidung zwischen Vorgängen, bei denen wesentlich „etwas“ gegeben wird - sei es in ökonomischer oder in caritativer Form - und Praktiken der Anerkennung und Gemeinschaft erweist sich an dieser Stelle einmal mehr als hilfreich. Denn da sich die Anerkennung auch in materiellen Zusammenhängen ausdrückt, scheinen die Phänomene auf den ersten Blick verwechselbar: Die Armen werden bei einem solchen Festmahl sicher auch satt. Und wie wir gesehen haben, können die Grenzen zwischen den Gestalten der Gabe tatsächlich fließend sein. Aber ihre grundsätzliche Unterscheidung bleibt wichtig. Damit soll natürlich nicht 11 C.-P. März, Das Fest des göttlichen Erbarmens - Lk 14,1-24, BiLi 81/ 2008, 249-253, hier 252. 12 März, Fest, 249. „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“? 125 bestritten werden, dass auch Almosen Thema des Evangeliums sind. Aber mit ihnen ist es aus der Perspektive der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu noch nicht getan. Denn wenn ein Almosen sich zugleich den anderen „vom Hals hält“, ihn klein hält oder draußen stehen lässt, dann erfüllt es nicht die Forderung von Lk 14. Vielmehr sind die Geber in Lk 14 aufgefordert, die Empfänger „an sich herankommen“ zu lassen, indem sie sich mit ihrer Essenseinladung ihnen gegenüber so verhalten, wie sie das sonst (nur) ihren Freunden und Verwandten gegenüber tun. „Die wahre Barmherzigkeit wird nicht in Begriffen des Almosengebens, sondern des Festes ausgedrückt ( ) Von daher betrachten die Jünger und Jüngerinnen Jesu die Ausgestoßenen und Randständigen als Verwandte, Freunde und Freundinnen.“ 13 4.2 „Sie haben nichts, um es dir zu vergelten“? Eine solche gabetheologische Lesart provoziert freilich sofort einen Einwand. Kann eine solche soziale Inklusion überhaupt gelingen? Schließlich bleibt die Gabe hier einseitig, die Blinden, Bettler, Lahmen und Krüppel können ja gerade keine Gegeneinladung aussprechen. Widerspricht das nicht dem, was wir zur Struktur der „Gabe der Anerkennung“ gesagt hatten? Werden die Eingeladenen nicht im schlimmsten Fall noch zusätzlich gedemütigt durch eine Einladung, bei der sie „fehl am Platz“ sind und die sie nicht erwidern können? Der Einwand ist berechtigt und die Gefahr, dass das geschieht, vermutlich nie ganz aus der Welt zu schaffen. Die christlichen Gemeinden haben sich an dem Problem immer wieder abgearbeitet und sind dabei Ambivalenzen nicht immer entkommen, wie wir noch sehen werden. Auch die Lukasperikope bietet keine glatte Lösung, aber doch einen Hinweis auf eine mögliche Lösungsrichtung. Und dieser Hinweis ist bemerkenswert. Denn er stellt sich quer zu einer rein moralischen Lesart des Textes im Sinn einer ausschließlichen Aufforderung zu selbstlosem Handeln. Die Perspektive ist stattdessen ganz und gar diejenige des Reiches Gottes. Aus moralischer Sicht gilt: Das Gute ist zu tun, weil es gut ist, ohne dass man fragt, was man davon hat. Jesus aber erklärt hier gerade, „was man davon hat“, wenn man so handelt: „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“ Damit wird im ersten Moment die problematisierte Einseitigkeit sogar betont: „denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“. Dann jedoch wird sie überraschend aufgebrochen. Es wird schließlich doch eine Form von Gegengabe geben, denn „es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten“. 13 F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas. Teilbd. 