ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
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Francke Verlag Tübingen
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Dronsch Strecker VogelBernadette J. Brooten - Liebe zwischen Frauen. Weibliche Homoerotik in hellenistisch-römischer Zeit und im frühen Christentum. Ins Deutsche übersetzt von Gerlinde Baumann Münster: LIT Verlag 2020, 476 S. (Exegese in unserer Zeit 28) ISBN: 978-3-643-14071-5
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Angela Standhartinger
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Buchreport Angela Standhartinger Bernadette J. Brooten Liebe zwischen Frauen. Weibliche Homoerotik in hellenistisch-römischer Zeit und im frühen Christentum. Ins Deutsche übersetzt von Gerlinde Baumann Münster: LIT Verlag 2020, 476 S. (Exegese in unserer Zeit 28) ISBN: 978-3-643-14071-5 Zeitschrift für Neues Testament 25. Jahrgang (2022) Heft 49 124 Angela Standhartinger Dieses Buch bietet die umfassendste Quellensammlung zu weiblicher Homosexualität in der Antike und eine Kommentierung von Röm 1,26f. in diesem Kontext. Griechische und römische Literatur, Zauberpapyri, astrologische und medizinische Texte und Handbücher der Traumdeutung dokumentieren frauenliebende Frauen. Sie verurteilen jedoch „vor allem“ Frauen, die eine aktive Rolle in homoerotischer Sexualität ausübten. Erst Paulus, so Bernadette Brootens (im Folgenden B.) These, und in seinem Gefolge das entstehende Christentum, lehnten weibliche Homoerotik grundsätzlich ab und dies, obgleich solche Beziehungen auch in christlichen Quellen dokumentiert sind. B. begann die Arbeit an diesem Buch 1982-84 im von ihr mitinitiierten Forschungsprojekt „Sexualität, Ehe und Alternativen zur Ehe in den ersten vier Jahrhunderten“ bei Hans Küng an der Universität Tübingen. Als sie sich jedoch mit Sexualität und Liebe unter Frauen und der Auslegung von Röm 1,26 beschäftigte, betrachtete Küng dies als eine unzulässige Einschränkung des Themas. Wegen dieser Einschränkung der Forschungsfreiheit verließ sie Tübingen, wurde Professorin in Harvard und später an der Brandeis Universität und arbeitete am Thema weiter, bis 1996 die englische Monographie Love Between Women erschien. Das hier zu besprechende Buch ist die von Gerlinde Baumann vorgelegte deutsche Übersetzung. Sie geht auf die Initiative von Ute E. Eisen zurück und baut auf Vorarbeiten von Susanne Scholz und Silke Petersen auf. Hinzu trat ein aktualisierendes Vorwort, das neue theoretische Einsichten benennt (15-23): Zum einen die intersektionale Analyse von Machtverhältnissen auch zwischen Frauen, zum anderen die Wahrnehmung von Menschen der Antike, die sich keinem oder mehr als einem Geschlecht zurechneten. Dabei kann die Antike heutige Wahrnehmungen produktiv irritieren, wenn sie sexuelle Beziehungen nicht nach Geschlechtern, sondern entlang von Rollen (aktiv-passiv) definiert (25). Das neu hinzugetretene Vorwort geht außerdem auf zwei Kritiken von David Halperin und Alan Cameron ein. Homoerotik ist für B., anders als für Forschende der Foucaultschule, keine Erfindung der Medizin des 19. Jh.s (anders Halperin). Jedoch sei es wichtig, die historische Differenz zu betonen, weshalb sie nicht von lesbischer Liebe spreche, sondern von weiblicher Homoerotik. Gegen Cameron betont B., dass auch die Erwähnung von Eheschließungen zwischen Frauen als Folge unglücklicher Sternenkonstellationen in astrologischen Handbüchern und anderen theoretischen Texten auf die Existenz solcher Beziehungen hinweise. Das Herzstück des Buches bildet eine Einleitung, gefolgt