2: Lk 9,51-14,35, Zürich u. a. 1996 (EKK; III/ 2), 493. 126 Veronika Hoffmann Dass hierin ein Lösungspotenzial und nicht vielmehr eine Problemverschärfung liegen soll, ist freilich nicht unmittelbar offensichtlich. Nicht wenige Ausleger der Perikope haben sich an dieser Verheißung eines „eschatologischen Lohnes“ gestoßen. So sieht z. B. Hermann-Josef Venetz den soeben geäußerten Verdacht der Missachtung der Empfänger in Lk 14 bestätigt: „So sehr Lukas in den Fußstapfen Jesu steht, so sehr er dessen vorrangige Option für die Armen geteilt hat, so sehr er von der Nachfolgegemeinschaft von Gleichgestellten überzeugt war: Das Wort in Lk 14,12-14 lässt die Vermutung aufkommen, dass er den Standort der Armen, Krüppel, Blinden und Lahmen nie wirklich eingenommen hat.“ 14 Diese Armen würden bei Lukas bloße „Objekte, denen die Reichen Gutes tun“, statt „Subjekte einer Gemeinschaft von Gleichgestellten“ 15 . In seiner Argumentation habe Lukas „mit Rücksicht auf das den Reichen innewohnende geschäftliche Berechnen hauptsächlich auf die Vergeltung“ 16 gesetzt. Damit stehe er aber nicht mehr voll auf dem Boden der Position Jesu. Denn dieser habe das Gegenseitigkeitsprinzip „prinzipiell in Frage gestellt“ 17 . Und Albert Vanhoye scheint gar entschlossen, die Lohnverheißung in Lk 14,14 einfach zu ignorieren, wenn er ausgerechnet unter Verweis auf diesen Text über die Gabe im Neuen Testament schreibt: „Statt die Gegenseitigkeit der Leistungen zu erstreben, muss man sie fortan geradezu fliehen (Lk 14, 12 ff.).“ 18 Zielte der Text wirklich darauf, jede Form von Gegenseitigkeit zu Gunsten einer „reinen“, einseitigen Gabe abzulehnen, dann wäre die Lohnverheißung am Ende in der Tat ein kaum erklärbarer Störfaktor. Und es bliebe erst recht fragwürdig, ob nicht einmal mehr Marcel Mauss’ Diktum zutrifft: „Milde Gaben verletzten den, der sie empfängt.“ 19 Nimmt man die Lohnverheißung hingegen als integralen Bestandteil des Textes ernst, dann kann man Mehreres entdecken: Zum einen ist für Lk 14 offensichtlich der Prozess, den die Einladung der Ausgeschlossenen anstoßen will, erst dann wirklich abgeschlossen, wenn eine neue Gegenseitigkeit des Gebens und Empfangens hergestellt ist. Das ist aber angesichts der „Antwort-Unfähigkeit“ der primären Empfänger nur so möglich, dass ein anderer für sie eintritt: dass Gottes Gegengabe an die Stelle der unmöglichen Gabe der Armen tritt. So ist die für den Moment nicht erreichbare 14 H.-J. Venetz, „Und du wirst selig sein…“. Kritische Beobachtungen zu Lk 14,14, in: D. Böhler / I. Himbaza / P. Hugo (Hg.), L’écrit et l’esprit. Études d’histoire du texte et de théologie biblique en hommage à Adrian Schenker (OBO 214), Fribourg 2005, 394-409, hier 409. 15 Venetz, „Und du wirst selig sein…“, 407. 16 Venetz, „Und du wirst selig sein…“, 408. 17 Venetz, „Und du wirst selig sein…“, 400. 18 A. Vanhoye, Art. „Gabe“, in: X. Léon-Dufour (Hg.), Wörterbuch zur biblischen Botschaft, Freiburg 2 1967, 207 ff., hier 208. 19 Mauss, Die Gabe, 157. „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“? 127 Gegenseitigkeit als eine gekennzeichnet, die zwar ausgesetzt ist, aber nicht vollständig aufgehoben. Es wird durchaus eine Gegengabe geben, denn ein anderer „springt in die Bresche“ und antwortet. Dies geschieht jedoch nicht einfach im Sinn einer bruchlosen Fortsetzung üblicher zwischenmenschlicher Gebeverhältnisse. Vielmehr fordert der Text bei aller Hoffnung auf eine letztliche Gegenseitigkeit doch eine radikale Verhaltensänderung seiner Hörer, indem sie zunächst aus den üblichen sozialen Verhaltensmustern ausbrechen und auf absehbare Zeit auf eine Gegeneinladung verzichten. Zum zweiten lässt sich die Anstößigkeit der Lohnverheißung relativieren. Diese scheint ja ein ökonomisches Bedachtsein auf den eigenen Vorteil noch zu unterstützen, anstatt ihm entgegen zu halten, das Gute sei schlicht zu tun, weil es das Gute ist. Die gabetheoretischen Grundüberlegungen haben jedoch auf die Notwendigkeit von Differenzierungen aufmerksam gemacht: Nicht jede Gabe hat die gleiche Zielrichtung und die gleiche Funktion. Lk 14,12-14 gehört in eine andere „Gabe-Kategorie“ als ein strikt altruistisches Geben, das die Not des Nächsten lindern will. Wenn dieser Text zur Ausweitung von Gemeinschaftsverhältnissen angesichts des anbrechenden Reiches Gottes auffordert und deswegen soziale Gabezusammenhänge, keine caritativen, in den Blick nimmt, dann ist es plausibel, dass er in seiner Argumentation eine in diesen Rahmen passende Handlungsmotivation wählt. Diese besteht deswegen nicht in einem Appell zu altruistischer Einseitigkeit, sondern eben in der Verheißung, dass auch die zunächst notwendig einseitige Gabe sich schließlich zu echter Gegenseitigkeit und Teilhabe für alle runden wird. 4.3 „Es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten“? Diese Überlegungen lassen sich noch etwas vertiefen, wenn wir aus gabetheologischer Perspektive einen kurzen Blick auf die Rede vom eschatologischen Lohn im Neuen Testament insgesamt werfen. Es gibt wohl kaum eine zeitgenössische Erklärung der biblischen Lohnmetaphorik, die diese nicht bis fast zum Zerreißen spannt. So heißt es beispielsweise bei André Birmelé im Blick auf Paulus: „Auch wenn der Gerechtfertigte für seine guten Taten einen Lohn erhält (1 Kor 3,8.14; 9,25), in einem Gericht nach Werken (Röm 2,6f; 2 Kor 5,10; Gal 6,8f), so ist dieser nur ein Lohn der Gnade (Röm 4,4f), denn die guten Werke des Menschen sind durch Gottes Geist gewirkt. Als Gnadengaben können sie keinen Anspruch auf Lohn erheben und können Gott nicht entgegengehalten werden (Röm 8,14; 2 Kor 1,22).“ 20 20 A. Birmelé, Art. „Lohn / Lohnsystem. I. Dogmatisch“, RGG⁴ Bd. 5, Tübingen 2002, 503ff, 504. 128 Veronika Hoffmann Und Gisbert Greshake fordert, es dürfe „die Metaphorik bzw. Analogie dieses Begriffs (Ähnlichkeit bei größerer Unähnlichkeit) nicht übersehen werden: Der aus der menschlichen Erfahrung bekannte Lohn- Gedanke steht wesentlich im Kontext von Leistung und ‚verdienter‘ Bezahlung und mithin im Horizont der iustitia distributiva, die (…) durch die Überzeugung von ‚Lohn‘ als reiner Gabe Gottes aufgebrochen wird.“ 21 Eine sachgerechte Interpretation der Lohnmetapher muss also die Gefahr einer ökonomistischen Interpretation im Sinn einer solchen Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) ausschließen, ohne andererseits die neutestamentliche Rede vom Lohn zu völlig „uneigentlicher“ - und damit letztlich: unangemessener - Rede zu erklären. Wie geht das? Es war bereits die Rede davon, dass in einer gabetheologischen Lesart der Heilsgeschichte alles mit Gottes „erster Gabe“ beginnt, die er bedingungslos gibt und nie zurücknimmt. Und diese „erste Gabe“ hat ihre Spiegelung in der Hoffnung auf Gottes „letzte“, eschatologische