von zwei umfangreichen Hauptteilen: Teil I widmet sich der weiblichen Homoerotik in der römischen Welt und damit dem kulturellen Kontext des frühen Christentums. Teil II untersucht umfassend frühchristliche Reaktionen auf weibliche Homoerotik vom Neuen Testament bis zu Kirchenvätern des 5. Jahrhunderts. Abgeschlos- Buchreport 125 sen wird der Band durch ein Literaturverzeichnis und hilfreiche Register zur raschen Erschließung. Die Einleitung (27-32) diskutiert die griechische und lateinische Terminologie. Plato verwendet hetairistria („Kurtisane“ oder „Gefährtin“). In einem Kommentar zu Clemens von Alexandrien aus dem 10. Jh. wird der Begriff mit „Lesbierin“ erklärt, was zugleich der älteste Beleg für diese Identifikation von frauenliebenden Frauen mit Bewohnerinnen der Heimatinsel Lesbos der Dichterin Sappho ist (siehe auch 377f.). Christliche Autoren verwenden zumeist tribas von tribō („reiben“), was eine sexuelle Praxis zwischen Frauen bildlich beschreiben könnte. Das Wort scheint so treffend, dass es als Lehnwort ins Lateinische übernommen wird oder mit frico („reiben“) übersetzt wird. Auffällig sei, dass häufig nur eine Partnerin so beschrieben wird. Die andere werde, solange sie in der passiven Frauenrolle verbleibt, gar nicht als homosexuell betrachtet (anders bei Männern: erastēs [„Liebhaber“] und eromenos [„Geliebten“]). Auch beschreiben Autoren häufig eine gewaltvolle und außerdem phalluszentrierte Sexualität, etwa mit einem Dildo oder einer anatomisch großen Klitoris. B. hält solche Darstellung erotischen Sexuallebens unter Frauen durch außenstehende Männer für reduziert und im Grunde falsch: Denn die heutige „lesbisch-feministische politische Bewegung setzt sich für einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen erwachsenen Frauen ein und lehnt päderastische Kontakte zwischen Menschen weiblichen Geschlechts ab“ (30 f.). Mit diesen Wertungen ordnet sich B. in die feministisch-lesbische Bewegung ein (40). Sie schließt sich u. a. Mary Rose D’Angelos Übertragung von Adrienne Rich’ „lesbischem Kontinuum“ auf frühchristliche Missionarinnenpaare an ( JFSR 6/ 1990, 65-86). B. geht es aber über D’Angelo hinaus um sexuelle Beziehungen unter antiken Frauen, ohne damit etwas über frühchristliche Paare von Missionarinnen aussagen zu wollen. Dies verknüpft sie mit Forschungen zur (männlichen) Homoerotik von John Boswell, der jedoch nicht zwischen weiblich und männlich gelesenen Menschen unterscheide. Teil I bietet das Quellenstudium zur allgemeinen Antike und ist in fünf Unterkapitel unterteilt. In der deutschen Fassung sind die Unterabschnitte der einzelnen Teile nicht wie in der englischen in nummerierte Kapitel eingeteilt, was wegen interner Verweise an wenigen Stellen irritiert. In Kapitel I/ 1 werden literarische Quellen untersucht. Den Anfang macht die wegen ihrer Poesie hoch geschätzte Dichterin Sappho aus dem 6. Jh. v. Chr. In einer detaillierten Rekonstruktion der Diskursgeschichte geht B. der Frage nach, seit wann man Sapphos Liebesgedichte als an eine Geliebte gewidmet las (51-61). Bereits zotige Komödien aus dem 1. Jh. v. Chr. mit dem Titel Sappho lassen das vermuten. Auch die auf einem Papyrus des 2. / 3. Jh. n. Chr. erhaltene Biographie identifizieren Sappho eindeutig als frauenliebende Person (P.Oxy 15.1800, B. S. 1-61). Das Ka- 126 Angela Standhartinger pitel sammelt außerdem Hinweise auf frauenliebende Frauen aus lateinischen und griechisch geschriebenen Komödien, Satiren und Spottgedichten (61-78). Gelegentlich werde Homoerotik beschrieben wie in den Hetärengesprächen des Satirikers Lukian