Gabe. Diese, die Vollendung des Reiches Gottes, ist es, die die Evangelien in endzeitlichen Bildern beschreiben - sehr oft, wie hier bei Lukas, im Bild des Mahles. Auf sie zielt die Metaphorik vom eschatologischen Lohn und verweist zugleich auf die grundsätzliche Unvollkommenheit aller Gabe- und Anerkennungsbeziehungen diesseits der Vollendung. Menschliches Handeln unter dem Leitstern des Reiches Gottes bewegt sich damit „zwischen“ der „ersten“ und der „letzten Gabe“ Gottes und versucht, seine „Gabe-Logik“ in aller Unvollkommenheit bereits zur Darstellung zu bringen. In diesem „Zwischenraum“ steht die Forderung von Lk 14, aus bestimmten sozialen Spielregeln des Gebens und Empfangens oder ihrer Verweigerung auszubrechen. Die Perspektive des anbrechenden Reiches Gottes stört also unsere Gabepraktiken und fordert zu ihrer Veränderung heraus. Aber sie erweitert auch unsere Möglichkeiten. Denn die Kraft zu einem solchen Verhalten gegen die sozialen Spielregeln, die dazu nötige innere Stabilität kann aus eben diesem „Rahmen“ des umfassenden Gebens Gottes kommen, in dem wir uns gehalten wissen dürfen. So geht es nicht um einen übermenschlichen totalen Verzicht auf eine Reziprozität der Anerkennung. Sondern Gott bürgt gewissermaßen selbst für eine letzte Gegenseitigkeit. Wohl aber geht es darum, aus der Sicherheit der „größeren Gabe Gottes“ heraus im Spiel um gesellschaftliche Anerkennung zurückzustecken. Und das Bild des eschatologischen Lohnes enthält nicht nur eine deutliche zeitliche Verzögerung, sondern markiert auch die bleibende Unver- 21 G. Greshake, Art. „Lohn. I. Begriff“, LThK³ Bd. 6, Freiburg 1997, 1036 (Hervorhebung im Original). „Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“? 129 gleichlichkeit von göttlicher und menschlicher Gabe. Die verheißene Gottesgemeinschaft ist „nicht von dieser Welt“: Die Weise, in der Gott in unsere Gebeverhältnisse eintritt, ist nicht innerweltlich verrechenbar. 4.4 Die bleibende Herausforderung Kann diese eschatologisch erhoffte Gegenseitigkeit in innerweltlichen Kontexten von Armut und sozialer Statusdifferenz zumindest aufscheinen? An diesem Problem haben sich die christlichen Gemeinden von ihren Anfängen an abgearbeitet und dabei eine ganze Reihe von - verschieden erfolgreichen und verschieden überzeugenden - Strategien entwickelt, um das auf materieller Ebene einseitige und einseitig bleibende Geben zu redefinieren. 22 So dachte man beispielsweise die Armen als mit einem besonderen Zugang zu Gott ausgestattet. Ihr Gebet war deshalb seinerseits für den Almosengeber von Wert. Während diese Figur deutlich „ökonomische“ Tendenzen hat, verwenden andere Interpretationsfiguren stärker soziale Reziprozitätsmuster. Eine wichtige Rolle spielte die Identifizierung der Armen mit Christus in Anlehnung an Mt 25,40, aber auch die Idee einer Freundschaft zwischen Geber und Empfänger. Hier stand v. a. Lk 16,9 im Hintergrund, aber das Motiv begegnet implizit ebenso in Lk 14,12-14, wie wir gesehen haben. Gerade diese Vorstellung scheint jedoch von Seiten mancher Geber nicht ohne Schwierigkeiten akzeptiert worden zu sein. Deshalb wurde die „Freundschaft“ nicht selten näher qualifiziert, um die Idee annehmbarer zu machen. Die Armen konnten beispielsweise als Freunde nicht des Wohltäters selbst, sondern als Gottes Freunde vorgestellt werden - dem wiederum der Wohltäter Freund sein wollte. Oder man sprach nicht von Freundschaft, sondern von Familienverhältnissen (wiederum ein Motiv, das sich auch aus Lk 14,12-14 ableiten lässt): Die Beziehung zwischen Geber und Empfänger sei eine wie zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Geschwistern. Diese Metaphern (und weitere, die sich ergänzen ließen) setzen aus gabetheoretischer Sicht verschiedene Akzente: Wir treffen eher am Lohnmotiv orientierte und eher beziehungsorientierte, eher asymmetrische (Eltern und Kinder) und 22 Vgl. zum Folgenden v. a. R. Finn, Almsgiving in the Later Roman Empire. Christian promotion and practice (313-450) (Oxford classical monographs), Oxford u. a. 2006. Im NT ließe sich eine solche Strategie insbesondere bei Paulus im Zusammenhang seines „Kollektenprojekts“ in 2Kor 8 f beobachten. Vgl. S. Joubert, Paul as Benefactor. Reciprocity, strategy and theological reflection in Paul’s collection (WUNT II/ 124), Tübingen 2000; M. L. Frettlöh, Der Charme der gerechten Gabe. Motive einer Theologie und Ethik der Gabe am Beispiel der paulinischen Kollekte für Jerusalem, in: J. Ebach (Hg.), „Leget Anmut in das Geben“. Zum Verhältnis von Ökonomie und Theologie ( Jabboq 1), Gütersloh 2001, 105-161; Hoffmann, Skizzen, 514-517. Instruktiv für spätere Zeiten ist: N. Z. Davis, Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance, München 2002. 130 Veronika Hoffmann eher symmetrische (Freundschaft) etc. Alle aber zielen auf die Herstellung - zumindest die Fiktion - von Reziprozität dort, wo bis auf Weiteres unvermeidlich einseitige Verhältnisse herrschen. Sie wollen die Armen statt zu Objekten, an denen nur gehandelt wird, zu aktiven Teilhabern an den sozialen Praktiken des Gebens, Empfangens und Erwiderns machen und damit ihre Würde wahren. Die Missbrauchsanfälligkeit der Überlegungen liegt freilich klar zu Tage: Aus dem Gabentausch konnte unter der Hand ein ökonomischer Tauschhandel werden („Tausche Almosen gegen Fürbitte“). Und von da aus ist es nur ein Schritt dazu, die Armen als ein Mittel zu verstehen, mit dessen Hilfe die Reichen ihr ewiges Heil erlangen konnten - und dies, ohne ihren Reichtum ganz aufgeben zu müssen. Neben der Problematik merkantiler Vorstellungen von Heilserwerb werden damit auch die Versuche der Inklusion konterkariert: Die Armen „vor der Kirchentür“ konnten dadurch als Arme von Bedeutung sein, so dass es geradewegs erstrebenswert erscheinen konnte, dass sie auch „vor der Tür“ bleiben. 23 So bleiben in allen diesen Versuchen Spannungen und Ambivalenzen. Eine Theologie der Gabe tut gut daran, gerade auch auf sie ihren Blick zu richten und nach kontextuell je möglichst angemessenen Denkfiguren zu suchen, um die bleibende Herausforderung von Texten wie Lk 14,12-14 aufzunehmen: die Herausforderung zu Veränderungen in unserer gesellschaftlichen Praxis, weil unsere zwischenmenschlichen Praktiken des Gebens und Empfangens dafür in Anspruch genommen werden, die göttliche „Gabe der Anerkennung“ sichtbar und erfahrbar zu machen. Dass sich dabei menschliches Geben und das vorgängige, verheißene und je größere göttliche Geben „überkreuzen“, macht es möglich, dass Lk 14,12-14 nicht nur eine Forderung ausspricht, sondern auch eine Verheißung. 23 Das weist auf eine grundsätzliche Grenze dieser Denkfiguren hin, die zugleich eine Grenze des Modells der Gabe selbst ist: Die Rechte der Armen können auf diese Weise kaum in den Blick kommen.