im 2. Jh. n. Chr. (B. 71-73; Lukian, Dialogi meretricii 5, fehlt in der deutschsprachigen Lukianübersetzung). Dass die hier mit Leania flirtende Megilla mit dem männlichen Namen Megillos genannt werden möchte, ist für B. ein Hinweis darauf, dass die Antike aktive erotische Avancen von Frauen gegenüber anderen Frauen als ihre Vermännlichung betrachtet. Einen weiteren Hinweis bietet die unter dem Namen De physiognomia bekannte anatomische Abhandlung, die frauenliebende Frauen mit männlichen Genitalien ausstattet. Bildlich gibt es sowohl einen Grabstein, auf dem zwei Frauen in der Typologie des Ehebundes dargestellt sind, und Vasenmalereien mit homoerotischen Handlungen (78-85). Obgleich Lev 18,22 und 20,13 weibliche Homoerotik ignorieren, wird sie vom jüdisch-hellenistischen Lehrgedicht des Pseudo-Phokylides und dem tannaitischen Midrasch Sifra erwähnt. Letztere Quelle stimmt mit Iamblich darin überein, dass man Ehen zwischen Frauen für eine ägyptische und babylonische Praxis hält (71,89-91). Dagegen halten viele der in den Talmudim überlieferten Stimmen Sexualität zwischen Frauen nicht wirklich für Sexualität (92-95). Kapitel I/ 2 (97-139) diskutiert ausführlich griechische Liebeszauber aus Ägypten. Bindezauber, mit denen eine Frau eine andere gewinnen will, wurde von Ersteditionen dieser Ausgaben ignoriert. Die Texte werden hier z. T. erstmals in deutscher Übersetzung von Silke Petersen geboten (102-121). Die Formulare solcher Texte klingen freilich gewaltsam, was für B. die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit dieser religiösen Praxis erhebt. Möglicherweise ist die Sprache aber durch die Formelsprache solcher Zaubertexte zu erklären. Jedenfalls wird die Existenz homoerotischen Begehrens zwischen Frauen bezeugt. Kapitel I/ 3 bespricht astrologische Handbücher (140-169). Weibliche Homoerotik, wollüstige, hyper-feminine und andere Frauen penetrierende Frauen sind hier Folge einer ungünstigen Sternenkonstellation bei ihrer Geburt. Auffällig ist hier „ein vielschichtigeres Konzept erotischer Neigungen“, das über die einfache Polarität von aktiv-passiv hinausgeht und „Faktoren wie Alter und Reichtum sowie die Tatsache, ob jemand sich von einem/ einer Fremden angezogen fühlt“ einrechnet (167). Der Charakter sexueller Vorlieben bestimmt dabei auch die Einordnung in die Geschlechtergruppen „weiblich“ und „männlich“ (168 f.). Mit ihrer Untersuchung antiker medizinischer Behandlungsweisen in Kapitel I/ 4 (170-203) demonstriert B., dass die sexuell auf Frauen bezogene Aktivität der tribades als Geisteskrankheit angesehen wurde. Der Arzt Soranos schlägt als Behandlungsmethode sogar Klitorektomie vor, womit er bis in chirurgische Handbücher des 17. Jh. grausam Schule machte (192-201). Weibliche Homo- Buchreport 127 erotik wurde also bereits in der Antike als pathologisch und „medizinisch“ behandlungsbedürftig angesehen. Antike Handbücher der Traumdeutung (Kapitel I/ 5; 204-216) werten Träume von erotischen Beziehungen zwischen Frauen als schlechtes Vorzeichen aus. Unter Frauen praktizierte Sexualität wird auch hier als „nutzloser Abklatsch männlichen Sexualverhaltens“ und als „unnatürlich“ behauptet (216). Weil Paulus den größten Einfluss auf die westliche Kultur und ihr Konzept von Homosexualität ausgeübt habe, widmet sich Teil II ausführlich der Kommentierung von Röm 1,26f. im Kontext (Teil II/ 1-4, 219-340). B.s Hauptthese lautet, dass der Satz aus Röm 1,26 „ihre Frauen vertauschten den natürlichen Umgang mit wiedernatürlichem“ wirklich weibliche Homoerotik meint und nicht, wie andere vorschlagen, in einem Kulturkreis als deviant empfundene Sexualität, etwa während der Menstruation, in bestimmten Stellungen oder mit abhängigen Menschen oder Tieren (zu den Gegenpositionen, 272-277). Dazu ordnet sie den Römerbrief zunächst rhetorisch in die Gattung der überzeugenden (protreptischen) Rede ein (225-245). Es gehe in Röm 1-3 weder allein um Gottes Zorn gegen den Götzendienst (Ulrich Wilckens), noch um Gottes Unparteilichkeit ( Jouette Bassler), noch um die Aufforderung, ein römisches Ehre- und Schande-Wertesystem zu übernehmen (Halvor Moxnes). Die drei Interpretationen sähen jedoch jeweils etwas Richtiges. Offen bleibt aber die Frage, warum für Paulus weibliche Homosexualität Sinnbild menschlicher Sündhaftigkeit ist und Gottes Zorn hervorruft. Der ausführliche Vers-für-Vers-Kommentar von Röm 1,18-32 in Kapitel II/ 3 (246-302) begründet die These, Paulus teile mit seiner Umwelt die Meinung, dass Frauen ausschließlich eine passive Rolle in der Sexualität einnehmen dürfen, verurteile jedoch beide Partnerinnen und damit Homoerotik an sich. Denn die Begriffe chrēsis („Umgang, Gebrauch“) und metēllaxan („vertauschen“) beschreiben eine Aktivität (278 f.). Mit dieser Überschreitung der gebührenden Passivität begingen die Frauen „Sünde gegen die Sozialordnung, die Gott in der Schöpfung gesetzt hat“ (299). Unausgeglichen bliebe allerdings Paulus’ Argumentation mit einer die Geschlechterrollen festlegenden Schöpfungsordnung in Röm 1,26f. und der die Geschlechterrollen aufhebenden Erlösungsordnung nach Gal 3,28. Kapitel II/ 4 (303-340) ordnet die Argumentation von Röm 1,26f. in intertextuelle Diskursräume ein: stoische Überlegungen zum Naturrecht, Philo von Alexandriens Beschreibung von Homosexualität als eine Praxis „gegen die Natur“ ( para physin ) sowie die in Weish 12,23-15,19 entwickelte Polemik gegen den Götzendienst, die, wie Paulus, Homosexualität als eine Folge dieser Trennung von der wahren Gottesverehrung beschreibt. Kapitel II/ 5 (341-398) verfolgt den Weg des entstehenden Christentums, das wie Paulus jegliche homosexuelle Praxis verurteilt. Kirchenväter, die Petrus- 128 Angela Standhartinger und Paulusapokalypse und die Thomasakten kündigen Höllenqualen für beide Partnerinnen einer homosexuellen Frauenbeziehung an. Möglicherweise unterstellte Hippolyt den von ihm bekämpften Naassener: innen eine sakrale homosexuelle Praxis, vermutlich vor allem um sie zu diffamieren (378-384). Anweisungen des ägyptischen Klostergründers Schenute und Augustins zeigen jedoch, dass homoerotische Beziehungen zwischen Christinnen durchaus gelebt wurden (390-394). Das Fazit (399-402) fasst die Thesen des Buches noch einmal profiliert zusammen. B.s Untersuchung enthält nicht allein die umfassendste Quellensammlung der weiblichen Homosexualität in der Antike. Ihr Ansatz ist grundlegend von feministischer Forschung und der Frauenbewegung geprägt. Sie versteht frauenliebende Frauen nicht als Spezialfall von homosexueller Orientierung. Vielmehr möchte sie die Gründe für die Ablehnung weiblicher Homosexualität in der Antike herausfinden. Man kann fragen, ob Paulus, wie B. behauptet, tatsächlich das Naturrecht ins theologische Zentrum stellt. Denn, wie B. selbst hervorhebt, geht es bei der Christologie gerade um die Auflösung natürlicher Ordnungen. Aber B.s beeindruckender Nachweis der Existenz von sexuell engagierten frauenliebenden Frauen in der gesamten Antike beschreibt eine Herausforderung: Jede Römerbriefauslegung steht nunmehr vor der Frage, was frauenliebende Frauen an Gemeinschaften und Kirchen attraktiv fanden, die Röm 1,26f. für kanonisch erklärten.